Die Geschichte vom großen Zauberer Huang - Eike M. Falk - E-Book

Die Geschichte vom großen Zauberer Huang E-Book

Eike M. Falk

4,8

Beschreibung

Eine magische Kreuzfahrt auf der Suche nach Liebe und Erfüllung. Ein Zauberpuzzle in Bildern, Eindrücken und Gedankenflügen. Ein Zauberbuch.

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Eine magische Kreuzfahrt auf der Suche nach Liebe und Erfüllung.

Ein Zauberpuzzle in Bildern, Eindrücken und Gedankenflügen.

Der Vorhang hebt sich.

Ein Spiel hebt an.

Der große Zauberer Huang, der in seinem Rollstuhl saß.

Der große Zauberer Huang, der in einem Pflegeheim in Hamburg-Altona wohnte.

Der große Zauberer Huang, der den großen roten Drachen bezwang.

Der große Zauberer Huang hatte den großen roten Drachen gefragt, wer auf dem silbernen Pferdchen saß.

Diese Frage hatte der große rote Drache nicht beantworten können.

Der große Zauberer Huang sitzt in seinem Rollstuhl und lächelt.

Ich hatte die Betreuung des großen Zauberers Huang von jemandem übernommen, der froh war, diese Aufgabe abtreten zu können.

Dieser Jemand schien mir nicht allein eine gewisse Abneigung gegenüber dem großen Zauberer Huang zu hegen, es verbarg sich, wie ich seinen Worten zu entnehmen meinte, auch eine nicht geringe Furcht dahinter. Was mich verwunderte.

Dieser Jemand hatte mich gewarnt, dass der große Zauberer Huang äußerst launisch sei, und Fremden mit Ablehnung, wenn nicht gar Bösartigkeit begegnete.

Ich war weder bereit mich dieser Auffassung unbesehen anzuschließen, noch mich entmutigen zu lassen. Ich würde wie immer unvoreingenommen auf den Menschen zugehen, den ich da kennenlernen sollte.

Der Termin meines wöchentlichen Besuches war auf drei Uhr nachmittags für die Dauer von zwei Stunden festgesetzt worden.

Ich fand den großen Zauberer Huang im Aufenthaltsraum der Station, auf der er wohnte. Es war Kaffeezeit.

Ich sah ihn alleine am Kopfende eines Tisches sitzen.

Es waren nur wenige Bewohner anwesend, die meisten saßen ähnlich einsam wie der große Zauberer Huang, nur ganz am entgegengesetzten Ende des Raumes hatte sich eine muntere Spielerunde zum ‘Mensch ärgere dich nicht’ zusammengefunden.

Ich rückte mir einen Stuhl heran und setzte mich dem großen Zauberer Huang zur Seite, stellte mich vor, erklärte ihm, dass ich es fortan sei, der ihn besuchen werde.

Der große Zauberer Huang nahm dies unbewegt entgegen.

Ich war schon drauf und dran meinen großen Trumpf auszuspielen, als er, der bis dahin den Blick auf die Tischplatte gesenkt hielt, aufblickte, lächelte, und mir seinen Teller und die Kaffeetasse zuschob.

»Hier«, sagte er, »iss, trink.«

Das war ja nett gemeint, und es lagen auch noch zwei kleine Stückchen Kuchen auf dem Teller, die ehemals zu einer Schwarzwälderschnitte gehört haben mochten.

Ich griff mir trotzdem die unbenutzte Tasse vom Nebenplatz und schenkte mir Kaffee ein.

Der große Zauberer Huang lächelte und zog seine Tasse und den Kuchen wieder zu sich heran.

Auf die Geste war es angekommen. Er hatte mich zum Bleiben einladen wollen. Das wusste ich zu schätzen.

Wir lächelten nun beide. Er aß seinen Kuchen auf, wir tranken Kaffee.

Dann kam ich doch mit dem großen Trumpf heraus. Obwohl es dessen nicht mehr bedurfte. Es war geworden, als was es ursprünglich gedacht war, ein Einstiegsgeschenk.

Ein großformatiges Bilderbuch, das ich in einem 1-Euro-Laden erstanden hatte.

1-Euro-Läden sind in Sachen Bilderbücher eine wahre Fundgrube. Was zu wissen lohnt, wenn man, wie ich, alte Menschen zu betreuen hat.

Je älter ein Mensch wird, umso tiefer kehrt er in seine Kindheit zurück. Es ist eine Heimkehr. In die Welt der Bilder und märchenhaften Betrachtungen. Nun ähnelt man wieder dem Kind, das die erstaunlichsten Beobachtungen zu machen versteht.

