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Um ein neues Leben fernab von Tradition und Glauben anzufangen, zieht die junge Jasmine mit ihrer Tante nach Coral Gables. Dort will sie die Schrecken ihrer Vergangenheit vergessen und ihr Studium wiederaufnehmen, doch die Erinnerungen erschweren ihr den Neuanfang. Zu allem Überfluss lebt gleich nebenan der begehrte Hunter Rough, der wie einst sein Vater der Frauenschwarm des Colleges ist und ihr das Leben schwermacht. Zwischen all seinen Streichen stellt Jasmine schnell fest, dass er nicht der arrogante Kerl ist, für den sie ihn gehalten hat. Obwohl sie versucht, ihn von sich zu stoßen, kommen die beiden einander immer näher, bis das Unvermeidbare passiert und Jasmine sich in Hunter verliebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie wirklich glücklich, doch ein Schatten aus ihrer Vergangenheit taucht auf und bedroht ihre Zukunft. Hunter und Jasmine sehen nur eine Möglichkeit und entscheiden sich, der Bedrohung zu entfliehen, dabei stellt sich heraus, dass Jasmine nicht die ist, die sie vorgibt zu sein.
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BACK TO CORAL GABLES
BUCH EINS
Copyright © 2021 Drucie Anne Taylor
Korrektorat: S. B. Zimmer
Satz und Layout: Julia Dahl / [email protected]
Umschlaggestaltung © Modern Fairy Tale Design
Auflage 01 / 2024
Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Um ein neues Leben fernab von Tradition und Glauben anzufangen, zieht die junge Jasmine mit ihrer Tante nach Coral Gables. Dort will sie die Schrecken ihrer Vergangenheit vergessen und ihr Studium wiederaufnehmen, doch die Erinnerungen erschweren ihr den Neuanfang. Zu allem Überfluss lebt gleich nebenan der begehrte Hunter Rough, der wie einst sein Vater der Frauenschwarm des Colleges ist und ihr das Leben schwermacht. Zwischen all seinen Streichen stellt Jasmine schnell fest, dass er nicht der arrogante Kerl ist, für den sie ihn gehalten hat. Obwohl sie versucht, ihn von sich zu stoßen, kommen die beiden einander immer näher, bis das Unvermeidbare passiert und Jasmine sich in Hunter verliebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie wirklich glücklich, doch ein Schatten aus ihrer Vergangenheit taucht auf und bedroht ihre Zukunft. Hunter und Jasmine sehen nur eine Möglichkeit und entscheiden sich, der Bedrohung zu entfliehen, dabei stellt sich heraus, dass Jasmine nicht die ist, die sie vorgibt zu sein.
* * *
Back to Coral Gables erzählt die Liebesgeschichten der Kinder von Delsin und Co. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Es handelt sich um ein fiktives Coral Gables, das so wie beschrieben bloß in meiner Fantasie existiert.
Bitte denk daran, dass dieses Buch etwa zwanzig Jahre nach der Coral Gables Serie spielt, sodass es gar nicht so abwegig ist, dass Autos über Autopiloten und etwaige andere Gadgets verfügen. Nicht jeder Charakter aus der Coral Gables Serie wird in diesem Buch erwähnt oder kommt zu Wort, weil es den Rahmen der handelnden Figuren sprengen würde, aber einige haben zumindest einen kurzen Auftritt. Für die leichtere Zuordnung findet ihr am Ende eine Übersicht der Charaktere aus der Coral Gables Serie, die nach Familien geordnet ist.
Ich wünsche Dir viel Spaß mit der Geschichte von Hunter und Jasmine.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Übersicht der Charaktere
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Werke der Autorin
Rechtliches und Uninteressantes
Nun bin ich hier.
Ich bin mit meiner Tante nach Miami gezogen, um endlich in Sicherheit leben zu können. Hier werde ich mein Studium beenden und hoffen, dass man mich nicht finden wird. Die Narbe an meinem Hals erzählt die Geschichte seiner Wut, die er empfand, als ich Nein sagte.
Mit dem Karton auf den Armen stehe ich vor dem großen Haus, das von nun an mein Zuhause sein wird.
»Komm schon, Süße. Die Kartons tragen sich nicht von allein ins Haus!«, ruft meine Tante.
Kopfschüttelnd vertreibe ich die Erinnerungen und hoffe, dass er uns niemals hier finden wird. Meine Tante hat ein Haus am Strand gekauft, sie meinte, wenn wir schon nach Miami ziehen, dann wenigstens ans Meer, damit wir es uns so richtig gut gehen lassen können. Wir wohnen an einem privaten Strandabschnitt, sodass wir uns mit niemandem um einen Platz streiten müssen.
Seit es passiert ist, habe ich Albträume. Ich weiß nicht, wie ich mit meinen Erlebnissen umgehen soll, denn sie verfolgen mich nicht nur bis in meine Träume. Wir leben hier unter falschem Namen, damit man uns nicht finden kann. Das FBI hat uns ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen, mit neuen Identitäten ausgestattet und uns beschworen, uns unauffällig zu verhalten. Ich möchte mein Leben zwar so normal wie irgend möglich weiterführen, statt in ewiger Angst zu leben, doch momentan ist sie noch mein ständiger Begleiter.
»Yo, Hunter!«, brüllt jemand, was mich zusammenzucken lässt.
Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe einen jungen Mann auf einem Skateboard heranfahren.
»Rough!«
»Was ist?«, ruft der andere, weshalb ich den Kopf nach links reiße. Es ist ein Kerl mit Basecap – er ist groß und muskulös, aber mehr kann ich nicht erkennen.
»Jazz!« Meine Tante steht in der Haustür und sieht mich ungeduldig an. »Kommst du nun endlich?«
»Ihr bekommt neue Nachbarn!«, entgegnet der auf dem Skateboard.
»Ja, sorry«, erwidere ich und laufe auf sie zu. Der Karton ist glücklicherweise nicht so schwer, aber ich bin froh, wenn ich das unhandliche Ding abstellen kann.
»Wo bist du denn nur mit deinen Gedanken?«, fragt sie lächelnd.
»Noch nicht hier«, antworte ich aufrichtig, weiche ihrem Blick aus und lese die Aufschrift auf dem Umzugskarton. »Wo soll ich den hinstellen?«
»Ins Wohnzimmer.«
»Das ist wo?«, hake ich nach.
Sie deutet lächelnd nach rechts und ich mache mich auf den Weg. »Du wirst dich hier wohlfühlen, dessen bin ich mir sicher.«
»Ich hoffe es.« Ich räuspere mich, nachdem ich den Karton abgestellt habe, und drehe mich zu ihr um. »Viel mehr hoffe ich, dass man uns hier nicht ausfindig macht.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das wird man nicht. Wir leben jetzt am anderen Ende des Landes. Sie würden uns eher in Mexiko als hier vermuten.«
Ich hole tief Luft. »Ich habe einfach Angst, dass einer von ihnen plötzlich auftaucht und beendet, was er angefangen hat.« Mühsam blinzle ich die Tränen weg, doch eine fällt auf meine Wange.
»Jazz, er ist im Gefängnis. Er kann dir nichts mehr tun.«
»Wir haben eine große Familie.«
»Diese Leute kennen dich überhaupt nicht, weil sie keine Einreiseerlaubnis bekommen haben, und deine Brüder haben keine Ahnung, wo wir sind«, hält sie dagegen. »Dir wird nichts mehr passieren, versprochen.«
»Wirklich?«, hake ich hoffnungsvoll nach, als ich sie betrachte.
