Hilfeschrei - Angelika Friedemann - E-Book

Hilfeschrei E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

In der Norderelbe werden missbrauchte Kinder tot aufgefunden, dazu noch zwei ermordete Männer. Daniel Briester und sein Team werden im Verlauf ihrer Ermittlun¬gen tief mit in die Arbeit gegen Kinderprostitution und gewerbsmäßigen Menschen-handel hineingezogen. Das ist aber nicht das einzige Problem, dass Daniel bewältigen muss. Wieder einmal kreuzt Sandra Larsen seinen Weg und er lässt sich auf eine Affäre mit ihr ein, nicht ahnend, was daraus entsteht. Ohne dass er es ahnt, wird er in einen Sog hineingezogen, der ihn verschlingen soll.

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Angelika Friedemann

Hilfeschrei

*

„Die Identifizierung des etwa 10 bis 12-jährigen Jungen konnte noch nicht erfolgen. Eine endgültige Bestätigung wird erst nach Auswertung der DNA vorliegen. Die Leiche wird obduziert. Zunächst gibt es keinerlei äußere Anzeichen, dass der Junge mittels einer Straftat ums Leben kam. Der Leichnam war fortgeschritten verwest, zeigte bereits Waschhautbildung. Die Liegezeit im Wasser wurde von Doktor Richter auf mindestens eine Woche geschätzt, aber mehr nach der Obduktion. Ich denke, dass wir es morgen Vormittag bekommen.“

„Trotzdem ist es ein Verbrechen, oder nicht? Es liegt schließlich keine Vermisstenmeldung vor.“

Daniel Briester, Leiter des Dezernats für Tötungsdelikte, sah die junge Kommissarin Lisa Schmitt an, nickte. „Das vermute ich. Selbst wenn das Kind von einem Schiff gefallen wäre, hätte man das normalerweise gemeldet. Ich habe um ein Foto gebeten, das wir noch heute mit dem entsprechenden Aufruf an die Medien geben. Lisa, darum kannst du dich kümmern.“

„Mach ich. Ich verstehe so etwas nicht. Wer tut einem Kind so etwas Abscheuliches an?“

„Noch wissen wir nichts. Verstehen kann ich es nicht, aber versteht man Mord überhaupt? Davon gehe ich aus.“

„Meine Schwiegermutter umzubringen, könnte ich verstehen“, gab Peter Sinner trocken zum Besten. „Seit drei Wochen hängt sie bei uns herum, nervt die ganze Familie, weiß alles besser, mischt sich überall ein. Meine Älteste hat mich gestern gefragt, ob Oma nie mehr gehen will. Sie würde nur nerven und sie ständig zum Ballettunterricht drängen.“

„Ich denke, sie spielt Fußball?“

„Eben darum, aber das ist kein Sport für Mädchen. Sie werden davon nur unweiblich, bekommen später deswegen keinen Mann und werden unfruchtbar, hat sie Kathrin erzählt. Anna schäumte vor Wut, Kathrin heulte und ich bin der Schuldige.“

„Schick sie in die Wüste, ohne Rückfahrkarte.“

Allgemeines Gelächter erfüllte den Raum, in dem die Besprechung an diesem Tag verspätet stattfand, da man am frühen Morgen die Leiche des Jungen gefunden hatte.

Es wurden noch andere Fälle besprochen und die Arbeiten verteilt, folgend gingen alle ihren Aufgaben nach.

Er selbst widmete sich einem Totschlag, der in der vergangenen Woche von einem Mann an seiner Frau erfolgt war. Mit Kommissar Jörg Rüttig fuhr er zu den beiden Kindern der Toten, welche, bei deren Schwester lebten. Man musste sie noch näher zu den ganzen Geschehnissen befragen. Der Ehemann und Tatverdächtige konnte sich, laut seiner eigenen Aussage an nichts erinnern. Kinder oder Jugendliche zu solchen Delikten befragen, waren etwas, dass Daniel ungern tat. Die Kinder hatten es schwer genug, dass zu verarbeiten und nun mussten sie allerlei Fragen über sich ergehen lassen. Die Tante hatte eine Befragung im Präsidium im Beisein von geschultem Personal strikt abgelehnt.

Frau Kramer empfing sie, erklärte, dass sie mit den beiden im Vorfeld darüber geredet hätte und sie wüssten, dass sie kämen. Etwas erleichtert atmete Daniel auf.

Das 12-jährige Mädchen und der 14-jährige Junge saßen wartend im Wohnzimmer.

Vorsichtig stellten sie ihre Fragen, aber die zwei antworteten mit relativ fester Stimme, gaben das Geschehen zum Besten. In der Ehe habe es seit Jahren nur Streit gegeben. Der Vater habe viel Alkohol getrunken und bisweilen eben zugeschlagen, berichteten sie. An jenem Tag sei der Streit eskaliert. Erst habe er seine Tochter angeschrien, folgend den Jungen geschlagen, worauf die Mutter dazwischen gegangen wäre. Als das Unglück selber passierte, waren die Kinder nicht mehr dabei gewesen, da die Mutter, weinend und schreiend, sie hinausgeschickt hätte. Erst als die Wohnungstür laut zugeknallt war, hatten sie sich aus Sebastians Zimmer getraut und die Mutter leblos auf dem Küchenboden vorgefunden. Sebastian hatte den Notruf angerufen, während sich seine Schwester um die Mutter gekümmert hatte. Sie hatte ihr einen nassen Lappen auf die Stirn gelegt, mit ihr gesprochen, aber diese habe sich nicht gerührt. Dass sie tot war, hatten sie erst später von einer Nachbarin erfahren, die sich der Geschwister angenommen hatte. Der Notarzt hatte die Nachbarin um Hilfe gebeten. Nun kullerten bei den Geschwistern die Tränen und Frau Kramer nahm sie in den Arm, tröstete sie liebevoll mit leisen Worten, zärtlichen Gesten.

Beim Hinausgehen hörten sie, dass die Geschwister in psychiatrischer Behandlung wären und die Familie die Kinder für immer bei sich aufnehmen wollte. Die Frage nach dem Vater, dem Schwager, stellte keiner.

Daniel goss gerade Kaffee ein, als Kriminalsekretärin Heidrun Müller in sein Büro trat. „Daniel, ich benötige einige Unterschriften.“

Sie legte ihm eine Mappe auf den Tisch. „Setz dich so lange. Möchtest du einen Kaffee?“

„Nein. Um diese Uhrzeit nicht mehr, sonst kann ich nicht schlafen.“

„Hin und wieder sehr schön“, grinste er die ältere Frau an.

„In deinem Alter vielleicht.“

„Na, so alt bist du nun auch noch nicht.“

Er las die Schreiben und zeichnete sie ab und reichte ihr wenig später die Mappe zurück.

„Ich mach das noch fertig, dann gehe ich. Schönes Wochenende.“

„Ja, dir ebenfalls und grüß deinen Mann. Ich muss morgen früh leider arbeiten.“

„Frau Doktor kann einen leidtun. Wann habt ihr Mal ein paar Tage frei?“

„Sie erträgt es mit einer Engelsgeduld. Montag fliegt sie für vierzehn Tage nach München zu einem Kongress. Ich komme später, da ich sie zum Flughafen fahre.“

Kaum war er allein, griff er zum Telefon und rief Jana an. „Ich hole dich in einer Stunde ab. Wir können wir essen gehen.“

„Kannst du morgen früh erledigen, da ich arbeiten muss. Wir haben einen neuen Fall.“

„Bis gleich. Ich freue mich.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen legte er auf, so wie es ihm immer ging, wenn er an sie dachte. Er griff nach der Akte Reickert, legte die bereits geschriebene Aussage der Geschwister dazu. Das würde zu Staatsanwalt Reimann gehen. Für sie war der Fall fast abgeschlossen.

Er klingelte und Jana Behrend trat aus ihrer Zahnarztpraxis. Daniel gab ihr einen Kuss. „Wo möchtest du essen?“

„Lass uns zu Giovanni gehen, sparen wir das Fahren.“

Sie überquerten die Fahrbahn und betraten das Lokal. Giovanni, der Inhaber, trat auf sie zu, begrüßte Jana mit Küsschen rechts und links.

„Buona sera, Bella. Du siehst umwerfend aus“, lächelte er Jana an.

Daniel hörte dem Geplänkel zu, hatte leicht die Stirn krausgezogen. Der Mann nervte ihn jedes Mal mit seinem Getue. Er grüßte kurz angebunden und suchte einen Tisch, während Jana mit dem Typ flirtete. Ihr Getue und ihre Angabe, weil sie ziemlich gut italienisch sprach, nervten ihn. Er wollte keine feste Beziehung zu ihr und sie versuchte mit diesen Spielchen, ihn in eine Ecke zu drängen. Dergleichen hatte er hinter sich, war mit seiner Ehe jämmerlich gescheitert und er hatte nicht die Absicht, das jemals zu wiederholen. Er wollte nur schöne Stunden und Sex mit ihr erleben, ohne weitere Konsequenzen und das wusste sie. Er hatte sprungweise den Eindruck, dass da mehr zwischen den beiden war und heute beschlich ihn das Gefühl, als wenn sie über ihn reden würden.

„Hast du schlechte Laune?“, erkundigte sie sich und sah ihn dabei lächelnd an, musterte sein Gesicht.

„Nein, eigentlich nicht.“ Er lenkte ab und sah in seine Karte. „Was möchtest du essen?“

Erst, als man ihre Bestellung aufgenommen hatte, erzählte er ihr von dem Kind. Er erzählte Jana meistens, welche Delikte er gerade bearbeitete. Es interessierte sie, wie er öfter leicht überrascht feststellte. Seine erste Frau oder seine bisherigen Freundinnen hatten das nie getan, eher im Gegenteil abgewunken, wenn er etwas über seine Arbeit geäußert hatte, außer Carola und Ilona. Aber das hatte andere Gründe.

