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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Ich dachte an England oder Frankreich, Vati«, sagte Susanne Schumann. Sie blickte ihren Vater, der am Steuer des Wagens saß, von der Seite an. »Ich stelle es mir herrlich vor, ein Jahr als Au-pair-Mädchen zu arbeiten.« Doktor Schumann schmunzelte. »Kommt ganz darauf an, in was für eine Familie du gesteckt wirst«, erwiderte er. »Du kannst auch Pech haben! Stell dir vor, du würdest nur ausgenutzt!« »Niemand kann mich zwingen, bei Leuten zu bleiben, die mir nicht gefallen!« konterte die Siebzehnjährige. »Am liebsten wäre mir eine Familie auf dem Land«, fuhr sie fort. Mit einer Hand griff sie in ihre langen schwar-zen Haare. »Vielleicht in Cornwall. Weißt du noch, wie ich früher die Bücher verschlungen habe, die von der englichen Küste handelten? Nicht genug konnte ich von Höhlen, Schlössern und Geistern bekommen!« Sie lächelte versonnen. »Wenn du ›früher‹ sagst, Liebes, klingt es, als seist du bereits eine würdevolle Dame!« »Mit siebzehn ist man kein Kind mehr.
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Seitenzahl: 147
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»Ich dachte an England oder Frankreich, Vati«, sagte Susanne Schumann. Sie blickte ihren Vater, der am Steuer des Wagens saß, von der Seite an. »Ich stelle es mir herrlich vor, ein Jahr als Au-pair-Mädchen zu arbeiten.«
Doktor Schumann schmunzelte. »Kommt ganz darauf an, in was für eine Familie du gesteckt wirst«, erwiderte er. »Du kannst auch Pech haben! Stell dir vor, du würdest nur ausgenutzt!«
»Niemand kann mich zwingen, bei Leuten zu bleiben, die mir nicht gefallen!« konterte die Siebzehnjährige.
»Am liebsten wäre mir eine Familie auf dem Land«, fuhr sie fort. Mit einer Hand griff sie in ihre langen schwar-zen Haare. »Vielleicht in Cornwall. Weißt du noch, wie ich früher die Bücher verschlungen habe, die von der englichen Küste handelten? Nicht genug konnte ich von Höhlen, Schlössern und Geistern bekommen!« Sie lächelte versonnen.
»Wenn du ›früher‹ sagst, Liebes, klingt es, als seist du bereits eine würdevolle Dame!«
»Mit siebzehn ist man kein Kind mehr. Nächstes Jahr mache ich schließlich mein Abitur.« Susanne lachte auf. »Und dann ade, Penne!«
Dr. Schumann wandte für einen kurzen Moment den Blick von der Straße ab und sah seine hübsche Tochter an. Nein, ein Kind konnte man Suanne wirklich nicht mehr nennen! Sie wirkte schon so erwachsen. Die Zeit verging schnell, viel zu schnell, wie ihm manchmal schien. »Ich kann mich noch an den Tag deiner Geburt erinnern, als sei es erst gestern gewesen«, sagte er wehmütig. »Wie stolz und glücklich waren Mutti und ich! Wir konnten uns kaum an dir sattsehen.«
»Ich wünschte, Mutti würde noch leben!« Über Susannes Gesicht legte sich ein Schatten.
»Nicht nur du, Susi! Es ist schrecklich, wenn man tatenlos zusehen muß, wie ein geliebter Mensch stirbt. Damals, als Mutter krank wurde, habe ich mich oft gefragt, weshalb ich Arzt geworden bin, wenn ich nicht einmal meiner eigenen Frau helfen kann.« Wolfgang berührte kurz Susannes Knie. »Ich werde dich sehr vermissen, wenn du im Ausland bist!«
»Ich dich sicher auch, Vati!«
Eine Weile wurde zwischen ihnen kein Wort gesprochen. Sie bogen von der Hauptstraße ab. Wolfgang hatte seine Tochter vom Gymnasium abgeholt. Er hatte an diesem Nachmittag keinen Dienst im Krankenhaus. Vor ihnen schaltete eine Ampel auf Rot. Er brachte seinen Wagen zum Stehen. Ein dunkelhaariges Mädchen überquerte die Straße. Es mochte acht Jahre alt sein.