»Wirklich!«
Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Dein Wort in Gottes Ohren.«
Sie lacht leise. »Hast du etwa deinen Glauben wiedergefunden?«
»Ich hatte nie einen«, gebe ich zurück. »Müssen wir noch mehr Kartons ins Haus schleppen?«
»Nein, du hattest den letzten. Wenn du willst, können wir uns die Stadt ansehen und etwas essen gehen«, schlägt sie gut gelaunt vor.
»Ich glaube, ich gehe lieber auspacken und wir bestellen uns gleich eine Pizza. Wir können uns die Stadt doch morgen angucken, Kim.«
»Kim … Ich muss mich noch an diesen Namen gewöhnen.«
»Dabei haben sie uns wochenlang Zeit gegeben.«
»Fühlst du dich angesprochen, wenn ich dich Jasmine oder Jazz rufe?«
»Mittlerweile ja, aber wir haben es ja auch fleißig geübt«, antworte ich aufrichtig.
»Okay, Süße, da du auspacken willst, werde ich mal einkaufen fahren. Das Riesending in der Küche will gefüllt werden.«
Ich lache auf. »Geht klar.«
Meine Tante hat gerade ihre Handtasche an sich genommen, als es klingelt. »Wer kann das sein?«, fragt sie irritiert und sieht mich genauso an.
Unwissend ziehe ich die Schultern hoch. »Keine Ahnung. Wir haben hier nicht unbedingt einen riesengroßen Freundeskreis.«
Sie schnaubt amüsiert. »Stimmt.« Meine Tante geht zur Haustür und ich bleibe in der Tür zum Wohnzimmer stehen. Der Eingangsbereich ist riesig, aber sie hat all ihre Ersparnisse und einen Teil ihres Erbes von meinen Großeltern zusammengekratzt, um dieses Haus zu kaufen, weil das FBI uns in eine kleine Wohnung gesteckt hätte, was meine Tante nicht wollte. Sie öffnet die Haustür und davor steht eine Frau mittleren Alters, sie ist vielleicht Anfang oder Mitte vierzig, die sie anlächelt. »Hi, mein Name ist Camille Rough, ich bin Ihre Nachbarin.« Sie streckt ihre Hand aus, in der anderen hält sie einen Korb.
»Guten Tag, Mrs. Rough«, erwidert Tante Kim freundlich.
»Ich habe hier etwas zum Einstand für Sie.« Mrs. Rough überlässt ihr den Weidenkorb. »Das sind Brot, Salz und Wein.«
»Das ist ja nett. Danke.« Tante Kim sieht zu mir, danach wieder zu der Frau, die von zwei jungen Männern und zwei Mädchen begleitet wird. »Kommen Sie doch rein, Mrs. Rough.«
»Oh bitte, nennen Sie mich Camille. Mrs. Rough wäre meine Schwiegermutter, sofern mein Schwiegervater verheiratet wäre«, sagt sie kichernd. »Das sind meine Söhne Hunter und Camren und meine Töchter Elena und Lilliana, aber wir nennen die beiden Ellie und Lilly.«
»Freut mich sehr.« Tante Kim geht einen Schritt zur Seite. »Kommen Sie bitte rein.«
»Danke.« Die fünf betreten das Haus und ich überlege noch, ob ich mich zurückziehen soll oder nicht. Ich kann nicht besonders gut mit fremden Menschen umgehen, konnte ich noch nie. Mrs. Roughs Blick fällt auf mich. »Oh, hallo.«
»Hi«, erwidere ich, wobei ich mich fast verschlucke. Scheu trete ich näher und strecke meine Hand aus. »Mein Name ist Jasmine, aber alle sagen Jazz.«
Sie lächelt. »Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Jazz.« Sie ergreift meine Hand und schüttelt sie kurz. »Das sind meine Kinder …«
»Ich habe ihre Namen gehört«, fahre ich ihr über den Mund und möchte mir im nächsten Moment auf die Zunge beißen. »Sorry«, sage ich leise, als meine Tante mich zungenschnalzend ansieht.
Sie gibt meine Hand frei. »Schon gut. Ich bin froh, wenn ich die Namen meiner Kinder nicht so oft sagen muss.«
»Da Sie schon mal hier sind, ist das doch eine gute Gelegenheit, den Wein zu öffnen«, verkündet Kim, die eigentlich Laura heißt, als Mrs. Rough sich zu ihr umsieht.
»Das ist eine wahnsinnig gute Idee«, sagt sie und folgt dem Deuten meiner Tante, ihre Kinder folgen ihr ebenfalls.
Ich gehe ins Wohnzimmer, in dem ich mich auf die Suche nach meinem Block mache. Ich zeichne unwahrscheinlich gern und meistens, wenn ich mich unsicher fühle.
Hinter mir räuspert sich jemand.
Erschrocken drehe ich mich um und sehe den Mann mit großen Augen an. »Kann ich helfen?«
»Woher kommst du?«, fragt er interessiert.
Ich hole tief Luft. »Aus Washington«, erwidere ich. Den Bundesstaat, aus dem wir hierher gezogen sind, kann ich ihm ja nennen, aber mehr wird er nicht von mir erfahren.
Er neigt den Kopf. »Wie war noch dein Name?«
»Jazz … Jasmine …« Ich seufze. »Sorry, ich kann nicht so gut mit Fremden.«
Lächelnd kommt er näher. »Ich bin Hunter.« Er streckt seine Hand aus. »Freut mich, dich kennenzulernen, Jazz.«
»Mich auch, Hunter«, sage ich leise und versuche, mir ebenfalls ein Lächeln abzuringen, doch scheitere ich kläglich daran.
»Ist das deine Mom?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, sie ist meine Tante. Meine Eltern … wollten mich nicht, deshalb hat sie mich zu sich geholt.«
Scheiße, warum erzähle ich so was?
Ich hätte ihm einfach nur mit Nein antworten sollen, dann wäre die Frage durch gewesen.
Seine kantigen dunkelbraunen Augenbrauen gleiten in die Höhe. »Sie wollten dich nicht?«
»Nein, aber egal.« Ich wende mich ab und suche weiter nach meiner Tasche.
»Suchst du etwas Bestimmtes?«
»Ja, eine schwarze Aktentasche.«
»Soll ich dir helfen?«
»Ich komme klar, danke. Du kannst zu deiner Mom gehen.«
»Die unterhält sich gerade mit deiner Tante. Ich denke, ich leiste dir noch ein wenig …« Das Klingeln unterbricht ihn.
»Sorry.« Ich gehe mit möglichst viel Abstand an ihm vorbei, um zur Haustür zu gelangen. Innerlich atme ich auf, als ich sie erreicht habe, und ziehe sie auf.
»Hi, mein Name ist Dahlia Morrison. Ich bin Ihre Nachbarin«, stellt sich eine Frau vor, die in Mrs. Roughs Alter zu sein scheint.
»Hi, ich bin Jasmine. Kommen Sie doch rein, meine Tante ist gerade in der Küche.« Ich trete einen Schritt zur Seite.
Sie betritt das Haus, auch sie hält Brot, Salz und Wein bereit. In den nächsten Wochen wird es wohl nur Sandwiches geben. »Danke.«
»Ich bringe Sie in die Küche.«
»Das ist nett.«
Ich ringe mir ein Lächeln ab, danach schließe ich die Tür und bitte sie, mir zu folgen. »Kim?«, mache ich meine Tante auf mich aufmerksam, als ich die Küche betreten habe.
Sie schaut zu mir. »Ja, Süße?«
»Noch eine Nachbarin möchte sich vorstellen.« Ich gehe einen Schritt zur Seite, um Mrs. Morrison Platz zu machen.
»Hi, mein Name ist Dahlia Morrison, ich wohne zwei Häuser weiter«, sagt sie freundlich, als sie auf meine Tante zugeht.
»Freut mich sehr, Mrs. Morrison, mein Name ist Kim Sullivan und meine Nichte haben Sie ja schon kennengelernt.«
Die beiden reichen einander die Hand.
