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Feierabend!
Für mich, John Sinclair, bedeutet das, eine frisch aufgebackene Pizza aus dem Ofen zu holen, sie neben die Flasche Bier auf den Tisch zu stellen und den Fernseher einzuschalten. Manchmal kann Glück etwas sehr Simples sein, besonders für einen alleinstehenden Mann, der schon eine Anleitung braucht, um sich selbst einen Salat zuzubereiten. Außerdem gestaltet sich mein Leben meist stressig genug, da schalte ich zu Hause am liebsten ab und lasse die Seele baumeln.
Andererseits war es ein ruhiger Tag im Büro gewesen. Suko und ich hatten den Bericht zu unserem letzten Fall geschrieben und versucht, mehr über die ›Wahre Gemeinde‹ in Erfahrung zu bringen, allerdings ohne großen Erfolg. Auch ihr teuflischer Prophet Damus blieb verschwunden. So verlief der Tag recht ereignislos. Der härteste Kampf war der mit dem Londoner Verkehr gewesen, aber den kannte ich ja nun schon seit vielen Jahren.
Grund genug also, sich zurückzulehnen und zu entspannen. Nun, zumindest, wenn es nicht - wie gerade jetzt - an der Tür klingelte ...
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Seitenzahl: 132
Cover
Aibons Vampirbrut
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Aibons Vampirbrut
von Rafael Marques
Feierabend!
Für mich, John Sinclair, bedeutet das, eine frisch aufgebackene Pizza aus dem Ofen zu holen, sie neben die Flasche Bier auf den Tisch zu stellen und den Fernseher einzuschalten. Manchmal kann Glück etwas sehr Simples sein, besonders für einen alleinstehenden Mann, der schon eine Anleitung braucht, um sich selbst einen Salat zuzubereiten. Außerdem gestaltet sich mein Leben meist stressig genug, da schalte ich zu Hause am liebsten ab und lasse die Seele baumeln.
Andererseits war es ein ruhiger Tag im Büro gewesen. Suko und ich hatten den Bericht zu unserem letzten Fall geschrieben und versucht, mehr über die ›Wahre Gemeinde‹ in Erfahrung zu bringen, allerdings ohne großen Erfolg. Auch ihr teuflischer Prophet Damus blieb verschwunden. So verlief der Tag recht ereignislos. Der härteste Kampf war der mit dem Londoner Verkehr gewesen, aber den kannte ich ja nun schon seit vielen Jahren.
Grund genug also, sich zurückzulehnen und zu entspannen. Nun, zumindest, wenn es nicht – wie gerade jetzt – an der Tür klingelte ...
»Was ist denn jetzt?«, murmelte ich und stellte den Ton des Fernsehers ab.
Ich wischte die Krümel von meinem Shirt, richtete mich auf und ging zur Tür. Die Beretta, die auf einem der kleineren Schränke ruhte, ignorierte ich. So paranoid war ich noch nicht, dass ich sie bei jeder Gelegenheit in die Hand nahm. Außerdem machten sich meine Feinde normalerweise nicht auf diese Weise bemerkbar, bevor sie mich bei mir zu Hause angriffen.
Bevor ich etwas sagte oder die Tür öffnete, warf ich einen Blick durch den Spion. Schnell stellte ich fest, dass mich weder Suko noch Shao störten und auch keiner meiner Nachbarn der Meinung war, er müsste sich um diese Uhrzeit eine wichtige Zutat für den nächsten Kuchen von mir borgen. Bei dem Ankömmling handelte es sich schlichtweg um einen Paketboten, der ein Päckchen in der Hand hielt und bereits ungeduldig auf seine Armbanduhr starrte.
Ich tat ihm den Gefallen und öffnete die Tür. Nachdem ich ihm meinen Namen genannt hatte, musste ich nur noch unterschreiben, dann bekam ich ein gut zehn Zentimeter großes, flaches Päckchen in die Hände gedrückt, auf dem seltsamerweise keine Absenderadresse vermerkt war.
Für eine Bombe war die Sendung viel zu leicht, und auch mein Kreuz zeigte keine Reaktion.
