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Jenny Schönbach hat soeben ihr Engagement bei einem kleinen Theater verloren, da bietet ihr Alexander Graf von Cleve einen lukrativen Job als Schauspielerin an. Sie soll auf Schloss Cleve die Rolle seiner Schwägerin spielen, der sie zum Verwechseln ähnlich sieht. Alexanders Bruder Claudius und seine Frau Michaela sind von einer Weltreise nicht zurückgekehrt. Da Alexander das schwarze Schaf der Familie ist, will der kranke Großvater, das Familienoberhaupt, das Vermögen der Cleves nun seinen Freunden vermachen. Das gilt es zu verhindern. Jenny muss dem Großvater also weismachen, Michaela zu sein und Claudius’ - von Alexander gespielt - liebende Gattin. Das ist der schwerste Part der ganzen Vorstellung, denn die beiden sind sich vom ersten Augenblick an nicht grün!
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Seitenzahl: 133
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Die bezahlte Lüge
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Impressum
Die bezahlte Lüge
Erfolgsroman um die Doppelgängerin der Gräfin C.
Jenny Schönbach hat soeben ihr Engagement bei einem kleinen Theater verloren, da bietet ihr Alexander Graf von Cleve einen lukrativen Job als Schauspielerin an. Sie soll auf Schloss Cleve die Rolle seiner Schwägerin spielen, der sie zum Verwechseln ähnlich sieht.
Alexanders Bruder Claudius und seine Frau Michaela sind von einer Weltreise nicht zurückgekehrt. Da Alexander das schwarze Schaf der Familie ist, will der kranke Großvater, das Familienoberhaupt, das Vermögen der Cleves nun seinen Freunden vermachen. Das gilt es zu verhindern. Jenny muss dem Großvater also weismachen, Michaela zu sein und Claudius' – von Alexander gespielt – liebende Gattin. Das ist der schwerste Part der ganzen Vorstellung, denn die beiden sind sich vom ersten Augenblick an nicht grün!
Als Jenny bei Rot an der Straßenecke stand und die Brückenpromenade überqueren wollte, erhielt sie die Gewissheit, dass der Mann ihr wirklich nachkam.
Erregt klemmte sie ihr Rollenbuch unter den Arm und stürmte bei Grün über den Fahrdamm.
Sekundenschnell drehte sie sich um. Tatsächlich, der hochgewachsene Fremde folgte ihr schon wieder.
Jenny warf einen Blick auf die Normaluhr.
Noch sieben Minuten, dann fing die Probe an. Falko Hartmann, der Regisseur, war in letzter Zeit immer so gereizt. Sie durfte ihn nicht verärgern.
Dabei war Jenny doch heilfroh, dass er sie in sein Ensemble aufgenommen hatte. Auch wenn es sich nur um ein kleines Privattheater handelte, so erfüllte sich doch ihr Traum, endlich auf der Bühne zu stehen.
»Turandot« von Schiller sollte ihr Debüt werden. Sie spielte zwar nur die Sklavin der Prinzessin Turandot, Zelima, aber immerhin: Für den Anfang konnte man nicht mehr erwarten.
Als sie in die Poststraße einbog, sah sie über die Schulter. Ja, er kam ihr immer noch nach.
Ein Angstgefühl beschlich sie. Der Fremde sah fantastisch aus, vornehm und gelassen, fast hochmütig, und einen verliebten Eindruck machte er nicht. Aus welchem Grunde folgte er ihr so beharrlich?
Jenny Schönbach atmete auf, als sie den Künstlereingang des kleinen Privattheaters erreichte. Ehe sie über die Schwelle ging, bemerkte sie, wie der Fremde stehen blieb und an der Hausfassade hochblickte.
Rasch eilte Jenny zu den Kulissen.
»Gottlob, dass unser hochverehrtes Fräulein Jenny endlich geruht, auch zu kommen«, begrüßte sie Falko Hartmann. »Haben Sie gut geschlafen, Gnädigste?«
»Wieso? Es ist doch erst zwei Minuten vor elf Uhr«, stotterte Jenny.
»In Anbetracht des Umstandes, dass wir schon seit zehn Uhr proben, ist die genaue Uhrzeit jetzt belanglos«, erwiderte der Regisseur bissig.
»Seit zehn Uhr?«, schrie Jenny auf.
»Ich habe schon die Berti Schrader verständigt. Sie wird die Rolle der Zelima spielen.«
»Ach, bitte, versuchen Sie es doch noch einmal mit mir«, flehte Jenny.
