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Zum großen Kummer der Baronin von Beerenbeck geht ihr einziger Sohn Torsten zum Musikstudium nach Hamburg ans Konservatorium, anstatt die Leitung des Gutes zu übernehmen. Schon bald verliebt er sich in die bezaubernde blonde Barbara, die mit ihm dort studiert. Geduldig umwirbt er sie, aber sie erteilt ihm eine Abfuhr nach der anderen. Auf einer Studienfahrt gibt Barbara schließlich ihren Widerstand auf, und die beiden kommen sich endlich näher. Doch ein dramatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit quält ihre Seele, und sie kann ihre Angst vor der Liebe letztendlich nicht überwinden. Das wird auch Torsten schmerzlich bewusst, als Barbara bei einem zärtlichen Tête-à-Tête wie aus heiterem Himmel eine Nervenkrise erleidet und ihrer jungen Liebe so ein jähes Ende setzt ...
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Seitenzahl: 139
Cover
Küsse, die sie fürchtete
Vorschau
Impressum
Küsse, die sie fürchtete
Kann er dennoch ihr Herz erobern?
Zum großen Kummer der Baronin von Beerenbeck geht ihr einziger Sohn Torsten zum Musikstudium nach Hamburg ans Konservatorium, anstatt die Leitung des Gutes zu übernehmen. Schon bald verliebt er sich in die bezaubernde blonde Barbara, die mit ihm dort studiert. Geduldig umwirbt er sie, aber sie erteilt ihm eine Abfuhr nach der anderen. Auf einer Studienfahrt gibt Barbara schließlich ihren Widerstand auf, und die beiden kommen sich endlich näher. Doch ein dramatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit quält ihre Seele, und sie kann ihre Angst vor der Liebe letztendlich nicht überwinden. Das wird auch Torsten schmerzlich bewusst, als Barbara bei einem zärtlichen Tête-à-Tête wie aus heiterem Himmel eine Nervenkrise erleidet und ihrer jungen Liebe so ein jähes Ende setzt ...
»Also, Herr Korbin, wollen Sie die beiden Kälber auch nehmen?«
»Na, meinetwegen, her damit! Das Stück für hundert Mark, mehr zahle ich nicht! Die Metzger wollen ja auch noch verdienen!«
»Sie sind ein Halsabschneider, Korbin!«
»Nein, ein solider, reeller Aufkäufer, weiter nichts.« Der Viehhändler warf sich in die Brust und tat den letzten Zug von seiner Zigarre, ehe er den Stummel in der Aschenschale ausdrückte.
Auf Gut Seewiese, das Altmann als Pächter verwaltete, war Korbin ein in regelmäßigen Abständen wiederkehrender Besucher. Seit dreißig Jahren kam er jetzt hierher und war inzwischen alt und grau geworden.
Jetzt bestätigte der Viehhändler den Kauf mit seiner Unterschrift im Ausgangsbuch des Verwalters.
In diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft. Dann wurde sie einen Spalt breit geöffnet, und ein Frauenkopf mit braunem Haar, das von einigen Silberfäden durchzogen war, schob sich herein.
»Störe ich, oder darf ich hereinkommen?«
»Sie stören niemals, Frau Baronin!«, versicherte der Verwalter und sprang auf.
»Guten Tag, Frau Baronin!«, rief der dicke Viehhändler fast vertraulich, schob sich ebenfalls in seiner ganzen Fülle vom Stuhl empor und hielt der Eintretenden seine Wurstfinger entgegen. »Schön, dass man Sie auch wieder einmal sieht!«
»Wieso, Herr Korbin? Haben Sie Sehnsucht nach mir?«, scherzte die immer noch schöne Frau in den Vierzigern, der hier jeder Fußbreit Boden gehörte.
»Und wenn es so wäre, würden Sie es mir doch nicht glauben!«, erwiderte der Viehhändler ebenfalls scherzend. »Aber wenn ich Sie sehe, Frau Baronin, dann tauchen immer die alten Zeiten vor mir auf! Es war doch schön, als Sie hier noch selbst das Regiment führten.«
»Herr Altmann macht seine Sache aber auch sehr gut.« Lächelnd warf die Herrin von Gut Seewiese dem alten Verwalter einen Blick zu, dem sie vor mehr als zwanzig Jahren die gesamte Leitung des Gutes übertragen hatte. »Wenn Herr Altmann nicht wäre, könnte ich mich nicht so meiner Familie widmen.«
»Richtig, die Familie! Was macht denn der Herr Sohn?«, fragte der dicke Viehhändler. »Will er nicht bald die Nachfolge antreten?«
Ein Schatten huschte über das feine Frauengesicht.
