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Lea ist eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben, bis ihr eine Internetbekanntschaft ohne Namen und Gesicht den Kopf verdreht. Lea muss die ganze Zeit an Anna denken. Aus Internet-Fremden werden Freunde bis Anna Lea mit einem spontanen Besuch komplett aus der Bahn wirft.
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Inhaltsverzeichnis
Lea
Jolene Walker
Sie nannte mich Chicago
Eine lesbische Kurzgeschichte
Deutsche Erstausgabe
Juni 2015
Impressum
Copyright: © 2015 Jolene Walker
c/o AutorenServices.de
König-Konrad-Str. 22
36039 Fulda
Ihr könnt mich auf Twitter finden:
twitter.com/walkerjole
Cover unter Lizenzierung eines Motives von Nik Merkulov aus Shutterstock
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Wir sind erwachsen geworden. Wie konnte das nur so schnell passieren? Wir haben davon geträumt älter zu werden und alles anders zu machen als unsere Eltern. Einen Job, der uns erfüllt, ein Zuhause, in dem wir uns wohlfühlen und Liebe, die uns niemals verletzt. Doch vor lauter Verantwortung sehen wir kaum noch, was uns wirklich wichtig ist.
Ich sitze mit ein paar Freunden zusammen und spiele mit ihnen Karten. In die Runde sehend, studiere ich ihre Gesichter. Da wäre Maya, die keine Miene verzieht und so versucht das schlechte Blatt in ihrer Hand zu vertuschen. Eva, die sich viel lieber mit ihrem Smartphone beschäftigt als mit uns. Eike, die hochkonzentriert, mit zusammengezogenen Augenbrauen auf ihre Karten starrt. Und ich, Lea, die diese Runde wieder gewinnen wird.
»Das darf nicht wahr sein!«, mault Eike wütend, als die Karten aufgedeckt auf dem Tisch liegen.
»Du spielst doch mit gezinkten Karten!«, wirft mir Maya vor. Es ist immer das Gleiche. Die Mädels denken, sie beherrschen das Spiel, aber dem ist nicht so. Schadenfreudig sammle ich die Plastikchips ein und staple sie vor mir auf. Dabei öffnet jemand unerwartet die Wohnungstür. Neugierig schauen wir auf. Es ist Mayas Freundin, Susanne.
Die Tür geschlossen, kommt sie rüber. Sie beugt sich zu Maya runter und gibt ihr einen Kuss zur Begrüßung. Uns grüßt sie nur beiläufig. Schließlich schaut sie leicht genervt in die offene Wohnküche. Wir haben ein ziemliches Chaos hinterlassen.
»Wenn ihr nicht auf den Balkon geht zum Rauchen, macht zumindest die Fenster auf. Und wer räumt den Mist in der Küche weg? Hier sieht es wieder aus, wie in einem Schweinestall.« Keine Minute ist Madame zu Hause, fängt auch schon die Nörgelei an. Maya hebt die Augenbrauen und steht auf. Das Fenster geöffnet, pustet sie den beißenden Qualm aus ihren Lungen.
»Ich mach das später.«
»Na dann«, sagt Susanne und stöhnt. »Ich geh baden«, gibt sie kurz Bescheid und verschwindet schließlich.
»Ich fand ihre Vorgängerin netter. Sie hat wenigstens gelächelt und sogar für uns gekocht«, raunt Eike. Ich ramme ihr den Ellenbogen zwischen die Rippen. Wie kann sie nur?!
»Aua! Ist doch wahr«, mault sie trotzig. Ich schüttle den Kopf, weil sie so ignorant ist. Sieht sie nicht, dass ihre Worte Maya verletzen? Seit der Trennung von ihrer Ex sind ein paar Monate vergangen. Maya hält sich tapfer. Dabei wissen wir, wie sehr ihr Nele fehlt.
»Warum bist du überhaupt mit Susanne zusammen?«, fragt Eike dreist.
»Jetzt lass den Scheiß endlich«, ermahne ich sie.
»Was denn? Ich bin im Gegensatz zu euch Heuchlern ehrlich.« Niedergeschlagen lehnt Maya sich zurück an die Stuhllehne. Nachdenklich schaut sie auf den Esstisch. Einen ganzen Moment harrt sie in dieser Position aus und beugt sich schließlich vor, um die Spielkarten auf dem Tisch einzusammeln.
»Sie tut mir gut«, antwortet sie.
»Bullshit«, raunt Eike und deckt die ausgeteilten Karten auf, die vor ihr liegen.
