Lissa - Eike M. Falk - E-Book

Lissa E-Book

Eike M. Falk

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Beschreibung

Grundsätzlich mal! Mit 17, das ist das einzig wahre Alter zum Abhauen. Mit 18 ist es zu spät. Dann wäre es kein Abhauen mehr. Mit 18, da hätte es fast schon was von einer offiziellen Reise. Das fänd ich blöd. Außerdem, mit 18, da wäre es eine Entscheidung. So ist es ein Entschluss. Jawohl. Ein Entschluss. Ein Entschluss ist eine Stufe höher. Eine Bauchentscheidung. Was für ein Quatsch. Das sind Haarspaltereien. Ich liebe Haarspaltereien. Damit habe ich noch alle auf die Palme gebracht. Mich selber auch. Und jetzt sitze ich ganz oben. Jetzt. Genau jetzt. Und schmeiße mit Kokosnüssen. Oder so. Ich habe einen Entschluss gefasst, der eine Entscheidung herbeiführte. Ja. So. Und mit Kokosnüssen schmeißen ist bestimmt nicht das Verkehrteste.

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(Hauptdarsteller)

Ich. Das bin ich. Lissa. 17 Jahre alt.

Und ich weiß, was ich bin.

Und ich schreibe das auf. Von Anfang an.

Den ganzen Schlamassel.

Den ich mir mit meinem Entschluss eingebrockt habe.

Und auslöffeln werde.

Das werde ich.

Nichts wird übrig gelassen.

Darum schreibe ich das jetzt auch.

Ich treibe Buchführung.

Damit ich mich überprüfen kann.

Es ist mir Ernst mit der Sache.

Sehr ernst sogar.

Und ich werde keinen Rückzieher machen.

Auch wenn mir das eben durch den Kopf geschossen ist.

Aber nur kurz. Und bäng!

Das werd ich später mit mir ausdiskutieren.

Ich glaub, ich mach jetzt mal mit Melli weiter.

---

Melli. Das ist meine Ma.

Eigentlich heißt sie ja Melanie.

Melli klingt aber deutlich schöner. Finden alle.

Findet sie selber auch. Also Melli.

Meine einzige Mutter.

Was'n Quatsch.

Ist doch klar.

Mehr als eine hat man für gewöhnlich nicht.

Mit Vätern ist das eine andere Sache.

Einen Vater habe ich nicht. Nie gehabt.

Es stehen aber mehrere zur Auswahl.

Oder standen, vielmehr.

Schall und Rauch.

Du und deine Väter! Sagt Großvater zu mir.

Das ist aber ein Scherz.

Du und deine Männer! Sagt er zu Melli.

Die macht sich aber nichts draus.

Ich mach mir auch nichts draus.

Wenn Melli sich nichts draus macht, mach ich mir auch nichts draus.

Ich glaube, Melli weiß gar nicht mehr, wer alles in Frage käme.

Als Vater für mich, meine ich.

Sie hat es vergessen.

Oder es interessiert sie nicht mehr.

Mich interessiert es auch nicht.

Ist tatsächlich so.

Einen Vater suche ich nicht.

Ich suche eine Großmutter.

Womit ich bei Großvater gelandet wäre.

---

Großvater ist der Vater von Melli.

Johann heißt er eigentlich.

Es nennen ihn aber alle John.

Wir reden uns überhaupt alle mit Vornamen an.

Nur wenn Melli 'Tochter!' sagt, womöglich mit ganz vielen Ausrufezeichen, dann weiß ich, dass es gleich ein Donnerwetter geben wird.

Das geht umgekehrt genauso.

Wenn ich 'Ma-a!' sage, auch mit ganz vielen Ausrufezeichen, und in die Länge gezogen, so richtig genüsslich, dann ist Alarm.

Mit John läuft das nicht.

Der hat mich noch nie angeschnauzt.

Ich ihn auch nicht.

