Die Frau an meiner Seite - Jolene Walker - E-Book

Die Frau an meiner Seite E-Book

Jolene Walker

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Beschreibung

Juana wird als Personenschutz für die junge Millionärstochter Marie angestellt. Nicht ohne Grund hat sie sich genau für diese Stelle entschieden. Denn Maries Vater ist einer der kriminellsten Männer der Stadt. Obwohl er es nicht weiß, hat Juana noch eine Rechnung mit ihm offen. Mit Marie vor Augen, vergisst sie jedoch ihre eigentliche Aufgabe.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Jolene Walker

Die Frau an meiner Seite

Roman

Deutsche Erstausgabe

Oktober 2015

Impressum

Copyright: © 2015 Jolene Walker

c/o AutorenServices.de

König-Konrad-Str. 22

36039 Fulda

[email protected]

Sie können mich auf Twitter finden:

twitter.com/walkerjole

Lektorat: Rohlmann & Engels

Cover unter Lizenzierung eines Motives von nexusby aus Shutterstock.

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Prolog

Marie

»Marie, komm doch bitte kurz rein«, fordert mein Vater unerwartet, als ich an seinem Arbeitszimmer vorbeigehe. Die Tür steht einen Spalt auf. Warum bittet er mich hinein? Zumal, wenn er Besuch hat.

Mit gemischten Gefühlen schiebe ich die Tür weiter auf und entdecke eine fremde, junge Frau in seinem Büro. Sie trägt einen schwarzen Anzug, der eng anliegt und dabei kein bisschen bequem ausschaut. Kaum habe ich mich an die seltsame Situation gewöhnt, dreht sie sich zu mir. Ihre Gesichtszüge sind angespannt. Schon fast finster verzieht sie die Miene. Unter dem Jackett trägt sie ein weißes Hemd, das ihre olivfarbene Haut zum Leuchten bringt. Um ihren langen Hals liegt eine schmale schwarze Krawatte. Das dunkle Haar glänzt vom Deckenlicht.

»Darf ich dir vorstellen, Marie? Das ist Juana. Sie wird ab jetzt an deiner Seite sein.« Fragend sehe ich Vater an, der die breiten, behaarten Hände zufrieden in seine Hosentaschen steckt. Er schlendert gemächlich um den großen Arbeitstisch und nimmt Platz auf seinem Ledersitz. Was meint Papà damit? Sie wird ab jetzt an meiner Seite sein?

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Juana setzt überraschend ein Lächeln auf. Mit geputzten Lackschuhen kommt sie auf mich zu und reicht mir die Hand. Ihre Stimme ist kratzig und mit ihrer männlichen Rockabilly Frisur sieht sie nicht gerade typisch weiblich aus. Ich zögere. Etwas stimmt nicht. Ihr Lächeln, es schreckt mich ab. Nach einem Blick in ihre stahlblauen Augen, die mit einem perfekt geschwungenen Lidstrich umrandet und mit Wimperntusche geschminkt sind, verstehe ich es. Sie trägt auf ihren vollen Lippen ein falsches Lächeln.

Nur aus Höflichkeit reiche ich ihr die Hand. Juanas Händedruck ist unerwartet sanft und warm. So, als würde sie versuchen, ihr Lächeln zu entschuldigen. Und irgendwie nimmt mir das die Nervosität. Sie gibt mir das Gefühl der Sicherheit. Ich fühle mich auf einmal geborgen.

1

Marie

Sie geht mir die ganze Zeit nach. Sie verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Die Absätze ihrer flachen Schuhe hallen über den Boden. Dabei hat sie so einen gemächlichen Gang drauf, dass ich in Sekundenabständen zählen kann, wann sie mit ihrer Schuhsohle auftritt. Das nervt!

Die Schule ist aus und ich wollte mir doch nur ein bisschen ungestört die Beine im Shoppingcenter vertreten. Aber die doofe Kuh verdirbt mir die Vorfreude! Warum muss sie auch ständig einen Anzug tragen? Das fällt total auf. Die Leute sehen uns schon so merkwürdig an. Ich frage mich, was Papà damit bezweckt. Von heute auf morgen hat er einfach beschlossen, dass ich einen Aufpasser brauche, der vierundzwanzig Stunden am Tag an meiner Seite ist.

