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Dorothee Keller, die kluge Detektivin aus Amerika mit zwei Doktortiteln, wurde von Staatsanwalt Jakob Watzmann nach ihren ersten Erfolgen in Braunschweig offiziell zur Sonderermittlerin ernannt und arbeitet nun eng mit Inspektor Thomas Faust zusammen. Der alte General Hubertus von Echterdingen bittet um ihre Mithilfe bei der Suche nach der verschwundenen Tochter. Deren Freund, Egon Winter, ist ein Verbrecher, der nach Berliner Vorbild auch in Braunschweig einen Ringverein für strafentlassene Verbrecher gegründet hat. Kaum ist Dorothee Keller zusammen mit ihrem Helfer Hansi dabei, sich gründlich umzusehen, entdecken die beiden eine Tote, und jetzt überschlagen sich die Ereignisse im Jahr 1928 …
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Tomos Forrest
Fräulein Kellers Kriminalfälle
Braunschweig 1928
Kein Mord aus Eifersucht
Kriminalroman
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Kathrin Peschel, 2023
Lektorat/Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Kein Mord aus Eifersucht
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Über den Autor
Aus der Feder von Thomas Ostwald alias Tomos Forrest sind weiterhin erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung:
Dorothee Keller, die kluge Detektivin aus Amerika mit zwei Doktortiteln, wurde von Staatsanwalt Jakob Watzmann nach ihren ersten Erfolgen in Braunschweig offiziell zur Sonderermittlerin ernannt und arbeitet nun eng mit Inspektor Thomas Faust zusammen. Der alte General Hubertus von Echterdingen bittet um ihre Mithilfe bei der Suche nach der verschwundenen Tochter. Deren Freund, Egon Winter, ist ein Verbrecher, der nach Berliner Vorbild auch in Braunschweig einen Ringverein für strafentlassene Verbrecher gegründet hat. Kaum ist Dorothee Keller zusammen mit ihrem Helfer Hansi dabei, sich gründlich umzusehen, entdecken die beiden eine Tote, und jetzt überschlagen sich die Ereignisse im Jahr 1928 …
***
Braunschweig 1928
Ich lenkte meinen knallroten Lorelei, einen Viersitzer, mit 11 PS und Lederpolsterung sowie einem amerikanischen Verdeck über die baumbestandene Kaiser-Wilhelm-Allee in Braunschweig.
Das Verdeck hatte ich nach hinten geschlagen, genoss den warmen Fahrtwind und die Aussicht auf die gleich hinter der Okerbrücke stehenden Prachtbauten. Ja, hier konnte ich mich auf Anhieb wohlfühlen. Die Kaiser-Wilhelm-Allee führte schnurgerade aus der Stadt auf das Franz’sche Feld zu. Es handelte sich zweifelsfrei um eine bessere Wohngegend der Stadt, die ich nach meiner Zeit in Amerika zu meiner neuen Heimat erkürt hatte.
Und die hier lebenden Menschen zeigten gern ihren Wohlstand, und ich staunte über die hier parkenden Automobile. Ihre Karosserien glänzten frisch poliert, die Chromleisten glänzten in der Sonne um die Wette mit ihren Speichenrädern. Hier und dort stand ein Chauffeur in schmucker Uniform und bemühte sich, mit einem weichen Lappen auch noch die letzten Staubfusselchen zu entfernen.
Auch einige Gärtner waren auf den schmalen Rasenstreifen vor diesen Stadtvillen zu erkennen. Als ich an ihnen vorübersauste, hoben einige erstaunt den Kopf und blickten meinem roten Flitzer nach.
Ich darf wohl sagen, dass man mich bemerkt hatte.
Mich, Dr. Dr. Dorothee Keller, Kriminalistin, Ehren-Sheriff der City-Polizei von Chicago. Seit Kurzem heimisch in einer wunderbaren Villa in der Wilhelm-Bode-Straße und bereits sehr erfolgreich im Einsatz im sogenannten Falle „Anita Berger – Todesengel?“ Und vom Staatsanwalt Jakob Watzmann offiziell nebst einer Urkunde zur Sonderermittlerin der Braunschweiger Kriminalpolizei ernannt. Das hatte keinerlei Bedeutung, was eine Bezahlung anging. Aber ich durfte die Polizei mit meinen Recherchen und meiner eigenen Laborausrüstung unterstützen.
Ich wusste, dass dahinter der ehemalige Polizeipräsident und gleichnamige Vater des nunmehr zum Inspektor ernannten Thomas Faust steckte. Dr. Faust Senior hielt eine ganz Menge auf mich, und er war froh über meine Entscheidung, mich wieder in Braunschweig anzusiedeln und meine erworbenen Kenntnisse in der modernsten Kriminalistik der hiesigen Polizei zur Verfügung zu stellen.
