Geheimagent Marlowe - Dieter Kühn - E-Book

Geheimagent Marlowe E-Book

Dieter Kühn

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Beschreibung

Ein Dichter wird Agent – der Agent bleibt Dichter England im elisabethanischen Zeitalter: Der Dichter Christopher Marlowe wird vom Geheimdienst angeworben und nach Paris geschickt, wo er allerdings schnell auffliegt. Gelingt ihm der abenteuerliche Plan, seinen Tod vorzutäuschen, um in der Abgeschiedenheit Irlands Stücke zu schreiben, die dann in England von einem gewissen Shakespeare aufgeführt werden sollen?

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Dieter Kühn

Geheimagent Marlowe

Roman eines Mordes

Roman

Fischer e-books

Unsere Adresse im Internet: www.fischerverlage.de

Wir häufen hier eine historische Unwahrheit auf die andere, um ein zutreffendes Bild zu bekommen.

 

Johannes Bobrowski

1

Ich habe Bradley nicht erstochen! Ich hatte Krach mit ihm, so was kommt vor in einer Kneipe, vor allem, wenn jemand glaubt, er könne sich aufspielen – erstochen habe ich ihn aber nicht. Damit das völlig klar ist – ich bin es nicht gewesen, der Bradley erstochen hat!

Hören Sie, Marlowe, mit solchen Wiederholungen werden Sie nicht glaubwürdiger. Wir wissen schließlich, wovon wir reden.

Sie reden davon, ich hätte Bradley umgebracht. Davon kann die Rede aber nicht sein!

Die Fakten sprechen eine andere Sprache: In Ihrer Anwesenheit ist der Gastwirtssohn William Bradley durch zwei Messerstiche beziehungsweise Dolchstöße ermordet worden.

Ja, in meiner Anwesenheit, stimmt ausnahmsweise, aber ich war es nicht, der Bradley den Todesstoß versetzt hat.

Aber den ebenfalls tödlichen Dolchstoß zuvor?

Wenn zwei Personen beteiligt oder zumindest anwesend sind, heißt das noch lange nicht, beide sind schuldig. Sie sollten sich vielmehr Gedanken darüber machen, Sheriff, ob nicht im Gegenteil –

Ich muß auf vollständiger Anrede bestehen: Sheriff von Surrey – Punkt eins! Punkt zwo: Wir haben uns durchaus Gedanken gemacht! Und haben es deshalb gar nicht gern, wenn wir in unseren Gedankengängen unterbrochen werden. Also, halten Sie an sich, sonst müssen wir Nachdruck ausüben. Der junge Mann hinter Ihnen ist in der Lage, höchst wirksame Handgriffe anzuwenden. Sein Spitzname lautet in unserem Hause denn auch: Breakneck. Fast ein Kosename im Vergleich mit weiteren Namen, die zu ihm passen würden.

Hallo, Breakneck ... Sir, ich weiß nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen – ich meine, wo Sie schon von Gedanken reden, von Ihren sogenannten Gedanken, Sheriff von Surrey, Gedanken, bei denen man wirklich nicht weiß, wie man ausgerechnet bei solchen Gedanken auf den Gedanken kommen kann, sie als Gedanken –

Solche rhetorischen Volten können Sie Ihren Bühnenfiguren vorbehalten, hier geht es um Fakten.

Ja, und es ist nun mal Faktum, daß ich bloß am Rande mit diesem Vorfall zu tun hatte, nur ganz am Rande.

Erstaunlich, daß ausgerechnet Sie sich als Randerscheinung bezeichnen. Sie spielen sich doch sonst so gern auf! Wollen partout immer den Mittelpunkt bilden! Sie waren denn auch keineswegs am Rande beteiligt, sondern zentral. Dafür gibt es Ohrenzeugen.

Ohrenzeugen? Bei dem Krawall in der Kneipe?!

Ja, dort hat man Sie wieder mal über Ihr aggressives Gebrüll identifiziert. Wie Sie in der Szene überhaupt dafür bekannt sind, Mister Marlowe, daß Sie zu Gewalttätigkeiten neigen. Es liegen diverse Anzeigen vor betreffs Ihrer Schlägereien, verstehn Sie? Vor diesem Hintergrund dürfte es Ihnen schwerfallen, die Schuld auf einen anderen zu schieben. Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir den Namen dieser zweiten Person auch hier zu Protokoll nehmen: James L. Watson. Weiter sehe ich vermerkt: Es handelt sich um eine Person, die überwiegend mit Gedichten hervorgetreten ist, schwerpunktmäßig mit Liebesgedichten: »Das leidenschaftliche Jahrhundert der Liebe.«

Ich würde eher sagen: Das Jahrhundert der leidenschaftlichen Liebe – so rum wird ein Schuh draus. Ist aber alles nicht auf seinem Mist gewachsen. James ist extrem anlehnungsbedürftig, als Autor; er bedient sich hemmungslos bei Petrarca wie bei –

Daß Sie sich nicht immer grün sind in der schreibenden Zunft, dieser Umstand ist für uns nicht weiter von Belang, verstehn Sie? Wir können lediglich festhalten: Ganz im Gegensatz zu Ihnen ist Watson noch nicht auffällig in Erscheinung getreten. Es dürfte Ihnen also kaum gelingen, einen derart zurückhaltenden Kollegen als Haupttäter hinzustellen.

Zurückhaltender Kollege ...?! Watson noch nicht auffällig in Erscheinung getreten...?! Da hat Ihr Kollege aber schlecht gearbeitet. Es ist schließlich aktenkundig, daß Watson und Bradley schon mal aneinandergeraten waren, und zwar heftigst! Der Fall ist sogar vor Gericht gekommen. Die Unterlagen könnte man sich ja mal besorgen, vorausgesetzt, man ist an objektiver Beurteilung interessiert. Bei diesem zweiten Zusammenprall nun wurde zwischen James und William eine alte Rechnung beglichen. Da schaukelte sich etwas hoch, die Abrechnung wurde zur Schlußrechnung, es wurde definitiv ein Schlußstrich gezogen, und zwar mit Watsons Dolch. Das ist derart evident, hier gibt es nichts zu deuteln. Ergo lassen Sie mich aus dieser Geschichte heraus!