Er blickte sie an. Die langen schwarzen Haare waren noch zu einem Zopf geflochten, dass ihr schmales Gesicht noch zarter wirken ließ. Große, leicht schräg gestellte braune Augen, lange schwarze Wimpern, hohen Wangenknochen, eine kleine Stupsnase und ein voller, gut geschwungener Mund. Wie meistens war sie ungeschminkt. Eine ungewöhnliche Schönheit dachte er. Nein, eine faszinierende Schönheit und ungewöhnliche Frau. So feminin, weich, sinnlich, verführerisch und natürlich.

„Was starrst du mich so an? Sehe ich so schlimm aus?“

Daniel blinzelte kurz. „Ich habe dich angesehen und gedacht, was für ein bezauberndes Wesen du bist. Du bist eine wahnsinnig erotische, feminine Latina.“ Meine Latina, dachte er weiter.

„Oh je, übertreibe nicht. So etwas sagt man nicht zu einem Verhältnis.“

Giovanni stellte die Getränke hin, die Vorspeise, sprach dabei wie meistens nur mit Jana.

Im Laufe des Abends genossen sie ihr Zusammensein, die Arbeit war vergessen, all die anderen Probleme, die ihn oftmals belasteten. In Janas Gegenwart konnte er abschalten, vergaß die kleinen und größeren Ärgernisse. Sie schenkte ihm Wärme, Geborgenheit, Harmonie, ohne dass ihr das bewusst war, und sie sprachen nie darüber. Das Thema Gefühle gab es in ihrer Beziehung nicht, obwohl sie allgegenwärtig waren. So wollte er es und sie richtete sich danach.

*

Kaum im Büro überflog er den Bericht, der auf seinem Schreibtisch lag.

Männlich, Alter: Schätzungsweise zehn, elf Jahre, weiß, Größe: 154 cm, Kopfumfang: ... Schuhgröße: ...

Guter allgemeiner Zustand ... was aus den Zähnen hervorgeht.

Genetisch - Geografische Herkunft: Europäer

Blutgruppe: A/B Rh LA/LB

Der Junge wurde erstickt ...

Im Rachenbereich Spuren von Federn, Watte

Nach Angaben der Rechtsmedizin ...

Entfernung des Blinddarms ...

Verletzungen im inneren Analbereich ...

Fischfraß im Bereich der Nase, Lippen ...

Das forensische - odontologische Gutachten ergab, dass der Tote in zahnmedizinischer Behandlung war.

Angaben zum Zahnstatus: Keine Karies, ein oder zwei Behandlungsmerkmale, normale Zahnstellung, Überbiss im Oberkiefer, Zahnfleisch infolge Skelettierung nicht beurteilbar, kein Zahnsteinansatz, keine Abkauung, Zahnfarbe sehr hell, auffällig sind die verkürzten Wurzeln der oberen mittleren Schneidezähne.

Fast kompletter Unterkiefer, regelmäßige Zahnstellung, keine Behandlungsmerkmale.

Zentraler Schneidezahn: Wurzel vollständig

Seitlicher Schneidezahn ...

Es folgten die einzelnen Zähne, der Zahnstatus sowie die Fotos dazu, dass immer wertvolle Hinweise waren, die man den Zahnärzten zukommen ließ und in entsprechenden Zeitungen veröffentlichte, besonders wenn man erkennen konnte, dass die Person beim Zahnarzt war.

„Merde!“, fluchte er, trank einen Schluck Kaffee.

Ergriff nach den Seiten, verließ sein Büro. „Ich habe den Bericht. Der Junge wurde missbraucht, und bevor man ihn in das Wasser verfrachtete, erstickt.“

Klaus Resser ergriff die Akte, las.

„Peter, gib sofort die Bilder der Zähne weiter, Lisa du kümmerst dich um den Blinddarm. Weshalb war heute im Tageblatt kein Foto?“

„Die Gerber sagte, es käme auf eine Innenseite.“

„Blöde Kuh“, schimpfte er.

„Sie ist eben nachtragend.“

„Vier Leute haben bereits angerufen, dass sie den Jungen erkannt haben. Vier verschiedene Namen und Adressen. Benno ist unterwegs“, berichtete Oberkommissar Klaus Resser.

Daniel nickte, das war nichts Neues.

„Lisa, rufe beim NDR an, dass sie das heute veröffentlichen, im Hinblick auf den Blinddarm und den Zähnen. Ich gehe zu Helbich. Mal sehen, ob die etwas Passendes haben. Der Junge muss ja in die Schule gegangen sein. Ergo müsste einem Lehrer auffallen, dass er fehlt. Udo, was macht das KTI? Ich möchte wissen, wessen Blut das ist. Tritt der Ulvers auf die Füße, mit schönem Gruß von mir.“

Er ergriff den Bericht und verließ das Büro, sprang rasch die Treppe hinunter und stand wenig später bei Rainer Helbich im Büro. Als er im Vorbeigehen Tim Garnerd sah, stellte sich augenblicklich die Erinnerung ein: Dieser Mann hatte sich kontinuierlich benutzen lassen, vertrauliche Informationen an diese Sandra Larsen zu geben, sogar in seiner Personalakte hatte er herumspioniert, hatte Jana und Carola durchleuchtet. Seitdem ignorierte er den Mann völlig.

„Moin. Rainer, ich habe etwas für dich. Lies, vielleicht kannst du mir helfen.“

„Setz dich. Der Junge aus der Zeitung?“

Daniel nickte, reichte dem zehn Jahre älteren Mann die Akte.

„Möchtest du einen Kaffee?“

„Nein, danke. Dein Gebräu schlägt mir immer auf den Magen.“

„Wem sagst du das, mir und nicht nur der.“ Er vertiefte sich in den Bericht.

Daniel betrachte die Bilder von einigen Kindern, welche an der Wand hingen, obwohl sein Toter nicht darunter war.

Er konnte solche Eltern nicht verstehen. Wie konnte man ein kleines Mädchen, das er gerade betrachtete, derart misshandeln? Sie sah niedlich aus und erinnerte ihn an Jana: Schwarze Haare, allerdings lockiger; braune, große Augen. Sie sollte Lächeln, sich freuen und nicht so traurig in die Welt schauen. Daneben das Gesicht eines Mädchens, das nur aus Augen zu bestehen schien. Blaue, große Augen, die ihn anstarrten, vorwurfsvoll. Das Kind war höchstens sechs, sieben, schätzte er.

„Hört sich nach sexuellem Missbrauch an.“

„Denke ich ebenfalls oder nach perverser Misshandlung.“

„Eher Ersteres, sonst wären noch andere Spuren gewesen. Habt ihr im Internet geforscht?“

„Nein, ist noch ganz frisch.“

„Warte.“ Er stand auf, öffnete die Tür. „Garnerd, such nach dem Jungen aus der Zeitung“, brüllte er durch den großen Raum, schloss die Tür laut. „Wir durchforsten gerade die Seiten, da wir von einem Kinderarzt einen Hinweis bekommen haben. Angeblich hat der auf so einer Seite eine Patientin entdeckt.“

„Ein Kinderarzt sieht Seiten mit Kinderpornos an? Pervers!“

„Wie er sagte, ist er rein zufällig darauf gestoßen und hat es als braver Bürger sofort gemeldet.“

„Und holt sich rein zufällig dabei, einen runter. Ekelhaft. Zuweilen denke ich, die Menschen werden fortgesetzt bescheuerter, abartiger.“

„Langeweile, Überfluss. Dem Herrn Doktor werden wir einen Hausbesuch abstatten, obwohl er das nicht weiß. Momentan gehen wir zunächst dem Anhaltspunkt nach, wiegen ihn ein bisschen in Sicherheit.“

„Weiß der Herr Kinderarzt nicht, dass die Verbreitung, Erwerb und Besitz von pornografischen Schriften strafbar ist?“

„Er ist ja ganz zufällig darauf gestoßen.“

„Wie stößt man darauf zufällig? Machen sie Werbung wie ein Versandhaus?“

„So ungefähr will er uns weismachen. Nicht nur ein perverses Monster, sondern blöd. Jetzt gehen wir dem Kind aus seiner Praxis nach. Etwas Anstand und Denkvermögen scheint er noch zu haben, dass er es meldet.“

„Deinen Job möchte ich nicht geschenkt haben. Ich glaube, ich müsste ständig ... na ja, du weißt schon.“

„Gewohnheit, obwohl selbst mir noch hin und wieder schlecht wird. Dann möchte ich mit dieser Chose nichts mehr zu tun haben. Nur aus dem Hintergrund eines ständig steigenden internationalen Armutsgefälles und dadurch wachsender Migration bilden sich in den Nischen der vermeintlich modernen Gesellschaft kriminelle Strukturen heraus, mit neuen, profitablen Märkten: gesetzwidrige Adoptionen, Kinderpornografie oder eben der Handel mit Kindern zur Ausbeutung unrechtmäßiger Einkommensformen. In der Regel, wenn nicht immer, geschieht dies über Eltern, Familienmitglied, Lehrer, Vormund. Es ist zum Kotzen, aber man muss dagegen vorgehen. Das richtet uns erneut auf.“

Er lehnte sich in seinem Stuhl weit zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, legte die Beine auf die Schreibtischkante.

