Decoctum Solaris - David Pawn - E-Book

Decoctum Solaris E-Book

David Pawn

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Beschreibung

Die Grippe grassiert. Zauberer werden an der Heilerstation Drei Annen reihenweise behandelt. Als ein bedeutender Archäomagus des Bundesamtes entlassen werden soll, bricht er plötzlich zusammen. Trotz intensiver Bemühungen findet keiner der Heiler einen Anhaltspunkt für die neuerliche Erkrankung. Und zu allem Überfluss werden Sebastian Weber und Bodo von Rosssprung im Harz gesichtet. Alles weist darauf hin, dass sie sich Barbarossas Zepter bemächtigen wollen, um den Obersten Rat zu stürzen. Wie sollen Sophus und Lyra in diesem Chaos in Ruhe ihre Hochzeit vorbereiten?

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Decoctum Solaris

 

 

David Pawn

 

 

Ich entschuldige mich bei allen Fans von Harry Potter, dass ich Ideen und Grundannahmen aus den Büchern von Minerva Mc…, sorry, J. K. Rowling in dieser Geschichte verwendet habe.

Bald läuten für Sophus und Lyra die Hochzeitsglocken, aber zuvor müssen sie sich ein letztes Mal ein Rätsel lösen. Kann ihre Liebe auch unverzeihliche Flüche brechen?

 

 

Copyright © 2015 David Pawn

[email protected]

Michael Siedentopf

Schweizer Str. 40

01069 Dresden

Umschlaggestaltung: Casandra Krammer

Umschlagmotive: © Shutterstock / lanych - 170428316, Kostenko Maxim – 108920759,  Ekaterina Gerasimova - 291864575All rights reserved

 

ISBN: 978-3754604113

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Gruppe VNV Nation und ihrem Sänger Ronan Harris, der mit persönlich die Erlaubnis erteilt hat, Zeilen aus dem Werk „Nova“ in meinem Buch zu verwenden.

 

Außerdem möchte ich mich bei all meinen treuen Lesern bedanken. Es hilft unglaublich über Phasen hinweg, in denen man zweifelt und sich fragt, ob wirklich gut ist, was man da schreibt, wenn einen hin und wieder positive Kritik erreicht. Diese, aber auch Anmerkungen, was ich besser machen kann und muss, dürfen gern in Rezensionen münden.

 

Wie Sophus den Abend verbringt

In kaum einer Region von Deutschland gibt es mehr Sagen über Hexen und Zauberer, über Besenritte und geheime Orte als im Harz. Obwohl es das kleinste Mittelgebirge im Land ist, wird es in den überlieferten Erzählungen zu einem Zentrum der Magie. In jeder Touristenfalle der heimlichen Hauptstadt der Gegend, Wernigerode, gibt es auf Besen reitende Hexen zu kaufen, die man sich ans Fenster oder vor die Heckscheibe des Autos hängen kann.

Was wohl die vielen Touristen, die auf der Breiten Straße und am bekannten Rathaus vorbei defilierten, sagen würden, wäre ihnen bewusst, dass es in der Stadt auch heutzutage eine Werkstatt gab, die fliegende Besen reparierte, dass nur wenige Kilometer der Holtemme aufwärts folgend, bei den Hohneklippen, eine magische Bildungsanstalt existierte, dass unweit davon ein Krankenhaus von Zauberern und Hexen betrieben wurde, in deren Jargon Heilerstation genannt. Wahrscheinlich winkten die meisten dieser nichtmagisch Begabten lachend ab. Einigen aber, jenen, die die Memoiren des berühmtesten Zauberers des vorigen Jahrhunderts gelesen und sich gesagt hatten, so gut könne doch kein Mensch sich etwas einfach nur ausdenken, würde eine solche Behauptung als die Erfüllung all ihrer Träume und Wünsche erscheinen. „Das habe ich doch schon immer geahnt“, würde dieser oder jener sagen, begeistert in die Hände klatschen und fragen: „Wie kommt man da hin?“

Sophus Schlosser, ehemals Besenbinder, jetzt Laborant in eben jener Heilerstation flog gewöhnlich mit dem Besen. Seine Freundin, Geliebte und zukünftige Ehefrau Lyra Bascomb begleitete ihn zumeist. Bei Notfällen allerdings apparierte sie. Sie arbeitete als leitende Heilerin einer Abteilung, die sich speziell mit der Wiederherstellung nichtmagisch Begabter beschäftigte, die durch bösartige oder aber, was die Mehrzahl der Fälle einbrachte, unachtsame Zauberer verletzt worden waren.

In den letzten Wochen des alten Winters häuften sich die Fälle, denn eine Grippewelle rollte durch das Land und verschonte auch die Magier nicht. So verdoppelte sich die Arbeit für die Heiler und Helfer in diesem Winter.

Unter Frauen kursiert das bösartige Gerücht, Männer mit einer Erkältung sähen sich am Rand des Grabes. Wenn man diese Einstellung zur Grundlage nimmt und in die dritte Potenz erhebt, erhält man eine gute Vorstellung von hustenden und niesenden Zauberern.

