Unter dem wechselnden Mond - Walter Kaufmann - E-Book

Unter dem wechselnden Mond E-Book

Walter Kaufmann

4,5

Beschreibung

In diesem Buch zeigt sich ein Meister der Short Story. In insgesamt 18 Geschichten entführt Walter Kaufmann seine Leser auch nach Übersee, erzählt von Seeleuten und Glückspielern, Gewerkschaftern, Schiffsoffizieren und von Frauen. Seine Shortstorys erlauben Einblicke in dramatische und schöne, kämpferische und liebevolle Momente des Lebens, zeigen Menschen, die stark sind, Menschen, die scheitern, Menschen, die plötzlich mit Ereignissen in ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Die ausgezeichnet erzählten Shortstorys von Walter Kaufmann sind exotisch und zugleich alltäglich, abenteuerlich und spannend, erzählen von Menschen in außergewöhnlichen Situationen. „Es reizte ihn, dass die Deutsche Demokratische Republik in Ansteys Vorstellung von Europa überhaupt nicht zu existieren schien. Schließlich, dachte er, war der Entschluss, dorthin überzusiedeln, die wesentlichste Entscheidung meines Lebens - er könnte wirklich etwas Interesse zeigen, und sei es auch nur aus persönlichen Gründen. Er hätte Anstey gern erzählt, wie sich sein schneller Aufstieg vom Matrosen zum Kapitän vollzogen hatte, ohne zu verschweigen, auf welche Schwierigkeiten er gestoßen war und wie er in vielem hatte umdenken müssen - der Aufbau einer neuen Handelsflotte stellte die Menschen vor große Probleme. Aber was Noack auch über sein Leben seit seiner Abreise aus England zu berichten versuchte - es drang kaum in Ansteys Bewusstsein, sodass er es bald aufgab.“ INHALT: Home, sweet home Mitternachtsfahrt Ruf der Inseln Kein Platz auf dieser Welt Feuer am Suvastrand Flucht ins Gewöhnliche Die rote Rose Die Zähmung des Patrick Mullligan Nacht ohne Morgen Kapitulation Der Fluch von Maralinga Unter grausamer Sonne Die Erschaffung des Richard Hamilton Der Witz des Jahres Wo ist Tommy? Der Inspektor Dilemma Eva

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Impressum

Walter Kaufmann

Unter dem wechselnden Mond

ISBN 978-3-86394-566-4 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1968 im Hinstorff Verlag Rostock.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Foto: Barbara Meffert

Übersetzung aus dem Englischen: Helga Beranek-Zimnik

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Home, sweet home

Beide hätte ich in meinem Pokerklub brauchen können - den einen als Rausschmeißer, den anderen zum Schmierestehen. Aber darüber war mit ihnen nicht zu reden. Vor dem Unfall erwiderten sie mir stets, sie seien Seeleute und wollten es auch bleiben. Als ob es unter ihrer Würde wäre, sich auf bequemere Art ein paar Pfund zu verdienen. Seeleute - zum Lachen! Außer bei gelegentlichen Bergungsarbeiten war keiner von ihnen weiter aus dem Hafen herausgekommen als ein Hafenschlepper oder ein Baggerkahn. Schwimmende Landratten waren sie, weiter nichts, Decksmänner von Gnaden der Melbourner Hafenverwaltung, Seeleute nur, weil irgendein Gewerkschaftsfunktionär auf Draht war.

Na gut, das juckte mich nicht! Von mir aus konnten sie sich „Sindbad der Seefahrer" nennen, bis sie blau anliefen, solange sie mir nicht die Polente auf den Hals hetzten. Ich hatte ihnen nämlich zu viel über mich erzählt. Das war entschieden ein Fehler gewesen! Sie wussten, dass ich Buck Richards heiße und mir als amerikanischer Matrose ein paar Jährchen den Wind zwischen Frisco und Japan, Indonesien und Australien hatte um die Ohren wehen lassen. Das ging noch an. Doch dass ich nach einem mächtigen Krach mit dem Ersten Offizier auf Nimmerwiedersehen von meinem letzten Dampfer verduftet war, hätte ich besser für mich behalten sollen. Und schon gar nicht hätte ich ihnen unter die Nase reiben dürfen, dass ich es eigentlich überhaupt nicht nötig habe, den Handlanger auf einem Schleppkahn zu spielen, und dass ich nur bei der Hafenverwaltung arbeite, um meine Spur zu verwischen. Die beiden waren mit dem Verein verheiratet und wollten unbedingt dabeibleiben, bis sie Rente bekamen, und natürlich passte es ihnen nicht, dass so einer wie ich sich da reindrängte und einen Teil der Prämien für die Bergungsarbeiten einheimste.

„Blödsinn“, versicherte ich ihnen immer wieder. „Die meisten Wracks werden nachts hereingeholt, da habe ich was Besseres zu tun, als auf See herumzugondeln.“

Trotzdem betrachteten sie mich mit Misstrauen - ich fuhr einen schnellen Wagen, trug elegante Anzüge und besaß eine moderne Wohnung in St. Kilda, wie sie wussten. Und dann mein Pokerklub in der Flinders Lane! Für sie war ich ein Schandfleck für die Hafenverwaltung, ein Mann, der mit einem Bein im Zuchthaus stand. Wie zwei alte Weiber lagen sie mir in den Ohren: „Überlass deinen Arbeitsplatz jemandem, der ihn braucht!"

„Kann mir nicht leisten, so eine verdammt gute Jalousie hochzuziehen", erklärte ich ihnen.

Aber sie hörten nicht auf zu drängen: „Mach endlich Schluss hier, Mensch!"

Wie Zwillinge stimmten sie in allem überein - aus Opposition gegen einen dritten. Dabei konnte man sich ein ungleicheres Paar kaum vorstellen: Hugh Stanley war ein wahrer Hüne, muskulös wie ein Ringer, während Alec Sikes zum Umblasen dürr war. Obwohl sie schon fast sieben Jahre zusammen arbeiteten, gerieten sie sich ständig darüber in die Haare, wie man ein Schlepptau festmacht oder eine Wurfleine an Land befördert - kurz, über jeden nautischen Trick. Wahrlich, prächtige Seeleute!