Obwohl mir grad so danach wäre.

Das heißt - nee - eigentlich doch nicht.

Trotz allem nicht. Aber das erklär ich später.

Also, Melli und John, das ist meine Familie.

Das fand ich immer schön übersichtlich.

Allerdings ist jetzt noch eine Großmutter dazugekommen.

Die war natürlich immer schon da.

Und ich hab auch von ihr gewusst.

Auch wenn John und Melli sie vor mir verheimlicht haben.

Die haben so getan, als ob es sie gar nicht gäbe.

Ich weiß nicht, ob das die richtige Strategie war.

Sie hätten sich doch denken können, dass ich davon erfahre.

Irgendwas schnappt man immer auf.

Und reimt es sich zusammen.

Und jetzt bin ich 17. Und ich weiß alles.

Und stecke mittendrin im Schlamassel.

Aber ich gebe niemandem die Schuld.

Höchstens mir. Wenn überhaupt.

John und Melli haben ihre Gründe.

Die ich auch verstehe.

Also müssen sie jetzt auch mich verstehen.

Aber das werden sie nicht.

---

Und jetzt kommt es mir so vor, als ob ich mich total verhaspelt hätte.

Gedanken aufzuschreiben ist keine einfache Sache.

Das habe ich unterschätzt.

Gedanken denken ist nicht schwer.

Und ich habe es zigmal durchgekaut.

Und hab es total logisch und in Ordnung gefunden.

---

Also neuer Ansatz. Will ich mal sagen.

Bangemachen gilt nicht.

Ich bin nämlich eine Analytikerin.

Auch wenn sich das vielleicht blöd anhört.

Erst recht, wenn eine Siebzehnjährige das schreibt.

Oder denkt.

Ich würde das auch jederzeit laut sagen.

Überall. Da kenne ich nix.

Und - falls jemand auf die Idee kommen sollte - da gibt es nichts zu lachen.

Rimbaud war mit 17 fertig mit der Welt.

Ich fange jetzt erst an.

Und ich werde sie gründlich zerlegen.

Das kann ich euch versprechen.

Soll aber keine Drohung sein. Ich sags nur mal so.

Aber mit wem rede ich überhaupt?

Mit mir natürlich.

Also, Lissa: Ich werde die Welt gründlich zerlegen.

Okay, Lissa: Mach das mal.

Meinen Segen hast du.

Meinen Segen hab ich.

Also los dann.

---

Nochmal.

Die Sache mit meiner Großmutter ist die:

sie hat John und Melli sitzen lassen, da war Melli mal gerade zwei Jahre alt. Ist einfach abgehauen.

Als John dann rausgefunden hatte wo sie hin ist, hat er schüchtern nachgefragt.

Was denn nun mit Melli werden sollte.

Keine Antwort. Auch später nicht.

Ich denke, er wird weiter schüchtern nachgefragt haben. Bis er die Hoffnung aufgegeben hat.

Das alles reime ich mir so zusammen.

Was ich weiß, ist, dass es Melli, als sie älter wurde, auch versucht hat.

Keine Antwort. Nichts.

Meine Großmutter muss schon ein ziemliches Biest gewesen sein.

Und, ich mache mir da gar nichts vor, wahrscheinlich ist sie es noch.

Aber genau darum geht es. Ich möchte es wissen.

Ich will es für mich selber herausfinden.

Helen heißt sie. Und sie ist Amerikanerin.

Ein Jahr älter als John.

Sie hat als Model gearbeitet.

Nichts besonderes, soweit ich gehört habe, Jeansmode, eher so Gelegenheitsjobs, Nacktfotos soll sie auch gemacht haben.

Sie hat wahrscheinlich alles gemacht.

Jedenfalls hat sie John nach Strich und Faden betrogen. Und dann ist sie abgehauen. Das mit dem Muttersein, das war wohl nichts für sie.

Nach München ist sie gegangen.

