Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 662 - Katja von Seeberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 662 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Auf der Verlobungsfeier des Grafen Harro von Schilling mit Ria Derweit kommt es zu einem Eklat. Der Vater der Braut hört zufällig, wie Harros adelsstolze Großmutter sich abfällig über die Verlobung ihres Enkels mit einer Bürgerlichen, der Tochter eines "ehemaligen Kellners", beschwert. Und dabei hat der mittlerweile millionenschwere Hotelkönig freundlicherweise eingewilligt, der Grafenfamilie ein Grundstück für den Bau eines neuen Hotels abzukaufen, damit Gut Schillinghofen vor dem drohenden Ruin gerettet wird. Jetzt ist alles aus. Doch Ria, die Harro über alles liebt, will das nicht hinnehmen. Sie heckt einen Plan aus, um der alten Dame ein Schnippchen zu schlagen. Es ist ein riskantes Spiel, bei dem sie alles gewinnen, aber auch alles verlieren kann ...


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Inhalt

Cover

Von schlichter Herkunft

Vorschau

Impressum

Von schlichter Herkunft

Rias tapferer Kampf um die große Liebe

Auf der Verlobungsfeier des Grafen Harro von Schilling mit Ria Derweit kommt es zu einem Eklat. Der Vater der Braut hört zufällig, wie Harros adelsstolze Großmutter sich abfällig über die Verlobung ihres Enkels mit einer Bür‍gerlichen, der Tochter eines »ehemaligen Kellners«, beschwert. Und dabei hat der mittlerweile schwerreichen Hotelkönig freundlicherweise eingewilligt, der Grafenfamilie ein Grundstück für den Bau eines neuen Hotels abzukaufen, damit Gut Schillinghofen vor dem drohenden Ruin gerettet wird. Jetzt ist alles aus. Doch Ria, die Harro über alles liebt, will das nicht hinnehmen. Sie heckt einen Plan aus, um der alten Dame ein Schnippchen zu schlagen. Es ist ein riskantes Spiel, bei dem sie alles gewinnen, aber auch alles verlieren kann ...

Der Wind sauste über die Hänge und trieb die Schneeflocken vor sich her.

»Es wird Sturm geben«, murmelte Graf Harro vor sich hin, während er die Skier in den Boden stemmte und die Stöcke in den Schnee stieß, um die Schneebrille besser vor seinen Augen zu befestigen.

Der junge Graf von Schilling war ein begeisterter und geübter Skiläufer. Seine Heimat war Gut Schillinghofen, das in der Nähe von Oberstdorf gelegen war. Die Umgebung von Oberstdorf war ein ideales Skigebiet und leistete somit der Liebhaberei des jungen Mannes Vorschub.

Der Kalender zeigte den vierzehnten März. Eine Woche fehlte also noch bis zum Frühlingsanfang, doch die Schneeverhältnisse waren oberhalb der Tausendmetergrenze idealer als im Winter.

Harro hatte jetzt seine Brille befestigt und warf einen besorgten Blick auf den Himmel. Die Sonne war verschwunden, eine dicke Wolkendecke hatte sie verschluckt.

Ein Schneesturm ist nichts Angenehmes, dachte der junge Mann und zog den Reißverschluss seines neuen Anoraks bis zum Kinn hinauf, sodass die Kapuze fest um den Kopf schloss.

Der Wind war so stark geworden, dass Harro von Schilling sich geradezu gegen ihn lehnen musste, um aufrecht stehen zu bleiben.

Er zog seine Stöcke aus dem Schnee. Um sich die Richtung einzuprägen, warf er einen Blick zu der etwa einen Kilometer entfernten Reiterhütte empor, die sein nächstes Ziel sein sollte. Er war erfahren genug und wusste, dass er bei einem Schneesturm auf den Versuch verzichten musste, das Tal zu erreichen.

Und da ging es schon los.

Die ersten Flocken stoben daher und folgten einander in so dichtem Wirbel, dass Harro kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

»Verflixtes Wetter«, knirschte er zwischen den Zähnen und setzte sich in Bewegung. Er ging weit vorgeneigt und mit langen, ausholenden Schritten.

Bei Mama daheim am Teetisch wäre es jetzt gemütlicher, dachte er.

