Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 685 - Yvonne Uhl - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 685 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Angelika Komtess von Redtwitz ist untröstlich, als ihre Mutter, kaum Mitte vierzig, stirbt. Sie fühlt sich furchtbar einsam und auch gänzlich überfordert mit dem Erbe des stattlichen Besitzes und Schlosses. Zum Glück steht ihr Stiefvater ihr tröstend zur Seite.
Als die Komtess am Tag der Beerdigung ihrer geliebten Mutter ihren Stiefbruder kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen und ist auch ihm dankbar für seinen Beistand in der schweren Stunde. Manfred ist so liebenswürdig und charmant, dass Angelika sich in den attraktiven jungen Mann verliebt. Schon bald schmieden die beiden eifrig Zukunftspläne und planen ihre Verlobung, da deckt ein verschmähter Verehrer die dunkle Vergangenheit ihres Herzallerliebsten schonungslos vor dem hübschen jungen Mädchen auf ...


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Inhalt

Cover

Sünde der Vergangenheit

Vorschau

Impressum

Sünde der Vergangenheit

Ein Geheimnis bedroht ein junges Glück

Angelika Komtess von Redtwitz ist untröstlich, als ihre Mutter, kaum Mitte vierzig, stirbt. Sie fühlt sich furchtbar einsam und auch gänzlich überfordert mit dem Erbe des stattlichen Besitzes und Schlosses. Zum Glück steht ihr Stiefvater ihr tröstend zur Seite.

Als die Komtess am Tag der Beerdigung ihrer geliebten Mutter ihren Stiefbruder kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen und ist auch ihm dankbar für seinen Beistand in der schweren Stunde. Manfred ist so liebenswürdig und charmant, dass Angelika sich in den attraktiven jungen Mann verliebt. Schon bald schmieden die beiden eifrig Zukunftspläne und planen ihre Verlobung, da deckt ein verschmähter Verehrer die dunkle Vergangenheit ihres Herzallerliebsten schonungslos vor dem Mädchen auf ...

Daphne Gräfin von Lüdgenstein sank in den Armen ihres Gatten zusammen.

»Daphne«, flüsterte er. »Bleib bei mir, Daphne.«

Angelika biss sich fest auf die Lippen, um nicht laut herauszuweinen.

»Liebes«, stöhnte die Sterbende auf.

Angelika wischte sich über die Augen und kniete am Bett der Mutter nieder.

»Mama ... liebe Mama!«, stammelte sie.

Daphne Gräfin von Lüdgenstein legte ihre Hand auf Angelikas Scheitel.

»Bleib, wie du bist«, flüsterte sie. »Gott behüte dich, mein Kind. Carl, bist du da?«

»Ja, Daphne!«

»Ich verzeihe dir alles«, flüsterte die Sterbende. Dann fiel ihr Kopf zur Seite. Sie rührte sich nicht mehr.

Angelika sah mit weit geöffneten Augen auf das starre, schöne Gesicht ihrer Mutter. Es war von goldblonden Flechten umrahmt, und die Stille des Todes hatte jede Sorgenfalte fortgewischt.

Komtess Angelika presste die Hände vor ihr Gesicht und weinte lautlos.

Sie hörte nicht, wie ihr Stiefvater Carl Graf von Lüdgenstein auf Zehenspitzen das Totenzimmer verließ.

Was soll nun werden?, dachte Angelika wie betäubt. Wie kann ein Leben ohne Mama aussehen?

Großmutter muss es erfahren! Oh, wie sage ich es ihr nur?

♥♥♥

Francetta Gräfin von Crantz stand bewegungslos am Fenster ihres Zimmers im ersten Stockwerk des Schlosses und bewegte sich nicht, als Angelika eintrat.

Noch immer hatte die Gräfin, die italienischer Herkunft war, einen harten Akzent.

»Nun?«, fragte sie rau. »Welche Nachricht bringst du mir?«

Angelika drückte die Tür ins Schloss.

»Großmutter, ich ...«

»Still«, fiel ihr die Gräfin ins Wort. »Rede nichts mehr! Ich höre es an deiner Stimme, dass sie nicht mehr unter uns ist.«

»Was soll ich nur ohne sie anfangen?«, schluchzte Angelika auf.

Francetta Gräfin von Crantz drehte sich um.