Anfangs machte ich mir wirklich Gedanken und dachte, mir würde etwas passieren. Jedoch ist bis jetzt rein gar nichts geschehen und langsam habe ich von dieser Nachstellerei die Nase voll!

Verärgert bleibe ich stehen. »Du trittst mir ja auf die Hacken! Ich will nicht mit dir gesehen werden!«, fauche ich, während ich mich Juana zuwende. Genervt schaut sie zu mir hinab. Dabei zieht sie ihre dichten, dunklen Augenbrauen tief zusammen und macht ihre blauen Augen ganz schmal. Ihre schwarz getuschten Wimpern liegen schon fast aufeinander.

»Dann geh«, raunt sie schlechtgelaunt und wartet, dass ich mich wieder umdrehe. Sie ist so arrogant! Ich hasse es, wie sie mit mir umgeht. Ich habe versucht, nett zu ihr zu sein, weil wir viel Zeit miteinander verbringen. Doch diese doofe Kuh hält sich für etwas Besseres! Egal, wie oft ich mich bei Papà auch beschwere, er weigert sich, jemand anderes einzustellen. Sie sieht nicht einmal richtig kräftig aus. Juana ist zwar sportlich, aber mit einem Mann kann sie sich bestimmt nicht messen!

Nach ein paar Metern fällt mir auf, dass ich direkt hinter mir keine Schritte mehr höre. Neugierig drehe ich den Kopf. Es verwundert mich, was ich sehe. Juana hat wirklich darauf gehört, was ich ihr gesagt habe. Gemächlich folgt sie mir und bummelt vor den Schaufenstern. Für sie typisch, stecken ihre Hände in den Hosentaschen. Normalerweise würde Juana keinen Zentimeter von meiner Seite weichen. Ob ich sie mit meinen Worten verletzt habe? Ach, mir doch egal! Die kann mir echt gestohlen bleiben!

Angespannt gehe ich in die Boutique, in die ich wollte. Von der Verkäuferin werde ich freundlich begrüßt und meine Laune bessert sich schlagartig. Herrlich, was für tolle Sachen wieder im Geschäft hängen. Schon fast verliebt schaue ich mir jedes Teil an. Mit den Fingern gleite ich über die angenehmen seidigen Stoffe der verschiedenen Kleidungsstücke und begutachte genauestens die Qualität. Ich seufze. Die Sachen sind so schick und dabei so teuer. Eigentlich hätte ich genug Taschengeld, um den ganzen Laden leer zu kaufen. Aber Mamma hat mir immer gepredigt, gut mit meinem Geld umzugehen, denn Papà arbeitet hart. Damit hat sie nicht unrecht. Papà ist nämlich kaum zu Hause. Meistens steckt er irgendwo im Ausland und ist im Monat nur für ein paar Tage da. Am liebsten wäre mir, er hätte wie alle anderen Väter einen normalen Job, und würde abends einfach nach Hause kommen. Seit Mamma tot ist, fühle ich mich ziemlich alleine.

Ich beende den Einkaufsbummel damit, dass ich der Kassiererin ein Oberteil auf den Tresen lege. Ich wollte es mir nicht kaufen. Doch in den letzten Wochen habe ich so eisern für meine Abiklausur gebüffelt, dass ich es mir einfach gönnen muss.

Die Verkäuferin kassiert mit einem breiten Grinsen ab und tippt fleißig auf dem Display der Kasse herum. Währenddessen hole ich meine EC-Karte hervor. Nur beiläufig sehe ich nach draußen. Juana steht vor dem Schaufenster und sieht zu mir herein. Als sich unsere Blicke treffen, weiche ich ihrem reflexartig aus. Wie hat sie es so schnell geschafft, mich einzuholen? Habe ich wirklich so lange im Laden herumgetrödelt? Ich bin genervt, denn sie sitzt mir schon wieder im Nacken.

