Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 734 - Katja von Seeberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 734 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Auch wenn Gitta Kreutzberg ihre Arbeit als Restauratorin kostbarer Antiquitäten liebt, sehnt sie sich nach ihrem wohlverdienten Urlaub. Doch bevor es so weit ist, trifft sie ein unerwarteter Schlag: Ihr Freund Jochen trennt sich von ihr. Gitta lässt sich jedoch nicht unterkriegen und kommt schnell zu dem Schluss, dass es wohl doch nicht die große Liebe war.
Jetzt erst recht, sagt sie sich und bucht auf eine Anzeige in der "Antiquitätenrundschau" ein Ferienzimmer auf Schloss Hohenstein. Doch was für eine Enttäuschung erwartet Gitta da! Die erhoffte Idylle entpuppt sich als Katastrophe. Das Schloss ist eine heruntergekommene Ruine, die Anzeige ein Irrtum, und der Schlossherr steht am Rande des Bankrotts. Als wäre das nicht genug, taucht plötzlich Jochen wieder auf - fest entschlossen, Gitta mit allen Mitteln zurückzugewinnen.
Was als erholsamer Urlaub geplant war, verwandelt sich für Gitta in ein Abenteuer voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen ...

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Inhalt

Cover

Das verzauberte Schloss

Vorschau

Impressum

Das verzauberte Schloss

Wie Gitta ihre große Liebe fand

Auch wenn Gitta Kreutzberg ihre Arbeit als Restauratorin kostbarer Antiquitäten liebt, sehnt sie sich nach ihrem wohlverdienten Urlaub. Doch bevor es so weit ist, trifft sie ein unerwarteter Schlag: Ihr Freund Jochen trennt sich von ihr. Gitta lässt sich jedoch nicht unterkriegen und kommt schnell zu dem Schluss, dass es wohl doch nicht die große Liebe war.

Jetzt erst recht, sagt sie sich und bucht auf eine Anzeige in der »Antiquitätenrundschau« ein Ferienzimmer auf Schloss Hohenstein. Doch was für eine Enttäuschung erwartet Gitta dort! Die erhoffte Idylle entpuppt sich als Katastrophe. Das Schloss ist eine heruntergekommene Ruine, die Anzeige ein Irrtum, und der Schlossherr steht am Rande des Bankrotts. Als wäre das nicht genug, taucht plötzlich Jochen wieder auf – fest entschlossen, Gitta mit allen Mitteln zurückzugewinnen.

Was als erholsamer Urlaub geplant war, verwandelt sich für Gitta in ein Abenteuer voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen ...

Gitta Kreutzberg lachte, als sie zufällig einen Blick in den Spiegel warf.

Das Glas war klar und gab das Spiegelbild wundervoll wieder, aber der Rahmen hatte in den zweihundert Jahren – so alt war die Antiquität – stark gelitten.

Hoffentlich würde es ihr gelingen, das Ding so weit zu restaurieren, dass Herr Delius es gut verkaufen konnte.

Herr Delius war Inhaber einer Antiquitätenhandlung und ihr Chef. Sein Gesicht wies zahlreiche Runzeln auf, aber seine Augen blickten scharf und munter. Mit seinem rechten Fuß war etwas nicht in Ordnung, wodurch er leicht hinkte. Gerade kam er die Ateliertreppe herunter.

»Ist die alte Truhe fertig, Gitta?«, fragte er.

»Ja, Herr Delius«, erwiderte sie fröhlich. »Wenn sie über Nacht ruhig an ihrem Platz steht, ist morgen früh alles in Ordnung.«

Gitta nickte dem alten Herrn zu. Er war ein Sonderling, ein richtiges Original. Sie mochte ihn, denn es ließ sich mit ihm arbeiten, und sie verdiente gut.

»Die Truhe kommt in die neue klothensteinsche Villa. Woran arbeiten Sie jetzt?«

Gitta wies auf den Spiegel.

»Das ist eine aufwendige Arbeit, Herr Delius. Die Rahmenverzierungen weisen viele abgesprungene Stellen auf, da habe ich mindestens drei Tage dran zu bosseln. Erst dann kann ich ans Vergolden gehen.«

»Anschließend muss dringend die Kommode für Frau Direktor Itzehoe gemacht werden. Sie ruft ständig an.«

»Weil Sie immer wieder etwas dazwischenschieben, Herr Delius.«

»Ich weiß, Gitta.« Er blickte sie unglücklich an.

»Und nach der Kommode nehme ich endlich meinen Urlaub, Herr Delius. Ich habe ihn wegen dringender Aufträge nun schon dreimal verschoben. Sie sind viel zu nachgiebig der Kundschaft gegenüber.«

Herr Delius nickte schuldbewusst.