»Ich habe daran gedacht, Sarah heimzuholen«, sagte Dr. Schumann, als sie weiterfuhren. Er bemerkte nicht, wie Susanne erschrak.
»Warum, Vati?« Susanne richtete sich so weit auf, wie es ihr Haltegurt zuließ. »Sarah ist bei Großmama sehr glücklich! Und wer soll für sie sorgen? Ich gehe zur Schule, und du bist meist im Krankenhaus.«
»Sarah ist acht! Andere Kinder in diesem Alter sind auch allein, wenn die Mutter arbeiten muß«, wandte der Arzt ein. »Außerdem ist eure Großmutter bereits fünfundsechzig. Die Sorge für Sarah fällt ihr immer schwerer. Hätte sie nach Muttis Tod nicht selbst angeboten, Sarah für einige Zeit zu sich zu nehmen, ich hätte ihr niemals diese Verantwortung aufgebürdet.«
»Ich vermisse Sarah ja auch«, sagte Susanne halbherzig. »Großmama wird es nicht recht sein!«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher, Susi, schließlich ist Sarah ein sehr lebhaftes Kind!« Ein Lächeln flog über das Gesicht des Arztes, als er an seine jüngste Tochter dachte. Auch wenn er sie regelmäßig in Stuttgart besuchte und sie oft miteinander telefonierten, hatte er ihr und seiner Schwiegermutter gegenüber ein schlechtes Gewissen.
»Wir können es uns ja überlegen«, schlug Susanne vor.
Wolfgang merkte, daß Susanne alles andere als begeistert war, womöglich für die kleine Schwester sorgen zu müssen. In gewisser Hinsicht konnte er sie sogar verstehen. Mit siebzehn hatte man eben ganz andere Interessen als eine Achtjährige.
Sie bogen in die Waldstraße ein.
»Schau mal, die vielen Leute!« Susanne wies nach links, wo sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet hatte. Auch an den Fenstern der umliegenden Häuser standen Leute.
»Da scheint etwas passiert zu sein!« Dr. Schumann fuhr noch einige Meter und hielt dann am Straßenrand. »Bleib im Wagen, Susi!« Er befreite sich von seinem Gurt, stieg aus und nahm die Arzttasche vom Rücksitz.
»Sind Sie der Arzt?« Ein aufgeregter Mann rannte ihm entgegen. »Wo bleibt denn der Krankenwagen? Die Frau stirbt! Sie hat sich aus dem Küchenfenster gestürzt! Schnell!« Er griff nach Wolfgangs Arm.
Die Passanten wichen vor ihnen zurück. Jetzt konnte Wolfgang die Frau sehen, die mit seltsam verrenkten Gliedern auf dem Bürgersteig lag. Ein Mann beugte sich über sie.
»Wann ist es passiert?« Dr. Schumann kauerte sich neben die Bewußtlose. Sie lag auf dem Bauch. Scheinbar hatte sie sich mit den Händen abgestützt, um nicht auf das Gesicht zu fallen.
»Vor etwa fünf Minuten!«
Wolfgang untersuchte die Verletzte, während die Leute aufgeregt auf ihn einsprachen. Immer wieder hörte er die Vermutung, es könnte sich um einen Selbstmordversuch handeln. Die junge Frau schien schon seit Wochen unter Depressionen gelitten zu ha-ben.
»Tot, Vati?« Susanne hatte sich zu ihm vorgedrängt.
»Nein!« Wolfgang hob nur kurz den Kopf. »Es ist besser, wenn du das letzte Stück zu Fuß läufst, Susi! Ich werde mit ins Krankenhaus fahren.«
»Okay!« Susanne warf einen mitleidigen Blick auf die junge Frau. »Hoffentlich schafft sie es«, sagte sie leise und kehrte zum Wagen zurück, um ihre Schultasche zu holen.