»Tut mir leid, Schönbach. Ich brauche Disziplin in meinem Ensemble. Wo käme ich denn da hin, wenn jeder machen würde, was er wollte. Nein, Sie haben mich schon oft zur Weißglut gebracht. Sie beherrschen Ihre Rolle nicht, stottern, sprechen viel zu leise und sind so steif wie eine Puppe. Nein, wir müssen uns trennen.«
Ein Theaterdiener trat zu Falko Hartmann und flüsterte ihm etwas zu.
»Ich komme gleich«, erwiderte dieser und wandte sich an die Schauspieler. »In zehn Minuten proben wir den achten Auftritt. Die Szene zwischen Kalaf und Skirina. Bis gleich.«
Er stapfte davon.
Jenny weinte bitterlich.
»Na, lass dich doch von diesem Ekel nicht so ärgern, Jenny«, hörte sie Reni Havert sagen. Reni spielte eine Sklavin des Serails und war ein gutmütiges, etwas dickliches Mädchen. Sie streichelte Jennys Arm. »Du wirst bestimmt woanders unterkommen.«
»Wo denn?«, schluchzte Jenny. »Diesen Job hier habe ich sieben Monate lang gesucht.«
»Du kannst doch Fotomodell werden, so toll, wie du aussiehst!«, sagte Reni. »Oder geh zum Werbefilm. Deine Schönheit ist dein Kapital.«
»Aber ich will Schauspielerin sein und kein Modell«, erwiderte Jenny verzweifelt.
♥♥♥
»Allerdings, Fräulein Schönbach gehört zu meinem Ensemble«, erklärte Falko Hartmann. »Das heißt, seit etwa vier Minuten nicht mehr. Ich habe sie hinausgeworfen. Um was handelt es sich?«
Der Besucher verneigte sich.
»Ich werde Ihnen erklären, um was es sich handelt. Ich bin Alexander Graf von Cleve und ...«
»Graf von Cleve? Ihnen gehört das Schloss oben am Teufelshügel?«
»Allerdings. Mein Großvater, Rudolf Graf von Cleve, hatte bis jetzt eine junge, sehr attraktive Hausdame. Mein Großvater ist sehr krank, müssen Sie wissen. Er kann sich nicht leicht an fremde Gesichter gewöhnen. Nun, unsere Hausdame hat geheiratet, und seitdem suche ich eine junge Dame, die ihr gleicht.« Er blickte auf die Zeitung in seinen Händen. »Hier, dieses Foto von Ihrem Ensemble, Herr Hartmann, hat mich auf die Idee kommen lassen, Fräulein Schönbach zu fragen, ob sie die Rolle der Hausdame einnehmen will.«
»Ich würde Ihnen raten, sich mit Fräulein Schönbach in keiner Weise einzulassen. Sie ist ein absoluter Pechvogel und nicht sehr gewissenhaft und verlässlich.«
»Ich will es trotzdem versuchen. Würden Sie so freundlich sein, sie zu mir zu schicken?«
»Herr Graf, ich ...«
»Nun, es ist Ihnen hoffentlich bekannt, Herr Hartmann, dass ich mit dem Besitzer dieses Theaters, Herrn Doktor Sahlenburg, befreundet bin. Ich erwarte deshalb, dass Sie mich in meinen Bemühungen um Fräulein Schönbach unterstützen.«
Falko Hartmann bekam eine rote Stirn vor Ärger. Dieser Graf von Cleve war ja von einer geradezu impertinenten Arroganz.
»Gut, hoffentlich ist sie noch nicht weggegangen«, murmelte er und ging hinaus.
Ungeduldig blieb Alexander Graf von Cleve zurück. Es passte gut in seinen Plan, dass sie im Theater gekündigt worden war. Jetzt würde sie sicherlich sein Angebot sofort ohne Zögern annehmen.
Er brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten kehrte Falko Hartmann in Begleitung von Jenny Schönbach wieder.
Jenny fuhr zurück, als sie den Mann erkannte.
»Sie?«, fragte sie verwundert.
Alexander Graf von Cleve nickte.
»Sie kennen mich vom Sehen.«
»Weil Sie mir seit drei Tagen auf Schritt und Tritt folgen«, entfuhr es Jenny. Hilfe suchend sah sie sich nach Falko Hartmann um, doch der war schon hinausgegangen.
