Die Bürgschaft in Prosa - David Pawn - E-Book

Die Bürgschaft in Prosa E-Book

David Pawn

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Beschreibung

Daimon, auserwählt aus einer Gruppe Verschwörer, will den Tyrannen Dyonis töten, doch scheitert. Er wird zum Tode verurteilt und erbittet sich drei Tage, seinen Nachlass für seine Schwester zu regeln. Er lässt dem König einen Bürgen. Soweit, so bekannt. Aber glaubt wirklich jemand, all jene Widerstände, die dem Mann auf seinem Weg zurück begegnen, seien Zufälle gewesen? Sieht es nicht eher so aus, als wolle jemand verhindern, dass er zurückkehrt, damit der Bürge nicht ausgelöst wird? Und wird Daimon am Ende tatsächlich einem grausamen Tyrannen die Hand zur Freundschaft reichen? Wer schon immer gezweifelt hat, sollte zu dieser Novelle greifen.

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Die Bürgschaft in Prosa

 

David Pawn

(Frei nach der Ballade von Friedrich Schiller)

 

 

 

 

 

Copyright © 2022 David Pawn

Michael Siedentopf

Schweizer Str. 40

01069 Dresden

[email protected]

Lektorat: Vinachia Burke

Umschlaggestaltung: Jacqueline Spieweg

© All rights reserved

 

Für Daniel, in Erinnerung an einen denkwürdigen Strandspaziergang

An den Leser

Ja, ich habe mich an Friedrich Schiller vergriffen. Allerdings nicht, weil ich mich über seine Balladen lustig machen will, sondern weil ich diese in Reime gesetzten spannenden Geschichten sehr wertschätze. Ich hatte als Kind das große Glück, dass meine Mutter mir Gedichte wie „Die Bürgschaft“, „Der Handschuh“, „Der Taucher“ oder „John Maynard [Theodor Fontane]“ völlig wertfrei vorgelesen hat, so wie man einem Kind eine spannende Geschichte vorliest. Natürlich hatten die Autoren dieser Balladen einen Hintergedanken, als sie die Verse zu Papier brachten. Sie wollten eine Lehre, eine Moral vermitteln. Aber das wollen die meisten Autoren spannender Geschichten auch heute noch. Fast jedes Buch enthält irgendwo eine Moral. Es bleibt dem Leser überlassen, sie zu suchen und zu finden.

Ich weiß nicht, ob es heute noch so gehandhabt wird: Ich und auch mein Sohn mussten in der Schule Balladen auswendig lernen und vortragen. Die Verse wurden wie Leichen in einem Netflix-Krimi seziert. Das ist nach meiner Meinung eine gute Methode, um in jungen Leuten Abscheu vor dieser Kunst zu erzeugen. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass das der Sinn der Beschäftigung mit Literatur sein sollte.

Wenn man „Die Bürgschaft“ unvoreingenommen liest, ist sie ein hervorragender Plot einer Abenteuergeschichte. Es ist alles da, was man heute jungen Autoren als notwendig für einen spannenden Roman erklärt. Ein Held hat eine Aufgabe, und während er sie zu lösen versucht, türmen sich immer neue Probleme vor ihm auf. Bis zum Ende bleibt der Ausgang ungewiss (wenngleich man als erfahrener Leser natürlich weiß, dass der Held immer gewinnt).

Ich habe mir die Freiheit genommen, diesen Plot als Basis für eine etwas ausgedehntere Geschichte zu wählen und ein wenig abzuändern. Ich habe die ursprünglich im antiken Sizilien angesiedelte Handlung in eine Art Fantasiewelt verlegt und auch die Namen daher leicht abgewandelt. Für den Helden liegen ohnehin zwei Varianten, „Damon“ und „Möros“, vor. Bei mir wird aus Dionysios II. von Syrakus Dyonis von Syraka und aus Damon Daimon. Auch die übrigen Namen sind antikisierend gewählt ohne konkrete Entsprechungen zu haben.

Was mir an der Ballade „Die Bürgschaft“ tatsächlich nicht recht gefallen will (als Kind ist mir das nicht so gegangen), ist das Ende. Also, lieber Leser, lass dich überraschen, wie die Geschichte in meiner Version ausgeht.

