Lore-Roman 190 - Katja von Seeberg - E-Book

Lore-Roman 190 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Christine Grabenhorst steht nach dem Tod ihrer Eltern ganz allein in der Welt, meistert ihr Leben aber mit Bravour. Nur manchmal wünscht sie sich insgeheim doch einen Mann an ihrer Seite, eine starke Schulter zum Anlehnen. Jetzt steht aber erst einmal ein lang ersehnter Urlaub an, drei Wochen ohne Büro und Sekretärinnendasein, dafür aber mit viel Freiheit und Abenteuer - denn es soll mit Christines kleinem Wagen von Ort zu Ort gehen. Dass sie dabei einem echten Baron begegnet, in einem Schloss nächtigt und ein Leben rettet - so viel Abenteuer hätte sich die junge Frau dann aber doch nicht vorgestellt ...

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Inhalt

Cover

Warten auf drei kleine Worte

Vorschau

Impressum

Warten auf drei kleine Worte

Der große Erfolgsroman für glückliche Stunden

Von Katja von Seeberg

Christine Grabenhorst steht nach dem Tod ihrer Eltern ganz allein in der Welt, meistert ihr Leben aber mit Bravour. Nur manchmal wünscht sie sich insgeheim doch einen Mann an ihrer Seite, eine starke Schulter zum Anlehnen. Jetzt steht aber erst einmal ein lang ersehnter Urlaub an, drei Wochen ohne Büro und Sekretärinnendasein, dafür aber mit viel Freiheit und Abenteuer – denn es soll mit Christines kleinem Wagen von Ort zu Ort gehen. Dass sie dabei einem echten Baron begegnet, in einem Schloss nächtigt und ein Leben rettet – so viel Abenteuer hätte sich die junge Frau dann aber doch nicht vorgestellt ...

Christine Grabenhorst sah sich noch einmal im Wohnzimmer ihrer kleinen Mietwohnung um. Nach einem prüfenden Blick auf die beiden gepackten Koffer nickte sie zufrieden. Morgen früh begann ihr Sommerurlaub! Doch zuvor wollte sie noch einige Besorgungen im Warenhaus Merkantil machen.

Bald darauf hatte sie ihr Ziel erreicht und schlenderte an den Auslagen entlang. Es war ein herrliches Gefühl, zu wissen, dass sie ab morgen für drei Wochen aus der Tretmühle ihres täglichen Sekretärinnendaseins heraus war. Während des Urlaubs würde sie sich treiben lassen, unbeschwert und ohne Sorgen.

Christine Grabenhorst stand allein in der Welt. Ihre Eltern waren bereits vor einigen Jahren gestorben, und manchmal fühlte sie sich schon sehr einsam – vor allem ging sie nicht gern mit oberflächlichen Menschen um. Trotzdem kam sie allein insgesamt gut zurecht.

In der Nähe des Warenhaus-Ausgangs blieb die junge Frau an einem Tresen stehen, den sie beim Eintreten übersehen hatte. Gediegener Schmuck aus Gold und Silber war hier ausgestellt.

Dicht neben Christine stand eine auffällig gekleidete Dame mittleren Alters und wühlte ungeniert in den ausgelegten Schmuckstücken.

Christine entdeckte währenddessen ein Armband, das ihr zusagte. Mit einem fragenden Blick auf die Verkäuferin nahm sie es zur Hand und probierte es an, musterte es am Gelenk und streifte es wieder ab, um nach dem Preiszettel zu sehen.

Danach legte sich ein Ausdruck des Bedauerns über ihr Gesicht. Was da stand, war zu viel für ihren Geldbeutel, zumal, wenn sie an die bevorstehende Reise dachte. Traurig legte sie das Armband an seinen Platz zurück.

Als Christine sich zum Gehen wandte, stieß die Verkäuferin einen Ruf aus. Auf ihrem Gesicht lag Verblüffung und Schrecken, und sie wies auf das mit Samt überzogene Brettchen, auf das Christine vor wenigen Augenblicken das begehrte Armband zurückgelegt hatte. Das Schmuckstück lag nicht mehr an seinem Platz.

