DIE NICHOLAS-ENTFÜHRUNG - John Cassells - E-Book

DIE NICHOLAS-ENTFÜHRUNG E-Book

John Cassells

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Cade hielt sich in der Dunkelheit neben dem Tor verborgen. Er konnte jetzt die Schritte des Mannes hören, kurz darauf sah er Sam Nicholas. Der Millionär setzte den Koffer ab. Dann ging er davon.

Wenige Minuten später öffnete Cade den Koffer und leuchtete mit der Taschenlampe hinein.

Das Lösegeld war da: 50.000 Pfund Sterling in kleinen Scheinen...

 

Der Roman Die Nicholas-Entführung des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1965 (unter dem Titel Am Montag geht es los).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

JOHN CASSELLS

 

 

Die Nicholas-Entführung

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DIE NICHOLAS-ENTFÜHRUNG 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Cade hielt sich in der Dunkelheit neben dem Tor verborgen. Er konnte jetzt die Schritte des Mannes hören, kurz darauf sah er Sam Nicholas. Der Millionär setzte den Koffer ab. Dann ging er davon.

Wenige Minuten später öffnete Cade den Koffer und leuchtete mit der Taschenlampe hinein.

Das Lösegeld war da: 50.000 Pfund Sterling in kleinen Scheinen...

 

Der Roman Die Nicholas-Entführung des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1965 (unter dem Titel Am Montag geht es los).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DIE NICHOLAS-ENTFÜHRUNG

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die Stadt lag im Nordosten von England: eine jener öden, trostlosen Hafenstädte, die immer grau aussehen. Graue Straßen, graue Häuser, grauer Himmel und graue Gesichter. Jim Corbie hasste sie, hatte sie schon immer gehasst und doch niemals den Versuch gemacht, sich nach einem anderen Wohnsitz umzusehen. Er war vor zwölf Jahren in die Stadt gekommen, um in einer Gießerei zu arbeiten, und er war noch immer hier, obwohl er schon lange nicht mehr in der Gießerei arbeitete. Seit dieser Zeit hatte er drei Strafen in dem großen, schwarzen Zuchthaus auf dem Berg hinter der Stadt verbüßt, und in absehbarer Zeit würde es die vierte, dann die fünfte sein. Corbie wusste es, machte sich aber kaum Gedanken. Er fand immer wieder Arbeit. Manchmal fuhr er einen Lastwagen, manchmal arbeitete er auf dem Bau oder als Rausschmeißer in einem der Paynton gehörenden Tanzlokale, manchmal tat er dieses und jenes.

Er war ein großer, breitschultriger Mann von fünfunddreißig, sah aber älter aus. Er hatte eine frische Gesichtsfarbe, weil er sich viel in der freien Luft aufhielt. Seine Augen waren grau, seine Haare dicht und schwarz und jetzt von grauen Fäden durchzogen. Er trank eine Menge, aber was ihn arm machte, war nicht der Whisky. Corbie hatte andere Laster, und das schlimmste war seine Wettleidenschaft. Pferde oder Hunde, das spielte keine große Rolle, denn das Wettfieber hatte ihn stets im Griff. Er sagte sich, dass er der Bursche war, der für Joe Creagan die Zeche bezahlte - und die Zeche für Joe Creagan war immer ganz hübsch hoch. Creagan war der größte Buchmacher der Stadt und wohnte in einem der großen Steinhäuser im Stadtteil Reedmere, wo in alten Zeiten einmal die tonangebende Gesellschaft zu Hause gewesen war.

Corbie wohnte nicht in Reedmere. Er wohnte vielmehr möbliert - bei einer alten Frau in einem Mietshaus im Stadtteil Meriton in der Nähe des Verschiebebahnhofs -, aber dort war er nicht immer anzutreffen. Manchmal lebte er mit Lil Draper in der Conroy Road zusammen. Lil war in Ordnung. Eine große, magere Blondine, die in der Clancy Street hinter der Bar von Kelmans Kneipe die Gäste bediente. Sie war verrückt nach Corbie, verrückt genug, dass sie ständig hätte mit ihm Zusammenleben können - nur Corbie wollte es nicht so haben. Als er einmal abgebrannt war und Lil ihm diesen Vorschlag machte, da hatte er sie lange Zeit angestarrt.

»Ich kann auf eigenen Beinen stehen. Mich braucht niemand zu unterstützen. Ich komme schon durch. Alles, was ich jetzt brauche, sind zwei Pfund.«

Sie gab ihm vier.

»Ich wünsche, es wäre eine Million.«

Corbie sah sie an und sagte nichts.

Sie glaubte zu wissen, was er dachte: dass er in ihr ein großartiges Mädchen sah, dass sie immer für ihn da war, wenn er sie brauchte.

Doch in Wirklichkeit hielt er sie für übergeschnappt, und was er dachte, war: albernes Flittchen.

