John Sinclair 2255 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2255 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Es begann um Mitternacht!
Am Himmel leuchtete der Vollmond, und sein Licht tauchte den von der Welt vergessenen Wald in den Weiten der Highlands in ein seltsames Zwielicht. Eine einsame Eule zog zwischen den Wipfeln der Bäume ihre Bahnen, während sich unter ihr eine Herde Hirsche durch das Unterholz drückte.
Menschen lebten nicht in dieser Gegend. Auch in vielen Kilometern Entfernung stand nicht einmal ein Bauernhaus. Es wirkte fast, als wäre das Gebiet schon in den vergangenen Jahrhunderten gemieden worden, obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gab. Immerhin boten die bewaldeten, teils felsigen Hänge ein malerisches Panorama, und in dem im Tal gelegenen Moor hätten sich naturverbundene Spaziergänger sicher wohlgefühlt.
Trotzdem hielt man sich von hier fern ...


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Inhalt

Cover

Der Fluch der schwarzen Särge

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der Fluch derschwarzen Särge

von Rafael Marques

Es begann um Mitternacht!

Am Himmel leuchtete der Vollmond und tauchte den von der Welt vergessenen Wald in den Weiten der Highlands in ein seltsames Zwielicht. Eine einsame Eule zog zwischen den Wipfeln der Bäume ihre Bahnen, während sich unter ihr eine Herde Hirsche durch das Unterholz drückte.

Menschen lebten nicht in dieser Gegend. Auch in vielen Kilometern Entfernung stand nicht einmal ein Bauernhaus. Es wirkte fast, als wäre das Gebiet schon in den vergangenen Jahrhunderten gemieden worden, obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gab. Immerhin boten die bewaldeten, teils felsigen Hänge ein malerisches Panorama, und in dem im Tal gelegenen Moor hätten sich naturverbundene Spaziergänger sicher wohlgefühlt.

Trotzdem hielt man sich von hier fern ...

Das war nicht immer so gewesen. Wer genau hinsah, erkannte den in die Landschaft gegrabenen, gepflasterten Weg, der schnurstracks durch das Tal den Hang hinaufführte. Die meisten Passsagen waren längst von Gräsern, Büschen und kleinen Bäumen überwachsen, nur die steinerne Brücke, die über den kleinen, mitten im Moor gelegenen See führte, zeugte noch deutlich von den vergangenen Zeiten.

Im Tal sammelte sich langsam der Nebel, und mit der Zeit kroch er immer weiter in die Höhe. Zwischen den Bäumen ballte er sich zu einer undurchdringlichen, grauen Masse zusammen, und als er die letzten Tannen hinter sich ließ, sich einen Weg durch die Felsen bahnte und ein kleines, mit Gras bewachsenes Plateau erreichte, schien er sich bereits in ein lebendiges Wesen verwandelt zu haben.

Auf dem Plateau entstanden mit der Zeit die Umrisse eines Gebäudes. Es war weder ein Schloss noch eine Abtei, wie man sie so oft in den Weiten der Highlands fand. Innerhalb des Nebels materialisierte sich ein einfaches, einstöckiges Bauernhaus mit einem hölzernen Dach und schwachem Licht, das hinter den kleinen Fenstern glomm.

Schallendes Wiehern erfüllte die Luft, und schon bald hallte Hufgetrappel durch das entlegene Tal. Der Pferdewagen wirkte innerhalb des Nebels wie ein Gespenst, und ebenso schnell jagte das Gespann den Hang hinab. Wieder und wieder trieb der ganz in Schwarz gekleidete Kutscher seine beiden Pferde voran, die dadurch noch wilder wurden und schwerer zu kontrollieren waren. Aus ihren Nüstern drang kein Atem, dafür leuchteten ihre Augen unheilvoll.

Unter dem Verdeck klapperte die festgeschnallte Ladung, als das Gespann in den Bereich des Moors geriet und über die alte Steinbrücke rollte. Bald schon ließ es die Bereiche des Tals hinter sich und jagte weiter über Wege, die nur noch für diese Nacht zu existieren schienen. Hinaus aus der Einsamkeit und hinein in die Zivilisation ...