»Hi, Dale.«
Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Mrs. Rough und Mrs. Morrison kennen sich also. »Ich gehe dann mal wieder ins Wohnzimmer.«
»Wo ist denn dein Bruder, Camren?«, höre ich Mrs. Rough fragen.
»Der ist bei Jasmine«, antwortet er und ich stelle fest, dass er genauso klingt wie Hunter. Er sieht sogar genauso aus. Wahrscheinlich sind sie Zwillinge oder sie sehen einander unwahrscheinlich ähnlich. Die Mädchen sehen sich auch zum Verwechseln ähnlich, dabei erkennt man klar, dass ein paar Jahre Altersunterschied zwischen ihnen liegen.
Als ich wieder im Wohnzimmer bin, sitzt Hunter auf der Couch, die das Umzugsunternehmen schon hergebracht hat. Die Möbel waren vor den Kartons hier, aber das liegt daran, dass Tante Kim vorgefahren ist, um die Möbelpacker in Empfang zu nehmen. Ich war im Hotel und bin erst heute mit dem Umzugswagen hergekommen, um gemeinsam mit ihr auszuladen.
Agent Philips, der Kerl, der uns vom FBI an die Seite gestellt wurde, und sein Kollege, den ich wiederum nicht kenne, sind immer noch ständig in unserer Nähe. Ich bin mir nicht sicher, wie lange es noch so gehen soll, aber wenigstens fühlt man sich so etwas sicherer.
»Da bist du ja wieder«, sagt Hunter.
Ich nicke ihm zu.
Er hält meine schwarze Aktentasche hoch. »Hast du die hier gesucht?«
»Ja genau.« Ich gehe zu ihm und möchte sie ihm aus der Hand nehmen, doch er hält sie zu fest. »Würdest du sie mir bitte geben?«
»Was bekomme ich dafür?«
Ich hebe eine Augenbraue. »Wenn du sie mir nicht gibst, fliegst du hier raus.«
Er lacht leise, dabei blitzen seine smaragdgrünen Augen auf. »Das wollen wir ja nicht.« Hunter gibt die Tasche frei.
»Danke.« Ich klemme sie mir unter den Arm und deute hinter mich. »Du solltest dich in die Küche setzen, denn ich gehe jetzt auf mein Zimmer.«
Hunter sieht mich nachdenklich an. »Ich könnte dich doch begleiten.«
Kopfschüttelnd gehe ich ein paar Schritte nach hinten. »Nein, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Geh bitte in die Küche.« Danach wende ich mich ab und mache mich eilig auf den Weg nach oben. Ich habe keine Ahnung, welches der zahlreichen Schlafzimmer meines ist, auch nicht, wieso meine Tante sich so ein großes Haus gekauft hat, aber wer bin ich schon, dass ich es hinterfrage?
Nachdem ich mich nicht entscheiden konnte, da ich nicht weiß, welches Schlafzimmer meine Tante belegen will, habe ich mich im Flur auf den Boden gesetzt. Der Kohlestift kratzt über die Seiten und ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Ich weiß selbst noch nicht, was es am Ende wird, meistens lasse ich mich überraschen.
* * *
»Jazz?«
Ich hebe den Blick von meinem Zeichenblock, um meine Tante anzusehen. »Ja?«
Sie sieht mich irritiert an. »Warum sitzt du denn hier auf dem Boden?«
»Weil ich nicht wusste, welches der Schlafzimmer ich nehmen darf. Wir haben uns noch keine ausgesucht und ich wollte dich nicht stören, weil unsere Nachbarn bei dir waren«, erwidere ich aufrichtig.
Meine Tante seufzt. »Komm, wir suchen dir ein Zimmer aus.« Anschließend verzieht sie ihre Lippen zu einem Lächeln und streckt ihre Hand nach mir aus.
»Meine Hände sind voller Kohle«, weiche ich aus.
»Es gibt Schlimmeres.« Sie beugt sich zu mir, ergreift meine Hand und hilft mir auf die Beine. »Lieber so, als dass du dich auf dem hellen Teppich abstützt.«
»Du hast recht.« Ich werfe einen Blick auf meine Zeichnung und schlucke. Ich habe schon wieder die Erinnerung aufgezeichnet.
»Was hast du heute gezeichnet?«
»Eine Erinnerung.«
»Schon wieder?«
Ich nicke, schließlich atme ich tief durch. »Welches Zimmer darf ich beziehen?«
»Such dir eines aus. Wir müssen sowieso noch ein paar Möbel kaufen, weil ich nicht alles mitnehmen konnte. Und das Haus war so altmodisch eingerichtet, dass ich den Großteil einlagern ließ.«
»Ein paar Möbel?«
»Du brauchst doch ein Bett«, sagt sie lächelnd. »Und einen Kleiderschrank, einen Schreibtisch. Ich hab nur Möbel für ein kleines Haus, nicht für so ein großes.«
Ich lache leise und hinterfrage lieber nicht, warum sie die hier vorhandenen Möbel einlagern ließ, wenn es dafür sorgt, dass das Haus quasi leer ist. »Okay, aber das machen wir morgen, ja? Heute nehme ich einfach den Boden oder die Couch unten im Wohnzimmer.«
Meine Tante schüttelt den Kopf. »Du kannst bei mir schlafen. Die Möbelpacker haben mein Bett schon aufgebaut.«
»Nein, ich bin doch immer so unruhig. Ich schlafe heute Nacht auf der Couch und morgen fahren wir zum Möbelgeschäft.«
»Na schön«, gibt sie sich seufzend geschlagen. »Welches Zimmer möchtest du? Vielleicht dieses?« Sie deutet auf eine Tür, die sie anschließend öffnet. Es ist das Schlafzimmer am Ende des Flurs.
Ich betrete es und lasse meinen Blick schweifen. Ein Erkerfenster, dazu eine breite gepolsterte Fensterbank, zwei weitere große Fenster. Es ist toll. »Ich glaube, hier bleibe ich«, sage ich.
Kims Miene entgleist. »Bist du sicher?«
Ich schaue mich noch einmal um. »Ja, ich denke, hier werde ich mich wohlfühlen.«
»Willst du dir die anderen Zimmer nicht wenigstens ansehen? Wir haben oben auch noch eine Einliegerwohnung, aber da würde ich gern mein Atelier einrichten.«
»Dann richte dort dein Atelier ein, solange ich auch eine kleine Ecke zum Zeichnen bekomme, werde ich mich nicht beschweren.«
Tante Kim lacht auf. »Du bekommst mehr als eine kleine Ecke, Süße.«
»Danke.«
»Oh, die Roughs haben uns zum Barbecue eingeladen. Camilles Mann grillt wohl ständig und immer viel zu viel. Sie meinte, dass auch ein paar ihrer Freunde kommen, dann können wir schon einige Nachbarn kennenlernen, weil sie teilweise auch hier in der Straße wohnen«, sagt sie schließlich.
»Heute?«, frage ich überrascht.
»Ja.« Sie wirft einen Blick auf die Uhr. »In zwei Stunden, um genau zu sein.«
Ich hole tief Luft. »Willst du dorthin?«
Meine Tante neigt den Kopf und betrachtet mich. »Ich würde unsere Nachbarn gern kennenlernen, zumal sie nicht viel älter als ich sind. Ich möchte lieber schnell Anschluss finden.« Sie betrachtet mich nachdenklich. »Was ist mit dir? Möchtest du sie nicht kennenlernen? Sie haben Kinder in deinem Alter und ich denke, dass es dir guttun wird, ein paar Freunde zu finden.«
»Vielleicht, aber ich möchte erst mal ankommen, statt Freundschaften zu schließen«, erwidere ich kleinlaut.
