Der Wanderer - Hartmut Lange - E-Book

Der Wanderer E-Book

Hartmut Lange

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Beschreibung

Es ist mehr als nur eine Schaffenskrise, was den erfolgreichen Schriftsteller Matthias Bamberg aus dem Berliner Alltag in die verwirrende Welt Kapstadts aufbrechen läßt. Die Geschichte einer Verstörung.

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Hartmut Lange

Der Wanderer

Novelle

Diogenes

Ich bedanke mich für die Mitarbeit meiner Frau

1

Merkwürdig: Wenn seine Frau sich räusperte, war dies für Matthias Bamberg neuerdings ein Grund, aufmerksam zu sein. Nicht, daß es ihn störte. Warum sollte sie sich nicht gelegentlich räuspern, er räusperte sich schließlich auch. Und doch, seit einigen Tagen, oder waren es Wochen, kam es ihm vor, als würde das kurze, trockene, an und für sich belanglose Geräusch im Innersten an ihm rühren.

›Unsinn‹, dachte er und nahm sich vor, der Sache keinerlei Bedeutung beizumessen.

Am Nachmittag war er wieder mit der Konzeption seines neuen Romans beschäftigt. Worüber schrieb er diesmal? Dazu wollte sich Bamberg nicht äußern. Er deutete lediglich an, daß er gezwungen sein würde, genaue Recherchen zu machen. ›Der Wanderer‹ sollte das Werk heißen. Mehr war von ihm nicht zu erfahren, und auch seine Frau, die er sonst immer ins Vertrauen zog, blieb diesmal auf Mutmaßungen angewiesen. Sicher, immer noch hatte Bamberg die Angewohnheit, bevor er etwas zu Papier brachte, darüber zu reden. Meist waren es Erlebnisse, von denen er sich anregen ließ. Diesmal erwähnte er, daß er einem alten, beinahe schon vergessenen Freund begegnet sei.

»Stell dir vor«, sagte er, »er hat mich von hinten, als ich dabei war, die Straße zu überqueren, umarmt. Natürlich, wir standen auf dem Mittelstreifen und hatten wenig Zeit. Aber so viel habe ich doch erfahren: Er ist siebzig Jahre alt geworden«, fügte Bamberg hinzu, und ehe seine Frau dazu kam, ihm Fragen zu stellen, saß er an seinem Schreibtisch und hatte das Notebook eingeschaltet.

Am Abend las er in einer Buchhandlung aus seinem letzten Roman. Das Zimmer war überfüllt. Man klatschte ihm zu. Kein Wunder: Matthias Bamberg war bekannt dafür, daß er im Einverständnis mit seinen Lesern war. Alles, was er vortrug, war irgendwie überzeugend, und was das Wichtigste war, man konnte, weil es diesem Schriftsteller immer wieder gelang, auch dem ernstesten Sachverhalt etwas Komisches abzugewinnen, auf überlegene Weise darüber lachen.

Nach der Lesung, nachdem Bamberg das Buch zugeklappt, nachdem man ihn aufgefordert hatte, über seine Zukunftspläne zu reden, erwähnte er, was er am Vormittag schon seiner Frau gegenüber getan hatte, daß er vorhabe, etwas unter dem Titel ›Der Wanderer‹ zu schreiben. Und wieder war die Zustimmung groß, denn darüber war man sich einig: Wenn solch ein ironischer, überlegener Kopf auch noch anfangen würde, womöglich die Jogger und Spaziergänger aus dem Grunewald ins Visier zu nehmen, darauf durfte man gespannt sein.

2

Am Tag nach der Lesung, als Bamberg am Arbeitstisch saß, bemerkte seine Frau, daß er, anstatt, was er geschrieben hatte, in dem Notebook zu überprüfen und anstatt, wie es seine Gewohnheit war, alles, um es gründlicher korrigieren zu können, erst einmal auszudrucken, daß er statt dessen aus dem Fenster sah.

Offenbar verfolgte er den Rauch, der aus dem schmalen Aluminiumrohr aufstieg. Über den Dächern verfing sich der Wind, so daß der Rauch in Fetzen hierhin und dorthin gezogen wurde. Dies sah Anita Bamberg, während sie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes schloß, und es war der allerflüchtigste Eindruck, dem sie keinerlei Beachtung schenkte. Er aber, Matthias Bamberg, schien irgendwie gebannt zu sein. Er sah immer nur auf die Öffnung des Aluminiumrohrs, sah, wie der dichte Qualm, der ins Freie hinausdrängte, von einem Wirbel erfaßt wurde und wie er sich an der äußersten Kante der Regenrinne wieder sammelte und, es geschah völlig übergangslos, verschwand.