Zu Sophus‘ Vorsätzen für das neue Jahr gehörte, dass er seine medimagischen Kenntnisse erweitern wollte. Seit einiger Zeit lieh er Zeitschriften an der Heilerstation aus, nahm sie mit nach Hause und las darin nach Feierabend.

Er war völlig in seine Lektüre vertieft, da wurde die Tür zum Wohnzimmer geöffnet und Lyra trat ein. Er warf die Zeitschrift zur Seite und sprang auf, während sie sich in einen Sessel fallen ließ, der sich sofort an ihren Körper schmiegte und mit einer Massage der verkrampften Nackenmuskulatur begann.

„Aber das kann ich doch machen“, sagte Sophus.

„Das ist lieb, Schatz, aber noch lieber wäre es, wenn du etwas zu Essen zaubern würdest.“ Lyra lächelte ihn an. Mehr Aufmunterung benötigte er nicht.

Etwas zu Essen zaubern. Auch die nichtmagisch Begabten, von einigen ewig gestrigen Zauberern weiterhin Muggel genannt, benutzten diesen Ausdruck, allerdings meinten sie es nicht ernst. Direkt Nahrung herbeizaubern konnte auch kein noch so guter Magier, aber Magie beschleunigte die Zubereitung eines Mahls durchaus, wenn man sie anzuwenden verstand. Zwar gehörte Sophus Schlosser nicht zu den großen Leuchten seiner Zunft, aber sein Spezialgebiet, die Zaubertränke, beherrschte er durchaus. Und da zwischen dem Brauen eines magischen Trankes und dem Anrühren einer Suppe oder Soße kein so großer Unterschied bestand, zeitigten auch seine Versuche in der Küche beachtenswerte Ergebnisse.

Er strich seiner Geliebten sanft über das dunkle, krause Haar, tätschelte eine ihrer milchkaffeebraunen Wangen, anschließend machte er sich auf den Weg in die Küche. Mochte sie sich entspannen. Er wusste, dass nicht allein die Grippe selbst neue Fälle in die Heilerstation spülte. Oft genug beklagte Lyra unbedachte Zauberer, die hustend und niesend mit ihren Zauberstäben hantierten.

„Warum müssen sie mitten in einem Hustenanfall die Hecke beschneiden oder Gehwegplatten ausbessern?“, hatte sie ihn rhetorisch in der Kantine gefragt. „Und wenn sie es wirklich nicht lassen können, müssen sie es mit Zauberei tun? Das Ende vom Lied sind nichtmagisch Begabte, die bei uns landen, weil sie ein Stück durch die Luft geflogen oder beinahe skalpiert worden sind.“

Er küsste sie auf die Stirn und begab sich in die Küche. Als er zurückkehrte, ein Tablett mit dem Zauberstab vor sich her dirigierend, blätterte Lyra in der Zeitschrift, in der er vor ihrer Ankunft gelesen hatte.

„Da hast du dir aber schwere Lektüre ausgesucht“, sagte sie.

Er ließ das Tablett auf dem Tisch landen und sagte: „Du weißt doch, dass ich mir vorgenommen habe, mehr von dem zu verstehen, was du wissen musst. Allerdings war mir das alles doch zu hoch.“

„Du kannst mich ja nach dem Essen ausfragen.“ Lyra legte die Zeitschrift zur Seite, blickte auf ihren Teller, wo sich eine gefüllte Paprikaschote in einem Ring aus Reis räkelte, von der ein verführerischer Duft nach Kräutern ausging. „Das sieht aber lecker aus.“

„Hoffentlich schmeckt es dir auch.“ Sophus teilte die Teller aus, legte Besteck auf und stellte das Tablett zu Seite. „Ist wahrscheinlich nicht so gut wie bei meiner Mutter, aber ich habe es versucht.“

„Du und die Kochkünste deiner Mutter.“ Lyra nahm sich eine Gabel, deutete damit auf Sophus und erklärte in einem übertrieben strengen Ton: „Wehe du hältst mir die vor, wenn wir verheiratet sind.“

„Niemals.“ Sophus riss die Hände nach oben, als lege sie mit dem Zauberstab auf ihn an.

Einträchtig verzehrten sie ihr Mahl. Schließlich stöhnte Lyra: „Puh, ich kann nicht mehr.“ Sie legte das Besteck auf den leergeputzten Teller und lehnte sich wieder zurück. Als auch Sophus seine Mahlzeit beendet hatte, schwenkte sie beiläufig ihren Zauberstab. Das Geschirr stieg in die Luft und flog Richtung Küche davon.

Lyra erhob sich vom Sessel, ließ sich stattdessen auf der Couch nieder, klopfte auf den Platz neben sich und sagte: „Komm her, mein wissensdurstiger Freund.“

Sophus gehorchte. Als er neben ihr saß, umarmte Lyra ihn innig, drückte ihm einen Schmatz auf die Wange und erklärte: „Mein Retter, mein Held. So eine Mahlzeit lässt mich sogar die vergangene Zehn-Stunden-Schicht vergessen. So und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir dich weiterbilden können.“ Sie nahm die Zeitschrift erneut zur Hand, reichte sie Sophus und sagte: „Zeig mal, was du gerade gelesen hast.“

Er zog seinen Zauberstab hervor, pochte damit kurz auf das Deckblatt und fand so die Stelle wieder, wo er seine Lektüre beendet hatte.

