Erfüllung einer Sehnsucht - Anne Alexander - E-Book

Erfüllung einer Sehnsucht E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »In Endersbach ist es richtig schön, Tante Isi!« Richard Herzog rannte zur offenen Balkontür. »Komm, Tante Isi, das mußt du dir anschauen!« Er kehrte um und ergriff den Arm Denise von Schoeneckers, die sich noch mit seiner Adoptivmutter unterhielt. »Ricky, gib Ruhe!« meinte Denise. »Ich bin gleich wieder da.« Sie ließ sich von dem Kleinen auf den Balkon führen. »Schau, da vorne ist die Jahnstraße, Tante Isi!« zeigte Ricky geradeaus. »Da wohnen Freunde von mir. Sie heißen Frank und Marisa. Ihrer Mutter gehört der Buchladen an der Ecke. Manchmal gehen wir dort einkaufen. Richtig tolle Bücher gibt es dort.« »Ich weiß«, erwiderte Denise lächelnd. »Da habe ich vorhin auch das Buch gekauft, das du von mir bekommen hast.« »Ricky, der Kaffee wird kalt«, sagte Brigitte Herzog.

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Sophienlust – 377 –

Erfüllung einer Sehnsucht

Wo bleibt meine Mami?

Anne Alexander

»In Endersbach ist es richtig schön, Tante Isi!« Richard Herzog rannte zur offenen Balkontür. »Komm, Tante Isi, das mußt du dir anschauen!« Er kehrte um und ergriff den Arm Denise von Schoeneckers, die sich noch mit seiner Adoptivmutter unterhielt.

»Ricky, gib Ruhe!« meinte Denise. »Ich bin gleich wieder da.« Sie ließ sich von dem Kleinen auf den Balkon führen.

»Schau, da vorne ist die Jahnstraße, Tante Isi!« zeigte Ricky geradeaus. »Da wohnen Freunde von mir. Sie heißen Frank und Marisa. Ihrer Mutter gehört der Buchladen an der Ecke. Manchmal gehen wir dort einkaufen. Richtig tolle Bücher gibt es dort.«

»Ich weiß«, erwiderte Denise lächelnd. »Da habe ich vorhin auch das Buch gekauft, das du von mir bekommen hast.«

»Ricky, der Kaffee wird kalt«, sagte Brigitte Herzog. Sie stand auf der Schwelle zum Wohnzimmer.

»Dann trinken wir eben Kaffee«, erklärte der Kleine aufseufzend.

»Du könntest mir dabei erzählen, wie es dir in der Schule gefällt«, schlug Denise vor.

Richard zog die Nase kraus. »Na ja, es geht«, meinte er dann ergeben. »Weshalb muß ich überhaupt noch in die Schule gehen? Lesen und schreiben kann ich doch schon.«

»Das genügt aber nicht«, erwiderte Denise lachend.

Es klingelte an der Wohnungstür. Richard sprang auf und lief hinaus. Die beiden Frauen schauten ihm nach.

»Seit Ricky bei uns ist, führen wir ein richtiges Familienleben«, meinte Frau Herzog. »Mein Mann und ich wissen erst jetzt, was uns alles entgangen ist. Wir haben die Adoption noch nicht einen Augenblick bereut.«

»Und Ricky liebt Sie, das spürt man«, sagte Denise von Schoenecker. »Es ist eine Freude, ihn zu sehen. Wenn man bedenkt, wie eingeschüchtert wir ihn nach Sophienlust bekamen. Es dauerte fast eine Woche, bis er von sich etwas sagte. Er...«

Richard steckte den Kopf ins Zimmer. »Die Marisa ist da!« rief er. »Kann ich mit ihr spielen gehen?«

»Aber Ricky, Frau von Schoenecker ist extra deinetwegen gekommen«, protestierte seine Mutter.

»Er soll ruhig spielen gehen«, meinte Denise lächelnd.

»Danke, Tante Isi!« Ricky stürzte ins Zimmer und schlang seine Arme um ihren Hals. »Ich hab dich schrecklich lieb«, bekannte er und gab ihr einen dicken Kuß.