Das ist laut Watson nicht möglich; seine Aussage ist zu Protokoll genommen und von ihm abgezeichnet worden, verstehn Sie? Demnach läßt sich der Tathergang genau rekonstruieren. Ergebnis: Im Gerangel ist der Todesstoß von Ihrer Hand erfolgt. Sie haben Bradley, wie es in Ihren Kreisen wohl heißt: abgestochen. Mit einer anderen Version kommen Sie vor keinem Gericht unseres Landes durch. Schon gar nicht, wenn dem zuständigen Richter die Liste Ihrer sonstigen Übergriffe vorliegt. Ich brauche, zum Beispiel, nur an das Duell mit dem Musiker der Canterbury-Kathedrale zu erinnern.

Aber damals war doch nichts weiter passiert! Ich habe dieses arrogante Schwein nicht, wie es in Ihren Kreisen heißt: abgestochen.

Ersparen Sie sich Sottisen, Marlowe. Damals war nur deshalb kein Blut geflossen, weil rechtzeitig von dritter Seite eingegriffen wurde. Und nicht, weil Sie plötzlich zur Einsicht gekommen wären, sich womöglich Einhalt geboten hätten.

Der Fall mit dem Kirchenmusikus ist doch längst abgehakt. Das sollte langsam auch im Fall Bradley geschehn – soweit es mich betrifft. Quetschen Sie in der Angelegenheit nochmal den Watson aus, da wird sich der Sachverhalt sehr rasch klären. Freund James war in Rage geraten. Dieser Bradley hat sich uns gegenüber Äußerungen erlaubt, die nicht mehr hingenommen werden konnten.

Unfreundliche Äußerungen ...?

Beleidigungen ...! Er hat uns tief beleidigt, tödlich beleidigt! Ich beglücke Sie jetzt aber nicht mit einem Zitat.

Es genügt, wenn wir zu Protokoll nehmen: Sie fühlten sich tief beleidigt. Da werden Sie sich oder ihm wohl gesagt haben: Deine Tage, nein: deine Minuten sind gezählt. Haben daraufhin bis drei gezählt und zugestochen, kaltblütig.

Kaltblütig ...?! Kaltblütig zugestochen – wie stellen Sie sich das vor? Daß man sich in Ruhe einen Punkt aussucht, an dem man am besten reinkommt – statt gleich auf Knochen zu stoßen? Und kühl beobachtet man das Eindringen der Klinge ins Fleisch? Mister Sheriff, Sie haben es laufend mit Morden zu tun, Morde sind hierzulande an der Tagesordnung, ergo hätten Sie längst erkennen müssen, daß kaltblütige Morde nur gedungenen Verbrechern gelingen. Mit solchen Leuten werden Sie mich wohl nicht in ein Verlies sperren wollen!

Sie möchten demnach zu Protokoll geben, Sie hätten nicht kaltblütig gemordet. Wie aber sonst? Heißblütig?

Sie sind auf dem rechten Wege zur Erkenntnis. Falls ich Ihre berufliche Erfahrung ein wenig anreichern darf: Ein Messer, ein Dolch wird – in unseren Kreisen ist das jedenfalls so – nur gezückt in einem Wutanfall, in einem Anfall von Jähzorn – ja, am ehesten von Jähzorn. Dabei vollzieht sich schlagartig eine Veränderung: Sie hören plötzlich kaum noch was. Schon gar nicht hören Sie warnende Stimmen, hören so was höchstens fern und verworren, wie in einem andren Raum. Aber Raum existiert in dem Moment eigentlich auch nicht mehr, Raum wird zum Rohr. Ja, es ist so, als würden Sie durch ein Kanonenrohr blicken: alles schwarz, ringsum schwarz, es bleibt nur ein kleiner Sichtkreis, in diesem Kreis die verhaßte Person, und Sie können gar nicht anders als auf dieses Subjekt losgehn, losstürmen, als wäre im Arsch ein Pulversatz gezündet. A point of no return. Und schon merken Sie, wie Sie losschlagen, dreinschlagen.

Und zustechen ...

Sir, ich rede von Dreinschlagen, von Zuschlagen.

Und was ändert sich am Grundgefühl, wenn Sie dabei ein Messer, einen Dolch in der Hand halten?

Wollen Sie mich durchs Kanonenrohr jagen, mit kognitivem Pulversatz? Wollen Sie provozieren oder verhören?

Ich verstehe: Noch einmal eine unerwünschte Frage, und alles verengt sich zum Blick durchs Kanonenrohr. Aber bevor Sie losschießen, sind Sie fest im Griff. Immer dran denken: Breakneck ist in Stellung gegangen.

Verschonen Sie mich mit diesem Schreckgespenst.

Schreckgespenst ...?! Seien Sie vorsichtig in Ihrer Wortwahl, auch unser Helfer könnte in Rage geraten. Dann können wir nicht mehr hinschaun, das gibt gar kein schönes Bild ab, nein, wirklich kein schönes Bild, das wollen wir uns doch lieber ersparen. Vor allem, wo zur Zeit keiner im Hause ist, der aufwischen könnte.

Ich merke schon, diese Formulierungen bereiten Ihnen ein gewisses Vergnügen ...

Ich will nur warnen, eindringlich. Im übrigen ist Ihnen hoffentlich bewußt, daß Sie mit Ihrer suggestiven Schilderung einer Handlung im Jähzorn den Mord bereits eingestanden haben, indirekt.

Sir, für das Kanonenrohrsehen ist typisch, daß man nicht mehr vergißt, was man wahrgenommen hat. Das bleibt wie eingebrannt im Hirn.

Und das wäre denn das Bild der Person, auf die Sie losgestürmt sind. Ist im Erinnerungsbild auch eingebrannt, was dabei Ihre Hände getan haben?

Sir, unter Theologen würde ich sagen: Sie werden kasuistisch. Umgangssprachlich: übertrieben spitzfindig.

