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Der Tischlermeister Gustav Bertram hat sich in den Kopf gesetzt, seine bildhübsche, erst achtzehnjährige Tochter Rosamund so schnell wie möglich zu verheiraten. "Bevor irgend so ein arbeitsscheuer Schnösel daherkommt und ihr den Kopf verdreht", erklärt er seiner Frau.
Der junge Arzt, der auf dem Frühlingsfest mit seiner Tochter das Tanzbein schwingt, ist ganz nach Gustavs Geschmack. Doch nicht er erobert Rosamunds Herz, sondern ausgerechnet der arrogante Arndt Graf von Dux, der mit seinem Vater ein unstetes, lasterhaftes Leben führt. Kein Wunder, dass er vor den Augen eines bodenständigen Mannes wie Gustav, der sich mit eigenen Händen seinen bescheidenen Wohlstand erarbeitet hat, keine Gnade findet ...
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Seitenzahl: 136
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Fahrt ins Paradies der Liebe
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Impressum
Fahrt ins Paradies der Liebe
Ein Mädchenherz sucht das Glück
Der Tischlermeister Gustav Bertram hat sich in den Kopf gesetzt, seine bildhübsche, erst achtzehnjährige Tochter Rosamund so schnell wie möglich zu verheiraten. »Bevor irgend so ein arbeitsscheuer Schnösel daherkommt und ihr den Kopf verdreht«, erklärt er seiner Frau.
Der junge Arzt, der auf dem Frühlingsfest mit seiner Tochter das Tanzbein schwingt, ist ganz nach Gustavs Geschmack. Doch nicht er erobert Rosamunds Herz, sondern ausgerechnet der arrogante Graf von Dux, der ein unstetes, lasterhaftes Leben führt. Kein Wunder, dass er vor den Augen eines bodenständigen Mannes wie Gustav, der sich mit seinen eigenen Händen einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet hat, keine Gnade findet ...
Kummervoll blickte Gustav Bertram aus dem Fenster.
»Frühlingsanfang«, brummte er, »und es schneit noch immer!« Er drehte sich um und stapfte auf seine Frau zu, die am Küchentisch Speck in Würfel schnitt. »Wo, zum Kuckuck, stecken eigentlich die Kinder?«
Elise Bertram sah flüchtig auf.
»Max ist bei seinem Freund Erwin, und Rose ...«
»Rosamund!«, unterbrach sie ihr Mann streng. »Ich mag diese Namensabkürzungen nicht. Rosamund hat einen schönen altdeutschen Namen von uns bekommen. Warum nennt sie sich Rose? Und du, Elise, bläst ins selbe Horn. Ich verstehe dich wirklich nicht.«
Elise unterdrückte einen Seufzer. Sie war zweiundvierzig Jahre alt und noch immer eine hübsche Frau, wenn auch die Gegend um ihre Taille nicht mehr so gertenschlank war wie vor vierundzwanzig Jahren, als sie Gustav Bertram zum Mann genommen hatte.
»Rosamund«, fuhr sie leise fort, »ist noch schnell zu einer Sportskameradin gelaufen, um dort die Einzelheiten des Frühlingsfestes zu besprechen.«
Gustav Bertram nickte. Er war ganz froh, dass Rosamund Mitglied des Sportklubs war. Jugend brauchte Bewegung. Und der Umgang mit den Sportkameraden konnte nur vorteilhaft für sie sein. Alle angesehenen Familien von Hohensteinach schickten ihre Kinder in den Sportklub. Auch sein Sohn Max war schon Mitglied in der Juniorenmannschaft.
»Gut, Elise, dass wir einmal allein miteinander reden können«, sagte er, angelte nach einem Stuhl und ließ sich darauf nieder. »Wir müssen jetzt langsam daran denken, dass Rosamund im heiratsfähigen Alter ist.«
Entgeistert ließ Elise das Messer sinken.
»Mit achtzehn?«, fragte sie verwirrt.
»Warum denn nicht? Du warst neunzehn, als wir heirateten. Hast du das vergessen?«
Elise Bertram schwieg.
»Jung gefreit hat nie gereut«, fuhr Gustav Bertram fort. »Oder hast du es bereut?«
»Nein, gewiss nicht«, sagte Elise.
Sie lächelte. Das Lächeln machte sie sehr hübsch und jung. Oh, wenn sie daran dachte, wie klein sie angefangen hatten! Gustav war, als sie geheiratet hatten, Tischlergeselle gewesen. Jeden Pfennig hatten sie umdrehen müssen. Es hatte keinen Monat gelangt.
