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Nichts kann Sabine von Clausnitz davon abhalten, dem Mann den Rücken zu kehren, der sie zutiefst enttäuscht hat. Von nun an will sie ihr Leben allein meistern, ganz auf sich gestellt.
Und Thomas Falk?
Innerlich zerrissen von seinen Gefühlen für Sabine und Martina, hat er sich für die jüngere der Schwestern entschieden. Längst quält ihn das schlechte Gewissen, denn er weiß, dass er Leidenschaft mit wahrer Liebe verwechselt hat.
Als er durch Zufall Sabines neuen Wohnort herausfindet, wird die Stimme seines Herzens immer lauter ...
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Seitenzahl: 135
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Die Stimme des Herzens
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Impressum
Die Stimme des Herzens
Wie das Schicksal sie für alle Tränen entschädigte
Nichts kann Sabine von Clausnitz davon abhalten, dem Mann den Rücken zu kehren, der sie zutiefst enttäuscht hat. Von nun an will sie ihr Leben allein meistern, ganz auf sich gestellt.
Und Thomas Falk? Innerlich zerrissen von seinen Gefühlen für Sabine und Martina, hat er sich für die jüngere der Schwestern entschieden. Längst quält ihn das schlechte Gewissen, denn er weiß, dass er Leidenschaft mit wahrer Liebe verwechselt hat.
Als er durch Zufall Sabines neuen Wohnort herausfindet, wird die Stimme seines Herzens immer lauter ...
»Nein«, erklärte Leopoldine Gräfin Clausnitz mit ungewollter Schärfe. »Ehe ich keine Nachricht von Sabine habe, werde ich eurer Verlobung nicht zustimmen!«
Martina trug ihr Haar straff nach hinten gekämmt. Ihr ebenmäßiges Gesicht wirkte dadurch unglaublich jung und zart.
»Tante«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass Sabine mir sehr böse ist. Aber was kann ich dafür, dass der Mann, der meine Schwester heiraten wollte, sich ausgerechnet in mich verliebt hat?«
»Du bist nicht unschuldig daran, Martina!«, erwiderte die Gräfin streng. »Denk an den Abend, an dem du mir alles offen erzählt hast.«
»Du hast ja recht«, bekannte Martina kleinlaut. »Ich leide auch darunter, dass Sabine nichts von sich hören lässt. Was soll ich aber tun, Tante?«
»Wir können gar nichts tun, Martina. Wir können nur warten! Jetzt ist sie schon seit drei Monaten fort.« Sie warf einen forschenden Blick auf ihre Nichte. »Es ist schon sechs Uhr, Martina. Triffst du dich heute Abend noch mit Thomas?«
»Nein, Tante. Er hat keine Zeit. Seine Eltern sind heute eingetroffen.«
Die Gräfin stutzte. Wie begeistert hatte ihr Sabine seinerzeit von Thomas' Eltern erzählt! Wie eine Tochter hatten sie Sabine in ihrem Haus in Hannover aufgenommen. Und Thomas' Mutter hatte der Gräfin kurz vor der festgesetzten Hochzeit einen reizenden Brief geschrieben!