»Was sollte ich damals ohne meinen Gatten anfangen? Was tat ich, als man mir erst den ersten Sohn, dann den zweiten als Leiche brachte? Das Leben geht weiter, Angelika, immer weiter.«

Seit vier Jahren hatten Angelikas Großmutter und ihre Mama kein Wort miteinander gesprochen. Und doch, das spürte sie, war der Schmerz ihrer Großmutter um die Tochter echt.

Wie oft hatte sich Angelika schon gefragt, warum dieses Zerwürfnis zustande gekommen war. Beide hatten dazu geschwiegen.

Angelika hatte oft darunter gelitten, doch in letzter Zeit hatte sie sich daran gewöhnt.

Sie wusste, dass die Großmutter, wenn Daphne Gräfin von Lüdgenstein, ihre Mutter, geschlafen hatte, an das Krankenbett der Tochter geeilt war und dort für wenige Minuten betend verharrt hatte.

»Schau mich an, mein Kind«, bat die Gräfin mit schwankender Stimme.

Angelika hob die tränennassen Augen zu der Gräfin auf.

»Du bist einundzwanzig Jahre alt und nicht mehr der Erziehungsgewalt deines Stiefvaters unterstellt«, sagte die Gräfin ruhig. »Vergiss es nie, auch wenn ich dich nicht mehr daran erinnern kann. Lass dich von Lüdgenstein nicht einschüchtern. Er hat dir nichts mehr zu befehlen. Du kannst ihn sogar jetzt nach dem Tode deiner Mutter als neue Schlossherrin aus dem Haus weisen.«

Angelika erschrak.

»Großmutter, was redest du da?«, fragte sie bestürzt. »Warum soll ich Carl fortjagen? Er wüsste ja gar nicht, wohin er gehen soll.«

»Du hast ein gutes Herz, aber bei Lüdgenstein, dem zweiten Gatten deiner Mutter, ist es nicht am Platze! Schloss Redtwitz ist dein Erbe, und du musst es gegen jedermann verteidigen.«

»Großmutter, Schloss Redtwitz ist groß genug. Carl stört mich doch nicht.«

Die alte Gräfin ging langsam auf Angelika zu.

»Er stört dich nicht?«, fragte sie heiser. »Auch nicht, wenn ich dir sage, dass dein Vater seinetwegen sterben musste?«

Entsetzt fuhr Angelika zurück.

»Papa?«

»Ja. Wir haben nie mehr darüber gesprochen.« Die Gräfin stützte sich schwer auf ihren Stock. »Dass dein Vater damals tot in der Garage gefunden wurde, war Lüdgensteins Schuld. Er war der Liebhaber deiner Mutter, und ich weiß vielleicht als Einzige, dass es kein Unglücksfall, sondern Selbstmord war.«

»Großmutter, wie kannst du das sagen?«, flüsterte Angelika. »Nie hätte Papa sich selbst umgebracht.«

»Und doch war es so. Er spürte, dass Daphne ihm nicht treu war. Einen Tag vorher sprach er sich mir gegenüber aus. Er liebte Daphne bis zu seinem Tode und ertrug es nicht, dass sich ihre Liebe von ihm abgewendet hatte.«

Angelika senkte den Kopf. Sie war bis ins Innerste aufgewühlt.

Als sich dieses Drama damals ereignet hatte, war Angelika Komtess von Redtwitz Zögling eines Internats auf der Insel Mainau am Bodensee gewesen. Kurz vor ihrer Abschlussprüfung war ein Telegramm gekommen. Darin hatte gestanden:

papa verstorben stopp sofort heimkommen stopp

Angelika hatte sich seitdem viele Gedanken gemacht. Warum hatte Großmutter vier Jahre lang nicht mehr mit ihrer Tochter gesprochen?

Was ihre Großmutter ihr jetzt, am Todestage ihrer Mutter, sagte, erschütterte Angelika sehr.

»Mama hat kaum ihr Leben ausgehaucht, Großmutter, und du ziehst über sie her.«

»Ich ziehe nicht über sie her. Ich sage nur Tatsachen«, erklärte die alte Gräfin scharf. »Hör auf zu weinen. Du musst dich als ihre und deines Vaters Tochter würdig erweisen, sonst ist das Schloss in allerkürzester Zeit in den Händen deines Stiefbruders Manfred. Es ist logisch, dass dein Stiefvater versucht, ihm alles zuzuschanzen.«

»Du denkst zu schlecht über ihn. Mir gegenüber hat sich Carl immer großartig benommen.«

»Alles Lüge und Bluff«, höhnte die Gräfin. »Geh jetzt. Ich will um meine Tochter trauern. Ich hatte nicht viel Glück mit meinen drei Kindern.«

»Brauchst du noch etwas, Großmutter?«

»Geh. Ich frage mich, was ich noch auf dieser Welt soll, Angelika. Geh doch endlich.«

»Ja, Großmutter. Gute Nacht.«

Leise ging Angelika hinaus.