»Ich werde mich bessern«, versprach er.

Die Ladenglocke bimmelte.

»Fangen Sie mit dem Spiegel an, Gitta. Ich kümmere mich um den Kunden«, sagte der Chef und stieg die Treppe hinauf.

♥♥♥

»Kam Post, Frau Mareiler?«, fragte Gitta, als sie einige Stunden später die Wohnung der verwitweten Frau des Eisenbahnobersekretärs Mareiler betrat, bei der sie ein möbliertes Zimmer gemietet hatte.

»Auf dem Tischchen unter dem Spiegel – wie immer!«, rief Frau Mareiler von der Küche zu ihr in den Korridor hinaus.

Gittas Vermieterin war recht beleibt, lebhaft und gutmütig.

Die Streifbandsendung auf dem Spiegeltisch interessierte Gitta im Augenblick wenig. Sie hatte die Fachzeitschrift ihres Berufes wegen abonniert. Und woher sollte schon andere Post kommen? Eltern hatte sie nicht mehr. Ihre Geschwister waren verheiratet und hatten genug mit den eigenen Familien zu tun.

Aber war es nicht Zeit, dass Jochen wieder einmal schrieb? Vor drei oder vier Wochen hatte sie den letzten Brief von ihm erhalten.

Als Gitta an Jochen dachte, begann sie zu strahlen. Das war ein herrlicher Urlaub gewesen vor einem Jahr! Sie war in einen kleinen, stillen Ort gefahren, den man ihr empfohlen hatte. Dort hatte sie Jochen kennengelernt.

Von der ersten Minute an hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt. Und ihm schien es ähnlich ergangen zu sein. Am zweiten Urlaubstag hatte er sie angesprochen.

Sie hatten viele schöne Spaziergänge miteinander unternommen und waren jeden Tag zusammen gewesen. Als die Stunde des Abschieds geschlagen hatte, hatten sie einander versprochen, sich zu schreiben.

Ihr Urlaub war einen Tag früher zu Ende gegangen als der seine. Jochen hatte sie zur Bahn gebracht und ihr einen Kuss gegeben, kurz bevor der Zug abgefahren war.

In den Briefen, die sie einander in der Folgezeit geschrieben hatten, war ihr Verhältnis immer enger und inniger geworden. Nach dreimonatigem Briefwechsel hatte er zum ersten Mal von Heirat gesprochen. Gitta hatte sofort mit froher Zufriedenheit zugestimmt. Sie hatte Jochen sehr gern, wenn sie auch nicht wusste, ob das, was sie für ihn empfand, die ganz große Liebe war.

In den letzten drei Monaten waren die Abstände zwischen seinen Briefen plötzlich immer größer geworden. Gitta hatte sich keine Gedanken darüber gemacht und war davon ausgegangen, dass ihm seine Arbeit einfach keine Zeit ließ.

Als Gitta ihre Zeitschrift aufnahm, bemerkte sie, dass noch ein Brief darunterlag. Erfreut stellte sie fest, dass der Brief von Jochen war.

Sie klemmte die Zeitschrift unter den Arm, nahm den Brief wie eine Kostbarkeit auf und ging in ihr Zimmer.

»Ich bringe Ihnen in zehn Minuten Ihren Tee, Kindchen!«, rief Frau Mareiler ihr nach.

»Danke!«, rief Gitta froh gelaunt zurück und legte den Brief vor sich auf den Tisch. Vielleicht enthielt er den Vorschlag, nun endlich zu heiraten?

Nach dem Essen setzte sie sich in den alten, gemütlichen Ohrensessel neben dem Fenster, riss den Brief auf und begann zu lesen.

Schon nach den ersten Zeilen krampfte sich ihr Herz zusammen. Es war aus, alles war aus.

In dürftigen Worten schrieb Jochen, dass alles, was er bisher für sie empfunden habe, doch nicht die richtige Liebe gewesen sei. Er habe vor einigen Wochen ein Mädchen kennengelernt, das ihn gleich von der ersten Sekunde an in den Bann geschlagen habe. Er hoffe, sie werde es nicht zu schwernehmen ...

Der Brief entglitt Gittas Händen und flatterte zu Boden. Sie starrte in die Ferne, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Schließlich stand sie auf. Man konnte keinen Menschen zur Liebe zwingen. Sie musste Jochen gehen lassen, auch wenn es wehtat.

In ihrem Zimmer hielt Gitta es nicht mehr aus. Rasch zog sie ihren leichten Sommermantel über und ging hinaus.