Ich bin auf derartige Übersetzung nicht angewiesen. Zur Sache: Ich muß erneut konstatieren, daß Ihre intensive Beschreibung des anfallartigen Verlaufs nur den Rückschluß zuläßt, und dies zwingend, daß Sie die Tat begangen haben, in einem Anfall von Jähzorn.

Und wenn auch Watson durchs Kanonenrohr geblickt hat? Er ist ja nicht grundlos festgenommen worden. Und eingebuchtet. Halten Sie sich doch an den!

Was wir zu tun haben, das können Sie getrost uns überlassen. Marlowe, ich muß sagen, es sieht verdammt finster aus für Sie. Wenn wir Sie dem Common Law Court überstellen, ist völlig sicher, worin das Strafmaß bestehen wird: auf Sie wartet der Galgen, verstehn Sie? Es wird Ihnen vor Gericht in keinster Weise gelingen, den Kopf aus der Hanfschlinge zu ziehen. Watson hat Sie aufs Schwerste belastet.

Wenn der nochmal vor mir aufkreuzt, da fahr ich aber schweres Geschütz auf, da schieß ich volle Breitseiten ab!

Das Pulver können Sie sich in dem Fall sparen, es gibt weitere Personen, die Sie belastet haben, und zwar erheblich. Das ist zu den Akten genommen, aber nicht ad acta gelegt. Ich entnehme den Unterlagen zum Beispiel noch, daß Sie sich vor dem Justice of Peace unter Eid verpflichten mußten, künftig auf Gewaltanwendung zu verzichten. Das spricht ja wohl Bände! Mit solch einer Vorgeschichte wären Ihre Aussichten vor einem Common Law Court denkbar schlecht, verstehn Sie? Falls Sie nicht gehängt oder geköpft werden, sondern einen gnädig gestimmten Richter finden, so können Sie sich für den Rest Ihres Lebens darauf einstellen, in einem lichtlosen Kerker auf verpisstem, verschissenem, von Ratten überhuschtem Stroh zu verbringen bei bekannt unzureichender Ernährung. Ist Ihnen das klar? Ihre einzigen Gesprächspartner wären dann Steinquader, vor denen Sie Ihre hochgerühmte Kunst des Monologs vollenden könnten. Keine erheiternden Aussichten, muß ich sagen. Mein Amt zwingt mich dazu, den einen oder anderen Gefangenen in den Verliesen des Tower aufzusuchen im Rahmen weiterer Befragung. Da Sie ja auch volkstümliche Redeweise lieben: Dort ist es zappenduster! Zappenduster, verstehn Sie? Vor solch einer Zukunft kann Sie nur ein Wunder retten! Wir haben es schließlich mit einem Kapitalverbrechen zu tun. Ich denke, es wäre an der Zeit, daß in Ihrem Kopf so langsam –

Mir geht soeben störend durch den Kopf, daß Sie alles auf den Kopf stellen, damit alles nach Ihrem Kopf –

Lassen Sie mich gefälligst ausreden, Marlowe! Wenn Sie sich weiterhin so aufführen, werden Sie ein paar Tage in ein finsteres Loch gesteckt, damit Sie die nötige Hellsicht gewinnen, verstehn Sie? Hier ist nicht der Ort, wo Sie in gewohnt lautstarker Weise auftreten können.

Aha, so soll das also laufen. Und wer gibt Ihnen das Recht, mich noch länger einzusperren? Mir mit Dunkelarrest zu drohen? Sie sind Sheriff, pardon, Sheriff von Surrey, aber Sie sind kein Richter. Ich würde nur einen ordentlichen Richtspruch akzeptieren. Das kann ich mit Fug und Recht verlangen. Soweit kenne ich England mittlerweile ja nun doch!

Sie können durchaus Gelegenheit erhalten, England noch genauer kennenzulernen. Sozusagen von unten, von ganz unten her. Dies zum ersten. Und zwotens: Sie werden wohl nicht wünschen, daß wir Ihnen eine Art Maulkorb verpassen; unser spezieller Freund hinter Ihnen schafft so was im Handumdrehn.

Das ist meines Wissens nicht der Ton, in dem eine vorläufige Vernehmung in einem Polizeiamt Ihrer Majestät der Königin Elisabeth erfolgen soll.

Ah, eine patriotische Regung, wie schön ... Nehmen wir gern zu Protokoll. Vielleicht kommen wir auf dieser Basis doch mal so langsam zu einem sinnvollen Verlauf des Gesprächs. Und nicht immer diese Rösselsprünge ... Wir spielen hier nicht Schach, Sie spielen mit Ihrem Leben. Der Urteilsspruch bliebe selbstverständlich einem Gericht des Common Law überlassen, im Namen der Königin. In Anbetracht Ihrer Hartnäckigkeit muß ich aber noch einmal betonen: Sie haben letztlich nur die Option zwischen Hinrichtung und lebenslangem Kerker, verstehn Sie? Und Kerker hieße Haft in einem der Tower-Verliese, sprich: unter Bedingungen, die ich bereits dezent angedeutet habe. Da wäre es aus und vorbei mit der Schreiberei. Da können Sie sich auch an keinem mehr vergreifen, auf die eine oder andre Weise, verstehn Sie?

Nein, versteh ich nicht. Durchaus nicht, verstehn Sie?

Sie haben keinen Anlaß, sich zu mokieren. Sie kämen dem Ende der Vernehmung entschieden näher, wenn Sie sich endlich kooperativ verhalten würden! Sie zwingen mich zu Wiederholungen, die führen nicht weiter. Ich tret nicht gern auf der Stelle, ja? Ich habe für den Rest des Tages noch einiges vor, das mir sinnvoller erscheint, als mich rhetorisch mit Ihnen herumzubalgen. Das sind wir in diesem Raum nicht gewohnt. Schon gar nicht bei Ermittlungen in einem derart gravierenden Fall, verstehn Sie? Der läßt sich auch durch wiederholtes Leugnen nicht aus der Welt schaffen.

Wer wiederholt die Wahrheit sagt, kann nicht als Leugner bezeichnet werden. Ich habe den Eindruck, Sie folgen einem Vorurteil, einem massiven Vor-Urteil. Ergo steht für Sie von vornherein fest, ich hätte Bradley erstochen. Ich habe ihn aber nicht erstochen! Ich habe ihn, verdammt nochmal, nicht erstochen! Befragen Sie nochmal den James! Mich aber lassen Sie aus dem Spiel: Ich habe Bradley nicht erstochen!