Aber was sie nicht wusste, konnte sie auch nicht kränken, und in diesem Falle wusste sie nichts. So lagen die Dinge bei Corbie und Lil Draper. So war es auch am Abend des zwölften November.

Wie nicht anders zu erwarten, war es ein verregneter Dienstag- »Abend. Corbie hatte seit vier Uhr nachmittags geschlafen und wachte nach acht Uhr auf.

Zehn Minuten blieb er noch fröstelnd unter der zerknitterten Decke liegen; dann schwang er seine langen, kräftigen Beine aus dem Bett und stand auf. Er griff nach seiner schäbigen grauen Hose, die auf dem Boden lag, und zog sie an. Dann ging er ans Fenster und blickte auf die trübe erhellte Straße hinunter.

Draußen, pfiff ein mit Regen vermischter Wind. Die Fenster rasselten im Rahmen. Corbie fluchte und kleidete sich weiter an.

Zehn Minuten später trat er, den Kragen seines abgetragenen Mantels hochgeschlagen, auf die Straße hinaus. Er ging zur Gaststätte Keiller an der nächsten Ecke und setzte sich drinnen auf seinen gewohnten Platz, der sich in einer entfernten Ecke und etwas im Schatten befand.

Mike Keiller kam auf ihn zu. Er war klein, untersetzt und gutmütig.

»Was soll’s sein?«

»Schinken und Eier.« Corbie blickte auf. »Vielleicht nur ein Ei.«

Keiller ging. Er kannte die Zeichen. Wenn Corbie schlecht bei Kasse war, verlangte er immer nur ein Ei; zu anderen Zeiten bekam er vier.    

Wenig später kam Keiller mit einer Platte wieder, auf der sich ein halbes Pfund Schinken und vier Eier befanden.

Corbie blickte wieder auf.

»Ein Ei, sagte ich, Keiller.«

Keiller stellte die Platte auf den Tisch.

»In Ihre Figur geht mehr hinein, Jim.«

Corbie blickte ihm nach und begann zu essen. Er dachte: Keiller ist ein verdammt anständiger kleiner Bursche. Das sagte er ihm aber nicht.

Er beendete seine Mahlzeit, grub eine zerknautschte Packung Zigaretten aus der Tasche, zündete sich mit dem letzten Streichholz eine an und warf die leere Schachtel ins Kaminfeuer. Dann lehnte er sich zurück und suchte sein Geld zusammen. Viel war es nicht: sieben Shilling und ein paar Kupferstücke. Damit konnte er die Rechnung bezahlen und behielt noch eine Kleinigkeit übrig.

Dann kam Keiller herüber und sagte: »Sie haben ein Pfund gut bei mir, Jim.«

Corbie schüttelte den Kopf. Er war komisch darin, und die meisten Leute wussten es. Von Lil Draper würde er Geld annehmen, doch von keinem anderen.

Keiller zuckte die Achseln.

»Jedenfalls ist das Geld für Sie da, Jim. Sie wissen, was ich meine. Soll keine Beleidigung sein.«

»In Ordnung.« Corbie stand auf, zog-seinen Mantel an und schloss die Knöpfe. »Nacht, Keiller.«

Er ging, blieb noch einen Moment in der Tür stehen, beobachtete die schrägen Regenfäden und den Unrat im Wasser der verstopften Gosse. Dann trat er auf den Bürgersteig hinaus und ging die Straße entlang. Das Essen hatte ihn mit Wärme und Zufriedenheit erfüllt, und ihm kam der Gedanke, ein Bier zu trinken. Vor einem Schaufenster blieb er stehen und zählte in dem trüben Lichtschein sein restliches Geld nach.

Trank er ein Bier, dann blieben ihm noch vier Pence. Er trank normalerweise nicht viel, aber wenn ihm danach zumute war, zog er einen Schoppen Bier vor, und er trank nie in Kelmans Kneipe, wo Lili arbeitete. Jetzt steuerte er auf den Prince of Wales zu und ging hinein. Er blickte durch einen Schleier von Dunst und bläulichem Tabakqualm. Es mochten ungefähr zwei Dutzend Leute anwesend sein, und die meisten davon saßen vor den Kaminfeuern an beiden Enden des Raumes.

Corbie bewegte sich auf die Rar zu, hinter der zwei Bedienstete ihre Arbeit verrichteten. Der junge hagere Mann hieß Ted, und der kleine, dicke hörte auf den Namen Dave. Corbie klimperte mit den Münzen in seiner Tasche und beugte sich über die Bar,

»Ein Bier.«

Er sagte es zu dem hageren Burschen und legte das Geld auf die Bar - und da bemerkte er zum ersten Mal diesen Mann am anderen Ende. Und zum ersten Mal spürte er auch die gespannte Atmosphäre, die über der Bar schwebte.

Der Mann am anderen Ende der Bar sagte: »Ich will einen mit dir trinken, Kollege. Los, bestelle zwei.«

Er schob sich auf Corbie zu.