Wolfgang Schumann achtete nicht weiter auf seine Tochter. Er spritzte der Bewußtlosen, nachdem er sie kurz untersucht hatte, ein kreislaufstärkendes Mittel. Es ging ihr nicht sehr gut, aber er konnte momentan nichts weiter für sie tun. Erleichtert atmete er auf, als er die Sirene eines Krankenwagens hörte.
»Bitte, machen Sie Platz!« forderte er die Passanten auf, die sich wieder eng um ihn und die Verletzte gedrängt hatten.
Der Krankenwagen hatte am Straßenrand gehalten. Zwei Sanitäter und ein junger Arzt stiegen aus. Dr. Schumann kannte ihn. Sie hatten schon mehrmals zusammengearbeitet. Kurz erklärte er, was er bis jetzt unternommen hatte.
»Wie heißt die junge Frau?« erkundigte er sich, als die Sanitäter die Bewußtlose auf die Bahre hoben.
»Isabel Hofer!« Eine ältere Frau trat zu ihm. »Ich bin ihre Nachbarin. Maigold ist mein Name! Ich sagte schon immer, eines Tages tut sie sich was an. Aber ich hatte mit Schlaftabletten gerechnet, nicht mit einem Sprung aus dem Fenster. Und alles nur wegen so einem Kerl, der es nicht mal wert ist, daß man länger als eine Minute an ihn denkt!«
»Es sieht nicht nach einem Selbstmordversuch aus«, erwiderte Dr. Schumann. »Trotzdem danke für Ihren Hinweis!« Er folgte den Sanitätern und Dr. Wollbrecht zum Krankenwagen.
»Möchten Sie mitfahren, Herr Schumann?« fragte der Kollege.
»Gern!« Wolfgang stieg ein. Einer der Sanitäter warf die Tür zu. Der Fahrer gab Gas.
»Ich fürchte, daß sie innere Verletzungen hat«, sagte Dr. Wollbrecht. Er kontrollierte die Infusion. »Vielleicht war es doch ein Selbstmordversuch! Wiederum ein Sprung aus dem zweiten Stock...« Er hob die Schultern.
Wolfgang beugte sich über Isabel Hofer. Ihr Gesicht war so blaß, daß es wirkte, als sei bereits alles Leben aus ihrem Körper gewichen. »Armes Ding«, meinte er leise und berührte ihre kalte Stirn.
*
»Guten Morgen, Frau Rennert!« Denise von Schoenecker trat in das büroähnliche Empfangszimmer des Kinderheims Sophienlust. »Herrliches Wetter heute, nicht wahr?« Sie legte ihre Handtasche in einen Sessel. »Man sollte nicht glauben, daß es erst März ist.«
»Ein Tag, um Bäume auszureißen, wie man so schön sagt«, erwiderte die Heimleiterin. Sie schlug die Zeitung, in der sie gelesen hatte, zu. »Guten Morgen!« Rasch hob sie den Deckel der vor ihr stehenden Kaffeekanne ab und blickte hinein. »Ich werde frischen Kaffee für Sie bringen lassen, Frau von Schoenecker!«
»Nicht nötig, danke, ich habe eben erst Kaffee getrunken. Wo sind eigentlich die Kinder? Sie sind weder zu hören noch zu sehen!«
»Beinahe beängstigend ruhig!« meinte Else Rennert lachend.
»Für einen schulfreien Samstag schon!«
»Die Älteren sind dabei, Burgruine Hoheneck zu erobern«, sagte Frau Rennert. »Die Kleinen sind bei Justus im hinteren Teil des Parks. Er will Ihnen Verschiedenes über Pflanzen beibringen.«
»Wie ich unsere Heidi kenne, wird sie aus jedem Blümchen Kränze flechten wollen!«
»Justus wird sie schon daran zu hindern wissen. Er ist dagegen, willkürlich Blumen abzureißen.«
»Womit er völlig recht hat«, sagte Denise von Schoenecker. »Die Kinder müssen frühzeitig lernen, daß auch Pflanzen keine toten Dinge sind, sondern durchaus ihr eigenes Leben haben.«
Sie öffnete ihre Handtasche und zog einen dicken Briefumschlag heraus.