Übrigens, das mit dem In-die-Haare-Geraten ist rein literarisch zu verstehen. Weder Hughs kurz geschorene Bürste noch Alecs drei Strähnen, die sich wie dünne Pinselstriche über seinen Schädel zogen, eigneten sich dazu. Außerdem fing Hugh selten mit der Ankratzerei an. Gewöhnlich war es Alec, der bei jeder Gelegenheit wie ein Terrier kläffte: "Hugh! Die Spring holt über Eck, die Lippe bricht aus! - Die Leine steht auf Kraft, stopp sie ab! - Führ das Auge um den Poller!“ Oder: „Verdammt noch mal, Hugh, halt den Eimer auf Kurs, du landest uns alle noch in den Dreckl“

Wirklich, der mickrige Alec hetzte seinen Partner schlimmer herum als ein Liverpooler Bootsmann eine indische Besatzung. Dabei war er mit seinen einunddreißig zwei Jahre jünger als Hugh, Wenn jenseits der Hobsons Bay der Schlamm ins Meer gelassen werden musste, schwang Hugh den schweren Hammer, um die Flügelschrauben von den Falltüren zu schlagen. Er drehte auch die Winschkurbel, wenn die Falltüren wieder hochzuleiern waren. In der Zeit zwischen den Ruderwachen trabte er an Deck herum und schrubbte die Planken mit Meerwasser, das er in einer Schlagpütze aufholte. Sogar in der Mittagspause, wenn sie wieder am Ann Street Pier lagen, forderte Alec: „Brat ein anständiges Steak, Hughie, und gib ordentlich Zwiebeln dran, hörst du?"

Hugh hätte Alec mit einem Hieb seiner Pranke sämtliche Knochen brechen können, aber nein, er gehorchte stets. Höchstens, dass er manchmal vor sich hin brummte wie ein gekränkter Bär. aber nie ging er so weit, Alec auch nur anzutippen. Es war ein Bild für die Götter, wie dieses mickrige Kerlchen diesen Schrank von einem Mann herumkommandierte. Dabei war Hugh durchaus kein Trottel. Ich fand ihn nicht halb so tollpatschig, wie Alec ihn hinstellte - er war fleißig und keineswegs ungeschickt. Das Verhältnis zwischen den beiden blieb mir unverständlich, bis ich erfuhr, wie es zustande gekommen war: Hugh Stanley war ein ehemaliger Zuchthäusler, und Alec hatte ihm Arbeit und ein Dach überm Kopf verschafft.

Nun wurde mir auch klar, warum ich besonders für Hugh eine Gefahr bedeutete. Ich stand mit dem Gesetz auf Kriegsfuß, und wenn mich die Polente eines Tages schnappte, könnte sie auch auf ihn stoßen und ihn wieder dorthin befördern, woher er gekommen war. Hugh war kein Gewohnheitsverbrecher. Aber er hatte einen Menschen umgebracht - bei einer Prügelei hatte er zugeschlagen, ohne das Ausmaß seiner Kraft richtig einzuschätzen. Er wurde wegen Totschlags verurteilt, und nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wollte nicht einmal seine Mutter mehr etwas von ihm wissen. Arbeitslos hafte er auf der Straße herumgelungert und auf Parkbänken geschlafen, bis er Alec Sikes begegnete. Alec hatte zwar niemals gesiebte Luft geatmet, aber auch von ihm wollte niemand etwas wissen, denn er war streitsüchtig, und es war schwer auszukommen mit ihm. Gewiss freundete er sich nicht aus Herzensgute mit Hugh an, sondern weil er Vorteile für sich witterte: Dieser Hüne war der richtige Arbeitsgaul und obendrein eine massive Rückendeckung für ihn. Er nahm Hugh in seinem Zimmer auf, in einer Pension irgendwo in Williamstown, und schließlich überredete er Joe Macnamara, den Boss vom Ann Street Pier, ihn als Decksmann einzustellen.

In der gleichen Nacht, in der Alecs Wirtin Näheres über Hugh Stanleys Vergangenheit erfuhr und ihn mitsamt seinen Klamotten auf die Straße setzte, strandete auch ein Kutter in der Nähe der Leuchtbojen von Gelibrand. Macnamara hatte die beiden der Schlepperbesatzung zugeteilt, die den alten Eimer reinholte. Glück im Unglück, wie man so sagt. Wenn ihnen das auch nicht gerade ein Vermögen einbrachte - ein Kutter ist schließlich kein Frachter -, so erhielten die beiden nach der Bergung immerhin eine so hohe Prämie, dass sie ein paar Wochen später den bloßen Schiffsrumpf bei einer Auktion erstehen konnten.

„Ohne Maschine ist er ja nicht viel wert“, sagte Alec, dessen Idee der Kauf gewesen war, „aber wenigstens kann dich jetzt keine dämliche Zimmervermieterin mehr rausschmeißen.“

„Da hast du recht", antwortete Hugh erleichtert. „Und ich werd uns ein Heim aus dem Pott machen, überlass das nur mir!“

Und Hugh hielt Wort. Er muss wie ein Sklave geschuftet haben, um das schäbige Wrack in ein Hausboot zu verwandeln. Ich traute meinen Augen nicht, als ich es sah. Sie hatten den Schiffsrumpf den Yarra-Fluß hinunterschleppen lassen und zwischen Williamstown und Melbourne festgemacht. Außenbords war er dunkelgrün gestrichen, und am Bug leuchtete in gelben Buchstaben der Name SANCTUARY. Das halb abgesägte Bugspriet stützte jetzt eine massive Holzplattform mit einer Plane, die einen Tisch und Stühle überdeckte. Der Mast war entfernt worden, um mehr Platz an Deck zu schaffen, und das ehemalige Logis, jetzt mit Betten, Schränken und Rohrsesseln ausgestattet, war mit einer Wochenendlaube vergleichbar. Das Kabelgatt war so eingerichtet, dass man dort mit Regenwasser duschen konnte, und die Kombüse mit Herd und Kühlschrank sah aus wie eine richtige Küche. Decks und Schotten waren blitzblank gescheuert, und alle Metallbeschläge glänzten wie neue Münzen, Da die Liegegebühr kaum der Rede wert war, wohnten die beiden praktisch mietfrei. Es war wirklich ein Sanktuarium, eine Zufluchtsstätte.

