Die Erschaffung des Richard Hamilton - Walter Kaufmann - E-Book

Die Erschaffung des Richard Hamilton E-Book

Walter Kaufmann

4,8

Beschreibung

Dieses Buch präsentiert insgesamt 22 Storys des deutsch-australischen Journalisten und Schriftstellers Walter Kaufmann, der verdammt gut schreiben konnte. Es dauert meist ein bisschen, ehe man beim Lesen dieser Storys begreift, in welchen schwierigen Entscheidungssituationen sich die Figuren befinden und wie es ihnen dennoch gelingt, sich zu behaupten. In der titelgebenden Story können wir miterleben, wie sich einer von seinem komischen Namen und von seinem früheren Leben trennt: Wenn Ihnen jemand sagte, sein Name sei Humphrey Humphreys (das heißt so viel wie Buckel Buckel), würden Sie sicher lachen und glauben, er mache einen Witz. Nun, ich mache keinen Witz. Ich heiße wirklich so. Und ich bin überzeugt, meine Mutter hat mich absichtlich so genannt - die bloße Zusammenstellung dieser beiden Namen muss auf alle Menschen lächerlich wirken; wahrscheinlich hoffte sie, mich auf diese Weise für immer von sich abhängig zu machen. Als ich noch klein war, hatte ich, wie Sie sich wohl denken können, sehr unter meinem Namen zu leiden - Kinder sind grausam. Meist wurde ich Hump gerufen, und den Sternen sei Dank, dass ich wenigstens keinen Buckel habe, immer war ich einer der Kleinsten, das ist schon schlimm genug. Und kurzsichtig bin ich obendrein: seit meinem sechsten Lebensjahr trage ich eine Brille, was mich besonders beim Sport nicht wenig behinderte. Als ich mit vierzehn aus der Schule kam, wusste ich nicht, was ich werden sollte. Ich zog von einer Lehrstelle zur anderen, versuchte es mit den verschiedensten Arbeiten - verlangen Sie nicht, dass ich sie alle aufzähle. Ich möchte mich auf die jüngste Vergangenheit beschränken, auf zwei Jahre nach meiner Entlassung aus der Commercial Bank of Australasia. (Das war in der Nachkriegskrise, wissen Sie.) Ich arbeitete als Kontrolleur in den Docks, als Schreiber bei einem Buchmacher, als Kassierer auf einem Rummelplatz, sogar als Vertreter von Staubsaugern. Dann wollte ich mich als Buchhalter und Reklamechef einem Wanderzirkus anschließen (diese Arbeit hätte mir sehr gelegen, glaube ich), aber da wurde meine Mutter halsstarrig, Auf einmal war ich ihr unentbehrlich. Dann blieb er für ein paar Wochen zu Hause, um Kurzgeschichten zu schreiben, wofür er ein gewisses Talent hat. Einige seiner Arbeiten sind sogar in der Zeitung erschienen - unter dem Namen Richard Hamilton - ein Name, mit dem ein Mann der Welt entgegentreten konnte!

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Impressum

Walter Kaufmann

Die Erschaffung des Richard Hamilton

Storys

ISBN 978-3-86394-564-0 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1964 im Hinstorff Verlag Rostock.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Foto: Barbara Meffert

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Die Erschaftung des Richard Hamilton

Wenn Ihnen jemand sagte, sein Name sei Humphrey Humphreys (das heißt so viel wie Buckel Buckel), würden Sie sicher lachen und glauben, er mache einen Witz. Nun, ich mache keinen Witz. Ich heiße wirklich so. Und ich bin überzeugt, meine Mutter hat mich absichtlich so genannt - die bloße Zusammenstellung dieser beiden Namen muss auf alle Menschen lächerlich wirken; wahrscheinlich hoffte sie, mich auf diese Weise für immer von sich abhängig zu machen. Als ich noch klein war, hatte ich, wie Sie sich wohl denken können, sehr unter meinem Namen zu leiden - Kinder sind grausam. Meist wurde ich Hump gerufen, und den Sternen sei Dank, dass ich wenigstens keinen Buckel habe, immer war ich einer der Kleinsten, das ist schon schlimm genug. Und kurzsichtig bin ich obendrein: seit meinem sechsten Lebensjahr trage ich eine Brille, was mich besonders beim Sport nicht wenig behinderte.

Als ich mit vierzehn aus der Schule kam, wusste ich nicht, was ich werden sollte. Ich zog von einer Lehrstelle zur anderen, versuchte es mit den verschiedensten Arbeiten - verlangen Sie nicht, dass ich sie alle aufzähle. Ich möchte mich auf die jüngste Vergangenheit beschränken, auf zwei Jahre nach meiner Entlassung aus der Commercial Bank of Australasia. (Das war in der Nachkriegskrise, wissen Sie.) Ich arbeitete als Kontrolleur in den Docks, als Schreiber bei einem Buchmacher, als Kassierer auf einem Rummelplatz, sogar als Vertreter von Staubsaugern. Dann wollte ich mich als Buchhalter und Reklamechef einem Wanderzirkus anschließen (diese Arbeit hätte mir sehr gelegen, glaube ich), aber da wurde meine Mutter halsstarrig, Auf einmal war ich ihr unentbehrlich. Sollte sie ihr Leben vielleicht in einem Siechenheim beschließen? fragte sie. Sie habe doch niemanden außer mir. Das ist schon wahr, mein Vater starb, als ich erst zehn war - wir lebten seitdem hauptsächlich von seiner Pension -, und meine Schwester hat nach Neusüdwales geheiratet. Ebenso wahr ist jedoch, dass meine Mutter eine ziemlich robuste alte Dame ist und meine Hilfe eigentlich niemals gebraucht hat. Der springende Punkt ist vielmehr, dass sie einfach jemand haben muss, um den sie sich kümmern kann. Deswegen wird sie niemals zulassen, dass ich mich von ihr unabhängig mache. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht verheiratet bin - es gibt noch andere, auf die ich gleich zu sprechen komme. Für meine Mutter werde ich nie ein erwachsener Mann sein - ich bin jetzt siebenundzwanzig Jahre alt! -, sondern stets ihr kleiner Humphrey, verflucht sei dieser Name!