Harro stellte sich das Familienwohnzimmer auf Gut Schillinghofen vor, wo sicherlich zu dieser Stunde im Kamin ein prasselndes Feuer brannte. Sein Vater, Graf Bernhard, würde davorsitzen und eine Pfeife rauchen, während seine Mutter, Gräfin Elisabeth, sicherlich mit einer feinen Handarbeit beschäftigt war.

Die Teestunde war stets die gemütlichste des ganzen Tages auf Schillinghofen. Da war die Familie immer unter sich, und alle Tagesereignisse wurden besprochen.

Graf Harros Gedanken wandten sich wieder dem Schneegestöber zu. Zum Glück kannte er sich hier aus und tastete sich nun an den Stangen entlang, die im Abstand von zehn Metern den Weg markierten.

Immer dichter wurde das Schneetreiben. Schneidend pfiff der Wind.

Da, jetzt stießen Harros Skierspitzen gegen die Türschwelle. Er wäre beinahe mit dem Kopf gegen die Hüttentür gerannt, weil er die Hütte im Schneetreiben tatsächlich nicht gesehen hatte.

Sich mit dem Rücken gegen die Tür lehnend, löste er die Bindung seiner Skier und stellte die Bretter aufrecht gegen die Hüttenwand.

Er wusste, wo der Schlüssel verborgen war. Über der Tür war ein Balken, auf den man hinaufgreifen musste. Dort lag er.

So schnell es seine vor Kälte steif gewordenen Hände in den Fausthandschuhen erlaubten, schob er den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Dann schlüpfte er hinein.

Selbstverständlich war die Hütte nicht beheizt, denn es hielt sich ja zurzeit niemand darin auf. Die Reiterhütte gehörte zum Besitz des Grafen von Schilling. Sie war also keine öffentliche Hütte, obwohl sie jeder in Gebrauch nehmen durfte, der sich in Bergnot befand.

Zuerst einmal machte Harro Licht, denn man konnte bei diesem Schneetreiben draußen nicht die Hand vor Augen sehen.

Dann langte er nach der Flasche Enzian und trank einen Schluck, um sich von innen zu wärmen, ehe er daran ging, ein Feuer anzuzünden.

Um das Feuer in Gang zu bringen, musste er nämlich wieder hinaus und Holz aus dem Schuppen holen.

Graf Harro gab sich einen Ruck und trat hinaus.

Der Wind riss ihm die Tür aus der Hand und schlug sie gegen die Hütte. Und plötzlich war es ihm, als hätte er einen Hilferuf gehört.

Ja, er hatte sich nicht getäuscht. Aus dem dichten Schneegestöber erscholl jetzt wieder ein Schrei.

»Hilfe!«

Ein hoher, spitzer Schrei war es, der für einen Augenblick das Heulen des Sturmes übertönte.

»Das hört sich ganz nach einem Frauenzimmer an«, murmelte Graf Harro zornig vor sich hin.

Die Frau hat wahrscheinlich keine Ahnung vom Skilaufen, dachte er ärgerlich, und nun ist sie bei einem solchen Wetter unterwegs und weiß sich nicht zu helfen. Ein Jammer, dass ich noch einmal hinausmuss!

»Stehen bleiben! Hilfe kommt!«, rief er, so laut er konnte, während er beide Hände als Trichter um seinen Mund legte.

Dann holte er erst einmal das Holz, um das Feuer anzuzünden, denn er sagte sich, dass die Gerettete, wenn er mit ihr zur Hütte kommen würde, sicherlich für Wärme dankbar sein würde.

Das Feuer begann auch sogleich lustig zu prasseln, und zehn Minuten später stand Graf Harro schon wieder auf den Skiern und war, bewaffnet mit einer starken Taschenlampe, von Neuem unterwegs.

»Ich komme!«, rief er. »Bitte, geben Sie ein Signal!«

»Hier«, tönte es schwach von Westen zurück und dann noch einmal lang gezogen: »Hilfe!«

Diesmal musste er ohne die Stangen auskommen, denn die Verirrte befand sich außerhalb dieses Bereiches.

Immer wieder mit der Taschenlampe den Boden ableuchtend, bewegte Graf Harro sich vorsichtig vorwärts. Fast eine halbe Stunde brauchte er, bis er die Verunglückte erreicht hatte.

Sie stand eingeschneit mitten im Schnee. Die Kapuze des Anoraks umgab ihr Gesicht so eng, dass das Haar nicht zu sehen war, und die Hälfte des Gesichts verschwand unter einem gestrickten Gesichtswärmer.