Und der alte Fuchs wusste sehr genau, was er tat.
Nach dem Berliner Vorbild wollte er – obwohl bereits 78 Jahre alt und längst im Ruhestand – die Polizeibehörden in Braunschweig nach dem Vorbild von Ernst Gennat, dem dortigen Kriminalchef – umgestalten. Unterstützung bei diesem Vorhaben erhielt er nicht nur von seinem Sohn, dem Inspektor Thomas Faust, mit dem ich freundschaftlich verbunden war, sondern vor allem immer wieder durch Staatsanwalt Jakob Watzmann. Schließlich wurde in der Braunschweiger Polizei, ebenfalls nach Berliner Vorbild, eine Inspektion A gegründet, die sich Morden und schweren Verbrechen widmete.
Das war auch höchste Zeit, denn die politischen Unruhen der Weimarer Republik suchten auch Braunschweig heim. Hier hatte es in der Vergangenheit Bombenanschläge der Anarchisten gegeben, die Schwarze Reichswehr und andere Organisationen machten von sich reden, und zu allem Überfluss gab es bereits einen ersten Ringverein nach Berliner Art, in dem sich die Schwerverbrecher sammelten, angeblich, um über den gemeinsamen Sport eine Basis für die Wiedereingliederung in die bürgerliche Gesellschaft zu finden.
Der Mann sah seltsam vertrocknet aus, fast wie eine Mumie. Er war alt und hager, und er wirkte so blutlos wie ein Stück Holz. In den schmalen, hellblauen Augen glitzerte es kalt. Es war, als spiegle sich eine klare Wintersonne auf brüchigem Eis. Der Alte ruhte in einem Liegestuhl. Obwohl es auf der Terrasse fast unerträglich heiß war, hatte er ein kariertes Tuch über seinen Körper gebreitet. Der Alte blickte zu einem jungen Mann hoch, der breitbeinig am Fußende des Liegestuhls stand. Der junge Mann hielt eine Pistole in der Rechten. Die Mündung zielte auf die Brust des Alten.
»Beweg dich«, sagte der junge Mann barsch. »Ich brauche dich.«
Das kalte Glitzern in den zu Schlitzen verengten Augen des Alten verstärkte sich. Er schwieg. Sein Gesicht war eine reglose Maske von Arroganz und müder Lebensverachtung.
Der junge Mann unterdrückte einen Fluch. Er blickte über die Schulter in den Garten. Es war ein großer Garten, mit einem Schwimmbecken und einem Tennisplatz. Eingerahmt von Büschen und Blumenbeeten, ein Stück feinsten Lebens in der brütenden Hitze eines Augustnachmittages in Braunschweig, Charlottenhöhe.
Wer hier lebte, gehörte zu den oberen Tausend der Stadt. Und überall wurde noch gebaut. Neoromanische oder neogotische Giebel und Türme schauten über die Zäune, barocke Skulpturen schmückten Terrassen und Eingangsbereiche. Die Folgen des großen Krieges waren auch hier nicht spurlos vorüber gezogen.
Viele Firmen existierten nicht mehr, die einstigen Villenbesitzer mussten sich nach neuen Quartieren umsehen. Aber andere Menschen drängten nach, überboten sich in Kaufpreisen und gehörten zu der Kategorie, die von den Alteingesessenen nur kurz und knapp mit einem Wort klassifiziert wurden: Neureich.
»Ein hübsches Plätzchen«, bemerkte der junge Mann und wandte sich wieder dem alten Herrn zu, »und eine gute Zeit, sich hier umzusehen. Halb drei Uhr nachmittags. Es ist so verdammt heiß, dass nicht mal die Hunde den Schatten verlassen. Wir sind allein. Ungestört. Du, ich und die Pistole. Eine großartige Kombination, ein richtiges Erfolgsdreieck, Alterchen. Los, komm hoch von deiner Liege, oder willst du darauf warten, dass deine Knochen zu Staub zerfallen?«
Der alte Mann schlug das Reiseplaid zurück und erhob sich. Er war überraschend groß, größer noch als der junge Mann, sehr hager und knochig, und von einer aufrechten, geraden Haltung, die bei seinem Alter verblüffte.