»Torsten ist noch sehr jung«, sagte Rena Baronin von Beerenbeck ausweichend. »Er feiert übermorgen seinen einundzwanzigsten Geburtstag. Da will ein junger Mensch noch nicht viel vom Ernst des Lebens wissen.«
Nun wandte sie sich dem Verwalter zu.
»Herr Altmann, ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob ich für diese Geburtstagsfeier einen Posten junger Hähnchen haben kann.«
»Aber selbstverständlich, Frau Baronin!«, versicherte der Verwalter beflissen. »Wie viele sollen es denn sein? Ist es recht, wenn ich sie am Geburtstag vormittags gerupft und ausgenommen hinüberschicke?«
»Ich danke Ihnen. Wenn es geht, fünfzehn Stück! Es wird diesmal eine größere Gesellschaft. Ein paar Kollegen meines Mannes kommen und natürlich meines Sohnes Freunde.«
»Geht in Ordnung, gnädige Frau!«, bestätigte Altmann mit einer Verbeugung. »Sie können sich auf mich verlassen.«
Rena von Beerenbeck lächelte den beiden Männern zu und verließ mit einem freundlichen Gruß den Raum.
Korbin nahm seinen speckigen Hut vom Haken und sah vom Fenster aus hinter der davonschreitenden Frauengestalt her.
»Die Freundinnen hat sie nicht erwähnt, die der Herr Filius hat!«, brummte er sich in den Bart. »Der Junge von Beerenbeck soll ja nichts wie Flausen im Kopf haben: Tanzen, Flirten, Segeln, Sport und Musik – sonst nichts! Ja, das ist eben das fremde Blut! Wenn das der alte Freiherr von Brost wüsste, der würde sich im Grab herumdrehen!«
»Wenn Sie mit dem fremden Blut den Herrn Doktor meinen«, widersprach der Pächter Altmann streitbar, »so möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen, dass der nun schon so gut wie ein Einheimischer ist! Zwanzig Jahre lang ist er Syndikus an der Kreissparkasse in Wildenhagen, hoch angesehen und geachtet. Ist das vielleicht nichts?«
»Aber es sind nicht die Eigenschaften eines alteingesessenen, bodenständigen Landwirts, die er seinem Jungen vererbt hat! Der junge Herr Torsten gehört in die Stadt und nicht nach Seewiese, das wissen Sie doch selbst! Und was soll aus dem Gut werden ohne Erben?«
»Zuerst einmal«, antwortete Altmann langsam, »habe ich gedacht, dass der Pachtvertrag wieder um fünf Jahre verlängert wird. Und was mein Hans ist, mein Ältester, der hätte auch nichts dagegen, hier weiter nach meinem Tod Pächter zu bleiben. Fast dreißig Jahre sind wir jetzt hier. Wir sind schon mit Seewiese verwachsen.«
»Des einen Freud ist des anderen Leid!«, beendete der Viehhändler diplomatisch das Gespräch und dachte im Davongehen: Der Frau Baronin wäre das wohl alles andere als recht, wenn das große Anwesen immer verpachtet bliebe.
♥♥♥
Die Baronin schlug derweil den Pfad zum See ein. Es war mittags gegen zwölf, und die Julisonne brannte heiß. Rena von Beerenbeck ging ihren Sohn suchen, der stets die Tischzeit versäumte.
Im Herrenhaus des Gutes hatte die Köchin Auguste, die langsam alt zu werden begann, schon den Tisch gedeckt. Heute gab es zum Braten Kartoffelklöße, und die mussten gegessen werden, wenn sie auf den Tisch kamen. Langes Stehen vertrugen sie nicht.
Von dem Gutshaus war hinter den grünen Bäumen, die es in verschwenderischer Fülle umgaben, nur noch der Dachfirst zusehen. Auch die Dächer der Ställe und des Verwaltungsgebäudes, in dem die Altmanns wohnten, verschwanden hinter den ersten Bäumen des Wäldchens, dem sich die Baronin näherte.
Hier schob sich eine bewaldete Halbinsel weit in den blauen See vor. Die Halbinsel war hügelig, und ihre Ufer fielen teilweise steil ab. Da gab es romantische Winkel. Wunderschön war die Heimat, und die Liebe der Baronin zu diesem Fleckchen Erde war grenzenlos.