Als die Verkäuferin das Etikett über den Scanner schiebt, hebe ich unwillkürlich den Kopf und schaue erneut rüber zum Schaufenster. Es ist merkwürdig, obwohl Juana so gemein zu mir ist, suchen meine Augen ständig nach ihr. Wie komisch.

Juana hat sich in der Zeit, in der mich die Kassiererin bedient, umgedreht und steht jetzt mit dem Rücken zu mir. Die Verkäuferin reicht mir die EC-Karte zurück und versucht mich mit irgendwelchen Rabatt-Aktionen zu ködern. Nur beiläufig höre ich ihr zu. Mir wird bewusst, dass Juana mich gerade nicht beobachtet. Sie ist unaufmerksam! Weiter hinten in der Boutique gibt es einen weiteren Ausgang. Von dort aus komme ich in den nächsten Bereich vom Shoppingcenter.

Die Verkäuferin bedankt sich für den Einkauf und schiebt mir den neu errungenen Pullover in einer Tüte zu. Mit zittrigen Händen stecke ich die Karte in meine Geldbörse und greife nach der Tragetasche auf dem Tresen. Nervös schaue ich immer wieder zu Juana und beobachte, was sie macht. Die Kassiererin sieht mich skeptisch an. Ohne Zeit zu verlieren, gehe ich zum Ausgang. Sobald sich die automatische Schiebetür öffnet, laufe ich mit Herzklopfen davon.

So schnell mich meine Beine tragen, haste ich die Einkaufspassage entlang. Verdutzt sehen mir die vielen Gesichter nach und verstehen offenbar nicht, warum ich es so eilig habe. Ich will das nicht mehr! Ich will, dass Juana verschwindet! Wenn sie keine Lust hat, Babysitter zu spielen, soll sie sich doch einen anderen Job suchen, statt ihren Frust an mir auszulassen! Sie, mit ihrer ständig genervten Fratze!

Plötzlich höre ich laute Schritte, die immer näher kommen. Ich weiß genau, wer das ist. Der Klang ihrer Absätze verrät sie. Es ist Juana!

Ich kann nicht mehr! Sie hat mich gleich! Meine Lunge brennt. Was mache ich jetzt?! Sie wird mich einholen! Panisch suche ich vergeblich nach dem Ausgang. Er ist viel zu weit weg! Der Aufzug?! Gerade verlässt im Erdgeschoss ein Paar händchenhaltend den Fahrstuhl. Ich nutze die Gelegenheit und zwinge mich mit letzter Kraft, weiterzulaufen.

Ungehalten stürme ich in den Fahrkorb, der durch meine Last kräftig wippt. Sogleich drücke ich schwer atmend den Knopf für die oberste Etage. Pausenlos hämmere ich mit den Fingern drauf ein. Dabei muss ich mit ansehen, mit welcher Geschwindigkeit Juana näher kommt.

Sie wird mich einholen! Sie wird mich einholen! Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht! Meine Knie zittern vor Aufregung. Die Schachttür soll sich schließen!

Endlich! Wie von mir heraufbeschworen, schließen sich die Türen und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Scharf ziehe ich die Luft in meine Lungen und puste sie wieder aus. Mit Seitenstechen stehe ich im eigenen Schweiß. Ich habe sie abgehängt! Jetzt muss ich nur noch vor Juana zu Hause sein, um sie auszusperren.

Im zweiten Stock angekommen, öffnen sich die Türen. Kaum mache ich den ersten Schritt aus dem Aufzug, taucht jemand plötzlich hinter der Wand auf und drängt mich zurück in den Fahrstuhl. Wütend sieht mich Juana an. Sie zieht dabei ihren Mundwinkel hoch, so als würde sie mich gleich anknurren.

Wie konnte sie mich so schnell einholen?! Vor Atemlosigkeit keuchend, tritt Juana zu mir in den Fahrkorb. Die Türen schließen sich und ich bin mit ihr ganz allein. Der Fahrstuhl fährt los. Doch bevor er sein Ziel erreicht, haut Juana mit geballter Faust auf den roten Knopf und sorgt dafür, dass der Aufzug stehen bleibt. Dann schubst sie mich ungehalten an die Wand. Mit Wucht knallt sie ihre Hände über meine Schultern. Das Metall der Innenverkleidung donnert ohrenbetäubend in dem kleinen Raum.