»Jazz, du kannst dich nicht ewig verkriechen. Du bist seit einem Jahr bei mir. Er sitzt im Gefängnis und die anderen kommen nicht an dich heran. Du bist in Sicherheit. Hier ist niemand, der dir etwas Böses will.«
»Ich weiß, aber ich fühle mich in meinem Schneckenhaus ganz wohl, Kim.« Ich gehe ans Fenster und schaue hinaus. Mein Blick fällt auf den Strand und ich sehe einige Jugendliche in Badesachen dort herumrennen. »Ich bin noch zu unsicher, um mich mit jemandem anzufreunden, aber sobald die Uni losgeht, werde ich mich um neue Freundschaften bemühen, versprochen.«
»Wirklich?«, hakt sie nach. »Immerhin dauert es noch ein paar Wochen, bis die Vorlesungen losgehen.«
»Ja, ich werde mir Freunde suchen«, versichere ich ihr, als ich sie wieder ansehe. »Ich brauche noch ein bisschen Zeit, um mich zurechtzufinden, aber neue Freunde stehen weit oben auf meiner Prioritätenliste.«
»Na schön, aber ich will nicht, dass du dich noch ein ganzes Jahr verkriechst, auch wenn du in Washington ein paar Freunde gefunden hattest.«
»Das wird nicht passieren«, sage ich noch einmal und gehe auf sie zu. »Wir müssen noch einkaufen und vielleicht sollten wir den Roughs ein kleines Gastgeschenk kaufen.«
»Richtig. Ich fahre jetzt zum Supermarkt und du kannst schon mal deinen Kram hier hoch schaffen, duschen, zeichnen oder was auch immer du machen willst.« Meine Tante legt ihre Hand an meine Wange. »Ich hab dich lieb, Süße.«
»Ich dich auch.« Ich umarme sie fest. »Danke, dass du meinetwegen dein Leben umgekrempelt hast.«
»Ach, Kleines, ich kann überall malen und meine Bilder verkaufen. Dafür brauche ich Washington nicht.«
Als ich mich von ihr löse, sehe ich ihr warmes Lächeln. »Trotzdem danke.«
»Ich würde alles für dich tun, Jazz.«
»Können wir uns nicht mit unseren richtigen Namen ansprechen, wenn wir unter uns sind.«
»Du weißt, was Agent Philips gesagt hat. Wir sollen die neuen Namen so oft wie möglich benutzen, damit wir uns daran gewöhnen.«
»Okay.«
»Ich weiß, dass es dir schwerfällt, dich daran zu gewöhnen, aber du weißt, dass wir wieder umziehen müssen, wenn herauskommt, dass wir eigentlich ganz andere Personen sind.« Sie seufzt. »Lass uns nach unten gehen. Chip langweilt sich sicher schon, nachdem er vorhin die ganze Zeit auf Lillys Schulter sitzen durfte.« Chip ist der Graupapagei meiner Tante und der beste Gesprächspartner der Welt, zumindest behauptet sie das. Meistens ist er bei mir, sitzt auf meinem Schreibtisch und hackt mir in die Finger, wenn ich ihn nicht beachte. Er ist ein tolles Tier und ich mag ihn wirklich, aber anfangs habe ich mich vor ihm gefürchtet. Bei meinen Eltern durfte ich kein Haustier haben – sie wollten nicht, dass das Haus verdreckt wird. Dabei macht ein Papagei nicht wirklich viel davon. Zumindest gehört Chip zu den reinlicheren Tieren. Ab und zu liegen mal ein paar Krümel seiner Cracker herum oder man tritt in Körner seines Futters, weil er es herumwirft, aber das kommt selten vor. Meine Tante lässt ihn im Haus frei fliegen, aber momentan sitzt er mehr in seiner Voliere, damit er nicht wegfliegt. Sie hat Angst, dass er es macht, weil er sich erst noch an die neue Umgebung gewöhnen muss.
»Süße?«, reißt sie mich aus meinen Gedanken.
Ich blinzle schnell. »Was ist denn?«
»Ich fahre dann jetzt einkaufen. Was wirst du machen?«
»Ich bringe ein paar Koffer und Kartons nach oben, gehe duschen und ziehe mich für das Barbecue bei den Roughs um, damit wir einen guten Eindruck machen.«
Sie lächelt. »Alles klar.« Tante Kim beugt sich zu mir und drückt einen Kuss auf meine Wange. »Ich habe mein Handy mit, falls etwas ist.«
»Geht klar. Ich melde mich, falls ich irgendeinen Hinweis brauche, wo meine Sachen versteckt sind.«
Wir kichern.
»Ich bin dann weg.« Sie verlässt mein Zimmer und ich folge ihr nach unten.
»Fahr vorsichtig.«
»Wie immer, Schätzchen, wie immer.« Sie holt ihre Handtasche, anschließend verlässt sie das Haus. »Bis später.«
»Ja, bye«, erwidere ich, bevor sie die Tür schließt. Seufzend wende ich mich ab und gehe ins Wohnzimmer, wo wir die meisten Kartons zwischengelagert haben. Ich schaue auf jeden einzelnen Deckel, damit ich nicht versehentlich etwas mit nach oben nehme, das eigentlich in die Küche gehört.
* * *
Ich war duschen, habe vier Umzugskisten ausgeräumt und sitze jetzt auf der Fensterbank. Ich betrachte das Bild, das ich vorhin gezeichnet habe. Es macht mir Angst. Es zeigt das blutige Messer, mit dem er mich angegriffen hat, nachdem ich mich wieder und wieder geweigert habe. Ich habe niemals damit gerechnet, dass er so weit gehen würde, weil ich es ablehnte, seinen Traditionen zu folgen. Gedankenverloren hebe ich meine Hand an meinen Hals und meine Finger landen auf der langen Narbe, deren Wunde mich beinahe das Leben gekostet hätte.
Ich bin so froh, dass ich eine zweite Chance bekommen habe, und nun hoffe ich, dass ich niemals mehr von meiner Familie behelligt werde. Insbesondere Mom kann ich nicht verzeihen, dass sie nie etwas unternommen hat, um ihn zu bremsen. Sie hätte es tun müssen, statt die Augen davor zu verschließen. Aber sie sagte immer nur, dass ich endlich meine Bestimmung erfüllen soll. Ich hätte mein Studium abbrechen müssen, wenn ich mich darauf eingelassen hätte, und gegen all die Werte verstoßen müssen, die mir immer so wichtig waren.
Kopfschüttelnd verdränge ich die Erinnerungen, die einmal mehr über mich hereingebrochen sind. Ich brauche dringend eine Therapie, um mit all den Erlebnissen der letzten Jahre, aber insbesondere dem Anschlag auf mein Leben zurechtzukommen. Tante Laura, nun Kim, hatte schon in Washington alles versucht, um es mir zu ermöglichen, doch kein Therapeut nahm noch Patienten auf. Aber hier in Miami hoffe ich, einen zu finden, der mir helfen kann. Es ist nicht leicht, mit den Dingen zurechtzukommen, die ich erlebt habe. Früher dachte ich immer, dass es so laufen muss, aber nachdem ich meiner Tante alles anvertraut hatte, sagte sie, dass es alles andere als normal sei. Ich muss mich dringend daran gewöhnen, dass sie nun Kim heißt und ich Jasmine. Tante Kim ist der Meinung, dass Mom mir hätte helfen müssen, statt es stillschweigend hinzunehmen. Ich mache meinen Eltern Vorwürfe, sehr schwere sogar, doch spüre ich, wie es mich immer mehr vergiftet.
»Jazz?«, ruft meine Tante.