Denise von Schoenecker und Brigitte Herzog unterhielten sich noch etwas, dann wurde es für Denise Zeit, aufzubrechen. Sie hatte ihrem Mann versprochen, pünktlich zum Abendessen zurück zu sein.

Frau Herzog begleitete sie zum Wagen. »Schön, daß Sie uns einmal besucht haben, Frau von Schoenecker«, meinte sie zum Abschied. »Sie haben nicht nur mir, sondern auch Ricky eine große Freude gemacht. Auch wenn er dann mit Marisa spielen gegangen ist.«

»Das nehme ich ihm gar nicht übel«, versicherte Denise. »Er hat sich benommen, wie man es von einem Kind erwartet, und das ist viel wert.« Sie reichte Richards Mutter noch einmal die Hand, bevor sie sich ans Steuer setzte.

Frau Herzog kehrte ins Haus zurück. Denise von Schoenecker fuhr die Jahnstraße entlang. Sie hatte gerade die Buchhandlung Weber passiert und wollte in die Schafgasse einbiegen, als eine junge Frau blindlings über die Straße lief, so daß sie scharf bremsen mußte. Quietschend kam ihr Wagen zum Stehen.

Die junge Frau starrte entsetzt auf den bereits stehenden Wagen, dann griff sie sich an die Brust und brach lautlos zusammen. Der kleine Koffer, den sie mit der linken Hand getragen hatte, schlug hart auf der Straße auf.

Innerhalb weniger Sekunden hatte Denise den Motor ihres Wagens ausgeschaltet und war ausgestiegen. Sie beugte sich über die Bewußtlose.

»Was ist denn passiert?« fragte ein Junge.

Bevor Denise ihm noch antworten konnte, kamen Passanten von allen Seiten herbei. Einige vermuteten, daß die junge Frau angefahren worden wäre, wurden aber gleich eines Besseren belehrt, als die junge Frau die Augen aufschlug. Verwirrt schaute sie sich um, dann sah sie Denise an, die ihr auf die Beine geholfen hatte. »Mir ist plötzlich schwarz vor Augen geworden«, sagte sie. »Tut mir leid, daß ich Ihnen so viel Umstände mache.«

»Aber das sind doch keine Umstände«, erwiderte Denise freundlich. »Kann ich Sie vielleicht irgendwo hinbringen?«

»Nein, nein, das kommt gar nicht in Frage«, protestierte die Fremde.

»Bitte, steigen Sie ein!« Denise öffnete den Wagenschlag. »Es macht mir keine Mühe.« Daß sie pünktlich zu Hause sein wollte, daran dachte sie in diesem Moment nicht.

Die junge Frau zögerte, doch dann fühlte sie, wie ihr erneut schwindlig wurde. Haltsuchend streckte sie die Hand zum Kotflügel aus. Sie wehrte sich nicht, als Denise ihr half, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. »Ich wollte ins Waiblinger Kreiskrankenhaus«, sagte sie mühsam und schloß die Augen.

»Ich bringe Sie hin!« Denise stellte den Koffer auf den Rücksitz, ging um den Wagen herum und ließ sich in den Fahrersitz fallen.

Die Leute machten die Straße frei. Als Denise von Schoenecker in die Schafgasse einbog, sah sie Ricky und ein dunkelhaariges Mädchen aus dem Buchladen kommen. Er winkte ihr zu. Flüchtig erwiderte sie seinen Gruß.

»Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt«, meinte die junge Frau verlegen, als sie Endersbach hinter sich gelassen hatten. Das Schwindelgefühl hatte etwas nachgelassen.