Ben Wilson genoss den Blick aus dem Fenster, auf die letzten Ausläufer von Fearnan und vor allem auf den nächtlichen Loch Tay. Er liebte es, zu beobachten, wie der frühmorgendliche Nebel über die Oberfläche des Sees und langsam in Richtung Berge kroch, mal in Richtung des anderen Ufers, mal direkt an seinem Cottage vorbei und hinauf zum erhabenen, über dem Loch thronenden Bergmassiv des Ben Lewan.

Manchmal, so wie in dieser Nacht, sah er auch Eaghan Cross, den Dorfältesten, wie er mit seinem Boot in die Mitte des Sees ruderte, um wie in alten Zeiten seine Angel auszuwerfen. Ein Anblick, der ihm jedes Mal einen Schauer über den Rücken rinnen ließ und ihn daran erinnerte, was im Leben wirklich zählte.

Es war eine dieser Nächte, von denen er sich wünschte, sie würden nie zu Ende gehen. Der volle Mond stand hoch am Himmel, und da nur einige Wolkenschleier am Sternenfirmament entlangglitten, gelang es seinem Licht, den sich zwischen den Bergen ausbreitenden See in einem ganz besonderen Glanz erstrahlen zu lassen.

Der Loch Tay war seine Heimat – er war hier geboren, aufgewachsen und hatte hier, tief in den Highlands, seine gesamte berufliche Karriere erlebt. Als einer der wenigen verbliebenen hauptberuflichen Schäfer hatte er zwar nicht viel verdient, dafür aber die Schönheiten der Natur in vollen Zügen genießen können. Da die meisten Uferbereiche des Sees entweder mit Straßen bebaut oder in Privatbesitz waren, erhielten nur wenige Menschen die Gelegenheit, den See so genießen zu können, wie es ihm möglich gewesen war.

Das gehörte inzwischen der Vergangenheit an. Mit seinen siebenundsechzig Jahren war es an der Zeit gewesen, den Schäferstab zur Seite zu legen und die Zeit, die seiner Frau Ellie und ihm noch blieb, in seinem Elternhaus in Fearnan zu genießen. Dennoch hielt er sich noch einige Schafe, die letzten Tiere aus seiner früheren Herde, die er einfach nicht loslassen wollte.

»Willst du nicht wieder ins Bett kommen?«

Ben drehte sich herum und sah, dass auch Ellie erwacht war. Sie kannte ihn nur zu gut und wusste, wie gerne er nachts am Fenster stand und den Nebel beobachtete. »Noch ein paar Minuten, Schatz«, sagte er leise und lächelte verträumt.

»Na gut«, erwiderte seine Frau, stöhnte und wälzte sich zur Seite.

Ben wollte sie nicht länger stören, zog sich etwas über und ließ den Vorhang wieder zurückgleiten. Die letzten durchdringenden Strahlen des Mondes wiesen ihm den Weg aus dem Schlafzimmer und in den Flur, von dem aus eine schmale Holztreppe in die Tiefe führte. Von draußen war die Aussicht zwar nicht so gut, aber zumindest konnte Ellie so in Ruhe schlafen und er etwas die klare Nachtluft genießen.

Als ein fremdes Geräusch an seine Ohren drang, verharrte er mitten auf der Treppe. Es war das Trappeln von Hufen, das die Nacht erfüllte. Er dachte an die Wildpferde der Highlands, von denen in der Nähe auch eine Herde lebte. Normalerweise zog es die Tiere jedoch nicht in die Dörfer, und das Getrappel hörte sich eher an, als wären die Hufe beschlagen worden.

Verwundert schüttelte er den Kopf, zog seinen Wintermantel zu und stieg auch die restlichen Stufen hinab. Die Geräusche kamen immer näher, und als die Tiere ein lautes Wiehern ausstießen, wusste er, dass sie sich direkt vor der Tür aufhalten mussten. Ben wollte endlich wissen, was auf seinem Grundstück vor sich ging, deshalb trat er auf die Tür zu und zog sie energisch auf.