Nachdem ich auf die Stellung beim Zirkus verzichtet hatte, blieb ich ein paar Wochen zu Hause, um Kurzgeschichten zu schreiben. Dazu habe ich ein gewisses Talent. Einige meiner Arbeiten sind sogar in der Zeitung erschienen - unter dem Namen Richard Hamilton. Sie können sich nicht vorstellen, was das für mich bedeutete. Ich meine nicht das Geld, wirklich nicht - bei den vielen amerikanischen Storys, die über Agenturen in Melbourne herauskommen, springt für einen einheimischen Autor nicht viel heraus. Aber es erfüllte mich mit großer Genugtuung, meine Geschichten unter diesem Namen gedruckt zu sehen. Richard Hamilton! Das war ein Name, mit dem ein Mann der Welt entgegentreten konnte!

Als Richard Hamilton lernte ich auch Miss Jenny Brennan kennen, eine Englischlehrerin am Institut für Erwachsenenbildung. Sie hatte an die Zeitung geschrieben, die meine erste Geschichte veröffentlichte - nicht etwa, um mich zu loben, sondern um mich zu einer Überarbeitung zu veranlassen. Der Chefredakteur hatte mir das mitgeteilt, und daraufhin besuchte ich über ein Jahr lang ihre Abendkurse. Der Tag, an dem ich all meinen Mut zusammennahm und um Miss Brennans Hand anhielt (meiner Mutter hatte ich nichts von meiner Absicht gesagt, und als ich es ihr später gestand, war sie eine Woche unausstehlich), war auch der Tag, an dem ich mich zu meinem wirklichen Namen bekennen musste. Miss Brennan lächelte zwar über die ungewöhnliche Namensverbindung Humphrey Humphreys, doch ich muss ehrlich zugeben, dass dies nicht der Grund ihrer Ablehnung war - meine Abhängigkeit von der Mutter und meine Unentschlossenheit im Leben bewogen sie zu ihrem Nein.

„Wenn Sie nur die Berufung fühlen!", sagte sie mir mehr als einmal. „Auf welche Weise Sie Ihr Ziel erreichen, ist gleich." Damit meinte sie, dass ich das Schreiben von Geschichten als meine eigentliche Aufgabe betrachten und anderen Arbeiten lediglich nachgehen sollte, um Stoff und Erfahrungen zu sammeln.

Ich verstand sie sehr gut, brachte aber nie das Selbstvertrauen auf, ihren Rat zu befolgen. Zu meiner Rechtfertigung schreibe ich jetzt diesen autobiografischen Bericht wahrheitsgetreu bis ins letzte Detail. Und wenn es wirklich stimmt, dass die wesentliche Voraussetzung für die Veröffentlichung einer Geschichte ihre Wahrhaftigkeit ist, dann müsste diese gedruckt werden. Auf jeden Fall ist das, was ich erlebt habe, die Mühe des Aufzeichnens wert.

Nachdem Miss Brennan mich zurückgewiesen hatte, gab ich die Abendkurse auf und damit auch jede Absicht, weitere Kurzgeschichten zu schreiben. Meine Mutter, die sich daran gewöhnt hatte, mich immer zu Hause arbeiten zu sehen, war ganz fassungslos, als ich mich plötzlich um eine Stelle bewerben wollte, die im „Melbourne Age" angezeigt war. Auf dem Weg zur Stadt ging ich bei dem Pfandleiher vorbei, der meine fast neue Leica hatte (ich bin ein leidlich guter Amateurfotograf, müssen Sie wissen) und löste mit meinem letzten Geld die Kamera aus. Dann betrat ich das Atelier MARKO in der Flinders Lane und fragte nach dem Inhaber.

Mr. Joseph Markowitz erwies sich als ein überschwänglicher Mensch mit dicker Hornbrille und einem Bauch, der seine Hose zu sprengen drohte. Er sprach mit starkem Akzent, und ich glaube, ich habe es seiner ausländischen Herkunft zu verdanken, dass er an meinem Namen nichts Außergewöhnliches fand. Er besichtigte meinen Apparat, knurrte etwas Zustimmendes und erklärte mir dann, er beschäftige Kameramänner (er sagte „Kameramänner” und nicht „Fotografen") nur auf Provisionsbasis.

„Es ist Ihr Verlust genauso wie meiner, wenn Sie schlechte Aufnahmen machen“, fuhr er fort. „Wie steht es mit ihrer Sehkraft, Mister Humph?“

Ich dachte, er wollte mich veralbern, und widersprach so energisch, wie ich es nur wagte, aber es stellte sich heraus, dass er meinen Namen einfach nicht richtig verstanden hatte. „Diese englischen Namen verwirren", wie er sich ausdrückte.

„Wenn Sie hier anfangen, werden wir Sie Rick nennen. Ist Ihnen das recht?”

Da Rick als eine Abkürzung von Richard gelten kann, nahm ich das als gutes Omen.

„Mit meiner Brille sehe ich so gut wie jeder andere", versicherte ich. „Ich habe immer scharfe Aufnahmen mit dieser Kamera gemacht.“

„Dann ist ja alles in Ordnung", sagte Mr. Markowitz. „Sie haben genau die richtige Größe für die Collins Street.“ Wieder glaubte ich, er machte sich über mich lustig, doch wieder irrte ich mich, denn er meinte, die Polizei würde mich nicht so leicht entdecken, weil ich so klein sei.

„Die Polizei? Gibt es denn ein Gesetz, das Aufnahmen auf der Straße verbietet?"

„Keine Angst, keine Angst!", erwiderte Mr. Markowitz mit dröhnender Stimme. „Sie machen die Aufnahmen und ich zahle die Strafen.“

Und so kam es, dass ich drei Stunden später, mit zehn Filmen ausgerüstet, meine Kamera auf alle möglichen Fußgänger richtete, hauptsächlich Frauen, die auf der Collins Street zwischen der Russell und der Exhibition Street an mir vorübergingen. Anfangs war das etwas schwierig - in dem täuschenden Schatten der Bäume richtig zu belichten, die Blende einzustellen, die Passanten gut ins Bild zu bekommen und rechtzeitig auf den Auslöser zu drücken. Oft genug war die fotografierte Person verschwunden, bevor ich ihr eine Geschäftskarte des Ateliers MARKO aushändigen konnte, aus der hervorging, wann und wo das Foto abzuholen war. Allmählich jedoch arbeitete ich mich ein, und nach ein oder zwei Tagen schaffte ich es bereits, zehn Filme in fünf Stunden zu belichten.