Es sind wundersame Reisen, auf die der alte Mensch sich begibt, nun erneut die früher gekannten, in der Zwischenzeit verschollen geglaubten Welten zu entdecken. Dies zu beobachten, daran teilzuhaben, berührt mich jeden Tag aufs Neue.

Wenn ich ihnen die Bilder zeige, die einfachen Texte vorlese, dann erreichen sie einen schlummernden Geist, denn, auch das darf nicht vergessen werden, anders als bei einem Kind geht es nicht voran, es geht zurück, immer tiefer in eine Traumzeit zurück, die Verschwinden und Vergehen ist. Doch darf auch dieser Weg nicht gering erachtet werden, er ist uns allen beschieden.

Was ich dem großen Zauberer Huang nun überreichte war ein wunderschön illustriertes chinesisches Märchen. Eine Besonderheit bestand darin, dass einige Worte im Verlauf des Textes mit den entsprechenden chinesischen Schriftzeichen versehen waren: Worte wie König, und Fee, und Fuchs, und Mensch.

Es war sogar ein Lesezeichen beigelegt, auf dem all diese Schriftzeichen nochmals mit ihrer deutschen Übersetzung aufgeführt wurden.

Ich würde nicht gerade sagen, dass der große Zauberer Huang in Begeisterungsstürme ausbrach.

Nach dem Begrüßungslächeln war in sein Gesicht die berühmte fernöstliche Undurchdringlichkeit zurückgekehrt.

Doch er nahm das Buch zur Hand, blätterte darin, und ich konnte verfolgen, wie er manches Schriftzeichen mit den Fingern nachzeichnete.

Ich sah dies, staunte, und freute mich daran. Fragte ihn, ob ich ihm das Märchen vorlesen solle. Nein, er wollte lieber einkaufen gehen, zu ALDI.

Ich meldete uns bei der Pflegerin, die sich unterdessen der Spielegruppe zugesellt hatte, ab, fuhr den großen Zauberer Huang auf sein Zimmer, zog ihm eine dicke Jacke an und stülpte ihm eine Pudelmütze über die Ohren. Es war Mitte Februar, bitter kalt.

Mit dem Fahrstuhl ging es nach unten, wo mich der große Zauberer Huang zur Rezeption lenkte, um sich etwas von seinem Taschengeld auszahlen zu lassen.

Als er den Empfangsbeleg unterzeichnete, bewunderte ich den Schwung und die Akkuratesse seiner Signatur. Er schrieb in lateinischen Buchstaben, und doch war es wie gemalt, ein kleines Kunstwerk.

Dann zuckelten wir los.

Das Pflegeheim, in dem er wohnte, war mir nicht unbekannt, ebenso wenig die Umgebung, ich wusste, wo der nächste ALDI-Markt lag.

Es war eine üble Holperstrecke. Die Gehwegplatten hoben und senkten sich nach Belieben. Der große Zauberer Huang und ich stoisch.

Der große Zauberer Huang zielstrebig. Erneut lenkte er mich. Lenkte mich zur Kühltheke mit den Salaten. Ein Griff. Fertig. Dann zu den Spirituosen. ALDI-Cognac. Ein Griff. Fertig. Das wars. Ich beäugte den Cognac voller Misstrauen. € 11,49. Meine Vorstellungskraft sog mir den Duft in die Nase. Meine Vorstellungskraft ließ mich daran nippen. Es schüttelte mich. Grauenhaft. Der große Zauberer Huang lächelte beglückt. Wir zahlten, ich verstaute die Beute in meinem Rucksack, wir kehrten ins Heim zurück. Zurück auf sein Zimmer. Wo wir Cognac und Salat in einem kleinen Kühlschrank unterbrachten.

Das Märchenbuch, das wir zurückgelassen hatten, legte sich der große Zauberer Huang neben sein Kopfkissen. Noch einmal wurden die Schriftzeichen auf dem Buchdeckel mit Zärtlichkeiten bedacht.

Für mich hieß es Abschied nehmen, meine Besuchszeit war um.

Der große Zauberer Huang drückte meine Hand.

Die er gar nicht mehr loslassen wollte.

Wenn ich etwas über die Geheimnisse des fernen Ostens erfahren wollte, solle ich ihn nur fragen.

Als ich in der Tür stand und mich noch einmal umdrehte, winkte er mir zu.

Ich winkte zurück.

Ich ging ins Dienstzimmer, mich abzumelden. Die Pflegerin, die dort am Computer saß, erzählte mir, dass der große Zauberer Huang gestern eine ganze Flasche Cognac getrunken habe. Das hätte er noch nie getan. Und er hätte auch keinen Besuch gehabt. Mysteriös, wie er da rangekommen sei.