Was er sah, ließ ihn auf der Stelle erstarren. Etwa zehn Meter vor dem Haus hielt ein alter Zweispänner mit einer hölzernen, von einem Verdeck verhüllten Ladefläche. Er erinnerte sich noch daran, dass er in seiner Kindheit zuletzt ein solches Gefährt erlebt hatte. Heute gehörten diese Pferdewagen eher in ein Museum.

Eine dunkle Gestalt löste sich vom Kutschbock und stieg auf die Ladefläche. Dass sie dabei beobachtet wurde, schien sie nicht zu interessieren. Der in einen schwarzen Umhang gehüllte Fremde hob seine Fracht an, sprang von der hölzernen Konstruktion herunter und baute sich wenige Meter von Ben entfernt auf.

»Hey, was soll denn das?«, rief er dem Unbekannten zu. Er versuchte, unter seinem breiten Hut, der in einen hochgestellten Kragen überging, ein Gesicht zu erkennen, leider ohne Erfolg.

Der Kutscher hielt etwas unter dem Arm, das er erst auf den zweiten Blick als Sarg identifizierte. So spielerisch leicht, wie er ihn mit sich führte, musste er leer sein. Wortlos stellte der Fremde die schwarze Totenkiste vor ihm ab, drehte sich wieder um und sprang zurück auf den Kutschbock.

Bevor Ben noch etwas sagen konnte, trieb er seine Pferde mit der Peitsche an und sorgte dafür, dass das Gespann davonpreschte. Schon nach wenigen Sekunden verschwand es, als es zwischen den nächsten Häusern des Ortes eintauchte. Nur das Trappeln der Hufe war noch einige Zeit zu hören, bis es irgendwann ebenfalls verklang.

Nach und nach kehrte wieder Ruhe im Bereich des beschaulichen Cottages ein. Nichts wies mehr auf den nächtlichen Besucher hin, abgesehen von dem Sarg. Ben glaubte bald, das alles geträumt zu haben, denn dass jemand mit einem alten Pferdewagen durch die Gegend fuhr, um ausgerechnet mitten in der Nacht einen Sarg auszuliefern, erschien ihm so irreal.

»Ben, was ist los?«, hörte er Ellies Stimme. Seine Frau stand an der offenen Tür und krampfte zitternd ihren Morgenmantel zusammen.

»Ich weiß es nicht.«

»Da war doch etwas, oder? Ein Reiter oder eine Kutsche.«

»Ja.«

»Und was wollte er hier?«

»Etwas abliefern. Einen Sarg.«

»Einen was?«, fragte sie entgeistert, und noch bevor sie etwas hinzufügen konnte, trat er zur Seite und sorgte so dafür, dass ihr die Worte im Halse stecken blieben. Der schwarze Sarg war im feuchten Gras nicht zu übersehen, und nachdem Ellie den ersten Schockmoment überwunden hatte, bekreuzigte sie sich.

Ben drehte sich dagegen wieder um und wollte sich den Sarg noch etwas genauer ansehen. Es handelte sich um eine der alten, aus Holz gefertigten und schwarz angestrichenen Kisten, die genau die Form eines Körpers nachzeichneten. Nachdem er in seinem Leben nun schon einige Freunde und Verwandte zu Grabe hatte tragen müssen, war ihm bewusst, dass diese Art von Särgen in heutiger Zeit so gut wie nicht mehr vorkam, zumindest nicht in dieser Gegend.

»Ben«, hörte er seine Frau hinter sich rufen.

Er reagierte nicht und ging in die Hocke, um den Deckel in die Höhe zu stemmen. Abgeschlossen war die Totenkiste nicht, weshalb es ihm nicht schwerfiel, sie zu öffnen. Mit einem lauten Quietschen glitt der Deckel aus der Verankerung, und als er ihn wieder losließ, kippte er nach hinten und blieb etwa auf halber Höhe hängen.

