Pekunaria - David Pawn - E-Book

Pekunaria E-Book

David Pawn

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sophus Schlosser ist zurück. Diesmal benötigt man auf der Heilerstation seine Hilfe, um einen perfiden Zaubertrank unschädlich zu machen, der Muggel und Zauberer gleichermaßen in geldgeile Automaten verwandelt. Selbst seine große Liebe Lyra Bascomb ist betroffen, liegt in einem Bett der Heilerstation und redet von Anlageberatung und Dividenden. Sophus gerät in einen Gefängnisausbruch, stürzt in die winterlich kalte Holtemme, verfolgt Gauner auf einem Skateboard, studiert intensiv den „Playboy“, sucht verbissen einen Portschlüssel und schlägt den preisgekrönten Magier Tiberius Weissner nieder. Bei all dem hat er nur ein Ziel, seine Lyra aus den Klauen des gefährlichen Zaubertranks zu retten. Er ist Mitglied eines Teams erstklassiger Heiler um die Leiterin des Tränkelabors, von manchem zu Beginn ob seines Status belächelt und verhöhnt, sich aber immer mehr als starker Helfer beweisend. Was passiert, wenn man die Welt von Harry Potter mit einer Arztserie kreuzt? Pekunaria!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Pekunaria

 

 

David Pawn

 

Ich entschuldige mich bei allen Fans von Harry Potter, dass ich Ideen und Grundannahmen aus den Büchern von Minerva Mc…, sorry, J. K. Rowling in dieser Geschichte verwendet habe. Ich begrüße alle, die Sophus Schlosser bereits kennen und nun erfahren möchten, wie es mit ihm und Lyra nach Verbüßung seiner Strafe weitergeht. Besteigen wir den Besen und machen uns auf die Reise in den Harz.

 

 

Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website: http://www.qindie.de/

 

Copyright © 2019 David Pawn

[email protected]

Michael Siedentopf

Schweizer Str. 40

01069 Dresden

Umschlaggestaltung: Casandra KrammerUmschlagmotive: © Shutterstock / lanych - 170428316, Kostenko Maxim – 108920759

Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf

Druck: Sowa Sp. z o.o., ul. Raszynska 13, 05-500 Piaseczno, PolskaAll rights reserved.

 

ISBN-13: 978-3754603901

 

Wie Sophus Besuch erhält

Die Tür zu seiner Zelle schwang auf und ein Wachzauberer steckte den Kopf herein.

„Sie haben Besuch.“ Es klang unzufrieden, so als wäre es eine Schande, dass ein mittelmäßiger Zauberer wie er, der darüber hinaus eine Haftstrafe verbüßen musste, Menschen kannte, die bereit waren, ihn zu besuchen.

Sophus Schlosser wäre der Erste gewesen, der bereitwillig bestätigte hätte, dass er keine große Leuchte der Zauberkunst war. Seine Leistungen beschränkten sich auf das Herstellen solider Zaubertränke im heimischen Labor, das man in einer Wernigeröder Garage finden konnte, sofern man es suchte, und die Reparatur von Flugbesen in der Werkstatt seines Meisters. Dass er jetzt auf Sylt II einsaß, der deutschen magischen Gefängnisinsel, verdankte er der Liebe, jedenfalls sofern er selbst zu sagen vermochte.

Sophus stand von der Pritsche auf, die in seiner Zelle als Bett und Stuhl gleichermaßen fungierte und trat zu dem Wachmann.

„Hände nach vorn!“, kommandierte dieser.

Sophus gehorchte, ein Wink mit dem Zauberstab und eine Schleife aus einem unzerreißbaren Kunststofffaden schlang sich um seine Handgelenke und band beide Hände zusammen. Der Wachmann nickte Sophus zu, trat zur Seite und ließ ihn passieren. Er folgte dem Gefangenen auf dem Weg zum Besuchszimmer, immer zwei Schritte hinter ihm, wie es die Vorschrift festlegte.

Jedes Mal wenn Sophus das Besuchszimmer betrat, was er in den letzten drei Monaten nahezu jeden zweiten Tag getan hatte, verblüffte ihn die Farbe der Wände, die in hellem Grün gestrichen waren. Genau so sahen die Wände der Heilerstation aus, jenem Gebäude, in dem seine große Liebe arbeitete und Muggel kurierte, denen Zauberer Verletzungen oder andere Leiden zugefügt hatten.

Grelles Licht flutete von der Seeseite durch die breiten Fenster hinein. Der Raum wurde in der Mitte durch eine Glasscheibe getrennt, in die in gleichmäßigem Abstand Sprechlöcher geschnitten waren. Vor diesen standen auf beiden Seiten Stühle. Dünne Fäden aus dem gleichen Material, das sich momentan um seine Unterarme wand, durchzogen das Glas. Dieser Stoff bildete auch eine dünne Schicht unter dem Verputz seiner Zelle, jeder Zelle auf Sylt II. Er hieß Muggolan und stellte das wirksamste Mittel gegen magische Ausbruchsversuche dar, das man nach der Abschaffung der Dementoren als Gefängnisaufseher hatte finden können. In einem mit diesem Stoff ausgekleideten Raum verließen jeden Zauberer seine magischen Fähigkeiten, er wurde zu einem nichtmagisch Begabten, wie Sophus‘ große Liebe Menschen nannte, die der Zauberei nicht mächtig waren, zu einem Muggel, wie der größte Teil der Zaubererschaft diese Leute bezeichnete. Nur besonders behandelte Zauberstäbe ermöglichten in diesem Umfeld den Wachen und anderen Gefängnismitarbeitern Magie. Einen Zauberstab dieser Art schwenkte der Wachmann, der Sophus begleitete, jetzt. Auf der anderen Seite des Besuchszimmers, jenseits der Scheibe, sprang eine Tür auf, die bis eben gar nicht zu sehen gewesen war.