Im Vorzimmer hing ein großer Spiegel. Sie warf einen kurzen Blick hinein und stellte fest, dass sie leichenblass und ihr aschblondes Haar zerzaust war.

Ich sehe verheerend aus, durchfuhr es sie, dann fiel ihr ein, dass sie Trauerkleidung tragen musste.

Als sie in ihr Zimmer ging, zuckte sie zusammen. War das nicht Klaviermusik?

Mama, dachte Angelika. Sie fröstelte. Es war dasselbe Stück von Chopin, das Mama immer gespielt hatte.

Zitternd blieb sie stehen. Ja, ohne Zweifel, es war eines der Präludien von Chopin.

Wer spielte jetzt auf dem Flügel?

Angelika begann plötzlich zu laufen. Sie hetzte den langen Gang im ersten Stock des Westflügels entlang wie von Furien gejagt.

Erst als sie in ihrem Zimmer war und die Tür hinter sich versperrt hatte, wurde ihr wohler.

Von hier aus konnte man die Klaviermusik nicht mehr hören. Hatte sie sich vielleicht alles nur eingebildet?

♥♥♥

Carl Graf von Lüdgenstein saß am Flügel und spielte mit geschlossenen Augen das Präludium.

Gekonnt glitten seine Finger über die Tasten. Er kam sich vor wie befreit.

Daphne, seine Frau, war tot.

In Gedanken ließ er noch einmal die Episode mit Daphne Revue passieren. Er hatte sie bei einer Party kennengelernt und schon mehr als fünf Jahre gekannt. Strahlend, goldblond, eine Dame vom Scheitel bis zur Sohle. Er war auch Gerhard Graf von Redtwitz, Daphnes Mann und Angelikas Vater, damals begegnet. Und da Gräfin von Redtwitz so besonders charmant gewesen war, hatte es Lüdgenstein gereizt, sie näher kennenzulernen.

Obwohl sie bereits eine erwachsene Tochter gehabt hatte, hatte sie noch sehr mädchenhaft auf Carl Graf von Lüdgenstein gewirkt. Und er hatte nicht eher geruht, bis sie seinem Drängen nachgegeben hatte.

Graf von Lüdgenstein lächelte. Noch immer hielt er die Augen geschlossen.

Es war alles nach Wunsch gegangen. Daphne war seine Geliebte geworden. Gerhard Graf von Redtwitz hatte den von ihm verfassten anonymen Brief erhalten und sich in der Schlossgarage das Leben genommen.

Und kurz darauf hatte Carl Graf von Lüdgenstein die schöne Witwe und reiche Schlossbesitzerin geheiratet.

Ich bin ein Glückspilz, dachte der Graf. Wie aber geht jetzt das gesamte Vermögen der Redtwitz auf mich über?

Es gibt nur noch ein Hindernis, das mich von dem großen Vermögen trennt: Angelika.

Graf Carl beendete das Präludium und erhob sich. Ob das Mädchen schon schlafen gegangen war?

Rasch verließ er das Musikzimmer und eilte durch die Schlosshalle bis zur Treppe. Er hob den Kopf und lauschte. Nichts rührte sich. Die Stille des Todes lag über dem Schloss.

Er stieg langsam die Treppe hinauf.

Neununddreißig Jahre alt war Daphne gewesen. Schon ein halbes Jahr nach der Heirat hatte sie ihm nichts mehr bedeutet. Carl Graf von Lüdgenstein war nicht fähig, einer Frau länger als wenige Monate treu zu sein. Nachdem er bei ihr zum Ziel gekommen, ihr Gatte und dadurch reich und Herr über Schloss Redtwitz geworden war, hatte Daphne den größten Reiz für ihn verloren.

Denn immer, wenn sie in seinen Armen gelegen hatte, war ihm von Neuem bewusst geworden, wie nahe sie schon der vierzig war, auch wenn sie immer noch blendend ausgesehen hatte.

Unbemerkt von Verwandten, Freunden und Personal war Daphne hinfällig geworden.