„Hier – Neue Wege der Werwolfbehandlung.“ Er deutete auf die Überschrift. „Ich dachte, über Werwölfe wüsste ich einigermaßen Bescheid. Da musste ich an der Hohne-Klipp ein Traktat verfassen und habe eine Drei bekommen.“

Lyra beugte sich über den Artikel und las ein paar Minuten still vertieft.

„Ich glaube, selbst bei einer Eins mit Sternchen ist das zu hoch für jeden, der Werwölfe nicht ausgiebig studiert hat. Das ist etwas für – Wie heißt das neuerdings? – Nerds“, sagte sie schließlich.

„Und wie viel verstehst du davon?“

„Nicht genug, um alle Feinheiten zu erfassen. Zeig es doch Gregorius, wenn wir die Katenbauers das nächste Mal besuchen.“

Gregorius Katenbauer, ehemals ein Kollege Lyras, jetzt für ein Jahr suspendiert, hatte nicht nur zunächst Geisteszauber studiert und sich anschließend ausführlich mit magischen Tierwesen beschäftigt, er wurde auch während einer Forschungsarbeit in Sibirien von einem Werwolf schwer verletzt, und lief seit dieser Zeit grantelnd auf zwei Beinen mit verholzten Unterschenkeln durch die Welt. Im Herbst trieb er seinen Übereifer bei der Heilung von Patienten so weit, dass er den Obersten Rat des Bundesamtes für magische Angelegenheiten persönlich mit einem Fluch beschoss. Keine gute Idee, wenn man seinen Job als Heiler behalten wollte. Seitdem besuchten Sophus und Lyra die Katenbauers hin und wieder in deren kleinem Haus außerhalb von Wernigerode.

Sophus lächelte schief. Er hatte lange genug mit Katenbauer zusammengearbeitet, um sich gut vorstellen zu können, wie dieser sich äußern würde.

„Mir wäre es lieber, du würdest mir etwas erklären“, sagte er.

„Hast du Angst vor Katenbauer? Stephanie meinte, er wäre viel friedlicher geworden, seit er nicht mehr an der Heilerstation ist. Sie schien allerdings wenig begeistert von dieser Entwicklung, nannte es beängstigend.“

„Mir hat sie gesagt, er würde oft grübeln. Er säße dann in seinem Lieblingssessel und starre die Wand an, während seine Hände unentwegt den Zauberstab herumwirbeln.“

„Er macht sich Sorgen“, erklärte Lyra. „Du hast mir doch erzählt, was er dir gesagt hat, nachdem dieser Bodo von Rosssprung, oder wie immer der Typ wirklich heißt, von Sylt II geflohen ist.“

„Das ist jetzt über drei Monate her und nichts ist passiert“, erwiderte Sophus. „Es wird Zeit, dass Katenbauer begreift, dass er sich ausnahmsweise einmal geirrt hat. Ich weiß, er kann sich das überhaupt nicht vorstellen, aber so etwas passiert auch den Besten.“

„Ich frage mich nur, wie viel von seinen Vermutungen in diesem Fall zutrifft. Steckte wirklich Weber hinter diesem Ausbruchsversuch? Du weißt, Paula hat das auch gesagt.“

Der letzte Satz stimmte Sophus nachdenklich.

Paula Krumholtz und er waren seit Kindertagen befreundet. Aus dem blassen, schüchternen Mädchen war eine Arithmantikerin ersten Ranges geworden, die für das Bundesamt wichtige Vorhersagen traf. In all den Jahren als Mitarbeiterin der Fachabteilung mit besonderen Instruktionen war sie mitverantwortlich für die Sicherheit der Zaubererschaft und des höchsten aller Magier. Bis ihr ehemaliger Chef sich eines Tages gegen seinen Dienstherrn wandte, überzeugt, er sei der bessere Oberste Rat. Und jetzt schien es, als habe er einen massiven Ausbruchsversuch auf der deutschen magischen Gefängnisinsel organisiert.

Das klang wahnwitzig, aber Paula hatte es vorhergesehen. Leider wusste sie, nachdem dieser zum Glück zumindest im Wesentlichen vereitelt werden konnte, nicht, welche Pläne Sebastian Weber als nächste verfolgte. Sie sagte, es gebe plötzlich zu viele Optionen. Die könne man unmöglich mit einem Mandala erfassen. Sophus konnte, in Ermangelung von Wissen, nur nicken.

„Jetzt grübelst du auch“, riss Lyra ihn aus seinen Gedanken. „Wahrscheinlich ein Fluch, den dieser Weber über die Heilerstation verhängt hat. Wir alle denken viel zu oft über ihn nach.“

„Ich habe versucht, mich abzulenken.“ Sophus deutete auf den Fachartikel.