„Am Bestimmungsort wird das Kind durch Zwang oder Täuschung in ausbeuterischen und von Missbräuchen charakterisierten Tätigkeiten beschäftigt. Kinder scheinen eine beliebte Ware zu werden. Früher waren es nur junge Frauen, aber heute sind es Kinder. Tendenz stark steigend. Europol hat Listen von Internetadressen, von Kindern, die keiner kennt und täglich kommen neue hinzu. Die Dunkelziffer unbekannt. Weißt du“, er strich durch seine Haare, sah Daniel mit müdem Blick an. „Jeder Fall umfasst gleichzeitig den Straftatbestand des Menschenhandels, Urkundenfälschung, Schleusung, Zuhälterei und Förderung der Prostitution oder etwa des Trickdiebstahls, Passvergehens, illegale Einreise. Verstöße gegen das Ausländerrecht. Fälle von Handel mit Kindern könnten somit in verschiedene Delikte zerlegt werden. Mühsame Kleinarbeit, bis du was findest.“

„Perverse Kerle, aber gehen wir arbeiten, damit wenigstens ein paar Irre von der Straße kommen. Sage mir Bescheid, falls ihr etwas findet. Ich werde Lucas noch daransetzen. Er verkraftet das wahrscheinlich am besten.“

„Und Lisa?“

„Sehr gut. Keine Allüren mehr, nichts. Ich denke, sie hat Angst, dass sie zu dir muss“, lächelte er.

„Das war nichts für sie. Da musst du abgebrühter sein und kannst nicht jedes Mal heulen. Kein Job für Frauen. Da gibt es, glaube ich, nur wenige, die das länger ertragen.“

„Ich kann es verstehen. Bis dann.“

Mit der Akte in der Hand betrat er sein Büro.

Die nächsten Stunden kehrte der übliche Alltag bei ihm ein, der immer von einem Mitarbeiter unterbrochen wurde, der ihm Neues berichtete.

Er sah auf die Uhr und erschrak. Bereits vor einer Stunde wollte er in seiner Wohnung sein. Er räumte schnell die Papiere weg, legte seiner Sekretärin ein Band auf den Schreibtisch, ergriff seine Jacke und fuhr nach Hause.

Jana saß vor ihrem Laptop und arbeitete, neben ihr liegend eine Tüte Gummibärchen.

„Entschuldige, ich habe die Zeit vergessen.“

„Kenne ich ja“, lächelte sie und erhob sich. „Wir können essen.“

Daniel gab ihr einen Kuss, ging Hände waschen.

„Schon etwas Neues?“

„Wenig, der Junge wurde anscheinend missbraucht.“

„Ein 10-jähriges Kind? Anomal!“

„Wie können Eltern so etwas dulden? Ich verstehe das nicht.“

„Geld, denke ich oder perverse Veranlagung. Passt er nicht zu einem Vermissten?“

„Bisher negativ, obwohl von einigen Ländern fehlt noch das Echo. Ich habe dir ein Zahnbild mitgebracht. Ich bin froh, dass ich kein Kind habe.“

Jana erwiderte nichts und das hatte er auch nicht erwartet. Er wusste, dass sie welche ersehnte, das hatte sie ihm am Anfang mitgeteilt. Er dagegen nicht, das war klar, schließlich hatte er sich aus diesem Grund sterilisieren lassen. Irgendwann würden sich deswegen ihre Wege trennen. Die Beziehung auf Zeit wäre vorbei. Abermals spürte er, wie ihn der Gedanke schmerzte, aber er wünschte es so. Nie etwas Festes. Das hatte er einmal gemacht und das reichte. Den Fehler würde er bestimmt kein zweites Mal begehen, zu schmerzlich war damals die Trennung für ihn gewesen. Deswegen nur lockere Beziehungen, obwohl er wusste, dass es mit Jana anders war, ganz anders. Sie kannte jedoch seine Einstellung und würde irgendwann einen Mann finden, mit dem sie eine Familie gründete. Für ihn würde die nächste Frau kommen. Er hoffte, dass bis dahin noch viel Zeit vergehen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie nicht mehr da war. Den Schmerz spürte er bereits allein bei dem Gedanken, deswegen überlegte er hin und wieder, ob man es nicht beenden sollte, nur damit seine Gefühle für sie nicht noch intensiver wurden. Irgendwie benötigte er sie. Sie gab ihm alles: Wärme, Ruhe, Inspiration, Harmonie. Trotzdem – nie mehr.

*

Sandra Larsen hatte sich umgezogen und ihre schulterlangen, blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Die Ohrringe, in Form eines Mondes, baumelten lustig an ihren Ohren. Sie drehte sich vor dem Spiegel, da hörte sie die Türklingel. Sie verabschiedete sich kurz angebunden von Nina und Thies, ihren Zwillingen, winkte Monika, der Hausangestellten zu und eilte zum Aufzug.

Till und Marion saßen im Wagen und schnell stieg sie ein. „Entschuldigt, aber wie immer, bin ich erst in der letzten Minute fertig geworden. Viel zu tun.“

Till fädelte in den Verkehr ein, während sie sich richtig hinsetzte.

„Was macht deine Bande?“

„Unfug, wie immer. Heute habe ich sie aus der Kita geholt und dort einen völlig verstörten Jungen beruhigen müssen. Irgendwie merkwürdig. Er hat sich umgezogen, da habe ich lauter blaue Flecke auf seinem Rücken gesehen. Ich werde der Sache nachgehen. Thies hat mir später erzählt, dass der Kleine ein ruhiger Zeitgenosse ist, kaum redet und nie lacht.“

„Du witterst etwas?“

„Irgendwie schon, aber lassen wir das heute. Keine Arbeit mehr.“

Auf dem Parkplatz standen bereits jede Menge Autos.

Marion hakte sich bei ihr unter, als wenn sie Sorge hätte, dass sie im letzten Moment weglaufen würde. Überall waren Tische verteilt, viele Leute tummelten sich bereits in den Straßen und am Elbufer.

Sandra war froh, dass sie mitgegangen war. Die gelöste Stimmung zu sehen, das vereinzelte Lachen zu hören, gefiel ihr.

Till Keitler balancierte Sektgläser und reichte ihr eins.

„Etwas zu trinken.“ Er sah sie emotionslos an und Sandra spürte Zorn in sich. Sie wusste, dass das Paar sie nur mitnahm, weil Marion das angeleiert hatte. Die konnte sie immer auf ihre Seite ziehen und die merkte es nicht einmal. Ein bisschen dumm, aber dafür nützlich. Sie war hier, und der Abend würde bestimmt nett werden, zumal sie kein Geld für dieses Vergnügen benötigte. Das war der eigentliche Grund gewesen, dass sie Marion überredet hatte, sie heute Abend einzuladen. Sie brauchte dringend Geld und Till musste ihr helfen. Aber das schob sie nach hinten. Später.

„Ich glaube, ihr beide habt recht. Nur mit meinen Süßen und der Arbeit kann es mitunter eintönig sein.“ Sie prostete ihren ehemaligen Freunden zu. „Es ist wirklich ...“

„Was macht die bei euch?“ Heike Feldmann sah sie erstaunt, aber erbost an, verkniff nur mühsam ihren Unmut. Von der einstigen Freundschaft war nichts mehr übrig geblieben. Sie nahmen sie in Kauf, schließlich war sie die Patentochter ihres Vaters, aber besonders wegen der Zwillinge. Trotz allem war Sandra eine liebevolle Mutter und man unternahm oft gemeinsam etwas mit den Kindern. Bastian, ihr Mann ignorierte Sandra, wandte sich an Till, seinen Schwager. „Habt ihr sie mitgebracht?“

„Marion hat das ausgeheckt. Ignorier sie, so wie ich es tue. Ich will mir nicht den Abend verderben lassen. Endlich hat man kein Kindergeschrei, sie.“ Man hörte ihm seine Verärgerung an.

„Hallo, Sandra. Du bist anwesend?“

„Rainer, du kennst Marion, sie hat mich mehr oder weniger mitgeschleift“, flirtete sie mit ihm, bemerkte, wie er sie musterte, und zog leicht die Stirn kraus. Blödmann dachte sie. Er kapiert nie, dass ich mich nie mit so einem Loser einlassen würde. Für Sekunden sah sie einen anderen Mann vor Augen: Frank, ihre erste große Liebe.

„Nett, dich wiederzusehen. Wollen wir tanzen?“ Sie lächelte und er schmolz dahin, wie sie mit Genugtuung beobachtete. Wo seine Schnepfe wohl heute Abend war? Aber umso besser. So konnte er wenigstens für sie bezahlen.

Die Abenddämmerung ging in die dunkle Nacht über. Jetzt loderten lustig, in einigen Abständen, drei große Feuer hoch, deren Funken in die Nachtluft stoben und verglimmten. Zusätzliche Fackeln flackerten, dass dem allen einen schönen Glanz und einen romantischen Touch gab. Überall sah man vergnügte, lachende Menschen, Kinder, die um die Feuer herumsprangen. Selbst der Himmel hatte die leichte rötliche Farbe der Flammen angenommen.

Sandra hatte getanzt, den Fisch probiert und spazierte allein zum Wasser, ihre Schuhe in der Hand haltend. Sie spürte das immer noch warme Gras unter den Füßen und sie fühlte sich so richtig wohl. Sie hatte geflirtet, etwas, was sie gern tat. Es zeigte ihr, dass die Männer auf sie flogen. Der eine Typ hatte vielversprechend ausgesehen und wie er sie ansah. Was er wohl für einen Beruf hatte? Aber die Klamotten sahen nicht unbedingt billig aus.