Trotzdem blieb ich misstrauisch, als ich das Päckchen in meiner Wohnung auf den Tisch legte. Die entspannte Stimmung war verflogen. Klar konnte es sich bei der Sendung um etwas völlig Harmloses handeln, doch mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes, deshalb ließ ich auch das Kreuz offen vor der Brust baumeln.
»Also gut«, murmelte ich, öffnete das Päckchen und winkelte es an, sodass sein Inhalt auf den Tisch glitt.
Es handelte sich um ein handtellergroßes, aus Holz geschnitztes Auge.
Wer, um alles in der Welt, kam auf die Idee, ein Auge zu schnitzen und es mir per Paketdienst zu schicken?
Für alles gibt es ein Motiv, deshalb ging ich davon aus, dass mir jemand etwas damit sagen wollte.
Ich ließ mich wieder auf der Couch nieder und betrachtete das Auge aus der Nähe. Alles war sehr detailverliebt herausgearbeitet. Außerdem fiel mir auf, dass das Holz schon sehr alt sein musste, zudem roch es leicht muffig, als hätte es zu lange in einem schlecht belüfteten Keller gelegen.
Ich streckte meine linke Hand danach aus und fuhr mit den Fingern über die Pupille, in deren Mitte sich eine kleine Kuhle befand. Ich war nicht einmal sonderlich überrascht, als ich feststellte, dass das Holz nicht kalt war, sondern eine unnatürliche Wärme aufwies. Von den Außentemperaturen stammte sie bestimmt nicht, also handelte es sich bei dem hölzernen Teil um keinen normalen Gegenstand – er war mit einer übernatürlichen Kraft beseelt.
Mir schossen einige Vergleiche durch den Kopf, etwa mit Fällen, in denen ich mit dämonischen Schnitzereien konfrontiert worden war, aber auch mit dem Allsehenden Auge, auch Auge der Vorsehung genannt, das mit dem ägyptischen Gott Osiris in Verbindung steht und auch auf meinem Kreuz eingraviert ist. Bei genauerer Betrachtung stellte ich jedoch fest, dass es mit dem Symbol auf meinem Talisman nicht wirklich etwas gemein hatte.
Bisher hatte sich das geweihte Silber meines Kreuzes nicht erwärmt, was mich schon ein wenig enttäuschte. Eigentlich hätte es auf die fremde Magie reagieren müssen, es sei denn, sie stammte aus einem Kulturkreis, dem das Symbol des Kreuzes fremd war.
Jemand wollte mir auf diese Weise etwas sagen, das stand für mich fest, aber warum schickte mir der Absender nicht einfach einen Brief?
Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als das Kreuz dennoch einzusetzen und zu hoffen, dass es entgegen allen Erwartungen zu einer Reaktion kam. Zu diesem Zweck zog ich die Kette mit dem Kreuz über den Kopf und ließ meinen Talisman mit der ausgestreckten rechten Hand vorsichtig auf das Auge niedersinken.
Doch selbst, als sich das geweihte Silber nur noch wenige Zentimeter über dem hölzernen Artefakt befand, geschah nichts.
Wenige Sekunden später kam es zum Kontakt – und damit endlich zu einer Reaktion!
Am unteren Ende des langen Balkens, dort, wo sich das Symbol des Erzengels Uriel befand, entstand ein schwacher Schein. Doch mit dem Feuerengel hatte dieses grüne Licht sicherlich nichts zu tun.
Wie in Zeitlupe kroch es über die gesamte Oberfläche des Kreuzes und nahm es bald vollständig ein.
Ein grünes Leuchten!
Damit war ein klar: Es ging um Aibon, das Paradies der Druiden!
»Verfluchter Nebel!«, schimpfte Sarah Amtor, tippelte nervös auf dem Lenkrad herum und versuchte, sich auf die Fahrbahn im Licht der Scheinwerfer zu konzentrieren.
Immer wieder spielte das Wetter in dieser Gegend verrückt, die sie eigentlich schon längst hinter sich gelassen haben wollte.