Hat weitergemodelt, später dann eine Kneipe aufgemacht, die zur In-Kneipe wurde, immer noch ist, und bis vor kurzem hat sie die Kneipe auch noch geführt.

Dann hatte sie einen Schlaganfall.

Seitdem ist sie halbseitig gelähmt und sitzt im Rollstuhl, in einem Pflegeheim in Füssen.

Und mit dem Kopf und mit dem Sprechen geht es auch nicht mehr so. Da hat sie auch ganz schön was abgekriegt.

Das alles stand in dem Brief. Der an John gerichtet war. Und der hat ihn Melli gegeben. Die hat ihn rumliegen lassen, und ich habe ihn gelesen.

Damit ging der Schlamassel los.

Ich hab die beiden darauf angesprochen, John und Melli, ich hab gesagt 'lasst uns doch mal da hinfahren'.

Nee! Das wollten sie nicht.

Nicht, dass es eine grundsätzliche Ablehnung wäre, aber sie bräuchten Zeit.

Und gut, das konnte ich auch verstehen.

Aber das ist jetzt drei Monate her. Und sie wollen immer noch nicht.

Ich hab gesagt 'wir könnten doch mal über ein verlängertes Wochenende ...'

Aber - nein. Und ich kann sie immer noch verstehen. Sie haben mit Helen abgeschlossen.

Nicht, dass sie sie vergessen hätten. So etwas vergisst man nicht.

Gerade für John wird es schlimm gewesen sein.

Das ist ein Schmerz, der bleibt ein Leben lang.

Dass sie ihn betrogen hat, und dann auch noch verlassen, das wird ihm einen Knacks gegeben haben, für Jahre wahrscheinlich, wahrscheinlich für immer.

Das reime ich mir wieder zusammen.

Aber es wird schon stimmen.

Auch das mit Melli.

Obwohl, mit Melli, das ist nochmal eine ganz spezielle Sache.

---

Also: Melli.

Melli ist voll in Ordnung.

Obwohl sie eine alleinerziehende Mutter ist.

Die sind der totale Stress. Normalerweise und erfahrungsgemäß.

Melli nicht.

Das liegt vielleicht auch an John.

Und an mir.

Logo, ey. Hihi!

Weil ich so gut bin. So übermenschlich gut.

War. Ach, Scheiße - ja.

Ich muss mal ne Runde brüten.

Ich brauch das manchmal.

---

Also: Melli und John bilden eine Einheit.

Das ist kein Wunder, wenn man ihre Geschichte kennt.

Das heißt aber nicht, dass sie ständig aufeinanderhocken.

Im Gegenteil. Ich seh John viel öfter als Melli das tut.

Aber die beiden verstehen sich blind.

Vielmehr: Mit einem Augenaufschlag.

Oder Schulterzucken. So ganz leicht. Kaum sichtbar.

Das mich ausschließt.

Das war früher so, und bei der Sache mit Helen jetzt wieder.

Gestört hab ich mich nie daran.

Ich hab mit beiden meine eigenen Geheimnisse.

Das ist so.

Melli.

Melli, Melli - es tut mir so leid.

Aber es muss sein.

Ich muss mein eigener Mensch werden.

Das ist so.

Melli arbeitet in einem großen Verlag.

Dort verdient sie genug für uns beide.

Das ist ja schonmal cool.

Melli ist aber auch ein Arbeitstier.

Mordsmäßig. Und bewundernswert.

Ich bin aber genauso.

Melli ist total verkorkst.

Das ist sie wegen Helen.

Melli kann nicht mit Männern.

Das heißt. Kann sie schon. Und wie.

Melli sieht gut aus. Immer noch.

Obwohl sie - oh - 44 jetzt ist.

Stolzes Alter. Aber. Egal.

Also, verkorkst ist sie wegen Helen.

Oder wegen John. Weil Helen ihn immer betrogen hat.