Harro ergriff sie energisch am Arm und zog sie mit sich.

»Bleiben Sie im gleichen Schritt mit mir!«, befahl er. »Nehmen Sie alle Kraft zusammen! Wir müssen die Hütte erreichen, sonst sind wir beide verloren.«

Sie taumelte nur noch und war sichtlich sehr erschöpft. Harro wagte nicht, sie loszulassen. Er fürchtete, sie würde umsinken.

Nach einer Dreiviertelstunde mühsamer Wanderung erreichten sie endlich die Hütte. Ganz allmählich ließ das wilde Schneetreiben nach, und das Licht aus dem Hüttenfenster leuchtete ihnen wie ein Stern.

Harro half dem Mädchen, die Skier abzuschnallen, und befreite sich selber von seinen Brettern. Dann klopfte er ihren Anorak und Skianzug vom Schnee frei.

♥♥♥

Anschließend schob er sie zur Tür hinein, folgte ihr rasch und schloss die Hüttentür.

Als sie mit klammen Fingern den Reißverschluss ihres Anoraks öffnete, quoll eine hellbraune Haarflut darunter hervor, und er sah, dass sie ein bildhübsches Gesicht und blaue Augen hatte.

»Wer sich in den Bergen nicht auskennt und vom Skilaufen nicht genug versteht, sollte nicht allein solche gewagten Touren unternehmen«, sagte er tadelnd.

»Sie halten wohl in sportlicher Beziehung nichts von Frauen?«, fragte sie herausfordernd.

»Nicht, wenn sie sich und andere dabei in Gefahr bringen!«

Harro nahm der jungen Skiläuferin, die vor Kälte mit den Zähnen klapperte, den Anorak ab und wies auf die Ofenbank.

»Setzen Sie sich dort nieder! Ich mache uns einen Grog.«

Wer mag sie wohl sein?, fragte er sich, während er in der kleinen Küche hantierte. Aus Oberstdorf und Umgebung konnte sie nicht stammen, denn dort kannte er jedes hübsche Mädchen. Vielleicht war sie ein Feriengast.

Von der Ofenbank her hörte er ein Niesen.

»Sie haben wohl schon einen Schnupfen?«, fragte er voll spöttischer Teilnahme.

»Mein Skianzug ist ganz nass«, klagte das Mädchen.

»Gehen Sie an den Schrank«, bot er ihr an, »und suchen Sie sich von meinen Sachen etwas heraus! Ziehen Sie sie an, auch wenn sie Ihnen zu groß sind. Dann können wir Ihre Sachen am Feuer trocknen.«

Taktvoll zog Harro die Tür der Küche zu, um sie beim Umkleiden allein zu lassen.

Als er nach vorherigem Anklopfen wieder in das große Zimmer trat, musste er lächeln, so seltsam sah sie aus.

Irgendwo hatte sie einen weißen Sportpullover von ihm gefunden und die Ärmel einige Male hochrollen müssen, damit sie ihr nicht über die Hände reichten. Dazu trug sie eine Hose von ihm, die ihr bis unter die Achseln reichte. Die Beine der Hose hatte sie ebenfalls mehrfach umgekrempelt. Ihre Füße waren nackt.

»Jetzt müssen Sie noch Socken anziehen«, sagte er. »Warten Sie, ich hole sie Ihnen!«

Er kramte aus einem Fach ein Paar wollene Skisocken hervor, kniete bei der Ofenbank nieder und streifte sie ihr über die eiskalten geröteten Füße.

»Wie weit ist es von hier bis Oberstdorf?«, wollte sie wissen.

»Bei normalen Wetterverhältnissen können Sie bei einer guten Abfahrt in einer Viertelstunde dort sein.«

»Und was glauben Sie, wie lange wir hierbleiben müssen?«, fragte sie.

»Sie sehen ja, es wird schon wieder heller, und es ist noch nicht einmal vier Uhr. Bis fünf Uhr können wir warten, dann wird es Zeit für die Abfahrt, damit wir nicht in die Dunkelheit hineinkommen. Ihre Sachen werden dann hoffentlich auch trocken sein.«

Er ging in die Küche, um den Grog zu holen.