Daran dachte ich bei meinem Besuch allerdings kaum, denn mich ließ ein Gedanke nicht mehr los: Das war der ideale Platz für meinen Pokerklub - nicht weit weg von der City und viel sicherer vor der Polizei als der Schuppen hinter dem Lagerhaus in der Flinders Lanel. "Hättest du nicht Lust, noch fünfzig Pfund die Woche nebenbei zu kassieren?“, fragte ich Alec so gleichgültig wie nur möglich.

"Dumme Frage!“ Alec musterte mich argwöhnisch.

"Hast recht“, gab ich zu. „Zweihundert Lappen monatlich liegen nicht im Hafen rum."

"Kaum“, bestätigte Alec, „was müsste ich dafür tun?“

Ich erklärte es ihm. Er zögerte mit der Antwort, doch ich sah, wie er rechnete. Aber bevor er etwas sagen konnte, hatte mich eine Hand am Hemd gepackt, ich wurde zur Seite gestoßen, dann nach vorn gezerrt, bis mein Gesicht fast das von Hugh berührte. Er atmete schwer, mit offenem Mund. Seine blauen Augen starrten mich an, als wäre ich ein Ungeheuer aus einem Gruselfilm,

"Buck!", drohte er, „das lässt du bleiben.“

"Was soll ich bleiben lassen?", fragte ich. Er hielt mich immer noch am Hemd fest, und als ich mich loswand, riss der Stoff zwischen meinen Schulterblättern. „Sieh dir die Bescherung an, du Tölpel", fluchte ich, „Zieh Leine und steck deinen Kopf in die Schlagpütz.“

Er trat auf mich zu. Ich wich zurück und sah mich nach einer Schlagwaffe um.

„Hier machen sich keine verfluchten Spieler breit, auf meinem Eigentum nicht!", brüllte er wie ein wütender Hausbesitzer. "Alec, erklär ihm, dass wir sein dreckiges Geld nicht brauchen.“

„Wem gehört der Pott eigentlich?", fragte ich.

„Uns gehört er“, schrie Hugh, „mir und Alec. Und es ist kein Pott, sondern ein Heim. Verschwinde, bevor ich dich in den Bach schmeiße!"

„Alec!", rief ich, aber da sich der spillrige Kerl nicht rührte, zog ich mich zum Laufsteg zurück und setzte die Diskussion von dort aus fort. „Na, was ist, Alec?“

„Wir sind keine Falschspieler“, schrie Hugh außer sich, „Wir sind Seeleute und bleiben Seeleute!"

„Du kannst ja nicht mal eine Leine vom Spill zum Poller verschiffen, du Riesenross!“, fuhr ich ihn an, jetzt selbst erregt. „Alec!“, wiederholte ich und rührte mich nicht vom Laufsteg weg.

Aber Alec schwieg.

Mein Angebot hatte ihn zweifellos gereizt, aber jetzt hielt er zu Hugh. Ich hatte Hugh beleidigt, und das stand nur ihm zu.  _

„Verpiss dich!", erklärte er.

Es war zwecklos, die Sache weiter zu betreiben. Ärgerlich wandte ich mich um. stopfte mein zerrissenes Hemd in die Hose und stieg an Land.

Doch der Gedanke, das Hausboot zu mieten, ließ mir keine Ruhe mehr, und in den folgenden Wochen gab ich mir redlich Mühe, die beiden weichzumachen. Ich wusste, dass ich ihnen als Seemann einiges voraushatte, also legte ich mich Ins Zeug. Jedes Mal, wenn der Boss auftauchte. fand er mich eifrig bei der Arbeit, und bald war es Buck Richards und nicht Hugh oder Alec, der gerufen wurde, wenn was Besonderes anlag. Ich zeigte mich sogar bereit, Überstunden zu machen, wenn die Wahl zwischen mir und ihnen stand. Und so dauerte es dann auch nicht lange, bis die beiden auf den Grundlohn zurückgesetzt waren und Heringe zu Mittag essen mussten statt Steaks.

Die Dinge spitzten sich schneller zu, als ich erwartet hatte: Bereits vierzehn Tage später führte Joe Macnamara Hugh und Alec wieder als Decksmänner in den Lohnlisten und nicht wie bisher als Leichtmatrosen. Das bedeutete eine weitere Verkürzung ihrer Heuer, und sie begriffen allmählich, dass es ernst wurde. Da sie keine Matrosenbriefe besaßen, mussten sie sich fügen, ob es ihnen passte oder nicht. Diese Dummköpfe!

„In meinem Pokerklub treiben sich immer ein paar erfahrene Vollmatrosen herum", sagte ich eines Tages zu Alec, „Burschen, die sich gern mal in der Hafenverwaltung die Zeit vertreiben würden!"

„Wer sich bei dir rumtreibt, hat kein Gewerkschaftsbuch", gab Alec zurück,

„An deiner Stelle wäre ich da nicht so sicher", erwiderte ich. „ich glaube, wenn die sich bewerben, setzt Joe Mac euch aufs Trockene.“

„Du Hundesohn!“, fluchte Alec, aber ich sah, dass er beunruhigt war. Plötzlich schien er einen Einfall zu haben. Seine grünlichen Augen verengten sich vor Hass, als er drohend hervorstieß: „Ich verpfeif dich an die Polente!" Das hatte ich erwartet, und so ließ ich ihn wissen, dass Zinker in Australien unerhört beliebt seien. „Sie sterben selten an Altersschwäche, verstehst du?“

„Was willst du damit sagen?“, fragte er.