Gespannt trat er einen Schritt zurück, denn noch immer rechnete er damit, dass sich in dem Sarg eine Leiche befand. Aber da war nichts, kein Toter, kein Skelett, nicht einmal Asche. Allerdings konnte er auch den Boden nicht erkennen. In der Totenkiste ballte sich lediglich eine undurchdringliche Schwärze, die nicht einmal von dem recht intensiven Mondlicht durchdrungen werden konnte.

»Das gibt es nicht«, murmelte er vor sich hin, während er sich wieder hinabbeugte, eine Hand auf den Rand des Sargs legte und mit der anderen in die Dunkelheit hineingriff.

Er wollte eigentlich den Boden erfühlen, doch selbst als er sich noch weiter nach vorne beugte, nahm er keinen festen Untergrund wahr.

Dass sich seine Hand längst unterhalb des Sargs befinden musste, wurde ihm erst jetzt klar. Kurz nach dieser Erkenntnis kroch eine seltsame Kälte über die in der Finsternis befindliche Hand und drang schließlich in sie ein. Ben zuckte überrascht zurück und kippte nach hinten, doch als er auf seine Hand blickte, hatte sich an ihr nichts verändert. Nur die Kälte blieb.

»Ben, oh Gott«, rief Ellie und lief zu ihm, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. »Was war denn los?«

»Ich ... weiß es nicht ...«

»Und was ist mit deiner Hand?«

Ben Wilson blieb die Antwort im Halse stecken, als er sah, dass aus dem offenen Sarg dicke, schwarz glänzende Krakenarme hervordrangen. Zunächst zuckten sie nur ziellos durch die Luft, dann krochen sie über den Boden und kamen Ellie und ihm bereits gefährlich nahe.

Er wollte seine Frau noch mit sich ins Haus ziehen, reagierte aber zu langsam. Die Arme schlängelten sich an seinen Beinen in die Höhe, erfassten seine Hüfte und umschlangen seine Brust, sodass ihm bald die Luft wegblieb.

Er wollte trotzdem noch um Hilfe schreien, doch die Tentakel drückten sich auch gegen seinen Mund und erstickten jeden Ton im Keim. Die fremden Kräfte rissen ihn von den Beinen, und jetzt sah er, dass es Ellie nicht anders erging. Ihre Augen waren bereits verdreht, und bald spürte er, dass auch aus seinem Körper das Leben wich.

Als seine Frau und er in den Sarg gezogen wurden und sich die Klappe über ihnen schloss, war er längst nicht mehr am Leben ...

»Post für dich, John.«

Ich blickte von der Tageszeitung auf, als Glenda in unser Büro trat und mich mit einem hintergründigen Lächeln begrüßte. Ich lächelte vorsichtig zurück, vor allem wegen ihres reizvollen, aus einem gelbem Top, einem dunklen Rock und schwarzen Lederstiefeln bestehenden Outfits. Mein Blick irrte schnell wieder von ihr ab, als sie mir den kleinen, frankierten Umschlag übergab.

»Wer schreibt John denn?«, fragte Suko, der gemütlich eine Tasse Tee trank und ansonsten auch nicht viel aktiver war als ich.

Glenda hob die Schultern. »Es steht kein Name drauf. Wahrscheinlich eine seiner zahlreichen Freundinnen. Maxine, Nadine, Janine, ...«

»Hey«, warf ich ein. »Janine Helder ist ein wenig zu alt für diese Liste, und in Avalon gibt es meines Wissens keinen Postservice.«

»... Purdy, Jane, ...«, fuhr Glenda fort.

Ich winkte ab. »Ist ja gut, ich habe es verstanden. Erst mal sehen, ob der Brief überhaupt von einer Frau ist.«

Ich achtete nicht weiter auf die schnippischen Kommentare und kümmerte mich nun wirklich um den Brief. Ein Absender war nicht vermerkt, und die Schrift kam mir auch nicht bekannt vor. Zumindest konnte ich davon ausgehen, dass mir der Umschlag nicht gleich um die Ohren flog, denn jede Post wurde erst gründlich durchleuchtet, bevor sie bei uns landete. Mein Kreuz meldete sich auch nicht, was mich einigermaßen beruhigte.