Dann, an einem sonnigen Freitag, als das Menschengewimmel in der Stadt ein besonders gutes Geschäft versprach, ging der Ärger los. Ein Polizist verwarnte mich, dann ein zweiter, und kurz vor vier kamen beide auf mich zu und schrieben mich auf wegen Verkehrsbehinderung. „Wenn wir Ihnen erlauben, hier Handzettel zu verteilen, kommen sofort die Kommos und verlangen das gleiche Recht“, erklärten sie mir.

„Aber ich bin kein Kommunist", versicherte ich, doch das hielt sie nicht davon ab, mich nach meinem Namen zu fragen. Als ich ihn nannte, sahen sie mich mit verkniffenen Augen an.

„Das soll wohl ein Witz sein, was?“

„Ich heiße Humphrey Humphreys", wiederholte ich und wies mich aus.

„Für einen solchen Namen sollte man Ihnen die Filme konfiszieren“, bemerkten sie, aber ich wusste, dass sie dazu nicht berechtigt waren. „Also verschwinden Sie, bevor wir Ihnen Beine machen."

Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Kamera einzupacken und ins Atelier zurückzukehren.

Mr. Markowitz zuckte nur die Achseln, als ich ihm erzählte, was vorgefailen war. „Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich die Strafen bezahle."

„Schön und gut", antwortete ich, „aber mir werden sie angekreidet."

„Warum sind Sie so zimperlich", fragte er, .Verkehrsbehinderung ist doch kein größeres Verbrechen als falsches Parken!"

Aber es ist schon ein Unterschied, ob ein wohlhabender Geschäftsmann mit der Polizei zu tun hat oder ein mittelloser Straßenfotograf, besonders, wenn er womöglich den Kommunisten den Weg ebnet. Daher bat ich Mr. Markowitz, mich an einen Platz zu stellen, wo die Polizei mir nichts anhaben konnte.

„Alle meine Leute mussten in der Collins Street anfangen, bevor ich sie zum Zoo, zum Hafen oder zu Captain Cook's Cottage schickte, wo mein Geschäft eine Lizenz hat", erklärte Mr. Markowitz. „Warum sollte ich bei Ihnen eine Ausnahme machen?"

Ich wollte ihm nicht sagen, dass mein Name der Stein des Anstoßes war, daher entgegnete ich nur, ich sei Auseinandersetzungen mit der Polizei einfach psychisch nicht gewachsen. Markowitz krümmte sich vor Lachen.

„Bei diesem Spielchen brauchen Sie ein dickes Fell", grölte er, „eine Haut wie ein Elefant, Mister Humph.“

„Entweder Rick oder Mister Humphrey", verlangte ich.

„Also gut, Rick. Wenn Sie eine bessere Idee haben - ich bin ganz Ohr."

„Ich könnte Babys in Wohnungen fotografieren“, schlug ich vor, „ans Türenklopfen bin ich gewöhnt.“

„Spielerei! Mit solchem Firlefanz ist kein Geschäft zu machen.“ Markowitz schob seinen massigen Rumpf über den Schreibtisch, um auf die zahlreichen Kunden zu weisen, die durch das Bürofenster zu sehen waren. „Wir müssen die Filme pfundweise verbraten, wenn was dabei herausspringen soll. Die paar Babys bringen nichts ein.“

„Mag sein", entgegnete ich, „aber mit der Zeit könnte man sich Stammkunden schaffen.“

Markowitz zündete sich eine Zigarre an, brach das Streichholz durch und warf es dann weg. „Wollen Sie mir erzählen, wie ich mein Geschäft führen muss?“, fragte er. „Von Babyaufnahmen können Sie nicht leben,"

„Meine Mutter und ich würden noch weniger zu beißen haben, wenn die Polizei meine Filme konfisziert“, hielt ich ihm entgegen.

Zum ersten Mal seit unserer Zusammenarbeit betrachtete mich Markowitz mit einem Anflug von Respekt. Er schob mir einen Stuhl hin, aber da ich im Sitzen wie ein Zwerg wirke, lehnte ich dankend ab.

„Ich stehe lieber, Mister Markowitz.“

„Wie Sie wollen.“ Er sah mich an, als versuchte er, sich über etwas klar zu werden. „Würde es Ihnen zusagen, Hochzeitspaare vor dem Standesamt zu fotografieren?“

„Gewiss. Vorausgesetzt, die Polizei lässt mich dort in Frieden.“

„Dafür werde ich schon sorgen“, versprach Markowitz. „Ich kenne jemanden, der einen Mann kennt, der im Stadtrat sitzt. Sie haben einen Job, wenn Sie sich einen neuen Anzug zulegen."

„Wovon?", fragte ich. „Mein letztes Geld ist dafür draufgegangen, die Kamera auszulösen. Bis jetzt sind die Auslagen noch nicht gedeckt.“

„Die Auslagen noch nicht gedeckt - ha!", äffte Mr. Markowitz mich nach. „Sie reden wie ein Bankier, und dabei sind Sie pleite. Ich hatte schon ein fettes Bankkonto, bevor ich überhaupt ein Wort Englisch konnte."

„Weil es immer Leute wie mich gibt, die für Sie arbeiten", bemerkte ich, aber ich war mir meiner Ohnmacht bewusst.

„Ach, Mister Humphrey Humphreys“, sagte er (und diesmal bestand für mich kein Zweifel, dass er sich über mich lustig machte), „wir werden beide pleitegehen, wenn Sie der Welt nicht die Zähne zeigen.“

Bevor ich eine passende Antwort gefunden hatte, war er aufgesprungen, hatte seinen Bürosafe aufgeschlossen und etwas Geld herausgenommen, das er mir in die Hand drückte.