Das hat Melli nicht verknusen können.

Sie hat das auf die Männer übertragen.

Also irgendwie umgedreht.

Sie hat sich gesagt: Männern kann man nicht trauen.

Weil man Helen nicht trauen konnte.

Sie vertraut nicht dem anderen Geschlecht.

Also ist sie bei keinem Mann geblieben.

Weil sie kein Vertrauen hat.

Sie hat das nicht auf die Reihe gekriegt.

Bis heute nicht.

Und sie wird das nie. Schätze ich mal.

Und ich sage das, weil ich eine Analytikerin bin.

Ich hab das vorhin schon gesagt.

Und ich sage es bestimmt noch ein paar mal.

Weil ich stolz darauf bin.

Alles Beobachtungsgabe.

Eine große Beobachterin bin ich auch.

Arme Melli.

Ein Kerl nach dem anderen.

Eine Nacht, zwei Nächte, höchstens drei.

Und Tschüss!

Ganz schön Scheiße ist das.

Und jetzt auch noch ich.

---

Bruce wär da noch.

Aber was heißt noch.

Bruce ist sehr da.

Bruce ist auch Familie.

Johns bester Kumpel.

Bruce ist kohlrabenschwarz.

Tiefste Südstaaten.

Georgia.

Bruce und John haben in Woodstock nebeneinander gesessen.

Das sagt wohl alles.

Dann haben sie drei Jahre in New York gehaust.

Bronx.

Dort haben Sie auch Helen kennengelernt.

Und John und Helen haben geheiratet.

Ich hab Bruce mal über Helen befragt.

Die hatte so einen Zug um den Mund, der hätte ihm nicht gefallen. Hat er gesagt.

Den hätte man zwar noch nicht sehen können, aber er war da.

Ob er heute wohl zu sehen ist, frage ich mich.

Dass Bruce den gesehen hat, wundert mich kein Stück.

Bruce sieht sowas.

Der weiß auch, dass ich unmöglich bin.

Möglicherweise unmöglich.

So sagt er. Weil er höflich ist.

Ein bunter Käfer soll ich sein.

Aus dem Sumpf. Eine Sumpfblüte.

Okefenokee. Das ist der Sumpf wo er herkommt.

Okefenokee.

Der Name ist einfach geil.

Bruce ist Bluesmusiker.

Ich glaube, so Bluesmusiker, die verstehen eine Menge.

Von Dingen und Menschen und dem ganzen Drum und Dran.

Bruce ist mit John nach Deutschland gekommen.

Und jetzt wohnen sie auch zusammen.

In der kleinen Wohnung hinter dem Antiquariat.

Das sollte eigentlich nicht sein.

Doch John konnte sich keine Wohnung mehr leisten.

Und dann hat die Hausverwalterin ein Auge zugedrückt.

Die ist nicht nur schön, sondern auch nett.

Hatte John damals gesagt.

Daran kann ich mich noch erinnern.

Das hat Eindruck auf mich gemacht.

Weiß auch nicht warum.

Aber irgendwie hab ich mir vorgenommen auch so zu sein. Schön und nett.

Klingt erstmal langweilig. Aber wenn man schön ist kann man es sich leisten.

Und das ist dann wieder cool.

Ja. Und jetzt leben John und Bruce in der kleinen Wohnung da.

Die haben es sich richtig gemütlich gemacht.

Und Bruce spielt und singt.

Und ich hör ihm zu dabei.

Und das ist einfach wunderbar.

Wegen Bruce liebe ich den Blues.

Howlin' Wolf und die ganzen Jungs.

Und wenn Bruce Kohle braucht, zieht er durch die Clubs. Auch weiter weg.

Und überall ist er willkommen.

Bruce ist aber auch unglaublich gut.

Und ich glaube, ohne das Geld, das er verdient, wäre John aufgeschmissen.

Das ist furchtbar traurig.

Aber so ist das heutzutage.