Das Attentat

Das Gefühl, wieder durch den Palast zu streifen, erschien Daimon seltsam. Als Kind hatten er und Dyonis in diesen Gängen gemeinsam gespielt. Er, Sohn des Obersten Verwalters der Gärten, und der spätere König waren gemeinsam vor den Hauslehrern und Erziehern geflohen, um Abenteuer in der verlassen liegenden Bibliothek, der Abtei oder in den Katakomben im Keller zu erleben. Dort unten spielten lange schon keine Kinder mehr, denn jetzt beherbergten diese feuchten, dunklen Räume die Zellen, in denen Dyonis all jene verrotten ließ, die sich nicht seinem ständig wechselnden Willen unterwarfen. Wann war er eigentlich zu dem Mann geworden, den der größte Teil seines Volkes fürchtete und hasste?

Vielleicht, so ging Daimon durch den Kopf, während er sich im Schatten weiter durch die Gänge bewegte, ruhte diese Herrschsucht schon von Kindheit an in ihm. Auch damals hatte Dyonis bei jedem Spiel die Regeln festlegen und auf jeden Fall gewinnen wollen. War ihm dies nicht vergönnt, so brach die Wut aus ihm heraus. Er stürzte sich auf den erstbesten Gegner, spuckte und biss, warf Möbel um, riss Bilder von den Wänden, warf sie zu Boden und trampelte auf ihnen herum. Einmal hatte Massif, der Hauslehrer für Glauben und Philosophie, sie beide neben einem solchen Zerstörungswerk erwischt. Da hatte Dyonis auf ihn, Daimon, gedeutet und erklärt, er wäre der Übeltäter gewesen. Massif hatte dem jungen Prinzen allerdings keinen Glauben geschenkt. Der alte, weißhaarige Lehrer kannte seine Schüler zu gut.

Aber es war ein großer Unterschied, ob man auf Bildnissen oder auf Menschen herumtrampelte, wie Dyonis es als König und uneingeschränkter Herrscher des Reiches tat. Das Volk darbte, Tausende hungerten. Und der König lebte in Saus und Braus und warf das Geld mit beiden Händen für seine Vergnügungen zum Fenster hinaus. Er musste auf dem Weg durch den Palast nur ein paar Blicke nach links und rechts werfen, um zu sehen, wohin der Reichtum des Landes verschwand. Gold und Edelsteine, wohin man auch sah.

Außerdem hielt Dyonis sich mehrere Konkubinen, die er mit Schmuck überhäufte. Sie zeigten sich hin und wieder in einer Sänfte getragen in der Stadt. Eine ganze Kohorte Wächter begleitete sie dann, damit niemand auf dem Markt oder in den Gassen auf die Idee kam, faules Obst nach ihnen zu werfen.

Ein Klirren rechts von ihm riss Daimon aus seinen Gedanken. Er wandte nervös den Blick, aber nur eine mechanische Uhr hatte zur Anzeige des dritten Viertels nach Mitternacht eine kleine silberne Glocke angeschlagen. Er war allein in dem Gang, der zum Schlafzimmer des Königs führte.

Sie hatten Lose gezogen, wer den König töten sollte. Das Schicksal hatte in einem Anflug von grausamem Humor ihn gewählt. Sie, eine Gruppe junger Männer und Frauen, die die von der Überzeugung geleitet wurden, dass Dyonis ein gefährlicher Wahnsinniger war, dem endlich Einhalt geboten werden musste. Ihre Gruppe hatte keinen Namen. Sie trafen sich hin und wieder im Hinterzimmer eines Gasthauses. Zunächst hatte es nur Gespräche gegeben. Diskussionen darüber, wie der Welt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen sei. Vor einer Woche hatte jemand ausgesprochen, was unterschwellig jeder von ihnen fühlte: Dyonis musste sterben. Gewiss, auch dessen waren sie sich einig, würde die Welt davon nicht schlagartig besser. Aber dieser erste Schritt war notwendig. Dann sollte das Volk entscheiden, wer der neue Herrscher des Reiches würde. Nur dürfte es keiner von Dyonis Söhnen werden, die er mit einer seiner Gespielinnen gezeugt hatte.