»Alle hundert Jahre kommen wir mal zusammen, um Zeit miteinander zu verbringen und du fängst an, den Abend zu verderben. Du siehst doch, wie es Maya geht. Da brauchst du nicht weiter in ihrer Wunde herumzustochern.« Eike grinst, sie streckt ihren langen Arm nach mir aus und zerzaust mir die Haare, als wäre ich ein kleines Kind.
»Hast ja Recht«, raunt sie und wirft schließlich die erste Karte in die Mitte.
»Man sieht es mir an?«, fragt Maya etwas benommen. Die halb aufgerauchte Zigarette in ihrer Hand drückt sie im Aschenbecher aus. Sie nimmt ihren Drink und kippt sich den Inhalt auf Ex in den Rachen. Eike und ich sehen uns an. Wir zucken mit den Schultern und halten den Mund. Keiner von uns will die Wahrheit aussprechen, um Maya nicht unnötig traurig zu machen. Denn sie würde nur wieder kurz vorm Heulen stehen und sich die ganze Nacht betrinken.
Maya hat sich verändert. Früher war sie ständig unterwegs, hatte Freude am Leben. Doch jetzt ist sie zu einem Trauerkloß mutiert. Zusammengesackt sitzt sie vor uns mit den Gedanken bei Nele. Ihre Augen werden glasig, wie vermutet, kurz vorm Heulen. Seufzend wirft sie letztendlich die nächste Karte in die Mitte. Ich habe das Gefühl, jeden Moment kippt die Stimmung. Hätte ich nur die Klappe gehalten.
»Was sagst du dazu, Eva?«, fragt Maya sie, als sie keine Antwort von uns bekommt.
»Hm?«, macht sie nur und weiß gar nicht, um was es geht.
»Was machst du da eigentlich die ganze Zeit?« Maya packt Evas Smartphone und reißt es ihr aus den Händen.
»Hey!«, wird sie laut.
»Was ist das?«
»Gibs zurück!« Eike beugt sich über den Esstisch und nimmt Maya das Handy ab, damit Eva es ihr nicht wegnehmen kann.
»Warte mal. Das ist doch die Frau, der du seit Jahren hinterher stalkst.«
»Hör auf mit dem Scheiß! Gib es her!«
Ich nutze die Gelegenheit, in der Eike Eva auf Abstand hält, und scrolle den Bildschirm immer weiter nach unten.
»Was ist das? Eine Singlebörse?«, frage ich.
»Nein! Jetzt gib her!«, zischt Eva und greift nach ihrem Handy. Eingeschnappt setzt sie sich zurück auf ihren Platz.
»Mit Ofelia und Juana hätten wir eher etwas zu lachen. Was ist in letzter Zeit mit euch allen los? Die eine heult ihrer Ex nach, die andere lässt sich nicht mehr blicken und wohnt irgendwo versteckt im Wald, die andere ist Vollzeitkindermädchen und du geierst deiner Straßenbahntussi seit Jahren hinterher. Anstatt dir Eier wachsen zu lassen und sie mal anzusprechen«, knurrt Eike.
»Und was ist mit dir und deinem Blumenmädchen?! An deiner Stelle würde ich die Klappe nicht zu weit aufreißen! Du hast nicht mal eine Ahnung wie sie heißt!«
»Fick dich! Ich bin keine Lesbe«, raunt Eike und verzieht missgelaunt das Gesicht.
»Was ist mit mir?«, frage ich und unterbreche die Streithähne.
»Hm?«, fragt Eike diesmal.
»Du hast an jedem etwas auszusetzen. Was ist mit mir?«
»An dir kratzt kein Baum.«
»Was soll das heißen?«, fragt Maya und muss lachen.
»Ist doch klar. Lea wird einsam mit ihren Katzen sterben.«
»Was denn für Katzen?«, frage ich und ziehe die Augenbrauen verärgert zusammen.
»Wenn du alt bist, wirst du dir welche anschaffen. Erst zwei und mit der Zeit werden sie immer mehr. Irgendwann dann stirbst du einsam und alleine, von allen unbemerkt, in deiner verwahrlosten Wohnung. Vom Hunger getrieben, fressen deine Katzen deinen Leichnam und der Kreis der Natur schließt sich.«
»Du spinnst«, raune ich und schüttle den Kopf.
»Was erwartest du? Egal wie oft wir feiern gehen, du sprichst nie jemanden an. Du wartest ständig darauf, dass andere den ersten Schritt machen. Aber ärgerst dich später, weil keiner der dir gefällt, was von dir will. Ich glaube sogar, du bist noch Jungfrau.