In dem Umschlag steckte eine Postkarte, auf der ein See mit grünen Bergen und dunklen Wolken im Hintergrund abgebildet war, der mich sofort an Schottland, die Heimat meiner Eltern, denken ließ. Ich drehte die Karte um und blickte auf einen handgeschriebenen Text, den ich leise vorlas: »Besuchen Sie doch einmal den wunderschönen Loch Tay. In Fearnan hat man schon einen Sarg für Sie bereitgelegt.«

Suko ließ seine Tasse sinken. Mit seiner guten Laune war es vorbei, und Glenda und mir ging es genauso. Ein Spaß war die Postkarte bestimmt nicht, eher schon eine unverhohlene Drohung, verbunden mit einer offensichtlichen Falle.

»Da hat sich wohl wieder einer unserer Freunde aus der Hölle gemeldet«, sagte Suko mit ernster Miene.

»Möglich. Nur, seit wann schicken uns Dämonen Briefe? Und warum lädt man mich – und nur mich – ausgerechnet zu diesem Loch Tay ein? Das könnten sie auch wesentlich einfacher haben.«

»Sagt dir der Name des Sees denn etwas?«

»Nein, nicht einmal ansatzweise.«

Die Frage war auch, wie ich auf die Karte reagieren sollte. Man wollte mich also an den Loch Tay locken, um mich dort in einen Sarg zu stecken. Was würde wohl passieren, wenn ich die Botschaft schlichtweg ignorierte und abwartete, wie die andere Seite darauf reagierte? Es wäre wahrscheinlich das erste Mal, wenn es meine Gegner bei einer einfachen Drohung beließen. Meist gerieten nicht nur meine Freunde und ich, sondern auch Unbeteiligte ins Kreuzfeuer, und genau das musste ich um jeden Preis verhindern. Auch wenn mir die Falle wie ein Kastenteufel entgegensprang, würde ich mich wohl auf den Weg nach Schottland machen, um der Botschaft auf den Grund zu gehen.

»Du willst da hin, oder?«, fragte Suko, was ich mit einem stummen Nicken quittierte.

Gerade als sich Glenda wieder in das Gespräch einklinken wollte, meldete sich mein Telefon. Sir James wollte anscheinend etwas von uns, und ich ging davon aus, dass er uns nicht nur einen angenehmen Mittagsschlaf wünschen wollte.

»Ja, Sir«, meldete ich mich.

»Kommen Sie doch einmal bitte in mein Büro, John, und nehmen Sie Suko mit.«

»Ein neuer Fall?«

»Möglicherweise.«

»Okay, wir kommen.«

»Wenn das mal kein Zufall ist«, sagte Glenda, drehte sich um und öffnete uns die Tür.

Während sie zu ihrem Schreibtisch zurückkehrte und uns noch einen leicht sorgenvollen Blick nachwarf, gingen wir durch den kurzen Flur zum Büro unseres Chefs. Sir James begrüßte uns und bat uns, Platz zu nehmen. Der Superintendent wirkte wie immer, und dank Glenda stand bereits wieder eine Flasche mit kohlensäurearmem Wasser auf dem Tisch.

»Ich hoffe, Sie hatten bisher einen angenehmen Tag«, begrüßte er uns. »Wie es aussieht, ist die Zeit der Ruhe erst einmal wieder vorbei, denn ich habe eine Anfrage zu einem seltsamen Fall erhalten, der die Kollegen in Schottland derzeit beschäftigt. Allerdings kann ich nach den bisherigen Erkenntnissen noch nicht einmal genau sagen, ob die Geschehnisse dort wirklich in unser Metier fallen. Es sind mehr die seltsamen Umstände, deretwegen man uns um Hilfe gebeten hat.«

»Was konnten die Kollegen denn sagen?«, hakte ich nach.