Ich verlasse mein Zimmer und gehe an die Tür. »Ja?«
»Ich bin wieder da. Würdest du bitte die Einkäufe ausräumen? Dann kann ich noch duschen, bevor wir zu den Roughs müssen.«
Die Roughs wohnen gleich neben uns, es reicht doch, wenn wir uns fünf Minuten vorher auf den Weg machen. Ich rufe es ihr zu.
»Ich weiß, aber wir sind um acht Uhr eingeladen und es ist schon sieben. Kannst du mir bitte helfen?«
»Ich komme sofort!«, lasse ich sie wissen. Ich gehe noch mal in mein Zimmer, hole die Haarbürste aus meiner Umhängetasche und kämme schnell mein nasses Haar.
* * *
Nachdem Tante Kim fertig geworden ist, hat sie eine Flasche Wein und eine Schachtel Pralinen an sich genommen. Wir haben unser Haus über die Terrassentür verlassen, die man glücklicherweise auch mit einem Schlüssel öffnen und verschließen kann. Ich habe meine Zeichenutensilien dabei, damit ich mich später absetzen kann. Ich wurde ja nicht gefragt, ob ich dabei sein will, sondern Kim hat die Einladung einfach für uns beide angenommen. Ich schätze, nach dem Essen werde ich mich zurückziehen.
»Oh, da seid ihr ja«, sagt Mrs. Rough und kommt lächelnd auf uns zu.
Meine Tante reicht ihr die Hand. »Hi, Camille, danke für die Einladung.« Sie reicht ihr den Wein und die Pralinen. »Wir haben ein kleines Gastgeschenk mitgebracht.«
»Das wäre doch nicht nötig gewesen, aber danke, Kim.« Ihre Lippen sind immer noch zu einem Lächeln verzogen. »Kommt, dann lernt ihr die anderen kennen.«
Ich schaue an ihr vorbei und erkenne, dass die ganze Terrasse voller Menschen ist. Es stehen mehrere Tische hier, womit sie total überfüllt ist. »Hi, Mrs. Rough«, begrüße ich sie schließlich und schüttle ihre Hand. »Danke für die Einladung.«
»Oh, nenn mich bitte Camille.«
»Alles klar. Sorry.«
»Schon gut.« Sie schaut hinter sich. »Oh, Babe, kommst du unsere neuen Nachbarn begrüßen?«
Ein Mann, der in ihrem Alter ist und eine Schürze mit dem Aufdruck »Küss mich, ich bin der Koch« trägt, kommt zu uns. »Hi, mein Name ist Delsin und Sie müssen Kim sein«, wendet er sich an meine Tante.
»Die bin ich. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits.« Sein Blick fällt auf mich. »Und du musst Jasmine sein, von der mein Sohn schon erzählt hat.«
Ungebremst schießt das Blut in meine Wangen. »Äh ja, die bin ich. Hi, Mr. Rough.«
»Delsin«, erwidert er freundlich.
»Jazz«, lasse ich ihn wissen.
Er betrachtet mich nachdenklich. »Du siehst aus, wie eine alte Freundin von uns.« Er schaut zu seiner Frau. »Sie sieht fast genauso aus wie Thally damals, findest du nicht, Blümchen?«
Camille mustert mich. »Stimmt«, sagt sie lächelnd.
»Das ist sicher nur ein Zufall«, entgegne ich überfordert.
»Jazz, wenn du willst, kannst du reingehen. Die Mädels sitzen im Wohnzimmer, vielleicht kannst du dich mit ihnen anfreunden«, meint sie.
»Oh, ich bin nicht so gesellig. Tut mir leid.«
Kim räuspert sich lautstark und wirft mir einen mahnenden Blick zu, weshalb ich den Kopf ein wenig einziehe. »Warum willst du die Mädchen nicht kennenlernen?«
»Will ich doch, aber ich möchte lieber in deiner Nähe bleiben«, antworte ich nur für sie hörbar. »Bitte.«
»Na schön«, gibt sie sich geschlagen und schaut die Roughs wieder an.
»Dann stellen wir euch mal unsere Freunde vor«, sagt Camille gut gelaunt und führt uns zu den Tischen. Mit einem »Hey, Leute«, macht sie die anderen Erwachsenen auf sich aufmerksam. »Das sind Kim und Jasmine Sullivan, sie sind heute nebenan eingezogen«, verkündet sie, als alle Blicke auf sie gerichtet sind. »Also, das sind von links nach rechts: Avery und Dahlia Morrison, Linden und Thalia oder Thally Priest, Faith und Anson Morrison sowie Thierry und Holly Morrison«, stellt sie uns ihre Freunde vor.
Ich muss zugeben, dass ich mir nur zwei der Namen merken konnte, weshalb ich mich bloß zu einem »Hi« hinreißen lasse.
Kim gibt jedem von ihnen die Hand und stellt sich noch einmal vor, als ich merke, dass ich betrachtet werde.
Ich schaue zu dem Mann, der uns als zweites vorgestellt wurde. Mühsam ringe ich mir ein Lächeln ab, anschließend sehe ich Camille an. »Darf ich mich setzen?«
»Klar, such dir einen Platz aus.«
»Hey, Dad«, höre ich eine männliche Stimme.
Delsin schaut zur Terrassentür. »Was gibt’s, Cam?«
»Ich bin Hunter«, sagt der andere und verdreht die Augen. »Unglaublich, dass du es nach zwanzig Jahren immer noch nicht hinkriegst, uns auseinanderzuhalten.«
Delsin hebt abwehrend die Hände. »Ich habe deine Schwestern auch schon verwechselt, so was passiert, wenn man vier Kinder hat.« Er grinst spitzbübisch, was ihn um einiges jünger aussehen lässt. »Was gibt’s denn, mein Sohn?«
»Cam und ich wollen skaten gehen, ist es okay, wenn wir abhauen?«, fragt er interessiert.
»Hunter, wir haben Besuch und eure Freunde sind hier. Es wäre unhöflich, wenn ihr abhaut«, mischt Camille sich ein.
»Sie können doch mitkommen«, hält Hunter dagegen. Als er mich sieht, zwinkert er mir zu. »Hi, Jazz.«
Ich wende sofort den Blick ab und hole tief Luft.
»Nein, ihr bleibt hier. Geht runter an den Strand und spielt Football, das haben wir damals auch gemacht«, entgegnet sie entschieden. »Und ihr könnt Jasmine mitnehmen, damit sie euch besser kennenlernt.«
Moment, was?
Warum werde ich denn eingebunden?
Ich werfe meiner Tante einen Hilfe suchenden Blick zu, allerdings unterhält sie sich mit den Morrisons. Außerdem sitzt sie nicht neben mir, weshalb ich nicht aufspringen und sie auf mich aufmerksam machen will.
»Na gut, ich sage den anderen Bescheid«, gibt Hunter sich geschlagen.
Als ich mich wieder umsehe, fällt mir auf, dass der Mann mich immer noch betrachtet. »Kann ich vielleicht helfen?«, frage ich vorsichtig.
Er schüttelt den Kopf, dann lächelt er. »Tut mir leid, ich finde nur, dass du genauso aussiehst wie meine Frau damals.«
»Oh«, stoße ich aus. »Ist keine Absicht.« Danach lächle ich überfordert.
Er lacht. »Das glaube ich.« Er beugt sich vor. »Ich bin Linden Priest, das ist meine Frau Thally, die sich gerade unterhält.«
»Hi.« Ich greife über den Tisch und reiche ihm die Hand. »Freut mich sehr, Mr. Priest.«
»Bitte sag Linden, sonst komme ich mir so alt vor.«
Ich lache leise. »Ich bin Jazz.«
»Freut mich ebenfalls, Jazz.« Linden gibt meine Hand frei.
»Oh Mann, Hunter, renn nicht so, ich habe die falschen Schuhe an!«, höre ich ein Mädchen fluchen.