Innerlich verfluchte sie auch wieder ihren schlecht bezahlten Job, die Überstunden und ihr Leben im Allgemeinen. Wäre alles nach Plan gelaufen, würde sie nun in einem gemütlichen Büro in Wien sitzen, statt sich durch die Einsamkeit des Burgenlandes zu kämpfen. Leider kam es meistens anders, als man dachte, so auch in ihrem Fall.
Der Umzug und damit auch das tolle Jobangebot waren geplatzt wie die berühmte Seifenblase, als sich ihre sogenannte große Liebe völlig überraschend von ihr getrennt und ihr die gesamten Ersparnisse gestohlen hatte.
Nun war sie gezwungen, als kleine Assistentin wieder genügend Geld anzusparen, um eines Tages auf eigenen Beinen stehen zu können und nicht in der winzigen Wohnung auf dem Hof ihrer Eltern wohnen zu müssen.
Doch solange das so war, würde sie auch mit diesen verfluchten Nebel zurechtkommen müssen.
Auf der Straße zwischen den Feldern gestaltete sich dieses Wetter noch ganz harmlos, wenn sie dagegen bald in den Wald eintauchte, würde sie wohl oder übel Schritttempo fahren müssen, um nicht in der nächstbesten Böschung zu landen. Dabei bezeichnete sich Sarah gerne als begeisterte Autofahrerin, die auch mal ein wenig aufs Gas trat, wenn gerade keine Polizei in der Nähe war. In dieser Nacht wäre das ihr sicherer Tod gewesen.
Der Tannenwald rückte immer näher. Kurz waren die Lichter des kleinen Ortes Oberweinberg auszumachen, der Willersdorf am nächsten lag und in dem einige ihrer alten Freunde aus Schultagen wohnten. Ein Vorteil hatte es, dass sie nun länger als geplant zu Hause wohnte: Sie durfte sich noch ein wenig länger an ihre unbeschwerten Kindheitstage erinnern und konnte sich mit all jenen treffen, die sie ansonsten für immer hinter sich gelassen hätte.
Ihr Wagen tauchte in den Wald ein, und die Bäume kamen ihr in der Nacht wie dämonische Riesen vor, die ihre knochigen Äste nach ihr ausstreckten. Zudem bestätigte sich ihre Befürchtung, dass der Nebel hier noch dichter war. Wenn jetzt ein Reh oder Hirsch auf die Straße lief, würde sie das Tier, obwohl sie nicht allzu schnell fuhr, zu spät sehen, ging es ihr durch den Sinn.
Ein Schrei löste sich aus ihrer Kehle, als in diesem Moment tatsächlich ein Schatten aus dem Wald und auf die Straße huschte.
Sarahs Hände krampften sich um das Lenkrad, gleichzeitig hämmerte sie die Bremse nach unten.
Trotz ihrer Befürchtung bekam sie den Wagen rechtzeitig zum Stehen.
Was da vor ihrem Auto erschienen war, war kein Tier, sondern ein Mensch. Genauer gesagt ein Mann, den sie sogar sehr gut kannte, denn es handelte sich um niemand anderen als Simon Hogenthaler, ihren ersten Freund, für den sie auch jetzt noch sehr viel empfand, wenn auch nicht das, was er sich von ihr erhoffte.
Simon war für seine Nachtspaziergänge bekannt, allerdings bewegte er sich alles andere als normal. Er taumelte über den Asphalt, wirbelte immer wieder herum und schlug wild um sich, als würde er gegen Geister kämpfen, die für ihre Augen unsichtbar in den Tiefen des Nebels auf ihn lauerten.
Tatsächlich tauchten zwei schattenhafte Wesen auf, Männer wohl, die in lange braune Ledermäntel gehüllt waren – und jeder von ihnen hielt einen Dolch mit langer Klinge in der Hand!
Wie Irrwische umtanzten sie Simon und lachten ihn dabei lauthals aus. Doch ein Spaß war das ganz sicher nicht, denn der Bauerssohn blutete bereits aus mehreren Wunden.