Die Dame an Christines Seite wandte sich ebenfalls zum Gehen. Die Verkäuferin sah sich ratlos um. Dann wanderte ihr Blick zu Christine.

»Ich bitte die Damen zu bleiben«, sagte die Verkäuferin schließlich aufgeregt mit heiserer Stimme. »Das Armband!«, stammelte sie. »Eben war es noch da, und jetzt ...«

Die Dame neben Christine antwortete: »Ich hatte es nicht in der Hand, wie Sie wissen. Die Ohrringe dort drüben interessierten mich. Sie sind noch da. Ich konnte mich nicht zum Kauf entschließen.«

Sie wollte gehen.

»Einen Augenblick!«, wiederholte die Verkäuferin, nun schon energischer.

»Ich habe leider keine Zeit«, behauptete die Dame ungehalten. »Ich werde erwartet und bin schon verspätet.«

Die Verkäuferin kam hinter dem Ladentisch hervor. Christine sagte nichts. Sie konnte sich den Vorfall nicht erklären.

Ein Herr im grauen Anzug stand plötzlich neben ihnen.

»Etwas nicht in Ordnung?«, fragte er, zur Verkäuferin gewandt, und hörte sich deren Bericht an, ohne sie zu unterbrechen. Dann musterte er Christine und die ein wenig zu betont aufgemachte Dame. Schließlich äußerte er höflich: »Darf ich die Damen bitten, mir ins Büro zu folgen? Sie werden einsehen, dass es notwendig ist. Außer Ihnen befand sich niemand am Stand.«

Die Dame zog die Augenbrauen hoch. Sie wollte heftig protestieren, hielt sich aber zurück und lächelte.

»Natürlich – Sie haben recht. Wenn wirklich etwas gestohlen wurde, kann es ja nur eine von uns beiden gewesen sein.«

Christine wurde nun unsicher. Sie brachte kein Wort hervor. Stumm folgte sie dem energischen Herrn in sein Büro. Die andere Dame redete indes unaufhörlich auf ihn ein.

»Ich hoffe, die Angelegenheit wird in wenigen Minuten geklärt sein«, unterbrach der Herr ihren Redeschwall. »Würden Sie bitte so freundlich sein, Ihre Taschen auszuleeren?«

Die Dame wollte protestieren, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Natürlich weiß ich, dass Sie sich weigern können, es zu tun. Ich besitze keinerlei Befugnis, Ihr privates Eigentum durchzusehen. Aber dann wäre ich gezwungen, die Polizei zu rufen.«

Die Dame lächelte spöttisch und meinte lapidar: »Ich habe nichts zu verbergen.«

Sie öffnete ihre große Einkaufstasche und schüttete den Inhalt auf die Schreibtischplatte. Es kam eine Menge Kram zum Vorschein. Das vermisste Armband war nicht dabei.

Der Warenhausdetektiv – denn um diesen handelte es sich bei dem Herrn in Grau – verbeugte sich.

»Ich bitte um Entschuldigung. Sie werden begreifen, dass ich nicht anders handeln kann. Bitte nehmen Sie das nicht übel.«

»Nicht im Geringsten.« Sie lächelte verzeihend. »Es war mir eine nicht gerade angenehme, aber interessante Erfahrung.«

Der Herr nahm die leere Tasche zur Hand und betrachtete sie eingehend – ohne Ergebnis.

»Damit ist die Sache wohl für mich erledigt?«, fragte die Dame auffällig liebenswürdig. »Natürlich wusste ich, dass Sie nichts finden würden.«

Mit Genugtuung packte sie den Inhalt ihrer Tasche wieder ein.

Jetzt ließ Christine das, was sich in ihrem großen Einkaufsbeutel befand, auf die Schreibtischplatte gleiten. Alles war vorschriftsmäßig in Papier des Hauses gepackt. Dann stieß sie erschreckt einen Ruf aus. Ganz zuletzt fielen noch zwei Gegenstände auf die Tischplatte: das Armband, um das es ging, und eine Halskette.

