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Die Banshee Síochána verdient sich ihren Lebensunterhalt als Pokerspielerin, während sie die Todesfälle der Familie Carr betrauert. Als der Letzte der Carrs stirbt, muss Síochána sich ein neues Ziel für ihre Trauerarbeit suchen. Ihre Wahl fällt auf Daniel, einen jungen Koch aus Freudenstadt, doch damit beginnen die Komplikationen im Leben der jung-alten Frau erst, denn plötzlich kann sich die Banshee nicht mehr damit zufrieden geben, wenn sie dem Tod heulend zur Seite stehen soll. Immer wieder bemüht sie sich, Todeskandidaten vor ihrem Schicksal zu bewahren und legt sich dabei sogar mit dem Schnitter persönlich an. Die Sagenwelt der Kelten und des Schwarzwaldes sind zu einem aromatischen Cocktail gemixt und laden den interessierten Leser, sich in ihren Bann ziehen zu lassen. Wer darüber hinaus der Meinung ist, dass auch Fantasy einen Schuss Erotik verträgt, ist bei dieser Geschichte gut aufgehoben.
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Ich brauchte eine neue Familie. Leute wie ich gehören immer zu einer Familie, der sie mit Leib und Seele dienen. Nun war Emerson Carr in der vorherigen Nacht verstorben. Er war der letzte aus der Familie Carr gewesen, die ich so viele Jahre auf ihrem Weg begleitet hatte. Ich hatte es wie immer am Abend zuvor gewusst und mir die ganze Nacht die Augen aus dem Kopf geheult. Ich war so verzweifelt, dass ich am folgenden Tag nicht aus dem Zimmer gehen konnte. Mit meinen rotgeweinten Augen hätten die Leute mich für ein Gespenst gehalten, wenn sie mir ins Gesicht gesehen hätten und damit nur knapp danebengelegen.
Natürlich war abzusehen gewesen, dass so etwas passierte. Emerson Carrs Beziehung zur Firma Jameson war inzwischen deutlich tiefer geworden, als für einen Menschen, selbst für einen Iren, gut war. In der Woche vor seinem Tod war es selbst seinem Chef zu viel geworden und er hatte Emerson entlassen. Es hilft einem Menschen auf dem Weg zum Trinker natürlich nicht, wenn er auch noch seine Arbeit verliert, insbesondere dann nicht, wenn er mit dem Trinken erst angefangen hat, nachdem er zuvor alles verloren hatte, was ihm im Leben teuer gewesen war. Bei Emerson Carr war das der Fall.
Angefangen hatte es damit, dass er seine beiden Eltern verloren hatte als er gerade 16 geworden war. Sie wurden auf der Autobahn von einem Bus zerquetscht, der mit viel zu hoher Geschwindigkeit an ein Stauende heran gefahren war. Der Bus schob den Kleinwagen der Carrs und zwei vor diesem haltende Fahrzeuge ineinander, ehe er endlich zum Stillstand kam. Am Abend vor dem Unfall hatte ich es direkt vor mir gesehen. Ich schrie vor Entsetzen auf, als ich die entstellten Körper vor meinem inneren Auge sah, die sich mit den Teilen aus dem Motorraum zu einem einzigen neuen Ganzen verbanden, das jedoch nicht mehr lebensfähig war. Ich weinte die halbe Nacht und schlief erst kurz vor Sonnenaufgang ermattet ein. Als ich die Carrs am nächsten Morgen ihre Koffer in den Wagen laden und ihrem Jungen winken sah, brach es mir das Herz, doch sagen durfte ich nichts. Ich hatte geklagt, das musste genügen.
Knapp ein Jahr später zog ich aus der Nachbarschaft der Carrs fort aufs Festland. Seit dieser Zeit tingelte ich durch Europa, war mal hier, mal dort zu Hause. Ich lebte von meiner Begabung.
Ich muss erwähnen, dass ich eine besondere Fähigkeit besitze. Ich kann ein wenig in die Zukunft sehen. Eigentlich stimmt das nicht genau. Ich kann zukünftige Ereignisse sehen, wenn sie Menschen betreffen. Bezüglich bestimmter Situationen reicht diese Begabung sogar ziemlich weit. Ich nutze sie am Pokertisch. Ich weiß nicht, welche Karten jemand hat oder welche Karten in der Tischmitte für alle als Gemeinschaftskarten aufgedeckt werden, aber ich sehe voraus, ob sich jemand im Anschluss an eine Spielrunde freuen wird oder nicht. Das reicht für den Verdienst meines Lebensunterhalts in den Casinos.