Mit eisernem Fleiß und Energie hatte Gustav dann seine Meisterprüfung abgelegt, und kurz danach hatte sich ihm die große Chance geboten: Der alte Tischlermeister Henningsen hatte sein Haus und seine Tischlerei am Marktplatz von Hohensteinach zum Verkauf angeboten.
Gustav Bertram hatte drei Nächte nicht geschlafen, er hatte hin und her überlegt, ob er das Wagnis eingehen sollte. Dann war sein Entschluss gefasst. Er musste die Chance nutzen, die sich ihm bot. Er war zur Bank marschiert und hatte dort mit dem Filialleiter verhandelt. Und er hatte es geschafft, dass man ihm, dem völlig mittellosen jungen Tischlermeister, das Geld für den Kauf vorgestreckt hatte.
Heute, zweiundzwanzig Jahre später, war seine Tischlerei längst schuldenfrei. Die vierköpfige Familie Bertram wohnte in dem schmucken Fachwerkhaus, dessen Hausfront auf den Marktplatz blickte, und die Tischlerei war um einige moderne Maschinen bereichert worden.
Die Bertrams waren angesehene Leute. Man schätzte in Hohensteinach Bertrams Redlichkeit und sein biederes, aufrichtiges Wesen. Die Bertrams waren eine rechtschaffene Familie, obwohl Gustav und Elise bestimmt auch so ihre Schwierigkeiten mit den beiden Kindern hatten!
Zum Beispiel mit Max, ihrem Sohn. Er war der wildeste Schlingel in ganz Hohensteinach, immer zu Streichen aufgelegt und mit seinen zwölf Jahren gerade mitten in den Flegeljahren.
Rosamund, ihre achtzehnjährige Tochter, arbeitete auf Wunsch ihres Vaters nach Absolvierung der Handelsschule als Schreibkraft in einem Architekturbüro. Sie war ein bildhübsches Ding mit halblangem blondem Haar und kindlichen blauen Augen, aber sie benutzte heimlich einen Lippenstift und trug auch ihren Rock, sobald ihr Vater nicht dabei war, ein ganzes Stück kürzer, indem sie ihn einfach weit über die Taille schob.
Elise wusste das alles, aber sie schwieg. Im Grunde genommen waren Max und Rosamund gute Kinder.
»Wir werden uns also nach einem geeigneten Ehemann für Rosamund umsehen«, erklärte Gustav.
Elise ging zum Herd und schob die Speckstückchen vom Holzbrett in eine Pfanne.
»Kannst du sie nicht früh genug loswerden?«, fragte sie wehmütig.
»Das ist doch Unsinn«, brauste Gustav auf. »Aber wenn wir nicht achtgeben, kommt irgend so ein Schnösel daher, der nichts gelernt hat und affektiert daherredet, und verdreht ihr den Kopf. Und da müssen wir vorbeugen, verstehst du?«
»Nein«, sagte Elise Bertram ruhig.
»Ist doch ganz einfach«, erklärte Gustav Bertram. »Wir suchen ihr einen netten Mann, der zu ihr passt, und arrangieren eine Begegnung.«
»Du bist ein Kuppler«, warf Elise ihm vor.
»Das stimmt nicht«, protestierte Gustav. »In wen sich so ein junges Ding verliebt, ist doch gleichgültig. Den jungen Mädchen kommt es im Grunde nur auf die romantische Liebe an mit Mond, Händchenhalten und großen Schwüren. Der Mann ist ihnen dabei ganz egal.«
Elise ließ sich seufzend auf einen Stuhl sinken.
»Was du nicht sagst, Gustav. Und wen hattest du dir als Mann für Rosamund vorgestellt?«
»Oh!« Gustav Bertram schmunzelte. »Da kämen einige infrage, Elise. Natürlich muss Rosamunds Herz entscheiden. Wir wollen sie ja zu nichts zwingen. Aber ich sehe nicht ein, dass wir jeden Burschen, den sie uns anschleppt, einfach hinnehmen sollen. Ich will ein bisschen Vorsehung spielen und Rosamund unauffällig zu dem richtigen Mann hinlenken. Begreifst du, was ich meine?«
»Unauffällig? Du?«, fragte Elise. »Das merkt Rosamund doch zehn Meilen gegen den Wind, was du vorhast. Unterschätze sie nicht, Gustav. Rosamund hat einen ausgeprägten Willen, sie lässt sich nicht einfach überfahren.«
»Ich allein kann wirklich gegen Rosamund nichts ausrichten.« Gustav zwinkerte Elise zu. »Aber wenn ich dich zur Bundesgenossin hätte, Elise, könnten wir's schaffen.«
Elise machte ein verschlossenes Gesicht.
