Lore-Roman 193 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 193 E-Book

Yvonne Uhl

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nicola Marquart, die junge und wunderschöne Witwe eines reichen Reeders, steht unter Mordverdacht. Ihr Mann Harald verstarb unter mysteriösen Umständen. Während die Öffentlichkeit sie verurteilt, setzt sich der Journalist Stefan von Mayendorf für Nicola ein. Er glaubt an ihre Unschuld und beginnt, in Nicolas Vergangenheit zu recherchieren. Schnell stößt er auf ein Geheimnis: Kann diese Entdeckung die Unschuld der schönen Witwe beweisen? Stefan muss sich beeilen, denn schon bald beginnt der Prozess ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 144

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Die schöne Witwe

Vorschau

Impressum

Die schöne Witwe

Alle glaubten an ihre Schuld

Von Yvonne Uhl

Nicola Marquart, die junge und wunderschöne Witwe eines reichen Reeders, steht unter Mordverdacht. Ihr Mann Harald verstarb unter mysteriösen Umständen. Während die Öffentlichkeit sie verurteilt, setzt sich der Journalist Stefan von Mayendorf für Nicola ein. Er glaubt an ihre Unschuld und beginnt, in Nicolas Vergangenheit zu recherchieren. Schnell stößt er auf ein Geheimnis: Kann diese überraschende Entdeckung die Unschuld der schönen Witwe beweisen? Stefan muss sich beeilen, denn schon bald beginnt der Prozess ...

Harald Marquart öffnete die Augen. Er betrachtete den gesenkten Kopf seiner jungen Frau, die neben ihm eingeschlafen war. Sechzehn Monate waren sie jetzt verheiratet. Er hatte es bisher keine Minute bereut, obwohl seine Freunde ihn damals für verrückt erklärten, dass er mit seinen achtundfünfzig Jahren dieses blutjunge Geschöpf geheiratet hatte.

Wehmütig lächelnd betrachtete er Nicolas wunderschönes Profil und die zarte Schwingung ihrer Lippen. Er würde sich nicht mehr lange an dieser Schönheit erfreuen können. Die drei Ärzte, die ihn behandelten, hatten ihm die fürchterliche Wahrheit verschwiegen, aber Harald Marquart wusste dennoch Bescheid.

Da hob die junge Frau den Kopf. Ihre Augen blickten schuldbewusst.

»Verzeih, Harald, ich war ein wenig eingeschlafen. Geht es dir schlechter?«

Er lauschte ihrer Stimme nach. Sie klang zart und verhalten wie der Ton einer Geige.

»Es geht mir wundervoll«, sagte Harald Marquart. »Wenn du bei mir bist, kann es mir nicht schlecht gehen. Ich liebe dich.«

Nicola lächelte, aber ihr standen Tränen in den Augen.

»Wenn du lächelst, siehst du noch schöner aus. Ernst steht dir nicht. Denkst du noch an das Weinfest in Rottweil?«

Nicola musste gewaltsam die Tränen zurückdrängen.

»Ja«, stieß sie hervor. »Wir lernten uns auf dem Weinfest kennen.«

»Und du warst die Weinkönigin«, sprach Harald verträumt. »Die badische Tracht stand dir bezaubernd. Du botest den Gästen die Weinkelche an – und dann kam die Reihe an mich. Ich nahm dir das Weinglas aus der Hand, und dabei berührte ich deine Finger. Es durchfuhr mich wie ein elektrischer Stoß.«

Nicola nickte. »Ich spürte sofort, wie es um dich stand, Harald. Und es wunderte mich gar nicht, dass du dann abends vor mir standest und mich zu einem Spaziergang durch die alte Stadt mitnahmst. Ich war ganz verzaubert in deiner Nähe.«

»Ich konnte es nicht glauben, Nicola ... Ich, der Achtundfünfzigjährige, verliebte mich in eine Zwanzigjährige. Warum nahmst du meine Einladung zu einem Spaziergang an? Ich musste dir doch wie dein Großvater vorkommen.«