„Ich hab von Leuten gehört, die mit durchlöchertem Schädel im Yarra-Fluß schwammen", erklärte ich ihm. „Und nie hat jemand herausgekriegt, wie ihnen so was passieren konnte. Es wäre wesentlich gesünder für euch, mit mir zusammenzuarbeiten. Und profitabler!"

Er knurrte wie ein Tier in der Falle, dann kratzte er sich mit der hornigen Hand am Hals.

„Hughie!", rief er, „komm mal her."

Aber auch diesmal scheiterten meine Pläne am Widerstand des Hünen. Er schüttelte heftig den Kopf.

„Nur über meine Leiche!“, beharrte er.

„Wer weiß", erwiderte ich böse. .Je größer der Mann, desto härter der Fall."

Damit ließ ich die beiden stehen und spleißte eine Gei ein.

Als wären meine Worte prophetisch gewesen, brach sich Hugh Stanley zwei Tage später den linken Oberschenkel. Er hatte von einem längsseits anlegenden Schleppkahn auf das Deck eines Baggers springen wollen, war dabei ausgeglitten und fast in den Hafen gefallen. Bevor er seinen schweren Körper hochhieven konnte, hatte ihn der treibende Kahn erfasst und gegen den Bagger gequetscht. Wir hörten sein Gebrüll und sahen gerade noch, wie er von einem halben Dutzend Armen in Sicherheit gebracht wurde. Als sie sein linkes Hosenbein aufschnitten, gab es über die Art der Verletzung keinen Zweifel. Hugh stöhnte grässlich. Vier kräftige Männer packten zu und trugen ihn an Bord eines Schleppers, der ihn zu den Victoriadocks brachte, von wo aus man ihn ins Krankenhaus transportierte.

Er tat mir leid, aber ich hütete mich, Alec etwas davon merken zu lassen.

„Er wird wohl eine Weile ausfallen“, sagte ich bloß. Aber ich muss zugeben, dass ich sofort überlegte, wie ich Alec ohne seinen Partner meinem Angebot zugänglich machen konnte.

Alec schwieg, er sah mich nur an, als wäre ich an dem Unfall schuld.

„Ich hab ihn nicht über Bord gestoßen.“

„Nein”, gab er zu, „aber ein Wunder wär’s nicht gewesen bei dem Tempo, das du in der letzten Zeit vorgelegt hast.*

Daraufhin hielt ich es für besser, vorerst nicht von dem Hausboot zu sprechen. In den folgenden Tagen war Alec bedrückt wie ein Mensch bei einem Begräbnis. Es war niemand mehr da, den er tyrannisieren konnte, und er musste schuften wie nie zuvor. Es brachte ihn fast um, aber zu seiner Ehre muss ich sagen, dass er sich redlich abmühte, hauptsächlich, um Hugh den Arbeitsplatz zu erhalten. Er befürchtete zu Recht, dass Joe Macnamara Hugh durch einen anderen Mann ersetzen könnte, und wenn ich ein Wort gesagt hätte, wäre es sicher auch dazu gekommen. So weit wollte ich jedoch nicht gehen, ich kann hart sein, aber ich greife einem am Boden Liegenden nicht in die Tasche.

Es genügte, wenn Alec spürte, dass ich seine Sturheit nicht vergessen hatte: wenn die Wahl zwischen ihm und mir stand, machte ich die Überstunden, Das bedeutete zwar, dass ich ständig auf Trab sein und mich mächtig ranhalten musste, um meinen Pokerklub nicht zu vernachlässigen. Aber dafür hatte ich die Genugtuung, Alec zeigen zu können, woher der Wind wehte.

Überstunden bei der Hafenverwaltung sind die Chance, an einträgliche Bergungsarbeiten ranzukommen. Das bewies sich, als mir am Wochenende das stattliche Sümmchen von zweihundert Pfund in Aussicht gestellt wurde. Macnamara hatte mich als zusätzlichen Mann auf den Schlepper VIGOROUS geschickt, der einen in Seenot geratenen Kohlendampfer bergen sollte. Dem Schiff war nicht viel passiert - Ruderbruch, manövrierunfähig, und dann auf Grund gelaufen. Es hatte Schlagseite, als wir ankamen, aber es dauerte nicht lange, da schwamm der Eimer brav hinter unserem Schlepper her, und wir verdienten die Prämie praktisch mit der linken Hand. Ich konnte in derselben Nacht sogar noch meinem Hauptberuf nachgehen. Als Alec Sikes am Montag von unserem Glück erfuhr, erstickte er fast vor Wut. Sein wetterzerfurchtes Gesicht färbte sich aschgrau. Ich hatte ihm eine verdammt gute Beute vor der Nase weggeschnappt. Den ganzen Tag über ließ ich ihn nicht aus den Augen - er war imstande, mir ein Messer zwischen die Rippen zu jagen. Kurz vor Arbeitsschluss ergriff ich die Gelegenheit, ihm wieder einmal klarzumachen, dass man auch auf andere Weise Geld verdienen konnte.

"Leichter als Kaugummi gradebiegen", fügte ich hinzu.

Er verstand mich schon richtig. Ich merkte deutlich, wie die Treue zu Hugh seiner Geldgier erlag. Die Rückendeckung fehlte ihm, er biss sich auf die Lippe und sah mich unsicher an.

„Zweihundert Pfund im Monat, überleg's dir!“, fuhr ich fort und hielt ihm eine Schachtel Zigaretten hin. Er nahm eine.

„Also, was ist?", fragte ich.

Er zog den Rauch tief ein und blies ihn langsam heraus. «Okay“, knurrte er, ohne mich anzublicken, „abgemacht, du Gauner!“

Bloß gut, dass die Freude, mein Ziel endlich erreicht zu haben, mich nicht dazu verleitete, meinen Klub in der Flinders Lane zu schließen. Denn was sich bald darauf an Bord der SANCTUARY abspielte, übertrifft jede Vorstellung.