Ein halber Mond beleuchtete schwach die letzten Meter bis zur Tür des Schlafgemachs. Unwillkürlich legte Daimon eine Hand auf den Dolch an seiner Seite. Er würde dem Tyrannen die Klinge in das schwarze Herz rammen. Vielleicht würde Dyonis noch einen letzten Blick auf ihn werfen, und seine Freveltaten bereuen, wenn er in die Augen seines Spielkameraden aus fernen Tagen schaute. Aber vielleicht war auch alles Menschliche aus seinem Herzen längst getilgt. Dann stürbe er mit Hass in der Seele. Bitter und dunkel.

Einen Schritt vor der Schlafzimmertür wandte Daimon sich nach links und trat an die Balustrade, um tief die laue Nachtluft einzusaugen. Grillen veranstalteten im Dunkel ihr Konzert. Eine einzelne Fledermaus löste sich von Westturm, flatterte durch die Luft und verschwand aus seinem Blick. Im Innenhof plätscherte ein Brunnen, die Figur eines Schwanes, aus dessen Schnabel sich der Strahl ergoss, war nur als Umriss zu erkennen. Die Blüten der Blumen waren zum größten Teil geschlossen. Sie öffneten sich erst mit den Strahlen der Morgensonne wieder, um Insekten zum Frühstück einzuladen. Es wäre ein neuer Morgen, denn der Tyrann wäre Geschichte.

Daimon wandte sich von dem friedlichen Bild ab und der Schlafzimmertür zu. Noch immer drangen keine weiteren Geräusche an sein Ohr. Offenbar hielt es Dyonis für ausgeschlossen, dass jemand an den Wachen am Tor und in den unteren Hallen vorbei bis hier hinauf käme. Jemand, der nicht wie er alle geheimen Gänge und Winkel des Schlosses von Kindesbeinen an erkundet hatte, war gewiss auch nicht in der Lage dazu. Er war über die Dienstbotentreppe und den Speiseaufzug hierher gelangt. Beide lagen hinter Paneelen verborgen, von denen nur die Diener und Wachen wussten, die dem König direkt unterstanden und deren Familien als Faustpfand unter ständiger Beobachtung standen. Sollte irgendjemand auf diesem Wege bis zum König vordringen, würden sie allesamt sofort dem Henker übergeben. Ohne Ausnahme und ohne zu prüfen, wer der tatsächliche Verräter gewesen sein mochte. Auch deshalb durfte Daimon nicht scheitern.

Er legte eine Hand auf die Klinke der Tür und senkte sie langsam und geräuschlos. Dann zog er die Tür ebenso vorsichtig auf.

Auch das Gemach wurde nur schwach von Mondlicht erhellt. Sein Blick fiel sofort auf den König. Der lag mit leicht geöffneten Lippen auf dem Rücken und schnarchte. Aus dem einstmals drahtigen Jungen war ein Mann geworden, aus dessen Statur und Gesicht seine Vorliebe für gutes Essen, roten Wein und wilde Orgien sprachen. „Völlerei und Wollust“, rief dieser Körper Daimon entgegen. Wahrscheinlich war seine Lebensspanne sowieso nicht mehr lang bemessen. Schon jetzt beschäftigten sich vier Hofärzte damit, das Wohlergehen des Königs zu behüten.

Auf leisen Sohlen bewegte Daimon sich vorwärts. Er zog den Dolch aus dem Futteral am Gürtel und setzte den nächsten Schritt voran, um an die Seite des Königs neben das Bett zu treten. Er spürte einen leichten Widerstand am Fuß, als hätte er sich in einer Ranke verfangen, während er durch ein Unterholz streifte. Aber der Effekt währte nur einen Augenblick. Ein Glöckchen erklang und Daimon sah nach rechts, von wo das Geräusch erklungen war. Dort gab es eine weitere Tür, die in ein Ankleidezimmer führte, das die Garderobe des Königs beherbergte. Sie stand einen spaltbreit offen.

Daimon wandte den Blick wieder dem König zu, trat einen weiteren Schritt voran und hob den Arm, um den Stoß auszuführen, der das Leben des Tyrannen beenden sollte. Da schlug die Tür zu seiner Rechten mit einem Krach an die Wand. Wachen drangen in den Raum. Jemand packte seinen erhobenen Arm, riss ihn zurück und verdrehte ihn hinter den Rücken.