»Du wirst es schwer haben, Martina«, prophezeite die Gräfin. »Die Eltern von Thomas hatten Sabine bereits lieb gewonnen. Es wird schwierig für dich sein, ihr Vertrauen zu gewinnen.«
»Na, wenn schon«, erwiderte Martina trotzig. »Ich heirate ja nicht sie, sondern Thomas.«
»Mein liebes Kind, du musst noch viel lernen. Thomas liebt seine Eltern innig, und er ist ihr einziger Sohn. Es ist wichtig, dass auch du ihr Herz gewinnst, Martina. Thomas ist seiner Mutter besonders herzlich zugetan. Unbewusst sucht jeder junge Mann in dem Mädchen, das er liebt, das Ebenbild seiner Mutter, denn eine Mutter, Martina, ist die Frau, die einen Menschen von Geburt an begleitet.«
»Bei mir war es nicht so, Tante Poldi. Ich habe meine Mutter niemals kennengelernt.«
»Ja, mein Kind, sie starb bei deiner Geburt. Bemühe dich um ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern und vor allem zu seiner Mutter.«
»Thomas liebt mich, Tante Poldi. Wenn seine Eltern mich nicht haben wollen, wird er trotzdem zu mir halten.«
»Sabine war klüger als du«, stieß die Gräfin seufzend hervor. »Sie hat es verstanden, Thomas' Eltern im Sturm zu erobern.«
»Ja, ich weiß«, wehrte Martina ungeduldig ab. »Sabine ist viel klüger als ich. Ich werde immer wie ein Aschenputtel behandelt.«
»Wie kannst du nur so sprechen, Martina! Wir haben dich alle von Herzen lieb.«
»Aber Sabine hasst mich.«
»Du hast Sabine viel Leid zugefügt. Sie stand kurz vor der Hochzeit mit Thomas. Stell dir mal vor, Martina, wie dir zumute wäre, wenn kurz vor deiner Hochzeit mit Thomas ein anderes Mädchen käme, das dir Thomas fortnimmt.«
»Niemals wird das geschehen!«, rief Martina leidenschaftlich. »Thomas hat Sabine nie geliebt. Mich aber wird er bis an sein Lebensende lieben.«
»Es war eine andere Liebe, die Thomas mit Sabine verband«, erwiderte Leopoldine Gräfin Clausnitz. »Und noch bin ich mir nicht sicher, welche Liebe stärker sein wird. Deine jugendliche Schönheit wird einmal verblühen, Martina. Wird dich Thomas dann immer noch lieben? Ein schönes Gesicht allein genügt nicht, um einen Mann für immer an sich zu fesseln. Herzenswärme, Güte, Verständnis sind mindestens ebenso viel wert.«
»Du glaubst also, mein Aussehen ist alles, was ich zu bieten habe? Wenn du dich da nur nicht irrst. Ihr alle wisst ja gar nicht, was in Wirklichkeit in mir steckt. Ich werde es euch allen beweisen. Dir, Sabine und Thomas.«
♥♥♥
Helene Falk sah sich in dem gemütlichen Wohnzimmer ihres Sohnes um
»Hast du diese Wohnung möbliert gemietet? Es ist hübsch hier, mein Junge, aber ein bisschen unpersönlich.«
»Ich weiß, Mama. Ich werde mich nach meinem eigenen Geschmack einrichten, wenn ich verheiratet bin.«
»Womit wir endlich beim Angelpunkt unseres Gesprächs angelangt wären«, polterte Professor Falk.
»Als du uns damals Sabine in unser Haus brachtest, Thomas«, sagte Helene Falk, »haben wir sie sofort lieb gewonnen und freuten uns so sehr, dass wir eine solche Schwiegertochter bekommen sollten. Dein Vater und ich, Thomas, hatten den Eindruck, dass du Sabine von Herzen zugetan bist. Wie kam es nur, dass ihr euch entlobt habt?«
»Ja, wie soll ich euch das alles erklären, Mama? Ich bekam plötzlich Angst. Mir wurde bewusst, dass Sabine und ich ...« Er stockte.
»Gib doch endlich zu, dass da ein anderes Mädchen im Spiel ist, Thomas«, brummte Professor Falk.
»Ja«, gab Thomas zu. »Du hast recht. Und das Tragische ist, dass dieses andere Mädchen Sabines Schwester ist.«
Helene Falk zuckte zusammen. Der Professor starrte Thomas finster an.
»Ist sie jünger und hübscher als Sabine?«, fragte er.
»Was heißt jünger und hübscher«, wehrte Thomas peinlich berührt ab. »Darauf kommt es doch nicht an, Papa. Ich begriff so plötzlich, dass ich Martina liebte, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als Sabine im letzten Augenblick die Wahrheit zu sagen. Durfte ich sie trotzdem heiraten, obwohl mir klar war, dass ich Martina viel mehr liebte?«
»Nein, Thomas, das durftest du nicht«, stimmte Helene Falk zu. »Mir gefällt es aber nicht, dass diese Martina ihrer eigenen Schwester den Mann ausgespannt hat.«
»Das hat sie nicht«, rief Thomas hitzig. »Ich habe aus eigenen Entschlüssen die Verlobung mit Sabine gelöst.«
»Wo ist Sabine jetzt?«, fragte seine Mutter.
»Sie hat zwei Tage nach unserer Entlobung Berlin verlassen«, berichtete er. »Kein Mensch weiß, wohin sie gefahren ist.«
»Rührt dich Sabines Schicksal gar nicht?«, fragte der Professor.