»Also Sie!«, bemerkte die Dame mit hämischer Genugtuung.

Der Blick, mit dem sie Christine musterte, stach wie eine Nadel.

Christine stand einen Augenblick lang wie gelähmt.

Dann brachte sie mit Mühe hervor: »Das ist mir unerklärlich! Ich weiß nicht, wie diese Gegenstände in meine Handtasche kommen.«

Nun fragte die Dame: »Die Angelegenheit ist jetzt wohl für mich erledigt? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich gehen dürfte.«

Der Detektiv verbeugte sich.

»Die Dinge liegen klar, gnädige Frau. Ich bitte um Entschuldigung.«

Die Dame nickte hoheitsvoll, streifte Christine mit einem verächtlichen Blick und verließ den Raum.

Christine aber stand wie erschlagen da. Wie waren die Schmuckstücke in ihre Tasche gelangt? Es gab nur eine Möglichkeit: Die andere war die Diebin! Sie hatte ihre Beute unbemerkt in Christines Tasche gleiten lassen, als sie feststellte, dass die Situation gefährlich wurde.

Aufgeregt rief Christine: »Lassen Sie die Dame nicht gehen! Sie ist die Diebin! Sie steckte mir die Sachen in die Tasche.«

Der Herr am Schreibtisch lächelte skeptisch.

»Halten Sie Ihre Ausrede für originell, Fräulein? Sie haben ja keine Ahnung, wie oft sie in diesem Büro schon vorgebracht wurde.«

Christine blickte unglücklich zu Boden. Er glaubte ihr nicht.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein junger Herr trat ein, nur wenige Jahre älter als Christine.

»Was gibt es, Hansen?«, fragte er.

»Das übliche«, erwiderte der Herr am Schreibtisch. »Wieder eine Ladendiebin. Auf frischer Tat ertappt.«

»Das stimmt nicht«, verwahrte sich Christine empört.

Hansen lächelte. »Ganz wie Sie wünschen: nicht unmittelbar beim Greifen ertappt. Aber ich fand die Schmuckstücke in ihrer Einkaufstasche.«

Der junge Herr musterte Christine eingehend.

»Sie sehen eigentlich nicht danach aus«, äußerte er überlegend.

»Wenn der Herr es nicht tut – vielleicht glauben Sie mir?«, erwiderte Christine eifrig. »Die Dinge befanden sich in meiner Tasche, das leugne ich nicht. Aber ich tat sie nicht hinein.« Empört blickte sie Hansen an. »Er ließ die eigentliche Diebin gehen. Sie war so gerissen, ihre Beute in meine Tasche zu stecken, als sie merkte, dass es gefährlich wurde.«

Um den Mund des jungen Mannes legte sich zuerst ein spöttisches Lächeln, dann trat in sein Gesicht ein Staunen, das gleich darauf in eine Art Bewunderung überging.

»In einem hat Herr Hansen recht, mein Fräulein: Wir hören diese Ausrede immer wieder. Aber mit so viel Überzeugung ist sie noch selten vorgebracht worden.«

Nun wurde Christine wütend. Sie wollte erregt widersprechen, beherrschte sich aber. Eines war ihr klar: Sie durfte ihre Lage nicht schlimmer gestalten, als sie schon war.

»Was geschieht mit ihr?«, fragte Hansen geduldig. »Das übliche?«

Der junge Mann überlegte. Dann hob er die Schultern.

»Wenn ich mir es recht überlege, fing sie es nicht sehr geschickt an. Wahrscheinlich tat sie es zum ersten Mal. Wir wollen ihr eine Chance geben.«

In Christine stieg die Empörung von Neuem hoch.

»Ich wünsche keine Chance! Ich will Gerechtigkeit!«, forderte sie.

»Dann müssten wir die Angelegenheit der Polizei übergeben«, erwiderte der junge Mann.

Klang Bedauern in seiner Stimme?