»Ich mich auch nicht«, erwiderte Denise und nannte ihren Namen. »Ich komme aus Wildmoos, das ist ein kleiner Ort bei Maibach.«

»Haben Sie etwa mit Sophienlust etwas zu tun?« fragte die junge Frau. »Der kleine Richard Herzog hat mir von Sophienlust erzählt und von seiner Tante Isi.« Sie sah Denise an. »Natürlich, das müssen Sie sein!«

»Ich gestehe.« Denise lachte. »Ich wußte gar nicht, daß Ricky soviel Reklame für uns macht.«

»Wenn man ihm Glauben schenkt, und warum sollte man nicht, muß Sophienlust der zweitschönste Ort der Welt sein. Der schönste ist für ihn Endersbach. Er liebt seine Adoptiveltern über alles. Er...« Die junge Frau schlug sich an den Kopf. »Ich habe mich ja noch immer nicht vorgestellt. Ich bin Bettina Clasen. Ich wohne in der Nähe der Herzogs.« Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen.

»Geht es Ihnen wieder schlechter?« fragte Denise besorgt.

Bettina Clasen nickte. »Dieses Schwindelgefühl und diese Übelkeit kommen und gehen. Deswegen muß ich ins Krankenhaus. Man wird mich dort gründlich untersuchen. Ich war auf dem Weg zum Taxistand. Es wäre besser gewesen, ich hätte das Taxi zu mir kommen lassen.«

»Sind Sie schon lange in Behandlung?«

»Seit einigen Wochen, mein Arzt weiß nicht mehr weiter.« Bettina zuckte die Schultern. »Unkraut vergeht nicht, es wird schon nicht so schlimm werden.« Sie preßte die Lippen zusammen, weil sie plötzlich von heftigen Kopfschmerzen überwältigt wurde.

*

»Tobias, nicht so weit!« Ingrid Neumann, eine bildhübsche Frau von fünfundzwanzig, sprang auf und rannte zum Wasser, um ihren unternehmungslustigen Sohn zurückzuholen.

Tobias drehte sich um. Er lachte schelmisch, als er sah, daß seine Mutter ihm nachjagte. »Du kriegst mich doch nicht, Mama!« schrie er und bemühte sich, so schnell wie möglich weiter ins Wasser hineinzurennen. Da der Boden sehr steinig war, und er wieder einmal vergessen hatte, Sandalen anzuziehen, war das ziemlich schwierig.

»Hiergeblieben, junger Mann!« Nikolaos Andreios, ein junger, sehr gut aussehender Grieche, packte den

Fünfjährigen sanft an der Schulter und hielt ihn fest.

»Loslassen!« Tobias kämpfte gegen Nikolaos an. »Ich will weg!« Sein schmales Gesichtchen drückte deutlich Empörung aus.

»Ich denke nicht daran!« Lachend blickte der junge Mann Ingrid Neumann entgegen, die nur noch zwei Meter von ihnen entfernt war. »Ich habe den kleinen Ausreißer sichergestellt«, sagte er zu ihr, als sie ihn und Tobias erreicht hatte.

»Danke!« Ingrid erwiderte sein Lachen. »Tobias hat wieder einmal nicht hören können!« Sie nahm ihren kleinen Sohn auf den Arm. Sofort schmiegte er sich an sie und legte die Arme um ihren Hals.

»Dein Papa wird sicher schimpfen, wenn du deiner Mama nicht gehorchen kannst«, meinte Nikolaos. Er strich mit einer gekonnten Geste seine pechschwarzen Haare zurück.

»Ich habe keinen Papa«, sagte Tobias. Leise fügte er hinzu: »Mein Papa ist tot.«

»Oh, das tut mir leid.« Nikolaos Andreios wandte seine Augen wieder Ingrids Gesicht zu. »Es ist hart, einen Menschen zu verlieren, den man liebt. Meine Frau...« Er sprach nicht weiter. »Sagen Sie, was würden Sie davon halten, wenn ich Sie beide zu einer Portion Eiscreme einlade? Mein Vetter Philos hat hier in der Nähe eine Eisdiele.«

Ingrid wollte zuerst ablehnen, schließlich kannte sie den jungen Mann doch gar nicht – aber er gefiel ihr. Er sah nicht nur blendend aus, sondern besaß auch einen Charme, dem sie sich nur schwer entziehen konnte. Sie war schon bereit, die Einladung anzunehmen, als Tobias sie anstieß.

»Sag ja, Mama!« forderte er.