»Ich bin General Hubertus von Echterdingen«, sagte er mit dunkler, etwas heiserer Stimme. »Ich habe an vorderster Front im Großen Krieg gestanden und selbst dann in den vordersten Linien gekämpft, wenn meine Vorgesetzten und selbst mein Kaiser das missbilligten. Ich hatte keine Furcht, als ich jung war. Weshalb sollte ich sie nach diesem Leben jetzt mit achtundsiebzig haben? Ich sage das, um Ihnen klarzumachen, dass die Pistole mich nicht beeindruckt, dass ich es mir aber schärfstens verbitte, von Ihnen angepöbelt zu werden.«
Der junge Mann grinste. Er war Anfang zwanzig, ein großer schlanker Bursche mit kurz geschnittenem Haar. Er trug eine verknitterte, weit geschnittene, weiße Leinenhose und ein grünes, am Hals offenstehendes Hemd in der Art, wie sie von Polospielern im tropischen Klima bevorzugt wurden. Über der Schulter baumelte ein Trosssack nach Art der Seeleute.
»Donnerwetter, Opa«, sagte er spöttisch. »Das war mal eine hübsche Rede. Direkt bühnenreif. Du hast immer nur befohlen und den Helden gespielt. Keine ganz schlechte und zudem wohl sehr gut bezahlte Tätigkeit. Ich bin immer nur getreten worden, bis ich endlich lernte, mich meiner Haut zu wehren. Im Moment bin ich etwas in Druck. Du wirst mir helfen das Problem zu meistern.«
»Sie wollen Geld?«
»Alles, was du im Hause hast.«
»Sie haben Pech, junger Mann. Sie werden nicht viel mehr als einhundert Mark in meinem Schreibtisch finden. Ich brauche kein Geld.«
In dem Augenblick erklang ein Summton. Er kam aus dem Hausinnern. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte der junge Mann.
»Die Klingel. Es ist jemand am Tor.«
»Jetzt, um diese Zeit?« fragte der junge Mann stirnrunzelnd. »Erwartest du Besuch?«
»Nein.«
Es summte abermals, diesmal länger und lauter.
»Wer ist im Haus?«, fragte der junge Mann.
»Niemand. Meine Tochter ist in die Stadt gefahren.«
Der junge Mann legte den Kopf lauschend zur Seite. Der Summton ertönte zum dritten Mal. »Beschäftigen Sie keine Dienstboten?«, fragte der junge Mann.
»Einen Gärtner, ein Mädchen und einen Butler«, erwiderte Echterdingen. »Der Gärtner und das Mädchen sind nur vormittags hier, und der Butler hat Urlaub.«
Der junge Mann stieß die Luft aus. »Ihr Besucher hat das Klingeln aufgegeben.«
»Sie sind desertiert, nicht wahr?«, fragt der General plötzlich scharf.
»He, Opa. Du hast einen scharfen Blick.«
»Sie tragen die Schnürstiefel und die weiße Kadettenhose«, sagte der General. »Die Kadettenanstalt befindet sich ja am Ring, aber die wurde 1920 bereits geschlossen. Woher also sind Sie davongelaufen? Gehören Sie zu einer neu aufgestellten Abteilung der Reichswehr?«
»Von dort komme ich nicht, Opa. Du kannst dir später den Kopf darüber zerbrechen, an welchem Ort ich mir erlaubt habe, der Fürsorge des Heeres zu entfliehen. Jetzt brauche ich Geld, oder irgendetwas, das sich zu Geld machen lässt.«
»Ich bin General. Ich werde nichts unternehmen, um die Flucht eines Deserteurs zu unterstützen.«
»Muss ich dich daran erinnern, aus welchem Holz ich geschnitzt bin? Wenn es darum geht, meine Ziele durchzusetzen, gebe ich kein Pardon. Es mag sein, dass du keine Angst hast. Du kokettierst mit der Furchtlosigkeit wie ein Junge mit einem neuen Fahrrad, Opa. Aber Fahrräder können unter Autos geraten, und die Furchtlosigkeit ist aus sehr zerbrechlichem Material gemacht. Du bist stolz. Du legst Wert auf Würde, nicht wahr? Das ist dein schwacher Punkt, Opa. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dich zusammenschlage? Wie würde sich ein blaues Auge und eine geschwollene, aufgeplatzte Lippe mit deiner kühl-arroganten Haltung vertragen?« Er lachte. »Eine reizende Vorstellung. Ich sollte es wirklich darauf ankommen lassen.«
»Scheren Sie sich zum Teufel«, sagte der General scharf. »Ich habe nicht die Absicht, vor einem vaterlandslosen Gesellen zu kapitulieren.«
»Gib Acht, Opa, jetzt bringe ich dir das Tanzen bei«, höhnte der junge Mann. »Den Generalstango. Ich verspreche dir, dass dich meine Schläge munter machen werden. Munter und sehr gefügsam.«
Im nächsten Moment schlug der junge Bursche zu. Er traf den Ex-General mit der flachen Hand im Gesicht. Der General stolperte einen Schritt zurück. Die Wintersonne in seinen Augen erlosch. Und das Eis blieb zurück.