»Die Unterlagen über die kleine Martina sind direkt an Schoeneich geschickt worden. Ich hatte sie heute morgen bei der Post.«
»Martina, das ist dieses kleine Mädchen aus Hamburg?« fragte Else Rennert.
Denise nickte. »Das Hamburger Jugendamt bittet uns jetzt ganz offiziell, die Kleine solange aufzunehmen, bis geklärt ist, ob sie zu ihren Pflegeeltern zurückdarf oder bei ihren leiblichen Eltern bleiben muß.«
»Sie wird völlig verstört sein«, meinte die Heimleiterin. »Es ist mir jedesmal von neuem ein Rätsel, wie man es fertigbringen kann, ein Kind willkürlich hin und her zu schieben. Hätten die leiblichen Eltern sie nicht jahrelang brutal mißhandelt, hätte das Jugendamt sie niemals zu Pflegeeltern geben müssen. Bei ihnen hat Martina zum erstenmal Liebe und Geborgenheit kennengelernt. Es war grausam, sie wieder den Eltern zu überantworten. Ist es da ein Wunder, daß Martina die erste Gelegenheit benutzte, um auszureißen?«
»Ein Wunder nicht«, sagte Denise düster. »Die Behörden sehen es aber leider anders. Die Eltern sind für die Mißhandlung Martinas bestraft worden, und man glaubt, sie werden sich nie wieder an ihrer Tocher vergreifen. Deshalb hält man es für sinnvoll, wenn Martina bei ihnen aufwächst.« Sie schlug auf das dicke Kuvert, das sie auf den Schreibtisch gelegt hatte. »Es ist auch ein psychologisches Gutachten über Martina beigefügt. Es besagt, daß sie sich nach einiger Zeit gut in ihrem Elternhaus einleben würde.«
»Sicher von einem Professor erstellt, der sich überhaupt nicht in die Seele eines Kindes hineindenken kann«, meinte Frau Rennert. Sie hob den Kopf und sah Denise an. »Werden wir Martina aufnehmen?«
Denise nickte. »Vielleicht sind wir in der Lage, ihr auf die eine oder andere Weise zu helfen. Auf jeden Fall braucht Martina einen Ort, an dem sie zur Ruhe kommen kann. Ich bin sicher, hier kann sie es! Sie lebt zur Zeit in einem Heim mit fast zweihundert Kindern. Sie braucht intensive Betreuung, und die ist dort nicht gegeben.«
»Wir könnten sie bei Pünktchen unterbringen«, schlug die Heimleiterin vor.
»Keine schlechte Idee«, sagte Denise nachdenklich. »Außerdem werde ich mit Frau Doktor Frey über sie sprechen. Wie ich Anja kenne, wird sie sich der Kleinen annehmen. Es...«
Die Tür des Empfangszimmers wurde aufgerissen. »Tante Isi, Tante Ma, ihr müßt schnell kommen!« rief ihnen Heidi Holsten, das jüngste der Sophienluster Dauerkinder, entgegen. Sie wischte sich mit einem schmutzigen Händchen übers Gesicht. »Detlef ist vom Pony gefallen!« Schluchzend stürzte sie sich in Denises Arme. »Wir wollten nicht ungezogen sein, ganz bestimmt nicht, Tante Isi. Wir...«
»Wo ist Detlev?« fragte Frau Rennert.
»Auf der Koppel! Er bewegt sich nicht, und sein Gesicht ist ganz weiß«, rief Heidi weinend. »Ich habe ihm gesagt, er darf nicht aufs Pony steigen, aber er wollte nicht hören. Er...«
»Frau Rennert, benachrichtigen Sie bitte Frau Doktor Frey«, bat Denise von Schoenecker. »Wo ist Schwester Regine?«
»In Maibach!«
»Gut, ich fahre mit Heidi zur Koppel. Frau Doktor Frey soll zur Koppel kommen!« Das kleine Mädchen an der Hand, wollte Denise bereits das Empfangszimmer verlassen, in der offenen Tür drehte sie sich noch einmal um. »Rufen Sie bitte meinen Mann an und sagen Sie ihm, daß ich heute nicht zum Mittagessen komme!«
»Geht in Ordnung, Frau von Schoenecker!« Else Rennert hatte bereits den Telefonhörer abgenommen, um die Ärztin zu verständigen.