Ihr lautstarkes Verhalten bestätigt mal wieder, was längst aktenkundig ist, Mister Marlowe! Wir befinden uns hier aber nicht in einer der Schenken, in denen Sie so gern den Ton angeben. Schon gar nicht befinden wir uns hier in einem Etablissement, in dem unter Umständen gleich der Dolch gezückt wird.

Können Sie mir mal verraten, wie ich in diesem Etablissement hier einen Dolch zücken soll? Wo ich eingangs untersucht wurde bis unter die Klöten?

Es sind auch Übergriffe ohne Dolch möglich. Sie haben bereits das eine und andre Mal mit bloßer Faust zugeschlagen – wenn das auch nur Zähne und nicht gleich ein Leben gekostet hat. Dagegen müssen wir uns schützen, verstehn Sie? Bei Personen wie Ihnen muß man mit allem rechnen. Deshalb der stumme Teilnehmer hinter Ihnen. Schenken Sie ihm ruhig nochmal einen Blick – eh Sie auch nur zwei Schrittchen zu meinem Tisch gemacht haben, sind zwei bis drei Knochen geknackt. Womöglich in der Hand, mit der Sie schreiben. Reizen Sie uns also nicht aufs Äußerste, Marlowe! Wir lassen uns die Verhandlungsführung nicht diktieren, verstehn Sie?! Sie haben in keiner Weise Anlaß zu aggressivem Verhalten. So, und jetzt nehmen Sie endlich Platz auf dem Stuhl da. Ich hab es nicht gern, wenn Sie vor dem Tisch so herumfuchteln. – Falls Sie sich nicht augenblicklich setzen, tritt unser Mitarbeiter in Aktion. – Na bitte. – Und jetzt benehmen Sie sich mal ein bißchen – schon in Anbetracht der Tatsache, daß Ihre Lage aussichtslos ist. Ihr Kollege hat unter Eid, ich betone: unter Eid ausgesagt, daß Sie den entscheidenden Stoß mit dem Dolch ausgeführt haben.

Ah ja, und das wurde ohne jegliche Anwendung von Druck und Gewalt aus James herausgekitzelt, wie?!

Diese Art von Repliken behalten Sie sich besser für Ihre Stücke vor. Soweit Sie noch in der Lage sein werden, künftig fürs Theater zu schreiben.

Schon wieder eine Drohung! Auch noch verbunden mit dem Stichwort Folter! Darum geht es doch wohl. Anders kann es ja auch nicht zum sogenannten Geständnis von James gekommen sein.

Zuweilen wird gewisser Nachdruck notwendig, um der Wahrheit auf die Sprünge zu verhelfen. Bringen Sie uns nicht so weit, daß wir auch in Ihrem Fall Nachdruck solcher Art ausüben müssen. Davor schützt Sie nur ein Geständnis. Andernfalls wird Ihnen im »Freudenzimmer« eine spezielle Behandlung zuteil. Dies zum ersten.

Und gleich zum zweiten: Ich singe nicht gern. Ihr werdet mich nicht zum Singen bringen. Zum Singen zwingen. Ah, Scheißreime – stellen sich manchmal ungewollt ein.

Stört uns nicht weiter ... Also, nicht wahr, wir nehmen zu Protokoll, daß Sie sich der Schwere Ihrer Tat bewußt sind. Mit einem formellen Abschluß dieser Art könnte ich die Vorvernehmung nämlich abschließen und Sie einem anderen Amt überstellen. Dort wäre die eine oder andre Voraussetzung gegeben, Ihnen so etwas wie eine Brücke zu bauen.

Eine Hänge-Brücke aus Holz und Hanf ...?

Immer zu launigen Bemerkungen aufgelegt, wie? Nun unterschreiben Sie schon diesen Revers, und wir können die Akte schließen. Wir müssen sicherstellen, verstehn Sie, daß Sie sich Ihren nächsten Gesprächspartnern gegenüber nicht wieder herausreden. Da muß eine klare Verhandlungsgrundlage geschaffen sein. Gestehn Sie die Beteiligung im Mordfall Bradley, und Sie haben vorerst den Kopf aus der Schlinge gezogen.

Wie soll denn das gehn? Eine sogenannte Tat zugeben und zugleich den Kopf aus der Schlinge ziehn?

Sie werden einem Amtsbereich überstellt, in dem andere Spielregeln gelten. Diesem Umstand sollten Sie dem sicheren Tod am Galgen oder auf dem Schafott den Vorzug geben.

Ich verstehe nicht, verdammt nochmal, worauf Sie hinauswollen!

Leisten Sie Ihre Unterschrift, und es könnte sich eine neue Perspektive eröffnen.

Ich tappe im Nebel ...

Das sind wir hier in London gewöhnt. Marlowe, ich sage noch einmal, und ich habe keine Lust, das zum x-ten Mal zu wiederholen, wir haben schließlich noch andres zu tun: Bestätigen Sie durch Ihre Unterschrift, daß Sie am Mordfall Bradley zumindest beteiligt waren, daß Sie sich in dieser Hinsicht schuldig bekennen, und Sie kommen eventuell an einer Gerichtsverhandlung vorbei, an deren Ende nur die Verkündung Ihres Todesurteils stehen kann.

Das wäre ja fast die Quadratur des Kreises ...!

Na wenn schon. Nun zieren Sie sich nicht weiter, leisten Sie Ihre Unterschrift.

2

Mit vorliegender Abschrift des Vernehmungsprotokolls wurden wir – in bewährter Zusammenarbeit mit dem Sheriff von Surrey – über die prekäre Lage des Christopher »Kid« Marlowe informiert. Nach umgehend erfolgter Rücksprache hat man uns den (in echt britischer Amtshilfe hinlänglich weichgeklopften) Häftling überstellt. Bereits einen Tag nach der Zuführung fand eine erste Unterredung mit dem Untersuchungsgefangenen statt.