»Tun Sie, was Sie wollen!«, sagte Christine trotzig. »Wenn Sie mir nicht glauben – vielleicht findet die Polizei den wahren Sachverhalt heraus.«

Der junge Mann wandte sich erneut an Hansen: »Gehen Sie nach unten. Das hier bringe ich zu Ende.«

Hansen verbeugte sich. »Wie Sie wünschen!«

Er verließ den Raum.

Ein Lächeln legte sich trotz ihrer Verzweiflung um Christines Mund. Wie kam sie aus dieser üblen Lage heraus? Gleich darauf wurde sie wieder zornig. Dieser junge Herr stand ihr in aller Seelenruhe gegenüber und betrachtete sie eingehend. Was bildete er sich ein?

»Fertig mit der Besichtigung?«, fragte sie forsch. »Rufen Sie endlich die Polizei! Ich möchte die Sache hier gern hinter mir haben.«

Ihre Wangen waren im Zorn gerötet. Ihre Augen blitzten. Am liebsten hätte sie diesen anmaßenden Mann bei den Schultern gepackt und kräftig durchgerüttelt.

Es dauerte eine Weile, ehe er erklärte: »Wir rufen nicht immer die Polizei, mein Fräulein. Wenn so etwas zum ersten Mal vorkommt, lassen wir es gewöhnlich mit einem Hausverbot genug sein – nachdem ein entsprechender Revers unterschrieben worden ist.«

Christine begehrte auf: »Ich werde nichts unterschreiben! Schriftlich bestätigen, dass Sie mich beim Diebstahl ertappten und nur aus Gnade und Barmherzigkeit nicht der Polizei übergaben? Niemals!«

Er überlegte kurz, dann hatte er sich entschieden: »Ich weiß nicht, warum ich es tu, aber gehen Sie, ohne Revers! Aber Sie dürfen unser Haus nicht wieder betreten.«

Christine richtete sich wütend auf.

»Glauben Sie, ich setze nach allem, was mir hier widerfuhr, meinen Fuß noch einmal über Ihre Schwelle? Ich mache in Zukunft einen weiten Bogen um dieses Haus!«

»Damit dürfte uns beiden gedient sein«, erwiderte er nur.

Eilig raffte Christine ihre Einkäufe zusammen. Sie streifte ihr Gegenüber mit einem verächtlichen Blick.

»Bilden Sie sich nicht etwa ein, ich sei nun hoch beglückt! Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn die Polizei gekommen wäre. Meine Unschuld würde sich schon herausgestellt haben.«

Wie gehetzt eilte sie ins Erdgeschoss hinunter und strebte beinahe fluchtartig aus dem Haus. Zorn, Empörung und Scham erfüllten sie.

***

Helga Baronin von Kelm schaute seufzend hoch. Mit behutsamer Bewegung setzte sie die Brille ab und fuhr mit der Hand über die Stirn.

Jetzt klopfte es.

»Herein!«, rief sie angespannt.

Zu dieser Abendstunde konnte es nur Wilm sein, und richtig: Die Tür wurde auf die stürmische Art, die ihr Sohn schon als Kind an sich hatte, geöffnet. Gleich darauf stand er neben ihrem Schreibtisch und küsste die Mutter behutsam auf die Stirn.

»Schon wieder bei diesen langweiligen Geschäftsbüchern, Mama?« Er setzte sich auf die Schreibtischkante. »Wozu soll es gut sein, jede kleine Privatausgabe aufzuschreiben? Wir merken ja ganz von selbst, wenn das Geld zur Neige geht.« Er lachte. »Eigentlich ist es bei uns immer auf der Neige.«

»Es könnte anders sein, mein Junge«, wandte die Baronin ernst ein. »Du solltest heiraten.«

Wilm verzog sein Gesicht.