»Setzen Sie sich«, befahl der Graf. Er schloss die Tür und blieb vor dem Sessel, in dem Jenny auf der äußersten Kante saß, stehen. »Herr Hartmann verriet mir, dass Sie hier gekündigt wurden. Er erzählte mir, dass Sie ein absoluter Pechvogel und unverlässlich und nicht gewissenhaft seien, und er riet mir, mich mit Ihnen in keiner Weise einzulassen.«
»Er hat mich nie leiden können«, flüsterte Jenny erblassend.
»Es kümmert mich wenig, ob Sie unverlässlich oder ein Pechvogel sind«, gab Graf Alexander zurück. »Mich interessiert Ihr Aussehen. Sie gleichen einer Dame, und diese Ähnlichkeit ist es, die mein Interesse an Ihnen erweckt hat. Ich möchte Sie als Schauspielerin verpflichten, und zwar müssten Sie eine Rolle spielen, die ich Ihnen zuweise.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Oh weh, dumm auch noch«, sagte der Graf sarkastisch. »Ich will Sie engagieren. Sie sollen für mich als Schauspielerin tätig sein. Sie sollen in die Rolle einer Frau schlüpfen, der Sie sehr ähnlich sehen. Haben Sie das begriffen?«
»So dumm bin ich nun auch wieder nicht«, stieß Jenny hervor. »Ich kenne aber noch immer nicht die näheren Zusammenhänge. Vor allem weiß ich nicht, ob die Geschichte legal ist und ob die Dame, deren Rolle ich spielen soll, davon etwas weiß.«
»Die Geschichte ist durchaus legal«, erklärte Graf Alexander. »Sie soll verhindern, dass eine Riesendummheit begangen wird. So, und nun möchte ich wissen, ob Sie mir zustimmen.«
»Wie kann ich das, wenn Sie mir keine Einzelheiten erzählen?«
»Einzelheiten erfahren Sie erst, wenn Sie einen Vertrag mit mir geschlossen haben.«
»Dann ist die Geschichte also doch nicht sauber?«
»Sie machen mich wahnsinnig«, knurrte Alexander. »Sie sollen mir eine Zeit lang zur Verfügung stehen, ich weiß nicht, wie lange. Sie erhalten von mir für jede Woche fünftausend Mark.«
Jenny glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
»Fünftausend Mark für eine Woche?«
»Ja. Ich habe Erkundigungen über Sie einziehen lassen. Ich weiß, dass Ihre Eltern tot sind und dass Sie einen Bruder haben, der in einem Internat lebt. Dieses Internat kostet Sie monatlich sechshundert Mark, soviel ich in Erfahrung gebracht habe.«
»Langsam werden Sie mir unheimlich!«, stotterte Jenny.
»Es wäre durchaus möglich, dass ich Sie zehn Wochen lang engagiere, das wären für Sie fünfzigtausend Mark auf die Hand.«
Fünfzigtausend Mark! Das war eine Summe, bei der Jenny weiche Knie bekam.
»Und Sie schwören mir, dass ich dafür nichts Unrechtmäßiges tun muss?«, fragte sie.
»Das wird alles im Vertrag stehen. Sie können ganz sicher sein, dass ich nichts von Ihnen verlangen werde, das Ihnen widerstrebt.«
»Also gut«, sagte Jenny leise. »Wann soll ich anfangen?«
»Ich wohne im ›Hotel Esplanade‹«, lautete seine Antwort. »Besuchen Sie mich bitte gegen sechzehn Uhr. Dann werden wir alles Weitere besprechen.«
♥♥♥
Jenny Schönbach war zwischen zwölf und sechzehn Uhr in einem merkwürdigen Gefühl der Schwerelosigkeit.
Fünftausend Mark pro Woche. Das würde bedeuten, dass sie fast neun Monate lang das Geld für Tobbys Internat haben würde, wenn dieser Graf von Cleve sie nur für eine Woche beschäftigte.
Das war sensationell! Und solange sie aufpasste, dass nichts Ungesetzliches geschah, konnte eigentlich gar nichts schiefgehen.
Im letzten Augenblick, als Jenny ihr möbliertes Zimmer verlassen wollte, bemerkte sie eine Laufmasche in der Strumpfhose. Sie musste also wieder zurück und sich umziehen.
Und so kam sie wieder einmal zu spät. Es war sieben Minuten nach sechzehn Uhr, als sie endlich das »Hotel Esplanade« erreichte.
Ziemlich aufgelöst stürzte sie in die Hotelhalle und fragte nach Graf von Cleve.
»Sind Sie Fräulein Schönbach?«, wurde sie von einem Angestellten an der Rezeption gefragt.