Ich lasse für dieses Dossier die Präliminarien und Einleitungsformeln weg, es geht schließlich um eine Dokumentation für den internen Gebrauch in Her Majesty’s Secret Service. Ich gebe das Gespräch wieder auf Grundlage des von mir angefertigten Protokolls, übertrage freilich in direkte Rede, was streckenweise in indirekter Rede festgehalten ist, bzw. in raffender Zusammenfassung.

Das Gespräch fand statt in Anwesenheit von Sir William Walsingham, wobei sich »Chef« hinter der Spanischen Wand aufhielt. Die Gesprächsführung übernahm Ressortleiter Mountfelton (»Monty«). Das Protokoll führte meine Wenigkeit.

Gez. Richard »Jeremy« Wilkinson

 

* * *

 

Mister Marlowe, bevor Sie wieder mal aufbrausen: Seien Sie sich darüber im klaren, daß wir Ihr Schuldgeständnis in Händen haben – zumindest in Form eines Teilgeständnisses. Immerhin aber von Ihnen abgezeichnet. Nehmen Sie des weiteren zur Kenntnis, daß sich dieses Teilgeständnis bei entsprechender Interpretation leicht zu einem umfassenden Geständnis ausbauen läßt.

Die Unterschrift ist mir vom Sheriff abgeluchst worden, unter falschen Vorzeichen. Ich habe gedacht, ich könnte mich damit aus der Affäre ziehn. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Keine angenehme Lage, so in der Klemme zu stecken zwischen einem oberschlauen Sheriff und einem Genickbrecher. Ich wollte nichts wie raus da. Konnte ja nicht ahnen, daß ich womöglich vom Regen in die Traufe gerate!

Sie haben nun mal Ihre Unterschrift geleistet. Für den Fall also, daß Sie wieder der Polizeibehörde überstellt werden, wartet auf Sie der Common Law Court. Wie dort das Urteil lauten wird, dürfte der Sheriff von Surrey hinreichend klargestellt haben. Er war es auch, der uns den Hinweis zukommen ließ, Sie stünden mit dem Rücken zur Wand. Falls Sie nicht hängen oder wortwörtlich den Kopf verlieren wollen, muß verhindert werden, daß Sie vor Gericht kommen. Wir haben Sie überstellen lassen, um gemeinsam mit Ihnen einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu suchen. Dabei wollen wir einvernehmlich vorgehen; wir sind nicht geneigt, Druckmittel anzuwenden. Wir deuten den Vorgang so: Sie haben mit Ihrem Teilgeständnis einen gewissen Schlußpunkt gesetzt, der zugleich Doppelpunkt ist, hinter dem sich neue Perspektiven eröffnen. In diesem Zusammenhang entsinnen wir uns der Dienste, die Sie vor wenigen Jahren der Krone geleistet haben, und bieten Ihnen die rettende Hand. Vorausgesetzt, Sie sind bereit, Gegenleistungen zu erbringen.

Darf ich mal die Frage stellen, wo ich mich hier überhaupt befinde?

Sehen Sie keinen Ansatz zu einer Antwort? Keine Erinnerung an frühere Aktivitäten?

Sie sprechen in Rätseln, Mister –

Nun, ich nehme an, im Verlauf unserer Gespräche wird Ihnen die eine oder andere Ihrer Aktivitäten schon noch einfallen, und damit eine Erklärung für die gegenwärtige Konstellation.

Sie machen es spannend ...

Das entspricht durchaus Ihrer Lage. Ich sage noch einmal, damit Sie ganz klar sehen, wovon auszugehen ist: Gesetzt den Fall, Sie kommen vor den Common Law Court, so werden Sie kurz darauf gehängt oder geköpft. Das ist so sicher wie das Amen in unserer Kirche. Noch einmal: Sie müssen dem Zugriff des Gerichts entzogen werden, sonst ist es um Sie geschehn. Dies setzt allerdings, wie schon angedeutet, Ihrerseits eine gewisse Bereitschaft voraus. Damit Sie sich innerlich darauf einstimmen, wird Sie »Jeremy«, unser Protokollführer, zu Ihrem Zimmer geleiten. Der Aufenthalt im Keller des Sheriffs von Surrey dürfte nicht sonderlich angenehm gewesen sein, jetzt sollen Sie erst mal zur Ruhe kommen. Das kann der Fortsetzung unseres Gesprächs nur dienlich sein. Ich unterbreche es für zwei Stunden. Solange sind Sie Gast im Hause; für Ihr leibliches Wohl wird gesorgt. Wir haben allerdings weder Kaninchenfrikassee noch Schwanenpastete zu bieten, Sie müssen sich eher mit Stockfisch und Salzgurke zufriedengeben – Sie sollen vom Nachdenken ja auch nicht abgelenkt werden ...

3

Als nächstes folgt in diesem Dossier die Stellungnahme von Ressortleiter Mountfelton zum Fall Marlowe, verfaßt mit der Intention, sich nach oben hin abzusichern mit Blick auf den weiteren Verlauf der Verhandlungen.

Gez. Jeremy

 

* * *

 

Im folgenden fasse ich Eindrücke und Erkenntnisse zusammen, die sich beim ersten Gespräch mit Christopher Marlowe ergeben haben. Ich formuliere folgende Ausführungen unter dem Gesichtspunkt: Wie weit ist der Kandidat geeignet zur Lösung unserer Aufgabenstellung? Welche Faktoren lassen sich als nutzbar herausarbeiten für die Erlangung seiner Bereitschaft? Von welcher Interessenlage können wir ausgehen?

Unsere Forderungen und Richtlinien erfüllen sich in diesem Fall durchaus: Daß der Kandidat geistig rege sein muß; daß er über Lebenserfahrung verfügt; daß er in der Lage ist, gegebene Instruktionen gewissenhaft umzusetzen; daß er selbständig erkennen kann, welche Erscheinungen relevant sind; daß er seine Erkenntnisse sachlich richtig zur Darstellung bringen kann; daß er bereit ist zur strikten Einhaltung der Konspiration.