Er war groß. Corbie war es auch, aber dieser Kerl war noch fünf Zentimeter größer. Corbie wog ungefähr hundert Kilo, aber dieser Bursche hatte noch zehn Kilo mehr. Er mochte fünf Jahre jünger sein, hatte ein breites, fleischiges Gesicht und langes, hellblondes Haar.

Corbie nahm seine Mütze ab und klopfte ihre Nässe an seinem Mantel aus. Als er aufblickte, sah ihn der hagere Barkellner verstört an und flüsterte: »Nehmen Sie zwei.«

Corbie krauste die Stirn.«

»Ein Bier, habe ich gesagt.«

Der Barkellner zischelte ihm aus einem Mundwinkel zu: »Bestellen Sie lieber zwei. Dieser Bursche ist pures Gift. Boy Levitch - er ist ein aktiver Ringkämpfer. Wir wollen keinen Ärger haben.«

Corbie blickte noch finsterer drein.

»Soll er doch sein, was er will!«

Levitch war jetzt noch zwei Meter entfernt und kam langsam weiter auf ihn zu. Er schlingerte etwas, und Corbie wusste, dass er getrunken hatte. Einen Schritt entfernt blieb Levitch stehen.

»Was ist denn los? Bist du taub oder irgendetwas?«

Corbie sah ihn neugierig an. Er hatte einige dieser Ringkämpfer in Aktion gesehen und hielt nicht sehr viel von ihnen. Mit diesem Burschen konnte er es ohne weiteres aufnehmen, da spielten die zehn Kilo mehr keine Rolle. Das war alles nur weiches Fett. Corbie selbst hatte harte Knochen.

»Du willst nicht mit mir trinken?«, fragte Levitch. »Dir gefällt wohl irgendetwas nicht an mir, he?«

Der Barkellner zapfte rasch zwei Biergläser ab.

»Hier, Gentlemen - auf Kosten des Hauses.«

Levitch hatte schon sein Glas erhoben und blickte Corbie über dessen Rand hinweg an.

»Ich komme nicht sehr oft in diese Kneipe, Kollege, aber als ich das letzte Mal hier war, da habe ich den besten Mann der Stadt verprügelt.«

Corbies Augen verdüsterten sich, und er sagte: »Dann möchte ich aber annehmen, dass ich an diesem Tag nicht in der Stadt war.«

Ein leises Zischen - Levitch hatte Corbie den Inhalt seines Bierglases ins Gesicht gekippt.

Corbie holte tief und wütend Luft; dann trat er von der Bar zurück und versetzte ihm einen Hieb, der einen Ochsen umgeworfen hätte. Er traf Levitch auf die Kinnspitze, und sein Kopf flog nach hinten, als habe ihn jemand an einer Schnur zurückgezogen.

Corbie schlug noch einmal zu, wieder auf die Kinnspitze. Er verstärkte die Wirkung, indem er mit den Fußspitzen nachfederte, und er spürte den Hieb in seinem eigenen Körper, als seine Faust den harten Knochen berührte.

Levitch sackte nach vorn zusammen und fiel auf sein Gesicht.

Corbie griff nach seinem Bierglas und trank es mit einem Zug leer.

Keiner sagte etwas. Corbie setzte das Glas ab und blickte herum. Noch immer sprach keiner ein Wort. Er wünschte einen Moment, dass endlich jemand den Mund aufmachen würde, aber dann fiel ihm ein, dass die Leute anscheinend vor etwas Angst hatten. Er zuckte mit seinen kräftigen Schultern, machte kehrt und ging hinaus, ohne noch ein Wort zu verlieren. Und noch immer sagte niemand etwas.

Ein grauhaariger, magerer Mann, der allein in einer Ecke saß, zog einen Nasen-Inhalator aus der Tasche und schnupperte ein paarmal daran. Das war alles.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Die ersten zwanzig, dreißig Schritte legte Corbie rasch zurück. Als er an der nächsten Ecke angekommen war, drehte er sich um. Die Tür der Kneipe war noch immer geschlossen. Er ging, seine großen Hände in den Taschen vergraben, rüstig weiter und leckte seine Lippen, die nach Bier schmeckten. Er hatte vierzig oder fünfzig Meter zurückgelegt, als er in einem Türrahmen eine behelmte Gestalt stehen sah.

Er war fast in Höhe des Polizeibeamten, als er ihn sagen hörte: »Ich dachte mir schon, dass Sie es sind, Corbie.«

Es war ein Wachtmeister namens Peter Fenner. Corbie konnte keine Polizisten leiden und vertrat die Ansicht, dass, wenn man mit einem etwas zu tun hatte, er so sein musste wie Fenner.

Er blieb stehen, und Fenner fuhr fort: »Arbeiten Sie neuerdings?«

Corbie schüttelte den Kopf.