Der König schlug die Augen auf.

„Was ist hier los?“, brachte er, noch vom Schlaf benommen, hervor.

„Ein Eindringling, Herr!“, meldete einer der Wächter. Wenn Daimon richtig schätzte, so handelte es sich um den Befehlshaber der kleinen Gruppe, die aus dem Ankleidezimmer hervorgebrochen war. „Wie Ihr es erwartet habt.“

Dyonis setzte sich vollends im Bett auf, strich sich kurz über den Bart und besah sich den Gefangenen genauer.

„Ausgerechnet du, Daimon? Aber es ist gleichgültig. Du wirst gerichtet, wie es dir gebührt. Morgen zur Mittagsstunde wird die Verhandlung auf dem Platz vor dem Palast abgehalten werden. Alles Volk soll sehen, wie mit Hochverrätern verfahren wird. Schafft ihn mir aus den Augen, Hauptmann.“

„Jawohl, Herr!“ Der Wächter, der zuvor bereits gesprochen hatte, salutierte.

„Du hast davon gewusst?“, brachte Daimon hervor, der nur schwer wieder zu Besinnung kam. Noch immer saß ihm der Schock des gerade Erlebten in den Knochen.

„Ich habe meine Spione überall. Wusstest du das nicht?“ Dyonis lächelte selbstzufrieden und rieb sich die Hände. „Dein Schicksal wird alle lehren, was es einbringt, sich mir zu widersetzen.“ Er schaute zum Hauptmann. „Bringt ihn endlich in den Kerker, Kerl. Er bereitet mir ansonsten nur Albträume.“

Grob wurde Daimon aus dem Raum und in Richtung Treppe gestoßen.

Das Urteil

Extra für diesen Anlass hatte der König in Windeseile eine hölzerne Tribüne auf dem Platz vor dem Palast zimmern lassen. Sie nahm die halbe Länge einer Palastwand ein. Wächter standen in einer Reihe an ihrem hinteren Ende. Stufen führten von der Seite hinauf.

Vor der Tribüne hatte sich ein großer Teil der Einwohner von Syraka versammelt. Gewiss liebte keiner ihren Herrscher, aber ein Spektakel ließen sie sich dennoch nicht gern entgehen. In diesen Tagen waren die Leiden eines anderen armen Teufels die einzige Zerstreuung, die sie überhaupt besaßen.

Als die Sonne in den Zenit trat, öffnete sich das Tor des Palastes und vier Schwerbewaffnete führten den Delinquenten hinaus in das grelle Licht des Tages. Ein Raunen ging durch die Menge. Daimons ehemalige Verbündete standen ebenfalls auf dem Platz und sahen sich verstohlen nach links und rechts um. Jeder von ihnen fürchtete, sich durch einen Laut oder eine Geste zu verraten. Aber die Umstehenden waren viel zu gebannt von dem Schauspiel vorn auf der Tribüne.

Die Wächter führten Daimon hinauf. Zwei Schritte von einem samtbezogenen Sessel blieben sie stehen, Daimon in der Mitte, jede Hand mit einer Kette an einen von ihnen gebunden.

Etliche Zeit verstrich, in der Daimon in die Gesichter der Menge und diese hinauf zu ihm schauten. Endlich öffnete sich das Schlosstor erneut. Umrahmt von weiteren Wächtern trat der König nach draußen, schritt auf die Tribüne hinauf und ließ sich schließlich in dem Sessel nieder. Auf einen Wink trat der ganz links in der hinteren Reihe stehende Posten nach vorn. Er hielt ein Blatt Pergament in der Hand, das er entrollte.

„Kund und zu wissen dem Volke von Syraka! In der vergangenen Nacht hat ein dreister Attentäter, Daimon mit Namen, versucht, den König zu ermorden. Zu diesem Behufe schlich er sich mit einem Dolch bewaffnet in das Schlafgemach des allergnädigsten Herrn und Gebieters. Jener Daimon wird durch den Rechtsspruch König Dyonis’ zum Tode durch das Kreuz verurteilt. Da besagter Daimon in Kindertagen mit dem König bekannt war, gewährt dieser ihm das Recht, eine letzte Bitte vorzubringen, ehe das Urteil vollstreckt wird.“ Der Wächter rollte das Pergament zusammen und trat ins Glied zurück.