»Natürlich!«, beteuerte Thomas. »Wenn ihr wüsstet, was ich mir für Sorgen um sie mache. Schließlich kannten wir uns ja mehr als zwei Jahre. Ich sprach noch am Flughafen mit ihr. Sie war sehr ruhig und verzieh mir und Martina. Und sie nahm auch mein Angebot, weiterhin Freunde zu bleiben, ohne Widerstreben an.«
»Arme Sabine«, flüsterte Helene Falk. »Wie muss ihr zumute gewesen sein, dass du ihr die Freundschaft statt eines Eheringes angeboten hast.«
»Wenn sie nicht bald von sich hören lässt, werde ich verrückt«, gestand Thomas.
»Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen, Thomas«, sagte seine Mutter. »Aber ein Mann, der ein Mädchen heiraten will, muss sein Herz vor der Verlobung prüfen und nicht erst acht Tage vor der Hochzeit. Hoffentlich weißt du jetzt ganz sicher, wohin du gehörst.«
»Zu Martina«, erklärte Thomas. »Sie ist ein Traum von einem Mädchen.«
»Ein Traum ist ganz hübsch für den Anfang«, mischte sich der Professor ins Gespräch. »Aber nach den Flitterwochen geht die Ehe in den Alltag über, Thomas. Besitzt diese Martina die Gabe, dir in schweren Stunden Kraft und Mut zu geben, wird sie an deiner Seite ausharren, ganz egal, was kommen wird?«
»Ich bin kein Prophet, Papa. Aber ich bin sicher, dass Martina eine gute Ehefrau sein wird. Sie hat keinen Beruf. Sie wird nur für mich da sein.«
»Das ist ein großes Plus«, stimmte der Professor zu. »Ehe wir Sabine kennenlernten, war ich nicht begeistert, dass sie einen Doktortitel trägt und als Juristin arbeitet. Doch wir gewannen Sabine sofort lieb, weil sie sich trotz allem ihre Weiblichkeit bewahrt hat. Nun werden wir uns wohl mit dieser Martina abfinden müssen.«
»Ich werde mir große Mühe geben, sie ebenso gernzuhaben wie Sabine«, versicherte Helene. »Wann werden wir sie kennenlernen, Thomas?«
»Morgen. Ich dachte, dass wir zu viert in eurem Hotel das Mittagessen einnehmen. Nachmittags werden wir dann alle zum Kaffee zu Tante Poldi hinausfahren.«
»Einverstanden.« Der Professor nickte. »Wir freuen uns, sie kennenzulernen.«
»Sie freut sich auch, Papa. Ich glaube, jetzt hat sie sich endlich mit dem Gedanken abgefunden, dass Martina und ich heiraten werden.«
»Fürwahr, merkwürdig verworrene Verhältnisse«, knurrte Professor Falk. »Musstest du ausgerechnet an diese beiden Schwestern geraten, Thomas? Wie soll das eigentlich später werden? Sabine wird deine Schwägerin und später einmal auch die Tante deiner Kinder. Die peinlichen Zwischenfälle werden kein Ende nehmen.«
»Sabine wird ja auch einmal heiraten«, sagte Thomas.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, widersprach seine Mutter. »Sabine hat dich bis zur Selbstaufgabe geliebt, Thomas. Meine Mutteraugen haben das sofort erkannt. Bitte sei dir klar darüber, Thomas, dass Sabine ein todwundes Herz hat, das vielleicht Jahre brauchen wird, um über die Enttäuschung hinwegzukommen.«
»Und es ist alles meine Schuld, Mama?«
»Frauen lieben anders als Männer, Thomas«, erklärte der Professor. »Wenn eine Frau einen Mann richtig liebt, geht sie für ihn und in ihm auf. Wird dieses starke Gefühl, für das sie lebt, verletzt, mit Füßen getreten, dann ...« Er schwieg.
Thomas dachte an Martinas Liebe zu ihm. War diese Liebe so groß, dass Martina sich selbst aufgeben konnte? Noch zeigte sie ihm ihr Gefühl kindlich verspielt, sie war sprunghaft und vielen Stimmungen unterworfen. Aber sie ist ja noch so jung, tröstete er sich. Mit neunzehn Jahren müssen Mädchen so sein wie Martina.
♥♥♥
Eine Zeitungsannonce machte Sabine auf Professor von Brink aufmerksam. Er suchte eine juristisch geschulte Kraft, die seine umfangreiche Bibliothek mit einmaligen, äußerst wertvollen Büchern ordnete und ein Archiv aufbaute.