»Ist das Alter wirklich entscheidend, Harald?«, erkundigte sich die junge Frau wehmütig. »Du hattest etwas an dir, das ich noch nie bei einem Mann erlebt hatte. So etwas Weltmännisches, Seriöses ... Dabei wusste ich damals noch gar nicht, dass du der bekannte Marquart bist.«

»Der bekannte Marquart ...«, wiederholte Harald. »Meine Karriere führte steil bergauf, doch ich wurde immer einsamer. Immer scheffelte ich Geld und Geld, aber mein Herz erfüllte eine grenzenlose Leere und Stille. Und dann endlich kamst du.« Seine schmalen Finger tasteten sich zu ihrer Hand. »Was auch kommen mag, Nicola – vergiss mich nicht.«

Sie sah nieder auf ihn. Jetzt hatte sie sich gut in der Gewalt. Sie betrachtete seine hohe weiße Stirn, das volle graue Haar darüber und die matten blauen Augen.

Der Millionär Harald Marquart war eine bekannte Erscheinung bei den oberen Zehntausend. Wie oft hatten die Illustrierten schon sein Foto gebracht! Auch als er damals, vor sechzehn Monaten, sie, die unbekannte Nicola Klatt, heiratete, die Tochter eines Amtmannes aus Rottweil.

»Wir werden sein Leben mit Bestrahlungen noch ein wenig verlängern können«, hatte Dr. Berndorf ihr erst gestern gesagt. »Aber wie lange, wissen wir nicht, gnädige Frau.«

Diese Worte waren das Todesurteil für Harald, das wusste Nicola. Wie lange würde er noch am Leben sein? Er konnte heute sterben oder morgen, aber vielleicht auch erst in einigen Wochen.

»Wie kannst du annehmen, dass ich dich je vergessen könnte«, flüsterte sie.

»Du wirst meine Alleinerbin sein«, fuhr er fort, und ein zärtlicher Blick traf Nicola. »Ich habe ein Legat für Frau Kern ausgesetzt, für Ilonca und Denise und natürlich für Herrn Hartmann. Aber das schmälert nicht dein Erbteil. Du bekommst meine Millionen und wirst eine reiche Witwe sein.«

»Harald!«, schrie sie leise auf. »Bitte, sprich nicht so! Ich ertrage es nicht, dich so reden zu hören.«

»Wir wollen nicht an der Wahrheit vorbeireden«, sagte er wehmütig. »Ich werde nie wieder gesund, mein Herz. Und du weißt es auch, ja? Belüg mich jetzt nicht, Nicola.«

Sie senkte die langen Wimpern über die dunklen Augen.

»Harald«, stammelte sie gequält.

»Es ist gut, mein Lieb. Ich will dir nicht wehtun. Du hast mich sehr glücklich gemacht.« Seine Stimme wurde leiser. »Aber wir hätten uns viel früher treffen müssen – zehn oder zwanzig Jahre früher!« Er öffnete weit die Augen. »Wie dumm von mir«, unterbrach er sich. »Vor zehn oder zwanzig Jahren warst du ja noch ein Kind.« Er schloss matt die Augen. »Ich bin müde«, murmelte er.

»Schlaf«, bat Nicola leise. »Ich bleibe noch ein wenig bei dir und schicke dir dann die Pflegerin herein. Ich glaube, dass unten ein Reporter auf mich wartet und mich aushorchen will.«

»Du hast so viel für mich zu tun, Nicola«, sprach der Kranke müde.

Er atmete flach, kaum wahrnehmbar. Im nächsten Augenblick war er eingeschlafen. Sie trat zur Wasserkaraffe, goss Wasser in ein Glas und zählte aus einem Fläschchen die Tropfen ab. Dann deckte sie das Glas mit den Tropfen und dem Wasser sorgfältig zu und stellte es auf den Nachttisch.

Erst jetzt drückte sie auf die Hausglocke.

Nach wenigen Sekunden trat Schwester Elena ein.

»Ja, gnädige Frau?«

Nicola legte den Zeigefinger auf die Lippen.