»Im Augenblick nicht. Bin arbeitslos. Ich habe drüben in Reedmere gearbeitet, wurde aber ausgezahlt.«

Fenner nickte und entgegnete: »Ich hörte, dass eine Menge Leute ausgezahlt wurden. Nicholas hat diesen Vertrag. Da steckt beinahe eine Million drin.« Er schüttelte den Kopf. »Nicholas ist ein alter Gauner.«

»Ein alter Bastard«, sagte Corbie ohne Hass.

Fenner blickte die Straße hinauf und hinunter, zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche Und nahm zwei heraus. Eine davon gab er Corbie, riss ein Streichholz an und zog sich in den Schatten des Türrahmens zurück, um ein paar Züge zu machen.

Er beobachtete Corbie, der nach einem Streichholz suchte; dann hörte er ihn sagen: »Sie müssen mir auch Feuer geben, Mr. Fenner. Mein letztes Streichholz habe ich in der Gaststätte Keiller verbraucht.«

Der Polizeibeamte gab ihm ein flaches Päckchen Streichhölzer.

»Können Sie behalten«, sagte er und betrachtete im Lichtschein des aufflammenden Streichholzes Corbies unwillkürlich an einen Falken erinnerndes Gesicht. »Schade, dass Sie in jüngeren Jahren nicht daran gedacht haben, zur Polizei zu gehen, Corbie.«

Corbie lachte auf. »Ich hätte ’nen schönen Polizisten abgegeben. Ich habe dreimal gesessen.«

Obwohl ihm dieser Gedanke noch nie in den Sinn gekommen war, nahm er an, dass Fenner vielleicht etwas für ihn hatte.

Fenner atmete tief den Rauch ein.

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte er. »Manchmal denke ich, dass alles in Ordnung ist - ein andermal glaube ich wieder, dass es mir besser gehen könnte. Ich habe einen jüngeren Schwager. Der hat im Leben nie was anderes gelernt, als während seines Wehrdienstes einen Lastwagen zu fahren. Und was tat er nach seiner Entlassung? Er kaufte sich einen Gebrauchtwagen auf Ratenzahlung. Er stieg ins Vertragsgeschäft ein, und wo ist er jetzt? In einem Bungalow draußen in Byley, da ist er jetzt - mit vier Lastwagen und einem nagelneuen Velox, den er sich in dieser Woche zugelegt hat. Und ich war die ganze Zeit nichts anderes als Polizist.«

Corbie hatte nicht viel zu sagen und wartete ab. Fenner zog noch einige Male heftig an seiner Zigarette und drückte sie mit dem Absatz aus.

»Tja, und so steht man eben hier. Wer vorwärtskommen will, der muss sich selbständig machen. Wie der junge Eric.« Er dachte kurz nach. »Oder wie der alte Nicholas. Der hat sein Geld gemacht.«

Corbie nickte.

»Soll Millionär sein.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie dem auch sei, er hat alles, was er braucht.« Fenner schob aggressiv sein starkes Kinn vor. »Wissen Sie, was Nicholas zu dem gemacht hat, was er heute ist? Der Krieg. Vor dreißig Jahren fing er in Meriton mit einem alten Ford an. Heute arbeiten zweitausend Leute für ihn.« Fenner reckte seine breiten Schultern. »Und hier stehen Sie und ich, die langsam auf die Vierzig zugehen. Nacht, Corbie.«

Er ging davon. Corbie blickte hinter ihm her, ging dann auch weiter und fragte sich, was diesem Fenner für eine Laus über die Leber gelaufen war. Er vergrub die Hände in seinen Manteltaschen und dachte, dass man bei diesem Wetter gut arbeiten konnte. Der Regen scheuchte die Leute von den Straßen. Die Polizisten hatten es gern - auch Corbie, obwohl aus anderen Gründen.

Er kehrte nach Meriton zurück, schloss die Haustür auf, dann die Wohnung und ging in sein Zimmer. Er saß ein paar Minuten in der Dunkelheit, zündete dann einen Kerzenstumpf an und steckte ihn in die Öffnung einer schmalen Ziervase.

Er zog den Mantel aus, legte sich auf die Bettdecke und lauschte den gegen die Fensterscheiben prasselnden Regentropfen. Ungefähr eine halbe Stunde später hörte er, wie seine alte Wirtin die Küchentür schloss. Nach ein, zwei Minuten stöhnte die Matratze auf, als sie in das altmodische Bett kletterte.

Corbie beschloss, noch eine Stunde zu warten. Langsam und mit Genuss rauchte er zwei Zigaretten. Als die Uhr halb zwölf geschlagen hatte, stand er wieder auf und verließ die Wohnung. Die Außentür hörte man nicht. Corbie hatte dafür gesorgt und passte auf, dass Schloss und Türangeln stets geölt waren.