»Fängst du schon wieder an, Mama? Wie ich dich kenne, hast du also wieder jemanden für mich in Aussicht genommen. Stimmt's?«

»Einmal muss es sein«, entgegnete die Baronin ernst. »Du hast doch nicht die Absicht, unser Geschlecht aussterben zu lassen? Was hindert dich am Heiraten?«

Der Baron lachte und erklärte: »Allerhand, Mama. Gegen die Frauen im Allgemeinen habe ich natürlich nichts ...«

Baronin Helga lächelte. »Das weiß ich. Sobald ein hübsches Mädchen auftaucht, machst du ihm den Hof. Fängt die Sache dann an, ernsthafte Formen anzunehmen, ziehst du dich entgeistert zurück.«

»Ich mag Frauen gut leiden, Mama.« Baron Wilm lachte. »Eigentlich sehr gut. Aber mit gewissem Abstand. Wenn ich mir vorstelle, mit einer von ihnen Tag und Nacht zusammenzuleben – nein! Aber wen hast du denn jetzt wieder für mich in Aussicht genommen?«

Baronin Helga blickte ihren Sohn prüfend an.

»Du kennst Herrn von Rappenhall, Wilm?«

Der Baron trank sein Glas mit einem Zug leer. Dann seufzte er tief.

»Das ist ein harter Schlag, Mama. Herr von Rappenhall hat fünf Töchter. Eine immer – hm – weniger schön als die andere. Welche von ihnen hast du mir zugedacht?«

»Veronika.«

»Die Älteste? Ist das wirklich dein Ernst? Sie hat keinerlei weiblichen Charme! Hast du sie schon einmal schimpfen hören, wenn etwas nicht klappt?«

Die Baronin lachte. »Sie versteht es, sich durchzusetzen, und wird Schwung in unseren Betrieb bringen. Ihr Geld dürfte uns endlich in die Lage versetzen, die Verbesserungen vorzunehmen, die Kelm nötig hat. Ich möchte unseren Lebensunterhalt nicht ausschließlich durch mein Hotel und deinen Weinhandel verdienen müssen.«

»Mir gefallen die Dinge, wie sie liegen, Mama. Und die gute Veronika kommt für mich nicht infrage, Punkt! Und höre auf, eine geeignete Frau für mich zu suchen! Einmal finde ich die schon. Dann wird geheiratet, eher nicht.«

Die Baronin sah ihren Sohn mit einem halb bekümmerten, halb liebevollen Blick an. Dann musste sie lachen.

»Du hast recht. Du bleibst, wie du bist. Man muss dich nehmen, wie du geschaffen wurdest.«

***

Kurt Gräfen, Chef des Kaufhauses Merkantil, sah auf die Uhr. Das riesige Warenhaus war bereits vor einer Stunde geschlossen worden. Nun war es auch für ihn an der Zeit, nach Hause zu gehen. Er hatte eine gute halbe Stunde Weg bis zur Villa Gräfen.

Heute hatte er keine Eile. Außer den Dienstboten befand sich niemand daheim. Seine Mutter war vor drei Tagen zur Kur gereist.

Beschwingt schritt er aus. Er war mit sich zufrieden. Seit dem Tod seines Vaters leitete er die Warenhäuser, die dieser erbaut und erworben hatte.

Die junge Ladendiebin fiel ihm ein, die kurz vor Geschäftsschluss auf frischer Tat ertappt worden war. Sie schien eine nette und wohlerzogene junge Dame zu sein. Bestimmt hatte sie es nicht nötig, zu stehlen. Warum tat sie es doch? Und mit welcher Sicherheit sie ihre Unschuld behauptet hatte!

Kurts Gedanken wandten sich anderen Dingen zu. In seiner Einsamkeit fragte er sich, ob er nach dem Abendessen noch einmal ausgehen solle.

Von Neuem dachte er unwillkürlich an die junge Diebin. Etwas war an ihr, was ihm zu denken gab – und er erkannte auch, was. Es waren ihre Augen. So lebendige und große Augen hatte er noch bei keiner Frau gesehen. Wie mochte sie aussehen, wenn ihre Augen einmal nicht im Zorn blitzten? Wenn sie jemanden, den sie gern hatte, gütig und voller Freundlichkeit anblickte?