„Dann werde ich dir mal erklären, was ich davon verstehe. Was weißt du denn über Werwölfe? Woran erinnerst du dich aus der Schulzeit?“

Sophus straffte sich und begann, sein Wissen herunterzubeten, als gälte es an der Schule den Lehrstoff zu repetieren: „Man unterteilt Werwölfe in primäre und sekundäre. Primäre Werwölfe sind gentechnisch, halt, nein, genetisch veränderte Magier. In mondhellen Nächten, also vor allem um Vollmond herum, verwandeln sie sich in wolfsähnliche Raubtiere. Viele primäre Werwölfe sind heute in die Gesellschaft inte …“

„Lass das weg“, sagte Lyra. „Medizinische Fakten.“

„Äh … jetzt bin ich raus.“

„Woher kommen sekundäre Werwölfe?“

„Also, die primären Werwölfe, wenn sie nicht friedlich sind, beißen hin und wieder andere Menschen. In ihrer Spucke finden sich Zellen aus ihrem Körper, sogenannte Pri… Pri… - hab vergessen, wie die Dinger heißen.“

„Prionen“, half Lyra.

„Jedenfalls finden sich die im Speichel und gelangen beim Biss in die Blutbahn des Opfers. Das sind ganz, ganz kleine Dinger und die kriechen in den Kopf des Opfers und fangen an, an dessen Gehirn rumzuspielen, bis das Opfer auch zu einem Werwolf wird.“

„Kann man primäre und sekundäre Werwölfe einfach unterscheiden?“

„Bei sekundären Werwölfen ist die Wandlung sehr schmerzhaft. Sie sind in der Regel weniger aggressiv und können durch ihren Biss keine weiteren Werwölfe erzeugen. Während primäre Werwölfe immer männlich sind, gibt es bei sekundären Werwölfen weibliche und männliche. Alle Werwölfe zeichnen sich durch ein kräftiges Gebiss und starke Körperbehaarung auch im menschlichen Zustand aus. So, das musste ich an der Schule wissen.“

„Da hast du nur eine Drei bekommen?“

„Es gab einen großen Abschnitt über die gesellschaftliche Integration von Werwölfen in die Reihen der Zaubererschaft. Den habe ich verpatzt.“

„Unwichtiges Gelaber.“ Lyra winkte ab. „Fünfzig Prozent der primären Werwölfe sind nicht integriert und leben einsiedlerisch fernab menschlicher Ansiedlungen. Und vom Rest gibt es noch immer einen großen Anteil, der sich ebenfalls nicht so leicht anpasst. Sie sind und bleiben eine gefährliche Spezies. Das Bundesamt hat jeden einzelnen Werwolf in Deutschland registriert. Katenbauer steht übrigens auch in den Akten, obwohl er sich nicht verwandelt.“

„Er ist doch kein Werwolf.“ Sophus machte große Augen.

„Aus Sicht der Bürokraten in Berlin schon. Er wurde gebissen und es lassen sich Werwolfprionen in seinem Blut nachweisen. Die Lesart des Bundesamtes ist, dass er sich praktisch jeden Tag plötzlich in einen sekundären Werwolf verwandeln kann, auch wenn das aus Sicht der Medimagie völliger Unsinn ist. Man nennt das rezessiv retardierendes Krankheitsbild.“ Sie pochte mit dem Zeigefinger der Rechten auf die Zeitschrift. „Das wird hier auch für primäre Werwölfe beschrieben. Der Betroffene ist ein Werwolf, aber er verwandelt sich nicht, führt ein ganz normales Leben. Ich habe bisher nicht davon gehört, dass es so einen Fall an unserer Heilerstation gab. Bei sekundären Werwölfen ist es in etwa zehn Prozent aller Fälle so. Katenbauer hat den Zustand erzwungen, indem er sofort den Blutkreislauf zur Bissstelle unterbrochen hat. Die paar Prionen, die bereits in seinem Körper waren, sind zu wenige, um echten Schaden anzurichten. Zu Vollmond hat er Schmerzen und nervt die ganze Heilerstation, aber das kann man nicht damit vergleichen, wie es wäre, wenn er als Werwolf durch die Gänge tobte. Hast du jetzt ein wenig mehr verstanden?“

Sophus zuckte mit den Schultern. „Bei dir hört sich alles immer so einfach und selbstverständlich an. Ich meine, was ist das für ein Werwolf, der sich niemals verwandelt? Wozu muss man das überhaupt wissen? Weil der häufiger zum Friseur muss?“

Lyra lachte und wuschelte in Sophus Haar herum. „Ach, Lieber, wenn es so einfach wäre. Werwölfe sollen im menschlichen Stadium eine fleischarme Diät halten, um ihre Aggressivität zu dämpfen. Dann gibt es die bekannte Allergie. Bluttransfusionen bei Werwölfen sind kritisch, außerdem müssen sie in Vollmondphasen besonders ruhiggestellt werden. Stell dir vor, wir bekämen einen Werwolf auf Station, und der renne plötzlich durch die Etagen und bisse andere Patienten. Alle animagischen Patienten müssen besonders behandelt werden. Dafür haben wir einen Animaveterinär in der zweiten Etage. Der kümmert sich um sie, wenn sie in tierischem Zustand eingeliefert werden.“

„Wenn er sich aber nie verwandelt“, wandte Sophus ein.