»Jetzt die andere Seite«, sagte der junge Mann. Der Alte hob abwehrend einen Arm, aber er war einfach nicht mehr schnell genug, um den Angriff zu parieren. Klatschend landete die Hand des jungen Mannes auf seiner Wange.
»Das ist nur der Anfang, der Auftakt«, höhnte der junge Mann. »Zum Angewöhnen, weißt du. Hast du jemals in deinem Leben richtige Prügel bezogen? Prügel sind schlimm, Opa. Vor allem dann, wenn man keine Hornhaut auf der Seele hat, so wie ich.«
»Was versprechen Sie sich von diesem Vorgehen?«, fragte Echterdingen schwer atmend. »Ich kann Sie nicht daran hindern, mich niederzuschlagen. Ich kann ihnen nur sagen, wie verächtlich und verdammenswert ich Ihre Handlungsweise finde. Aber das wird nichts daran ändern, dass ich nur hundert Mark im Hause habe. Sie strengen sich also umsonst an.«
Der junge Mann schlug abermals zu. Diesmal benutzte er die Faust. Der junge Mann hob die Pistole. Er ließe den Schaft auf den Schädel des alten Mannes krachen. Der brach in die Knie. Er hielt sich mit beiden Händen an dem Liegestuhl fest und quälte sich wieder auf die Beine.
»He, was geht hier vor?«, fragte in diesem Moment eine scharfe männliche Stimme.
Der junge Mann wirbelte auf dem Absatz herum. Er sah einen elegant gekleideten Mann auf sich zukommen. Der Neuankömmling war etwa fünfunddreißig Jahre alt. Im Knopfloch seines hellgrauen Zweireihers steckte eine weiße Nelke. Der dünne Stoff des Anzuges hatte in der Sonne einen metallischen Schimmer.
»Stehen bleiben«, bellte der junge Mann.
Der Neuankömmling kümmerte sich nicht darum. Er war um das Haus herumgekommen, jetzt näherte er sich der Freitreppe, die den Garten mit der höher gelegenen Terrasse verband.
»Egon … Sie dürfen kein Risiko eingehen«, ächzte der General. »Dieser Bursche ist zu allem fähig.«
»Allerdings«, stieß der junge Mann hervor. »Wenn es hier zwei- oder dreimal knallt, werden die Nachbarn glauben, dass jemand auf Spatzen schießt. Aber später wird man statt der Spatzen einen toten General und einen Verrückten finden, der die Wirkung einer Pistole nicht richtig einzuschätzen wusste.«
Der Neuankömmling hatte die Terrasse erreicht. Auf der obersten Stufe der Treppe blieb er stehen. Sein Name war Egon Winter. Er hatte ein gebräuntes, straffes Gesicht mit dunklen Augen und schwarze, bläulich glänzende Haare. Er trug das Haar sehr lang, dicht und ungescheitelt.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er.
Der General fuhr sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. Verwundert betrachtete er das Blut, das auf der Hand zurückblieb. »Ein Deserteur«, murmelte er. »Er wollte mich umbringen.«
Winter streckte die Hand aus. »Geben Sie mir die Waffe«, sagte er.
Der junge Mann sah verblüfft aus. »Mensch, sind Sie lebensmüde? Wenn Sie nicht sofort Ihre manikürten Pfötchen heben, schieße ich Ihnen eine neue Öffnung in den Kopf, verstanden!“
Winter ging auf den jungen Mann zu, ohne Eile, leicht geduckt, den Blick fest auf den Gegner gerichtet. »Sie werden nichts dergleichen tun, mein Freund. Sie wissen, was auf Mord steht. Ein Mord muss sich auszahlen. Finden Sie, dass es lohnt, auf mich zu schießen?«
»Stehen bleiben«, schrie der junge Mann. »Noch einen Schritt, und Sie hören als letztes in Ihrem Leben den Knall der Pistole!«
Winter zögerte, dann ging er weiter.
»Nein, Egon«, brüllte der General. »So nicht. Das hat doch keinen Sinn.«
Winter ignorierte die Worte. Er marschierte weiter auf den Gegner zu.
Der junge Mann straffte sich. Seine Mundwinkel sackten nach unten. »Sie haben es nicht anders gewollt«, sagte er. Dann drückte er ab.