Am Nachmittag fuhr Bamberg zum Schlachtensee, um die Jogger zu beobachten. Unübersehbar, wie hier, in einem unbedingten Willen zur Gesundheit, gekeucht und geschwitzt wurde. Fast jeder warf die Hacken, ruderte mit den Armen. Ob unter- oder übergewichtig, jeder versuchte, koste es, was es wolle, einen Dauerlauf durchzuhalten.

›Eine besonders unappetitliche Art von Eigenliebe‹, dachte Bamberg, und es zuckte ihm in den Fingern, das Notizbuch aus der Jackentasche zu ziehen, um einige sarkastische Bemerkungen zu notieren.

Er unterließ es, ging weiter, sah zuletzt nur noch auf den See hinaus. Nicht daß er auf die Ruderboote achtete, die auf der glitzernden Fläche unterwegs waren, oder auf die Haubentaucher, die verschwanden und von denen man nicht wissen konnte, wann und wo sie einige Meter weiter wieder auftauchen würden. Vielmehr ging sein Interesse über alles, was er sah, hinweg, und nachdem er den See hinter sich gelassen, nachdem er den Parkplatz erreicht hatte, um in sein Auto zu steigen, wußte er nicht zu sagen, weswegen er hergekommen war. Trotzdem geschah es, daß er seiner Frau, während sie zu Mittag aßen, versicherte, daß der Spaziergang erfolgreich gewesen sei. Das Telefon klingelte, Matthias Bamberg verhandelte mit dem Redakteur einer großen Wochenzeitschrift.

›So fängt es immer an‹, dachte Anita Bamberg. ›Bevor die erste Zeile geschrieben ist, hat er sie schon verkauft. Und ein Jahr später‹, dachte sie, ›ist das Manuskript fertig.‹ Wie war doch der neue Titel? ›Der Wanderer‹, dachte Anita Bamberg, und nachdem der Tisch abgeräumt, nachdem Gläser, Teller und Besteck im Geschirrspüler verschwunden waren, war es nur selbstverständlich, daß Bamberg in seinem Arbeitszimmer saß, um den Text, den er dem Redakteur versprochen hatte, so rasch wie möglich in den Computer einzugeben.

Anita und Matthias Bamberg hatten vor kurzem erst geheiratet, lebten aber schon seit Jahren zusammen in einer Altbauwohnung. Er hatte sich die vorderen Räume eingerichtet, sie das Berliner Zimmer und die Kammer, die auf den hinteren Korridor hinausging. Es gab ein Bad und eine Extratoilette. Gegessen wurde in der Küche, deren Dienstboteneingang durch einen Schrank verstellt war. Aber die eiserne Tür war intakt, und es existierten noch die Schlüssel, so daß sie ihre Wohnung, gesetzt den Fall, sie würden den Schrank zur Seite schieben, auch über einen zweiten Zugang, über die Treppe im Seitenflügel des Hinterhauses, hätten erreichen können. Hatten sie Kinder? Nein. Er, Matthias Bamberg, war auf das Bücherschreiben fixiert, sie, Anita Bamberg, hatte sich als Übersetzerin aus dem Italienischen und Spanischen einen Namen gemacht. Sie dachten daran, sich im Norden, vielleicht an der Ostseeküste, ein Apartment zu kaufen, und nach längerem Zögern, wie gesagt, hatten sie endlich geheiratet, und damit schien alles, was das tägliche Miteinander betraf, geregelt.

Am nächsten Morgen bemerkte Anita Bamberg, daß die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes sperrangelweit offenstand. Er hatte den Text, den er dem Redakteur versprochen hatte, fertig und war schon auf dem Weg zum Briefkasten. Der Monitor flimmerte, auf dem Schreibtisch lag ein Packen Din-A4-Umschläge. Sie ging zum Fenster, sah auf den Briefkasten, der an der Straßenecke angebracht war, und da sie ihren Mann nicht entdecken konnte, ging sie zur Wohnungstür, die sie einen Spaltbreit öffnete, und sie nahm sich vor, ihm, sowie sie seine Schritte auf der Treppe hören würde, entgegenzugehen. Sie wollte ihm sagen, wie toll sie es fände, daß er wieder einmal alles so schnell erledigt hätte. Sicher, eine gewisse Gereiztheit war schon dabei, denn dies war ein ständiger Grund für Anita Bamberg, eifersüchtig zu sein: Sie arbeitete an ihren Texten überaus langsam, während ihm, Matthias Bamberg, alles leicht von der Hand ging.