Wütend senkt Juana ihren Kopf zu mir hinunter und ist mir ungewohnt nah. »Jetzt hör mir gut zu, Prinzessin! Noch einmal so eine scheiß Aktion und ich verspreche dir, ich werde dich bei trocken Brot und Wasser in dein Zimmer sperren!«, brüllt sie. Erschrocken starre ich Juana an. Solche Emotionen habe ich bei ihr bis heute nie gesehen. Ich schlucke und versuche, nicht vor ihr in Tränen auszubrechen. Sie würde mich deswegen nur aufziehen. Ausgelaugt pustet sie mir ihren warmen Atem ins Gesicht. Der Schweiß perlt ihr von der Schläfe, an ihrer Wange entlang und tropft von ihrem markanten Kinn auf den Boden hinab. Schließlich knallt sie ein weiteres Mal frustriert mit ihren Händen gegen die Aufzugswand. Ich zucke verängstigt zusammen. Nachdem sie mich so eingeschüchtert hat, wendet sich Juana von mir ab. Im Aufzug auf- und abgehend versucht sie sich zu fangen und löst aufgebracht die schwarze Krawatte von ihrem Kragen. Sie zieht sie vom Hals und zerrt danach das Jackett von den Schultern. Bis zur Brust knöpft Juana die transparenten Knöpfe ihrer weißen Bluse auf. Dabei blitzt der Träger ihres BHs hervor. Ihre kurzen, schwarzen Haare kleben strähnig an ihrer Stirn. Ich entdecke die Handfeuerwaffe in ihrem Brustgurt, der von den Schultern über ihren Rücken reicht. Der Anblick lässt mich erstarren. Angespannt presse ich meinen Körper enger an die Wand und beobachte Juana aus dem Augenwinkel.

Sie lehnt sich erschöpft an und rutscht auf den Boden. So, als hätte sie keine Kraft mehr in den Beinen. Gequält kneift sie die Augen zusammen und ringt immer noch nach Luft.

Juana schafft es, sich langsam zu beruhigen. Sie senkt ihren Kopf und rauft die Haare oberhalb ihres Nackens. Wortlos sehe ich ihr zu, wie sie sich erholt.

Sie war schneller als der Aufzug. Wie hat sie das nur geschafft?

Nach einem weiteren ruhigen Moment steht Juana mies gelaunt vom Boden auf. Sie zieht sich ihr Jackett über und verstaut ihre Krawatte in der Innentasche. Genervt kommt sie zu mir rüber und packt mich fest am Oberarm, um mich grob zur Aufzugstür zu zerren. Es fühlt sich an, als würden sich ihre Finger in meine Haut bohren. »Du tust mir weh«, jammere ich. Ohne ein Wort haut Juana wieder mit der Faust auf den roten Knopf und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung.

Im Erdgeschoss angekommen, öffnet sich die Schachttür. Einige Leute haben ungeduldig auf den Fahrstuhl gewartet.

»Beweg dich«, zischt Juana leise und schubst mich durch die Menge.

In der Tiefgarage öffnet mir Juana die Beifahrerseite ihres schwarzen Geländewagens. Sie wirft mir einen bösen Blick zu und fordert mich wortlos auf, in den Wagen zu steigen. Seufzend leiste ich Folge.

»Keine Faxen. Ich kann gut zielen«, droht sie mir und knallt die Wagentür zu. Anscheinend ist ihr nicht entgangen, dass ich ihre Handfeuerwaffe entdeckt habe.

Über den Seitenspiegel beobachte ich, wie Juana um den Wagen geht und schließlich auf der Fahrerseite einsteigt. Mit einem Knopfdruck verriegelt sie die Türen von innen. Na toll! Denkt sie echt, ich würde aus einem fahrenden Auto springen? So krass bin ich dann doch nicht. Ich wollte nur ein paar Minuten alleine sein. Ist das denn zu viel verlangt?

»Ich kann dich auch nicht leiden. Bis das alles hier vorbei ist, kneif einfach deine Arschbacken zusammen«, knurrt Juana und rollt mit dem Wagen aus der Parklücke.