Aber genug von mir. Kehren wir zu den letzten Carrs zurück. Es war so traurig, als ihr Sohn starb. Der Junge war fünf und geriet beim Spielen auf dem Feld unter eine Scheibenegge. Ich kenne die blutigen Details, will sie hier aber nicht auswalzen. Wer schon mal eine Scheibenegge gesehen hat, weiß, dass da nicht viel von einem kleinen Jungen übrig bleibt. In der Nacht vor dem Unglück hatte ich oben in meinem Hotelzimmer in Monte Carlo gesessen und geheult wie ein Schlosshund. Ich hatte geweint und gekreischt vor Schmerz über den Verlust. Irgendwann bummerten meine Nachbarn an die Wand, und ich hörte eine dumpfe Männerstimme, die „Seien Sie endlich ruhig. Ich muss früh raus.“ brüllte. Sehr mitfühlend sind die Leute heutzutage nicht.
Veronica Carr, Emersons Frau, verkraftete diesen Verlust nicht. Sie war schon immer eine stille, zerbrechliche Person. Nach dem Tod des Jungen wirkte sie fast durchscheinend. Ihr Mann bemühte sich nach Kräften, ihr den Lebensmut zurückzugeben, doch es half alles nichts. Er überredete sie zu einer Therapie, sie ging jedoch nur zu fünf Sitzungen, dann brach sie diese ab. Zwei Jahre nach dem Tod ihres Jungen erhängte sie sich im Keller. Emerson kam von der Arbeit heim und suchte seine Frau im ganzen Haus. Als er sie endlich fand, nahm er sie vom Seil ab und brachte sie nach draußen in den Vorgarten, wo er sie ins Gras legte. Dann erst kamen die ersten Laute über seine Lippen. Er schrie die gesamte Nachbarschaft zusammen. Immer wieder rief er den Namen seiner Frau und „Nein!“.
Auch ich konnte nichts weiter tun als zu weinen und zu klagen, als ich von dem schrecklichen Ereignis erfuhr. Ich erfuhr es wie immer im Vorhinein.
Gestern war nun auch Emerson von uns gegangen. Man hatte ihm den Strom abgestellt, weil er drei Monate lang seine Rechnung nicht bezahlt hatte. Also behalf er sich mit Kerzen. Offenes Feuer und Suff waren noch nie eine gute Mischung. Er warf eine Kerze um, die Vorhänge seines Zimmers fingen Feuer und dann auch das Mobiliar. Carr versuchte in seinem Wahn, irgendwelche alten Fotos von seiner Frau und seinem Sohn zu retten statt sich selbst. Er ist an Rauchvergiftung verstorben, bevor er verbrannte. Das könnte man als eine Gnade betrachten, wenn es nicht insgesamt so traurig wäre.
Mit Emerson war der allerletzte Carr gestorben und ich musste mich nach einer neuen Familie umsehen, deren Leben und besonders deren Sterben ich im Auge zu behalten hatte.
Vor zwei Wochen war ich in Baden in der Schweiz und machte die dortigen Pokertische unsicher. ‚Rabenschwinge‘ nannten mich die Kollegen dort wegen meiner schwarzen Haare, die meinen sehr hellen Teint besonders hervorheben. Profipokerspieler, zumindest die guten, bekommen alle früher oder später einen Spitznamen verpasst oder geben sich selbst einen, um vor den anderen besser da zu stehen. Wer keinen Spitznamen hat, ist nicht wirklich gefährlich.
Ich fand es eine lustige Idee, meine Wirkungsstätte zu verlegen und dabei aufzudoppeln: Ich ging von Baden nach Baden-Baden. Ich war vor zehn Jahren schon einmal hier gewesen und hatte gute Erinnerungen sowohl an das Casino als auch an das Queens Hotel. Letzteres gab es nicht mehr. Es gab noch das Haus, aber inzwischen firmierte es als Leonardo Royal. Mir sollte es egal sein, wenn nur die Kundschaft im Casino aus den gleichen reichen Fischen bestand wie damals. Fische, das ist die interne Bezeichnung der Pokerprofis für die armen Irren, die sich allzu bereitwillig ihr Geld abnehmen lassen, weil sie von Wahrscheinlichkeiten und Strategie keinen Schimmer haben und denken, Poker sei wie Roulette. Was für diese Leute auch stimmt, sie verlieren bei beiden Spielen.
Ich saß also im Baden-Badener Casino und schaute mir sehr gründlich die Herren an, mit denen ich gemeinsam am Tisch war. Während dies sonst nur dazu dient, meine Gewinnchancen zu verbessern, hatte ich an diesem Tag noch ein weiteres Ziel. Ich suchte einen neuen Herrn, eine neue Familie.
Mir gegenüber saß ein dicker Amerikaner. Er war mir unsympathisch und hatte keine Chance, weder auf einen Gewinn noch auf meine Gunst. Auch der neben ihm sitzende Scheich nicht, bei dem die Dollarscheine aus jedem Knopfloch guckten. Ich bin eigentlich nicht voreingenommen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass der sich tatsächlich noch einen Harem in seiner Heimat hielt. Zumindest hatten Frauen bei ihm nichts zu melden. Wenn er zu mir rüber schaute, hatte ich jedes Mal das Gefühl, er hielte mich für eine niedere Spezies – eine Bettwanze oder so.