»Pst, er schläft«, raunte sie. »Bleiben Sie bei ihm. Und wenn er seinen Anfall bekommt, geben Sie ihm aus dem Glas zu trinken. Ich habe die Tropfen schon abgezählt.«

Schwester Elena, eine dürre Person mittleren Alters, setzte sich in den Sessel und schlug ein Buch auf.

»Ja, ist gut«, antwortete sie Nicola.

Auf Zehenspitzen verließ Nicola das Krankenzimmer.

Sie trug einen eleganten Hausanzug aus Brokat – er war altrosa und mit weißen Biesen besetzt – und schritt nun den langen Korridor entlang.

Der Millionär Harald Marquart bewohnte einen richtigen Palast. Der Bau dieses Gebäudes hatte drei Millionen verschlungen und war mit erlesenem Geschmack eingerichtet.

Die Treppe war aus weißem Marmor. Langsam schritt Nicola die Stufen hinunter. Sie sah die große, dunkelblau tapezierte Halle unter sich liegen.

Zwei Menschen standen am Fuß der Treppe, und dicht hinter ihnen – unbeweglich wie eine Statue – der Butler Max Kruse.

Wieder ein Interview, dachte Nicola. Wer hätte ihr das vor sechzehn Monaten prophezeit, dass sie einmal in solch einem Hause leben und Interviews geben würde?

Sie war jetzt in der Halle angelangt und sah sich einem jungen Mann gegenüber, der eine große Hornbrille trug und ein geradezu unverschämt freches Lächeln hatte. Er verneigte sich.

»Fotoreporter Brandin vom ,Abendspiegel', gnädige Frau.«

Ein junges Mädchen mit sportlicher Kurzhaarfrisur kam in Nicolas Blickfeld.

»Ich bin Gina von Schill, Frau Marquart, und beauftragt, das Interview mit Ihnen zu führen. Mein Kollege Brandin wird die Fotos schießen.«

Die beiden jungen Damen blickten sich in die Augen.

Diese Nicola Marquart ist faszinierend, dachte Gina. Ich habe sie zwar damals aus großer Entfernung bei der Hochzeit beobachtet, aber erst jetzt wird mir klar, wie schön sie ist. Keine könnte diesen engen Hausanzug so tragen wie sie. Und ihre Haut ... Was für ein Make-up sie wohl benutzt? Sie soll noch sehr jung sein.

»Ich habe nicht viel Zeit«, erklärte Nicola. »Mein Mann ... Er kann jederzeit wieder erwachen. Augenblicklich schläft er. Folgen Sie mir bitte in den Salon. Max, bitte die Getränke.«

Der Butler verneigte sich. »Es steht alles bereit, gnädige Frau.«

Gina von Schill und Curd Brandin gingen hinter Nicola her. Dann saßen sie ihr in tiefen Lederklubsesseln gegenüber.

»Fangen Sie an«, sagte Nicola und schlug die Beine übereinander. »Und nehmen Sie sich etwas zu trinken.« Ihre Stimme klang gleichgültig.

»Wie geht es Ihrem Gatten?«, erkundigte sich Gina mitfühlend.

Sie war sich der geheimnisvollen Ausstrahlung der blutjungen Millionärsgattin bewusst. Sie kannte die Geschichte Nicolas: Vor sechzehn Monaten hatte sie einen der reichsten Männer Deutschlands geheiratet. Sie kam aus einfachem, gutbürgerlichem Hause und hatte sich gewiss in ihrer Wiege nicht träumen lassen, dass sie einmal in solch einem Luxus leben würde.

»Mein Mann erleidet große Schmerzen«, erwiderte Nicola leise. »Nur Medikamente und Bestrahlungen helfen ihm ein wenig darüber hinweg.«

Gina von Schill hatte natürlich längst erfahren, was die Spatzen von den Dächern pfiffen: Der Millionär war unheilbar krank und lag seit Tagen im Sterben.

Sie wird eine bildhübsche Witwe werden, dachte Gina von Schill.