»Dann muß ich wohl der Stimme meines Herrn und Meisters gehorchen«, meinte die junge Frau, froh, daß Tobias die Initiative ergriffen hatte.

»Das freut mich!« Nikolaos’ dunkle Augen blitzten. »Dann werde ich mich erst einmal vorstellen: Nikolaos Andreios!«

»Ingrid Neumann«, sagte die junge Frau. »Woher kommt es, daß Sie so gut deutsch sprechen?« fragte sie, während sie zum Strand zurückgingen.

»Ich habe in Deutschland studiert, in München«, erwiderte Nikolaos. »Mein Vater wollte unbedingt, daß ich Arzt werde, aber ich war für ihn eine schreckliche Enttäuschung.« Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, zu was es gut war, daß ich mein Studium schon im fünften Semester aufgab. Ich lernte dadurch meine Frau kennen und übernahm die Firma meines Schwiegervaters.«

Ingrid erwartete, daß er weitersprechen würde, doch er griff nur nach dem Handtuch, das er in den Sand geworfen hatte, und begann sich abzutrocknen. Sie fragte sich, was mit seiner Frau geschehen sein mochte.

Tobias wand sich in den Armen seiner Mutter. Sie stellte ihn in den Sand. »Komm, Mama, wir müssen uns auch abtrocknen.« Er griff nach ihrer Hand und begann, sie in Richtung ihres Sonnenschirms zu zerren. »Der Onkel will mit uns Eis essen gehen.«

»Sie müssen meinen Sohn für furchtbar verfressen halten«, meinte Ingrid entschuldigend.

Nikolaos sah sie an. »Oder Sie für eine Rabenmutter, Frau Neumann«, sagte er. »Vielleicht kaufen Sie Ihrem Sohn nie Eis.«

»Stimmt, woher sollen Sie das wissen«, entgegnete Ingrid gutgelaunt. Nikolaos gefiel ihr von Minute zu Minute besser. Seit dem Tod ihres Mannes vor fast einem Jahr hatte sie nur selten gelacht, aber sie war gern fröhlich.

Nikolaos wurde ernst. »Ich bin überzeugt, daß Sie Ihrem Sohn eine sehr gute Mutter sind«, meinte er und fuhr dem Kleinen durch die blonden Haare.

Tobias strahlte ihn an.

»Ich bin in zehn Minuten soweit!« Ingrid befreite sich von der Hand ihres Sohnes. »Treffen wir uns an der Treppe«, schlug sie vor.

»Einverstanden!« Nikolaos nickte ihr zu, dann bückte er sich nach seinen Jeans.

Tobias rannte zum Sonnenschirm voraus. Hastig begann er sich abzutrocknen. Es fiel ihm zwar schwer, auch seinen Rücken trocken zu reiben, doch er gab sich redlich Mühe. Er war gern selbständig und wollte seiner Mutter stets beweisen, daß er schon gut allein zurechtkommen konnte.

»Du bist ja schon fast fertig, Liebling«, sagte Ingrid, als auch sie den Sonnenschirm erreicht hatte. Sie zog ihn in die Arme und rubbelte seinen Rücken richtig trocken.

»Anziehen tu ich mich selber«, erklärte Tobias. Er ließ das Handtuch fallen und griff nach seinen Shorts. »Du, Mama, der Onkel ist richtig nett. Ich mag ihn.«

»Ja, ich finde ihn auch recht nett.« Ingrid rieb sich nur flüchtig ab und schlüpfte in ihr rotes Sommerkleid.

»Wo ist denn meine Ente?« Tobias begann den Sand um den Sonnenschirm mit beiden Händen zu durchwühlen. »Bestimmt hat sie sich wieder versteckt. Ich glaube, ich muß mal richtig mit ihr schimpfen. Quicky, Quicky, wo bist du?« schrie er so laut, daß einige andere Badegäste verwundert zu ihnen herübersahen.

»Nicht ganz so laut, Toby«, lachte Ingrid. »Du solltest strenger mit ihr sein, dann würde sie nicht ständig weglaufen.«

Tobias nickte. Altklug meinte er: »Ich bin eben viel zu nachsichtig mit ihr.«

»Ja, das bist du«, bestätigte die junge Mutter ernst.