»Das kommt ganz darauf an, Gustav, wen du für Rosamund ausgesucht hast. Es gibt nicht viele junge Männer, denen ich Rosamund anvertrauen möchte.«
»Ich werde schon einen jungen Mann auftreiben, der auch deinen Beifall findet«, sagte Gustav Bertram und musste lachen. »Ich werde mir ab morgen die Männer unseres Städtchens sehr genau ansehen, verlass dich drauf.«
♥♥♥
»Und darf ich fragen, gnädiges Fräulein, welches Kleid Sie beim Frühlingsball tragen werden?«
Dr. Heribert Strassner wandte sich Rosamund zu, und im Schein der Straßenlaterne, der ein wenig von den Schneeflocken getrübt wurde, sah ihr Gesicht liebreizend wie immer aus.
Rosamund Bertram hängte sich lachend in seinen Arm.
»Es ist hellblau und hat einen weiten Rock mit Schleifchen und Bändern«, verriet sie. Sie rümpfte das Näschen, als sie merkte, wie der Schnee durch die leichten Halbschuhe drang. »Sie sollten den Ball lieber Winterball nennen.«
»Bis zum Sonnabend«, prophezeite Dr. Strassner lachend, »ist aller Schnee weg. Darf ich Sie in der Konditorei vielleicht noch zu einer Portion Eis einladen?«
»Nein, unmöglich!« Rosamund erschrak. »Wie spät ist es eigentlich, Herr Doktor?«
»Zwei Minuten vor sieben Uhr.«
»Was?« Ihre kleine Hand rutschte aus seinem Armwinkel. »Höchste Zeit«, murmelte sie, »sonst gibt's Krach mit der Regierung.«
»Regierung?«, fragte Heribert Strassner verständnislos.
»Max und ich nennen unsere Eltern immer so.«
Im selben Augenblick begann die Kirchturmuhr zu schlagen.
»Wiedersehen, Herr Doktor, bis zum Sonnabend«, fügte Rosamund da schnell hinzu. »Höchste Eisenbahn für mich!«
Verklärt sah der junge Tierarzt ihr in die Augen.
»Darf ich Sie nicht morgen wieder vom Büro abholen?«
»Nein«, erwiderte Rosamund hastig, »morgen bin ich bei meiner Freundin Gertie. Wir können uns erst Sonnabend wiedersehen. Tschüs, also!« Sie drückte ihm flüchtig die Hand, presste ihre Mütze fest auf den Kopf und stürmte los.
So ein Mädel, dachte Heribert Strassner hingerissen. Er war noch nicht lange in Hohensteinach und hatte schon geglaubt, dass er sich nie einleben würde, und dann war er aus purer Verzweiflung Mitglied des Sportklubs geworden. Und dort war ihm sofort Rosamund Bertram aufgefallen. So ein natürliches, anmutiges Mädchen!
Ich bin ein Glückspilz, dachte er, dass sie noch nicht gebunden ist. Ich werde geduldig um sie werben. Eines Tages werde ich Erfolg haben. Ich habe Zeit. Wenn ich nur ab und zu mit ihr beisammen sein darf.
Indessen fegte Rosamund um zwei Straßenecken.
Die Bäckereimeistergattin Kurtz kehrte mit einem Strohbesen den Bürgersteig.
Sie hatte Rosamund schon gekannt, als diese noch ein Baby gewesen war.
»Was sagst du zu dem ollen Schnee, Rosamund?«, schrie sie lachend zu Rosamund hinüber.
»Scheußlich«, meinte das Mädchen.
Und da geschah es.
Von irgendwoher hörte sie einen wilden Lärm, der immer lauter wurde. Und schon raste ein schnittiger Wagen um die Ecke.
Der am Straßenrand zusammengefegte Schnee stob hoch. Rosamund sprang, ohne sich zu besinnen, nach hinten und fiel dabei hin. Sie hatte am Steuer einen jungen Mann mit einem hübschen Gesicht erkannt.
Und schon war der Wagen aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Hast du dir etwas getan, Rosamund?« Die Bäckermeistergattin bückte sich, doch Rosamund erhob sich schnell und klopfte den Schnee vom Mantel. »Dieser unverschämte Kerl. Er ist genauso ungebärdig wie sein Vater«, schimpfte sie.
Sprachlos blickte Rosamund die Bäckermeistergattin an.
»Sie kennen den Mann, der im Auto saß?«, fragte sie entgeistert.
»Ja sicher. Das war der junge Graf.«
Rosamund glaubte nicht richtig zu hören. Der junge Graf? Dieser Graf von Dux?