„Die Allergie und die Probleme bei Bluttransfusionen bleiben“, sagte Lyra. „So, jetzt will ich aber nicht mehr von Kranken und Heilern und Werwölfen reden.“ Sie ließ sich zur Seite sinken. „Halt mich einfach fest.“ Sie bettete den Kopf auf Sophus Schoß und lächelte ihn von unten her an. „Nur noch ein Monat“, sagte sie. „Dann sind wir Mann und Frau. Nächste Woche gehe ich mit Stephanie und Cleo zum Siebenhöfeweg. Hochzeitskleid aussuchen.“

„Kann ich mitkommen?“, fragte Sophus unschuldig.

„Untersteh dich!“ Lyra gab ihm spielerisch einen Nasenstüber. „Das bringt großes Unglück. Weißt du das nicht?“

„Du weißt doch, was Katenbauer immer sagt. Mit dem was ich nicht weiß, könnte man ganze Bücher füllen.“ Er senkte den Kopf und küsste sie. Danach vergaßen beide für eine Weile die Probleme und Sorgen des Alltags.

Wie Sophus den Boden wischt

Am nächsten Tag kurz vor der Mittagspause stand Sophus gegenüber der Rezeption der Heilerstation auf der sechsten Etage und schaute müßig der Dame dort zu, die eine selbstschreibende Feder beaufsichtigte. Er genoss eine kurze Pause. Die Grippewelle sorgte weiterhin für reichlich Arbeit an der gesamten Heilerstation, das Labor eingeschlossen. Heute Morgen hatte er zwanzig Einheiten Tinctura Argentum vorbereitet, wie sie in der Medimagie allgemein gegen von Mikromonstern ausgelöste Krankheiten eingesetzt wurde. Bis vor einer Minute hatte Cleopatra Winkler, von den Kollegen einfach Cleo genannt, an seiner Seite gestanden, und ihn mit Fragen zu seiner bevorstehenden Hochzeit mit Lyra gelöchert. In knapp fünf Wochen würde es so weit sein. Er würde die schöne und kämpferische Heilerin ins Rathaus von Wernigerode und dort ins Trauzimmer führen. Ausgerechnet an Walpurgis, ausgerechnet an jenem Tag, da die Quidditchsaison eröffnet wurde. Aber Lyra ließ sich nicht beirren. Sollte es tatsächlich Freunde oder Verwandte geben, die ein Ballspiel für wichtiger als ihre Hochzeit ansahen, so konnten sie ihr getrost gestohlen bleiben. Walpurgis und Hexen und Zauberer, das gehörte doch einfach zusammen. Konnte es also ein passenderes Datum für eine Hochzeit zweier Magier geben?

Der Leiter der Abteilung für nichtmagische Verletzungen, Willemsen, kam mit einem Pärchen herauf. Ein schlanker Mann im sogenannten besten Alter mit lockigem dunklem Haar, das an den Schläfen die ersten grauen Spuren zeigte. Seine Begleiterin eine Dame mit einer aufgetürmten Frisur aschblonder Haare und strengen Gesichtszügen. Sophus schätzte sie jünger als den Herren ein, den sie begleitete. Wie ein Falke blickte sie sich um. Schließlich trat sie an die Rezeption heran. Sie lehnte sich an den Tresen, räusperte sich laut und legte einen Zauberstab darauf, ehe sie sich an die Empfangsdame wandte: „Wir sollen die Entlassung bestätigen.“

„Wie heißt der Patient?“ Die Dame hinter dem Tresen, eine grauhaarige Frau mit Nickelbrille, nahm den Zauberstab entgegen und legte ihn auf den Tisch hinter sich.

„Simmering, Bernd“, sagte der Mann zu der Frau tretend.

„Schatz, ich mache das schon. Ruh du dich ein bisschen aus. Du bist immer noch ziemlich blass.“ Die Frau zeigte auf die Stühle an der Wand, neben denen Sophus stand.

„Ausgeruht habe ich mich lang genug. Ich bin wieder ganz, okay. Du musst mich nicht bemuttern. Frag die Heiler.“ Er zeigte auf Willemsen an seiner Seite.

„Jedenfalls fliege ich dich nach Hause, keine Widerrede.“

Inzwischen hantierte die Dame am Empfang mit dem Zauberstab des Patienten und ihrem eigenen, um Informationen für die Heilerkasse zu übermitteln.

Frau Simmering, jedenfalls vermutete Sophus dies, drehte sich zu ihrem Mann, lächelte und erklärte: „Wenn wir daheim sind, mache ich dir erst einmal einen leckeren Salat. Man hört ja immer wieder, dass es mit dem Essen auf so einer Heilerstation nicht weit her ist.“

‚Wenn das Elvira hören würde, müssten wir deine Knochen wieder zusammenflicken‘, dachte Sophus.

„Oh, es schmeckt hier wirklich ausgezeichnet“, beeilte der Mann sich, zu sagen.

„Das mag alles sein, aber bestimmt gab es viel zu viel Fleisch und zu wenig frisches Gemüse. Ich weiß doch, wie man in diesen Kantinen kocht. Die haben hundert Jahre im Schlaf verbracht.“

„Nun“, mischte sich Willemsen ein. „Eine gute Fleischbrühe gehört zu den bewährten Heilmitteln bei einer Grippe.“

Die Frau winkte ab.