Dyonis erhob sich, trat an die Seite Daimons und sagte: „Sprich! Hast du einen letzten Wunsch?“

Der wandte den Kopf und blickte den König an. „Eurydike ist noch nicht versorgt“, erklärte er.

Dyonis lächelte schief. „Es ist ein wenig spät, sich darum noch zu sorgen.“

„Es gibt einen jungen Mann, der ihr zugetan und versprochen ist. Da Vater tot ist, sie jetzt allein wohnt, muss ich der Hochzeitsbitter sein. Gewährt mir drei Tage für den Weg nach Trakai und zurück. Drei Tage, um meine Schwester in die Hände eines liebenden und wohlmeinenden Mannes zu geben.“

„Ich soll dich laufen lassen?“ Dyonis lachte schallend.

Unwilliges Gemurmel antwortete ihm aus dem Menge. Sofort verstummte er. Sein Kopf fuhr herum und er rief in die Menge: „Wie kann ich einen Mann nach Trakai ziehen lassen, der in der vergangenen Nacht neben meinem Bett stand, um mir einen Dolch ins Herz zu stoßen? Ich will ihm einen Wunsch gewähren, gut, doch nicht den Wunsch nach Flucht!“

„Dyonis, kennst du mich so schlecht?“, sagte Daimon leise.

„Ich dachte wohl, dich zu kennen. Aber der, den ich kannte, hätte mich nicht ermorden wollen.“

„Der, den ich kannte, versklavte nicht sein Volk!“

„Was wagst du für Reden, Kerl! Ich bin dein König, du bist ein Nichts.“ Dyonis atmete schwer, dann fing er sich wieder. Er trat einen Schritt zurück. Ein paar Atemzüge vergingen in beiderseitigem Schweigen. Die Augen der Menge schauten voller Neugier zu ihnen hinauf. Dyonis rieb sein Kinn und sagte schließlich: „Ein König steht zu seinem Wort. Dein Wunsch sei dir gewährt. Ich will dir drei Tage geben, gibst du mir einen Bürgen.“

„Frag nach einem Heiphostes.“

Der König wandte sich wieder der Menge zu. „Ist ein Heiphostes anwesend?“ Eine Hand wurde gehoben.

„Holt ihn herauf!“ Dyonis deutete auf den Mann, der sich gemeldet hatte. Mehrere Wächter eilten von der Tribüne herunter und drängten sich durch die Menge zu dem Benannten vor, der ihnen angstvoll entgegensah. Sie packten ihn und zerrten ihn hinauf zum König, der Heiphostes interessiert betrachtete. Es handelte sich um einen Mann in seinem Alter mit glatt rasiertem Kinn und lockigem, schwarzem Haar. Auffällig war seine schmale Hakennase, die an den Schnabel eines Raubvogels erinnerte.

Die Wächter stießen Heiphostes heftig zu Boden, sodass er vor dem König auf die Knie fiel.

„Erhebt Euch! Ihr seid der Mann, Heiphostes, von dem der Attentäter sprach?“

„Ja, Herr, der bin ich.“ Heiphostes hielt den Kopf gesenkt.

„Seht mich an, wenn Ihr mit mir sprecht, damit ich in Euren Augen erkennen kann, ob Ihr die Wahrheit sagt“, herrschte der König ihn an.

Heiphostes hob den Blick. „Mein Name ist Heiphostes. Daimon ist seit Jahren mein bester Freund. Ich werde für ihn bürgen, wenn er darum bittet.“

Daimon lächelte. „Guter Heiphostes. Ich werde so schnell ich kann wieder zurückkehren und dich auslösen.“

„Nun“, sagte der König. „Dann sei es so.“ Er wandte sich von dem Bürgen ab und wieder dem Volk zu. „Hört, Männer und Frauen von Syraka. Ich, König Dyonis, gewähre dem Delinquenten Daimon eine Frist von heute bis Sonnenuntergang des dritten Folgetages, um seine familiären Angelegenheiten zu regeln, ehe er wieder dem Henker gegenübertreten muss. Sein Freund Heiphostes bleibt bis zur Stunde seiner Wiederkehr in meinem Gewahrsam. Sollte der genannte Daimon bis zur angegebenen Stunde nicht hier am Richtplatz erschienen sein, so wird die Todesstrafe am Kreuze an seiner Statt an Heiphostes vollstreckt. Daimon aber sei von seiner Schuld befreit und kann gehen, wohin es ihm beliebt. Das ist mein Richtspruch.“

Jubel brandete auf. Daimon wurden die Ketten abgenommen. Er trat zu seinem Freund und umarmte ihn herzlich. „Ich kehre zurück“, sagte er.