»Mein Lieber«, wollte sie sagen und ihm auf die Schulter klopfen, »das waren keine zwei Tage Arbeit. Und wenn das«, wollte sie hinzufügen, »was ich demnächst zu lesen bekomme, auch noch gut sein sollte, dann mußt du, weil du zu viel Zeit hast, ab sofort die Fenster putzen.«

Sie stand auf dem Treppenabsatz, beugte sich über das Geländer, aber wer dort mühelos die vier Treppen heraufkam, war nicht der, auf den sie wartete. Es war jemand, der, nachdem sie ihm Platz gemacht hatte, grußlos an ihr vorüberging.

3

Auf den Redakteur der Wochenzeitschrift, auf Frank Geiger, konnte sich Bamberg jederzeit verlassen.

»Komm herein«, sagte der Redakteur, gab Bamberg die Hand. »Komm herein«, wiederholte er, und Minuten später saßen sie in einem überheizten Raum, tranken Mineralwasser, und Bamberg fiel auf, daß Geiger, als fühle er sich ungemütlich, auf der äußersten Kante seines Stuhles saß und daß seine Aufmerksamkeit auf die offene Tür gerichtet war, die in den Nebenraum führte.

Offenbar war dort jemand beschäftigt. Man hörte das Rascheln von Papier, und Geiger sprach davon, daß es ihm noch nicht gelungen sei, den Text, den Bamberg ihm zugeschickt hatte, in der Redaktion durchzusetzen.

»Wäre es nach mir gegangen, wäre er längst erschienen. Aber die da«, sagte er und wies mit dem Finger auf die offene Tür, »sie will neuerdings das letzte Wort haben.«

Er wirkte müde. Ständig hielt er die Augen gesenkt, so daß man den Eindruck gewann, er würde, auch wenn er den Kopf hob, immer nur auf den Boden sehen. Im Nebenraum wurde ein Stuhl zur Seite gerückt. Jene, von der Geiger gesprochen hatte, erhob sich von ihrem Tisch, ging ein paar Schritte auf die offene Tür zu, aber sie wollte sich nicht zeigen. Die beiden sahen auf die Tür, die sich langsam in Bewegung setzte, bis sie schließlich ins Schloß fiel, und Bamberg wunderte sich, daß dies so sanft und leise geschah.

»Ja, so ist das«, sagte Geiger. »Jeden Tag werden die Karten hier, wie man so sagt, neu gemischt. Aber noch ist nichts entschieden. Ruf mich doch um fünf, nein besser gegen sechs Uhr an«, fügte er hinzu, »dann können wir ungestört miteinander reden.«

Noch vor der verabredeten Zeit klingelte in der Bambergschen Wohnung das Telefon, und das Gespräch, das Bamberg mit seinem Freund Geiger führte, dauerte über eine Stunde. Was sie genau besprachen, war von der Kammer aus, in der Anita Bamberg arbeitete, nicht auszumachen. Aber soviel wurde deutlich: Es gab Schwierigkeiten, und offenbar war der Redakteur darauf aus, sich näher zu erklären.

Sie hörte, wie ihr Mann versicherte, es sei kein Problem für ihn, und wie der andere immer wieder zu längeren Ausführungen ansetzte. Zuletzt wurde geschwiegen. Es dauerte eine Weile, ehe Bamberg und, wie ihr schien, ohne ein Wort der Verabschiedung, den Hörer auflegte, und er kam nicht wie sonst, wenn er ein wichtiges Gespräch geführt hatte, zu ihr, um darüber zu reden. Nein, diesmal verschwand er in seinem Arbeitszimmer.

›Es wird nichts Wichtiges gewesen sein‹, dachte sie und beugte sich über die Korrekturbögen, mit denen sie beschäftigt war.

Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Irgendwann ging sie in die Küche, um Tee aufzubrühen, und als sie mit der Tasse, die für Bamberg bestimmt war, in dessen Arbeitszimmer trat, bemerkte sie, daß auch er, obwohl das Notebook eingeschaltet war, nicht arbeitete. Statt dessen sah er aus dem Fenster, und offenbar verfolgte er wieder den Rauch, der aus einem Aluminiumrohr aufstieg: Über den Dächern verfing sich der Wind, so daß der Rauch in Fetzen hierhin und dorthin gezogen wurde. Es war, wie einmal schon, der allerflüchtigste Eindruck, dem Anita Bamberg keinerlei Beachtung schenkte. Ihr Mann aber wies mit dem Finger auf das Aluminiumrohr und sagte:

»Es ist immer nur Rauch, der dort aufsteigt und über der Dachrinne verschwindet.«

»Was sollte es sonst sein«, antwortete Anita Bamberg, stellte ihm die Tasse mit dem Tee hin, und als sie sich räusperte, hob er den Kopf und sah ihr ins Gesicht.

4

J