„Wirklich, Beate, du solltest …“ Was Beate tun oder lassen sollte, erfuhren weder Sophus noch die Personen, die neben Bernd Simmering standen. Plötzlich stöhnte dieser auf und krümmte sich zusammen, als hätte er einen Boxhieb in den Bauch erhalten.

Sofort legte die Frau ihre Arme um ihn. „Meine Güte, Bernd, was hast du?“

Willemsen trat auf der anderen Seite an den Patienten, nahm seinen Arm und wollte ihn zu den Stühlen dirigieren.

„Mein Magen“, stöhnte Bernd Simmering.

„Die Entlassung ist verschoben“, rief Willemsen zum Empfang hinüber und zu dem Patienten gewandt sagte er: „Setzen Sie sich dort hin. Ich rufe die Flazebs.“

Er zog den Zauberstab aus der Umhangtasche und rief über Forza audio jemanden herbei, der sich darum kümmern sollte, Bernd Simmering wieder in eines der Krankenzimmer zu bringen.

Die Frau brach in Tränen aus, als der Mann sich vor Schmerz stöhnend auf einem der Stühle niederließ. Schweiß stand auf seiner Stirn, seine Haut wirkte plötzlich grau. Sophus schien es, als wäre der Mann von einer Sekunde zur anderen um zehn Jahre gealtert.

„Herr Schlosser, gut das Sie hier sind“, sagte Willemsen. „Ich nehme eine Zungenprobe, die können Sie gleich ins Labor mitnehmen.“

Er beugte sich über den Patienten. „Mund aufmachen und Zunge herausstrecken, bitte.“

Bernd Simmering wollte der Aufforderung folgeleisten, da packte ihn offenbar eine neue Schmerzwelle. Er krümmte sich zusammen, rutschte beinahe vom Stuhl und erbrach sich schließlich. Sein Körper schleuderte die letzte Mahlzeit regelrecht heraus. Ein wenig spritzte an die Beine seiner Frau, die erschrocken aufschrie.

In diesem Moment erschienen zwei der in rot-weiß-gestreifte Umhänge gehüllten Pfleger auf dem Gang, eine Trage mit den Zauberstäben führend.

„Bringen Sie den Patienten sofort zurück in die Vierte. Und jemand soll die Schweinerei hier wegschaffen.“ Willemsen deutete auf das Erbrochene. „Herr Schlosser, Sie nehmen zuvor davon eine Probe für die Analyse. Frau Simmering, setzen Sie sich einen Augenblick. Sie können wieder zu ihrem Mann, wenn wir eine erste Untersuchung abgeschlossen haben.“

„Was gibt es da zu untersuchen?“, begehrte die Frau auf. „Der Fraß hier an der Heilerstation ist ihm auf den Magen geschlagen.“

„Selbst wenn dem so ist, müssen wir das genaue Problem klären“, sagte Willemsen betont förmlich. Er winkte den Flazebs, den Patienten auf die Trage zu laden und fortzuschaffen. Der hockte still und weiß, wie in eine Mehlkiste gefallen, da. Er atmete hechelnd durch den leicht geöffneten Mund, wie man dies gewöhnlich nach einem anstrengenden Lauf tut. Die Flazebs schwenkten die Zauberstäbe. Der Patient schwebte von seinem Platz. Vorsichtig dirigierten sie ihn auf die Trage. Als er endlich dort gebettet lag, rückten sie ab.

Sophus wandte sich an einen vorbeieilenden Heiler für Geisteszauber und fragte nach einem Becherglas. Der schwenkte nur beiläufig den Zauberstab, eine Tür am anderen Ende des Ganges sprang auf.

„Einfach Accio“, sagte er anschließend und eilte weiter in Richtung Treppenhaus.

Sophus nickte und befolgte die Anweisung. Ein Glas kam aus dem gerade geöffneten Raum gesaust. Er fischte es über seinem Kopf aus der Luft. Anschließend sammelte er einen Teil des Erbrochenen darin, immer bemüht, den Kopf so weit wie möglich von dem abzuwenden, was er da mit dem Zauberstab in das Glas beförderte. Er spürte, wie der Geruch bei ihm Übelkeit erregte. Eilig stellte er die Probe zur Seite.

Anschließend rief er mit Hilfe des Aufrufzaubers Wischmopp und Wassereimer aus dem Empfangsbereich herbei. Durch Schwenken des Zauberstabes bemühte er sich, mit deren Hilfe das restliche Erbrochene zu beseitigen, während er demonstrativ die Wand anstarrte.

„Lassen Sie mich das mal machen“, rief ihm die Frau zu, die hinter dem Empfangstresen saß. „Sie wischen ja die ganze Zeit um die Schweinerei drum herum.“ Sophus hörte, wie sie sich erhob, und blickte sich um. Die Frau griff resolut nach ihrem Zauberstab und trat aus ihrem Revier heraus. „Ich habe zwei Kinder großgezogen, da musste ich reichlich Scheiße und Kotze entsorgen. So eine Kleinigkeit wirft mich nicht um, aber Sie sehen ganz grün im Gesicht aus. Setzen Sie sich da rüber, ehe Sie noch mehr Dreck machen.“ Sie schob Sophus sanft zur Seite. „Tief und gleichmäßig atmen!“

Während er zur Seite trat, hörte er die Frau „Männer“ murmeln und sah sie den Kopf schütteln.