Ein hohles Klicken ertönte. Das war alles.
Winter machte einen Satz nach vorne. Im nächsten Moment ging er mit dem jungen Mann zu Boden. Sie rollten stoßend, ringend und schlagend über die Terrasse. Winter versuchte dem Gegner die Pistole zu entwenden, aber er schaffte es nicht.
Der junge Mann riss sich los und kam auf die Beine. Er schnappte sich den Trosssack, den er bei der Rauferei fallen gelassen hatte, und flankte über die Terrassenbrüstung. Dann jagte er quer über den Rasen auf den hinteren Teil des Gartens zu.
Winter stemmte sich hoch. Er stand etwas unsicher auf den Beinen. Offenbar hatte er etwas abbekommen. Seine Schwäche und sein Zögern gaben dem Gegner einen beträchtlichen Vorsprung. Winter stieß einen Fluch aus. Er sprang über die Brüstung und nahm die Verfolgung auf.
»Egon«, schrie der General. »Lassen Sie das.«
Winter achtete nicht darauf. Sekunden später war er zwischen den Büschen und Bäumen verschwunden. Der General setzte sich zitternd auf einen der weiß lackierten Terrassenstühle. Er saß aufrecht und starrte in den Garten. Er hörte Zweige brechen. Dann kam Winter zurück. Langsam. Allein.
Der General stieß die Luft aus. Als Winter die Terrasse betrat, sagte Echterdingen: »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Egon. Ich hielt Sie bislang für einen aufgeblasenen Wichtigtuer. Ich habe mich gründlich in meinem Urteil getäuscht. Sie haben mir das Leben gerettet. Das vergesse ich Ihnen nie.«
Winter zeigte beim Lächeln seine scharfen untadelig weißen Zähne. »Ach, das war doch gar nichts«, meinte er geringschätzig und winkte ab. »Der Kerl hat mich wütend gemacht. Wie konnte er es nur wagen, Sie anzugreifen? Einen Mann in ihrem Alter. Hat er Sie verletzt?«
»Nein. Er hat mir einige Schläge verpasst, die ich kaum spürte, weil die Empörung den Schmerz verdrängte. Er war bewaffnet, Egon. Er hätte Sie töten können. Es war purer Zufall, ein glücklicher Umstand, dass die Pistole im entscheidenden Moment versagte«, meinte Echterdingen.
Winter lächelte matt. »Vielleicht war das Ding gar nicht geladen?«
»Aber das konnten Sie nicht wissen. Er ist Ihnen also entwischt?«
»Ja. Er kletterte wie ein Affe über den Zaun und sprang auf der anderen Seite hinab. Ich kam zu spät.«
»Ich bin froh, dass das Abenteuer relativ glimpflich verlaufen ist.«
»Ja. Wo steckt Katrin? Ist sie nicht hier?«
Der General hob die buschigen Augenbrauen. »Mir fällt ein, dass sie vorhatte, sich mit Ihnen in der Stadt zu treffen. Ist nichts daraus geworden?«
Winter sah erstaunt aus. »Hat sie gesagt, dass sie mich besuchen wollte?«
»Nein, nein. Sie wollte mit Ihnen einige Besorgungen machen. Sie haben sie doch angerufen.«
»Ich?«
»Ja, gegen zehn Uhr. Katrin sagte sofort zu.«
»Ich habe Katrin nicht angerufen.«
»Aber …«
»Moment«, unterbrach Winter. »Ich beginne zu verstehen.«
»Ich auch«, meinte Echterdingen. »Den Anruf verdanken wir dem Kerl mit der Pistole, nicht wahr?«
»So sieht es aus«, nickte Winter grimmig. »Er muss ausbaldowert haben, dass nachmittags keine Dienstboten im Haus sind. Um freie Bahn zu haben, lockte er Katrin unter einem Vorwand in die Stadt.«
Echterdingen sah nachdenklich aus. »Das ist merkwürdig.«
»Merkwürdig? Es ist einfach raffiniert.«
»Nein, ich finde, dass es sehr seltsam ist«, meinte der General. »Wenn unsere Annahme zutrifft, dann weiß dieser Bursche mehr, als ich anfänglich glaubte. Es bedeutet, dass er über das, was in diesem Haus vorgeht, gut informiert ist. Wie hat er erfahren, dass Sie mit Katrin befreundet sind?«
»Da ist eine gute Frage«, sagte Winter verblüfft.
Der General erhob sich. »Ich rufe die Mordkommission an«, sagte er entschlossen.
»Aber warum die Mordkommission, Herr General? Das kann doch vom zuständigen Revier erledigt werden«, meinte Winter.