Sarah fasste einen Entschluss. Was auch immer da vor ihr geschah, sie würde ihren alten Freund nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Sie öffnete das Handschuhfach und holte das Springmesser hervor, das sie zu ihrer eigenen Sicherheit immer im Wagen hatte. Dass man in dieser ländlichen Gegend sicherer lebte als in der Großstadt, hielt sie für ein Gerücht. Die Menschen waren überall gleich, besonders die Männer, von denen einige glaubten, hübsche Frauen wie sie wären Freiwild.
Sie ließ die Klinge herausschnappen, löste den Gurt, öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen.
Sie wollte den Gestalten in ihren langen Mänteln etwas zurufen, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie sah, was mit Simon geschah. Einer der Angreifer hatte ihm mit seinem Dolch die rechte Wange aufgeschlitzt und am Kragen gepackt. Doch statt ihm dem Todesstoß zu versetzen, leckte er ihm gierig über die Wunde und präsentierte dabei zwei überlange Eckzähne, die aus seinem Oberkiefer ragten.
Sarah dachte sogleich an einen Vampir, obwohl es solche Wesen doch nur in Filmen gab!
Andererseits wirkte die Kleidung der beiden, als würden sie aus einer völlig anderen Zeit stammen. Einer trug unter seinem mit goldenen Knöpfen besetzten Mantel ein weißes Rüschenhemd, dazu eine Hose, die zwischen Hüfte und Knien weiter war als an den Unterschenkeln. Zudem trug er festgeschnürte Stiefel. Mit einem derartigen Outfit hätte dieser Typ eher auf ein Mittelalterfest gepasst, sein Gefährte ebenfalls.
Die Angreifer hatten sie natürlich längst bemerkt, denn alles spielte sich im Licht der Scheinwerfer ihres Autos ab. Doch sie dachten gar nicht daran, sie anzugreifen. Stattdessen lächelte der zweite Mann sie nur an, fuhr sich durch das schulterlange dunkelbraune Haar und riss dann den Mund weit auf, um seine ebenfalls überlangen Eckzähne zu präsentieren.
Er wandte sich von Sarah ab und stürzte sich wie ein ausgehungertes wildes Tier auf Simon, der wehrlos im Griff seines Begleiters hing, drehte dessen Kopf zur Seite – und biss ihm in den Hals!
Nach einigen Sekunden ließ er von Simon ab und drehte sich erneut nach Sarah um. Das Gesicht des Mannes war mit Blut besudelt. Mit einer runzligen Zunge leckte er sich über die Lippen, lachte wild in Sarahs Richtung und schrie dann seinem Kumpan etwas zu.
Gemeinsam packten sie den scheinbar leblosen Simon und trugen ihn in den Wald, wo sie im Nebel verschwanden ...
Es war schon merkwürdig, dass ich auf eine derart seltsame Weise mit dieser besonderen Welt konfrontiert wurde.
Aibon, diese fantastische Dimension, sowie ihre Hinterlassenschaften auf der Erde begleiteten mich schon seit sehr langer Zeit. Daher wusste ich auch, dass das Druidenparadies seine Schattenseiten hatte.
Denn Aibon war ein zweigeteiltes Reich, in der seit der Entstehung dieser Dimension ein ewiger Kampf zwischen Gut und Böse tobte. Einst aus den Körpern der gefallenen Engel entstanden, hatte dieser Ort lange unter dem Schutz des Sehers gestanden, bis dieser in die Tiefen des Kosmos eingegangen war. Seitdem war es dort zu großen Veränderungen gekommen, für die ich teilweise eine Mitverantwortung trug.
Guywano, der Druidenfürst, der lange Zeit die dunkle Seite beherrscht hatte, existierte nicht mehr, und gleiches galt auch für den Hook, den König des Zwischenreichs, und beinahe wäre vor nicht allzu langer Zeit auch der Rote Ryan gestorben.
Wäre es meinen Freunden und mir nicht gelungen, einen gefährlichen Vampir namens Iovan Raduc zu vernichten und gemeinsam mit höheren Kräften Mandragoro aus Aibon zu vertreiben, wäre das Paradies der Druiden sogar vollständig vernichtet worden.