Sie hatte den Steg am Ufer erreicht, an dem sonst das Segelboot der Beerenbecks lag. Es war nicht da. Torsten war also wieder einmal draußen auf großer Fahrt.
Rena von Beerenbeck formte ihre Hände zu einem Trichter und legte sie an den Mund.
»Torsten! Torsten!«, schallte es über den See.
Um diese Stunde kehrten die Boote der Feriengäste zu dem nahen Kurort Heisingen zurück. Da gab es in den Pensionen und Hotels das Mittagessen. Nur Torsten von Beerenbeck dachte wieder einmal nicht an Pünktlichkeit.
Er kreuzte weit drüben vor der Anlegestelle der Fähre, die täglich zwischen Heisingen und Prielow verkehrte. Vielleicht hatte er ein nettes Mädel nach Hause gebracht, eine von den vielen Urlaubsgästen!
Aber jetzt schien er Kurs auf die Heimat zu nehmen. Die Baronin sah ihn wenden und glaubte sogar, das rote Halstuch flattern zu sehen, mit dem er winkte.
Sie ließ sich wartend auf dem Steg nieder. Man sah der schlanken Frau, die mit einer grauen Hose, einem weißen Pullover und Sportschuhen bekleidet war, ihre vierundvierzig Jahre nicht an.
Rena von Beerenbeck dachte zurück an ihre Jugend. Als sie einundzwanzig war wie heute Torsten, da war sie die Stütze und rechte Hand ihres fleißigen Vaters gewesen. Nur in den Abendstunden hatte sie sich ein Bad im See gönnen können, nur am Wochenende das Boot benutzt.
Was trieb dagegen Torsten? Seit er vor mehr als einem Jahr das Abitur gemacht hatte, lebte er in den Tag hinein und genoss das Leben. Auch mit der Schule hatte er sich keineswegs beeilt und zum Beispiel die Obersekunda einmal wiederholt.
Etwas mehr Ehrgeiz, Pflichtgefühl und Strebsamkeit hätte die Baronin sich bei ihrem Sohn gewünscht.
Ihre Augen leuchteten auf, als sich das Boot jetzt mit leisem Knirschen und Scheuern am Steg rieb und die schlanke jugendliche Gestalt ihres hübschen Sohnes schwungvoll heraussprang.
»Wieder einmal unpünktlich, Torsten!«, sagte sie tadelnd, aber im Blick ihrer Augen war mehr Liebe als Strenge.
»Ach, Mamachen! Nicht schimpfen!« Er legte ihr die braunen Arme um den Hals und drückte einen Kuss auf ihre Wange. »Ich habe einen Mordshunger! Komm schnell nach Hause!«
»Es sah aber gar nicht so aus, als ob du es eilig hättest!«, versetzte sie, während er ihren Arm unter den seinen zog und sie auf dem gleichen Pfad zurückführte, den sie gekommen war. »Wen musstest du denn erst nach Heisingen zurückbringen?«
»Neugierig? Oder etwa eifersüchtig?«
Er lachte sein strahlendes, sieghaftes Lachen. Mit diesem Lachen, das er von seinem Vater geerbt hatte, hatte einst der junge Syndikus von Beerenbeck jeden Widerstand in Rena zum Schmelzen gebracht. Auch die blauen Augen hatte Torsten vom Vater. Nur das Haar wellte sich braun über der klugen Stirn, wie es das bei der Mutter tat.
»Ich bin weder neugierig noch eifersüchtig«, verwahrte sich Baronin Rena entrüstet, »aber ich bin deine Mutter und habe ein Recht darauf zu wissen, mit wem du Umgang hast.«
»Es war die kleine blonde Stenotypistin aus Kiel, Mama, die für vierzehn Tage in der ›Pension Amalienruh‹ wohnt. Beruhigt?«
Ja, Baronin Rena war beruhigt. Dieses Mädchen wurde ihrem Sohn nicht gefährlich, das hatte sie so im Gefühl. Helga Diekmann war nur eine Abwechslung, eine harmlose Segelkameradin.
»Ach, Torsten!« Sie seufzte. »Da hast du nun wieder einmal einen ganzen Vormittag gebummelt! Tut es dir denn nicht leid um die viele schöne Zeit, die du nutzbringender verwenden könntest?«
»Ich kann sie gar nicht besser verwenden, als dass ich das Leben genieße! Möchtest du mir sagen, was ich sonst tun sollte? Wir haben doch alles und sind reich und sorgenfrei! Warum gönnst du mir also meine Freiheit nicht?«
Baronin Rena schüttelte ernst den Kopf.