Sophus stockte immer noch jedes Mal der Atem, wenn er Lyra Bascomb erblickte. Ihretwegen verbrachte er drei Monate auf der von der Nordsee umtosten Gefängnisinsel, aber wären es drei Jahre gewesen, hätte er auch die mit Freuden hier abgesessen. Doch statt der Frau mit dem milchkaffeefarbenen Teint und den buschigen, dunklen Haaren, stand eine hochaufgeschossene Blondine mit schmalem Gesicht jenseits der Scheibe. Hätten ihre Eltern bei ihrer Geburt bereits gewusst, wie lang sie ihr Haar dereinst tragen würde, hätten sie sie sicherlich Rapunzel getauft. Sie war jünger als Lyra, wahrscheinlich kaum dreißig. Sie lächelte Sophus hilflos entgegen und erweckte den Eindruck, nicht so recht zu wissen, wo sie sich befand und was sie hier sollte.

Zögerlich kam sie zur Mitte des Raumes und ließ sich Sophus gegenüber nieder. Ihr Blick wanderte nach links und rechts, verweilte kurz an den vergitterten Fenstern und kehrte zu ihm zurück.

Sophus nahm Platz, blickte die fremde Frau neugierig an und fragte: „Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“

„Mein Name ist Simon, Stephanie Simon. Ich leite die Tränkeabteilung der Heilerstation Drei Annen. Lyra schickt mich. Nein, das stimmt nicht ganz. Eigentlich schickt mich Cleo. Sie hat gesagt, ich soll es einfach probieren. Aber ursprünglich war es Lyras Idee.“ Die Sätze kamen immer schneller, als könne sie es nicht erwarten, einen gelernten Text endlich abzuspulen. Nervös rückte sie ihre randlose Brille zurecht.

„Was wollen Sie von mir?“, wiederholte Sophus. „Wo ist Lyra?“

„Lyra, Heilerin Bascomb, ist krank“, erwiderte Stephanie. „Sie liegt bei uns auf Station.“

Sophus erbleichte. „Was … warum?“, sprudelte er hervor.

„Eine Art Vergiftung.“ Die junge Heilerin sprach jetzt sehr sachlich. „In den letzten Wochen ist es immer häufiger zu Zwischenfällen gekommen, die auf einen neuen Zaubertrank zurückzugehen scheinen. Hauptsächlich sind Muggel betroffen, die Station ist regelrecht überfüllt, aber es hat auch immer wieder Zauberer und Hexen erwischt. Man könnte meinen, es sei eine Epidemie ausgebrochen.“

„Aber ausgerechnet Lyra … Sie ist eine ausgebildete Heilerin. Mit Tränken kennt sie sich hervorragend aus.“

Stephanie nickte gedankenverloren vor sich hin. „Ja, wir sind auch ratlos. Die Heilerstation braucht jetzt jeden Zauberstab. Die Muggelabteilung platzt aus allen Nähten und dann fällt die Chefin aus.“

„Was für ein Trank ist das?“

„Etwas aus Ihrem Spezialgebiet, wenn ich Cleo glauben darf.“

„Ein Liebestrank?“

„So könnte man ihn nennen, ja. Aber es ist ein ganz besonderer Liebestrank, eigentlich könnte man ihn eher einen Unliebestrank nennen. Die ersten Fälle wurden nicht bei Muggeln, sondern bei Zauberern festgestellt. Die sind auf unserer Station eingeliefert worden, als ihre Verwandten, Bekannten, Freunde oder Geliebten stutzig wurden. Die Vergifteten interessieren sich nicht mehr für Menschen, alles was sie lieben ist Geld. Ihr ganzes Denken und Handeln dreht sich nur allein darum, ihr Vermögen zu vermehren. Geld, Geld, Geld!

Die Zauberer sitzen mit dem Zauberstab in der Hand auf Station und versuchen Verstecke von Kobolden oder Drachenhorte zu orten. Einige haben sich nur noch mit der Verwandlung von unedlen Metallen in Gold beschäftigt. Es gab einen Fall, da hat ein Magier tatsächlich den König-Midas-Fluch auf sich selbst angewandt. Den müssen wir künstlich ernähren.“

„Meine Güte“, entfuhr es Sophus. „Und Lyra?“

„Bei ihr ist es nicht ganz so schlimm. Sie hat vermutlich nur eine geringe Dosis abbekommen. Aber von einem Tag zum anderen interessierten sie die Patienten nicht mehr. Sie sprach ausschließlich von den Kosten, die sie verursachen, wollte von allen aus der Abteilung wissen, wie man Einsparungen erzielen könnte. Sie wollte sie auch nicht mehr besuchen. Die Reisekosten waren ihr zu hoch.“

„Nein, das glaube ich nicht.“ Sophus schüttelte frustriert den Kopf.

„Sie wollte durchsetzen, dass auch Muggel Beiträge in die Heilerkasse einzahlen, bevor sie in unserer Station behandelt werden. Sie hat tatsächlich ‚Muggel‘ gesagt. Da war nichts mehr von ‚nichtmagisch Begabten‘ zu hören. Sie rannte dem Leiter des Hauses das Büro ein mit Vorschlägen zur Kostensenkung und Bitten um Gehaltserhöhung. Jede Stunde stand sie wieder vor seiner Tür. Saphira wäre zu alt und müsse in den Ruhestand geschickt werden, Muggel sollten die Behandlung bezahlen. Oder die Zauberer, die sie notwendig gemacht haben. Jede Untersuchung solle nur eine vorher festzulegende Zeit dauern.“

Sophus wurde mit jedem Wort unbehaglicher. Das war nicht mehr die Frau, die er kannte, sondern eine Rechenmaschine auf zwei Beinen. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er die junge Heilerin auf der anderen Seite der Scheibe an.