»Die Öffentlichkeit interessiert sich sehr für die tragische Krankheit Ihres Gatten«, fuhr sie fort. »Erzählen Sie uns bitte, wie es ist, wenn so ein betriebsamer, dynamischer Mann wie Harald Marquart plötzlich krank wird. Was wird aus seiner Reederei? Nimmt er noch Anteil an seiner Umgebung?«

»Die Direktoren der Reederei erstatten ihm regelmäßig Bericht«, erwiderte Nicola leise. »Wir haben einen guten Sekretär, der hier im Hause wohnt – er heißt Hartmann – und alle wichtigen geschäftlichen Dinge mit meinem Mann erledigt. Auch die Privatsekretärin meines Mannes ist ab und zu im Hause, aber in letzter Zeit hat er kaum Briefe diktiert.« Ihre Stimme brach.

Gina musterte sie irritiert.

War die junge Frau wirklich erregt? Sollte das etwa heißen, dass sie ihren Mann liebte? Sie ist knapp zweiundzwanzig, durchfuhr es Gina. Sie kann ihren Mann nicht lieben, der im sechzigsten Lebensjahr steht. Ein so großer Altersunterschied ist keine Grundlage für eine große Liebe.

»Wie beurteilen die Ärzte den Zustand Ihres Gatten?«, stieß Gina hervor.

»Schlecht«, antwortete Nicola und hob den Kopf.

Die Tür im Hintergrund des Salons öffnete sich langsam. Eine schlanke dunkelhaarige Dame kam herein.

Gina kramte in ihrem Gedächtnis. Sie kannte so ziemlich alle Bewohner des großen Hauses aus unzähligen Zeitungsberichten: die Haushälterin Alma Kern, den Sekretär Bernd Hartmann und den Butler Max Kruse, von der unzähligen Dienerschaft ganz zu schweigen.

Nicola wandte den Kopf.

»Komm herein, Ilonca«, murmelte sie. »Darf ich dir zwei Reporter vom ,Abendspiegel' vorstellen?« Sie sah Gina an. »Meine Schwägerin«, stellte sie vor. »Frau Ilonca Ehrenfeld.«

Ilonca ließ sich Nicola gegenüber nieder. Sie war eine ganz andere Erscheinung als Nicola: stark geschminkt, nervös, knabenhaft schlanker Typ mit glattem kurzen Haar.

»Wie geht es Harald?«, fragte Ilonca.

»Er schläft«, erwiderte Nicola. Sie blickte zu Gina hinüber. »Haben Sie noch Fragen, Fräulein von Schill?«

Gina hatte noch viele Fragen auf den Lippen, die sie gern beantwortet gehabt hätte: Was für Pläne die schöne junge Frau für die Zukunft hatte! Ob sie in ihrem Herzen das Bild eines anderen Mannes trug? Und wie stand sie wirklich zu ihrem Mann? Empfand sie Dankbarkeit für ihn? Hatte sie ein unpersönliches Verhältnis zu ihm? Natürlich hatte sie ihn nur des Geldes wegen genommen. Sie hatte wahrscheinlich ihren Traum von einer großen Liebe ihrer Geldgier geopfert.

Aber all diese Fragen durfte Gina nicht stellen. Sie wären taktlos gewesen.

»Ja«, sprach Gina, »ich habe noch eine einzige Frage, gnädige Frau: Möchten Sie gern ein Kind haben?«

Fast unmerklich röteten sich die Wangen Nicolas. Gina hatte das Gefühl, dass auch diese Frage als taktlos empfunden wurde, denn Curd Brandin warf ihr einen finsteren Blick zu.

Wie kann ich auch nur so etwas fragen?, dachte sie erschrocken. Ihr Mann ist todkrank, und ich stelle solche Fragen.

»Ja«, sprach Nicola ruhig. »Ich hätte gern ein Kind. Ich hätte gern einen Sohn, der meinem Mann gleicht und eines Tages wird wie er und sein Lebenswerk fortsetzen kann. Aber ...« Sie hielt inne.