»Was du erbst von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen! Kennst du das schöne Sprichwort nicht, mein Junge?«
»Doch, Mama! Aber auf mich passt das doch nicht!«
»Es passt auf jeden, dem das Leben den Anfang allzu leicht zu machen scheint. Du müsstest dir wirklich erst einmal erarbeiten und erwerben, was wir besitzen, um den Wert richtig ermessen zu können. Glaubst du, wir wären heute da, wo wir jetzt sind, wenn dein Großvater nicht wie besessen gearbeitet hätte?«
»Ich habe aber keine Lust, wie ein Irrsinniger zu schuften, und möchte die schönste Zeit meines Lebens genießen. Übrigens ist das doch alles Theorie, Mama! Wir haben es nun einmal und brauchen es nicht zu erarbeiten: das Geld, das Haus und Gut Seewiese!«
»Gut Seewiese?«, flüsterte Baronin Rena wehmütig. »Seewiese wird von fremden Menschen bewirtschaftet, und mein Sohn und Erbe hat gar kein Interesse daran.«
»Nein, entschuldige, Mama!« Der junge Mann lachte auf und tätschelte seiner Mutter die Schulter. »Für Viehzucht und die Bestellung der Felder habe ich nun einmal absolut nichts übrig! Aber bitte schimpf nicht! Wir wollen uns auf die Klöße freuen! Auguste hat mir, als ich ging, verraten, dass es welche gibt!«
»Umso unverzeihlicher, dass man dich erst holen muss, du Bummelant!«
Sie waren durch das hintere Pförtchen in den Park gelangt. Über die Terrasse betraten sie jetzt das Haus, das ganz von Rosen umrankt war. Rosen blühten im Vorgarten, Rosen kletterten über den Torbogen der Haustür. Es waren die Lieblingsblumen von Baronin Rena, und sie wurden liebevoll gepflegt.
Mutter und Sohn nahmen allein das Essen ein. Der Rechtsanwalt Dr. Klaus von Beerenbeck kam aus Wildenhagen erst am späten Nachmittag nach Hause.
Nachdem Torsten Augustes Kochkünste gebührend gewürdigt und sechs große Klöße verschlungen hatte, stürmte er gleich wieder zum See.
Baronin Rena saß mit ihrer Handarbeit auf der Terrasse. Außer der Köchin Auguste gab es noch ein tüchtiges Hausmädchen, einen Gärtner, der gleichzeitig auch als Chauffeur diente, einen Diener und eine Wasch- und Putzfrau. Im Hause sah die Herrin von Gut Seewiese stets selbst nach dem Rechten.
Was soll nur aus Torsten werden?, fragte die Baronin sich. Einundzwanzig Jahre war der Junge jetzt alt und hatte noch kein Ziel. Er wusste nicht einmal, welche Richtung er seinem Leben geben sollte.
So geht es nicht weiter!, sagte sie sich. Ich werde heute mit Klaus darüber sprechen! Und mit einiger Ungeduld sah sie der Heimkehr ihres Gatten entgegen.
♥♥♥
Um sechs Uhr fuhr meist der Wagen mit dem Baron vor, spätestens um sieben wurde gegessen. Das wusste Torsten so gut wie alle anderen Hausgenossen, trotzdem war er nicht zur Stelle.
Baronin Rena ging ihrem Gemahl entgegen, als sie den Wagen halten hörte. Sie öffnete ihm selbst die Haustür und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
»Guten Abend, Klaus! Schön, dass du da bist!«
Seit Jahren machte sie das so, aber es war immer noch nicht zu einer leeren Geste geworden. Noch immer war sie glücklich, wenn er wieder bei ihr war, denn sie liebten sich sehr.
Die hochgewachsene Erscheinung des Barons war mit dem Alter nur imponierender geworden. Die ergrauten Schläfen standen dem Fünfzigjährigen sehr gut, und seine blauen Augen im markanten Gesicht hatten noch nichts von ihrem Feuer eingebüßt.
Nachdem er sich ein wenig erfrischt hatte, trat Klaus Baron von Beerenbeck an den Familientisch im Terrassenzimmer.
»Ist Torsten noch nicht da?«
»Er ist wieder einmal unpünktlich«, bemerkte seine Gattin etwas resigniert.