»Noch einmal fort, Gitta?«, rief Frau Mareiler aus der Küche. »Haben Sie den Hausschlüssel eingesteckt? Nicht, dass Sie mir dann vor der Haustür stehen und rufen müssen.«

»Ich gehe nur ein bisschen spazieren, Frau Mareiler.« Gitta gab sich Mühe, ruhig zu sprechen, damit die Vermieterin nicht merkte, was in ihr vorging. »In einer Stunde bin ich wieder da.«

»Viel Spaß, Kindchen. Ein bisschen Bewegung tut immer gut«, rief Frau Mareiler zustimmend.

Gitta verließ die Wohnung und drehte eine Runde durch das Viertel. Es tat so weh, einen Traum, den man ein Jahr lang geträumt hatte, begraben zu müssen.

Zum Glück hatte sie nun bald Urlaub. Ein Tapetenwechsel würde ihr bestimmt guttun.

Frau Mareiler war bereits in ihrem Schlafzimmer, als Gitta zurückkam. Sie ging auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, um sie nicht zu stören. Jochens Brief lag noch auf dem Fußboden. Gitta legte ihn in ein Buch, um ihn nicht mehr sehen zu müssen.

Dann setzte sie sich wieder in ihren Ohrensessel, nahm die mit der Post gekommene Zeitschrift zur Hand und blätterte sie durch.

Schließlich blieb Gittas Blick an einer Anzeige hängen, die ihre Aufmerksamkeit erregte.

Schloss Hohenstein – wo lag das? Sie hatte keine Ahnung. Uralter Besitz, malerisch gelegen, romantische Umgebung – das alles war sehr verlockend.

Der Besitzer Horst von Wartenau suchte zahlende Gäste für sein Schloss. Es ging ihm also nicht gut. Wahrscheinlich hatte der alte Herr sein ganzes Leben zu aufwendig gelebt. Jetzt, auf die alten Tage, musste er merken, dass das Geld nicht mehr reichte.

Gitta lächelte. Urlaub auf Schloss Hohenstein als zahlender Gast des feudalen Herrn von Wartenau? Warum nicht?

♥♥♥

Als Gitta am nächsten Morgen zur Arbeit ging, lächelte sie vor sich hin. Der Schmerz über Jochens Abschiedsbrief hatte einer stillen Trauer Platz gemacht. Sie hatte von einem wundervollen Märchenschloss mit einem gut aussehenden jungen Schlossherrn geträumt, der sich freute, sie auf Schloss Hohenstein begrüßen zu dürfen.

Sie lachte hellauf und schalt sich selber einen Kindskopf.

Wenige Häuser vor der Antiquitätenhandlung stutzte sie. Seltsam, wie das Leben spielte! Da hatte man einen Namen noch niemals gehört, aber nachdem er aufgetaucht war, fing er an, einen zu verfolgen.

Tausendmal war sie diese Straße entlanggegangen, tausendmal an diesem Haus vorüberkommen. Das Schild, das sie in diesem Augenblick anstarrte, hatte sie trotzdem noch nie gesehen. Dabei sah es nicht neu aus und hing bestimmt schon eine Weile dort.

Horst von Wartenau. Otto Thun – Architekten, las sie. Horst von Wartenau – genau wie der Besitzer von Hohenstein. War dieser Architekt hier sein Sohn?

Als Gitta das Atelier betrat, waren gerade einige Möbelträger dabei, die gestern fertiggestellte Truhe fortzuschaffen. Sie nickte ihnen flüchtig zu und machte sich sofort an die Arbeit.

Dieser vom Zahn der Zeit arg angenagte Spiegel würde sie viele Stunden emsiger Tätigkeit kosten, ehe sie sich mit Frau Itzehoes Kommode beschäftigen konnte.

Aber nach der Kommode winkte ihr Urlaub auf Schloss Hohenstein.

♥♥♥

Sechzehn Tage später war es so weit! Endlich saß Gitta im Zug. Sie musste dreimal umsteigen und jedes Mal eine Weile auf die Anschlusszüge Richtung Waldstadt warten, die Bahnstation, die Schloss Hohenstein am nächsten lag.

Kurz nach sechs Uhr abends kam sie in Waldstadt an, einem kleinen, verträumten Landstädtchen, wie Gitta feststellte, als der Zug in den Bahnhof einfuhr. Industrie schien es außer einem Sägewerk mit Holzhandlung hier nicht zu geben.

Sie fragte sich gerade, wie sie jetzt wohl zum Schloss Hohenstein kommen könnte, da kam ein älterer Mann mit einer Eisenbahnermütze auf dem Kopf auf sie zu. Er hatte ihren suchenden Blick bemerkt.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Fräulein?«, fragte er freundlich.