„Und Lyra ist bei Weitem nicht der schlimmste Fall. Einige Muggel, die betroffen sind, scheinen vor ihren Computern festgewachsen zu sein. Ihre Telefone kleben an den Ohren fest, immer mit der Bank oder dem Börsenmakler in Verbindung. Sie reden fortwährend von Kursentwicklung, Cashflow-Analysen, Ratingzahlen, Dax und Dow Jones. Wenn man versucht mit ihnen über etwas anderes zu sprechen, kehren sie über Umwege zu ihrem Lieblingsthema zurück: Geld.“

„Das hört sich furchtbar an.“

„Ist es auch. Manche vergessen nur“, Stephanie lachte zynisch auf, „ihre Familie und Freunde, aber einige essen und schlafen auch nicht mehr.“

„Hat Ihre Abteilung schon ein Gegenmittel gefunden?“

„Nein.“ Stephanie schüttelte resignierend den Kopf. „Es ist ein genialer Trank. Er enthält sogar eine Magensteinsperre.“

„Das ist doch nicht möglich“, entfuhr es Sophus.

Wie jeder Tränkebrauer weiß, sind die Magensteine von Tieren, vorzugsweise von Ziegen, sogenannte Bezoare, wirksame Gegenmittel für die meisten Zaubertränke. Sie binden die Gifte und tragen sie aus dem Organismus aus. Das hat böse Zauberer dazu getrieben, nach Mitteln zu suchen, um auch diese Rettung vor ihrer Magie zu umgehen, aber Zusatzstoffe, die Bezoare bannen, sind oft mit der eigentlichen Wirkung nicht vereinbar oder schmecken so ekelhaft, dass man diese Tränke niemandem mehr unbemerkt unterschieben kann.

„Das scheint tatsächlich der perfekte Trank zu sein“, sagte Sophus.

„Ja, man kann nur den Hut ziehen vor diesem Erfindungsreichtum. Allerdings wäre es besser gewesen, dieser Zauberer hätte seine Klugheit für ein weniger bösartiges Gebräu eingesetzt. Ich habe bereits mit Tiberius Weissner telefoniert.“

„Telefoniert?“, vergewisserte sich Sophus. „Sie meinen mit einem Telefon, wie es auch nichtmagisch Begabte verwenden?“

„Ja, genau wie ein Muggel. Anders ist Professor Weissner im Moment nicht zu erreichen. Sie wissen über die Affäre Bescheid?“

„Teilweise“, erwiderte Sophus. „Die letzten Entwicklungen sind mir verständlicherweise entgangen.“ Er breitete die Arme aus und deutete im Raum umher, um seine eingeschränkte Freiheit zu verdeutlichen.

Stephanie setzte ihn kurz ins Bild: „In Hogwarts hat man ihn sofort entlassen, als seine Verfehlungen bekannt wurden. Aber niemand wagte, ihn nach Askaban zu schicken. Er wusste zu viel. Man fürchtete vermutlich, er könnte dort eine Revolte anzetteln. Also bekam er Hausarrest. Er musste seinen Zauberstab und alle seine Kessel abgeben, dann wurde er mit einem Ortungszauber belegt. Er darf das Grundstück seines Hauses in Devon nicht verlassen. Cleo meinte, er könne wirklich von Glück sagen, dass er so glimpflich davongekommen ist. Selbst ohne Dementoren ist Askaban kein Erholungsort.“

Tiberius Weissner, Absolvent der Fachschule für Zauberkunst an den Hohneklippen, Gewinner der Severus-Snape-Preises für außergewöhnliche Zaubertränke und außerordentlicher Professor an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, war beim britischen Zaubereiministerium in Ungnade gefallen, nachdem er während seiner Forschungsarbeiten zu Tränken zur Abwehr von Gefangenenrevolten in Zauberergefängnissen Versuche an Muggeln durchgeführt hatte. Dabei hatte er mit Liebestränken experimentiert, und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu seinem Vorteil zumindest einmal ausgenutzt.

„Lyra hatte mir eigentlich verboten, mit ihm zu reden. Als ich davon sprach, ihn zu kontaktieren, weil ich mir keinen anderen Rat wusste, ist sie förmlich explodiert. Da ist sie selbst allerdings noch nicht betroffen gewesen. Aber jetzt, wo sie bei uns auf Station liegt, schien mir das der letzte Ausweg. Er ist und bleibt der genialste lebende Zaubertrankexperte. Wenn man mal von demjenigen absieht, der diesen neuen Trank gebraut hat.“

„Was hat Weissner gesagt?“ Sophus war neugierig.

„Er hat regelrecht bedauert, dass es nicht sein Trank ist“, sagte Stephanie in unfreundlichem Ton. „Seine Weltsicht ist schon sehr speziell. Er hat von Magnesium und Rabenkot geschwätzt, und dass man einen Trank mit Magensteinsperre unmöglich geschmacklos hinbekommt. Er meinte, selbst nichtmagisch Begabte müssten das bemerken.“

„So hat er das bestimmt nicht gesagt“, entgegnete Sophus.

„Nein. ‚Jeder Scheiß-Muggel kriegt das mit‘, waren seine Worte.“

„Das klingt nach Tiberius.“

„Herr Schlosser, wir benötigen Ihre Hilfe“, sagte Stephanie.

„Meine Hilfe?“ Er blickte sie verblüfft an. „Ich bin Besenbinder, hat Ihnen das niemand erzählt? Wenn Weissner offenbar hilflos ist, wie sollte ich da helfen können?“

„Lyra hat, als sie noch klar im Kopf war, berichtet, Sie hätten eine der besten Literaturrecherchen abgeliefert, die sie je erlebt habe. Eigentlich wollte sie mit Ihnen sprechen, aber dann hat es sie selbst erwischt. Sie könnten unserer Abteilung zuarbeiten.“ Sie lächelte. „Cleo hat gestern mit Ihrem Meister gesprochen. Sie hat mir erzählt, erst meinte er, er hätte drei Monate ohne Sie aushalten müssen und wolle Sie unbedingt zurückhaben. Er soll die ganze Zeit über auf seinen neuen Lehrling geschimpft haben, der angeblich nur eine Hand hätte, und das wäre die linke. Aber dann konnte Cleo ihn überzeugen, dass er Sie uns halbtags überlässt.“

„Was hat sie ihm angeboten?“, fragte Sophus skeptisch.