Sie kann mich nicht leiden? Die Worte versetzen mir einen Stich. Ich weiß zwar, dass Juana mich nicht besonders mag, aber dass sie es mir direkt ins Gesicht sagt, macht mich auf einmal sehr traurig. Ganz ehrlich, es verletzt mich sogar. Eben gerade im Fahrstuhl hat sie mich Prinzessin genannt. Es hörte sich so abwertend an. Warum behandelt sie mich so? Ich habe ihr doch gar nichts getan.

Es ist nachts, ich sollte längst schlafen, trotzdem chatte ich mit ein paar Leuten in den sozialen Netzwerken und surfe nebenbei im Internet. Plötzlich niest jemand. Das muss Juana sein. Schläft sie etwa auch nicht? Neugierig steige ich aus dem Bett und öffne vorsichtig meine Zimmertür. Im Dunkeln tapse ich auf Zehenspitzen in den Flur im Obergeschoss und sehe am Geländer ins Wohnzimmer hinab. Sie ist wirklich noch wach. Juana sitzt bei gedimmtem Licht auf dem langen Sofa und spielt mit ihrem Tablet herum. Anstatt entspannt ihre Ruhe zu genießen, starrt sie verbissen auf den Bildschirm. Immer wieder wischt sie mit dem Finger über das Display. Ich kann nicht erkennen, was sie sich gerade ansieht, aber anscheinend fordert es ihre komplette Aufmerksamkeit.

»Geh ins Bett«, raunt sie unerwartet. Vor Schreck zucke ich zusammen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie mich entdeckt, denn Juanas Blick war die ganze Zeit auf den Bildschirm ihres Tablets gerichtet. Ohne sie weiter zu reizen, verschwinde ich. Die Zimmertür hinter mir geschlossen, klettere ich ins Bett und schalte den Laptop aus. Ich verabschiede mich nicht einmal von meinen Onlinebekanntschaften. Als der Bildschirm erlischt und es im Raum dunkel wird, lege ich mich unter die Bettdecke und kuschle mich ein. Während ich aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit schaue, schließen sich meine Augen von ganz allein.

Ich kann nicht beschreiben, was es ist. Doch zu wissen, dass Juana da und noch wach ist, beruhigt mich ungemein.

2

Juana

Marie hebt sich von den Mädchen ab, mit denen sie gemeinsam in der Gruppe tanzt. Neben ihr sehen sie aus wie ausgedörrte Hungerhaken. Ich will nicht sagen, dass Marie dick ist, aber ihr Turnanzug liegt eng an ihren Kurven. Durch die Strumpfhose zeichnen sich ihre trainierten Waden ab. Auch wenn Marie versucht, ihren Hintern mit einem weich fallenden Tellerrock zu verdecken, schmiegt sich der Stoff um ihre Rundung. Das anzusehen, macht einen ja wahnsinnig.

Mit kleinen Füßen trippelt sie auf einer Stelle. Sie dreht sich und dabei schwingt ihr langer, geflochtener Pferdeschwanz mit. Die aschblonden Babyhärchen liegen in süßen Kringeln an ihrer Schläfe. Verschwitzt und ausgelaugt dreht sie sich immer weiter. Sie springt in einen hohen Spagat, landet auf den Zehenspitzen und biegt sich nach hinten, sodass sich ihre Rippen durch die Kleidung abzeichnen. Die Hände ragen empor und sehen wundervoll verspielt aus.

Nicht nur ich sehe ihr beim Tanzen zu, sondern auch ihr Tanzlehrer und ihre Mitschülerinnen. Ich kann ihren Tanzlehrer nicht wirklich leiden. Er ist ständig in Maries Nähe. Sobald sich die Möglichkeit bietet, betatscht er sie, hebt sie vom Boden und zeigt so den anderen die Choreografie. Manchmal wünsche ich mir, der alte Sack mit seinen schmierigen französischen Locken würde umknicken und hinfallen, aber dafür ist er ein zu geübter Balletttänzer.