Als seine Eingeweide sich wieder beruhigt hatten, griff er nach dem Becherglas und trug es mit abgewandtem Gesicht ins Labor hinunter.

„Was bringst du denn da Schö… oh“, sagte Stephanie Katenbauer, die Laborleiterin.

Sophus berichtete, was soeben vorgefallen war.

„Hast du Probleme mit dieser Probe?“ Stephanie studierte sein Gesicht. Sophus vermutete, dass es noch immer mit der Farbe der getünchten Laborwand konkurrierte.

„Geht schon“, sagte er mit einem Anflug von Selbstverleugnung.

„Ehe wir hier Dreck im Labor haben, den sonst nur die Gnome produzieren, wenn sie zu viel Pfefferminze hatten, gebe ich das lieber einem anderen Laboranten.“ Sie lachte.

„Sehe ich so komisch aus?“

„Nein, ich stelle mir gerade Gregorius vor, dem ich so ein Becherglas unter die Nase halte“, erwiderte Stephanie.

Der ansonsten so schlagfertige, aggressive Heiler fühlte sich unwohl, sobald Körperflüssigkeiten ins Spiel kamen. Er weigerte sich konsequent Blut- oder Urinproben von Patienten zu nehmen, mochte nicht einmal davon hören, wenn diese analysiert wurden. Er redete sich gern damit heraus, dass nur Ärzte solche Proben benötigen würden, und sie wären doch etwas Besseres. Sophus sah ihn geradezu vor sich, wie er abwehrend die Hände ausstreckte, als beschösse man ihn mit unverzeihlichen Flüchen im Sechserpack, und musste ebenfalls grinsen.

„Gib schon her. Ich gebe es Roland, der ist robust.“ Sie winkte einem der Laboranten, der mit lässigem Schritt herüberkam. Roland, ein vierschrötiger Kerl mit Dreitagebart, wilden Augenbrauen und schiefen Zähnen, der eher wie ein Holzfäller aussah, nahm ungerührt entgegen, was Stephanie ihm reichte, nickte jede Anweisung ab und entfernte sich wieder. Die ganze Zeit sprach er kein Wort, sondern reagierte nur durch Gesten oder Gesichtsausdrücke. Nachdem er sich bereits umgewandt hatte, hob er die rechte Hand zu einer Art abschließendem Gruß.

„Manchmal frage ich mich wirklich, in was für ein Panoptikum ich hier hineingeraten bin“, sagte Stephanie und zuckte mit den Schultern. „Gibt es nur einen Zauberer oder eine Hexe an dieser Heilerstation, die keine Macke hat?“

Sophus schaute gekränkt. „Also ich habe mich immer für völlig durchschnittlich und normal gehalten“, sagte er.

„Ja, klar, der Mann der zwei Mal mit dem Besen abgestürzt ist, von seiner eigenen Haut fast erwürgt wurde, in Quarantäne einen Heiratsantrag gemacht hat, mit dem Obersten Rat in der Berliner U-Bahn gelandet ist. Durchschnittlicher geht nicht.“ Sie lächelte ihn an. „Schau nicht so zerknirscht, Sophus, Lyra kann stolz auf dich sein. Nein, sie liebt dich und ist stolz auf dich. – So, jetzt aber wieder ab an die Arbeit. Da liegt schon wieder ein halbes Dutzend Bestellungen für Tränke.“ Sie klatschte in die Hände und wandte sich ab.

Während Sophus sich zu den Kesseln begab, um die Trankbestellungen abzuarbeiten, konnte er sehen, wie Roland die unschöne Probe von Bernd Simmering am Drachenherz-Chromatographen analysierte. Ungerührt hantierte der Mann mit der abstoßenden Substanz. Sophus begann mit seiner Arbeit und verdrängte die Erinnerung an das Erlebte so weit wie möglich. Hin und wieder wagte er einen verstohlenen Blick durch das Labor. Er sah, dass auch der Phönix zum Einsatz kam, der Proben auf magische Art verbrannte, um sie anschließend wieder zusammenzufügen.       

Als er die dritte Charge Fünfventrikelsaft zusammenbraute, der allgemein bei Problemen mit dem Herzen eingesetzt wurde, sah er Roland zu Stephanie treten und die Analyseergebnisse überreichen. Neugier nagte an ihm. Was mochte dazu geführt haben, dass ein entlassungsbereiter Patient zusammenbrach? Wenn man ihn unmittelbar nach dem Ereignis befragt hätte, er hätte ohne zu zögern erklärt, es müsse sich um eine Vergiftung handeln. Aber schließlich gehörte es nicht zu seinen Aufgaben, zu erkennen, was den Patienten fehlte. Er musste Beweise beschaffen, um die eine oder andere Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen. Er musste feststellen, was sich in Zungen-, Blut- oder Urinproben an Hinweisen finden ließ, die Krankheiten wahrscheinlich erscheinen ließen oder ausschlossen. Und er musste Heiltränke anrühren. Er bemerkte, dass er dies vernachlässigte, und machte sich wieder an die Arbeit.