Zufrieden schaute sie nach oben, sah den klaren Himmel über sich, mit Hunderten von Sternen und in der Ferne leuchtete der Mond, der sich im Wasser widerspiegelte. Ach, es war herrlich. Tief atmete sie frische Luft ein und schaute sich um und sah, wie weit sie von den Feuern entfernt war. Es war noch angenehm mild an diesem letzten Septemberabend.

Langsam schlenderte sie zurück, immer ihren Blick auf das dunkle Wasser der Elbe gerichtet. Schließlich setzte sie sich in das Gras, zog die Beine an und legte ihre Arme darum. Sie mochte noch ein wenig die Ruhe genießen, und dem leisen Rollen der Wellen zuhören, die gegen die Mauer plätscherten, bevor sie sich in das fröhliche Getümmel stürzte. Ach, das Leben war herrlich. Heute wollte sie sich amüsieren.

„Gefällt dir das Fest nicht?“

Sandra schaute erstaunt nach oben und erschrak. Schnell sprang sie hoch. „Daniel Briester. Was machst du hier?“, fragte sie kalt, dass ihn verwunderte.

„Ruhe tanken. Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Ich wollte nur ein wenig die Stille genießen.“ Sie drehte sich von ihm weg und schlüpfte in ihre Schuhe. Er wartete, bis sie fertig war, und ging an ihrer Seite zurück. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihre Gefühle für ihn waren wie immer zweigeteilt. Auf der einen Seite begehrte sie ihn, auf der anderen Seite hasste sie keinen Menschen mehr, als gerade ihn.

„Was machen die Toten, oder hast du alle Verbrecher inzwischen geschnappt?“

„Leider nicht, aber das weißt du wahrscheinlich. Nett dich zu sehen.“

„Ach, ja? Warum?“

„Du bist immer so schön aggressiv“, lachte er.

Er sah sie an. Das schmale Gesicht, strahlendblauen Augen mit den langen schwarzen Wimpern und vollen Lippen. Ihr Körper mit den weichen Rundungen. Leicht roch er das Odeur ihres Parfums, ein Hauch Orient, schwirrte es ihm durch den Sinn.

An den Feuern angekommen, schaute sie nach ihren Bekannten.

„Tanzt du mit mir?“

„Was, du kannst tanzen? Na schön, einmal kann ich es ja probieren. Aber tritt mir nicht zu oft auf die Füße“, scherzte sie, aber der Ausdruck in ihrem Gesicht blieb ernst. Er hatte eher vermutet, dass sie sich freute, ihn zu sehen, aber er fühlte nur Abneigung.

„Werde es versuchen.“

Er zog sie in den Arm, fühlte ihren warmen Körper an seinem und die Erinnerungen krochen in ihm hoch. Vier Jahre war es her, dieses eine Mal.

Sie schien schlanker geworden zu sein, registrierte er automatisch, als er sie nun im Arm hielt. Als er sie fester an sich drücke, stemmte sie sich dagegen und er lockerte seinen Griff.

Sie tanzten noch nach einem weiteren Lied. Er roch den Duft ihrer Haare. Pfirsich dachte er.

Die Musik war beendet und sie löste sich von ihm. „Leb wohl. Ich möchte zu meinen Freunden.“

„Adieu.“ Schon war sie im Getümmel verschwunden.

Daniel hatte das Fest früher verlassen, als geplant. Er beliebte, allein zu sein. Irgendwie hatte ihn Sandra heute Abend aus dem Gleichgewicht gebracht. So setzte er sich auf die Terrasse und sah zu dem klaren Himmel empor, wo man vereinzelte Sterne erkannte. Immer sah er aber Sandra vor sich, dieses Energiebündel von Frau, die so hysterisch reagieren konnte und weinen wie ein Kind. Sie war so ungestüm, voller Elan, sprühte vor Leben.

Da war die andere Seite von ihr. Die kalte, egoistische, kriminelle Person, die andere verprügelte, Menschen, die sie nicht mochte, anschrie, wüst beschimpfte und selbst vor Verleumdungen nicht haltmachte. Er hatte das am eigenen Leib gespürt, wie sie sein konnte.

Heute hatte sie so weich in seinen Armen gelegen. Vielleicht hatte sie sich ja im letzten Jahr geändert? Sie hatte wohl seinerzeit eine Therapie gemacht und anscheinend hatte das geholfen. Sie hatte außerdem Kinder und die hatten sie bestimmt verändert.

Dann verdrängte er die Gedanken an sie. Morgen würde Jana zurückkommen und wahrscheinlich war er deswegen so empfänglich für eine andere Frau gewesen. Sie hatte ihm in den letzten zwei Wochen gefehlt, so wie es immer war, wenn sie nicht da war.

Sie waren über ein Jahr zusammen. So lange hatte er es noch nie mit einer Frau ausgehalten, außer mit seiner Ex-Frau.

Mit Jana war es anders. Ihrer wurde er nie überdrüssig, ganz im Gegenteil. Jana strahlte stets eine Weiblichkeit, Sinnlichkeit, aus, die ihn immer aufs Neue faszinierte. Sie war so sanft, so warmherzig, dabei hatte sie einen scharfen Verstand. Sie hatte inzwischen eine gut florierende Zahnarztpraxis, stand fest auf eigenen Füßen, auch wenn sie gerade einen finanziellen Engpass hatte. Selbst ihre kleinen Ausraster waren schnell verschwunden und er wusste, dass sie oftmals viel Stress hatte, und da konnte es mal zu einem lauten Wort kommen.

Wieder einmal durchströmte ihn das warme Gefühl für sie, das ihn ganz ausfüllte. Obwohl er es nicht gern eingestand, aber er liebte diese Frau, bisweilen so sehr, dass es schmerzte. Sie war seit Langem mehr, als eine Geliebte, eine Affäre, ein Verhältnis. Eigentlich war es vom ersten Tag an anders gewesen. Seit er sie das erste Mal auf dieser Vernissage gesehen hatte, war sie in seinem Kopf gewesen und seitdem gab es keine andere Frau mehr. Es gab nur Jana.

Nein, sagte er sich, das wird nie passieren. Nach der Trennung von Petra, seiner Ex-Frau, hatte er monatelang darunter gelitten, hatte Depressionen gehabt und das wollte er nicht nochmals erleben. Es würde nie eine Frau geben, die mehr von ihm bekam. Er würde nie einer Frau die Möglichkeit geben, ihn zu belügen und zu betrügen, nur weil sie habgierig war und das Geld seines Vaters, Großvaters wollte. Vielleicht, überlegte er, war es Zeit, sich von Jana zu trennen. Es war eng, zu innig. Er wusste, wie sehr sie ihm fehlte, aber besser jetzt, als zu spät und bald stand die Trennung sowieso bevor. Jana wollte Kinder, eine Familie und dass würde sie nie mit ihm haben, nie von ihm bekommen. Für einen Augenblick sah er Sandra vor Augen.

Er schüttelte den Kopf, stand auf, ging hinein, sich auf den morgigen Tag freuend, wenn er Jana im Arm halten konnte.

Nach einer Weile griff er zum Telefon und hörte wenig später ihre warme, sanfte Stimme. Er lächelte leicht vor sich hin, während er sich vorstellte, wie sie auf dem Bett in dem Hotelzimmer lag und mit ihm telefonierte. Wahrscheinlich spielte sie mit einer Strähne ihrer langen, schwarzen Haare, vor sich hin lächelnd, die schokoladenbraunen Augen funkelten. Sie erzählte ihm, dass sie mit Kollegen im Restaurant waren, und sofort war er alarmiert.

„Junge Kollegen?“

„Was meinst du?“

Er hörte ihrem Tonfall an, dass sie die Frage überraschte. „Wie alt die sind?“

„Keine Ahnung, so von dreißig bis fünfzig. Wieso fragst du? Was ist daran so wichtig?“

„Sind sie nett? Magst du einen davon besonders gut leiden?“

Für einen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende. „Was soll das? Hältst du mich für eine Prostituierte, die mit jedem ins Bett geht?“, fragte sie aggressiv und die Verbindung war unterbrochen. Sie hatte ihn weggedrückt. Daniel fluchte leise, wählte abermals.

„Jana, so war das nicht gemeint. Ich war nur neugierig, aber es ist ja egal. Du könntest nie als Prostituierte arbeiten, weil dich der erste Mann mit nach Hause nimmt.“

Er lauschte ihrem Lachen, wusste, dass die Missstimmung vorbei war.

„Du bist unmöglich, mein Schatz. Ich ...“ Sie machte kurz Pause, räusperte sich. „Ich mach Schluss, gehe mich duschen und schlafen, allein übrigens. Bis morgen.“

Er legte das Telefon beiseite. Er ahnte, nein, wusste, was sie sagen wollte. Er wusste es seit Längerem, trotzdem sprachen sie nie darüber, obwohl es Jana hin und wieder herausrutschte. Adäquat seinen Vorstellungen hatte er sie am Anfang darüber informiert, dass er nur ein Verhältnis für einige Zeit anstrebte, nie mehr und daran hielt sie sich, obwohl das für sie bestimmt nicht einfach war, und sie forderte bisweilen deswegen mehr von ihm. Er meckerte sie deshalb aus seiner Angst heraus an. Die Angst, dass ihr Verhältnis zu intensiv wurde. Trotz allem wollte er sie nicht verlieren. Oftmals, wenn seine Gefühle ihn zu übermannten, machte er ihr klar, was sie für ihn war, nämlich nur eine Frau für Sex. All das bereute er hinterher, aber er konnte aus seiner Haut nicht heraus. Carola hatte ihm einmal gesagt, du gehörst in psychologische Behandlung. Deine gespielte Gleichgültigkeit ist anormal. Du musst das Kapitel deiner gescheiterten Ehe schließen. Damals hatte er das barsch von sich gewiesen. Es sei lange geschlossen und nur ganz selten gestand er sich ein, dass es nicht der Fall war. Es war genauso wenig geschlossen, wie das Kapitel seiner verkorksten Kindheit. Eventuell hingen diese beiden Kapitel seines Lebens auch enger zusammen, waren verknüpft. War seine Ehe gescheitert, weil er einen Knacks in seiner Kindheit wegbekommen hatte? Die Betroffenen bemerkten es nie selbst, sondern das nahm nur ihr Umfeld wahr.