„Nun, er ist ein Zauberer im fortgeschrittenen Alter. Ihn plagen hier und da die Zipperlein. Auch seine Frau ist nicht mehr so taufrisch wie zur Zeit der Hochzeit. Kostenlose Betreuung in einer Heilerstation ist da ein gutes Angebot …“

„Das wäre Bestechung und passt zu Cleo.“

„Das ist Hilfe auf Gegenseitigkeit. Also was sagen Sie? Es ist für Lyra.“

„Mir wäre wohler, wenn ich sicher wäre, wirklich etwas tun zu können.“ Sophus stieß heftig Luft aus. „Arme Lyra. Und ich sitze noch eine ganze Woche untätig hier rum.“

„So untätig muss das nicht sein. Ich habe Ihnen Bücher und Zeitschriften mitgebracht, damit Sie sich schon mal einlesen können. Außerdem eine vorläufige Trankanalyse – das Problem ist, wenn wir die Zutaten, die wir identifizieren konnten, einfach zusammenrühren, kommt eine stinkende Brühe heraus, der sich kein Mensch auf nur einen Meter nähern würde. Abgesehen davon kann man den Kessel hinterher einschmelzen.“

„Spruchbeteiligung?“, hakte Sophus nach.

„Genau so sieht es aus. Einer meiner Laboranten hat sogar vermutet, es würden Druidengesänge eingesetzt. Ist das denkbar? Wir haben das in der Ausbildung kurz angerissen, aber unser damaliger Professor vertrat die Ansicht, diese Art der Zauberei sei im Strudel der Zeit verloren gegangen – er hat sich immer so blumig ausgedrückt.“

„Die Besuchszeit ist zu Ende“, meldete sich der Wachmann von der Tür her.

„Ich muss gehen. Ich lasse Ihnen alle Unterlagen da. Die werden direkt in Ihre Zelle gebracht. Ich hole Sie ab, wenn Sie entlassen werden. Einverstanden?“

„Und ich hatte mich so auf ein paar Tage in Freiheit gemeinsam mit Lyra gefreut, bevor der Alltag mich wieder vereinnahmt“, sagte Sophus und erhob sich von seinem Stuhl.

„Wir besuchen Lyra. Ich glaube, wenn Sie mit ihr sprechen, wird das Ihren Ehrgeiz anheizen.“

Der Wärter trat an Sophus heran, nahm ihn am Arm und zog ihn von seinem Platz. Stephanie entfernte sich bereits jenseits der Scheibe durch die Tür. Er wurde zurück in seine Zelle geführt, wo ihn ein Stapel Zeitschriften, Bücher und andere Papiere erwarteten.

„Willst du deine Doktorarbeit schreiben?“, fragte der Wärter und lachte, dann schlug hinter ihm die Zellentür zu und er blieb mit den Unterlagen allein zurück.

Als Erstes widmete er sich der Analyse der Trankzutaten, die sich wie eine Auflistung von besonders ekelhaften Bestandteilen aus einem Lehrbuch las. Wie konnte man dieses Zeug zusammenrühren und dabei etwas erhalten, was ein Mensch bei vollem Bewusstsein zu sich nahm, ohne sich zu erbrechen? Das erschien geradezu lächerlich.

Er wusste aus den Stunden in Zaubertrankkunde, mehr noch aber durch sein Studium von Zeitschriften wie „Tränke“ und „Der lila Kessel“, dass man den Geschmack oder Geruch einzelner unliebsamer Zutaten durch entsprechende Beschwörungen verbergen konnte.

Bei der Herstellung eines wirksamen Zaubertrankes kam es nicht nur darauf an, einfach alle Bestandteile zusammenzuschütten und kräftig zu rühren, sondern Reihenfolge, Rotationsrichtung und – geschwindigkeit, Temperatur des Suds, aber auch die entsprechenden zusätzlichen Sprüche korrekt einzuhalten. Wer da etwas falsch machte, erhielt bestenfalls einen schlechten Trank, schlimmstenfalls ein zerstörtes Labor. Als er ein Anfänger gewesen war, gleich nach der Schule, hatte er einmal eine Mischung zusammengebraut, die zäh wie Honig aus dem Kessel schäumte, stank wie nasser Hund und wie Fliegenpapier klebte. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was das hatte werden sollen, nur noch, dass er zwei Wochen schrubben musste, um alle Spuren des Desasters zu beseitigen.

Aber das wäre ein geringer Schaden im Vergleich zu jenem, der entstehen musste, wenn jemand diese Mischung zusammenrührte und ihm dabei ein Missgeschick passierte. Das konnte man doch unmöglich mixen, so dass etwas Genießbares herauskam. Sophus schüttelte frustriert den Kopf.

Er legte sich auf seiner Pritsche nieder, nahm eines der Bücher zur Hand und begann zu lesen. Als der Wärter mit dem Abendessen kam, unterbrach er die Lektüre nicht. In der Linken das aufgeschlagene Buch, in der Rechten den Löffel saß er über eine Schüssel Erbsensuppe gebeugt.

‚Es geht um Lyra‘, sagte er sich mit jedem Happen.

 

Wie Sophus eine Erkenntnis gewinnt

Als das Licht gelöscht wurde, war er keinen Schritt weiter gekommen. Plumpe Tränke, feinsinnige Tränke, chronomatische Tränke – selbst im Traum defilierten die unterschiedlichen Mixturen durch seinen Verstand. Algen und Sellerie, Flubberwürmer und Alraune, Schwefel und Kobalt tanzten über einem glühenden Kessel. Die Menschwurzel winkte ihm, drehte ihm eine lange Nase und sprang in die blubbernde Flüssigkeit, sie schwamm in einem goldfarbenen Sud mit langen Kraulzügen ihrer Wurzelarme.