Nach zwei Stunden ist die Tanzstunde endlich vorbei. Erleichtert atme ich auf. Ich ziehe mir die Ohrstöpsel ab. Schon vor Wochen habe ich unbemerkt eine Kamera in dem Kursraum platziert und beobachte seitdem alles vom Wagen aus. Marie wollte nicht, dass ich sie begleite und ihr beim Tanzen zusehe. Mir blieb keine Wahl. Schließlich darf ich sie nicht aus den Augen lassen.

Ich sehe angespannt auf meine Armbanduhr. Was dauert da wieder so lange? Genau fünfzehn Minuten sind vergangen, seit der Kurs zu Ende ist. Marie muss eigentlich längst an der Tür stehen und sich von ihren Freundinnen verabschieden. Naja, wenn man so was Freundinnen nennen kann. Marie kann froh sein, nicht zu wissen, wie die Zicken hinter ihrem Rücken über sie herziehen.

Die Eingangstür öffnet sich endlich. Erleichtert will ich aufschnaufen, doch statt Marie verlassen nur ihre Mitschülerinnen das Gebäude. Genervt stöhne ich. Wo steckt sie nur? Zwei Minuten werde ich ihr noch geben und muss mich wirklich dazu zwingen, geduldig zu warten. Meine Augen wandern ständig von der Armbanduhr zur Eingangstür.

»Fünf, vier, drei, zwei, eins …«, zähle ich die letzten Sekunden ab. Dann ziehe ich angespannt den Schlüssel aus dem Zündschloss und steige aus.

Dieses Mädchen treibt mich zur Weißglut! Warum muss sie mich immer provozieren? Sie weiß genau, dass ich Unpünktlichkeit nicht leiden kann. Ich stürme ins Gebäude und entdecke Marie, wie sie alleine mit ihrem Tanzlehrer eng umschlugen dasteht. Er zeigt ihr wieder irgendwelche Übungen. Kann er das nicht machen, wenn alle anderen auch dabei sind?!

»Für heute sollte es reichen. Ich denke nicht, dass Frau Montinari für eine Extrastunde bezahlt hat.«

Ertappt sacken beide in ihrer Körperhaltung zusammen, als sie mich endlich bemerken. Marie sieht mich mit großen Puppenaugen an und versucht, mich mit ihrem Blick zu besänftigen. Nix da! Sie sollte längst wissen, dass sie mich nicht mit ihrem hübschen Gesicht um den Finger wickeln kann.

»Hol deine Sachen, wir gehen«, trage ich ihr auf. Mittlerweile kennt mich Marie, sie fängt erst gar nicht an, im Beisein anderer mit mir zu diskutieren. Das letzte Mal habe ich sie mir über die Schulter geworfen und ins Auto getragen. Mit ihren kleinen Fäusten kann sie so gut wie nichts ausrichten.

Ohne mich weiter zu provozieren, huscht Marie mit ihren langen Beinen zu den Umkleiden und lässt mich mit dem Tanzlehrer alleine. Ich sehe ihn grimmig an und mache keinerlei Anstalten, freundlich zu sein.

»Wir haben nur eine Übung wiederholt. Marie wollte …«, er kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Marie taucht wieder auf und sieht mich abwartend an. Sie will, dass wir beide sofort gehen, denn sie ahnt bereits, dass ich kurz vor einem Wutausbruch stehe. Ich werfe ihr die Autoschlüssel zu.

»In den Wagen«, fordere ich wortkarg. Nochmals weiten sich ihre braunen Augen. »In den Wagen«, wiederhole ich diesmal etwas schärfer.

»Juana …«

»Beweg dich!« Mit zusammengepressten Lippen und gesenktem Kopf zieht sie schließlich ab. Die Tür fällt zu. Ich sehe über meine Schulter und prüfe, ob sie wirklich gegangen ist.

»Hören Sie mir gut zu. Ich werde es Ihnen nur dieses eine Mal sagen. Kommen Sie ihr wieder so nahe, werde ich Ihnen die Hand brechen, mit der Sie Marie zuletzt angefasst haben.« Ich hebe meine Hand und halte ihn davon ab, zu widersprechen.

---ENDE DER LESEPROBE---