Nachdem ich Alec die ersten fünfzig Pfund ausgezahlt hatte - das konnte ich mir leisten, denn ich hatte mein Geschäft inzwischen zu einem Baccara- und Pokerklub erweitert und verkaufte geschmuggelten Whisky zu gepfefferten Preisen -, überführte ich die Hälfte meiner Poker spielenden Kunden auf das Hausboot. Sie fanden das famos, und nach zwei Nächten hatte ich fast das Doppelte meiner Auslagen kassiert. Das ermutigte mich, einen zuverlässigen Mann einzustellen, der meinen Schuppen in der Flinders Lane überwachte, damit ich nicht ständig in meinem Studebaker zwischen der SANCTUARY und der Flinders Lane hin- und herzusausen brauchte. Ich konnte nicht riskieren, mich für längere Zeit von dem Hausboot zu entfernen, weil ich befürchtete, Alec könnte kopfscheu werden. Die Kerle, die sich jede Nacht auf dem Hausboot breitmachten, gingen nicht gerade schonend mit der Einrichtung um. Und es genügte nicht, Alec umsonst trinken zu lassen und ihm immer mehr Geld zu versprechen. Ich musste ständig in seiner Nähe sein - immerhin hatte er mir einmal befohlen, mich zu „verpissen", und am liebsten hätte ich ihm dieselben Worte in die Visage gehaucht.

"Hör auf zu jammern!", fuhr ich ihn an. „Am besten, du verziehst dich in ein Nachtasyl, da kommst du wenigstens zum Pennen. Ich sorg hier schon für Ordnung. Und wenn was kaputtgeht, komm ich dafür auf.“

Aber darauf ging er nicht ein. „Nein", beharrte er, „ich bleibe an Bord. Die SANCTUARY gehört auch Hugh, vergiss das nicht! Wenn ich dich hier schalten und walten lass, ist das Boot hin, wenn er aus dem Spital kommt.“

„Wann glaubst du, werden sie ihn dort entlassen?", fragte ich.

„Jederzeit.“

„Jederzeit? Quatsch", entgegnete Ich. „Hugh bleibt mindestens noch einen Monat beim Knochenbrecher.“

Darin sollte ich mich gründlich geirrt haben. Am folgenden Samstag kurz vor Mitternacht, als die Stimmung der trinkfreudigen Spieler gerade den Höhepunkt erreicht hatte, kam eine Gestalt im Bademantel auf Krücken über den Laufsteg gehinkt. Mein Aufpasser, ein sechzehnjähriger Rowdy aus Fitzroy, war zu verblüfft, um den Eindringling sofort aufzuhalten, und als er sich in Bewegung setzte, war es schon zu spät. Hugh Stanley war bereits an Deck und brachte das Bürschchen mit einem einzigen Hieb zum Verstummen. Dann schleppte er sich zum Logis, riss die Tür auf und stand wie ein racheglühender Krieger vor uns.

In der Sekunde, bevor der Sturm losbrach, prägte sich mir sein Anblick ein: Seine Augen blickten furchterregend, das Gesicht war hochrot, der Schweiß rann ihm die Nase herab auf das vorstehende Kinn, und seine kurz geschorenen Haare standen steil wie die Stacheln eines Igels. Er atmete schwer von der Anstrengung, auf Krücken zu laufen und sich aufrecht zu halten, seine breite Brust hob und senkte sich. Mit zischender Stimme befahl er: „Raus mit euch! Raus mit euch allen!"

Das vergipste linke Bein hing an ihm herab wie ein schweres Gewicht, als er sich an den Türrahmen lehnte und eine Krücke hob. Bevor ihm jemand in den Arm fallen konnte, hatte er mit einem mächtigen Streich Flaschen, Gläser, Geld und Karten vom Tisch gefegt. Ich trage prinzipiell keine Waffe bei mir, aber so mancher meiner Kunden hat den Revolver griffbereit. Doch keiner muckste sich, auch nicht, als Hugh sich vorwärts bewegte, die Krücken fallen ließ, sich über den Tisch stürzte und die Köpfe der zwei am nächsten sitzenden Männer aneinanderstieß. Die beiden verlöschten wie Kerzen und fielen bewusstlos zu Boden.

„Na los", brüllte Hugh und öffnete und schloss seine Pranken, „kommt doch her!“

Keiner nahm die Herausforderung an. Alle fürchteten sich vor dem rasenden Hünen - ich auch, wie ich zugebe. Alle fürchteten sich und hatten gleichzeitig so etwas wie Mitleid mit ihm. Sie waren aufgesprungen und aus Hughs Reichweite an die entlegenste Wand geflüchtet - zwölf hartgesottene Spieler ließen sich von einem Mann in Schach halten, der nur auf einem Bein stehen konnte, aber von einem solchen Zorn besessen war, dass er fähig schien, sie alle umzubringen. Ein unheimlicher Anblick!

„Hughie!", piepste Alec aus einer Ecke, „um Gottes willen, Hughie!"

Hugh Stanley wandte langsam den Kopf und blickte vorwurfsvotl auf seinen Partner herab. „Alles wegen dem Geld", sagte er bitter, „alles wegen dem dreckigen, verfluchten Geld!“

Diese Erkenntnis schien seinen Zorn zu lähmen. Er war eher traurig als wütend. Er klammerte sich an den Tisch, stemmte mit Mühe seinen Körper hoch und sah Alec in die Augen. „Unser Heim! Und was hast du daraus gemacht?“

Hughs Opfer auf dem Boden kamen wieder zu sich, der eine tastete um sich und versuchte sich aufzusetzen. Ich musste ihnen endlich beistehen, sonst verloren meine Kunden jeden Respekt vor mir.

„Hugh!", rief ich, „das genügt. Zwei Mann hast du schon zusammengeschlagen. Wenn du so weitermachst, bringst du noch einen um - es wäre nicht das erste Mal, vergiss das nicht!“

„Ja", sagte Hugh gebrochen, „ich vergesse es nicht. Kannst ruhig herkommen, Buck, an dir mach ich mir nicht die Hände dreckig. Aber verschwindet, auf der Stelle!"

Ich trat zu den beiden Männern, sie hielten sich stöhnend die Köpfe. Hugh rührte sich nicht, nicht einmal, als einer der beiden sich über sein Gipsbein erbrach. Etwas in ihm war abgestorben.