Blödsinn! Jana war ein ganz anderer Typ als seine Ex-Frau. Sie war sehr behütet und umsorgt aufgewachsen, in einem streng katholischen Elternhaus. Selbst während des Studiums wurde sie ständig von den Eltern, ihrem älteren Bruder Rafael überwacht und kontrolliert. Nach dem Unfalltod ihres damaligen Verlobten hatte besonders Roberto Behrend, ihr Vater, versucht, sie nach Hause zu holen, aber sie hatte sich geweigert. Zwei Jahre später hatte er sie kennengelernt. Inzwischen wartete die Familie Behrend vermutlich darauf, dass eine feste Verbindung zwischen Jana und ihm bevorstand. Nur die würde es nie geben.

Daheim schleuderte Sandra Stunden später wütend ihre Schuhe von den Füßen. Der Abend war ein reines Fiasko gewesen. Dieser Typ war verheiratet und baggerte sie an. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir das Theater erspart. Till, der blöde Kerl, hatte sie heruntergeputzt, nur weil sie ein paar Tausend Mark wollte. Dabei wusste der genau, wie nötig sie das Geld brauchte. Sie war seit Monaten mit der Ratenzahlung für die Wohnung in Verzug und die Bank hatte bereits gedroht, ihr diese wegzunehmen. Wegen der paar Kröten. Diese blöden Typen. Sie würden ja ihr mieses Geld bekommen. Sie grübelte, wenn sie noch anpumpen konnte. Helmut kam nicht infrage, obwohl der ihr sofort helfen würde. Nur gerade von ihm wollte sie kein Geld. Dabei wäre sie sich zu billig vorgekommen.

Plötzlich fiel ihr Daniel Briester ein. Sie setzte sich und ließ ihre Gedanken um den Mann kreisen. Er war ein interessanter Mann, ein sehr interessanter. Jetzt war der alte Hass da. All die Dinge fielen ihr ein, die er ihr angetan hatte. Erst hatte er sie benutzt, danach weggeschoben. Er hatte sie verhöhnt, sie zermürbt, angeschrien, beleidigt, verleumdet, gedemütigt. Ja, da war noch eine Rechnung offen und dieses Mal würde er sie bezahlen. Sie hatte öfter überlegt, wie sie ihn zufällig treffen könnte und einige Versuche scheiterten, da er oftmals in Begleitung dieser Zahnärztin war. Aber heute hatte ihr der Zufall geholfen und dass würde sie nutzen. Ob er noch mit der Behrend zusammen war? Sie grübelte. Bestimmt sogar. Sie sah das Paar vor sich, wie verliebt sie sich angesehen hatten. Umso besser. Ich werde ihn über diese Person zerstören. Einen weiteren Verlust einer geliebten Frau würde der labile Typ nicht verkraften. Damals war er am Boden zerstört gewesen und dieses Mal würde es schlimmer werden. Mit der Zahnärztin hatte sie sowieso noch eine Rechnung offen. Wegen der hatte sie reichlich Ärger mit Claus und Helmut gehabt. Diese Behrend hatte sie damals verhöhnt, sich über sie lustig gemacht. Das tat man nicht ungestraft mit einer Sandra Larsen, aber dafür würde diese Person zahlen und ... für den Tod von Felix. Ihre Gedanken wanderten zu dem jungen Staatsanwalt, dessen Verlobten, dem Baby, Mia, Volker und nun kullerten die Tränen.

*

Daniel hatte lange geschlafen, gefrühstückt und kleidete sich an, da er Jana vom Flughafen abholen wollte. Er pfiff zur Musik, war voller Vorfreude. Das Telefon klingelte und er zog den Apparat aus der Ladestation, erstarrte, wenig später und alle Freude war augenblicklich verschwunden.

„Ja, ich komme, halbe Stunde schätze ich.“

Er suchte seine Sachen zusammen und fuhr los, gedanklich bei dem, dass er gehört hatte. Man hatte am Elbufer ein totes Mädchen gefunden. Spaziergänger hatten den kleinen Körper im Schilf entdeckt.

Feuerwehrleute bargen gerade die Tote. Doktor Samuel Richter, der Rechtsmediziner traf ein, grüßte kurz, hockte sich neben dem Kind nieder.

„Sie ist bereits vor mehreren Wochen gestorben.“

Daniel beugte sich hinunter. Die teilweise skelettierte, von Fischen angefressene, nackte Leiche hatte offenbar lange im Wasser gelegen und war nur durch das Absinken des Wasserspiegels sichtbar geworden.

„Gewaltsamer Tod?“

„Bin ich Hellseher? Auf jeden Fall Arbeit für dich. Könnt ihr eure Toten nicht an einem Montag finden? Ich habe heute meinen zwanzigsten Hochzeitstag und als Überraschung hatte ich mir etwas Schöneres vorgestellt.“

„Meinst du, mir geht es besser? Ich wollte in einer halben Stunde am Flughafen sein und meine Freundin abholen. Mein Wochenende hatte ich mir ebenfalls anders ausgemalt. Das zweite tote Kind in diesem Monat. Hoffentlich gibt es davon nicht noch mehr?“

„Wisst ihr schon, wer er war?“

„Nein, zig Hinweise, aber nichts Greifbares.“

„Ich schätze sie auf zwölf, dreizehn, anhand der Größe. Sie hat was am Kopf, könnte von einem Schlag kommen, aber die Todesursache und der Zeitpunkt später. Komm mich am Montag besuchen, da habe ich etwas Exzellentes für dich?“

„Was? Blut? Eine besondere Leiche?“

„Dösbaddel. Wein. Der hat eine ganz besondere, sehr prägnante Trinkreife. Durch Lagerung des Weines wird die Trinkreife erreicht. Dieser Vorgang wird durch Sauerstoff gefördert, weshalb der Ausbau von tanninstarken Weinen in kleinen Barriques mit großem Volumenverhältnis und entsprechend starker Sauerstoffaufnahme erfolgt. Wenn dies nicht reicht, kann dem Wein weiterer Sauerstoff zugeführt werden. Bei tanninstarken Weinen, beispielsweise aus Syrah, Mourvédre oder Sauvignon ist dennoch anschließend eine langjährige Flaschenreife zur weiteren Minderung die Adstringenz notwendig. Hierzu reicht der Sauerstoff im Gasraum der Flasche. Tannin wird aus vor allem neuen Barriques auf Wein übertragen, wenn diese nicht weingrün gemacht wurden. Der Gehalt an Tanninen und ihre Struktur sind ein ausschlaggebender Faktor für die Qualität eines Weines. Oft wird irrtümlich angenommen, dass insbesondere Rotweine abhängig vom Tanningehalt länger oder weniger lange haltbar sind. Es verleiht dem Wein eine charakteristisch raue Note von Trockenheit, die Adstringenz bei Rotwein“, dozierte er, was er zu gern machte, besonders wenn er einen Leichnam vor sich liegen hatte. Da war er nicht mehr zu bremsen. „Ein 75er. Rubinrot, dickflüssig und ein Geschmack ...“ Er fabrizierte ein leises schmatzendes Geräusch, als wenn er kosten würde. „Danach willst du nie wieder etwas anderes trinken. Sechs Boddel habe ich für dich abgestaubt. Kostet dich allerdings eine Kleinigkeit, aber ist er wert.“

„Samuel, du bist eiskalt. Hört sich freilich gut an und hebt meine schlechte Laune. Wo hast du ihn her?“

„Geheimnis. Ich habe mir zehn Kisten schicken lassen. Gibt nicht mehr viel davon. Aber sie haben da noch 86er der gleichen Sorte. Ist nicht zu verachten. Probiere ihn erst. Ich schenke dir eine Flasche 86er, wenn du artig bist“, griente er verschmitzt.

„Bin ich immer“, konterte Daniel grinsend.

„Ihr beide könnt bei dem Anblick über Wein labern? Abartig!“

„Wat mut, dat mut Georg, lernst du noch.“ Samuel Richter erhob sich, winkte einen Mitarbeiter heran, während er Oberstaatsanwalt Sanders entgegensah.

Der blickte kurz hinunter, wurde blass im Gesicht und Daniel musste ein Schmunzeln verkneifen, obwohl auch er Wasserleichen nicht unbedingt mochte.

Der Gerichtsmediziner erstatte kurz den ersten oberflächlichen Befund, wandte sich ab. Für ihn gab es augenblicklich nichts mehr zu tun.

Daniel und Helmut Sanders sahen der Arbeit der Spurensucher zu. Beide ahnten, besser wussten, dass die Leiche nur angespült worden war und man nichts finden würde.