Als er zur Mittagspause aufbrach, fragte er Stephanie. „Na, hat Roland was gefunden?“

„Nichts, was nicht zu erwarten gewesen wäre, bei einem Patienten, den wir wegen Grippe behandelt haben. Tinctura Argentum. Ohne Zungenprobe lässt sich schwer sagen, ob es da eine Überdosierung gegeben hat. Ich hoffe, Willemsen schickt heute noch eine rauf. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das zu Magenkrämpfen und Erbrechen geführt haben soll. Da müsste man ihm das Zeug literweise eingetrichtert haben. Sah seine Haut grau oder dunkel aus?“

Sophus schüttelte den Kopf. „Nein, auf keinen Fall. Eher blass.“

Stephanie sah ihn einen Moment lang nachdenklich an und sagte anschließend: „Das passt hinten und vorne nicht. Wäre etwas für Gregorius. Ihr solltet übrigens mal wieder vorbeikommen.“

„Solange er nicht wieder so tut, als ob eine Horde Verschwörer sich in unserem Rücken zusammenrottet.“ Sophus winkte ab.

„Er macht sich nur Sorgen.“

„Das sehe ich ja ein, aber es kann einem den Abend schon vermiesen, wenn er mit einem Blick im Sessel sitzt, der Pythia neidisch werden ließe, und sich in Vermutungen ergeht, die niemandem nützen. Ich meine, selbst Paula konnte keine genauen Vorhersagen machen, was nach diesem Ausbruch geschehen würde. Und es ist ihr Spezialgebiet. Wie will Gregorius da mehr wissen?“

„Du kennst ihn doch. Er wäre gern Magus Allwissend persönlich, wenn er eine Gefahr für andere Zauberer wittert. Er meint es nur gut.“

„Ja, ich weiß.“ Sophus Antwort klang nach Resignation. Stephanie liebte ihren Mann, da konnte sie schwerlich erkennen, wie er seinen Mitmenschen manchmal auf die Nerven fiel mit seinem Drang, alles zu therapieren.

Der Vorfall am Vormittag hatte Sophus lange aufgehalten. Er betrat den Speiseraum daher erst, als Lyra ihre Mahlzeit beinahe beendet hatte. Sie arbeiteten beide schon zu lange an der Heilerstation, um nicht zu wissen, dass es immer wieder Verzögerungen gab, die den Anderen hinderten, die tägliche Verabredung zum Mittag einzuhalten. Man wartete ein paar Minuten, aber dann machte man sich allein ans Essen. Schließlich konnte es passieren, der Partner erschien erst viel später oder gar nicht.

Lyra legte den Löffel beiseite. „Ich hab’s schon gehört“, sagte sie, als Sophus sich setzte. „Bitte keine Details. Ich möchte mein Kompott genießen.“ Sie deutete auf die Apfelscheiben in der Schüssel vor sich.

„Mir ist auch nicht danach, das zu rekapitulieren. Wer hat da nicht dicht gehalten?“

„Willemsen wollte meinen Rat. Irgendjemand muss verkündet haben, ich sei Katenbauers Nachfolger bei den schwierigen Diagnosen. Vielleicht weil wir die beiden hin und wieder besuchen. Man hofft, ich löchere Gregorius mit den verzwickten Fällen der Woche.“

„Und? Was denkst du?“

„Irgendeine Vergiftung habe ich gesagt. Aber ich weiß nicht, wie der Mann sich die hier zugezogen haben soll.“

„So etwas ist mir auch durch den Kopf geschossen“, sagte Sophus. „Ich habe mal über Arsen in irgendwelchen alten Zaubertränken gelesen. Wenn man die falsch gebraut hat, ist die Wirkung immer fatal gewesen.“

„Letal“, sagte Lyra und senkte den Löffel ins Apfelkompott.

„Hat man die Auroren schon benachrichtigt?“, fragte Sophus mit Blick zur Tür.

Lyra wandte sich um. Der Auror, der den Speisesaal betreten hatte, sah aus, als hätte er die letzte Nacht in seinem Umhang im Wald verbracht. Übernächtigt blickte er sich im Raum um. Als er Sophus und Lyra entdeckte, hielt er zielstrebig auf sie zu. Er blieb mit dem Umhang an einem Stuhl hängen und musste diesen erst entwirren, eher weitergehen konnte. Dabei rollte sein Zauberstab aus der Tasche und fiel zu Boden. Wer Christopher Möbius so erlebte, musste ihn für einen völligen Trottel halten. Sophus hegte inzwischen den Verdacht, dass dieses Gehabe, ursprünglich als Tarnung zugelegt, inzwischen so in Fleisch und Blut des Aurors übergegangen war, dass er es nicht mehr ablegen konnte. Jedenfalls wusste er, dass man Möbius nicht so einfach übertölpeln konnte, wie man nach seinem Auftritt glauben mochte.

---ENDE DER LESEPROBE---