„Frühsport!“, rief sie aus. „Frühsport!“

Sophus fuhr auf.

„Frühsport!“, schrie die Wache auf dem Gang vor den Zellen. „Alle Gefangenen raustreten!“

Eilig kleidete Sophus sich an, gerade als er in seine Schuhe schlüpfte, wurde die Zellentür aufgerissen.

„Na, Lahmarsch“, brüllte der Wächter. „Raus, raus – wir wollen doch fit sein, wenn wir wieder in Freiheit entlassen werden. Soll keiner sagen, ihr vergeht hier ohne Sonne und Bewegung. In fünf Minuten auf dem Hof. Marsch, marsch!“

Sophus parierte. Eine Woche vor der Entlassung wollte er sich keineswegs Ärger einhandeln, wenngleich dieser spezielle Wachposten selbst bei einem eher ruhigen Typen wie ihm das Blut in Wallung bringen konnte. Sophus hatte sich in den ersten Wochen seines Aufenthaltes gefragt, ob Dementoren wirklich die schlimmere Alternative waren. Erfreulich erschien ihm daher die Tatsache, dass sich die Wächter in den verschiedenen Zellentrakten abwechselten. Dieser spezielle wirkte auf den unvoreingenommenen Besucher wie der nette Onkel, der gern ein Glas Rotwein trank und auch gutem Essen nicht abhold war. Er hatte fast keine Haare mehr, eine breite, fleischige Nase, die vermutlich mehrfach in Gefängnisschlägereien geraten war und kleine, braune Schweinsäuglein. Er hieß Siegfried Maier, aber im Zellentrakt nannte man ihn hinter vorgehaltener Hand nur Schweinebacke.

Nach Frühsport, Morgentoilette und Frühstück begann sein Arbeitstag. Da er als Besenbinder als geschickter Handwerker galt, war er während seiner Strafzeit in der Strandkorbfertigung eingeteilt. Acht Stunden am Tag flocht er aus Kunststoffstreifen die hübschen Häuschen, die auf der Insel, die dem Gefängnis ihren Namen lieh, die Urlauber vor Wind und Sonne schützte. Das bedeutete allerdings auch, dass er keine Zeit hatte, sich weiter mit dem seltsamen Zaubertrank zu beschäftigen, der Lyra in seiner Gewalt hatte.

Er gehörte zu den Wenigen, die immer an der gleichen Arbeitsstation des Gefängnisses eingesetzt wurden, während viele seiner Mithäftlinge zwischen Küche, Wäscherei, Strandkorbfertigung, Näherei und Pochwerk rotierten. Heute begleiteten ihn die Brüder Marschall. Karl und Konrad waren beide eher für die schwere körperliche Arbeit im Pochwerk gerüstet, jeweils nahezu zwei Meter groß, breitschultrig, mit Oberarmen, die Sophus kaum mit beiden Händen umfassen konnte. Man erzählte sich, beide stemmten in ihrer Freizeit die eisernen Bettgestelle. Wenn jeweils der andere Bruder darin lag.

Konrad hatte den Lebensunterhalt der beiden bestritten, indem er mit Hilfe des Imperius-Fluches Bankangestellte in seine Gewalt und so große Geldsummen in seinen Besitz brachte. Als ihm die Auroren auf die Spur kamen, floh er gemeinsam mit seinem Bruder. Auf dieser Flucht stürmten die beiden eine Rockerkneipe, bemächtigten sich dort mit Hilfe roher Gewalt und des Cruciatus-Fluches mehrerer Schusswaffen und setzten diese und weitere Flüche gegen die Verfolger ein. Alles zusammen hatte es ihnen jeweils fünfundzwanzig Jahre Sylt II eingebracht.

Neben diesen beiden begleitete eine schmale, blasse Hexe Sophus und die Brüder, die sowohl Karl als auch Konrad sich bequem unter einen Arm klemmen und durch den ganzen Trakt tragen konnte. Sophus wusste nur, dass sie Ambrosia hieß und eine Elster war.

Sie stahl nicht nur glänzende Gegenstände wie dieser Vogel, sie war ein Animagus und konnte sich in das Tier verwandeln. Ob ihre Veranlagung zum Diebstahl durch diese Fähigkeit begründet war, oder umgekehrt, sie sich genau darum in eine Elster verwandelte, weil sie es mit Besitzverhältnissen nicht so genau nahm, wusste Sophus nicht zu sagen.

Auf Sylt band sie natürlich das Muggolan, so dass sie sich nicht einfach verwandeln und auf und davon fliegen konnte. Zusätzlich war mit einem speziellen Zauber eine Bleiplatte an ihrem linken Unterarm befestigt worden, die sie auch im Vogelstadium auf dem Boden gehalten hätte.

Der Arbeitstag verlief genauso eintönig wie jene in den fast drei Monaten zuvor. Der Tumult begann am Ende der Schicht.

Gerade als zwei Wächter den Raum betraten, begann ein heftiger Streit zwischen den Brüdern Marschall. Sophus wunderte sich, denn bis vor wenigen Augenblicken arbeiteten beide einträchtig an einem Strandkorb. Plötzlich aber hielt Karl eines der Bretter in der Hand, die für die seitliche Beplankung genutzt wurden, und drosch es seinem Bruder an den Kopf. Konrad taumelte rückwärts.

„Hey, was ist denn hier los?“ Der Wächter, der zuerst den Raum betreten hatte, zückte seinen Zauberstab und richtete ihn auf Karl, der gerade zum nächsten Schlag ansetzte. „Aufhören, sofort aufhören!“

Er war ein baumlanger, drahtiger Typ mit streng gescheiteltem, schwarzem Haar. Nicht mehr taufrisch, aber auch noch Jahre vom Ruhestand entfernt. Sophus hatte gehört, dass die anderen Wächter ihn Rob riefen.