„Raus mit euch, raus", sagte er nur immer wieder, während Alec die Krücken aufhob und sie ihm unter die Achseln zu klemmen versuchte.

Eine halbe Stunde später - die meisten meiner Kunden waren bereits verschwunden - hatten wir Hughs Opfer so weit aufgemuntert, dass wir ihnen an Land helfen konnten. An Deck wimmerte mein Aufpasser, der Fitzroy-Rowdy, in der Dunkelheit. Ich kümmerte mich nicht um ihn, er hatte nur seinen Lohn erhalten. Schließlich bezahlte ich ihn nicht fürs Maulaffenfeiihalten. Wir bugsierten die beiden Männer in meinen Studebaker und ich fuhr sie nach Hause.

Überflüssig zu sagen, dass keiner von uns jemals wiederdie SANCTUARY betreten hat. Vielleicht hätte ich Alec Sikes über kurz oder lang zum Schmierestehen bewegen können, aber mit einem Kerl wie Hugh Stanley konnte ich es nicht aufnehmen.

Mitternachtsfahrt

Um Mitternacht sollten die Anker gelichtet werden, hatte man ihm im Heuerbüro gesagt. Jetzt war es acht Uhr abends und dunkel. Vom Bahnhof aus konnte man im Licht der Kräne nur die Takelage des Schiffes sehen. Er warf seinen Seesack über die Schulter und ging die Schienen entlang zum Kai hinunter.

An Deck war niemand, aber von der Back her hörte er Gesang, laut, abgerissen und melancholisch. Am Kai unten war es still und finster, nur hinten am Tor las ein Wächter im Lampenlicht die Abendzeitung. Das Singen wurde lauter: „Ro-olling stone ..." Viele Stimmen jetzt, rau und ohne Zusammenklang.

Er ließ sein Gepäck an der Tür zur Back fallen und trat ein in den Lärm der Mannschaftsräume, ln der ersten Kammer links saßen vier Seeleute auf ihren Kojen und tranken aus Flaschen. An der Seite hockte ein alter Mann in braunem Anzug auf einem Koffer, vornübergesunken, das Gesicht in den Händen vergraben, mit bebenden Schultern. Niemand schien ihn zu beachten.

Der Ankömmling blieb in der Tür stehen und fragte nach dem Gewerkschaftsobmann. Das Singen brach unvermittelt ab, und die vier Männer musterten ihn. Ein Bursche mit rotem Haar und gebrochener Nase griff nach einer neuen Flasche, öffnete den Verschluss mit einem Geldstück und bot ihm das Bier an. Schaum rann an seiner sommersprossigen Hand hinab. „Der Obmann ist an Land“, sagte er. „Du hast gerade angeheuert?"

„Ja", bestätigte der Neue.

„Peggy?”

„Ja.“

„Ich bin Mick Callaghan. Das sind Tiny und Bruiser und Curly Connors. Der da auf dem Koffer ist unser alter Peggy. Er ist völlig fertig.“ Dann geradezu: „Wie heißt du?"

Er nannte seinen Namen, und die drei brummten die üblichen Begrüßungen.

„Großartiger alter Kasten das", bemerkte Curly Connors und wandte sich dann wieder seinem Bier zu.

„Hier ist's spannender als im Zirkus“, ergänzte Tiny, ein kräftig gebauter Mann mit arglosen blauen Augen. Bruiser spuckte aus und warf eine leere Flasche durch das Bullauge. „Man weiß nie, wohin der Pott fährt. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, erklärte er wütend. „Viele Männer vor dem Heuerbüro?“

Der Neue nickte. „Eine ganze Menge. Aber sie haben viel zu wenig Jobs.“

„Ja“, sagte Bruiser und lehnte sich auf seiner ungemachten Koje zurück.

Sie begannen wieder zu singen - das Lied von dem rollenden Stein und dann ein anderes über Irland. Mick teilte dem Neuen mit, dass er zusammen mit einem Schweden untergebracht sei, und sagte ihm, wo sich seine Koje befand. Er musste schreien, um sich über den Gesang hinweg verständlich zu machen. Der Neue dankte ihm für das Bier und ging, den Seesack hinter sich her schleifend, den Gang entlang. Auf der oberen Koje in der letzten Kabine lag schwer atmend ein völlig nackter Mann. Laken und Decken waren am Fußende der schmalen Koje zu einem Haufen zusammengeknüllt. Ein Bein des Mannes hing an der Seite herab wie das eines Toten. Der Neue schob das Bein zur Seite und setzte sich auf die untere Koje. Der über ihm stöhnte und drehte sich nach der Schott um. Die Ginflasche, die er umklammert hielt, fiel ihm aus der Hand, sodass der Schnaps über seinen Brustkasten und den muskulösen Arm entlang bis zu den Fingerspitzen floss. Plötzlich setzte er sich auf und starrte trunken auf die Flasche, die in seinen Schoß gerollt war. Er fluchte, suchte tastend nach einem Korken, drückte ihn in den Flaschenhals und fiel wieder zurück. Sein helles Haar schimmerte im Kojenlicht.

„Wie geht’s dem Peggy?“, murmelte er, ahnend, dass jemand in der Koje unter ihm war.

„Er ist noch an Bord", antwortete der Neue.

„So? Wo ist meine Hose?“

Er fand sie irgendwo auf der Koje, kramte in den Taschen und holte einen Geldschein und eine Handvoll Silber hervor.

„Gib das dem Peggy!"

„Der Peggy ist heute ausgezahlt worden."

„Peggys Heuer ist weg, geklaut oder so was", erklärte der Schwede. "Gib ihm das Geld und bring ihn an Land - und sag’s den anderen.“ Das Sprechen schien den Schweden erschöpft zu haben, sein Gesicht fiel ein und wurde wächsern. Mit offenem Mund begann er zu schnarchen.

Der Neue stand auf und ging zu den anderen zurück. „Hört mal, Jungs”, sagte er zu den vier Matrosen, „Peggys Heuer ist weg, wusstet ihr das?"

Ärgerlich über die Störung, sahen sie ihn verständnislos an.