»Ah, da ist sie ja!« Tobias griff mit beiden Händen nach der großen Gummiente, die halt unter dem Liegetuch und Sand begraben lag. »Du bist eine Böse«, schimpfte er und wiegte sie im Arm.

Quicky war das letzte Geschenk, das er von seinem Vater erhalten hatte. Selten ging Tobias irgendwohin, ohne seine Ente mitzunehmen. Wehmütig blickte Ingrid auf das gelbe Gummitier. Sie konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem Tobias es bekommen hatte.

»Gehen wir, Mama?« fragte Tobias.

Ingrid zuckte zusammen. »Ja, wir sind soweit«, sagte sie.

Wie abgesprochen wartete Nikolaos Andreios an der Treppe, die vom Strand den Berg hinaufführte. Er nahm Ingrid die Badetaschen ab, ohne erst lange zu fragen. »Wo wohnen Sie eigentlich in Platamon?« erkundigte er sich.

»Etwas außerhalb in der Pension Anna-Maria«, erwiderte die junge Frau. Sie hob den Kopf. »So fragt man Leute aus.«

»Böse?«

»Nein, warum auch?«

»Der Meinung bin ich auch.« Nikolaos lief einige Stufen voraus. »Versuch mich einzuholen, Tobias!« forderte er den Kleinen auf.

»Das ist gemein, du bist schon viel weiter als ich.« Mit der Ente im Arm begann Tobias, rasch die Stufen emporzuklettern. Schon bald hatte er Nikolaos eingeholt, da der junge Mann nur so tat, als würde er schnell weiterlaufen. »Ich bin Erster!« schrie der Kleine begeistert, als er das Ende der Treppe erreicht hatte. »Mama, ich bin viel schneller als der Onkel, obwohl er schon viel weiter war.«

»Mögen Sie Kinder?« fragte Ingrid. Ihr gefiel Nikolaos mit jeder Minute besser.

»Zeigen Sie mir den Griechen, der Kinder nicht mag«, meinte Nikolaos. »Wir müssen hier entlang.« Er wies nach rechts. Willig folgte sie ihm.

*

»Danke, Sonja, das Essen war wieder ausgezeichnet«, sagte Robert Becker. »Du bist eine hervorragende Köchin.« Er sah seinen Freund Rainer an. »Am liebsten würde ich dir deine Frau ausspannen, alter Junge.«

»Untersteh dich!« Rainer Fritz hob drohend den Finger, dann legte er seinen Arm um Sonjas Schultern. »Ich weiß mich zu wehren.«

»Bevor ihr euch um mich schlagt, kümmere ich mich lieber um den Kaffee«, meinte die junge Frau. Sie schlüpfte unter dem Arm ihres Mannes hindurch und stand auf. »Ihr könntet schon mal ins Wohnzimmer hinübergehen.«

Die beiden Männer erhoben sich ebenfalls. Rainer nahm ein geschnitztes Zigarettenkästchen von seinem Schreibtisch und bot es Robert an. »Weißt du schon, was du dieses Jahr unternimmst?« fragte er seinen Freund. »Wir wollen in die Türkei. Sonja möchte endlich einmal Istanbul kennenlernen.«

»Ich werde wahrscheinlich nach Griechenland fahren«, meinte Robert.

»Zu Schiff oder mit dem Wagen?« Rainer ließ sich in einen breiten Sessel gleiten.

»Mit meiner Jacht«, antwortete Robert. Er ging ans Fenster und blickte in den Garten hinaus. Sonja und Rainer hatten ihr Heim wirklich mit viel Liebe eingerichtet. Selbst der Garten wirkte wie ein Schatzkästchen. In einer Ecke gab es sogar einen Spielplatz. Er drehte sich um. »Wie steht es nun eigentlich mit der Adoption?«

Rainer zuckte die Achseln. »Die Papiere sind alle in Ordnung, alles Weitere müssen wir dem Jugendamt und unserem Glück überlassen.« Er drückte die angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. »Vielleicht sind wir zu ungeduldig. Jetzt haben wir fünf Jahre auf ein eigenes Kind gewartet, man sollte meinem, auf einige Wochen mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an.«

»Trotzdem ist das viel schwerer«, sagte Sonja. Sie brachte ein Tablett mit Kaffeetassen ins Wohnzimmer. »Manchmal liege ich nachts wach und frage mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen sein wird.«

»Warum habt ihr keinen diesbezüglichen Wunsch geäußert?« erkundigte sich Robert überrascht.