„Für den Anzug - als Vorschuss“, erklärte er. „Ich würde Ihnen keinen Dienst erweisen, wenn ich Ihnen das Geld schenkte. Sie würden glauben, die Welt sei Ihnen den Lebensunterhalt schuldig, bloß weil Sie einen komischen Namen haben."

Ich bitte den Leser um Entschuldigung, wenn ich abzuschweifen scheine, aber ich glaube, meine derzeitigen Lebensverhältnisse sind nicht ganz unwichtig - auch nicht meine Anfänge als Hochzeitsfotograf.

Der neue Anzug, bei dessen Kauf meine Mutter mir half, hob mein Selbstvertrauen beträchtlich. Es ist ein dunkelblauer, einreihiger Anzug mit Nadelstreifen, in dem ich größer aussehe, als ich bin. (Wenn ich hier gestehe, dass ich mir die Absätze höher machen lasse, als es üblich ist, werden Sie begreifen, wie empfindlich ich wegen meiner Größe bin.) Wie jedermann weiß, verführt ein neuer Anzug zum Kauf neuer Hemden, Schlipse und Socken - und als ich drei Tage später meine Arbeit vor dem Standesamt aufnahm, war von Mr. Markowitzens Vorschuss nicht ein Penny mehr übrig.

Obwohl das Gebäude im Herzen der Stadt Melbourne liegt, obendrein nicht weit von der Collins Street, hat mich die Polizei bisher überhaupt nicht belästigt. Vielleicht hat Mr. Markowitz wirklich einen Beamten bestochen, oder die Polizei hat begriffen, wie töricht die Annahme ist, die Kommunisten könnten durch mein Beispiel angeregt werden, ihre Handzettel an Hochzeitsgesellschaften zu verteilen.

Normalerweise werden montags, dienstags, donnerstags und freitags je zwei und sonnabends etwa vier Trauungen im Standesamt vollzogen - das beschäftigt mich die ganze Woche. Mr. Markowitz teilt mir die genauen Zeiten mit, sodass ich mir nur meine Tage entsprechend einzuteilen brauche.

Anfangs ging ich ziemlich zaghaft an die Sache heran. Ich trat den Hochzeitsgesellschaften entgegen und bat den Bräutigam um seine Zustimmung für ein paar Aufnahmen. Oft erhielt ich sie, aber oft genug auch nicht, wenn Braut und Bräutigam zu aufgeregt oder verlegen waren. Dann hatte ich mich umsonst auf den Weg gemacht und eine Menge Zeit verloren.

„Sie fragen zu viel", sagte mir Mr. Markowitz schließlich. „Wenn Sie einem Kunden die Wahl lassen, verringern Sie Ihre Erfolgschance um fünfzig Prozent - das merken Sie sich mal!“

Seitdem wende ich die Überraschungstaktik an, die sich als viel erfolgreicher erwiesen hat. Mit der schussbereiten Kamera trete ich vor das soeben getraute Paar, wenn es das Gebäude verlässt. Die beiden sind dann meist in gelöster Stimmung und bereit, mir für ein paar Aufnahmen zu stehen: eine, auf der Mann und Frau gerade durch die Tür des Standesamtes kommen, eine Nahaufnahme, wie sie einander ansehen, eine Familienaufnahme und eine, wie der Mann seiner Frau in das wartende Taxi hilft - das gibt mindestens fünf Bilder, wenn ich Glück habe, sogar ein Dutzend, mit einem Schnappschuss von einer Konfetti werfenden Gruppe dazwischen und je einem Foto von Vater mit Tochter und Mutter mit Sohn.

Bald hatte ich das Geschäft zu einer feinen Kunst entwickelt, wie man so sagt - das Licht im Schatten des Eingangsportals ist ziemlich konstant, und da ich mich nicht viel um die Belichtungszeiten zu kümmern brauche, bemühte ich mich um scharfe, gut komponierte Bilder. Die Probeabzüge gefielen, mein Umsatz stieg beachtlich, und da auch Mr. Markowitz zusehends zufriedener mit meiner Arbeit war, bekam ich mit der Zeit das Gefühl, eine Stellung fürs Leben gefunden zu haben. Allmählich wurde ich nicht nur im Atelier MARKO, sondern auch vor dem Standesamt zu einer ständigen Einrichtung. Wie die Tauben auf dem Dach. Ach, diese Tauben! In den ersten Tagen erwiesen sie sich als eine Gefahr für meinen Anzug, bis ich mich der Hauswand fernhielt.

Es heißt, Taubendreck bringe Glück. Vielleicht erklärt das meinen anfänglichen Erfolg: ich verdiente nicht nur ein gutes Stück Geld, sondern wurde gelegentlich sogar - nachdem ich meine Aufnahmen gemacht hatte - zur Hochzeitsfeier eingeladen. Auf diese Weise lernte ich Leute kennen, denen ich sonst nie begegnet wäre: Tommy Jones, den berühmten Boxer, zum Beispiel, Sam Lewis, den Rennstallbesitzer, Sheila Brendon, den Opernstar, und Luke Devanny, den bekannten Kurzgeschichtenautor, den ich sehr bewundere. Ohne mich zu erkennen zu geben, fragte ich ihn, ob er je von Richard Hamilton gehört hätte. Und er runzelte die Stirn, überlegte einen Augenblick und sagte dann, ja, er glaube diesen Namen irgendwo gelesen zu haben.

Diese Worte waren meine größte Freude, seit ich Fotograf geworden war, obwohl Luke Devannys Bemerkung natürlich nicht so ermutigend war, dass ich daraufhin wieder angefangen hätte zu schreiben. Dazu bedurfte es eines anderen Anstoßes.

Um zehn Uhr morgens an einem Dienstag im Januar hatte ich vor dem Stadtbezirksgericht zu erscheinen, um mich wegen Verkehrsbehinderung zu verantworten. Man hatte diese Sache nicht fallen gelassen, obwohl sie schon lange zurücklag. Heute wünschte ich, ich hätte Mr. Markowit- zens Rat befolgt und wäre nicht hingegangen. Dann wäre ich in Abwesenheit angeklagt und verurteilt worden.