„Das bringt dir Sonderbehandlung ein, Karl“, frohlockte Schweinebacke.

Karl schien zu gehorchen und warf das Brett von sich, doch statt vor sich auf den Boden, schleuderte er es Rob entgegen. Der trat einen Schritt zurück, um dem Objekt auszuweichen, das auf ihn zugeflogen kam. In diesem Moment fuhr Konrad urplötzlich auf dem Absatz herum.

Bevor einer der Wachposten reagieren konnte, packte er Schweinebacke, der gerade ebenfalls nach dem Zauberstab greifen wollte, am rechten Arm.

Rob wandte sich zu seinem in Bedrängnis geratenen Kollegen um, hob den Zauberstab und setzte an: „Stu…“

Der Zauberspruch wurde unterbrochen, als ihm eine Bleiplatte gegen die Schläfe geschlagen wurde. Karl hatte sich einfach Ambrosia gegriffen und benutzte deren linken Arm wie eine Keule.

Rob taumelte und senkte benommen den Zauberstab. Karl stand bereits bei ihm, drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken und entwand ihm die magische Waffe. Konrad hatte sich seinerseits des anderen Zauberstabs bemächtigt. Er schubste Siegfried Maier von sich, der rückwärts an die Wand stolperte.

„Crucio“, intonierte Konrad. Grünes Feuer traf den Wächter, der sich augenblicklich krümmte und Schmerzensschreie ausstieß, die zu seinem unfreundlichen Spitznamen passten.

Ambrosia wurde von Karl unsanft zur Seite gestoßen. In diesem Moment betrat der Werkstattmeister, der sich zur allabendlichen Abrechnung zurückgezogen hatte, den Raum.

„Was geht hier vor?“, fragte er verwirrt.

„Das wirst du gleich sehen. Crucio!“ Der grauhaarige Mann krümmte sich sofort neben Ambrosia an der Wand.

Sophus stand sprachlos herum und begriff nicht, wie alles so schnell hatte aus dem Ruder laufen können. Beide Wächter waren ihrer Zauberstäbe verlustig gegangen. Einer krümmte sich noch immer in Schmerzen eines unverzeihlichen Fluches, der andere blickte benommen auf einen Zauberstab, der direkt auf seine Nasenspitze gerichtet war.

„Alle an die Wand, alle dort rüber.“ Karl winkte mit seinem erbeuteten Zauberstab in die Richtung, wo der alte Werkstattmeister neben Ambrosia kauerte.

Rob wollte aufbegehren und machte einen Schritt auf Karl zu. Der holte mit der freien Linken aus und versetzte dem Wächter eine Ohrfeige, dass dessen Kopf zur Seite flog.

„Muss ich erst grob werden?“ Der Zauberstab wechselte in die andere Hand und eine rechte Gerade traf den Wächter direkt an der Kinnspitze. Die Beine knickten unter ihm weg, er sank in sich zusammen wie ein leeres Betttuch.

Wächter Schweinebacke war wieder auf die Beine gekommen. Furchtsam blickte er die Brüder Marschall an.

„Schnapp dir deinen Kumpel und rüber an die Wand!“, kommandierte Karl. „Solange alle parieren, passiert keinem was. Aber wir können auch anders.“

Eine Maus lief über den Boden der Werkstatt.

„Avada Kedavra!“ Der tödliche Fluch traf und die Maus war Geschichte. „Wie ihr seht, beherrschen wir unser Handwerk. So, jetzt sagt mir einer hier, wie ich mit dem Direktor unseres Seebades Kontakt aufnehmen kann. Bisschen plötzlich.“

„Forza audio und dann der Name des Direktors“, quiekte Schweinebacke.

„Und wie heißt der?“

„Gerald Wildblum.“

Karl führte den Zauber aus, während Konrad weiter die Geiseln im Blick und in Schach hielt.

„Hallo Gerald, wie läuft's denn so?“ Karls Stimme triefte von Hohn. „Wir haben hier ein Problem. Mein Bruder Konrad und ich wollen nicht länger deine Gastfreundschaft beanspruchen. Wir haben hier ein paar Fürsprecher versammelt, die ganz auf unserer Seite sind. Sagt Hallo!“ Er hielt den Geiseln an der Wand den Zauberstab wie ein Mikrofon entgegen.

„Hallo!“ Natürlich war Schweinebacke der Erste, der der Aufforderung nachkam. Ambrosia und der Werkstattmeister riefen gemeinsam, dann meldete sich auch Sophus. Rob war noch immer nicht wieder völlig bei sich.

„Wenn wir hier wegkommen, passiert den netten Leuten nichts. Andernfalls …“ Karl ließ das Wort einfach in der Luft hängen.

„Ich verhandele nicht mit Gefangenen“, tönte es aus dem Zauberstab.

„Das wäre jammerschade. Einige der hier Anwesenden hätten ein langes Leben vor sich. Aber das lässt sich ändern.“

„Das Bundesamt ist nicht erpressbar.“

„Wer spricht von Erpressung? Man nennt das Gefangenenaustausch. Du tauschst zwei deiner Gefangenen gegen fünf der unsrigen. Das hört sich nach einem guten Geschäft für dich an, Gerald.“

„Für Sie bin ich noch immer Direktor Wildblum.“ Man hörte der Stimme an, dass ihr Sprecher vor Wut schäumte.

„Ach, Direktorchen, wer wird sich denn so unnötig aufregen? Seien wir doch vernünftig. Du lässt uns hier raus und niemandem passiert was.“

„Wenn Sie jetzt sofort aufgeben und die Geiseln gehen lassen, kann ich noch etwas für Sie tun. Andernfalls kommen Sie zu Lebzeiten nie mehr in Freiheit. Da können Sie Gift drauf nehmen.“

„Gift, nein. Nein, ich glaube eher, dass mein Bruder und ich schon morgen in der Karibik Cocktails trinken.“

Ein künstliches Gelächter schepperte durch den Raum, dann brach die Verbindung ab.