Draußen blieb er noch kurze Zeit im Türrahmen stehen und beobachtete die verlassene Straße. Dann kam er zum Vorschein und ging, sich im Schatten haltend, in Richtung des Güterbahnhofs auf ein Tor zu. Dann überquerte er einen Hof. Er kletterte über die Stacheldrahtabsperrung einer Rampe, wie er das schon einige dutzendmal vorher praktiziert hatte, erreichte das Eisenbahngleis, ging ungefähr vierhundert Meter entlang und bog links ein. Er kletterte über eine Ziegelwand und sprang auf den Hof eines hohen Gebäudes hinunter.

Er bewegte sich vorsichtig auf das dunkle, schattenhafte Gebäude zu, sah ein Fenster und tastete es ab. Ein dickes Drahtgeflecht hing davor. Er zog ein kleines Brecheisen aus der Tasche, schob dessen Spitze zwischen Drahtgeflecht und Fensterrahmen und drückte. Es dauerte sieben, acht Minuten, da hatte er das Drahtgeflecht vom Fenster gelöst, und fünf Minuten später stand er in dem Laden.

Es war eine Zeitungs- und Tabakwarenhandlung. Er nahm zwei Zwanzigerpackungen Players aus einem Karton und steckte sie in die Tasche. Er trat hinter den Ladentisch. Es gab keine Registrierkasse, nur eine altmodische Holzkassette mit Aushöhlungen verschiedener Größe für das Wechselgeld. Er fand nur eine kleine Handvoll Silbermünzen, doch als er das Fach ein wenig weiter aufzog, berührten seine Fingerspitzen Papiergeld. Er steckte es ebenfalls ein und verließ den Laden auf die gleiche Weise, wie er ihn betreten hatte. Er hörte den Pfiff einer Lokomotive und das Geräusch eines fahrenden Güterzuges. Dann sah er ihn auch und war, als der letzte Wagen vorbeirollte, schon über die Stacheldrahtabsperrung geklettert. Von jetzt an ging er so vorsichtig wie nur möglich, aber er hatte Glück, denn nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Besonders achtete er auf Gestalten, die Regenmäntel trugen und Helme auf dem Kopf hatten, doch sein Glück hielt an.

Nach weniger als einer halben Stunde war er wieder in Meriton und stieg die ausgetretene Treppe zu seiner Wohnung in der Castle Street hinauf. Einen Moment stand er in der kleinen Diele und hörte die regelmäßigen Atemzüge seiner Wirtin. Leise öffnete er die Tür zu seinem Zimmer und trat ein. Er kleidete sich im Dunkeln aus, doch ehe er zu Bett ging, warf er das Kleingeld auf die Decke und zählte es nach. Siebenundzwanzig Shilling - und drei Pfund in Zehn-Shilling-Noten. Vier Pfund und sieben Shilling. Natürlich hätte es bedeutend mehr sein können, aber Corbie war zufrieden. Er steckte das Geld wieder in seine Tasche und legte sich schlafen.

Diesmal schlug er das Deckbett zurück und streckte sich aus. Vier Pfund waren vier Pfund. Entspannt schloss er die Augen, hörte das leise Rieseln der Regentropfen an den Fensterscheiben und das Hexengejaule des Windes in dem schmalen Schornstein. Er dachte an Lil Draper und hatte beinahe den Wunsch, die Nacht in ihrer Wohnung zu verbringen. Lil war in Ordnung - ein gutherziges Flittchen -, sie liebte ihn nur zu sehr. Er konnte das nicht leiden, doch trotz alledem: Lil war okay.

Mit dem Gedanken an Lil schlief er ein.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

George Balder war vor einem Monat in die Stadt gekommen. Er war durchschnittlich groß, graumeliert und noch immer Mitte der Vierzig. Er pflegte sich unauffällig zu kleiden, trug gewöhnlich einen grünen Trenchcoat und einen grünlichen Hut mit einer Feder hinter dem Band, damit er ein wenig lebhafter wirkte. Er bewohnte ein Zimmer im Albert Hotel, einem ruhigen, gelblichgrauen und respektabel wirkenden Gebäude.

Balder war allerdings keine respektable Erscheinung. Er hatte in den vergangenen zwanzig Jahren viermal längere Zeit im Gefängnis gesessen. Dazu verspürte er jetzt keine Lust mehr. Nicht mehr mit sechsundvierzig Jahren. Er wusste zu viel und hatte zu viel gesehen. Die Gefängnisse fraßen einen innerlich auf.

Er schwang an diesem Morgen die Beine aus dem Bett und kleidete sich nach dem Rasieren so rasch wie möglich an. Es regnete noch immer. Er trat ans Fenster und fummelte einen kleinen, weißen Plastik-Inhalator aus der Westentasche. Er litt an einem chronischen Stirnhöhlenkatarrh und hatte stets einen dieser weißen Stifte bei sich. Jetzt schob er die Spitze in ein Nasenloch und drückte. Kurz darauf war sein Kopf wieder klarer. Er steckte den Inhalator in die Westentasche und wandte sich vom Fenster ab. Auf dem Kaminsims stand ein kleiner blauer Kalender, das Werbegeschenk einer Firma, die sich auf Bohrmaschinen spezialisiert hatte. Einer von jenen Kalendern, deren einzelne Blätter mit einem Motto oder einem Sinnspruch bedruckt sind. Heute las man auf dem Blatt:

 

13. November.

Wer irgendwas erreichen will, der muss irgendwo anfangen.