Ich musste eine sehr unangenehme Erfahrung machen. Bevor ich aufgerufen wurde (noch heute höre ich die Stimme des Gerichtsdieners durch den Korridor hallen: „Mister Hum - phreeey Hum - phreeeys!“), hatten bereits sieben andere Personen wegen des gleichen Vergehens wie ich vor dem Richter gestanden: Verkehrsbehinderung. Ich war einigermaßen entsetzt über die schweren Strafen, die ihnen auferlegt wurden, bis ich begriff, dass diese sieben zusammengehörten und vermutlich Kommunisten waren, die Flugblätter gegen die Atomrüstung verteilt hatten. Und ich befürchtete das Schlimmste für mich, obwohl ich wusste, dass Mr. Markowitz die Strafe zahlen würde. „Bekennen Sie sich schuldig, am siebenten November neunzehnhundertvierundfünfzig zwischen dreizehn und sechzehn Uhr Fußgänger in der Collins Street behindert zu haben?", fragte mich der Richter, und ich antwortete: „Ja, Euer Ehren", obwohl ich mich vollkommen unschuldig fühlte.

„Es ist also wahr, dass Sie in der fraglichen Zeit eine Anzahl Flugblätter verteilt haben?“

„Nein, Euer Ehren", erwiderte ich, „es sei denn, die Bezeichnung Flugblätter bezieht sich auch auf einfache Geschäftskarten."

Der Richter blickte mich erstaunt an und wollte wissen, was ich unter Geschäftskarten verstünde. Ich gab ihm eine der Karten des Ateliers MARKO als Beweisstück und wurde daraufhin zu zehn Shilling Strafe verurteilt, zuzüglich zehn Shilling Gerichtskosten - also bloß ein australisches Pfund, zahlbar innerhalb eines Monats.

Ehrlich gesagt, ich kann verstehen, dass dieses Urteil einen Proteststurm im Zuschauerraum auslöste, denn meine Strafe war nur ein Bruchteil dessen, was diese Politischen zu zahlen hatten. Darüber hinaus hatte man mir einen Monat Zeit gewährt, den anderen hingegen nicht, was bedeutete, dass einige von ihnen die Strafe Im Gefängnis absitzen mussten. Es war alles sehr verwirrend, kann ich Ihnen versichern - die Zuschauer auf der Galerie lärmten, der Richter hämmerte wütend auf sein Pult, mindestens ein halbes Dutzend Männer wurden gewaltsam aus dem Gerichtssaal entfernt. Ich verschwand so schnell wie möglich, blickte weder nach rechts noch nach links, aber noch heute spüre ich die Feindseligkeit, die mich plötzlich im Gerichtssaal umgab. Wenn Sie glauben, Straßenfotografen hätten es in Melbourne schwer, dann sollten Sie erst mal erleben, wie das Gesetz bei uns mit politischen Geistern verfährt. Meine Lebensregel, der Politik aus dem Wege zu gehen, bestätigte sich einmal mehr!

Nach der Aufregung langte ich ziemlich verstört vor dem Standesamt an. Es war gerade Viertel nach zwölf, und jeden Augenblick musste eine Hochzeitsgesellschaft herauskommen. Gewöhnlich warten Verwandte und Freunde mit Konfettischachteln vor dem Gebäude. Aber diesmal war niemand zu sehen, sodass ich schon befürchtete, die Trauung verpasst zu haben. Um mich zu vergewissern, stieg ich die Stufen hinauf, warf einen Blick durch die Tür und sah zu meiner Erleichterung, dass ein Mann und eine Frau, offensichtlich die Neuvermählten, den dunklen Korridor entlangkamen. Sie trug einen Blumenstrauß in der Hand, und er hatte eine Knospe im Knopfloch - soviel konnte ich gerade erkennen. Ich lief also schnell zurück auf die Straße, stellte meine Kamera ein, hob sie ans Auge und nahm die Tür aufs Korn.

„Augenblick bitte!", rief ich, als das Paar über die Schwelle trat, aber schon als ich auf den Knopf drückte, wusste ich, dass das Bild verwackelt war - meine Hand hatte gezittert. Die Braut war Miss Jenny Brennan, und der Bräutigam - einer der Polizisten, die mich vor zwei Monaten in der Collins Street verwarnt hatten.

„Hallo, wenn das nicht Mister Humphrey Humphreys ist!“, rief er.

In dem Glauben, meine Bestürzung sei lediglich auf unsere damalige Begegnung zurückzuführen, versicherte er mir sofort, dass mein Fotografieren diesmal keine Strafanzeige nach sich ziehen würde. „Knipsen Sie nur!“, sagte er aufgeräumt.

Ich beachtete ihn gar nicht. Wortlos blickte ich Jenny an, unfähig, meine Verwirrung zu verbergen. Sie sah um Jahre älter aus, als ich sie in Erinnerung hatte, und ich entdeckte an ihr keine Spur von dem nachdenklichen Ernst, den ich damals so anziehend fand - im Gegenteil, sie kam mir sehr gewöhnlich vor, trotz festlicher Kleidung und Schminke.

„Humphrey“, sagte sie, nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, „so also verdienen Sie sich jetzt Ihr Geld?“

Ich dachte an die Zeit, da sie ziemlich hochtrabend über Berufung und ähnliche Dinge mit mir gesprochen hatte, ihre sehr prosaische Verbindung mit einem gewöhnlichen Schutzmann, eine Trauung ohne Freunde oder Verwandte, war mit so erhabenen Gedanken schwer in Einklang zu bringen. Wäre ich nicht so verwirrt gewesen, hätte ich ihr bestimmt entgegnet, dass diese geringschätzige Frage ihr wohl kaum zukomme. So aber bestätigte ich lediglich, dass ich jetzt Hochzeitsfotograf sei.

„Na los, ihr Kasten wird schon nicht kaputtgehen, wenn Sie uns knipsen!", rief der Polizist und ergriff Jennys Arm. Nach seinem geröteten Gesicht zu urteilen, hatte er bereits getrunken.