»Ja.«
»Sie werden erwartet.« Der Mann winkte einem Hotelpagen, der sich vor Jenny verneigte und sie zum Lift führte.
Alexander Graf von Cleve bewohnte eine ganze Zimmerflucht. Er telefonierte, als Jenny eintrat. Auf einen Wink von ihm entfernte sich der Page und zog die Tür ins Schloss.
Jenny sah sich um, während der Graf französisch in die Sprechmuschel sprach, und fühlte sich ein wenig beklommen. Die ganze Atmosphäre, die den Grafen umgab, roch nach Reichtum und Gediegenheit.
Endlich legte der Graf den Hörer auf.
»Sie waren unpünktlich«, sagte er. »Sie sollten um sechzehn Uhr kommen.«
»Sie haben gesagt, gegen sechzehn Uhr«, verteidigte sich Jenny atemlos.
»Gut, gut.« Graf Alexander winkte nervös ab. Er drückte sie auf einen gepolsterten Stuhl und starrte sie aufmerksam an. »Ja, die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich«, sagte er. »Kommen Sie mit.«
»Wohin?«, erkundigte sich Jenny Schönbach verwirrt.
»Nach nebenan in mein Schlafzimmer.«
Jenny spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror.
»Ich denke nicht daran!«, platzte sie aufgebracht heraus und stand auf. »Ich hätte es mir denken können, wozu Sie mich bestellt haben. Schlafzimmer! Dass ich nicht lache! Stecken Sie sich Ihre fünftausend Mark wöchentlich an den Hut.«
Alexander Graf von Cleve sah sie entgeistert an, dann bog er den Kopf zurück und lachte schallend.
»Was ist daran so komisch?«, fragte Jenny mit erhobener Stimme.
Sein Lachen brach ab. Er packte ihren Arm und zog sie zu einer Tür. Mit dem Fuß trat er sie auf.
Es war dunkel in dem Raum. Wahrscheinlich waren die Jalousien vorgezogen.
»Ich will dort nicht hinein.« Jenny wehrte sich verzweifelt.
»Blöde Gans«, schnauzte er. »Sie sind völlig auf dem Holzweg, wenn Sie glauben, dass ich Sie verführen will.« Er stieß sie in den Raum. Jenny spürte eine Sesselkante in ihren Kniekehlen und sank nieder. Ihr Herz schlug bis zum Hals hinauf.
»Und jetzt sperren Sie die Augen auf, zum Teufel«, knurrte Alexander. »Hartmann hat offenbar doch recht: Sie sind unerträglich.«
»Dann kann ich ja wieder gehen!«, stieß Jenny hervor. »Auf Ihr Geld bin ich wirklich nicht angewiesen.«
»Sitzen bleiben!«
Jenny war wie erstarrt. Ein Surren alarmierte sie.
An der Wand erschien plötzlich ein Farbfoto von einer jungen Frau. Graf Alexander hantierte an einem Projektionsapparat.
Jenny erschrak.
Diese Fremde sah aus wie eine Zwillingsschwester von ihr. Sie hatte das gleiche braune Haar, den gleichen Gesichtsschnitt, die gleiche Nasen- und Mundpartie wie sie.
»Die Rolle dieser Frau müssen Sie spielen«, sagte Alexander ruhig. »Wie Sie sicher bemerkt haben, besteht zwischen ihr und Ihnen eine große Ähnlichkeit.«
»Wirklich«, stammelte Jenny. »Nur die Augenfarbe stimmt nicht.«
»Ich weiß. Ihre Augen sind braun, während Michaelas Augen blau sind. Nun, ich nehme an, mit farbigen Kontaktlinsen können wir das hinbekommen.«
»Wer ist diese Frau?«
»Sie heißt Michaela Gräfin von Cleve und ist meine Schwägerin«, erwiderte Alexander gleichmütig.
»Ist sie tot?«
»Nein. Ich glaube, sie lebt«, murmelte der Graf. »Sie ist leider im Augenblick nicht verfügbar, deshalb müssen Sie ihre Rolle spielen. Und ich werde die Rolle meines Bruders Claudius spielen. Wir sehen uns sehr ähnlich. Claudius ist nur ein Jahr älter als ich.«
Ein unglaublicher Gedanke schoss in Jenny hoch.
»Handelt es sich vielleicht um eine Erbschaft?«
Der Graf gab keine Antwort. Stattdessen legte er das nächste Dia in den Projektionsapparat. Diesmal glaubte Jenny, es wäre ein Foto von ihr selbst, in einem unbeobachteten Augenblick geknipst. Auch sie besaß eine solche hellgraue Flanellhose und eine weiße Wolljacke.