»Danke, gnädige Frau«, sagte Gina hastig. »Danke.«

Mein Gott, sie liebt ihn, dachte sie erschüttert. Sie liebt einen Mann, der fast vierzig Jahre älter ist als sie. Aber das kann doch gar nicht sein!

Als Gina jetzt einen kurzen Blick auf Ilonca Ehrenfeld warf, erschrak sie zutiefst.

Die Augen der Frau glühten dunkel. Die schmalen Lippen waren wie im Hass fest aufeinandergepresst.

Furchtbar, mit so einer Frau unter einem Dach leben zu müssen! Sie ist verbittert und neidisch. Wahrscheinlich kann sie Frau Nicola nicht ausstehen.

»Darf ich jetzt ein paar Aufnahmen machen?«, wandte sich Curd Brandin an Nicola.

Nicola nickte. »Gern. Ich habe noch knapp fünf Minuten Zeit für Sie.«

Curd Brandin hatte längst herausgefunden, wie er die schöne Millionärsfrau am günstigsten aufnehmen konnte. Er war hingerissen von ihrer Schönheit. Und er knipste einen ganzen Film leer.

Gerade als sich die beiden Reporter des »Abendspiegel« von ihrer Gastgeberin verabschieden wollten, drang ein lauter Ruf an ihr Ohr.

»Hilfe! Schnell, kommen Sie ...«

Nicola wurde leichenblass. Sie sprang auf. Die Tür zum Salon stand halb offen. Sie prallte auf der Schwelle mit dem Butler Max zusammen.

»Gnädige Frau«, keuchte er. »Die Pflegerin – sie rief nach Ihnen.«

Nicola eilte zur Treppe. »Schwester Elena«, schrie sie.

Die grauhaarige Pflegerin winkte ihr zu. »Schnell! Er verlangt nach Ihnen. Es geht zu Ende, gnädige Frau.«

Gina und Curd Brandin folgten ihr schnell. Ein Blitzlicht flammte auf. Gina riss Curd zur Seite.

»Wie kannst du jetzt fotografieren?«, fauchte sie.

Nicola merkte nicht, dass Curd Brandin ihr erschrockenes Gesicht eingefangen hatte. Sie hetzte die Stufen hinauf. Es gab auch einen Fahrstuhl zum ersten Stock, aber sie war viel zu erregt dazu, ihn zu benutzen.

Dann trat sie in das Krankenzimmer.

Harald Marquart war hellwach. Er nahm die Gestalt seiner schönen Frau in sich auf.

»Die Schmerzen werden immer unerträglicher«, sagte er mühsam. »Es geht zu Ende mit mir, Nicola. Komm zu mir – neige dich ein letztes Mal über mich.«

Nicola gehorchte.

»Harald, du hast schlecht geträumt«, sagte sie. »Hat die Schwester dir die Tropfen gegeben?«

»Ja«, ächzte er. »Sieh mich an, Nicola. Ich lasse dich gut versorgt zurück, aber du wirst einsam sein. Traue nie den Menschen, die dich umschmeicheln werden. Die meisten von ihnen werden nur dein Geld meinen.«

Nicola beugte sich nieder zu ihm und küsste ihn auf die Stirn.

»Ruhig, ganz ruhig«, raunte sie.

Ein Zucken ging durch den Körper des Kranken, sein Kopf fiel zur Seite.

Nicola sah zu ihm nieder, bewegungslos und voller Angst.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.

»Kommen Sie, gnädige Frau«, sagte Schwester Elena leise hinter ihr. »Er hat es überstanden.«

Nicola erschrak. »Schwester ...«, stammelte sie. »Nein, Schwester!«

Sanft zog die Schwester sie empor.

»Sie wussten doch, dass es so kommen würde, nicht wahr?«, fragte sie gütig. »Die schrecklichsten Schmerzen sind ihm erspart geblieben. Danken Sie Gott dafür.«

Furchtsam starrte Nicola auf das bleiche, starre Gesicht in den Kissen.