„Ich mache nur Aufnahmen nach vorhergehendem Auftrag", gelang es mir mit einiger Würde zu antworten. „Ich habe Ihre Trauung bloß mit einer anderen verwechselt.“

„Na schön, dann gebe ich Ihnen hiermit den Auftrag“, erklärte der Polizist und warf sich in die Brust, während Jenny mir ermutigend zulächelte. „Sie können sich einen Zwanziger verdienen."

„Zu einem solchen bin ich gerade vom Stadtbezirksgericht verurteilt worden", teilte ich ihm mit.

„Pech gehabt, Mister Humphreys“, entgegnete Jennys Mann ungerührt, „Sie wissen ja, das Gesetz kennt weder Furcht noch Gnade.“

Bis heute kann ich mir nicht verzeihen, dass ich sie schließlich doch fotografierte - sechs Momentaufnahmen, die Jenny später im Atelier MARKO vergrößern ließ. Die Provision, die ich dafür bekam, entschädigte mich nicht für die Genugtuung, die eine Ablehnung dieses Auftrages mir verschafft hätte. Während ich das Paar fotografierte, befürchtete ich die ganze Zeit, Jenny könnte verraten, dass sie mir einmal einen Korb gegeben hatte. Aber sie verschwieg es, wie sich herausstellte; sie erzählte ihrem Mann lediglich, dass ich früher ihr Schüler war.

„Nun, es war nett. Sie unter angenehmeren Umständen wiederzusehen", sagte der Polizist beim Abschied und schüttelte mir die Hand.

„Schreiben Sie noch Geschichten, Humphrey?“, fragte Jenny flüsternd.

„Nein.“

„Das ist schade", sagte sie, „bei Ihrer Arbeit stoßen Sie doch gewiss, wie heute, auf manche außergewöhnliche Situation.“

Da ich nicht gesonnen war, mich dazu zu äußern, ließ ich die beiden ohne ein weiteres Wort weggehen - den stämmigen Polizisten und seine neue Anschaffung; eine Frau. Ich beschäftigte mich mit meiner Kamera und dachte nur: Hoffentlich sind die Aufnahmen scharf geworden und zeigen euch so, wie ihr seid, ohne Schmeichelei.

Nun sind drei Wochen seit jenem ereignisreichen Dienstag vergangen, und mir bleibt nur noch ein Tag meines einwöchigen Urlaubs vom Atelier MARKO, um diese Geschichte zu Ende zu schreiben. Am Sonnabend muss ich wieder vor dem Standesamt sein: fünf Trauungen sind angesetzt, zwei am Vormittag und drei am Nachmittag. Sie irren, wenn Sie glauben, die Begegnung mit Miss Brennan - ich nenne Jenny weiterhin bei ihrem Mädchennamen, denn ich habe nie erfahren, wie der Polizist heißt - hätte mich veranlasst, wieder zur Feder zu greifen. Nein, es ist die Erschaffung des Richard Hamilton, die mir den Mut dazu gab. Das wundert Sie gewiss. Aber ich will Ihnen der Reihe nach erzählen, wie es dazu kam.

Als Jenny und ihr Konstabler weg waren, lieferte ich den belichteten Film im Atelier ab und fuhr dann nach Hause, da ich an diesem Tage nichts mehr zu tun hatte. In der Straßenbahn zerbrach ich mir den Kopf, wie dieser Polizist wohl die Englischlehrerin kennengelernt haben mochte - er war doch wirklich kein schöngeistiger Typ, im Gegenteil, ich hielt ihn für einen äußerst ungehobelten Kerl. Das brachte mich zum Nachdenken über die unergründlichen Wege der Frauen und über den Reiz, den rein physische Kraft auszuüben vermag. Denn etwas anderes als Kraft und Gesundheit war an ihm nicht zu entdecken. Ich nahm mir vor, mit meiner Mutter darüber zu sprechen, doch als ich nach Hause kam, wartete dort ein Geistlicher auf mich. Er stellte seine Tasse Tee ab, erhob sich und nannte seinen Namen - Reverend Lionel Harvey. Sekretär des Friedensrates des Staates Victoria. Er war ein kleiner Mann mit Brille, nicht größer als ich, aber er hatte eine überraschend volltönende Stimme.

„Mister Humphreys", fuhr er fort, „Ihre Frau Mutter hat mir freundlicherweise gestattet, hier auf Sie zu warten. Ich bin mit einem besonderen Anliegen zu Ihnen gekommen, und wenn Sie mich angehört haben, werden Sie sicher nicht nein sagen.“

Als wir uns gegenübersaßen, erklärte mir der Reverend, er sei am Vormittag bei der Verhandlung vor dem Stadtbezirksgericht gewesen und habe sich dort meinen Namen und meine Adresse geben lassen. Dann brachte er sein Anliegen vor: Wäre ich wohl bereit, vor aller Öffentlichkeit zu erklären, dass ich zu nur einem australischen Pfund für ein Vergehen verurteilt worden sei, für das Mitglieder des Friedensrates die zehnfache Summe zu zahlen hatten?

„Ich bitte Sie, mich am Sonntag zum Yarra-Ufer zu begleiten, wo ich darüber sprechen werde."

Nun, jeder, der weiß, dass das Yarra-Ufer in Melbourne ein viel besuchtes Forum ist, wo Vertreter religiöser Organisationen und politischer Parteien ungehindert Reden halten dürfen, wird meine Bestürzung begreifen.

„Das werde ich auf gar keinen Fall tun, Reverend Harvey", entgegnete ich, aber er war hartnäckig. Wäre ich denn nicht auch der Meinung, dass die heute Vormittag ausgesprochenen Strafen entschieden zu hart gewesen seien, dass der Richter voreingenommen gewesen und dass es auf jeden Fall ausgesprochen unchristlich sei, von einem Vergehen zu reden, wo jeder der Verurteilten doch nichts anderes getan habe als seine menschliche Pflicht?

„Ich war in Hiroshima, Mister Humphreys. Und ich kann nicht stillschweigend zur Kenntnis nehmen, dass Menschen, die gegen die Atomwaffen auftreten, so hart bestraft werden.“

Je mehr Einwände ich vorbrachte, desto leidenschaftlicher redete er auf mich ein, bis ich schließlich nachgab - mehr um ihn loszuwerden als aus irgendwelchen anderen Gründen.