All dies schoss mir durch den Kopf, während mein Kreuz diesen matten grünen Glanz abgab. Das geweihte Silber stand der Magie Aibons neutral gegenüber, ich war also nicht in der Lage, es gegen Wesen aus dieser Welt einzusetzen, ganz gleich, wie böse sie waren.
»Sie haben es gesehen und verstehen, was ich Ihnen damit sagen wollte, John Sinclair?«
Die Stimme, die anscheinend direkt aus dem hölzernen Auge gedrungen war, ließ mich zusammenzucken. Dem Roten Ryan gehörte sie nicht, jenem Hüter der guten Seite Aibons. Wenn mich nicht alles täuschte, stammte sie von einem älteren Mann, zumindest wies der raue Klang darauf hin.
»Ich verstehe nur, dass es um Aibon geht«, erklärte ich.
»So ist es, und Sie sind jemand, der Aibon nicht nur vom Namen her kennt, sondern auch schon mit den Kräften dieser Welt konfrontiert wurde. Ich gehöre ebenfalls zu diesem Kreis, wenngleich ich fürchte, langsam die Kontrolle zu verlieren. Deshalb habe ich eine Bitte an Sie: Reisen Sie nach Willersdorf, einem kleinen Ort in Österreich! Dort in der Nähe befindet sich das altehrwürdige Schloss Barthóloz, auf dem ich Sie morgen Mittag erwarten werde. Ich hoffe, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch am Leben bin ... und kein Untoter!«
Nach diesen Worten brach der Kontakt ab. Ich erhielt nicht einmal die Gelegenheit, den Sprecher nach seinem Namen zu fragen. Auch das grüne Licht, das mein Kreuz eingeschlossen hatte, erlosch, und als mein Blick zurück zur Tischplatte wanderte, sah ich, dass das hölzerne Auge zu Staub zerfallen war. Es hatte seinen Zweck erfüllt und war durch die hier wirkende Magie aufgebraucht worden.
Ich atmete tief durch. So recht konnte ich mir noch immer keinen Reim auf diese anonyme Botschaft machen, doch wie es schien, braute sich in Österreich etwas zusammen. Wem immer die Stimme gehört hatte, befürchtete, bald zu einem Untoten werden könnte, was immer er auch genau damit meinte.
Eines stand für mich definitiv fest: Ich würde mich auf den Weg zu diesem mysteriösen Schloss machen, und dass sicher nicht allein.
Wie lange Sarah einfach nur dastand, während neben ihr noch immer der Motor ihres Wagens lief, hätte sie später nicht mehr zu sagen gewusst. Sie verstand die Welt nicht mehr, und schon bald fragte sie sich, ob das, was sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatte, nur ein böser Traum gewesen war.
»Ich muss die Polizei rufen«, flüsterte sie, ohne sich von der Stelle zu bewegen. »Ja, das war schließlich ein Angriff. Simon ist in Gefahr, wahrscheinlich braucht er sogar einen Krankenwagen.«
Eher einen Leichenwagen.
Sarah schluchzte, weil sie sich für den zynischen Gedanken schämte. Ein Freund war vor ihren Augen von Gestalten überfallen worden, die direkt aus einem Horrorfilm entsprungen zu sein schienen, doch sie hätte ihn vielleicht retten können, hätte sie nicht Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen.
Wie eine Puppe drehte sie sich um, um zurück in den Wagen zu steigen.
Neben der offenen Tür stand eine Gestalt, deren Anblick ihr erneut einen Schauer über den Rücken rieseln ließ.
Es war ein Mann mit schlohweißem schulterlangem Haar, in dessen bleichem Gesicht das linke Auge in einem besonders intensiven grünen Schein leuchtete. Das rechte hingegen war von einer schwarzen Lederklappe verdeckt, die gut zu seiner übrigen Kleidung passte. Viel erkannte sie nicht, abgesehen davon, dass der Fremde in einen schwarzen Mantel gehüllt war, der ihm fast bis zu den Stiefeln reichte.
Sein überlegenes Lächeln gefiel ihr nicht, und inzwischen hätte es sie nicht einmal mehr überrascht, hätte er ihr ebenfalls seine falschen Vampirzähne gezeigt.
Falls sie denn wirklich falsch waren ...