»Tja, es verlangt keiner von dir, dass du in High Heels durch die Gegend rennst, Ms. Priest.«
»Sadie?«, ruft Linden.
»Was ist denn, Dad?«
Er winkt sie heran, sie kommt näher. »Könntest du Jazz die anderen vorstellen? Sie ist neu in der Stadt und könnte bestimmt Anschluss gebrauchen.«
Ihr Blick fällt auf mich und ich finde, sie hat viel mehr Ähnlichkeit mit ihrer Mutter als ich. »Klar.« Sie lächelt und sieht dabei unwahrscheinlich gut aus. »Hi, ich bin Sadie.«
»Jazz«, erwidere ich scheu.
»Kommst du mit an den Strand? Dann können wir mit den Jungs Volleyball spielen.«
»Ich bin nicht besonders sportlich«, antworte ich aufrichtig.
»Dann setz dich daneben und guck zu«, grinst sie und tippt ihre Mutter an.
»Was denn, Schatz?«, fragt Thally.
»Können wir die Schuhe tauschen? Die Jungs wollen Volleyball spielen und ich habe die falschen Schuhe dafür an.«
Thally sieht sie skeptisch an. »Ihr spielt im Sand, warum willst du überhaupt Schuhe tragen?«
»Weil ich mir zuletzt eine Scherbe in die Ferse gerammt habe, als ich barfuß gespielt habe, noch mal will ich das nicht, Mom.«
Thally seufzt. »Ich kriege sie nachher wieder. Ich will nicht schon wieder in deinen High Heels nach Hause laufen.« Danach beugt sie sich vor und zieht ihre Schuhe aus. Sie reicht Sadie ihre Römersandalen.
»Danke, Mom.« Sadie beugt sich vor und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen und in die ihrer Mutter geschlüpft ist, sieht sie mich erwartungsvoll an. »Kommst du mit?«
»Ja.« Ich stehe auf und drücke meine Tasche mit dem Block und den Stiften an mich. Danach folge ich ihr. Die Jungs sind schon unten und haben sich links und rechts von einem gespannten Volleyballnetz aufgestellt. Es sind allerdings mehr als zwei.
»Wer ist das alles?«, möchte ich wissen.
»Oh, das sind DJ, mein jüngerer Bruder. Camren und Hunter. Außerdem Cane, er ist der Sohn von Ave und Dale, Ellie, sie ist die jüngere Schwester von Hunter und Camren und so weiter. Sie werden sich nachher selbst vorstellen, denke ich.«
»Und du bist die Tochter von Linden und Thally?«, frage ich, auch wenn ich es vorhin mitbekommen habe.
»Ja, die Tochter einer Architektin und eines Rockstars«, sagt sie seufzend.
»Rockstar?«, hake ich nach.
Sie nickt. »Kennst du vielleicht Downstair Alley?«
Ich schüttle den Kopf. »Nie von gehört, glaube ich.«
»Mein Dad war der Leadsänger, jetzt ist er Manager in der Branche und betreut ein paar Bands.«
»Okay.« Wir erreichen den Strand. »Ich setze mich dort vorne in den Sand und zeichne ein wenig.«
»Alles klar.« Sadie lässt mich stehen und läuft zu den anderen. Sie trägt eine dreiviertellange Hose und ein enges Top. Ihre schwarzen Haare hat sie zu einem strengen Dutt eingedreht. Sie ist wirklich verdammt hübsch.
Als ich mich gesetzt habe, schaue ich zu den übrigen Jugendlichen. Hunter und Camren tragen bloß Badeshorts und ich bin beeindruckt, wie trainiert die beiden sind. DJ, Sadies jüngerer Bruder, ist ebenfalls ziemlich gut gebaut. Ich frage mich, ob alle Jugendlichen in Miami so aussehen.
Kopfschüttelnd reiße ich mich von ihrem Anblick los, hole meinen Zeichenblock heraus, ebenso das Etui, in dem ich meine Stifte aufbewahre. Ich rolle es auf, greife zum Messer und einem Kohlestift und fange an, diesen ein wenig anzuspitzen.
Nachdem das erledigt ist, atme ich tief durch und fange an, meine Fantasie zu Papier zu bringen. Ich studiere Architektur, werde nach dem Sommer mein Studium hier wiederaufnehmen. Ich habe mich für diesen Studiengang entschieden, weil ich so gern zeichne. Mein Vater wollte mich gar nicht erst aufs College lassen, aber ich konnte mich durchsetzen, nachdem ich ein Stipendium bekam. Meine Tante hat ziemlich viel auf sich genommen, damit ich das Architekturstudium beenden kann. Es sind zwar noch vier Semester, die vor mir liegen, aber ich muss mir einen Job suchen, um sie ein wenig zu unterstützen, weil das Stipendium verloren ist. Ich bin mir sicher, dass ich mir mit einem Nebenjob keine goldene Nase verdienen kann, aber jeder Penny hilft.
* * *
Jasmine?«
Ich hebe den Blick und schaue hoch, weshalb ich die Augen verengen muss, da die Sonne in Hunters Rücken scheint. »Ja?«
»Das Essen ist fertig. Kommst du mit hoch?«
»Klar.« Ich klappe den Block zu, sortiere meine Stifte weg und verschließe das Etui. Ich räume alles in meine Tasche, nehme sie an mich und erhebe mich.
»Warum hast du nicht mitgespielt?«
»Weil ich nicht besonders sportlich bin«, weiche ich aus und laufe los.
»Okay, vielleicht solltest du trotzdem mal mitspielen, wenn du Anschluss finden willst.«
»Ja, sofern ich das will«, erwidere ich leise.
»Lebst du wirklich bei deiner Tante?«
»Ja, bei Kim.«
»Sie ist aber noch nicht so alt, oder?«
Irritiert hebe ich die Augenbrauen. »Wieso willst du das wissen?«
»Na ja, meine Tanten und Onkel sind im Alter meiner Eltern, aber da ich dich auf neunzehn oder zwanzig schätze, ist sie sicher jünger als deine Eltern, oder?«
»Ist sie.«
»Und wie alt ist sie?«
»Sie ist Anfang dreißig. Sie war noch ein Kind, als ich zur Welt kam.«
Hunter betrachtet mich nachdenklich. »Und wie alt bist du?«, hakt er nach, weshalb ich mich unwohl fühle.
»Ich bin neunzehn und du?«
»Zwanzig.«
»Dann sind deine Eltern sicher auch jung gewesen, als du zur Welt kamst.«
»Als Camren und ich zur Welt kamen. Wir sind Zwillinge und mein Dad war Mitte zwanzig, meine Mom etwas jünger.«
»In dem Alter waren meine Eltern auch.« Ich wende mich ab und laufe die Treppe hoch.
»Warum läufst du weg?«
»Du hast mich doch zum Essen gerufen, also gehe ich zurück auf die Terrasse.«
Kopfschüttelnd joggt er an meine Seite, überholt mich und läuft vor mir nach oben.
Als ich auf der Terrasse ankomme, sind alle Plätze besetzt, da Hunter sich auf dem letzten freien Stuhl niederlässt.
»Oh«, stoße ich leise aus.
»Camren, könntest du noch einen Stuhl für Jasmine holen?«, höre ich Delsin fragen, der neben mir aufgetaucht ist.
Ich schaue zu ihm hoch. »Nur keine Umstände, ich kann stehen.«
»Nein, du wirst dich an den Tisch setzen. Meine Gäste stehen nicht herum wie Falschgeld.«
Ich schnaube und verziehe meine Lippen zu einem Lächeln. »Danke, Mr. Rough.«
»Delsin«, korrigiert er mich sofort.
»Tut mir leid. Ich muss mich erst mal daran gewöhnen, dass ich die Erwachsenen hier mit ihren Vornamen ansprechen darf«, entschuldige ich mich.