Während des Studiums hat er dies durch seine Tätigkeit als Agent überzeugend unter Beweis gestellt. Marlowe war nach Reims entsandt worden, um relevante Interna über Sinnen und Trachten katholischer Studenten zu übermitteln, die unser Land verlassen hatten, um im neu gegründeten Jesuitenkolleg Theologie zu studieren, dabei eventuell Vorbereitungen treffend zur offiziellen Wiedereinführung der katholischen Religion und somit zum Sturz unserer Regierung. Seine Feststellungen und Beobachtungen übergab Marlowe vor Ort an »Secretary«, seinen damaligen Verbindungsmann; diese Berichte waren, unter dem Aspekt der Weiterleitung, mit dem Decknamen »Cornelius« unterzeichnet.

Obwohl folgende Tatbestände im Hause noch präsent geblieben sind, darf ich sie der Vollständigkeit halber kurz in Erinnerung rufen. Marlowe hat sich besonderes Verdienst erworben mit der frühzeitigen Meldung, ein Trupp junger Katholiken, ausgebildet und instruiert im Jesuitenkolleg, solle, unterstützt von einem Dutzend kampferprobter spanischer Soldaten, mit einer Galeere zur Ostküste Irlands verfrachtet und bei Bré, wenige Meilen südlich von Dún Laoghaire, eingeschleust werden. Die Soldaten hatten den Auftrag, einen Brückenkopf zu bilden und zu halten, auch als mögliche Retraite; die jungen Priester, allesamt zum Martyrium bereit, sollten ausschwärmen und irische Landesbewohner zum Kampf aufwiegeln gegen englische Siedler und Händler im Osten Irlands, speziell in Dublin und Umgebung. Gegenmaßnahmen unserer Seite konnten rechtzeitig eingeleitet werden, da auch diese Aktion von König Philipp im Alcázar oder Escorial geprüft, genehmigt und sein Plazet per Kurier übermittelt werden mußte. In der Zwischenzeit konnte ein Trupp in Dún Laoghaire ausgebootet werden und bei Bré einen Hinterhalt beziehen. Die Emigranten und Söldner gingen in die Falle und wurden zur Strecke gebracht – die »Rebhuhnjagd« von Bré. Danach stellte sich Erleichterung ein, doch wurden wir uns dringlicher denn je der ständig drohenden Gefahr seitens der katholischen Koalition bewußt, was wiederum Sinn und Notwendigkeit der Tätigkeit unseres Geheimen Dienstes bestätigte.

Durch den längeren Aufenthalt in Reims war Marlowe allerdings mit seinem Studium in Verzug geraten, und so weigerte sich der Rektor des Benet College zu Cambridge, ihn nach seiner Rückkehr zu graduieren.

Was die Entscheidung des Rektors in erheblichem Maße beeinflußte, war der Skandal, den Marlowe in Canterbury ausgelöst hatte. Marlowe unterhielt eine offenbar sodomitische Beziehung zu P., einem Musiker der Kathedrale. P. war indes verheiratet, war Vater zweier kleiner Töchter. Marlowe drängte darauf, daß P. sich von der Familie trennen und mit ihm eine große, womöglich jahrelange Reise unternehmen solle, sei es in unsere neue Kolonie Virginia, sei es in Asien, wo ihn geheimnisvolle Städte wie Persepolis oder Samarkand zu locken schienen. P., nach gravierendem Zerwürfnis mit seiner Frau seelisch äußerst belastet, erklärte, er wolle sich vom ebenso gewalttätigen Verhalten wie von den »verschrobenen Plänen« Marlowes nicht weiter verrückt machen lassen; er liebe »Kid« in der Tat, doch wenn es ihm nicht binnen einer Woche gelinge, sich wieder mit seiner Frau zu verständigen, schieße er sich »eins ins Maul«. Unter dieser Androhung kam es zu einer besonders heftigen Auseinandersetzung mit ausgesucht groben Beleidigungen von seiten Marlowes, die von P. freilich nicht mit Tätlichkeiten beantwortet wurden, vielmehr mit der Forderung, sich am nächsten Morgen einem Duell mit Degen zu stellen. Was von Marlowe prompt angenommen wurde.

Der Vorfall sprach sich in Canterbury rasch herum, die Familie Marlowes geriet in helle Aufregung. Mutter Joane machte »Kid« lautstark Vorhaltungen: Er wolle doch wohl nicht zum Mörder werden! Als sie merkte, daß dies beim ansonsten hellhörigen Sohn auf taube Ohren stieß, unternahm sie etwas Ungewöhnliches: Sie schrieb einen Brief an P., das heißt, sie bestimmte Tonlage und Inhalt des Schreibens, das ihr Gatte ausfertigte, Schuster und zugleich Kirchenschreiber. Man flehte P. an, auch im Namen dessen eigener Mutter, die Forderung zurückzunehmen. Eine der drei Töchter des Hauses mußte P. den Brief überbringen. Die Intervention war vergeblich, es erfolgte das Degenduell, das allerdings durch Einschreiten eines unserer Mitarbeiter zum rechten Zeitpunkt abgebrochen wurde.

Ich vermerke diesen Vorfall und Vorgang, weil hier eventuell ein Ansatzpunkt sein könnte für gezieltes Einwirken auf Marlowe, falls gewünschte oder geforderte Leistungen von ihm nicht erbracht werden: ein Schwachpunkt, an dem mit Aussicht auf Erfolg angesetzt werden könnte. Dies unter dem Aspekt, daß man bei uns im Hause keinerlei Verständnis für Marlowes geschlechtliche Fixierung hat, ja, daß jene Form der Pervertierung generell auf Ablehnung stößt. Könnte Marlowes getarnte Tätigkeit nicht weiterhin von Nutzen sein für unser Land, so hätte sein Hang zur Sodomie längst Folgen gehabt, und zwar einschneidend!