»Was ist los?“, fragte Bruiser.

„Peggys Heuer ist weg."

„Seine Heuer ist weg? Sechzig Zehner Gespartes? Bist du verrückt?“

„Es stimmt. Der Schwede hat's mir gesagt.“

Mick Catlaghan stand schwankend auf und ging zu dem alten Mann, der immer noch, ein Bild des Jammers, das Gesicht in den Händen vergraben, auf dem Koffer saß. Mick rüttelte ihn so lange an der Schulter, bis er glaubte, etwas Vernünftiges aus ihm herausholen zu können.

„Wo ist deine Heuer?“, fragte er den Alten mehrmals. „Wo ist sie?“

Der alte Mann blinzelte und schüttelte traurig den Kopf. Halb nüchtern jetzt, erinnerte er sich, was geschehen war, und er machte ein Gesicht wie ein geprügelter Hund. „Wir waren unser vier", erklärte er, „zwei verschwanden. Der Schwede kippte um. Er weiß nichts. Ich auch nicht. Ich weiß nichts.“ Mehr sagte er nicht.

„Was wirst du jetzt machen?”, fragte Tiny mitfühlend, aber ratlos, „ich hab nichts."

Mick Callaghan schob seine Mütze zurück, kratzte sich am Kopf, und nach kurzem Zögern zog er den Schubkasten unter seiner Koje heraus, kramte in einem Hemd und fand zwei Pfundnoten.

„Also", sagte er, „Tiny hat nichts. Wie viel Geld hast du, Curly?“

„Vier Zehner“, antwortete Curly Connors.

„Gib her. Und du, Bruiser?"

„Von mir kriegt ihr nichts", erklärte der betrunkene Bruiser. „Wofür haltet ihr mich? Für das Wohlfahrtsamt? Er hätte mehr Verstand zeigen sollen."

„Lass das“, verwies ihn Mick mit fester moralischer Überlegenheit, „sonst bringe ich dir Verstand bei.“

„Du! Und wer noch?“

„Also, Bruiser, wie viel Geld hast du? Noch einmal frag ich dich nicht!“

„Ihr kriegt nichts.“

»Und du kannst in Zukunft alleine trinken." Damit wandte sich Mick von ihm ab.

„Wie viel hast du?", fragte er den Neuen.

„Einen Fünfer.“

„Gib her. Am Zahltag bekommst du ihn zurück. Er war kein schlechter Peggy, der Alte“, erklärte er, und dann leiser: „Wozu ist man in der Gewerkschaft, wenn nicht, um einem Kumpel zu helfen!“

Innerhalb einer halben Stunde hatte Mick über zwanzig Pfund von der Besatzung unter und auf Deck erbettelt oder erzwungen. Der alte Peggy saß die ganze Zeit über auf seinem Koffer wie ein verwirrtes Kind. Als Mick zurückkam, stopfte er die Geldscheine dem alten Mann in die Manteltasche und sagte in einem Ton, der für einen Zwanzigjährigen seltsam väterlich klang: „Komm, Tumbeler, wir beide gehen jetzt an Land.“

Sie stolperten zusammen aus der Back, gefolgt von dem neuen Peggy, der den Koffer trug. An Deck zurrten einige Männer der Besatzung die Ladebäume fest - dunkle, namenlose Gestalten, die sich im Schein der Kranlampen bewegten. Schwankend steuerten Mick und Tumbler auf die Gangway zu; der alte Mann stützte sich schwer auf den jungen Matrosen. Vor der Gangway trat ihnen der Erste Offizier in den Weg. „Callaghan“, rief er, „wo wollen Sie denn hin?“

„Ich bringe Tumbler an Land", erklärte Mick trotzig. „Wenn Sie das tun, trage ich Sie ins Logbuch ein“, sagte der Offizier. „Gehen Sie an die Arbeit. Was hat der überhaupt noch an Bord zu suchen?“

„Hören Sie, Mister“, entgegnete Mick, „ich bringe meinen Kumpel an Land. Genügt das?"

„Sie melden sich auf der Brücke.“

Mick schwang herum. Nur die Dunkelheit verhüllte seine Wut. „Mister, der Peggy wurde heute Nachmittag beraubt. Kratzt Sie das denn gar nicht? Seine ganze Heuer ist weg.“ Dann leise, ohne Zorn: „Komm, Tumbler, gehen wir weiter.“

„Callaghan!”, rief der Erste, aber er wurde durch einen Fluch unterbrochen. „Drück ein Auge zu, du Bastard!“ Bruiser war aus der Finsternis aufgetaucht, grob, klotzig, kriegerisch. „Sind Sie mit dem Pott verheiratet, Mister? Sie kriegen auch nur Heuer wie wir, vergessen Sie das nicht!"

„Sie melden sich auf der Brücke, McAllister!”, sagte der Offizier ruhig und wandte Bruiser den Rücken zu.

„Aber nicht jetzt.“ Bruiser entriss dem Neuen den Koffer des alten Peggy und lief stolpernd die Gangway hinunter hinter Mick und Tumbler her.

Einen Augenblick tauchte Bruiser in der Dunkelheit des Kais unter, aber seine Schritte waren deutlich zu hören. Am Tor, im Licht des Wärterhäuschens, sah man ihn wieder, neben Mick, der den alten Peggy stützend am Arm führte. Gemeinsam gingen sie langsam auf den Bahnhof zu.

Ruf der Inseln

Sie war nicht wie die anderen Töchter der Fidschi-Inseln, nicht so redselig; ruhiger, zierlicher, aber auch nicht so schön. Im Vergleich zu ihnen war sie mager, hatte eine viel dunklere, fast schwarze Haut, und ihr Gesicht war auf Stirn und Wangen von Blatternarben entstellt. Doch ihre Augen, die Augen ihrer Mutter, waren groß und leuchtend wie zwei stille Weiher in einer rauen Landschaft, und ihre Stimme, die Stimme ihres Vaters, war leise und sanft wie das Raunen des Windes in den Blättern der Palmen. Die Besatzung der „Rosa" kannte Caroline aus Suva und wusste, dass sie dem Seemann Keith Forrest gehörte, der in Sydney Frau und zwei Kinder hatte.