»Ich will nach Schloss Hohenstein«, erklärte Gitta. »Und ich weiß nicht, wie ich dorthin komme.«

»Das ist nicht so einfach, Fräulein. Sie können mit dem Postbus fahren, aber heute geht keiner mehr. Laufen können Sie nicht, denn es sind elf Kilometer bis Hohenstein, und die schaffen Sie mit Ihren Koffern auf keinen Fall. Sie könnten auch ein Taxi nehmen, aber Krause, der das einzige Taxi von ganz Waldstadt besitzt, ist seit drei Tagen krank.«

»Ja, was mache ich denn da?«, fragte Gitta den Bahnbeamten entsetzt.

»Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als in Waldstadt zu übernachten und morgen Vormittag den Postbus zu nehmen.«

»Ist es von der Bushaltestelle noch weit bis zum Schloss?«

»Eine Viertelstunde Weg.«

»Die schaffe ich auch mit den Koffern. Haben Sie vielen Dank. Wo kann ich denn am besten übernachten?«

»Da kommt nur der ›Gelbe Hahn‹ infrage. Er liegt nicht weit vom Bahnhof weg. Die Koffer können Sie hier bei mir lassen. Die holt dann Fritz, der Junge vom ›Gelben Hahn‹, für Sie ab. Übrigens hält der Postbus direkt vor dem ›Gelben Hahn‹.«

Nachdem der freundliche Beamte Gitta den Weg beschrieben hatte, bedankte sie sich bei ihm und wanderte los. Sie hatte nicht weit zu gehen.

Der »Gelbe Hahn« war ein behäbiger, großer Gasthof, der ihr auf den ersten Blick gefiel. Und sie bekam auch ein schönes Zimmer.

Während Gitta sich ein wenig erfrischte, überlegte sie, woher ihr der Name Waldstadt geläufig war. Plötzlich fiel es ihr ein. Einige Briefe Jochens waren in Waldstadt abgestempelt gewesen. Er selbst wohnte in Imlinghausen. Wahrscheinlich lag dieses Imlinghausen nicht weit von Waldstadt entfernt und war noch kleiner als der verträumte Landort.

Gitta zuckte die Schultern und beschloss, zum Abendbrot in die Gaststube hinunterzugehen.

Das Essen war gut und preiswert. Gitta ließ sich danach ein Glas Wein bringen und blätterte ein bisschen in der Lokalzeitung.

Sie wollte gerade auf ihr Zimmer gehen, als ein Herr und eine Dame die Gaststube betraten. Gitta saß in einer Nische, die für die eintretenden Gäste nicht sichtbar war.

Als der Herr etwas zu der Dame sagte, setzte Gittas Herzschlag einen Moment aus. Es war Jochens Stimme!

Ein Gefühl von Panik drohte sie zu überfallen. Sie musste an sich halten, um nicht aufzuspringen und die Gaststube fluchtartig zu verlassen. Mit Mühe beherrschte sie sich. Es war nicht nötig, sich lächerlich zu machen.

Die Eintretenden wählten einen Tisch und ließen sich nieder. Die Serviererin kam, um ihre Bestellung entgegenzunehmen. Als Gitta die Stimme des Mannes erneut vernahm, gab es keinen Zweifel mehr für sie: Es war tatsächlich Jochen! Und die junge Dame an seiner Seite war wahrscheinlich die Frau, derentwegen er ihr den Laufpass gegeben hatte.

Bitterkeit wollte in ihr aufsteigen, doch zu ihrer Verwunderung stellte sie fest, dass alles gar nicht so schmerzhaft war, wie sie befürchtet hatte. Es hatte ihr wohl doch eher der verletzte Stolz zu schaffen gemacht als das Gefühl verschmähter Liebe.

Trotzdem war sie neugierig. Gitta wollte die Frau sehen, die ihr Jochen weggenommen hatte, und zwar aus nächster Nähe. Einen Augenblick überlegte sie. Dann erhob sie sich, verließ die Gaststube ohne Grund und kehrte kurze Zeit darauf wieder an ihren Platz zurück. Beide Male ging sie so dicht an dem Tisch der beiden vorbei, dass sie die Dame eingehend mustern konnte.

Sie schien ein paar Jahre älter als sie selbst zu sein. Und obwohl Gitta sich nie für eine besondere Schönheit gehalten hatte, wusste sie, dass sie es jederzeit mit ihrer Nachfolgerin aufnehmen konnte. Jochen wirkte auch nicht mehr so jung und frisch und energiegeladen, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Die Bedienung servierte, was die neuen Gäste bestellt hatten. Gitta winkte sie anschließend an ihren Tisch, um noch ein Glas Wein zu erbitten. Dabei fragte sie nach den beiden, ohne ihr persönliches Interesse deutlich zu machen.