»Bei einem eigenen weiß man es ja vorher auch nicht«, antwortete Rainer. »Sowohl ein Junge wie ein Mädchen ist uns hochwillkommen.«

Sonja war wieder nach draußen gegangen, um den Kaffee zu holen. Rainer warf einen wehmütigen Blick in ihre Richtung. »Sie leidet mehr als ich unter unserer Kinderlosigkeit. Du weißt, wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben jedes Für und Wider geprüft, trotzdem frage ich mich manchmal, ob wir solch einem armen Wesen gute Eltern sein werden.«

»Aber Rainer!« Robert schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte Eltern gehabt, wie ihr sie sein werdet. Meine Eltern haben mir zwar eine Weltfirma und ein ansehnliches Vermögen hinterlassen, aber das war auch alles. Wärme und Liebe, wonach ich mich gesehnt habe, sind mir vorenthalten worden. Ihr dagegen werdet eurem Kind das alles geben.«

»Mag sein, aber reicht das?«

»Natürlich reicht es«, sagte Sonja. Sie schenkte Kaffee ein. »Kannst du dir vorstellen, daß Rainer schon jetzt bei dem Gedanken an die künftige Erziehung unseres Kindes zittert?« Sie lachte. »Man könnte es regelrecht Lampenfieber nennen.«

»Oh, das kann ich sehr gut verstehen«, erwiderte Robert. Er griff nach seiner Tasse und nahm einen Schluck. »Ich gelte im allgemeinen als ruhig und überlegt, aber damals, als Evelyn unsere Kleine erwartete, hättet ihr mich kaum wiedererkannt. Im Krankenhaus machte ich sämtliche Schwestern und Ärzte verrückt und später, als Evelyn und Barbara zu Hause waren, auch sie.« Er stellte die Tasse auf den Tisch zurück.

Rainer sah Sonja an. Er wußte nicht, was er dem Freund antworten konnte. Roberts Frau und Tochter waren vor drei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er sprach nur noch selten von ihnen, aber für Rainer gab es keinen Zweifel daran, daß ihn ihr Tod noch immer schmerzte.

»Ach ja, vorhin sprachen wir vom Urlaub«, nahm Robert selbst den Faden wieder auf. »Ich werde eine richtige Inseltour machen. Es gibt noch einige griechische Inseln, die ich nicht oder nur flüchtig kenne. Hoffentlich macht man mir nicht einen Strich durch die Rechnung. Wie es im Moment aussieht, muß ich all meine Kraft aufs Unternehmen konzentrieren. Ihr wißt ja selbst, wie schnell man heute am Boden liegen kann.«

Rainer nickte. »Der Konkurrenzkampf wird immer schärfer. Ich bekomme das auch schon zu spüren.«

»Ich würde sagen, wir lassen heute alles Geschäftliche weg«, schlug Sonja vor. »Wenn man nicht auf euch aufpaßt, unterhaltet ihr euch womöglich gleich noch über Bilanzen und andere derartige Dinge.«

»Sonja hat recht«, meinte Robert. Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Hattet ihr mir nicht versprochen, mir bei Gelegenheit den Film über Singapur vorzuführen, den ihr letztes Jahr gedreht habt?«

»Völlig vergessen!« Rainer stand auf. »Aber wir wollen ihn dir nicht länger vorenthalten.« Er ging zur Tür. »Hoffentlich bereust du es nicht. Er hat immerhin eine Länge von gut zwei Stunden.«

»Immerhin zwei Stunden, in denen ich völlig abschalten kann«, meinte Robert und lehnte sich im Sessel zurück.

*