»Schon gut, daran muss man sich wirklich erst gewöhnen«, erwidert er grinsend.
Ich sehe, dass er den Schalk im Nacken sitzen hat, außerdem ist er jung geblieben, denn er trägt ein Basecap und sein Gesicht weist auch nur sehr wenige Falten um seine Augen herum auf. Zudem stelle ich fest, dass Hunter und Camren ihm ähnlicher sehen als ihrer Mutter. »Ja und Veränderungen fallen mir nicht besonders leicht.«
»Du wirst es schon hinkriegen, Jazz.«
»Ich versuch’s zumindest, Delsin.«
»Hier ist der Stuhl«, verkündet Camren und stellt einen Holzstuhl an eine freie Stelle des Tischs.
»Danke«, erwidere ich, sein Vater bedankt sich ebenfalls.
»Was möchtest du essen, Jazz? Ich habe hier Burger, Steaks vom Rind, auch welche von der Pute, Würstchen.«
»Gibt’s Salat?«
»Auf den Tischen stehen verschiedene Salate.«
»Dann nehme ich nur davon etwas. Ich möchte kein Fleisch, aber danke.«
Er sieht mich irritiert an. »Alles klar.« Delsin überlässt mir einen Teller und gibt mir Besteck.
Ich setze mich an den Tisch, bediene mich an dem gemischten grünen Salat, der vor mir steht, und sehe, dass meine Tante sich immer noch unterhält. Ich fange an zu essen, ohne mich mit jemandem zu unterhalten. Zwar weiß ich, dass mir niemand von ihnen etwas antun wird, trotzdem habe ich Angst. Das sind nun mal die Nachwirkungen dessen, was mir passiert ist. Ich atme tief durch, kämpfe einmal mehr die Erinnerungen nieder und zucke zusammen, als mich jemand anstupst. Ich schaue nach rechts und sehe ein junges Mädchen neben mir sitzen.
Ich blicke sie fragend an.
»Hi, ich bin Lilly.«
Ich lächle sie an, obwohl sie mich erschreckt hat. »Hi, Lilly, ich bin Jazz.«
»Wohnst du jetzt nebenan?«
Daraufhin nicke ich. »Ich bin mit meiner Tante nebenan eingezogen.«
»Fühlst du dich wohl?«
»Ja.«
»Wie alt bist du?«, fragt sie weiter.
»Ich bin neunzehn und du?«
»Ich werde nächste Woche dreizehn«, antwortet sie grinsend.
»Freust du dich darauf, ein Teenager zu werden?«
»Ja, aber Dad nicht, weil Ellie nur Idioten mit nach Hause bringt«, grinst sie.
Ich lache leise. »Dann hat er bestimmt Angst davor, dass du auch nur Idioten mit nach Hause bringst.«
»Ich glaube auch.« Sie verengt die Augen ein wenig. »Hast du einen Freund?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Kleines, musst du Jazz für einen deiner Brüder aushorchen?«, schaltet Camille sich ein.
Lillys Wangen färben sich feuerrot. »Äh nein, Mommy.«
»Also doch«, meint Camille.
»Hunter hat mich gefragt, ob ich Jazz danach fragen kann«, verteidigt sie sich.
»Dann sag deinem Bruder, dass ich Single bin, aber gar keinen Freund will, weil ich Männer doof finde«, wende ich mich leise an Lilly.
»Hunter und Camren sind aber nicht doof.«
»Nein, die beiden vielleicht nicht, aber alle anderen, die mir in den letzten Jahren begegnet sind«, erkläre ich ihr geduldig. »Ich möchte lieber meine Ruhe.«
»Okay.« Sie seufzt. »Soll ich ihm das wirklich so sagen?«
»Auf jeden Fall.«
»Dann mache ich das nach dem Essen.«
Ich widme mich wieder meinem Salat und hoffe, dass ich gleich nach Hause gehen kann. Ich bin unheimlich müde, weil ich seit vier Uhr wach bin, seit fünf Uhr war ich stundenlang unterwegs, um den Umzugswagen nach Miami zu fahren.
An den Gesprächen beteilige ich mich nicht, weil ich so erschöpft bin.
* * *
Ich habe gegessen und danach geholfen, den Tisch abzuräumen, obwohl Camille mich daran hindern wollte. Zuhause helfe ich auch immer und Tante Kim beschwert sich nicht darüber.
»Tante Kim?«, spreche ich sie nach dem Aufräumen an.
Sie hebt die Hand. »Moment, Süße.«
Ich seufze schwer. Es nervt mich, dass sie mich warten lässt, aber ich beschwere mich lieber nicht.
Die Minuten vergehen und ich werde ungeduldig. Schließlich sehe ich Camille an. »Würden Sie meiner Tante sagen, dass ich nach Hause gegangen bin? Ich bin verdammt müde.«
Sie nickt mir zu. »Mache ich, Jazz.«
»Danke.« Ich verabschiede mich mit einem Winken in die Runde, anschließend mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin froh, wenn ich mich gleich hinlegen kann. Zwar muss ich heute Nacht auf der Couch schlafen, aber der Boden wäre schlimmer.
Als ich keine fünf Minuten später das Haus meiner Tante betrete, schließe ich die Terrassentür hinter mir ab. Wir haben jede einen Schlüssel, sodass ich meine Tante nicht aussperre. Ich ziehe meine Ballerinas aus, danach suche ich den Sack mit meiner Bettwäsche.
* * *
Eine Viertelstunde später habe ich ihn gefunden. Ich bin so fertig, dass ich fast im Stehen einschlafe, aber ich weiß, sobald ich liege, werden meine Gedanken nicht mehr stillstehen. So war es in jeder Nacht, seit es passiert ist. Ich finde keinen ruhigen Schlaf mehr, geschweige denn mehr als zwei oder drei Stunden Ruhe, ohne von einem Albtraum geweckt zu werden.
Ich laufe nach oben, ziehe mich in meinem Schlafzimmer um und mache mich wieder auf den Weg nach unten. Anschließend funktioniere ich die Couch zum Bett um und lege ein Laken auf die Sitzpolster. Nachdem auch Kissen und Decke darauf liegen, lege ich mich hin und schalte die Lampe auf dem Beistelltisch aus.
Ich schließe die Augen, aber von meiner Müdigkeit gibt es keine Spur mehr.
Sie hat sich verabschiedet und ich weiß nicht, was ich tun soll, um endlich einzuschlafen.
* * *
Am nächsten Morgen fühle ich mich gerädert und übernächtigt. Ich bin fix und fertig, weil ich ständig aufgewacht bin. Albträume, wann immer ich wieder eingeschlafen war, haben die Nacht zur Hölle gemacht. Vielleicht sollte ich meine Tante bitten, zuerst einen Therapeuten mit mir zu suchen. Allerdings wird sie darauf bestehen, dass wir erst mal für Möbel sorgen, solange wir den U-Haul Anhänger noch haben. Wir müssen ihn morgen zurückbringen, sodass die Möbel heute von uns gekauft werden sollten.
Ich strecke mich, meine Knochen knacken, dann stehe ich auf. Ich gehe in die Küche, wo ich Kaffee aufsetze und das Radio einschalte. Seufzend setze ich mich an den Esstisch, greife zu einem Prospekt, welches darauf liegt, und blättere es durch.
»Guten Morgen«, sagt Kim gut gelaunt, als sie in die Küche kommt. Sie trägt Hotpants, ein Top und einen Morgenmantel darüber. Ihr Haar hat sie schon gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ich hingegen sitze hier, als hätte ich tagelang nicht geschlafen.