»Hoffentlich verstehen Sie es besser, Grog zu trinken, als Ski zu laufen«, sagte Graf Harro, als er mit den Gläsern zurückkehrte und ihr eines reichte.

Sie warf den Kopf ärgerlich in den Nacken.

»Sie sind ein Ekel«, sagte sie. »Weil ich ein einziges Mal Pech gehabt habe, glauben Sie, dass ich nichts vom Skilaufen verstehe!«

»Ist es wirklich nur dieses einzige Mal gewesen?« Harro konnte es nicht unterlassen, sie zu necken.

Dann nahm er neben ihr auf der Ofenbank Platz und schlürfte seinen Grog.

Sie tat es ihm gleich. Eine kleine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Sie genossen das Ausruhen, die Wärme und das belebende Getränk.

»Es ist urgemütlich hier«, rief er aus. »Gefällt es Ihnen auch so gut wie mir?«

»Ich wäre lieber in Oberstdorf«, lautete ihre zurückhaltende Antwort.

Sie hatte sich weit von ihm entfernt gesetzt, und jedes Mal, wenn er näher rückte, rückte sie wieder ein Stückchen weiter.

Eine feurige Wärme durchrieselte den Körper des Mädchens. Ihre abweisende Haltung war eine Art Schutzschild, den sie vor sich selber aufgerichtet hatte, denn Harro von Schilling gefiel ihr leider nur allzu gut.

Ihr Haar war jetzt getrocknet und lag glatt und schimmernd um ihren schmalen Kopf. Ihr Gesicht, das vorhin ganz blass gewesen war, zeigte jetzt eine schöne rosige Bräune.

Harro ließ sie nicht aus den Augen, denn sie gefiel ihm sehr. Es amüsierte und rührte ihn zugleich, wie sie die langen Wimpern senkte, sobald sein Blick den ihren traf.

Die Kleine ist nicht abgebrüht, dachte er. Sie kann noch verlegen werden.

»Wie alt sind Sie eigentlich?«, erkundigte er sich.

»Ich bin dreiundzwanzig«, antwortete sie, »das heißt, ich werde es bald!«

»Sie sehen aber höchstens wie achtzehn aus!«, meinte er. »Haben Sie Hunger?«

»Oh ja«, gab sie zu. »Mein Magen knurrt.«

Wieder erhob er sich und ging in die Küche. Er zauberte dort einen Räucherschinken hervor, Schwarzbrot und ein Glas Gurken.

»Ich wusste gar nicht, dass wir noch solche Herrlichkeiten in der Küche hatten«, meinte der junge Graf vergnügt. Er schnitt für sie Stücke von dem Schinken ab und reichte sie ihr.

Nun saßen sie schmausend nebeneinander und genossen die friedliche Stunde.

Am Ende der schmackhaften Mahlzeit zündete sich Graf Harro seine Pfeife an und plauderte vom Skilaufen.

»Sie sind wohl ein großer Skiläufer vor dem Herrn?«, erkundigte sie sich.

»Nun ja, ich verstehe etwas davon. Ich stehe seit meiner Kindheit auf den Brettern. Ich bin hier oben geboren.«

»Ah, in Oberstdorf?«

»Nein, in der Nähe auf einem Gut.«

Aus irgendeinem Grunde nannte er seinen Namen nicht. Es war eine unschuldige Spielerei. Er wollte eben gern inkognito bleiben und legte auch keinen Wert darauf zu erfahren, wer sie war.

»Ich heiße Harro«, sagte er. »Und wie darf ich Sie nennen?«

»Ria«, erwiderte sie lächelnd. Es hatte zu schneien aufgehört. »Meine Kleider müssten trocken sein«, meinte sie, stand auf und befühlte den Skianzug, der vor dem Ofen hing.

Er war bretthart vom Trocknen, nicht schön, aber wenigstens warm und trocken.

Der junge Graf war gar nicht so sehr davon begeistert, dass ihr Zusammensein nun schon ein Ende haben sollte. Aber er wusste, dass sie beide zur Talfahrt starten mussten, wenn sie wohlbehalten vor Einbruch der Dunkelheit unten sein wollten.

Wieder verschwand er in der Küche und spülte das benutzte Geschirr, während sie sich umzog.

♥♥♥

Ein paar Minuten später standen sie nebeneinander vor der Hüttentür und schauten den Hang hinab.

»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte Ria.