„Herr Briester, wissen Sie etwas über den Jungen?“

„Nein, bisher noch nicht. Es haben sich zwar zahlreiche Leute gemeldet, aber die Kinder lebten alle und waren quicklebendig. Vermisste negativ. Bei Ärzten und Zahnärzten bis ebenfalls, aber dafür ist es zu früh. Wie Sie wissen, dauert das eine Weile. An den hiesigen Schulen nichts.“

„Lassen Sie ein Bild von dem Mädchen veröffentlichen.“

„Sicher, sobald sie so weit ist. Wie immer.“

Doktor Sanders schaute auf seine Armbanduhr. „Ich muss los. Wir haben heute eine Geburtstagsfeier und meine Frau wartet auf mich.“

„Ein schönes Wochenende.“

Daniel sah den beiden Männern zu, die behutsam die Leiche in den Blechsarg legten. Wer tat einem Kind so etwas an? Er ging zu einem der Männer der Spurensicherung, sprach mit ihnen. Spuren gaben es zahlreiche, da das eine kleine Badestelle, besonders abends für Jugendliche war. Man sah es. Überall lagen Bierdosen, Zigarettenkippen und Packungsreste. Sogar einen Platz, wo jemand Feuer gemacht hatte, war erkennbar.

„Ich denke nicht, dass wir da etwas finden, Herr Briester.“

„Glaube ich ebenfalls nicht. Wer weiß, wo man sie in das Wasser geworfen hat. Müssen wir berechnen lassen, wenn wir wissen, wie lange sie gelegen hat. In den letzten Wochen war die Strömung niedriger und dadurch langsamer, habe ich mir sagen lassen. Trotzdem ...“ Er zuckte mit der Schulter. „Schauen Sie nur im Schilf nach, ob da Kleidungsreste sind, was ich jedoch nicht vermute. Alles andere hatte keinen Sinn.“

Eine Weile sah er noch zu, beobachtete dabei die Kähne auf der Elbe. Einige Schlepper liefen aus. Wahrscheinlich schipperte ein großer Pott herein.

Am Auto rief er Benno Hoffmann an, der Bereitschaftsdienst absolvierte, und berichtete ihm, was er vorgefunden hatte, danach Jana, die gerade in ihrer Wohnung angekommen war.

„Es tut mir leid. Ich bin in einer Stunde bei dir und hole dich ab.“

Es sollte aber anderthalb Stunden dauern, da die gesamte Innenstadt verstopft war.

Kaum hatte sie die Tür geöffnet, zog er sie stürmisch in den Arm, küsste sie. „Du hast mir gefehlt, sehr sogar“, flüsterte er ihr zwischen zwei Küssen in das Ohr. Wie sehr, das merkte er, als er sie ihm Arm hielt. „Fahren wir nach Hause und genießen unser Wochenende.“

„Musst du nicht arbeiten?“

„Ich möchte nicht. Ich habe dich schließlich zwei Wochen nicht gesehen.“

„Nun übertreib nicht. Keine andere in Sicht gewesen?“, neckte sie ihn.

Für einige Sekunden sah er Sandra Larsen vor Augen, bemerkte Janas prüfenden Blick, wich dem aus, drückte sein Gesicht in ihre Haare.

„Nein, ich habe dich.“ Er löste sich. „Fahren wir und du erzählst mir, was du Neues gelernt hast.“

„Seit wann interessiert dich das denn?“

Daniel zuckte zusammen, da er gedanklich noch bei Sandra war.

Im Laufe des Wochenendes wunderte sich Daniel, warum sie so anders, so kurz angebunden war. Selbst beim Sex erschien sie irgendwie unbeteiligt und so ließ er es sein. Dazu hatte er keine Lust und auf seine Fragen, gab sie keine Antworten, winkte nur ab.

*

Er las den Obduktionsbericht und ihm wurde schlecht. Sein Magen drehte sich von links nach rechts, hatte er das Gefühl.

Risse in der Vagina, Risse im Analbereich.

Bei diesem Kind hatte man einen nicht ordentlich behandelten Oberschenkelhalsbruch festgestellt, der falsch zusammengewachsen war. Man hatte das Mädchen anscheinend nicht ärztlich versorgt. Die Zähne waren teilweise voller Karies und im Oberkiefer fehlten zwei. Der Gerichtsmediziner hatte festgestellt, dass die Zähne nie behandelt worden waren. Die fehlenden Schneidezähne hatte sie entweder durch einen Unfall oder mittels Gewalteinwirkung verloren.

Wie konnten Menschen nur so grausam sein, fragte er sich.

Er sagte seinen Mitarbeitern bei der morgendlichen Besprechung, was die Gerichtsmedizin herausgefunden hatte.

„Das ist ja widerlich“, empörte sich Kommissarin Lisa Schmitt. „Wer macht nur so etwas?“

„Perverse! Das ist ein weites Feld und alle verdienen gut daran. Es gibt die Neigungstäter. Sie missbrauchen Kinder oder beobachten den sexuellen Missbrauch und filmen oder fotografieren als zusätzliche Stimulierung. Die so entstandenen Produktionen werden unter Gleichgesinnten weitergegeben, getauscht, kopiert. Dieses Material kommt später häufig in den Handel, aus finanziellen Interessen oder weil ein Tauschpartner die Filme weitergegeben hat. Der kinderpornografische sexuelle Missbrauch geschieht hauptsächlich im nahen sozialen Umfeld, und zwar überwiegend durch den Vater, Stiefvater, den Lebensgefährten der Mutter, der nette Onkel und so weiter. Die Opfer werden mit Geld oder Zuwendung genötigt, mit Drohungen und Gewalt gezwungen, erpresst, gekauft, belogen, ausgenutzt. Allerdings ist die Herstellung von Kinderpornografie in der Familie problematisch, lässt sich nur schwer verheimlichen. So wissen häufig Mütter oder andere Familienangehörige Bescheid, aber sie schweigen lieber, aus Scham, Angst.

Die professionellen Pornografiehersteller. Die benutzen Kinder ausschließlich als Ware. Die sexuelle Gewalttat dient nur dem Geschäft. Die Händlernetze sind teilweise gut organisiert, verfügen über relativ sichere Vertriebswege und oft einen festen Kundenstamm. Das heißt, dass die Täter in einer Position sind, die es ihnen erlaubt, langfristig und mit Autorität auf das Kind einzuwirken, die Missbrauchshandlungen zu erzwingen und ein Schweigen für längere Zeit zu sichern. Sie stehen in einer Art Beziehung zu dem Kind. Oftmals werden diese Opfer von bekannt gewordenen Kinderporno-Produktionen an interessierte Kunden zum sexuellen Missbrauch vermittelt. Ein Typ sieht die Kleine in einem der Streifen und will nun genau sie haben, weil sie niedlich aussieht, mit den blonden Locken, den blauen Kulleraugen. Gerade dieses Mädchen törnte ihn so richtig an. Verfügt er über das nötige Kleingeld, versucht er, sich diesen Wunsch zu erfüllen.“

Oberkommissarin Ines Kliester verzog das Gesicht. „Die Kerle sollte man alle kastrieren.“

„Ausnahmsweise stimme ich dir zu. Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornografie haben sich zu einem riesigen Markt mit mehreren Millionen Opfern entwickelt. Bis heute gibt es keine genauen Zahlen über das tatsächliche Ausmaß der kommerziellen Ausbeutung von Heranwachsenden. UNICEF schätzt, dass allein in Asien jedes Jahr aufs Neue eine Million Mädchen und Jungen ins kommerzielle Sexgeschäft gezwungen werden. Sie werden ins Ausland in Bordelle verschleppt oder verkauft. Sie warten an Fernstraßen, in billigen Hotels, Einkaufszentren oder Bahnhöfen auf Kunden. Vielfach halten die Peiniger die Erniedrigung der Kinder auf Fotos oder in Filmen fest und verbreiten die Bilder im Internet. UNICEF geht davon aus, dass mit Kinderprostitution und Kinderpornografie weltweit jedes Jahr rund zehn Milliarden Mark umgesetzt werden. Lukrativ, nicht wahr?

In Thailand sind es fast eine Million Kinder, die sich prostituieren, Indien eine Halbe, Brasilien schätzt manch an die zwei Millionen. Selbst in den USA sollen es bis zu einer viertel Million sein. Dazu gesellen sich jede Menge andere Länder. Das sind im unteren Bereich geschätzte Zahlen.

Nimm die deutsch-tschechische Grenze. Ist ja nicht so weit von uns entfernt und wird von Deutschen sehr rege frequentiert. Angeblich werden dort mittlerweile sogar Kinder unter sechs Jahren angeboten. Die kann Mann für 800 Mark einen Tag mitnehmen. Die ansässige Polizei schaut dem tatenlos zu. Ursache des Problems sei das enorme Wirtschaftsgefälle zwischen Tschechien und der Bundesrepublik. Diese Einnahmen für ein Kind würden oft den durchschnittlichen Monatslohn in Tschechien weit übersteigen. Eltern schicken ihre Kinder auf die Straße, um den Lebensunterhalt der Familien bestreiten zu können. Minderjährige junge Frauen aus Osteuropa, von brutalen Zuhältern auf den Strich gezwungen, sind Kinder. Davon haben wir ja oft genug bei Razzien in Bordellen erfahren.