Keine ihrer Veränderungen war Carl entgangen. Er hatte sie mit Röntgenaugen beobachtet. Ihre Wandlung hatte sich kaum sichtbar vollzogen. Und das war gut so, fand Graf von Lüdgenstein. Er hatte den zärtlichen, besorgten Gatten gespielt und sie mit Geschenken überhäuft.

Ich habe alle täuschen können, auch Angelika, dachte Carl, während er vor dem Zimmer der Komtess, seiner Stieftochter, stehen blieb. Nur einer Person auf der Welt habe ich keinen Sand in die Augen streuen können: der alten Gräfin, Daphnes Mutter.

Immer wenn sie sich begegnet waren, hatte er in ihren zornigen alten Augen gelesen, dass sie ihn durchschaut hatte.

Aber sie hat keine Beweise, dachte Carl. Er klopfte.

»Angelika, mein Kind? Schläfst du schon?«

»Nein, Carl.«

»Bitte, mach auf.«

Jenseits der Tür näherten sich Schritte. Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht. Zaghaft öffnete Angelika die Tür.

»Ich wollte gerade schlafen gehen!«, sagte sie leise.

Er musterte sie mit väterlicher Miene.

»Du hast geweint«, stellte er fest. »Darf ich näher treten?«

»Bitte. Aber ich will wirklich bald schlafen gehen, Carl.«

»Ich bleibe nicht lange«, versicherte er ihr, trat ein und ließ sich in einen Sessel sinken. »Es schnitt mir ins Herz, dich so unglücklich zu wissen.«

Angelika faltete die Hände und senkte den Kopf.

»Wieso? Bist du nicht unglücklich über Mamas Tod, Carl?«

»Doch, gewiss. Aber ich bin ein Mann. Männer zeigen ihren Schmerz nicht so deutlich. Ich habe übrigens Manfred telegrafiert. Er wird gewiss zur Beerdigung kommen.«

»Was soll nun werden, Carl?«, fragte Angelika.

»Das Leben geht weiter. Deine Mutter war die zweite Frau, die ich an den Tod hergeben musste.«

»Ja, ich weiß ... Mama hat sich mit deiner Hilfe um das Gut und die Besitzungen gekümmert. Jetzt muss ich alles in die Hand nehmen. Ich habe richtig Angst davor.«

Sie merkte nicht, wie kalt und abwartend seine Augen waren.

»Meine Hilfe ist dir natürlich gewiss, Angelika! Wie kannst du nur daran zweifeln?« Er griff unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Das bin ich deiner Mutter schuldig. Ich habe sie sehr geliebt. Und wir beide, Angelika, sind doch gute Freunde, nicht wahr?«

»Ja«, hauchte Angelika.

»Du kennst dich mit Finanzen nicht aus, ebenso wie deine Mutter. Ich hatte zeit meines Lebens mit Geld und seiner Verwaltung zu tun. Ich stehe ganz zu deiner Verfügung.« Er lächelte mild. »Zu zweit werden wir die Pflichten schon tragen, Angelika.«

»Du bist so gut, danke«, flüsterte sie und erhob sich schnell, weil es ihr unangenehm war, dass er ihr Kinn anfasste. »Ich bin neugierig auf meinen Stiefbruder Manfred«, fuhr sie hastig fort. »Glaubst du wirklich, dass er wegen der Beerdigung seiner Stiefmutter aus Australien herreist?«

»Ganz gewiss, Angelika. Er wird kommen. Soviel ich weiß, kann er sich jederzeit in dem Werk, in dem er als Ingenieur arbeitet, Urlaub nehmen. Und mit dem Flugzeug ist er von Sydney schnell hier.«

»Entschuldige bitte, Carl, aber ich bin wirklich todmüde. Großmutter ist sehr niedergeschlagen. Ich war bei ihr. Sie hat mich auf die Verantwortung hingewiesen, die jetzt auf mich zukommt. Mama war doch noch so jung.«

»Ja, viel zu jung«, heuchelte Graf Carl in untröstlichem Ton.

»Und ich muss mich nun um diesen riesigen Besitz kümmern. Um die vielen Pachtgüter und -höfe. Diese komplizierten monatlichen Abrechnungen ... Und dann noch der ganze Aktienkram!«

Carl Graf von Lüdgenstein unterließ eine Bemerkung. Angelika hatte von dem Erbe, das sie erwartete, nicht die geringste Ahnung. Der ganze Aktienkram, wie sie ihn nannte, war gut und gern zwei Millionen Mark wert und stieg ständig an den Börsen.