Ich fahre fort: Diskrete Intervention einiger Lords of Her Majesty’s Most Honourable Privy Council bewirkte, daß Marlowe trotz dieses Skandalfalls, trotz seiner lückenhaften Präsenz im College, trotz seiner nicht ausreichenden Leistungen zum Bachelor of Arts graduiert wurde – mit Blick auf seine (nur intern erwähnten) Verdienste für die Krone. Er ist sich dieser Intervention allerdings nicht bewußt. Auch nicht der Tatsache, daß wir die erste Aufführung seines Bühnenstücks »Tamerlan« diskret gefördert haben. Der große Erfolg zeitigte allerdings die Nebenwirkung, daß er seine Agententätigkeit für definitiv beendet hielt.

Da seine damalige Aufkündigung der Mitarbeit Einfluß haben dürfte auf die Methode, die Marlowe gegenüber zur Anwendung gelangen muß, auch hierzu eine kurzgefaßte Darstellung.

Nach rund anderthalb Jahren getarnter Beobachtung in Studentenkreisen kam es zu einem jähen Ende der kameradschaftlich-freundschaftlichen Verbindung mit »Secretary«. Einleitende Äußerung von Marlowe: »Ich weiß jetzt, wie das geht, so geht das aber nicht weiter.« Er weigerte sich, künftig auch nur eine einzige Äußerung eines der Studenten in Reims weiterzugeben und sei sie noch so unverfänglich. Er berief sich dabei (ziemlich überraschend, bei seinem Fach jedoch einigermaßen plausibel) auf Tugenden: Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit. Er sprach, in neuem Wortverständnis, von einem »Erweckungserlebnis« – als Erkenntnis der Folgen einiger seiner Mitteilungen an »Secretary«. Zwei Studenten waren daraufhin nämlich aus dem Jesuitenkolleg verschwunden – der eine konnte sich, nach rechtzeitiger Warnung, in die Bretagne absetzen, der andere wurde entführt, hier in London vor Gericht gestellt und abgeurteilt als Staatsfeind, bereit zu Umsturz von Kirche und Regierung. Mit derart gravierenden Folgen hatte Marlowe offenbar nicht gerechnet. Als ihm dieser Fall zu Ohren kam (eher in Form eines Gerüchts als eines Berichts), erfolgte eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Verbindungsmann. Der Hauptvorwurf lautete: Er, Marlowe, sei betrogen worden, niemand hätte ihm gesagt, daß ein Kommilitone gleich als Staatsfeind behandelt würde, nur weil der sich mal negativ geäußert habe, und dies eher fahrlässig. (Randnotiz: Die Folgen seines Hinweises auf die geplante Aktion bei Bré haben Marlowe offenbar nicht so sehr belastet – was auch dadurch zu erklären ist, daß er über den blutigen Verlauf der »Rebhuhnjagd« nicht näher informiert wurde.) »Secretary« forderte weitere Beobachtungs- und Ermittlungsberichte an, doch Marlowe leistete einen pathetischen Schwur: Nie mehr wolle er etwas mit derart »schmutzigen Geschäften« zu tun haben, nie mehr werde er sich »dazu hergeben«, derartige »Dienste« zu leisten. Als »Secretary« dieser Suada die weiterhin gültige Dienstverpflichtung entgegenhielt, kam es zu einem der notorischen Anfälle von Jähzorn und damit zu Tätlichkeiten, die von »Secretary« allerdings handfest beantwortet wurden.

Damit wurde eine Art Freundschaft beendet, die sich im Verlauf der Zusammenarbeit entwickelt hatte: gemeinsame Aufenthalte in Kneipen, gemeinsame Angelpartien, gemeinsamer Besuch von Theatern, und, wie es heißt, gemeinsamer Besuch auch eines Bordells (das übrigens von einem Theaterprinzipal geleitet wurde); es wird gemunkelt, Marlowe und »Secretary« hätten sich gelegentlich eine Frau »geteilt«. Vor diesem Hintergrund: In seiner Enttäuschung, ja Verletzung schwor »Secretary« Rache – die aber nicht vollzogen, sondern (in seiner Perspektive) auf Unbestimmt verschoben wurde. Marlowe gilt schließlich als gefährlich, wird im Jähzorn unberechenbar. Seine Härte läßt sich zum Teil auch dadurch erklären, daß man sich in der Theaterwelt nördlich wie südlich der Themse in oft sehr direktem Sinne durch-schlagen muß. Theaterwelt und Unterwelt sind auf vielfältige Weise liiert.

Ergänzend sei noch vermerkt: Marlowe gilt als herausragender Bühnenautor. Damit ergeben sich Einkünfte, die allerdings schwer zu bemessen sind – sie scheinen eher dem taktischen Geschick des Autors zu entsprechen als Regelungen unterworfen zu sein. Es hat den Anschein, als lebe Marlowe über seine Verhältnisse. Von seinem Vater (kinderreiche Familie eines kleinen Handwerkerbetriebs) wird er kaum (weitere) Zuwendungen erhoffen können. So sehe ich auch im materiellen Anreiz einen geeigneten Ansatzpunkt zum Versuch, ihn erneut an unser Organ zu binden.

Marlowes Bereitschaft zur Mitarbeit muß von Grund auf neu erwirkt werden. Die früher bestehende Zusammenarbeit (dazu per Handschlag verpflichtet als »Cornelius«), sie soll unter neuem Decknamen reaktiviert werden. Der voraussichtlich wirksamste Ansatzpunkt zeigt sich im Mordfall Bradley – hier kann und muß der Hebel angesetzt werden. Auf die Anwendung strafrechtlicher Maßnahmen soll verzichtet werden, falls Marlowe sich in freiwilliger Verpflichtung erneut zu ehrlicher Zusammenarbeit bereiterklärt.

Um mich in der politischen Einschätzung des Kandidaten abzusichern, habe ich ein Gutachten über ein Werk in Auftrag gegeben, das für unsere Erwägungen und Planungen aussagekräftig sein könnte.

David Murray Mountfelton

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Bei der in Auftrag gegebenen Begutachtung des vorgelegten Dramas muß ich von folgender Fragestellung ausgehen: Zeigt der Verfasser (unabhängig vom Niveau der Darstellung) Unsicherheiten in der erwünschten oder vorausgesetzten Grundhaltung, kommen unausgereifte Auffassungen zum Ausdruck oder werden womöglich fragwürdige Positionen vertreten? Es geht, um die Grundfrage zu präzisieren, darum, ob die Entwicklung des Verfassers positiv oder negativ verlaufen ist.