Terre des hommes schätzt, dass etwa 10.000 ausländische Minderjährige, so allein in Deutschland kommerziell, vorrangig sexuell, ausgebeutet werden. Tendenz steigend. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird kontinuierlich größer, auch bei uns. Wenn eine verarmte Familie da sieht, dass es ihnen ein bisschen besser geht, wenn sie die Tochter für Sex anbieten, stimmen sie zu.“

„Wie kann man sein eigenes Kind dazu zwingen?“

„Lisa, werde wach. Stell dir vor, du bist Familienvater, hast vier Kinder und ackerst zehn Stunden, aber das Geld reicht vorn und hinten nicht. Die Wohnung ist zu klein, das Essen eintönig, weil für eine abwechslungsreiche Kost eben das Geld nicht reicht. Fleisch gibt es ein - zweimal in der Woche, je nachdem was es für Sonderangebote gibt. Es gibt nie Urlaub, nie einen Kino- oder Restaurantbesuch. Neue Kleidung ebenfalls Fehlanzeige. Das kennst du nur aus dem Fernseher. Dazu hast du zu Hause Stress, Kindergeschrei, Gemecker, eventuell dazu einen Berg Schulden. Nun kommt jemand, der sagt, hier hast du 500 Mark und ich nehme mir dafür für einige Stunden deine kleine Tochter mit. Eventuell sagte da manch einer ja. Er fragte nicht, was der mit der Tochter machte, will es nicht wissen. Die Mutter schaute ebenfalls weg.“

„Du meinst, dass das sozial bedingt ist?“

„Sicher ist es das. Sieh dir doch die Länder an. Staaten, wo es reichlich Armut gibt, zusätzlich natürlich viele Kinder. Sie hausen in Slums, kennen nur Hunger. So eine Geldspritze reicht da viele, viele Monate, um einigermaßen die Familie sattzubekommen. Viele Minderjährige leben auf der Straße und hoffen, durch die Sextouristen aus dem Leben herauszukommen. Das ist teilweise bei unseren Prostituierten nicht anders. Jeder weiß, dass man da Minderjährige bekommt, und es gibt eben viele Kerle, die darauf stehen. Es ist eine Verantwortung, die sich nicht nur Politiker, Wirtschaftsbosse stellen sollten, sondern die Allgemeinheit. Als Unternehmer kannst du nicht einen Mann mit 1.500 Mark Lohn nach Hause schicken. Davon kann er nicht eine Familie ernähren. Nicht umsonst gehen viele Arbeitslose nicht arbeiten, weil sie mehr Geld vom Staat bekommen, als wenn sie arbeiten würden.“

„Dein Vater hat doch ein Unternehmen. Wie läuft es da?“

„Mein Großvater. Die Leute bekommen in der Mehrzahl einen Stundenlohn, der über dem Tarif liegt. Ist Hochbetrieb, gibt es zusätzliche Prämien, dazu Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, etwas bei der Hochzeit, Geburt eines Kindes. Es gibt Firmenkredite für Leute, die zum Beispiel bauen wollen. Mein Großvater hat vor zwanzig Jahren so einen Fond eingerichtet. Die niedrig gehaltenen Raten werden gleich vom Lohn abgezogen. Gebrauchte Firmenwagen werden an Arme oder Kinderreiche für einen geringen Obolus abgegeben. Die Autos sind top in Ordnung, in der Regel vier Jahre alt und höchstens 150.000 auf dem Tacho. Das hat mein Großvater so eingeführt und es darf nie verändert werden, wenn die Firma irgendwann auf meinen Vater übergeht. Er hat früher immer gesagt; ich bin durch die Arbeiter reich geworden. Warum sollen diese Leute nicht ein gutes Leben führen? Ich habe 300.000 Mark im Jahr weniger und meine Arbeiter können sich dafür eine Reise, ein neues Auto oder sonst etwas kaufen. Man soll nie zu gierig sein, sonst fällt man eines Tages auf die Nase. Selbst heute noch wird er von seinen Arbeitern verehrt, in den Himmel gehoben.

Er hat Torsten und mir eine Patenschaft für ein Waisenkind geschenkt. Für das erste Jahr hat er das bezahlt, danach mussten wir das von unserem Taschengeld tun. Wir waren damals natürlich wenig begeistert, aber es hat einen gewissen Lehreffekt. Mein Junge lebt in Ghana, ist inzwischen Lehrer dort. Er hat hier in Hamburg zwei Jahre studiert und irgendwie war ich damals stolz darauf, dass er es so gut schaffte. Wir schreiben uns heute noch oder in Abständen rufe ich ihn an. Vor drei Jahren habe ich ihn einmal besucht. Er hat inzwischen zwei Kinder und unterrichtet in so einer Holzbaracke, aber er ist glücklich. Dass alles führt zu weit. Da könnte man Stunden darüber debattieren. Widmen wir uns den Opfern, damit wir die Täter bekommen.“

„Anna hat so eine Patenschaft für ein Mädchen. Ich finde das eine gute Sache. Die Kleine schreibt uns ständig, schickt gelegentlich sogar Bilder. Meine Kinder wollen da unbedingt hin.“

„Mach es. Für unsere verwöhnten Kinder ist das eine Lehrstunde und sie sehen dort, wie andere leben müssen. Ich habe inzwischen acht Jungs aus Afrika. Einer kommt demnächst nach Hamburg, weil er hier studieren möchte.“

Nun wandten sie sich dem Opfer zu und Daniel verteilte die Arbeiten, obwohl sie im Augenblick wenig unternehmen konnten. Andere Fälle mussten jedoch ebenfalls bearbeitet und aufgeklärt werden.

Daniel saß am späten Abend im Büro, las Berichte und diktierte noch einiges für Heidrun, damit sie das morgen alles tippte. Sein Telefon klingelte und er griff nach dem Apparat, „Hallo, Daniel. Du arbeitest noch?“, hörte er verblüfft Sandra Larsens Stimme.

„Na nu. Was gibt es?“

„Ich wollte hören, wie es dir geht? Du warst ja am Freitag so schnell verschwunden?“

„Viel Arbeit, wie immer. Aber deswegen rufst du nicht an?“

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er krampfhaft überlegte, was das zu bedeuten hatte.

„Hast du Zeit? Wir könnten essen gehen?“

Er überlegte einen Moment, sah sie vor sich. „Nein, geht nicht. Ich habe zu viel zu tun. Woher auf einmal das Interesse an meiner Person?“

„Nur so, na dann. Tschüss, vielleicht ein andermal.“

Sie hatte aufgelegt und er saß da, grübelte, was sie von ihm wollte. Vielleicht hätte er mit ihr weggehen sollen, dann hätte er es erfahren, aber irgendwie signalisiert sie bei ihm immer Gefahr. Er stellte das Telefon in die Ladestation zurück.

Er beugte sich über seine Akten, aber immer noch spukte sie in seinem Kopf herum. Er griff nach dem Telefon, suchte ihre Nummer, drückte weg. Irgendwie reizte es ihn, sie wiederzusehen. Er konnte sich ja heute einen freien Abend gönnen und den mit Sandra verbringen, vielleicht sogar ...

Nein, sagte er sich und stand so hastig auf, dass sein Stuhl gegen die Wand prallte. Was ging ihm diese Frau an? Er schüttelte über sich selber den Kopf. War er total verrückt? Hatte er vergessen, was diese Frau ihm angetan hatte? Die Erpressungsversuche, die Verleumdungen, Beleidigungen. Sie hatte ihn als Serienmörder denunziert, hatte sogar Jana beleidigt und diffamiert. Jana.

Seit fast zwei Wochen war Jana zurück und er hatte sie außer an dem ersten Wochenende nicht gesehen. Für sie hatte er keine Zeit und nun überlegte er, ob er mit dieser Furie weggehen sollte? Irgendwie hatte Sandra anders ausgesehen, irgendwie sehr ansprechend, gepflegt. Sie hatte auch anders gewirkt, ruhiger, ja sogar distanziert.

Er öffnete das Fenster und ließ die feuchte Abendluft herein. Es hatte den ganzen Tag geregnet, dass häufig im Oktober der Fall war und der Asphalt glänzte im Licht der Scheinwerfer und Laternen. Tief atmete er mehrmals ein, sah auf die Uhr, fast zehn. Er überlegte, ob er Jana anrufen sollte, aber das verwarf er. Dafür war es zu spät und sie hatte ihm erst vor zwei Tagen genörgelt, dass er sie nicht mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln könnte, nur weil er Lust auf sie hätte. Dabei war es kurz vor neun gewesen und er hatte nur reden wollen. Sie war an dem Wochenende anders gewesen als sonst. Irgendwie nicht so fröhlich, aufgeschlossen. Sie hatte bedrückt gewirkt und er war froh gewesen, dass sie am Sonntagabend gefahren war. Hatte er sich innerlich bereits von ihr entfernt? Trivial. Er seufzte laut, schloss das Fenster und war wenig später in seine Arbeit vertieft.

*

Kriminalhauptkommissar Rainer Helbich saß an seinem Schreibtisch und sah auf den Monitor seines Laptops, während ihm sein Kollege Philip Karllen die Großaufnahme erklärte. „Es wird immer abartiger, aber sie ist es. Ruf den Briester an. Er soll sich das ansehen.“ Er blätterte weiter, suchte einige weniger schreckliche Bilder und druckte diese aus.

Daniel betrat das Büro. „Moin, du hast was für mich?“

„Sieh es dir an. Ist sie es?“

Daniel beugte sich vor, spürte, wie sein Magen rebellierte. „Ja, das ist sie, denke ich.“ Er richtete sich auf, blickte auf die Bilder in seiner Hand.

„Könnt ihr die ein bisschen retuschieren. Meine Frauen bekommen sonst Panik.“

„Das sind Harmlose, aber Philip bearbeitet sie passend.“

Der junge Mann ergriff die Fotos und verließ das Büro.