„Sieht so aus, als wäre euer Chef nicht wirklich sehr an eurer Gesundheit interessiert“, wandte sich Karl an die Wächter. „Wer von euch möchte als Erster hier raus?“

Keiner wagte, etwas zu erwidern. In Verbindung mit dem vorhergehenden Satz klang die Frage zu sehr nach einer Drohung.

„Schweinebacke? Du?“ Der Angesprochene schüttelte verzweifelt den Kopf.

Plötzlich waren schwere Schritte auf dem Gang zu hören. Der Direktor des Gefängnisses hatte offensichtlich seine Wachmannschaft zusammengetrommelt.

„Solidus.“ Karl verwandelte die Tür in eine solide Mauer, um den Raum anschließend zu verbergen. „Fidelius.“

„Was für ein Komiker“, kommentierte er anschließend. „Muss glauben, wir wäre gerade erst aus dem Netz gefallen.“ Die Gefangenen wurden meist mit Hilfe des Flohnetzwerkes nach Sylt II überstellt, weshalb man dies über Neulinge sagte.

Rob hatte sich inzwischen an der Wand in eine sitzende Position gehievt und blinzelte die Szene staunend an.

„Ah, dein Kollege ist auch wieder bei uns. – Ich brauch eine Bildverbindung zu eurem Direktor.“

„Nebenan ist ein Kamin“, sagte der Werkstattmeister vorsichtig.

„Das nenn ich gute Zusammenarbeit. Und wie man sieht, der Mann ist alt geworden.“ Karl packte den immer noch benommen dreinschauenden Rob am Arm, zerrte ihn auf die Beine und kommandierte: „Mitkommen! – Konrad, halt die Bande bei der Stange.“

Konrad nickte. Plötzlich bekam er große Augen, sah seinen Bruder an und sagte: „Die haben hier einen Kamin, toll. Warum wollen wir da mit Besen fliegen? Wir könnten doch …“

„Hab ich es dir nicht schon drei Mal erklärt“, raunzte Karl ihn an. „Erstens sind die meisten Feuerstellen hier auf Sylt nur Materialkamine, Menschen kommen da nicht durch. Sonst wären gewiss schon öfters Gäste dieser netten Insel vorzeitig abgereist. Es gibt nur einen großen Transportkamin direkt unter dem Dach, und der ist genau wie wir jetzt mit dem Fidelius-Zauber geschützt. Zweitens ist man im Flohnetzwerk viel zu einfach zu verfolgen. Ich werde mir das Ding nebenan mal ansehen. Nicht, dass wir doch plötzlich Besuch aus dieser Richtung bekommen.“

Er zerrte den Wächter in den Meisterbereich, dann hörte man das Klappern von Kaminbesteck und schließlich: „Crucio! Was sollte das denn werden? Selbstmord? Aber so ist es mir auch recht.“

Wieder folgte Klappern am Kamin, Beschwörungsformeln und schließlich sagte Karl: „Hallo, Direktorchen, da bin ich wieder. Ich habe einen deiner Musterknaben dabei. Den werde ich jetzt für dich tanzen lassen. Imperio!“

Was nun geschah, bekamen die Fünf in der Korbmacherei nicht mit. Hin und wieder hörte man Rob stöhnen, einmal sagte der Direktor laut: „Sie Untier", woraufhin Karl hämisch lachte.

Schließlich ließ er sich wieder deutlich vernehmen: „Schluss der Vorstellung. Ich hätte auch den tödlichen Fluch vorführen können. Ich werde es beim nächsten Mal tun, wenn du deine Clowns nicht abziehst und unsere Forderungen erfüllst.“

„Ich muss mit dem Bundesamt reden.“

„Tu das. In zehn Minuten melde ich mich wieder.“

„Das ist nicht …“

„In zehn Minuten. Wenn du keine vernünftige Antwort hast, übe ich Avada Kedavra mit dem Lumpensack hier.“

Als Karl in die Werkstatt zurückkehrte, zerrte er den völlig erschöpften Rob, der keine Hosen mehr trug und wimmerte wie ein kleines Kind, das man im Wald allein ausgesetzt hatte, am Kragen von dessen Uniform hinter sich her. Sophus wollte keine Vermutungen anstellen, was Karl da vorexerziert hatte.

„Ihr könnt euch alle setzen. Rücken an die Wand. Am besten setzt ihr euch auf eure Hände, dann macht ihr keine Dummheiten und kommt vielleicht lebend hier raus.“

Sie gehorchten.

Karl und Konrad bauten sich nebeneinander vor ihren Geiseln auf, die Zauberstäbe im Anschlag.

„Was, wenn der Alte nicht drauf eingeht?“, fragte Konrad seinen Bruder.

„Ich hab ihm was versprochen. Das muss ich halten.“

„Wer?“

„Die Wächter sparen wir erstmal auf. Die sind ihm wertvoller als Gefangene. Ich und du, Müllers Kuh …“, begann Karl einen alten Abzählreim und deutete bei jeder Silbe auf eine der Geiseln. Wie gebannt verfolgten alle die Wanderung des Zauberstabes. Sogar Konrad schien fasziniert.

„… raus bist du!“

„Nein!“, kreischte Ambrosia.

„Halt die Klappe. Vielleicht ist Direktorchen ja ein netter Onkel und lässt uns alle problemlos gehen.“

Ambrosia schloss den Mund und begann still zu weinen.

„Glaubt ihr wirklich, ihr kommt hier raus?“, fragte Sophus. „Da draußen steht jetzt eine Hundertschaft Auroren bereit, die aus allen Rohren feuern wird, kaum dass ihr in der Luft seid.“

„Das ist ja wohl nicht dein Problem, oder?“

Sophus schloss den Mund, ehe er sich einen Fluch einfangen konnte.