 

Balder nickte. Ja, man musste irgendwo anfangen, wenn man irgendetwas erreichen wollte, und Balder wollte etwas erreichen.

Er ging zum Frühstück hinunter. Das Esszimmer dieses alten, großen Hauses befand sich im Kellergeschoss. Balder liebte diese Lage, denn es war gemütlich warm, und er blieb von der lästigen Zugluft verschont. Es gab schönere Gegenden als England. Vielleicht die Bahamas - oder sogar Spanien. Er hatte sich eine Menge Literatur über diese und ähnliche Länder einverleibt. Länder, in denen Hitze und Sonnenschein herrschten. Lange, lange Stunden. Er ging zu seinem Stammtisch, der in einer verborgenen Ecke in der Nähe des offenen Kaminfeuers stand. Die meisten Hotelgäste schlangen ihr Essen hinunter und verschwanden dann, um ihren verschiedenen beruflichen Aufgaben nachzugehen. Bei Balder war das anders, weil er spät mit dem Frühstück begann. Manche wunderten sich darüber, aber er sagte, dass er den Großteil seiner Arbeit an den Abenden erledige.

Selten kam er vor Mitternacht wieder, so dass keiner im Hotel ihn richtig kannte.

Nach dem Frühstück rauchte er eine Zigarette, blätterte im Daily Express und suchte wieder sein Zimmer auf. Er zog seinen grünen Trenchcoat an und verließ das Hotel. Er fuhr mit dem Bus zur Stadt, schlenderte würdevoll die Highgate entlang, bis er an eine Blumenhandlung kam. Dahinter führte eine Tür zu einer Wendeltreppe. Balder stieg hinauf und ging auf eine Tür am Ende des Korridors zu. An der Tür stand: Reuben Cade – Revisor.

Balder klopfte und trat ein. Es war ein unordentliches Vorzimmer, in dem ein blutarmes Mädchen auf einer Schreibmaschine herumhackte. Sie hob den Kopf und blickte ihn mit wässerigen Augen an.

»Guten Morgen, Sir.«

»Ich möchte gern Mr. Cade sprechen. Balder ist mein Name.«

Sie verschwand, kam wieder und sagte: »Bitte, hier entlang, Mr. Balder.« Sie führte ihn zu einer offenen Tür, bat ihn hinein und

Balder schloss die Tür hinter sich und blickte Cade mit einiger Neugier an. Er sah einen kleinen Mann mit mausgrauem Haar und struppigem Schnurrbart. Sein Gesicht war so blass wie seine Hände, die er auf der Schreibunterlage gefaltet hatte. Er trug einen gutsitzenden Anzug und eine schwarzgelbe Krawatte und blinzelte Balder mit hellblauen Augen an. Jetzt fuhr er sich leicht mit dem Handrücken über die Augen und stand auf.

»Nehmen Sie Platz, Balder.« Als Balder dieser Aufforderung Folge geleistet hatte, sagte Cade: »Nur einen Moment.«

Er ging ins Vorzimmer, und Balder hörte ihn sagen: »Sie können jetzt Ihre Pause einlegen, Kay. Für die nächste halbe Stunde bin ich mit Mr. Balder im Büro; so brauchen Sie sich nicht zu beeilen.« Er kam wieder und zog die Tür hinter sich zu. »Das wär’s. Über geschäftliche Dinge muss man ungestört reden können.«

Balder nickte zustimmend. Derartige Vorsichtsmaßnahmen konnte er nur gutheißen.

»Sie haben vollkommen recht, Mr. Cade. Man kann nie vorsichtig genug sein.«

Cade nahm Platz. In Reichweite seiner Hand lag eine Zigarettenkiste. Er klappte den Deckel auf und schob sie Balder zu.

Balder schüttelte den Kopf. »Keine für mich.« Stattdessen zog er seinen Inhalator aus der Tasche und schnupperte daran. »Meine Stirnhöhle macht mir ständig Schwierigkeiten.«

»Unangenehm«, sagte Cade.

Balder meinte ernst: »Die Ärzte, die ich aufgesucht habe, sind alle der Meinung, dass England nichts für mich ist. Sie raten mir, in eine wärmere Gegend zu ziehen.«

»Nicht verkehrt«, stimmte Cade zu. Balders Stirnhöhle interessierte ihn nicht, dafür aber ein paar andere Dinge, die Balder gestern Abend am Telefon erwähnt hatte. »Sie waren ein Freund von Rimmer?«

»So ist es.« Balder hielt zwei Finger seiner rechten Hand hoch. »Genauso - der alte Clay und ich. Wir saßen neun Monate in einer Zelle. Da haben wir uns natürlich oft unterhalten.«

»Und jetzt ist Rimmer tot...«

Balder nickte.