„Wie kann man so pervers sein? Man hat sie geschlagen, vergewaltigt, das Genick gebrochen.“

„Setz dich und wach auf. Denkst du, die Kinder halten still, schreien nicht? Irrtum. Da kann es passieren, dass man welche zum Schweigen bringt. Wir wissen, dass diese pädokriminelle Szene auf reichliche Nachfrage stößt. Allein in Deutschland soll es zwischen 50.000 und 70.000 Konsumenten kinderpornografischer Produkte geben. Genaue Zahlen unbekannt, aber Tendenz steigend. Mehrere Recherchen von ausländischen Kollegen oder Europol zeigen, dass Pädophilie und Päderasten sich auf weltweit geheime Netze stützen und sich als scheinbar ehrbare Menschen entpuppen. Es gibt Tarnorganisationen, es gibt Verbindungen, Vernetzungen, Verbrüderungen und Seilschaften, die mitten unter uns unerkannt und unentdeckt agieren. Es gibt illegale Zeitschriften und die werden sogar in unserem netten Land hergestellt und unter der Hand vertrieben. Dergleichen schwappt natürlich aus dem Ausland zu uns. Nicht selten enthalten solche Schundblätter neben kinderpornografischen Aufnahmen einen Annoncenteil, in dem die Ware Kind als Sexualobjekt ganz offen gesucht und angeboten wird, so wie du eine Frau suchst. Da werden Mädchen zehn, elf, zwölf angeboten. Jungfrau wird betont, ansonsten heißt es gebraucht zum Preis ab tausend Mark. Wir haben gerade erst von neuem Material erfahren, wo man vorrangig Babys missbraucht. Da hat man mehrere festgenommen, weil es bedauerlicherweise zur Tötung der Kleinen kam, als man die Pornos herstellte.“

„Das ist ja widerwärtig. Wie kann man da einen hochkriegen?“

„Die Typen können nur da und nicht bei einer normalen Frau, oder wenn sie den Dreck reinziehen. Die Produzenten verdienen mehrfach. Einmal von den Typen, die bei den Filmen mitwirken, beim Vertrieb, bei den Bildern.“

„Mensch, lass es bloß sein, sonst werde ich noch impotent. Da vergeht einen ja alles.“

„So geht es mir zuweilen ebenfalls. Frage meine Frau, die kann ein Lied davon singen. Du freust dich auf einen schönen Abend und siehst du auf einmal solche Bilder vor dir. Glaub mir, da hast du keine Lust mehr.“

Die Tür öffnete sich und Philip reichte ihm ein Stapel Fotos. Er blätterte sie kurz durch.

„Ich danke euch. Wisst ihr, wer dahinter steckt?“

„Ein Nutzer auf den Malediven, aber kannst du vergessen. Die Bude gibt es nicht mehr, operiert unter neuen Namen von den Seychellen oder so.“

„Schiet Job.“

„Wem sagst du das? Gehst du am Samstag zu dem Halligalli?“

„Keitler hat uns Karten gegeben, aber ich überlege noch.“

„Bring deine Frau mit und wir amüsieren uns.“

„Das bestimmt nicht. Die halte ich schön von meiner Arbeit fern.“

„Bring sie trotzdem mit oder willst du unsere Damen im Präsidium nicht alle abschrecken?“

„Ich muss“, lenkte er ab und verließ die Abteilung.

Jana würde er bestimmt nicht mitnehmen, falls er hinging. Das eine war Beruf, das andere privat und das trennte er. Sie war nicht seine Frau, Lebensgefährtin, sondern nur eine Affäre. Er hatte ihr nichts von dem Fest gesagt, die Einladung nicht erwähnt, die er für sich und für eine zweite Person erhalten hatte. Er kannte Jana in der Beziehung zu prägnant. Würde er sie mitnehmen, käme sofort das Gefasel von Verlobung, Hochzeit. Jedes Zusammentreffen mit mehr als seinen engsten Freunden hatte bei ihr sofort bedeutet, wir sind verlobt. Selbst seinem Bruder hatte sie das so am Telefon gesagt, nur weil er sie einmal zu einem Essen mitgenommen hatte, bei dem Benno und seine Frau anwesend waren. Tagelang hatte es deswegen Streit gegeben. Sie hatte gemeckert, geweint, schließlich sogar hysterisch gekeift.

*

Am Samstagvormittag musste er arbeiten und rief mittags Jana an. „Kommst du morgen?“

„Heute habe ich keine Zeit, da ich noch arbeite“, log er, wollte ihr nicht sagen, dass er abends wegging. Er wollte sie nicht beleidigen. Sie würde nicht verstehen, weswegen er sie nicht mitnehmen wollte, und er hatte keine Lust auf Debatten und Streit. Sie rastete jedes Mal aus, keifte herum, reagierte fast hysterisch. Das ging, seit er vor einigen Monaten ohne sie für zwei Wochen nach Dänemark verreist war. Gut, dass sie nicht wusste, dass Daniela mitgefahren war. Das hatte er ihr nicht gesagt, aber seine Tochter ging sie auch nichts an. Sie war schließlich nicht seine feste Freundin oder sogar mehr. Er hatte keine Lust auf irgendwelche langatmigen Beziehungsgespräche, weil sie keine Beziehung, sondern nur ein Verhältnis hatten, und das sollte so bleiben.

Abends drehte sich Sandra vor dem Spiegel. Sie hatte eine halbe Stunde in der Badewanne entspannt und heute gab sie sich besonders viel Mühe. Sie hatte von Claus Keitler erfahren, dass der Briester da sein würde. Den wollte sie haben und bekommen. Sie hoffte, dass der diese Zahnärztin nicht mitbringen würde. Wie sie bisher erkundet hatte, bestand da allerdings wenig Gefahr. Die beiden gingen selten zusammen weg. War der Briester unterwegs, nur mit irgendwelchen anderen Leuten, außer wenn er mit ihr sporadisch die Oper oder ein Theater besuchte. Die Behrend durfte nicht wissen, dass er mit dem Peters in Bordellen verkehrte. Sie schüttelte sich leicht, wenn sie daran dachte, dass der sie anfasste, aber es musste sein.

„Ich möchte dich nicht, verstanden? Hau ab. Du wärst die Letzte, mit der ich etwas anfangen würde“, hatte er sie damals angebrüllt. „Findest du keinen mehr? Hast du alle durch? Ich kenne nur eine billige Prostituierte und die bist du. Du bist so ordinär.“ So hatte er sie beleidigt, gedemütigt, wieder und wieder, aber heute würde sie ihn bekommen, schwor sie.

Sie steckte ihre Haare hoch und schminkte sich, bevor sie ihr dunkelrotes, wadenlanges Kleid anzog, das perfekt passte. Weicher, seidiger Stoff schmiegte sich an ihren Körper, zeichnete jede Rundung nach, gab ihre perfekte Figur preis, wie sie fand. Sie befestigte gerade ihre Ohrringe, als es klingelte. Schnell schlüpfte sie in die Pumps, ergriff Tasche und Mantel und eilte hinaus. Till hielt ihr die Autotür auf und wenig später betraten sie den Saal. Sie freute sich auf den Abend.

Sie schlenderten zu dem reservierten Tisch, an dem Heike, Bastian und Rainer saßen, der sie bewundert ansah, während sie bei Heike bemerkte, wie diese vor Wut blass wurde. Blöde Ziege dachte sie.

„Ladet die Polizei nun schon die Betriebsnutte ein?“

„Heike, ignoriere diese Person, obwohl es peinlich ist, dass man uns mit der sieht.“

„Na ja, vielleicht schleppt sie ja einen Kerl in das Klo und wir sind sie los“, grinste Bastian Feldmann seinen Schwager und Freund an, worauf Till ebenfalls griente.

Sandra zügelte nur mühsam ihren Zorn, dachte an Daniel und schaute sich verstohlen um, ob sie ihn irgendwo erspähte.

Es stand eine Flasche Wein auf dem Tisch und Till schenkte ein, ignorierte Sandras Glas und die fünf Leute prosteten sich zu. Sandra fasste nach der Flasche und goss ihr Glas voll, trank.

„Hast du Geld, dass du das bezahlen kannst?“, fragte Heike höhnisch.

„Blöde Kuh“, zischte Sandra leise.

„Kommt, hört auf. Genießen wir den Abend“, lenkte Rainer ein.

Nach dem vorzüglichen Essen wurde getanzt, dass sie besonders genoss, da sie schon immer gern getanzt hatte und sie fühlte sich so richtig beschwingt, sah dabei suchend nach Daniel.

Mit Marion stand sie an der Sektbar und sie amüsierte sich gerade auf ihre gehässige Art über eine junge Frau, deren Kleid komisch aussah und drei Nummern zu klein war, wie sie feststellten.

„Ich möchte gern mit dir tanzen, schöne Frau.“

Wie von einer Tarantel gestochen wandte sie sich um, als sie die Stimme hörte. „Briester.“ Sie musterte ihn von oben bis unten. „So schick?“

„Immer noch. Komm, lass uns tanzen gehen.“

„Einmal gebe ich mich dafür her.“

Er legte den Arm um sie. „Du siehst bezaubernd aus.“

„Oh je, was ist mit dir los?“

„Warum? Weil du gut aussiehst?“

„Komm, lass es. Das zieht bei mir nicht.“

„Kratzbürstig, so wie man dich kennt“, lachte er.

„Ehrlich, was sagt deine Begleitung dazu, wenn du mit anderen Frauen tanzt?“

„Gegenfrage, was sagt dein Begleiter dazu?“

„Frage mit Gegenfrage zu beantworten ist unhöflich.“

„Ich bin mit einigen Kollegen der Abteilung hier, da sie uns die Karten geschenkt haben. Du siehst, ich kann mit dir tanzen.“

„Immer noch nicht gebunden?“ Sie musste das wissen, obwohl sie das wenig interessierte. Eine andere Frau war keine Gefahr für sie, mit der würde sie fertig werden.

„Nein, und du?“ Er verdrängte Jana aus seinen Gedanken und mit ihr hatte er keine Beziehung, sondern eine Affäre.