Mit Antiquariaten ist kein Geld mehr zu verdienen.

Wenn man nicht nebenher im Internet verkauft.

Aber das will John nicht. Aus Prinzip nicht.

Ich hab schon Menschen aus Prinzip verhungern sehen.

Das ist, was Melli dazu sagt.

Furchtbar traurig.

Aber Bruce ist ja da.

Bruce spielt und singt den Blues.

---

Patrick!

Patrick darf ich nicht vergessen.

Und werde ich auch nicht.

Ich liebe Patrick.

Und Patrick liebt mich.

So einfach ist das. Und so klar.

Ich hab mir überlegt, ob ich Patrick einweihen sollte.

Damit ich jemanden hab, bei dem ich mich melden kann.

Falls was ist.

Aber das macht keinen Sinn.

Wenn Melli den in die Mangel nimmt, kippt er um.

Das dauert keine fünf Minuten.

Außerdem: wie peinlich ist das denn!

Einen Notanker auszuwerfen.

Hab ich das nötig?

Hab ich nicht.

Ich bin eine Abenteurerin.

Ich bin DIE Abenteurerin.

Basta. Aus. Ende. Feierabend.

Und nun muss ich nachdenken gehen.

Ab in die Koje, Leichtmatrosin Lissa!

---

Aufwachen!

Es ist ein neuer Tag.

---

(Nachdenkungen)

Ich bin noch nicht los, schon stecke ich fest.

Chaos pur.

Wie in einem Sumpf. Bis über beide Ohren.

Da muss etwas geschehen!

Auch, um Ordnung in meinen Wust zu bringen.

Also:

Ich werde etwas erfinden.

Eine Kategorie.

Und ich werde sie Nachdenkungen nennen.

Das ist wie Betrachtungen, Beobachtungen, Anmerkungen.

Nachdenkungen soll das sein, was von mir heraus kommt. Von ganz tief drinnen.

Worüber ich zu grübeln habe, worüber ich mir Gedanken mache.

Etwas mit ganz vielen Ausrufungszeichen!!!!

Also lege ich gleich los.

Mit Nachdenkungen Nummero 1.

Aber ich werde sie nicht durchnummerieren.

So viel Ordnung brauch ich nun auch wieder nicht.

Worum es mir geht?

Ich bin zu schön.

Da gibt es nichts zu lachen.

Auch wenn ich eben mal kurz glucksen musste.

Es klingt ja auch wirklich zu blöd.

Ich bin zu schön.

Schön sein ist wie ein Etikett. Du bist schön. Er ist schön. Sie ist schön. Ein schöner Mensch.

Na und? Schön sein kann jeder. Ist ganz normal. Ist tatsächlich so.

Ich denke mal, es gibt genausoviele schöne Menschen wie es gewöhnliche Menschen gibt, Nichtssagenden.

Halt!

Nichtssagend können sowohl schöne wie gewöhnliche Menschen sein.

Und dann gibt es ja noch die Hübschen.

Und die Hässlichen. Und die ganz Hässlichen.

Die ganz Hässlichen sind wie die ganz Schönen.

Etwas Schockierendes. Da schaut man hin. Und schaut gleich wieder weg.

Ich weiß es ja nicht. Aber ich denke mal, bei den ganz besonders Hässlichen ist es wie bei mir.

Jungs und Männer schauen mich an. Und ganz schnell wieder weg.

Schönen und auch hübschen Mädchen, meinetwegen auch Frauen, würden sie stundenlang hinterherblicken. Auf die Beine, auf den Po, auf den Busen.

Solche Blicke spüre ich nie.

Weil die Jungs und die Männer mir zuerst ins Gesicht schauen. Und dann sind sie geschockt.

'Die ist zu schön', denken sie, 'viel, viel zu schön.'

Obwohl ich vermute, dass sie gar nicht denken.