»Wenn der Bursche sonst nichts zu tun hat, könnte er wenigstens pünktlich sein!«, versetzte der Rechtsanwalt verstimmt und langte nach der Serviette.
»Du hast vollkommen recht«, pflichtete seine Frau ihm bei.
»Ich werde einmal ein ernstes Wort mit dem Jungen sprechen«, erklärte der Baron, während er sich das Roastbeef auflegte.
»Eine gute Idee, Klaus. Bei der Gelegenheit könntest du gleich einmal das Thema Berufswahl und Zukunft zur Sprache bringen. So geht es nicht weiter! Der Junge lebt in den Tag hinein und verbummelt seine besten Jahre.«
»Meinetwegen! Aber warum hast du es gar so eilig damit, ihn ins Joch zu spannen?«
»Eilig? Ich bitte dich, Klaus, seit dem Abitur sind ein Jahr und drei Monate vergangen ...«
»Na und? Man ist doch nur einmal jung! Rena, lass ihn doch! Der Ernst des Lebens kommt schon von ganz allein und noch schnell genug.«
»Ich verstehe deine Gleichgültigkeit nicht!«, rief Baronin Rena entrüstet. Und dann mit etwas spitzer Betonung und einem Seitenblick: »Das heißt, ich verstehe nur allzu gut! Du bist ja immer etwas lässig gewesen, und dein Sohn hat diese Eigenschaft von dir geerbt! Darum ist er dir darin so sehr sympathisch, und darum unternimmst du nichts dagegen.«
»Jetzt ist es mir aber bald zu dumm!«, entgegnete der Baron verärgert, warf die Serviette hin und hieb auf den Tisch. »Weil ich nicht so ein verrücktes Arbeitstier war wie dein Vater, hast du mir im ersten Ehejahr ständig Vorwürfe gemacht, und beinahe wäre unsere Ehe an der Verschiedenheit unserer Temperamente gescheitert. Ich dachte, du hättest seitdem eingesehen, dass auch die Menschen etwas taugen, die sich einen Feierabend gönnen und das Leben zu genießen verstehen. Lebenskunst nennt man das, meine Liebe! Und jetzt ...«
»... jetzt lässt du vor lauter Lebenskunst aus deinem Sohn einen Menschen werden, der den Wert ehrlicher Arbeit gar nicht mehr zu schätzen weiß! Klaus, du musst mit dem Jungen wirklich ein ernstes Wort reden!«
»Gut, nach dem Essen werde ich ihn suchen und ihm einmal richtig die Meinung sagen«, versicherte Klaus von Beerenbeck.
♥♥♥
Seltsame schrille Töne lockten den Baron zum Bootshaus am Seeufer, als er nach dem Abendessen auf der Suche nach seinem Sohn den Park verlassen hatte und dem Pfad folgte, der sich durch das Wäldchen schlängelte.
Das ist Musik, ganz verrückte moderne Musik!, dachte der Baron kopfschüttelnd. Wo gibt es denn hier eine Band? Der Lärm scheint aus dem Bootshaus zu kommen! Wahrscheinlich steckt Torsten dahinter. Alle Dummheiten haben irgendetwas mit ihm zu tun!
Auf diesem Weg hatte einst der Baron von Beerenbeck als Urlaubsgast aus Kiel die junge Rena Freiin von Brost kennengelernt, die Frau, mit der er nun zweiundzwanzig Jahre lang glücklich verheiratet war.
Liebe Rena, dachte er zärtlich, du hast mich so glücklich gemacht! Torsten, dieser Bursche, soll jetzt nicht schuld daran sein, dass du unglücklich wirst!
Und so geladen mit Energie und väterlichem Zorn öffnete er die Tür zum Bootshaus und prallte fast zurück vor dem chaotischen Lärm und dem absonderlichen Bild, das sich ihm hier bot.
Auf einer Tonne saß ein junger Mann, der wütend ein Schlagzeug bearbeitete. Hinter ihm stand jemand mit einer Gitarre und zupfte krampfhaft die Saiten. Vorn wiegte sich ein Jüngling mit Klarinette, und Torsten entlockte ebenfalls einer Gitarre wilde Rhythmen, während er wie besessen mit den Füßen den Takt schlug.
Zwischen den verstaubten Böcken, auf denen im Winter das Boot lag, hüpfte ein blondes Mädchen herum – die Stenotypistin aus Kiel. Sie sang mit heiserer Stimme.
»Was geht denn hier vor?«, rief der Baron in den Höllenlärm.