»Nun, es geht wohl um ein verschwundenes Ehepaar aus Fearnan, einem kleinen Ort mitten in den Highlands. Man geht von einer Entführung aus, denn die Kollegen fanden nicht nur eine offene Haustür vor, auch die Papiere und alle Wertsachen sind von Ben und Ellie Wilson zurückgelassen worden. Das rätselhafteste Detail ist jedoch ein altertümlicher, schwarzer Sarg, der wie verloren vor dem Haus lag.«

»Ein Sarg? Fearnan? Am Loch Tay?«, fragte ich überrascht und warf Suko einen irritierten Blick zu.

Sir James verengte die Augen. »Ich will nicht behaupten, dass ich Ihre geografischen Kenntnisse unterschätzt habe, aber: Woher wissen Sie das? Und was ist das für eine Postkarte, die Sie in der Hand halten?«

Ich hatte die Karte eigentlich nur mitgenommen, um den Superintendenten über die mysteriöse Drohung zu informieren. Jetzt kam mir dieser Umstand wie ein Wink des Schicksals vor, und gleichzeitig wunderte ich mich über den ungeheuren Zufall, dass die Karte nur Minuten, bevor uns Sir James zu sich gerufen hatte, bei uns im Büro angekommen war. Falls es sich denn wirklich um einen Zufall handelte ...

Sir James nahm die Postkarte von mir entgegen, rückte seine Brille zurecht und las den handgeschriebenen Text noch einmal leise vor. »Ich nehme nicht an, dass Sie wissen, von wem diese Botschaft stammt«, resümierte er.

»Leider nicht. Und von dem Loch Tay habe ich vorher, ehrlich gesagt, noch nie etwas gehört.«

»Das kann ich mir denken, denn mir ging es genauso. Tatsache ist jedenfalls, dass die scheinbar so eindeutige Drohung unter Umständen eher als praktischer Hinweis gedacht ist. Ich würde jedenfalls nicht davon ausgehen, dass man Ihnen dadurch den Tod voraussagen will. Es scheint mir eher so, als würde der Absender der Anfrage, dass Sie nach Schottland reisen sollen, noch einmal Nachdruck verleihen wollen.«

»Dann müsste er über die Ermittlungen bereits informiert sein.«

»Das werden Sie wohl herausfinden müssen. Ich denke nicht, dass Sie trotz des Fehlens eines Beweises für übernatürliche Aktivitäten auf eine Reise an den Loch Tay verzichten möchten, oder irre ich mich da?«

»Nein, auf keinen Fall«, gab ich zu. »Allerdings auch nicht ohne Rückendeckung. Suko muss ja nicht in offizieller Mission mit nach Schottland reisen, aber es wäre nicht schlecht, jemanden zu haben, der aus der Entfernung ein Auge auf mich wirft. Nur, falls es sich wirklich um eine Falle handeln sollte.«

»Hm, na gut. Ich lasse das Büro ja nie gerne längere Zeit unbesetzt, in diesem Fall erscheint es mir jedoch angebracht. Bevor Sie abreisen, habe ich noch zwei weitere wichtige Informationen für Sie: Zum einen heißt Ihre Kontaktperson in Fearnan Inspektor Leona Phelan, und zum anderen haben Zeugen in der Nacht, in der das Ehepaar Wilson verschwunden ist, noch eine Beobachtung gemacht. Laut der Aussagen soll etwa zur gleichen Zeit ein altertümlicher Pferdewagen durch die Gassen der Stadt geprescht sein.«

»Ein Pferdewagen?«

»So sieht es aus, John. Ich werde es Glenda überlassen, den Flug und zwei Leihwagen für Sie zu buchen, dann können Sie bald abreisen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg – und Suko?«

»Ja?«

»Passen Sie auf Ihren Partner auf.«

»Ich werde ihn nicht aus den Augen lassen.«

Ohne dass es Sir James bemerkte, warf ich Suko einen verstohlenen Blick zu. »Ich hoffe, das hast du nicht wörtlich gemeint«, flüsterte ich ihm zu. »Zumindest unter der Dusche würde ich mich noch über etwas Privatsphäre freuen.«

Mein Partner grinste. »Du hast wohl noch nie den Film Psycho gesehen, John. Gerade da bist du besonders gefährdet.«

Ich seufzte. »Das kann ja heiter werden.«