Es ist auch keine Angst oder so. Etwa, dass sie denken - 'Oh Gott! Mit der möchte ich mich nie im Leben einlassen wollen, wie sähe ich denn aus neben der, wie ein abgewetzter Flohzirkus!'

Nee! Ich glaube, sie schrecken vor dem Extrem zurück. Einer eingebauten Scheu vor dem Extrem.

Weswegen auch die ganz besonders Hässlichen gemieden werden. Auch da schaut man gleich wieder weg.

So wie bei mir.

Hey Leute, das ist doch nicht schön!

Ich bins doch, ich - die Lissa!

Aber es gibt Ausnahmen. Zum Glück.

---

Grundsätzlich mal!

Mit 17, das ist das einzig wahre Alter zum Abhauen.

Mit 18 ist es zu spät.

Dann wäre es kein Abhauen mehr.

Mit 18, da hätte es fast schon was von einer offiziellen Reise.

Das fänd ich blöd.

Außerdem, mit 18, da wäre es eine Entscheidung. So ist es ein Entschluss.

Jawohl. Ein Entschluss.

Ein Entschluss ist eine Stufe höher.

Eine Bauchentscheidung.

Was für ein Quatsch.

Das sind Haarspaltereien.

Ich liebe Haarspaltereien.

Damit habe ich noch alle auf die Palme gebracht.

Mich selber auch.

Und jetzt sitze ich ganz oben.

Jetzt. Genau jetzt.

Und schmeiße mit Kokosnüssen.

Oder so.

Ich habe einen Entschluss gefasst, der eine Entscheidung herbeiführte.

Ja. So.

Und mit Kokosnüssen schmeißen ist bestimmt nicht das Verkehrteste.

Ich sollte das unbedingt mal ausprobieren.

Das könnte noch ein Entschluss werden.

Aber der kommt später. Später erst.

Viel, viel später.

Außerdem habe ich ein Ziel.

Ein Ziel?

Ja …

Überlegen …

Ich könnte bis zu den großen Ferien warten.

Dann wärs aber kein Abhauen mehr.

Und abhauen will ich.

Und abhauen soll ich.

Lissa! Nur nicht schwach werden!

Ich muss das mal analysieren!

Alsooo …

Es hat mich genervt, dass Melli und John den Besuch bei der Oma immer wieder rausgezögert haben.

Aber ich hätt ja warten können.

SO –

ist die Sache mit der Oma doch nur vorgeschoben.

Ein Vorwand.

ALSO -

Es geht um mehr.

Es geht um mich.

Vorsicht!

Keine Überheblichkeiten.

Wahr bleibt es doch.

Woran denkt der Mensch zuerst?

An sich.

Und dann meldet sich das Gewissen.

Und das sagt:

Aber die Melli …

und der John …

der Bruce …

und der Patrick …

Die haben dich lieb.

Und die werden sich Sorgen machen.

Scheiße!

Analysieren!

Es ist so.

Da beißt die Maus kein Faden ab.

Und doch.

Das 'und doch' wiegt verdammt schwer.

Ungefähr so wie der Kran dort drüben.

Dort hinten. Schwarz am Horizont.

Reckt einen drohenden Arm in den Himmel.

So verdammt schwarz.

Wie mein Gewissen.

Nee. Meine schwarze Seele.

Und mein Gewissen pocht.

Und doch.

Ein Mensch muss Entscheidungen treffen.

Und irgendwann wiegen die so schwer.

Wie der Kran.

Mensch Lissa! Das hättest du dir bei deiner Geburt nicht träumen lassen.

Nee.

Aber ich habe mich entschieden.

Und nun brauche ich einen Plan.

Und ganz viel Entschlossenheit.

---

(Nachdenkungen)

Als ich klein war, so fünf Jahre vielleicht, da wollte ich gaaaanz tief in die Zukunft blicken können.

Dass es ein Heute gab, ein Morgen und ein Übermorgen, das wusste ich.