»Hey«, erwidere ich verschlafen und reibe meine Augen. »Wie hast du geschlafen?«
»Wie ein Stein«, antwortet sie und schaut zu mir. »Oh, ich spare mir die Gegenfrage wohl besser.« Seufzend kommt sie an den Tisch. »Hattest du wieder einen Albtraum?«
»Nicht nur einen«, entgegne ich müde. »Können wir nach dem Frühstück los, um die Möbel zu kaufen, die wir noch brauchen?«
»Ja, das hatte ich vor.« Sie schenkt mir ein warmes Lächeln. »Wir sollten uns um einen Psychologen für dich kümmern, wenn wir wieder zu Hause sind, Jazz.«
»Darum wollte ich dich auch bitten«, gebe ich zu. »Ich brauche dringend Hilfe.«
»Denke ich auch, Süße.« Sie geht an den Kühlschrank, aus dem sie Eier und Milch herausholt. »Möchtest du Pancakes?«
»Gern«, antworte ich lächelnd.
»Dann gibt’s heute Pancakes zum Frühstück.«
Ich klatsche schnell in die Hände und stoße ein »Yay« aus. »Soll ich dir helfen?«
»Nicht nötig, ich kriege das alleine hin. Geh ruhig duschen.«
»Ich gehe mich waschen und anziehen, duschen gehe ich doch immer erst abends.«
»Dann mach es so.« Sie schaut lächelnd zu mir. »In zwanzig Minuten ist das Frühstück fertig.«
»Okay.« Ich stehe auf und verlasse die Küche, um in mein Zimmer zu gehen. Als ich dort bin, suche ich saubere Kleidung aus einem der Kartons. Ich entscheide mich für Jeansshorts und ein Top, hole außerdem Unterwäsche heraus – danach verlasse ich mein Schlafzimmer schon wieder.
* * *
Nachdem wir miteinander gefrühstückt hatten, hatten wir uns auf den Weg zum Möbelgeschäft gemacht. Wir haben die Pakete kaum in den Wagen heben können, weil uns die Kraft fehlt, weshalb meine Tante mich ratlos ansieht, als wir vor dem Haus geparkt haben und ausgestiegen sind. »Wie sollen wir die Sachen ins Haus bekommen?«
Ich ziehe die Schultern hoch. »Keine Ahnung. Wir können die großen Pakete aufmachen und die Teile einzeln ins Haus schaffen, aber dann besteht die Gefahr, dass wir keine Ahnung haben, was wir wo hingestellt haben.«
Sie lacht leise. »Vielleicht sollten wir die Roughs fragen, ob sie uns helfen können.«
»Du meinst Delsin, Hunter und Camren?«, hake ich nach.
»Ja genau. Könntest du bei ihnen klingeln gehen und fragen?«
Ich seufze schwer. »Mach ich.«
»Ich weiß, dass es dir schwerfällt, zu Fremden zu gehen, aber wir brauchen wirklich Hilfe.«
»Ich beschwere mich doch nicht«, verteidige ich mich kleinlaut, anschließend mache ich mich auf den Weg zum Nachbarhaus. Vor der Tür atme ich tief durch, dann lege ich meinen Finger auf die Klingel.
»Moment!«, ruft ein Mann, ich bin mir nicht sicher, ob es Delsin oder einer seiner Söhne war. Etwas später wird die Tür geöffnet und Delsin sieht mich fragend an. »Was gibt’s, Jazz?«
»Hi, Delsin. Tut mir leid, dass ich störe. Meine Tante und ich haben Möbel gekauft, aber jetzt scheitern wir an der Schwere der Pakete. Könnten Hunter, Camren und du uns vielleicht helfen?«, frage ich vorsichtig, dabei deute ich zum Umzugswagen.
Er kommt einen Schritt heraus, dann winkt er meiner Tante. »Klar, wir sind in fünf Minuten da. Ich muss mir nur etwas Anderes anziehen und die Jungs rufen.«
»Danke, das ist nett.«
»Möchtest du einen Moment hereinkommen?«, fragt er.
Ich schüttle den Kopf. »Ich sage meiner Tante Bescheid und wir fangen schon mal an, die kleineren Teile ins Haus zu bringen.« Danach lächle ich. »Bis gleich.«
»Bis gleich, Jazz.«
Ich wende mich ab und laufe zurück zu meiner Tante.
»Und?«, fragt sie hoffnungsvoll.
»Delsin muss sich umziehen und seine Söhne rufen, dann kommen sie. Er meinte, dass es um die fünf Minuten dauern wird.«
Sie nickt. »Gott sei Dank ist auf die Nachbarn Verlass.«
»Mhm«, stimme ich zu und schaue in den Umzugswagen. »Lass uns schon mal die kleineren Sachen ins Haus bringen.« Danach nehme ich eines der Pakete an mich, in dem sich einer der Nachttische verbirgt, die ich mir ausgesucht habe. Ich hebe es hoch, anschließend trage ich es ins Haus und weiter in mein Schlafzimmer. Ich will nicht, dass die Rough-Männer alles machen, weil meine Tante und ich keine Kraft haben. Sie sollen nicht die ganze Arbeit leisten, weil wir uns überschätzt haben. Ich hoffe nur, dass in den Paketen auch Werkzeug ist, damit wir die Möbel zusammenbauen können, denn meine Tante besitzt überhaupt nichts, außer einem Hammer und ein paar Nägeln. Ich weiß nicht, wie wir es ohne hinkriegen sollen, deshalb meine Hoffnung, dass etwas mit den Möbeln mitgeliefert wird.
Als ich nach unten laufe, höre ich schon die Stimmen von Delsin und seinen Söhnen. »Das soll alles ins Haus?« Das ist sicher Hunter.
»Ja, es tut mir leid. Wir haben ein kleineres Haus bewohnt und mussten etwas mehr kaufen als üblich«, entschuldigt sich meine Tante, als ich rauslaufe.
»Hi«, grüße ich Delsin, Hunter und Camren, danach hole ich den nächsten Nachttisch aus dem Wagen. »Tante Kim, könntest du dann auch helfen oder stehst du nur herum?«, necke ich sie.
Sie schnaubt amüsiert. »Kleines Biest.«
»Weiß ich.« Ich wende mich mit dem Karton in der Hand ab und schleppe ihn ins Haus. Morgen werde ich das so was von bereuen, alles, was heute passiert sein wird, denn ich will noch einige Möbel aufbauen, um nicht noch eine Nacht auf der Couch schlafen zu müssen. Mein Rücken dankt mir immer noch, was ich ihm angetan habe.
»Habt ihr Werkzeug, um die Möbel aufzubauen?«, höre ich Delsin fragen.
»Nein, aber in den Paketen sind sicher Inbusschlüssel oder Schraubenzieher.«
»Das bezweifle ich, wenn ihr nicht bei Ikea wart«, sagt er.
Ich höre Kim seufzen. »Könntest du uns vielleicht Werkzeug leihen?«
»Schaffen wir erst mal die Pakete in die jeweiligen Zimmer, danach hole ich meinen Werkzeugkasten.«
»Danke, Delsin, ich weiß nicht, wie ich wiedergutmachen soll, dass ihr uns helft.«
»Wofür hat man Nachbarn, wenn nicht für solche Fälle?«, fragt er freundlich.
»Gute Frage«, erwidert sie kichernd.
Kopfschüttelnd laufe ich die Treppe hinauf. Ich glaube, meine Tante flirtet mit ihm, aber er scheint nicht darauf einzugehen, da er schon im nächsten Moment nach Hunter und Camren ruft.
Ich stelle den Karton in meinem Zimmer ab und lasse meinen Blick schweifen. Meine Tante und ich haben ein großes Boxspringbett für mich gekauft, weil sie der Meinung ist, dass man nur darin gut schläft. Sie hat seit Jahren eines und meinte, dass sie seither nicht mehr über Rückenschmerzen geklagt hat.