»Das ist Fräulein Mewissen«, erzählte ihr die Serviererin. »Ihr Vater ist einer der reichsten Männer unserer Stadt. Er besitzt ein großes Sägewerk mit Holzhandlung. Der junge Mann ist in irgendeinem kleinen Büro in der Umgebung beschäftigt gewesen. Jetzt arbeitet er in der Holzhandlung. Es bedeutet ein großes Glück für ihn, dass Fräulein Mewissen sich für ihn interessierte. Sie ist das einzige Kind ihrer Eltern und erbt später einmal alles. Der junge Mann setzt sich ins gemachte Nest.«

Gitta dankte der Serviererin mit einem Lächeln. So war das also! Die große Liebe, die Jochen plötzlich für die andere entdeckt hatte, bestand in einer Holzhandlung.

Verachtung wollte in Gitta aufsteigen, aber ruhige Überlegungen gewannen die Oberhand. Wahrscheinlich hätte sie bei Jochen nie das große Glück gefunden. Sie sollte dem Geschick dankbar sein, dass alles so gekommen war!

Die Serviererin brachte ihr das neue Glas Wein.

»Bitte sehr, Fräulein Kreutzberg!«, sagte sie lauter, als Gitta es für nötig hielt.

Die Unterhaltung am Tisch der beiden verstummte schlagartig. Wie hypnotisiert starrte Jochen zu Gittas Nische herüber.

»Ist etwas, Jochen?«, fragte die Dame an seiner Seite besorgt.

»Nein, nein, was sollte schon sein?«, antwortete Jochen hastig. »Es war nur ...«

Er rang mit einem Entschluss. Dann sah er seine Begleiterin mit undeutbarem Ausdruck an.

»Entschuldige mich bitte einen Augenblick, Gret. Ich glaube, in der Nische dort sitzt jemand, den ich begrüßen möchte.«

Gitta erschrak. Wollte Jochen wirklich an ihren Tisch kommen? Sie hatte kein Verlangen danach, mit ihm zu sprechen. Sie hatte einen Strich unter das gezogen, was zwischen ihr und ihm gewesen war.

Fräulein Mewissen sah neugierig zu Gitta hinüber. Jochen stand auf und kam auf sie zu. Wenig später stand er an ihrem Tisch, halb verlegen, halb trotzig.

»Guten Tag, Fräulein Kreutzberg«, sagte er. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen.«

»Dass Sie sich meiner noch erinnern!«, entgegnete Gitta und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht spöttisch klang.

Während Jochen krampfhaft nach Worten suchte, erhob sich seine Begleiterin ebenfalls und trat neben Jochen an Gittas Tisch. Gitta fand die Situation plötzlich urkomisch. Sie hätte am liebsten laut gelacht.

»Willst du mich der Dame nicht vorstellen, Jochen?«, fragte Fräulein Mewissen ungeduldig. Jetzt, da sie so nahe vor Gitta stand, sah diese, dass die Fragende sogar älter als Jochen war. Holzhandlungen schienen offenbar für überzählige Jahre ein guter Ausgleich zu sein.

Da Jochen immer noch nach passenden Worten zu suchen schien, lächelte Gitta Fräulein Mewissen an.

»Ich heiße Gitta Kreutzberg«, sagte sie freundlich. »Ich kenne Ihren Bräutigam von früher her, wenn auch nicht sehr gut. Er hätte unsere flüchtige Bekanntschaft nicht zu erneuern brauchen.«

»Vielleicht möchte Jochen sich gern ein wenig mit Ihnen unterhalten?«, meinte Fräulein Mewissen unsicher. »Falls Sie nichts dagegen haben, setzen wir uns an Ihren Tisch.«

Danach stand Gitta nun wirklich nicht der Sinn.

»Es tut mir leid, aber ich wollte nur noch mein Glas austrinken und dann zu Bett gehen. Ich bin nur auf der Durchreise.«

»Das ist schade«, entgegnete die junge Dame erleichtert.

Gitta streckte Jochen die Hand hin.

»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Verlobung, Herr Schweiger, und freue mich, dass Sie eine Frau fanden, die Ihnen herzlich zugetan ist.«

Jochen senkte den Blick und suchte erneut krampfhaft nach Worten.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte Gitta da schon. »Lassen Sie sich bitte durch mich nicht weiter stören!« Damit verließ sie die Gaststube. Ihr Glas Wein hatte sie nicht ausgetrunken.