»Wenn der Sohn in der Nähe ist, kann der Vater nicht weit sein«, erklärte die Bäckermeistergattin. »Die beiden Grafen geben nur ganz kurze Gastspiele hier in Hohensteinach. Das schöne Herrenhaus steht die meiste Zeit leer.«
Rosamund kannte das Herrenhaus der Grafen von Dux vom Sehen. Es lag im Westen an der Stadtmauer, und das prächtige Anwesen wurde von zwei Gärtnern in Ordnung gehalten.
Sie dachte an das hübsche Gesicht des jungen Grafen, das sie merkwürdig fasziniert hatte.
»Die meiste Zeit«, plauderte Edith Kurtz weiter, »sind die beiden Grafen an der Riviera. Soviel ich gehört habe, besitzen sie auch eine Sechszimmerwohnung in Paris.« Sie rümpfte die Nase. »Keiner weiß, was die Grafen draußen in der Welt für Orgien feiern. Es ist wirklich empörend!«
Rosamund starrte sie an. Ich muss heim, hämmerte es in ihrem Kopf. Aber das Thema war so spannend. Und jedermann in Hohensteinach wusste, dass Edith Kurtz eine richtige Klatschtante war.
»Von diesen Gerüchten habe ich auch schon gehört«, sagte Rosamund.
»Das ist nichts für Kinderohren«, rügte Edith Kurtz sie. »Es ist eine Schande für die ganze Stadt. Am schlimmsten ist es, wenn der alte Graf eine von diesen Damen mitbringt. Aber man kann nichts dagegen tun.«
»Was für Damen?«, platzte Rosamund neugierig heraus.
»Deine Mutter wird mit mir schelten«, sagte Edith Kurtz.
»Sind es leichte Damen, Frau Kurtz?«
»Ja«, gab sie bekümmert zu. »Man sollte sich schämen für die beiden Grafen. Sie treiben's ein bisschen zu toll. Aber so ist es, wenn man reich ist. Dann muss man anscheinend über die Stränge schlagen. Ja, als die Gräfin noch lebte ...« Sie stützte sich auf den Strohbesen. »Das war eine feine, vornehme Dame. Sie starb an Lungenembolie. Sie war eine schöne Frau und hatte ein Herz für die Bedürftigen.«
»Ich muss nach Hause, sonst schimpft mein Vater«, murmelte Rosamund.
»Erzähle ihm, dass der junge Graf dich beinahe überfahren hätte«, sagte Edith Kurtz eifrig. »Der kann die beiden Grafen auch nicht leiden.«
»Gute Nacht, Frau Kurtz!« Rosamund stapfte durch den Schnee. Gottlob, der Marktplatz war erreicht. Aber zu spät kam sie auf jeden Fall, auch wenn es erst elf Minuten nach sieben Uhr war.
Die beiden tollen Grafen von Dux gingen ihr nicht aus dem Kopf. Wie mochte es dem jungen Grafen zumute sein, wenn sein Vater immer solche halbseidenen Damen mit nach Hause brachte? Aber der Junge sollte es ja genauso treiben wie der Alte. Ein typisches Beispiel dafür, dachte Rosamund, wie Geld den Charakter verdirbt.
»Wo kommst du her?«, fragte Gustav Bertram seine Tochter.
Die Familie saß bereits beim Abendessen. Es gab heute die wundervollen Bratkartoffeln, die nur ihrer Mutter in solcher Vollendung gelangen, und dazu Fleischkäse mit einem Spiegelei. Erst jetzt spürte Rosamund, wie groß ihr Appetit war.
»Verzeihung«, sagte sie in Richtung des Tischlermeisters. »Ich wäre schon längst hier, Vater, aber ich wäre um ein Haar überfahren worden.«
Elise Bertram stieß einen Schreckenslaut aus.
»Überfahren?«, fragte der Tischlermeister mit rollender Stimme. »Wieso?«
»Frau Kurtz fegte den Bürgersteig vor ihrem Laden«, erklärte Rosamund eifrig, »da kam ein schneller Wagen herangerast. Ich sprang schnell nach hinten und fiel in den Schnee. Frau Kurtz hat gesagt, dass der Fahrer des Autos der junge Graf von Dux war.«
Das Ehepaar Bertram saß da wie versteinert.
»Was war das für ein Modell?«, fragte Max aufgeregt.