„Ich weiß“, erwiderte Heiphostes. „Ich kenne dich.“

„Genug!“, ging der König dazwischen. „Wachen! Führt Heiphostes in den Kerker! Und du, Daimon, eilst dich besser, denn sonst wird dein Freund kalt sein, ehe du wieder hier stehst.“

„Niemals!“ Daimon wandte sich ab und stieg von der Tribüne hinunter.

Auf seinem Weg durch die Menge schlugen ihm vereinzelt Leute auf die Schultern. Jemand wollte ihm die Hände schütteln, als habe er eine Heldentat vollbracht.

„Es wurde Zeit, dass es mal einer versucht hat“, hörte er jemanden hinter sich raunen.

„Ein Tyrann bleibt ein Tyrann, Frau“, erklang eine Stimme von rechts. „Auch wenn er gerade einen guten Tag zu haben scheint.“

Der Sprecher mochte wohl recht haben, aber zumindest wurde ihm die Gnade gewährt, seine Schwester versorgt zu wissen, wenn er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Sie mochte es ihm danken, wenn die Götter sie dereinst wieder vereinten. Jetzt, so konnte er sich vorstellen, wäre sie zuvorderst wutentbrannt, weil er eine so lebensgefährliche Tat gewagt hatte.

Der Aufbruch

Daimon kämpfte sich weiter durch die Menge über den Platz. Einige wollten ihm die Hand schütteln oder raunten ihm gute Wünsche zu, andere schmähten ihn, er würde seinen Freund ja wohl als Futter für den König zurückgelassen haben. Ihm blieb keine Zeit, diesen mit Worten oder einem Faustschlag auf diese Beleidigung zu antworten.

Drei Tage waren nicht lang für den Weg nach Trakai, ein Gespräch mit dem Mann, der seine Schwester begehrte und ihr versprochen war, die Vorbereitungen einer Hochzeit und den Weg wieder zurück. Er musste die Ebene vor der Stadt durchqueren, eine Halbwüste, in der nur dürres Gras und ein paar vereinzelte Büsche wuchsen, die kaum Blätter trugen. Kurz vor Trakai erstreckte sich ein dichter Wald, von dem es hieß, dass er immer wieder von Räuberbanden heimgesucht wurde, die dort Kaufleuten auflauerten.

Er erreichte das andere Ende des Platzes und bog in die Hauptstraße ein. Dort breiteten Händler bereits ihre Waren aus, denn bei einem Spektakel wie soeben, waren nahezu alle Bürger der Stadt auf den Beinen. Sicherlich würden sie auf dem Weg zurück nach Hause den einen oder anderen Handel nicht ausschlagen.

Trotz der frühen Stunde waren sogar einige der Damen unterwegs, die ihre Gunst nicht nach der Stimme ihres Herzens, sondern nach dem Geldbeutel des Mannes verteilten. Eine sprach ihn an, aber er schüttelte nur den Kopf und eilte weiter.

Es wäre dein letztes Vergnügen im Leben, raunte eine leise Stimme in seinem Kopf, der er mit einem Hohnlachen antwortete. Einige der Händler sahen ihn daraufhin stirnrunzelnd an.

Daimon erreichte sein Haus und eilte hinein. Auf der Schwelle zur Küche erschien Philostrato und starrte ihn an wie einen Geist.

„Herr, was ist geschehen? Ich hatte gehört …“

„Ich muss nach Trakai. Drei Tage bleiben mir“, unterbrach Daimon seinen Diener.

„Der König hat Euch gehen lassen? Ein Wunder!“ Philostrato reckte die Hände gen Himmel. Er war ein Mann an der Grenze zum Greisenalter, mit weißem, schütterem Haar und nur noch wenigen Zähnen.

---ENDE DER LESEPROBE---