»Herzinfarkt. Kaum zu glauben. Sah man ihm bestimmt nicht an. Na ja, vor seinem Tod erzählte er mir noch von diesem Unternehmen, Er hatte den Plan schon fix und fertig. Als Ortsansässiger kannte er alle Fußangeln.«

Cade nickte. Er wusste alles über Rimmer. Er wusste auch alles über den Job, doch einem Fremden gegenüber musste man vorsichtig sein. Jetzt sagte er: »Rimmer war ein guter Junge. Doch über Sie hat er mit niemanden gesprochen.«

»Ich habe ihn auch mit keinem Wort erwähnt«, entgegnete Balder. »Was heißt das schon? Nur dass wir beide wachsam waren. Aber er hat mir von diesem Unternehmen erzählt.« Seine Stimme hatte einen merkwürdig zwingenden Klang.

»Von was für einem Unternehmen?«

»Einbruch!«

Cade nickte gelassen.

»So etwas kommt alle Tage vor. Man kann kaum eine Zeitung aufschlagen, ohne davon zu lesen.«

»Rimmer sagte, Sie wüssten, was ich meine. Rimmer sagte, er hätte noch mit Ihnen gesprochen, bevor er dann...«

»Bank?«, fragte Cade ruhig.

Balder schüttelte den Kopf.

»Bei Nicholas,«

Cade legte seine Zigarette in den Aschenbecher. Er beugte sich vor und war plötzlich nicht mehr der mausgraue kleine Mann. Seine Gesichtszüge waren scharf und hart, seine Augen unverschleiert. »Okay«, sagte er sanft. »Rimmer hat es Ihnen erzählt, denn außer Rimmer weiß niemand etwas.«

Balder seufzte.

»Rimmer sprach von einer sicheren Sache, die warten könne, bis er wieder draußen sei. Ich war erst zwei Monate nach ihm an der Reihe. Er wollte auf mich warten. Ich habe schon mal so eine Sache mitgemacht. In den Staaten. Ich, Joey Heller und noch zwei andere Burschen hielten in Michigan sechs Wochen lang das Emerson-Mädchen fest. Wir heimsten dabei ’ne Viertelmillion ein.«

»Ich kann mich erinnern.« Cade betrachtete den grauen Mann mit plötzlichem Respekt. »Obwohl sie Heller schließlich erwischten.«

»Wegen einer lausigen Bankgeschichte«, gab Balder zu. »Das war vier Jahre später.«

Cade zündete sich eine neue Zigarette an. Er brauchte Zeit, um darüber nachzudenken. Dann fragte er: »Sind Sie eben in der Stadt eingetroffen?«

»Bin schon einen Monat hier«, sagte Balder. »Wenn mir ein Unternehmen vorschwebt, Mr. Cade, dann arbeite ich auch gern daran. Ich habe mich umgesehen und die Ohren gespitzt. Ich kenne Nicholas. Größter Unternehmer der Umgegend. Soll ein Millionär sein. Zumindest hat er alles, was er braucht. Genug für uns beide. Wohnt draußen in Reedmere und in einem Haus, das so groß ist wie ein Hotel. Vier Hausgehilfinnen - zwei davon über sechzig. Die beiden jüngeren sind noch Teenager und verrückt nach Männern. Dann sind da noch der Koch, ein Chauffeur und zwei Gärtner. Der Chauffeur hilft im Garten mit, wenn er nicht fährt. Die Männer schlafen alle in den Wirtschaftsgebäuden.«

»Und über das Kind wissen Sie auch Bescheid?«

»Der junge Sammy«, sagte Balder. »Er ist sieben Jahre alt und kränklich. Vor ein, zwei Jahren wäre er bald an der Kinderlähmung gestorben. Der alte Sam hat spät geheiratet. Seine Frau war Lehrerin in irgendeiner Stadtschule. Nicholas freute sich mächtig, als der Junge geboren wurde, weil er mit keinem Stammhalter mehr gerechnet hatte. Als der Junge sich von seiner Krankheit erholt hatte, ließ der alte Nicholas einen neuen Flügel an die Mackeson-Klinik anbauen. Rimmer sagte, der Spaß hätte ihn hunderttausend Pfund gekostet, obwohl seine eigene Firma die Bauarbeiten ausführte.«

Balder zog wieder seinen Inhalator. Als er ihn in das Nasenloch einführte, klingelte das Telefon.