Aber was ging ihn diese kleine Ladendiebin an? Er hätte im Gegenteil zornig auf sie sein müssen.

***

Am anderen Morgen war Christine früh aus dem Bett. Ihr erster Urlaubstag! Drei herrliche Wochen lagen vor ihr. Sie hätte glücklich sein müssen, aber die Erinnerung an die Demütigung, die sie im Warenhaus erlitten hatte, nagte an ihr. Sie – eine Diebin!

Der Zorn gegen diesen anmaßenden, eingebildeten jungen Herrn war immer noch in ihr. Sie hätte ihm gern ins Gesicht gesagt, was sie von ihm hielt.

Nach einem letzten Rundgang durch ihre Räume griff sie nach den Koffern und verließ die Wohnung, auf die eine Nachbarin aufpassen würde. Draußen auf der Straße stand Christines kleiner Wagen, nicht ganz neu, aber zuverlässig. Sie verstaute die Koffer, setzte sich ans Steuer und fuhr davon – in ein drei Wochen dauerndes fröhliches Abenteuer.

Je weiter sie kam, desto mehr besserte sich ihre Laune, sodass sie sogar zwischenzeitlich vergnügt vor sich hinsang. So brachte sie Kilometer um Kilometer hinter sich. Einmal informierte sie sich auf der Karte. Noch eine Stunde, und dann würde sie die Gegend erreichen, die sie zum Ausgangspunkt ihrer Entdeckungsfahrten ausersehen hatte.

Es war später Nachmittag, als Christine plötzlich einen Herrn mitten auf der Straße stehen sah. Er winkte, dass sie halten möge, und sie fuhr an den Straßenrand. Ein anderes Auto stand bereits dort.

Christine schaute zum Seitenfenster ihres Wagens hinaus. Der Herr war groß, schlank und sah recht ansprechend aus. Sie schätzte ihn auf ungefähr dreißig.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie vorsichtig.

»Eine Dame!«, stellte er enttäuscht fest.

»Ich verstehe einiges von Autos«, belehrte Christine ihn. »Kleinere Reparaturen an meinem Wagen erledige ich selbst. Vielleicht reichen meine Talente aus, Ihrem Straßenkreuzer wieder Leben einzuhauchen.«

»Darum geht es nicht«, erwiderte der Herr vergnügt lächelnd. »Was zu tun ist, schaffe ich allein.«

»Warum tun Sie's dann nicht?«, entgegnete Christine.

»Es fehlt mir am Werkzeug. Ich nahm die Werkzeugtasche gestern Abend heraus.«

»Sie müssen Ihre Gedanken eben besser beieinander halten!«

»Um Gottes willen!«, rief er da in gespieltem Entsetzen. »Sind Sie Lehrerin?«

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Christine verblüfft.

»Weil Sie in dem gleichen Tonfall sprechen, in dem mich früher meine Lehrerin rügte.«

»Ich soll Ihnen also mit meinem Werkzeug aushelfen?«, blieb Christine bei der Sache.

»Es handelt sich nur um eine Kleinigkeit, falls ich den richtigen Schlüssel bekomme.«

Christine entschied, auszusteigen, kramte ihr Werkzeug heraus und reichte es ihm.

»Vielen Dank, gnädiges Fräulein.« Er verbeugte sich. Die Reparatur dauerte nicht lange. Der Herr richtete sich auf und lächelte sie an. »Nun dürfte der Schaden behoben sein«, erklärte er zufrieden. Er betätigte den Anlasser, und der Motor sprang tatsächlich an. »Ich habe Ihnen sehr zu danken!«

Von Neuem verbeugte er sich.

Er hat ausdrucksvolle Augen, stellte Christine fest. Und er scheint sehr fröhlich veranlagt zu sein.

Während ihr Gegenüber sich die schmutzigen Hände an einem Lappen abwischte, erkundigte er sich vorsichtig: »Sind Sie zum Vergnügen unterwegs, gnädiges Fräulein?«