Links von mir saß ein alter Mann. Ich hatte in der vergangenen Woche ein paarmal mit ihm am Tisch gesessen. Er spielte sehr vorsichtig. Seine Gewinne waren klein, seine Verluste waren klein. Ich nahm an, er käme nur ins Casino, um die Zeit totzuschlagen, die ihm vom Leben blieb. Das fortgeschrittene Alter war an sich egal, weil er drei Kinder hatte, zwei Töchter, einen Sohn. Aber die wohnten alle viel zu verstreut. Ich suchte einen richtigen Herrn, wenn schon nicht mit Familienstammsitz, so doch wenigstens mit einem Haus.
Rechts von mir saß ein weiterer Profi. Scharf geschnittenes Adlerprofil, dunkle gegelte Haare, dicke goldene Ringe an den Fingern. Die anderen Profis nennen ihn ‚Protzke‘. Er hat keine Familie und hatte mir auch mal gestanden, dass er schwul ist. Das war während meines ersten Aufenthalts in Baden-Baden gewesen.
Als Protzke am heutigen Abend ankam, sah ich, wie er sich draußen von einem anderen Mann verabschiedete, der etwa zehn Jahre jünger war. Die beiden waren tatsächlich Hand in Hand durch die Kolonnaden gekommen. Vor zehn Jahren hätte es das noch nicht gegeben.
Blieben die beiden jungen Männer zwischen dem Scheich und Protzke übrig. Ich hatte sie Pat und Patachon getauft. Einer war groß und schlank, sehr kontrolliert in seinen Bewegungen. Der Denkertyp. Der andere war füllig, redete immer mal wieder jovial mit Protzke oder dem Ami. Er war der typische Ich-will-nur-meinen-Spaß-Spieler.
Der dicke Amerikaner guckte gerade zum zweiten Mal in seine Karten und schwitzte vor sich hin. Selbst jemand, der nicht meine Begabung besaß, erkannte sofort, dass er ein Spitzenblatt hatte, das nicht mehr zu schlagen war. Der Scheich neben ihm schien aber nichts zu ahnen. Er sagte: „Raise!“ und schob 1000 Euro in Chips in die Mitte. Ich hatte Muße, mir diese Show anzugucken, denn ich hatte bereits vor dem Flop meine Karten dem Dealer rübergeschoben. Keine guten Karten für die einzige Frau am Tisch. So ging es schon den ganzen Abend.
Bis zum River spielten die beiden Geldverteiler am Tisch um 25000 Euro. Der Ami hatte ein Full House und grinste über das ganze Gesicht.
Ich guckte in mein nächstes Blatt, fand wieder nur Müll und schob meine Karten zur Seite, sobald ich an der Reihe war. Ich lächelte zu dem langen Denkertyp rüber, der im sogenannten Big Blind saß, wo man einen Standardeinsatz bringen muss. Viele Anfänger sehen es als Pflicht an, in diesem Fall in der Hand zu bleiben und dem schlechten Geld gutes hinterher zu werfen. Der Denker nicht. Der schob seine Karten dem Dealer zu, blickte auf und lächelte mich an.
Ich hatte das oft genug erlebt. Als Frau ist man selbst heutzutage ein seltener Falter am Pokertisch, und viele Männer fühlen sich offenbar geradezu verpflichtet, einen dummen Anmachspruch loszuwerden. Aber der junge Mann gegenüber lächelte nur still vor sich hin und sagte gar nichts. Das erledigte sein rundlicher Begleiter.
„Na, Lady, kein Kartenglück heute?“ Ich schaute ihn nur betroffen an. „Macht nichts, Pech im Spiel, Glück in der Liebe.“
Die älteste Kamelle der Welt. Ich verdrehte die Augen in Richtung Kristalllüster.
„Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?“, fragte mich der dickliche Typ.
„Nein, kein Bedarf“, antwortete ich und konzentrierte mich wieder auf seinen schlanken Begleiter.
Der andere aber gab nicht auf. „Wir kommen aus Freudenstadt“, sagte er. „Wenn das kein gutes Omen ist, weiß ich auch nicht.“
Ich wandte dem Typen, der nicht begreifen wollte, dass ich kein Interesse an ihm hatte, jetzt mein Gesicht zu und schaute ihm direkt in die Augen. Ich kann mit meinem Blick zwar niemanden zu Stein erstarren lassen, aber man sagt, ich könne dafür sorgen, dass Menschen ihre eigene Seele erkennen. Wenn das stimmte, musste der dickliche Kerl jetzt irgendetwas Schleimiges mit Tentakeln in meinen Augen sehen. „Willst du es mir gleich hier auf dem Tisch besorgen?“, fragte ich mit freundlicher Stimme.
Protzke lachte schallend und der Alte links von mir gab ein meckerndes Geräusch von sich, das wohl auch ein Lachen sein sollte.
„Leg dich nicht mit Rabenschwinge an, Kleiner“, sagte Protzke noch.