Es ist wirklich eine Schande, dass so ein Mädchen Universalerbin dieses Vermögens werden soll, dachte er. Wenn Manfred gescheit ist, dann ruht er nicht eher, bis Angelika sich in ihn verliebt hat. Dass sie ihn dann auch heiratet, dafür werde ich sorgen. Hauptsache, sie hält mich für einen guten Freund. Dann wird sie auch in solchen entscheidenden Fragen auf mich hören.

»Darüber sprechen wir ein andermal, nicht heute am Todestag deiner Mutter, Angelika.«

»Wer hat Mamas Lieblingsstück auf dem Klavier gespielt? Du, Carl?«

»Ja. Es war mein Abschied von Daphne, Kind. Sie spielte das Stück unvergleichlich besser als ich. Ich war ihr in diesen Minuten am Klavier eng verbunden.«

Angelika begriff. Oh, wie töricht war sie gewesen! Sie hatte sich doch wirklich von ihrer Großmutter gegen Carl beeinflussen lassen. Großmutter mag ihn nicht und versucht doch immer wieder, einen Keil zwischen Carl und mich zu treiben, dachte Angelika.

»Dann schlaf gut, Kind«, sagte Graf von Lüdgenstein und reichte ihr die Hand. »Man muss mit solchen harten Schicksalsschlägen irgendwie fertig werden. Mir tut die alte Dame auch leid, Angelika. Wie gern würde ich ihr oben in ihrem Apartment einen Besuch machen und sie zu trösten versuchen. Aber sie würde mir doch die Tür weisen.«

»Mich hat sie auch fortgeschickt. Sie will allein sein.«

»Sie hat seit meiner Heirat mit Daphne kein Wort mehr mit ihrer Tochter gesprochen«, murmelte Carl. »Ich glaube, Daphne hat sehr darunter gelitten. Wie unerbittlich man doch im Alter sein kann. Der Himmel bewahre mich vor so viel Härte und Unbarmherzigkeit.«

Sie schüttelten sich die Hand, dann verließ Graf von Lüdgenstein Angelikas Zimmer.

Angelika schloss gedankenverloren die Tür. Sie hatte Manfred, ihren Stiefbruder, nie kennengelernt. Aber war es nicht beruhigend zu wissen, dass man nicht allein war und sogar einen Bruder besaß?

♥♥♥

Eddy Wernecke sah Manfred von Lüdgenstein schon eine Weile stumm zu.

Manfred war dabei, drei von seinen Lederkoffern kreuz und quer mit bunten Etiketten aus aller Welt zu bekleben.

»Du hast wieder eine Gemeinheit vor, Manfred«, sagte er. »Und ich wette, das Telegramm, das du gestern bekommen hast, hat was damit zu tun.«

»Wenn ich dieses lausige Drecksnest verlasse«, erwiderte Manfred und warf Eddy einen schnellen Blick zu, »verschwinde ich auf immer aus deinem Leben. Ich gehöre dann einer neuen Kaste von Menschen an. Meine Vergangenheit ist dann erledigt. Und du, Wernecke, gehörst zu meiner Vergangenheit.«

»Ich verstehe. Du schämst dich meiner. Dabei – vergiss es nicht – weiß ich eine Menge von dir, das dir schaden könnte.«

»Und umgekehrt ist es genauso. Ich habe sogar Beweise in der Hand, die dir jede Menge Unannehmlichkeiten bereiten könnten.«

»Ich etwa nicht? In meinem Besitz befinden sich einige Briefe von schönen jungen Mädchen, die an dich adressiert sind und in denen sie dich anklagen, ein Heiratsschwindler zu sein. Ich bin sicher, dass eine von ihnen von mir veranlasst werden könnte, Anzeige gegen dich zu erstatten.«

»Wo hast du die Briefe?«, fragte Manfred, der erblasst war. »Du hast sie aus meinem Gepäck gestohlen!«

Manfred Graf von Lüdgenstein war ein eleganter junger Mann, der es bisher nie verstanden hatte, seinem Leben eine gewisse Ordnung zu geben. Nicht ganz legale Transaktionen, nie entdeckt, hatten ihn über Wasser gehalten. In den letzten Jahren hatte er sein gutes Aussehen als Köder für einsame Frauen benutzt, und er hatte blendend dabei gelebt. Dann aber war ihm der Boden in Sydney zu heiß geworden, und er hatte sich nach Europa abgesetzt.