Heidi hockte angstvoll im Fond von Denises Wagen. Noch immer weinte und schluchzte sie. »Muß Detlev jetzt sterben?« fragte sie unter Tränen. »Kommt man auch in den Himmel, wenn man ungezogen war?«
»Detlev wird sich nur etwas den Kopf angeschlagen haben«, versuchte Denise die Kleine zu beruhigen, während sie über einen etwas holprigen Weg zur Koppel fuhr. »Es wird ihm bestimmt bald wieder bessergehen.« Hoffentlich, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Justus wollte nicht, daß ich Krokusse pflücke«, verriet Heidi. »Er hat immer nur von den Blumen erzählt. Es war langweilig! Und Detlev wollte die Ponys sehen. Er hat gesagt, er könnte schon reiten. Ich hab ihm verboten, auf ein Pony zu steigen. Das darf man nur, wenn Justus oder die Großen dabei sind. Detlev ist aber trotzdem auf Blanka geklettert!«
Mit acht Jahren läßt man sich nichts mehr von einer Fünfjährigen verbieten, dachte Denise. Sie warf einen Blick durch den Rückspiegel. Heidi schien sich etwas beruhigt zu haben. In ihrem niedlichen Gesichtchen spiegelte sich die Empörung über Detlevs Ungehorsam wider.
Sie hatten die Koppel erreicht. Denise parkte unter einer sehr alten Eiche. »Bleib im Wagen, Heidi«, sagte sie. »Wo liegt Detlev?«
»Du mußt in die Richtung gehen, Tante Isi!« Heidi wies nach rechts.
»Gut, und wenn die Tante Doktor kommt, zeigst du ihr auch den Weg!« Denise strich über das blonde Köpfchen. »Und nun sei brav!«
»Ganz bestimmt, Tante Isi!« versprach Heidi.
Denise betrat die Koppel. Rasch überquerte sie den Rasen, öffnete und schloß das Gatter zur zweiten Koppel. Suchend blickte sie sich um. Dann entdeckte sie Detlev. Er lag ganz hinten. Blanka stand direkt neben ihm. Es schien, als würde sie ihn bewachen.
»Schon gut, Blanka, schon gut«, sagte sie leise zu dem Pony, als sie sich ihm näherte. Sie tätschelte seinen Hals und führte es ein Stück beiseite. »Bleib schön hier!«
Detlev war noch immer bewußtlos. Denise kniete sich neben den Jungen auf den Rasen. Vorsichtig öffnete sie erst seinen Anorak, dann das Hemd, bevor sie ihn in die Seitenlage brachte. Sie nahm an, daß er eine Gehirn-erschütterung hatte. Gebrochen schien er sich nichts zu haben, doch sein Puls war kaum zu spüren, und sein Atem ging flach.
»Die Tante Doktor kommt!« Heidi rannte quer über den Rasen. Sie blieb vor Denise und Detlev stehen und deutete nach hinten. »Schau, Tante Isi!«
Denise drehte sich um. Frau Dr. Frey betrat gerade die Koppel, in der Denise sich befand. Heidi war einfach über das Gatter geklettert. »Danke, Heidi«, sagte sie. »Und nun lauf zu meinem Wagen zurück.«
»Kann ich nicht hierbleiben?«
»Nein, Liebes!«
Heidi nagte an der Unterlippe. »Gut, dann warte ich im Wagen auf dich«, entschied sie und rannte davon.
Anja Frey hielt sich nicht erst mit Fragen auf. Sie kniete sich sofort neben den verletzten Jungen und untersuchte ihn. »Sieht nach einer Gehirn-erschütterung aus«, sagte sie schließlich.