Georg von Brink war siebenundvierzig Jahre alt und vor sieben Jahren Witwer geworden. Er hatte einen zwölfjährigen Sohn, der das Freiburger Gymnasium besuchte.
Schon vom ersten Augenblick an, als sie Professor von Brink kennenlernte, spürte Sabine, was für eine starke Persönlichkeit er war. Er war sehr groß und schlank, hatte dichtes graues Haar und ein freundliches Gesicht.
Seine leuchtend blauen Augen konnten bis auf den Grund eines Herzens blicken. Er gab sich keine Mühe, Sabine zu verbergen, wie sympathisch sie ihm war.
Mit leiser Stimme erklärte Sabine ihm, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug. Sie erzählte ihm auch von ihrer Entlobung acht Tage vor der angesetzten Hochzeit.
»Wann sagen Sie, kommt das Baby, Fräulein Doktor von Clausnitz?«, fragte der Professor lächelnd.
»In gut vier Monaten«, brachte Sabine zaghaft hervor.
»Dann können Sie mir Ihre Arbeitskraft vorerst also für etwa zwei Monate zur Verfügung stellen«, sagte er. »Wir suchen Ihnen in Freiburg ein nettes Zimmerchen, in dem Sie sich wohlfühlen. Sie könnten aber auch hier leben. Mein Haus ist groß genug.«
»Nein, nein«, wehrte Sabine hastig ab. »Das möchte ich auf keinen Fall!«
»Wie Sie wollen. In zwei Monaten bereiten Sie sich dann auf den Empfang Ihres Kindchens vor. Wenn es da ist, ruhen Sie sich noch sechs Wochen aus, dann nehmen Sie die Arbeit bei mir wieder auf.«
»Herr Professor«, stammelte Sabine ungläubig. »Sie sind so gütig.«
»Unsinn, Fräulein Doktor von Clausnitz«, wehrte er ab. »Sehen Sie, ich suche für meine kostbare Bibliothek schon lange jemanden, dem ich vertrauen kann. Auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt es nicht mehr an. Ich habe zwar eine Privatsekretärin, aber Lorelei ist zur Genüge mit dem Tippen meiner Briefe beschäftigt. Meine Bibliothek muss vor allem katalogisiert werden. Immer wieder bekomme ich Anfragen aus aller Welt, und jedes Mal muss ich stundenlang suchen, bis ich ein Werk finde.«
»Die Arbeit würde mir gewiss viel Spaß machen, Herr Professor«, erwiderte Sabine leise. »Aber was soll werden, wenn das Kind da ist?«
»In der ersten Zeit kann das Baby hier bei Ihnen bleiben, Fräulein Doktor von Clausnitz. Unsere alte Wanda ist ein Kindernarr. Haben Sie Wanda schon kennengelernt?«
Sabine entsann sich der beleibten Frau, die ihr die Tür geöffnet und sie eingelassen hatte.
»Ist sie Ihre Haushälterin, Herr Professor?«
»Ja«, bestätigte der Professor. »Eine Tschechin. Sie kam mit ihrem Mann nach Deutschland und wurde hier Witwe. Zuerst hat sie Joachim großgezogen, als meine Frau vor sieben Jahren starb. Jetzt aber ist Joachim schon zwölf Jahre. Wanda würde sich sicher freuen, wenn sie wieder ein kleines Wesen zu bemuttern hätte.«
Sabine konnte sich vor Glück kaum fassen. Der Professor war einmalig.
Er streckte ihr seine Hand über den Tisch entgegen.
»Also, schlagen Sie ein, Fräulein Doktor von Clausnitz!«
»Ja«, sagte Sabine. »Das Schicksal hat es gut gemeint, als es mir den Weg in Ihr Haus wies, Herr Professor.« Sie legte ihre Hand in die seine. »Aber Sie kennen mich noch zu wenig. Wir wollen zwei Monate Probezeit festlegen.«
»Einverstanden«, stimmte der Professor ihr zu. »Man merkt, dass Sie Juristin mit Leib und Seele sind.«
Und so wurde Sabine die Bibliothekarin des Professors. Sie bezog ein kleines Zimmerchen in der Schlossbergstraße, ganz in der Nähe des Stadtgartens von Freiburg.
In der Villa des Professors lebte Sabine sich schnell ein. Von morgens bis abends arbeitete sie in der sonnigen holzvertäfelten Bibliothek. Von Anfang an nahm ihre Arbeit sie gefangen.