Unter diesen Prämissen erfolgt meine eingehende Prüfung. Sie setzt bereits an bei einer Abwägung des Titels: »Das Massaker von Paris.« Hier zeigt sich mit wünschenswerter Klarheit, daß der Pogrom gegen unsere französischen Glaubensbrüder als großangelegtes Verbrechen verstanden wird, das geahndet werden müßte. Das Wort »Massaker« impliziert weiterhin, daß die Opfer nicht im Kampf mit einem gleichwertigen Gegenüber ihr Leben verloren haben, daß vielmehr ein verabscheuungswürdiger Übergriff auf einen Teil der französischen Bevölkerung erfolgt ist. Das titelgebende Wort »Massaker« zeigt des weiteren an, daß es hier keine Form des Verstehens geben kann, die eine indirekte Annäherung an die Position des Feindes einschließen könnte. In einem Verstehen steckt schließlich, zumindest keimhaft angelegt, ein Vergeben. Davon kann angesichts der Klarheit der Titelgebung die Rede nicht sein.

Unter dieser erst einmal positiven Vorgabe erfolgt die penible, zugleich neutrale Lektüre des Dramas – eine Lesehaltung, die in meiner Position als königlicher Zensor unabdingbare Voraussetzung ist. Ich kann mit Fug und Recht erklären, daß ich geistigen Unrat, ja Unflat oft schon nach wenigen Zeilen zu riechen imstande bin, habe auf diese Weise versteckte Angriffe auf die segensreiche Regierung unserer Königin bereits in Ansätzen erkannt, habe sodann durch Hinweise an die zuständige Dienststelle notwendige Maßnahmen in die Wege geleitet. Dazu besteht hier jedoch kein Anlaß.

Da Sie, verehrte Kollegen des Royal Secret Service, auf prägnante Nachweise drängen, will ich das eine oder andere Detail des besagten Dramas hervorheben, in der sicheren Erwartung, daß Sie meine positive Einschätzung der Grundhaltung des Verfassers teilen werden. Wobei ich mich allerdings nicht verbürgen kann für gegenwärtiges oder künftiges Verhalten der Person als solcher – hier wirken bekanntlich viele Faktoren auf das Verhalten ein. Ich kann mich lediglich an den mir zugestellten Text halten.

Bevor ich den Befund im einzelnen erörtere, vorweg eine allgemeine Bemerkung: Marlowe hat gleichsam an den Ereignissen entlanggeschrieben, oder, anders formuliert: er hat mit ständigem Seitenblick auf das aktuelle Geschehen geschrieben. Kaum war Henry III von aufgehetzten Katholiken ermordet, wurde das Schauspiel mit der Ermordung Henrys beendet. Die Ereignisse und deren Gestaltung erfolgten also im selben Jahr. Das Stück ist freilich noch nicht zur Aufführung gelangt, möglicherweise, weil sich in dieser turbulenten Zeit andere Ereignisse in den Vordergrund geschoben haben – ich nenne nur unseren Sieg über die Armada.

Es ist uns gelungen, in den Besitz einer Abschrift des gut gehüteten Bühnentextes zu kommen, eines Textes, an den offenbar noch nicht die letzte Feile –

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Die Fortsetzung des Gutachtens ist verlorengegangen; der Text bricht mitten im Satz ab. Ich hege die Vermutung, daß Sir Walsingham die anschließenden Seiten des Gutachtens entfernt und vernichtet hat. Erstens hat er sich über die etwas eitle Selbstdarstellung des Zensors geärgert; zweitens hat er kollegiale Amtshilfe erwartet, statt dessen wurde das Elaborat von einer Geldforderung begleitet (»Für die Anfertigung eines Gutachtens über ... wurden 3 Pfund verausgabt; ich bitte um baldige Erstattung«); drittens schien ihm mit der Erörterung der Titelfrage bereits die erneute Gewinnung Marlowes als Agent gerechtfertigt.

Nach Abschluß des ersten (durch eine Pause unterbrochenen) Gesprächs sowie einer anschließenden zweitägigen Denk- und Verhandlungspause wurde die Verhandlung mit dem Adepten fortgesetzt, eingeleitet mit freundschaftlichem Hinweis auf dessen äußerst bedrohliche Lage. Nach den üblichen Präliminarien setzte »Monty« in Verfolg der (selbstverständlich mit dem Chef abgesprochenen) Zielsetzung wie folgt an.

Gez. Jer.

 

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Dämmert Ihnen so langsam, weshalb Sie hier sind und nicht weiterhin beim Sheriff von Surrey? Daß unsere Einladung keineswegs zufällig ist? Daß wir sehr wohl an einen Tisch, an diesen Tisch gehören?

Auf dem Ohr hör ich schlecht, Sir ...

Dann ist offenbar notwendig, Sie daran zu erinnern, daß bereits eine Form der Zusammenarbeit bestanden hat. Nicht mit diesem Hause, das dürfte für Sie bisher nur ein Name gewesen sein, aber Sie standen fast zwei Jahre lang in Kontakt mit »Secretary«, haben ihm wiederholt Bericht erstattet, und zwar durchaus erfolgreich, ich nenne nur das Stichwort Bré. Die daraus resultierende positive Einschätzung Ihrer Person bedingt unsere Einladung.

Sie meinen: Vorladung.

Nennen Sie es, wie Sie wollen, wir sind hier, um Übereinkunft zu erzielen. Sprich: Wir möchten die frühere Zusammenarbeit mit Ihnen fortsetzen, allerdings auf breiterer Basis.

Kommt nicht in Frage! Das Kapitel ist beendet, ein für allemal! Ich habe in Reims einen heiligen Eid geschworen: Mit mir nicht mehr! Nicht mehr mit mir! Auf keinen Fall mehr mit mir!

Und der Grund für dieses Nein?

Auch wenn ich mir damit eine Blöße gebe: Ich hatte – ja, ich hatte Angst. Die Angst, aufzufliegen, die Angst, entlarvt zu werden – mit den bekannten Folgen in solchen Fällen.