»Schlimm?«
»Wahrscheinlich!« Nachdenklich betrachtete sie das blasse Gesicht des Achtjährigen. »Trotzdem bin ich dafür, ihn nicht ins Krankenhaus zu bringen. Wir werden ihn auf Sophienlust behandeln. Es ist für ihn auf jeden Fall besser, in der vertrauten Umgebung zu bleiben.« Sie schob vorsichtig die Arme unter Detlev und hob ihn auf.
Denise ging ihr voraus und öffnete das Gatter. Sie beschloß, im Wagen von Frau Doktor Frey nach Sophienlust zurückzukehren. Ihren Wagen konnte sie später abholen.
Sie nahm im Fond Platz. Anja Frey bettete Detlev so, daß sein Kopf auf Denises Schoß lag. Heidi wollte von der anderen Seite ebenfalls in den Fond steigen »Das geht nicht«, sagte Denise. »Du mußt vorn sitzen, Heidi!«
»Ich?« Heid begann zu strahlen. Sie kletterte auf den Beifahrersitz und ließ sich von der Ärztin anschnallen. »Da werden die anderen aber gucken!«
»Ab und zu darf man ruhig eine Ausnahme machen«, meinte Denise.
Sie fühlte wieder nach Detlevs Puls. Er war nach wie vor kaum zu spüren.
Die Ärztin fuhr vorsichtig den Feldweg entlang. Endlich hatten sie die reguläre Straße erreicht. Nun konnte sie Gas geben, eine heftige Erschütterung des Wagens war jetzt nicht mehr zu befürchten.
Wenig später passierten sie das Parktor und rollten die Auffahrt bis zur Freitreppe entlang. Enttäuscht stellte Heidi fest, daß keines der anderen Kinder zu sehen war. »Soll ich Detlev Schneeweißchen und Rosenrot bringen, Tante Isi?« fragte sie, als sie ausstiegen. »Er mag die Kaninchen so gern!«
»Damit mußt du noch warten, bis es ihm wieder besser geht«, antwortete Denise. Sie folgte der Ärztin, die den noch immer bewußtlosen Jungen ins Haus trug.
Heidi blieb allein in der Halle zurück, nachdem sich die Tür des Krankenzimmers hinter Denise von Schoenecker und Dr. Frey geschlossen hatte. Sie wandte sich dem Empfangszimmer zu, um mit Tante Ma zu sprechen. Aber Frau Rennertz hatte auch keine Zeit für sie.
»Geh zu Magda in die Küche, Heidi«, schlug sie vor. »Sie hat bestimmt etwas Feines für dich. Ich muß mich um Detlev kümmern!«
»Das tun doch schon Tante Isi und die Tante Doktor«, sagte Heidi. »Ich bin auf dem Beifahrersitz nach Hause gefahren, Tante Ma!« Sie nickte bekräftigend.
»Das war bestimmt sehr schön!« Frau Rennert umarmte Heidi flüchtig. »Nachher kannst du mir alles ganz ausführlich erzählen!« Sie schob das kleine Mädchen aus dem Empfangszimmer. »Aber jetzt habe ich wirklich keine Zeit!«
Heidi stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Sie kauerte sich auf das Bärenfell, das vor dem Kamin in der Halle lag. »Detlev wird bestimmt wieder gesund, Bär«, meinte sie und umarmte den Bärenkopf. »Die Tante Doktor sorgt dafür! Weißt du, wo ich auf der Rückfahrt gesessen habe? Wie ein ganz großes Mädchen neben der Tante Doktor! Ist das nicht fein?«
Die Kleine beugte sich über den Kopf und blickte in die leblosen Glasaugen des Bären. »Interessiert dich auch nicht, schlimm ist das! Aber jetzt geh ich zu Magda, und wenn sie was Gutes gebacken hat, werde ich alles aufessen!« Sie sprang auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und marschierte in die Richtung der Küche davon.
*
Isabel Hofer bewegte unruhig den Kopf von einer Seite zur anderen. Sie war schon mehrmals wach geworden, hatte es aber nicht bewußt wahrgenommen. Auch jetzt lag sie nur noch im Halbschlaf. Ihr war es, als hätte man sie an Armen und Beinen gefesselt. Leise stöhnte sie auf.