Die Mahlzeiten nahm sie gemeinsam mit dem Professor und seinem Sohn Joachim ein. Joachim war ein kräftiger blonder Junge. Er hatte sich gleich vom ersten Tag an Sabine angeschlossen. Und schon vier Tage später kam er Hilfe suchend zu ihr, weil er eine Mathematikaufgabe nicht lösen konnte.
Seitdem zweigte Sabine jeden Tag eine Stunde für Joachims Schulaufgaben ab. Die Zensuren in der Schule wurden schlagartig besser.
Auch Lore Winter, die Privatsekretärin des Professors, die er Lorelei nannte, lernte Sabine gleich kennen.
Lore Winter war fünfunddreißig Jahre alt, vollschlank und mittelgroß. Ihr ovales, sympathisches Gesicht verriet Humor, Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Die beiden Frauen mochten sich sofort gut leiden. Lore Winter war ledig.
»Elf Jahre lang arbeite ich jetzt bei dem Professor«, verriet sie Sabine mit gespielter Empörung. »Er hat mir keine Zeit gelassen, mich nach einem geeigneten Mann umzusehen. Unser Professor ist wie Dynamit. Er frisst seine Mitarbeiter mit Haut und Haaren. Warten Sie, Sabine, Ihnen wird es ebenso gehen.«
Sabine musste unwillkürlich lachen. Lore Winters heitere Art wirkte auf sie wie Balsam. Schon wenige Tage nach ihrem Kennenlernen beschlossen sie, sich mit dem Vornamen anzureden. So entstand eine beinahe familiäre Atmosphäre.
Inzwischen arbeitete Sabine seit sechs Wochen für den Universitätsprofessor Georg von Brink in dessen alter Villa in der Habsburger Straße.
Taktvoll vermied es Lore Winter, Sabine nach der Vergangenheit auszufragen. Umso lebhafter beschäftigte sie sich aber mit Sabines Baby.
»Haben Sie schon einen Namen für Ihr Baby, Sabine?«, fragte sie.
»Nein. Ich weiß ja noch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.«
Lore Winter bemerkte, wie ein Schatten über Sabines Gesicht glitt. Burschikos strich sie ihr über die schmale Hand.
»Sie haben in mir eine Freundin«, versicherte Lore. »Vergessen Sie das nie. Ich bin Ihnen von Herzen zugetan.«
Der Professor trat ein und unterbrach ihr Gespräch.
»Haben Sie die Briefe getippt, Lorelei?«, fragte er Lore Winter und zog die Stirn in Falten. »Ich wusste ja, dass Sie eine Plaudertasche sind, aber doch nicht während der Arbeitszeit!« Missbilligend blickte er sie an.
Lore Winter machte sich nicht das Geringste aus dieser Rüge.
»Huuuh«, rief sie lachend. »Der strenge Chef zürnt. Und wie er die Augen rollt!« Sie rang theatralisch die Hände. »Was habe ich armer Schelm nur getan, um mir seinen Unwillen zuzuziehen?«
Ein Lächeln umspielte den Mund des Professors. Mit gespielter Ratlosigkeit wandte er sich an Sabine.
»Was soll man mit einer solchen Person anfangen, Sabine? Kann man ihr ernstlich böse sein?«
»Nein«, erwiderte Sabine belustigt. »Und Sie wissen genau, dass Sie keine bessere Sekretärin finden können!«
»Ja, das stimmt«, pflichtete er ihr bei.
»Vielen Dank!«, rief Lore. »Die Briefe sind gleich fertig!«, verkündete sie noch und lief hinaus.
»Eine prächtige Frau«, sagte Sabine leise. »Wie kommt es nur, dass sie nicht geheiratet hat?«
»Ich habe ihr niemals Zeit dazu gelassen«, gestand der Professor. »Außerdem käme es für mich einem Weltuntergang gleich, wenn sie mir fortliefe.«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Sabine räusperte sich. »Herr Professor, ich habe eine Frage.«
»Immer heraus damit.«
Sabine wies auf ein dickes, zerfleddertes Buch, das vor ihr auf dem Tisch lag.
»Dies hier ist eine Abhandlung über griechische Literatur aus dem achtzehnten Jahrhundert«, erklärte sie. »Ich würde gern darüber einen Artikel für das ›Juristische Monatsblatt‹ schreiben.«
Erstaunt riss der Professor die Augen auf.