»Warum soll ich es Ihnen verhehlen, dass es sich um eine Erbschaft handelt?«, fragte Alexander. »Mein Großvater liegt im Sterben. Vor ihm müssen Sie Michaelas Rolle spielen.«
»Also doch eine verbrecherische Handlung«, sagte Jenny. »Nein, damit will ich nichts zu tun haben, Herr Graf. Dann bleibe ich lieber arm, hänge meinen Schauspielberuf an den Nagel und gehe wieder als Tippmamsell in ein Büro.«
»Hören Sie zu, ich brauche Sie und bin bereit, Sie fürstlich dafür zu bezahlen«, erklärte der Graf. »Mein Bruder und meine Schwägerin sind im Augenblick unabkömmlich. Aus diesem Grunde muss ich die Erbschaft zu retten versuchen. Mein Großvater ist sonst imstande, sie einfach herzuschenken. Er hat das Recht dazu, aber Claudius, mein Bruder, und ich gingen dann ganz leer aus.«
»Geld, immer nur Geld«, spottete Jenny. »Nein, ich mache das nicht. Glauben Sie, ich will wegen Betrugs und Vortäuschung falscher Tatsachen ins Kittchen wandern?«
»Keiner wird den Betrug merken.«
»Ha! Betrug! Jetzt haben Sie das Wort auch gesagt!«, rief sie triumphierend.
Der Graf tauschte jetzt das zweite Foto der Gräfin Michaela gegen ein drittes aus.
Jenny blieb der Atem stehen, als sie das Bild betrachtete. Nie vorher hatte sie ein so traumhaft schönes Kleid gesehen! Es war tief ausgeschnitten, aus kaiserblauem Samt gearbeitet und mit kostbaren weißen Spitzen verziert. Ihr Ebenbild, die Gräfin Michaela, musste sehr reich sein, wenn sie sich solche teuren Kleider leisten konnte.
Warum ist sie mit ihrem Mann, dem Grafen Claudius, verschwunden?, überlegte Jenny. Hat dieser Graf Alexander hier nicht seine Hand im Spiel?
»Ich warte auf weitere Erklärungen!«, forderte Jenny.
»Also gut«, knurrte Alexander. »Mein Großvater ist ein ausgemachter Dickkopf. Er ist vierundachtzig Jahre alt und liegt nach seinem zweiten Schlaganfall gelähmt im Bett. Sein Herz ist schon sehr schwach. Er ist in Michaela, die Frau von Claudius, vernarrt. Claudius ist auch so recht nach seinem Sinn. Er hat die Kaufhauskette von Großpapa schon lange übernommen und leitet alles selbstständig. Nun aber ist er von seiner Weltreise mit Michaela nicht zurückgekehrt und seit sieben Monaten überfällig. Großpapa ist wütend und will Claudius enterben.«
»Aha. Und jetzt?«
»Jetzt gibt es nur eine Alternative: Sie müssen Michaela sein und ich Claudius. Nur so können wir es verhindern, dass Großpapa das Testament zugunsten seiner drei Freunde ändert.«
»Was besagt diese Änderung?«
»Seine drei Freunde sind Herumtreiber und Spielernaturen. Der eine redet ihm ein, mit dem Geld Experimente machen zu wollen. Er ist ein Erfinder, hat aber noch nie eine seiner verrückten Neuerungen an den Mann gebracht. Der andere Freund will die Kaufhauskette verkaufen und für den Erlös alle wertvollen Gemälde der Welt aufkaufen und in einem Museum vereinen.«
Der dritte Freund wollte Schloss Cleve in die Luft sprengen und auf dem Platz einen eigenen privaten Sender mit hohem Funkturm errichten, wie Jenny ebenfalls erfuhr.
»Diese drei Männer wollen unser Familienvermögen einfach verschwenden«, beendete der Graf seine Erklärungen. »Und das will ich verhindern.«
Inzwischen zeigte der Graf Jenny in schneller Folge Fotos von Gräfin Michaela. Sie war von hinreißender Eleganz, fand Jenny. Und sie trug ihr Haar halblang immer in derselben Frisur.
»Ich denke, Sie sind ebenso der Enkel des alten Grafen wie Ihr Bruder?«, fragte Jenny. »Warum können Sie Ihrem Großvater nicht den Kopf zurechtsetzen?«