Keith Forrest ging nach mittschiffs und klopfte an die Kajütentür.

„HereinI“, rief der Erste Offizier.

„Kann ich heut nachmittag freihaben, Mister?“

Der Offizier blickte auf, zögerte. „Meinetwegen", antwortete er dann. „Seien Sie morgen früh zurück.“

„Es ist schwer, einem so guten Matrosen etwas abzuschlagen“, erklärte er dem Zweiten, als Forrest außer Hörweite war. „Außerdem ...“ Er machte eine Eintragung in den Arbeitsplan und ließ das übrige, das allgemein bekannt war, unausgesprochen.

Keith Forrest zog das Hemd und die verdreckte Arbeitshose aus und duschte. Das Wasser war lauwarm und nicht erfrischend; den ganzen Vormittag über hatte die Tropensonne auf die Wassertanks herabgebrannt. Während er übers Deck zu seiner Kajüte ging, ließ er sich von der Seebrise trocknen und abkühlen. Aus seiner Seemannskiste nahm er ein frisches Hemd und eine saubere Drillichhose und kleidete sich langsam an. Dann stieg er, ohne ein Wort mit jemandem zu sprechen, die Gangway hinunter und lief den Kal entlang zu den Toren. Eingeborene Händler umringten ihn, sobald er heraustrat. »Schönes Armband für Mädchen, schöne Muscheln, schöne Kette ..."

Sie hielten ihm die aufgereihten Muscheln lockend vors Gesicht, so nahe, dass Keith Forrest den Geruch ihrer dunklen Haut wahrnehmen konnte. Er blickte sich um. Und dann hörte er ihre sanfte Stimme - wie immer sprach sie seinen Namen falsch aus.

„Kei, o Keil!"

Der Matrose lächelte. Die Spannung in ihm löste sich, der suchende Ausdruck wich aus seinen Augen. „Caroline“, sagte er leise.

„Kei, o Kei!"

Das schienen die einzigen Worte zu sein, die sie kannte. Er berührte ihren Arm. Sie stand reglos, wie gebannt, nur ihre Augen umfassten ihn mit verzehrendem Feuer. „Komm, Caroline!“

Hand in Hand schlenderten sie über den belebten Marktplatz. Ein Zollbeamter musterte sie scharf, spuckte aus und wandte sich ab. Die Einheimischen sahen ihnen nach, als sie hinter den Verkaufsständen verschwanden und den Weg entlanggingen, wo Palmen in langer Reihe den Strand säumten und das dahinterliegende Grashüttendorf abgrenzten.

„Sa tabu", sagte ein Fidschi, „sa tabu, tabu ..."

Keith Forrest war ein hochgewachsener, ruhiger, gut aussehender Mann, dem die Frauen nachschauten, doch er hielt sich von ihnen fern. Er war fünfunddreißig Jahre alt und zwanzig davon auf Schiffen um die Welt gefahren. Vor zehn Jahren hatte er in Sydney eine Verkäuferin geheiratet, hatte um ihretwillen als Decksmann auf einem Schlepper angemustert und von der Reling aus zugesehen, wie die großen Überseedampfer den Hafen verließen und an den Riffen vorbei Kurs aufs offene Meer nahmen. Ein ganzes Jahr lang war er tagtäglich, die Arbeitstasche unterm Arm, mit einer holpernden Straßenbahn zum Hafen gefahren, und ein ganzes Jahr lang hatten der Verkehrslärm, die Neonlichter, die fieberhafte Unrast des Großstadtgetriebes ebenso an seinen Nerven gezerrt wie das eintönige Leben in seinem Häuschen mit den Küchengerüchen und der rostigen Badewanne und dem großen eisernen Bett, in dem er mit Agnes schlief. Und als das Jahr um war, hatte er gesagt: „Ich such mir wieder ein Schiff.“ - „Aber bei unserer Heirat hast du versprochen ..." - „Ich hab's versprochen, ich weiß", hatte er erwidert. „Aber ich kann nicht anders, Agnes!“ Damit war er gegangen und hatte sich auf dem ersten Frachter anheuern lassen, der Mannschaft suchte.

Jetzt lag Keith Forrest in der kühlen Grashütte auf einer Matte und sah zu, wie die Brecher regelmäßig an den gelben Strand schlugen. Fein wie Spitze schimmerte der Schaum im Sonnenlicht. Zwei nackte Fischer, dunkelbraun vor dem hellen Sand, rannten lachend am Wasser entlang, die Speere zum Fischfang in den erhobenen Händen.

„Na-i-yai-ya-na-ei ...“

Ihre Stimmen waren noch zu hören, als sie bereits außer Sichtweite waren. Einmal klang Lachen herüber, hell und triumphierend wie eine Glocke, und Keith Forrest sah vor seinem geistigen Auge einen silbrig glänzenden Fisch am Speer zucken.

Er wandte sich zu Caroline: „Frau -“

„Kei, ja."

„Komm her, ich will mit dir reden.“

Und er redete zu ihr, die alles und nichts verstand, sprach von al! den Dingen, die ihm im Kopf herumgingen: von Schiffen und Seeleuten, von Streiks und Schulden und Agnes’ leerem Leben, von trostlosen Straßen mit dicht aneinandergezwängten Häusern, die sich nur durch ihre Nummern unterscheiden, vom Ruß, der von den Gaswerken kommt und in jede Spalte dringt, und von dem Husten, den sein Jüngster nicht los wird, weil das Haus immer feucht ist, besonders im Winter.

"Was hältst du von einem Mann, der seine Frau im Stich lässt?“, fragte er plötzlich. „Keinen Dreck wert, eh?“ Caroline versuchte aus seinem Gesicht zu lesen, was für eine Antwort er hören wollte. Schließlich schüttelte sie ganz leicht den Kopf.

„Du hässliches, pockennarbiges kleines Ding“, sagte er mit weicher Stimme. „Du glaubst nicht, dass ich sie verlassen habe - eh!, vielleicht hast du recht.“