„Also gut, ich gehe mit Ihnen, wenn Sie mich nicht unter meinem wirklichen Namen vorstellen, sondern unter dem Namen Richard Hamilton.“

Daraufhin zögerte er einen Augenblick mit der Antwort, seufzte, wandte sich ab und blickte mich dann wieder an. „Welche Auswirkungen befürchten Sie, wenn Ihr wirklicher Name genannt wird?"

„Gar keine", erklärte ich, „ich möchte einfach nicht als Humphrey Humphreys vor die Öffentlichkeit treten, sondern als Richard Hamilton - unter diesem Namen habe ich ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht."

„Ich verstehe", sagte er. „Nun gut, wenn das Ihr Wunsch ist! Jedenfalls danke ich Ihnen, Mister Humphreys."

Und so kam es, dass ich am folgenden Sonntag in dem blauen Anzug, für den Mr. Markowitz mir das Geld vorgestreckt hatte, am Yarra-Ufer auf der Rednertribüne neben Reverend Harvey Platz nahm, der mich der wartenden Menschenmenge als Richard Hamilton vorstellte. Seine volle Stimme, durch ein Mikrofon verstärkt, hallte über den weiten Platz. Einen Augenblick lang glaubte ich Jennys Mann zu sehen - ein stämmiger Polizist stand im Schatten eines Baumes. Mein Herz begann schneller zu schlagen, aber die Würfel waren gefallen - zu spät, mich in die Anonymität zurückzuziehen. Also ergriff ich das Mikrofon und bestätigte, was Reverend Harvey eben gesagt hatte.

„Meine Damen und Herren“, begann ich, und die Lautsprecher warfen meine Stimme zu mir zurück, „es trifft vollkommen zu, dass ich am vergangenen Dienstag vormittags vor dem Stadtbezirksgericht erscheinen musste und wegen Behinderung von Fußgängern in der Stadt und Verteilung von Geschäftskarten, die man gegebenenfalls auch als Flugblätter bezeichnen kann, mit einer Strafe von nur zwanzig Shilling belegt wurde. Das ist alles, was ich zu sagen habe. Ich danke Ihnen."

Wirklich, ich konnte keine Spur von Geringschätzung auf den vielen mir zugewandten Gesichtern entdecken, niemand schien über die Art, die Kürze oder den Ausdruck meiner Rede oder über meine Person belustigt zu sein. Trotzdem glaube ich immer noch (und bisher bin ich durch nichts eines Besseren belehrt worden), dass die Sache anders verlaufen wäre, wenn man mich als Humphrey Humphreys vorgestellt hätte.

Deshalb meine ich, Richard Hamilton sollte fortan der Name sein, mit dem ich der Welt entgegentrete!

Wo ist Tommy?

Der Leiter der Wäscherei sah uns beide prüfend an, stellte ein paar Fragen, dann nickte er mir zu, ihm in sein Büro zu folgen. Ich erkannte sofort, dass er zu dem harten, herrischen Typ gehörte, und er missfiel mir auf den ersten Blick.

„Sie scheinen den Job nötiger zu haben als der andere“, sagte er unverblümt zu mir. Ich hatte nichts darauf zu antworten. Ich trug meine alte Armeeuniform, braun gefärbt und von einem Schneiderlehrling in so etwas wie einen Anzug umgeändert. Der andere Bewerber war in guten neuen Sachen erschienen, er hatte keine Enttäuschung gezeigt, als er abgewiesen wurde.

Ich erklärte, dass ich bei der Armee Lastwagenfahrer gewesen sei und jetzt eine zivile Fahrerlaubnis besäße. Daraufhin warf der Boss ein Bund Autoschlüssel auf den Tisch und sagte, ich könnte auf Probe anfangen. Wenn ich meine Arbeit zufriedenstellend ausführte, würde er das Seine tun, um meinen festgesetzten Lohn um ein oder zwei Pfund zu erhöhen.

„Sind Sie verheiratet?“, erkundigte er sich, und als ich bejahte, fügte er hinzu: „Das ist ein Segen! Unser letzter Fahrer war Junggeselle, das hat ihm eine Menge Ärger eingebracht.“

Dann ließ er mich ein paar Minuten allein, und ich sah mir die an der Wand hängende Karte von Melbourne genau an. Die Vororte South Yarra, Prahran, Windsor und St. Kilda waren mit roter Tinte abgegrenzt. Blaue, rosa, gelbe und grüne Stecknadeln bezeichneten jeweils die Straßen, in denen Wäsche abgeholt und geliefert werden musste. Ich zählte die Stecknadeln. Es waren zweiundsiebzig, ich würde also mehr als genug zu tun haben, wenn ich das alles an einem Tage schaffen wollte. Jetzt war es neun Uhr. Mir blieben also kaum sechs Stunden für diese Arbeit.

„Tommy war mit der Montagstour gewöhnlich um zwei Uhr fertig“, erklärte mir der Boss, als er zurückkam. „Dadurch hatte er immer noch Zeit, die Schmutzwäsche abzuladen und den Wagen wieder vollzuladen, sodass er dienstags, wenn die Fabriken an der Reihe sind, zeitig losfahren konnte.“

„Ich verstehe nicht, warum Sie einen so guten Mann entlassen haben.“

„Wer sagt denn, dass ich ihn entlassen habe?“, entgegnete der Boss. „Er hat sich selbst entlassen, ist einfach von einem Tag auf den anderen nach Sydney gegangen, ohne sich noch einmal umzusehen.“

„Vermutlich hatte er seine Gründe.“

„Natürlich hatte er seine Gründe!“ Er verzog das Gesicht zu einem vieldeutigen Lächeln.

Die Bedeutung dieses Lächelns wurde mir klar, als ich die bestürzte Frage des Mädchens hörte, das mir helfen sollte, den vor dem Hintereingang der Wäscherei stehenden Morris-Lieferwagen zu beladen.