»Harald«, flüsterte sie. Jeder Blutstropfen war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie drehte den Kopf zu der Pflegerin herum. »Schwester, ist es wirklich wahr?«

Die Schwester nickte. Sie ließ Nicola los und beugte sich über den Toten, um ihm die Augen zuzudrücken.

Zitternd stand Nicola daneben und sah der Schwester zu. Dann wankte sie aus dem Zimmer.

Nur undeutlich, wie durch einen dichten Schleier, nahm sie unten in der Halle einige Gestalten wahr. Sie umklammerte das Treppengeländer und glitt hinunter. Jetzt erkannte sie ihre Schwägerin Ilonca, ihre Nichte Denise und den Butler Max Kruse.

Und dann hörte sie auf einmal die beruhigende Stimme des Sekretärs neben sich.

»Gnädige Frau, was ist geschehen?«

»Rufen Sie den Doktor«, stöhnte Nicola. Sie griff neben sich und packte den Arm Bernd Hartmanns. »Herr Hartmann«, weinte sie auf. »Es ist zu Ende. Mein Mann ...«

Sie wandte den Kopf zur Seite. Erst jetzt ließ sie den Tränen der Erschütterung freien Lauf.

Fürsorglich geleitete sie der Sekretär die Treppe hinab.

Der Butler trat auf sie zu und verneigte sich tief.

»Mein aufrichtiges Beileid, gnädige Frau.« Seine Stimme schwankte. Wie lange hatte er nun schon seinem Herrn gedient? Jahrzehnte waren es.

»Beileid!«, rief eine höhnische Stimme. »Wozu Beileid?«

Nicola hob den Kopf und blickte in das hasserfüllte Gesicht von Ilonca, ihrer Schwägerin.

Ilonca war die Cousine Harald Marquarts und die Mutter der neunzehnjährigen Denise. Sie lebten schon seit acht Jahren in Haralds Haus.

Denise schluchzte bitterlich. »Ist Onkel Harald wirklich tot, Mama?«

»Es muss wohl stimmen«, sprach Ilonca kalt. »Aber er ist nicht auf normale Weise gestorben.« Sie streckte die Hand aus. »Du, Nicola, hast ihn getötet!«

Nicola fuhr zurück. »Ilonca, um Himmels willen«, stotterte sie.

»Ja, du«, schrie Ilonca. Das schmale Gesicht war verzerrt. »Dir ging es wohl nicht schnell genug, ihn von selbst sterben zu lassen! Er konnte nie wieder gesund werden, das wusstest du. Unheilbar war seine Krankheit. Aber es passte dir nicht, dass die Bestrahlungen und Medikamente sein Leben künstlich verlängerten. Du hattest es satt, dauernd an seinem Bett sitzen zu müssen, nicht wahr? Und da hast du ein bisschen nachgeholfen!«

Bernd Hartmann trat einen Schritt vor. »Frau Ehrenfeld, ich bitte Sie! Achten Sie doch den Schmerz der gnädigen Frau.«

»Schmerz?«, spottete Ilonca. »Dass ich nicht lache. Sie ist ja heilfroh, dass sie ihn endlich los ist.«

Bernd Hartmann presste die Lippen zusammen. Er genoss in diesem Hause eine Vertrauensstellung. Und er hatte der jungen Frau Marquart ebenso treu gedient wie Harald Marquart.

Die Anschuldigung, die Ilonca Ehrenfeld aussprach, wog schwer. Noch waren nur Familienangehörige und treue Angestellte zugegen. Wenn Frau Ehrenfeld ihren unglaublichen Verdacht aber auch außerhalb dieses Hauses laut werden ließ, würde es einen Skandal geben.

»Können Sie diese Anschuldigung beweisen?«, fragte er heftig.

Ilonca Ehrenfeld nickte heftig.

»Ja, das kann ich. Sie hat ihm Gift statt seiner Tropfen gegeben.« Ruckartig fuhr Iloncas Kopf in die Höhe. »Schwester Elena«, schrie sie. »Ist das wahr?«

Die Schwester war oben an der Treppe erschienen. Ihr weißer Kittel leuchtete. Sie blieb stehen.