„Ich denke, zwei von euch werden uns auf dem Besen begleiten, bis wir in Sicherheit sind. Ist doch toll, kleiner Ausflug zum Festland. Freut euch.“

„Dann solltet ihr nicht gerade die Leichteste …“ Sophus biss sich auf die Zunge.

„Er hat Recht, Karl“, brummte Konrad.

„Ah, Klugscheißer“, wandte der Angesprochene sich an Sophus, „dann wirst du die Elster vertreten. Bist ein Kavalier, nobel, sehr nobel.“ Er blickte auf die Uhr an der Wand. „Die zehn Minuten sind um, mal hören, was das Direktorchen erreicht hat. Pass gut auf unsere Freunde auf.“ Mit raumgreifenden Schritten entfernte er sich in das hintere Zimmer.

Nach ein paar Zauberformeln hörten sie Karl fragen, was es Neues gäbe.

„Ihre Forderungen werden erfüllt.“

„Gute Wahl. Wir verlangen zwei Flugbesen und zwei magische Schecks, einen über 20000 Gold-Galeonen und einen über zwei Millionen Dollar Muggelgeld.“

„Das ist zu viel.“

„Zu viel für fünf Leben?“ Jetzt schrie Karl den Direktor an.

„Das überschreitet meine Befugnisse. Ich brauche nochmal fünf Minuten, um mit dem Bundesamt zu sprechen.“

„Keine Minute länger.“

Karl kam aus dem Büro zurück. Er trat zur Wand, packte Sophus am Arm und zerrte ihn auf die Beine.

„Komm mit.“

„Ich …“

„Maul halten, Klugscheißer! Das hast du jetzt von deiner großen Klappe.“

Sophus ließ sich in den Nebenraum führen. Dieser war klein. Er bot gerade genug Platz für einen Schreibtisch mit Stuhl. Den Stuhl hatte jemand, vermutlich Karl, an die Seite geschoben, um Platz vor dem Kamin zu schaffen, der hinter dem Schreibtisch in die Wand eingelassen worden war.

Karl schob Sophus vor sich her. Sie zwängten sich am Schreibtisch vorbei und blieben auf der freien Fläche stehen, die gerade groß genug für sie beide war. Schweigend warteten sie nebeneinander, bis das Gesicht des Direktors im grünlichen Kaminfeuer des Flohnetzwerks erschien.

„Wie du siehst, habe ich einen Freund mitgebracht“, sagte Karl. „Er wird mir helfen, dich zu überzeugen, falls Überzeugungsarbeit notwendig wird.“

„Nein, nein, das … das ist nicht erforderlich.“ Die Stimme des Direktors überschlug sich beinahe, als er das hervorsprudelte.

„Gut, wann wird alles bereit sein?“

„In einer Stunde. Das Bundesamt muss erst Kontakt zu einer Muggelbank aufnehmen. Ja, das muss es, ja.“

„Keine Tricks. Nicht, dass jemand auf die geniale Idee kommt, uns verhexte Besen oder Schecks unterzujubeln.“

„Nein, nein … natürlich nicht, klar.“

„Dann machen wir es uns jetzt eine Stunde lang gemütlich. Lieferung über Flohnetzwerk. Und zieh deine Clowns von der ehemaligen Tür ab. Wir wollen doch kein Leichenschauhaus hier.“

„Ich kümmere mich um alles.“ Der Direktor nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann erlosch das Bild.

„Setz dich da rüber.“ Karl deutete auf die Wand neben dem Kamin, an der kein Stuhl stand. Er selbst schlenderte zu diesem hinüber und nahm Platz.

„Du bist der Liebeskranke?“, fragte er in gemütlichem Plauderton.

Sophus nickte.

„Dann wollen wir für deine Kirsche mal hoffen, dass sich der Direktor an die Abmachungen hält. Nach so langer Zeit wird es sicherlich ein netter Abend voller Wiedersehensfreude. Wie lange warst du zur Kur?“

Alle Häftlinge auf Sylt II sprachen nur von der Kur, wenn sie ihre Strafzeit meinten.

„Drei Monate.“

Karl lachte. „Das ist wirklich nur ‘ne Kur. Aber Samenstau ist Samenstau. Also benimm dich, spiel nicht den Helden, dann kannst du deinen kleinen Freund bald wieder U-Bahn fahren lassen.“

Sophus zog es vor, nicht zu antworten und auch Karl verfiel kurze Zeit in Schweigen.

„Fünfundzwanzig lausige Jahre“, sagte er plötzlich. „Dabei hat Konrad die Banken ausgeräumt. Ich habe ihm bloß bei der Flucht geholfen, weil er ja eigentlich selbst zum Scheißen zu doof ist. Und dann brummen sie mir fünfundzwanzig verdammte Jahre auf. Verstehst du das?“

Sophus wusste nicht, was sein Gegenüber von ihm erwartete. Er gab ein halbherziges Brummen von sich, das man als Zustimmung, aber auch als Ablehnung deuten konnte.

„Ich hätte mit äußerster Brutalität und eiskalter Berechnung gehandelt. Mein Güte, ich habe meinen Bruder beschützt. Wen wundert‘s, wenn ich da ein bisschen grob werde?“ Karl setzte seinen Monolog fort. „Lackaffen, allesamt nur Lackaffen, diese Richter. Spielen Gott, denken, sie sind wer weiß wie schlau, weil sie diese Bücher voller Jurisprudenz gefressen haben. Wenn wir genügend Zeit haben, besuche ich noch ein paar von denen, bevor wir in die Karibik aufbrechen.“

Karl verfiel erneut in Schweigen, aber allzu lang schien er die Stille im Raum nicht ertragen zu können.

„Warst du schon mal da?“, fragte er.

„Wo?“ Sophus hatte seinen eigenen Gedanken nachgehangen und nur mit einem Ohr zugehört.

„In der Karibik, Mann.“

„Nein. Nein, bin nie aus Deutschland rausgekommen.

---ENDE DER LESEPROBE---