»Halt den Mund, Max«, herrschte Gustav Bertram ihn an. »Deine Schwester wäre beinahe überfahren worden, aber du interessierst dich für Autotypen.« Er räusperte sich. »Wenn die Grafen von Dux wieder im Lande sind, müsst ihr aufpassen. Die fahren wie leibhaftige Teufel. Ein Wunder, dass sie sich noch nicht überschlagen haben.«
»Warum geht keiner zur Polizei, um sie anzuzeigen?«, fragte Elise aufgebracht. »Solche Rowdys gehören hinter Schloss und Riegel.«
»Es gibt niemanden, der sie anzeigt«, erwiderte der Tischlermeister zornig. »Sie begehen auch keine direkten Verkehrsübertretungen, sondern fahren nur rücksichtslos und versetzen die anderen Verkehrsteilnehmer in Angst und Schrecken. Wenn der Sohn in Hohensteinach ist, wird der Vater auch nicht weit sein.«
»Die denken wohl, sie können sich mit ihrem vielen Geld alles erlauben«, sagte Rosamund. Sie saß längst auf ihrem Stuhl und häufte Bratkartoffeln auf ihren Teller. »Warum ekelt sie keiner aus Hohensteinach raus?«
»So leicht geht das nicht, Kind«, erklärte Elise sanft. »Der ältere Graf von Dux ist ja in Hohensteinach geboren. Das Herrenhaus hier ist alter Familienbesitz. Die beiden Grafen sind zwar meistens auf Reisen, aber ab und zu kehren sie doch heim und nehmen Besitz von ihrem Haus. Und dann schenkt der ältere Graf der Stadtverwaltung immer einen hohen Scheck. Er ist großzügig mit dem Geld, das er geerbt hat.«
»Warum haben manche Menschen so viel Geld und andere überhaupt nichts?«, platzte Max heraus.
»Wir sind auch nicht gerade arm«, erwiderte der Tischlermeister behäbig. »Und ich bin froh, dass ich mir das Geld, das wir besitzen, mit meinen eigenen Händen erarbeitet habe!«, verkündete er stolz. »Ich möchte mit keinem Grafen tauschen. Um alles in der Welt nicht.«
»Aber ich!«, krähte Max begeistert. »Ich würde mir auch so einen tollen Wagen kaufen, der Rose beinahe überfahren hätte.«
»Ein für alle Mal, Max«, fuhr der Tischlermeister ihn an. »Nenne deine Schwester gefälligst nicht Rose. Rose ist eine Blume. Rosamund aber ist ein alter deutscher Vorname und beweist, dass unsere Vorfahren schon poetisch waren, denn Rosamund bedeutet nichts anderes als Rosenmund. Und wenn ich Rosamund so anschaue«, fuhr er fort, »dann finde ich, dass der Name gut zu ihr passt. Ihre Lippen sind wirklich zwei Rosenblättern sehr ähnlich, und ...«
»Vater!«, rief Rosamund. Ihr Blick glitt von dem Tischlermeister zu Elise Bertram. »Was ist denn mit Vater los, Mutter?«, fragte sie unruhig.
Elise lächelte hilflos. Natürlich wusste sie, was mit ihrem Gustav los war. Seit heute betrachtete er das Mädchen nicht mehr wie ein Kind, sondern wie eine heiratsfähige junge Frau. Manchmal verstand Elise ihren Mann nicht.
»Dein Vater will wohl andeuten«, erklärte sie ruhig, »dass du ein hübsches Mädchen bist, Rosamund.«
Zweifelnd blickte Rosamund zu ihrem Vater hinüber. Gustav Bertram war keiner, der etwas »andeutete«. Der sagte immer klipp und klar, was er meinte. Irritiert dachte sie darüber nach, warum er ihre Lippen mit zwei Rosenblättern verglich. Das war zumindest seltsam für einen Praktiker wie ihn, für einen Mann, der zur Arbeit seine beiden Fäuste gebrauchte.
»Gustav«, wandte Elise sich an ihren Mann, »jetzt wird der ältere Graf von Dux bestimmt darauf bestehen, dass du dich um seinen alten Renaissanceschrank kümmerst.«
»Wenn schon. Ich bin mit Aufträgen bis zum Hals eingedeckt. Graf von Dux will unbedingt, dass ich den alten Schrank bei ihm im Herrenhaus aufarbeite. Dazu fehlt mir die Zeit. Und falls er kommt, werde ich kein Blatt vor den Mund nehmen. Wenn er denkt, er braucht nur zu winken und ich springe sogleich, dann hat er sich gewaltig geirrt. Ich bin ein freier Handwerker und nicht sein Leibeigener.«
»Reg dich nicht auf, Gustav«, beschwor Elise ihn. »Keiner kann dich zwingen, den Renaissanceschrank aufzuarbeiten.«