»Gern geschehen. Dann wollen wir mal auf die Bretter steigen und starten«, erwiderte Graf Harro munter und kniete nieder, um ihr in die Bindung zu helfen.

Er schloss die Hütte ab und stieg selber auf seine Skier. Dann fuhr er voraus, und Ria folgte ihm.

Es zeigte sich bei dieser Talfahrt, dass Ria wirklich Skilaufen konnte. Sie hatte nicht zu viel über ihre sportlichen Fähigkeiten gesagt.

Keuchend landeten sie im Tal und mussten sich nun verabschieden.

»Ich danke Ihnen nochmals, Harro! Ich weiß nicht, was ohne Sie aus mir geworden wäre!«

»Halt!«, rief er, als sie sich schon abwenden wollte. »Bekomme ich denn keinen Dank für meine mutige Tat?«

Ehe sie noch etwas sagen konnte, schlang er seine Arme um sie, zog sie an seine Brust und küsste die sich heftig Sträubende auf den Mund.

Ria trommelte mit ihren beiden Fäusten gegen seine Brust, bis er sie losließ. Und kaum hatte er sie freigegeben, da landete eine kräftige Ohrfeige auf seiner Wange.

»So etwas tut man nicht!«, erklärte sie. »Man raubt keine Küsse, sondern man wartet, bis sie einem geschenkt werden.«

Dann setzte sie sich in Bewegung und war so schnell, wie die Schneeverhältnisse es erlaubten, in Richtung Oberstdorf verschwunden.

Graf Harro sah ihr verdutzt nach und hielt sich die schmerzende Wange.

Na, warte, Ria, dachte er. Wenn ich dich einmal wiedertreffe, werde ich mich revanchieren!

Er wandte sich ab und machte sich auf den Weg nach Gut Schillinghofen, das in der entgegengesetzten Richtung lag. Ich werde sie wiederfinden, nahm er sich vor. Ich werde nach ihr Ausschau halten. So groß ist Oberstdorf ja nicht, dass sie mir entkommen könnte. Ich brauche nur die Hotels abzuklappern.

Als er das Herrenhaus erreicht hatte, kam ihm der alte Diener Johann in der Halle entgegen.

»Sie haben die Teestunde versäumt, Herr Graf!«, sagte er. »Ihr Herr Vater ist sehr ungehalten darüber, und die Frau Mama macht sich Sorgen.«

»Es fehlt nur noch, dass die Großmutter einen Herzanfall bekommen hat«, murmelte Graf Harro respektlos. »Wann wird sich die liebe Familie daran gewöhnen, dass ich erwachsen bin und dass außerdem Unkraut nicht vergeht?«

Dennoch beeilte er sich, in seinem Zimmer die Sportkleidung abzulegen und sich unter die Dusche zu stellen. Schneller als sonst zog er sich an und erschien bald darauf in einer Flanellhose und einem Rollkragenpullover am Kamin.

Seine Mutter saß im Schaukelsessel und hob den Kopf, als er eintrat. Sie trug ein zartblaues Kleid und als einzigen Schmuck ein schönes altes Medaillon an einer langen Kette.

Sie muss einmal eine wunderschöne Frau gewesen sein, dachte Graf Harro wie schon so oft. Ich kann Papa gut verstehen, dass er sie so sehr liebt.

»Harro, wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?«, fragte Gräfin Elisabeth vorwurfsvoll und sah ihren Sohn bekümmert an.

»Bei diesem Schneetreiben, Mama, war es unmöglich, ins Tal zu kommen. Ich habe so lange in der Reiterhütte gewartet, bis das Wetter nachgelassen hat.«

»Das war vernünftig«, lobte sein Vater ihn. »Ich habe mir etwas Ähnliches schon gedacht, aber deine Mutter wollte sich nicht belehren lassen.«

»Mama, du müsstest doch inzwischen eigentlich wissen, dass ich nicht tollkühn bin. Schließlich bin ich ein erfahrener Skiläufer.«

»Du bist mein einziger Sohn, den ich auf keinen Fall verlieren will«, antwortete sie zärtlich.

Sie strich ihm über die Wange und wies mit einer einladenden Handbewegung auf den Sessel, der noch frei war.

»Setz dich, wir haben dir den Tee warm gestellt«, sagte die Gräfin und schenkte ihm eine Tasse ein.

»Danke, Mama.«