„Wo ist Tommy?“

„Abgehauen, am Freitag“, teilte der Boss ihr mit.

„Das ist nicht wahr!“, rief sie aus und wurde um einen Schein blasser. Sie war etwa zwanzig, gut gewachsen, aber ihr Gesicht war bleich und aufgedunsen wie bei den meisten Wäscherinnen. Ihre Augen waren verschmiert mit Wimperntusche, die in dem Dampf weich geworden war.

„Warum ist er weg?“

„Was weiß ich!“, sagte der Boss. „Gewöhnen Sie sich lieber an den Neuen, Shirley.“

Sie warf mir einen flüchtigen Gruß hin, beachtete mich jedoch nicht weiter. Während sie die Pakete aus der Wäscherei brachte, bemerkte ich, wie sehr Toms Weggehen sie beunruhigte. Ich weiß nicht, ob sie Tränen oder Schweißtropfen abwischte, als sie sich mit der Schürze über die Wangen fuhr, ich weiß nur, dass sie einmal ins Haus stürzte und mit schriller Stimme ausrief: „Tommy ist weg!“ Danach arbeitete sie verbissen, ohne ein Wort zu sprechen, bis der Wagen beladen war.

„Wie war doch gleich Ihr Name?“, fragte sie, als ich bereits vor dem Lenkrad saß.

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, Ihnen meinen Namen zu sagen“, erwiderte ich gelassen. „Nennen Sie mich Frank, das genügt.“

„Also, Frank“, fuhr sie fort, „liefern Sie diese Pakete nach den Farben der Stecknadeln ab, dann kann nichts schiefgehen: blau für South Yarra, rosa für Prahran, gelb für Windsor und grün für St. Kilda. In dieser Reihenfolge. Die Straßennamen und die Hausnummern stehen auf den Lieferscheinen.“

„Danke.“

„Schon gut“, entgegnete sie, „aber merken Sie sich das lieber gleich. Noch einmal kann ich's Ihnen nicht erklären.“

„Heißt das, Sie wollen hier aufhören?“

„Ich weiß noch nicht, was ich tun werde“, sagte sie, drehte sich schnell um und ging mit hängenden Schultern in die Wäscherei zurück.

Ich ließ den Motor an und fuhr langsam aus der Seitenstraße heraus in die Commercial Road. Die Arbeit, der Verkehr und der Zustand des Lieferwagens beanspruchten meine ganze Aufmerksamkeit, daher zerbrach ich mir nicht weiter den Kopf darüber, was für Beziehungen wohl zwischen dem Mädchen und meinem Vorgänger bestanden hatten. Sehr schnell entdeckte ich, dass die Kupplung schleifte und dass ich die Geschwindigkeit nur erhöhen konnte, indem ich den Gashebel durchtrat. Bei dem schlechten Zustand der Fußbremsen wagte ich nicht, höher als bis zum zweiten Gang zu schalten, aus Angst, ein Verkehrslicht zu überfahren. Und als sich herausstellte, dass die Handbremse überhaupt nicht funktionierte, verfluchte ich diesen Tommy ohne Hemmungen. Der Kerl hatte den Lieferwagen ja großartig in Schuss gehalten! Jedes Mal, wenn ich auf einer Steigung zu starten versuchte, rollte ich zurück, gefährlich nahe an die Fahrzeuge heran, die sich hinter mir stauten. Die Autofahrer hupten, die Polizisten an den Kreuzungen pfiffen, und ich war bald in Schweiß gebadet. Dieser verfluchte Tom hat sich aus dem Staub gemacht, bevor es ihn bei einem Zusammenstoß erwischte, dachte ich mehr als einmal, und der ersten Hausfrau, die sich erkundigte: „Wo ist denn Tommy heute?“, antwortete ich, er verstecke sich vermutlich vor der Verkehrspolizei.

„Was für ein Unsinn!“ entgegnete die Frau mit unerwarteter Heftigkeit. „Sie kennen ihn nicht, sonst würden Sie nicht so einen Blödsinn reden. Tommy versteckt sich vor niemandem, das lassen Sie sich gesagt sein!“ Damit knallte sie mir die Tür vor der Nase zu, und ich verstaute ihr Bündel Schmutzwäsche im Wagen.

Du wirst vorsichtiger mit deinen Antworten sein müssen, überlegte ich, während ich die Punt Road entlang zur High Street in Prahran fuhr. Ohne Zweifel hat dieser Tom die Frauen auf seiner Seite!

Als ich mit dem Vorort Windsor durch war, hatte man so oft nach ihm gefragt, dass ich mich nicht länger über den Zustand des Lieferwagens wunderte: Tom hätte mehr Arme als ein Krake haben müssen, um Zeit für Reparaturen zu finden, denn er war offensichtlich vollauf damit beschäftigt gewesen, sich bei den Kundinnen beliebt zu machen.

Ich hatte ungefähr fünfzig von meinen Paketen abgeliefert, etwa genauso viele Bündel Schmutzwäsche in Empfang genommen, als es zwei Uhr schlug. Mindestens zwanzig Adressen in St. Kilda musste ich noch schaffen. Meine Nerven waren äußerst gespannt, weil ich immer wieder nur um Haaresbreite einem Zusammenstoß entging. Außerdem hatte ich Hunger. Meine Kehle war ganz ausgedörrt vom vielen Fragen nach dem Weg zu versteckten Seitengassen und vom ständigen „Wäsche!“-Rufen vor den Haustüren der Villen und in den Hinterhöfen der Mietshäuser. Dazu kam noch, dass ich nicht sicher war, ob mein Geld auch stimmte. Denn natürlich musste ich nicht nur die schmutzige Wäsche mitnehmen, sondern auch kassieren. Der Boss hatte mir eine Umhängetasche gegeben, wie sie die Straßenbahnschaffner tragen, und Wechselgeld für ein Pfund. Der Riemen schnitt mir in die Schulter, so schwer waren die Münzen, die ich bisher eingenommen hatte. Da hast du ja einen großartigen Job erwischt, dachte ich mit der Zeit, während ich allmählich einen widerwilligen Respekt für meinen Vorgänger in mir wachsen fühlte.