Cade nahm den Hörer ab und meldete sich. »Hier Reuben Cade... Selbstverständlich, Mr. Tudhope, selbstverständlich.« Er blickte auf seine Uhr. »jawohl, ich erwarte Sie dann in einigen Minuten.« Er legte den Hörer auf die Gabel zurück. »Das war einer meiner wichtigeren Klienten. Er wird gleich hier sein. Jedenfalls haben mich Ihre Ausführungen sehr interessiert. Ich möchte gern noch mehr davon hören. Kommen Sie doch heute Abend um neun Uhr noch mal wieder.«

»Um neun Uhr«, sagte Balder.

Cade begleitete ihn hinaus, kehrte wieder in sein Büro zurück und trat ans Fenster. Er sah Balders hagere und doch irgendwie athletische Gestalt auf der belebten Straße untertauchen. Dann nahm er wieder an seinem Schreibtisch Platz.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

In der Well Street gab es einen Autoverleih. Balder hatte schon tags zuvor Erkundigungen eingezogen. Er ging hin und mietete einen 61er Anglia - eine schlichte, unauffällige cremefarbene Angelegenheit. Er fuhr eine halbe Stunde herum, um das für einen fremden Wagen nötige Fahrgefühl zu bekommen. Als dieser Versuch zur Zufriedenheit ausgefallen war, fuhr er nach Reedmere hinaus. Sam Nicholas wohnte auf einem Hügel und in einem Haus, das den Namen Ardenlea hatte. Es war ein hohes graues Steingebäude und noch im Stil einer vergangenen Epoche gebaut. Das ganze Grundstück nahm eine Fläche von drei Morgen ein. Im Vorgarten sah man lange Reihe von Blumenbeeten, zum größten Teil mit Chrysanthemen ausgefüllt. Im Garten arbeiteten zwei Männer; beide waren groß und machten einen kräftigen Eindruck. Der ältere Mann konnte Ende der Fünfzig sein, und sein Kollege, der die Figur eines Schwergewichtsboxers hatte, ungefähr zwanzig Jahre jünger. Balder sah ihn sich genau an. Das war Barker; der ältere Gärtner hieß Lane.

Balder fuhr noch eine halbe Stunde herum und sah sich alle Straßen, Gassen und Zufahrtswege der näheren Umgebung an. Die gleichen Wege war er schon vor einigen Wochen zu Fuß abgegangen und hatte, alles gründlich ausgekundschaftet. Bei einem derartigen Unternehmen musste man mit den winzigsten Einzelheiten vertraut sein. Dann fuhr er noch einmal zurück nach Ardenlea.

Diesmal sah er auch den Jungen. Ziemlich klein für sein Alter.

Er ging über die Rasenfläche vor dem Giebel des Hauses, trug am rechten Bein eine Stützprothese, hatte einen langen gelben Ölhautmantel an und einen Südwester auf dem Kopf. Er hinkte hinter einem Ball her, den ein großer alter Mann ihm zugeworfen hatte. Balder sah ihn den Ball aufheben und zurückwerfen.

»Fang auf, Papa!«

Balder war so sehr in seine Betrachtung von Sam Nicholas vertieft, dass er gar nicht den Wagen auf sich zukommen hörte. Dann drang ein lautes Hupen an seine Ohren; er blickte auf und sah den großen schwarzen Jaguar, ausweichen.

Er hob grüßend eine Hand und verfluchte seine Nachlässigkeit, die so gar nicht seiner Art entsprach. Er erhaschte auch einen Blick von dem Fahrer und glaubte schon, dass er anhalten würde. Aber er hatte die Geschwindigkeit nur herabgesetzt, weil er in Richtung des Hauses einbiegen wollte.

Der schwarze Jaguar rollte die kurze Auffahrt entlang und hielt an der Giebelseite. Eine lange mit einem Trenchcoat bekleidete Gestalt stieg aus und ging auf Sam Nicholas zu.

»Hallo, Inspektor«, grüßte Nicholas. »Sie wären ja beinahe mit einem Wagen zusammengeprallt. Geben Sie mich nur nicht als Zeugen an. Sie wissen wohl, auf welcher Seite ich stehe.«

Inspektor Miller lachte. Der Kriminalbeamte war groß und kräftig gebaut. Er hatte dunkles Haar, ein markantes Gesicht und starke Kinnbacken. Miller sah robust und beweglich aus, was er auch wirklich war. »Ich werde Sie nicht als Zeugen angeben, Mr. Nicholas. War noch genügend Platz. Ich sah ihn kommen. Der Mann blickte über die Gartenmauer und hatte wohl Sie und Sammy im Auge. Es war einer von Colemans Wagen; ich sah den Klebzettel an der Windschutzscheibe.« Er blickte nach unten. »Hallo, Sammy.«

Der Junge war mit dem Ball in der Hand näher gekommen und sagte: »Hallo, Mr. Miller. Passen Sie mal auf.« Er versetzte dem Ball einen Tritt. »Haben Sie gesehen?«

»Sehr gut«, sagte Miller respektvoll.

»Wenn ich groß bin, werde ich Fußballspieler.«