Fand ich auch. Und fand es unnötig zu erwähnen, dass wir eben für den Nachschub gesorgt hatten. Sachen gibts!

Ich machte mich auf den Heimweg. Der große Zauberer Huang war mein letzter Klient gewesen. Ich stapfte durch die Kälte, durch die überfrorenen Pfützen. Und dachte nach. Über den roten Drachen. Und das silberne Pferdchen. Und wer wohl auf dem Pferdchen saß. Hatte der große Zauberer Huang es am Ende selbst nicht gewusst? Und vom Drachen in Erfahrung bringen wollen? Und worum war es bei der ganzen Angelegenheit überhaupt gegangen?

Als mein Vorgänger mir davon erzählte, hatte ich es für eine Anekdote gehalten. Was denn sonst. Nun wunderte ich mich, wie er an die Information geraten war. Und warum er sie mir unbedingt hatte mitteilen müssen. So ein Quatsch. Was ich mir da zusammenreimte, hineingeheimnisste. Ich brauchte den großen Zauberer Huang doch nur zu fragen, wenn ich ihn wieder besuchen ging.

Unter solchen Gedanken hatte ich die S-Bahn - Station St. Pauli erreicht. Dort lehnte ein Penner am Geländer. Der mich direkt ansprang. Mit gezücktem Kuli voran. Der hatte mich wohl als leichtes Opfer ausgemacht. Weil ich so in Gedanken ging. Der Penner hatte aber den ganzen Tag getrunken. Nun war später Nachmittag. Er war nicht der Schnellste mehr. Ich bin ihm mit einer leichten Drehung ausgewichen und die Treppe runtergegangen.

Der große Zauberer Huang beschäftigte mich.

Oder war es der große Zauberer Huang, der mich beschäftigte?

Das macht einen feinen Unterschied.

Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Und ich frage mich: Konnte er das?

Das kleine silberne Pferdchen

mit feinem silbernen Schweif

mit feinen silbernen Hufen

mit feinem silbernem Steiß

Wer wohl drauf sitzen möchte?

Eine Elfe silbern fein

eine Fee kaum sichtbar klein

ein Erzengelein?

Ich führ es spazieren

auf meinem Tisch

ich bade es in Wasser

darin schwimmts wie ein Fisch

in Schaumkronen lass ichs

poussieren für mich

Ich stell es mal hier

mal dort vor mich hin

es macht keinen Sinn

es führt mich wohin

meine Gedanken

es tragen

Der Berg der drei Kraniche. Der Berg der Purpurwolken. Der Berg von weißer Seide.

Jede Jahreszeit verleiht ihm einen eigenen Namen.

Ich sitze in einem Haus, gefertigt aus Papier und dünnen Bambusstäben.

Die Wände des Hauses sind leicht zu bewegen, lassen sich jederzeit auf ein Neues gestalten. Das Haus der tausend Möglichkeiten.

Eine der Außenwände steht offen. Ein weiter Blick ins Tal hinab. Pagoden sehe ich, lichte Wälder, Reisfelder, die sich den Berg hinauf schlängeln.

Ein Sonnenaufgang. Die Vögel singen. Ich weiß, dass ich wie ein Vogel singen kann. Zwitschern.

Liebe die die Welt. Möchte sie umarmen. Diese

Liebe in meinem Herzen aufbewahren.

Da stehen die beiden alten Zypressen. Sie werden die große und die kleine Konkubine genannt.

Sie sind uralt, ihre Rinde abgeschabt, und doch stehen sie Jahr um Jahr in Blüte.

Die große Konkubine hat einen Durchmesser von fünfzehn Metern. In ihrem Stamm hat sich eine Höhle gebildet. Darin spielen die Kinder Verstecken.

Ich sitze und zeichne alles auf. In Bildern und Schriftzeichen. Das Erwachen. Das Stillehalten der Bäume. Das Stillehalten des Berges. Seit hunderten, seit tausenden von Jahren. Male ein Zeichen. Zeichne ein Bild. Setze mich mitten hinein. Fühle wie eine tausendjährige Zypresse.

IchIchsitzebereitinnehaltendhinauszutreten

Der große Zauberer Huang saß in seinem Rollstuhl.

Ich saß auf seinem Bett, Stift und Notizbuch in der Hand.

»Zeichne einen Menschen«, sagte der große Zauberer Huang.

Und ich zeichnete ihn. Wie er in seinem Rollstuhl saß.

Der große Zauberer Huang betrachtete das Ergebnis unbewegter Miene.

»Und nun zeichne noch einen Menschen, diesen da«, sagte der große Zauberer Huang, und deutete auf das chinesische Schriftzeichen für Mensch.

Ich tat mein Möglichstes.

»Was ist das«, wollte der große Zauberer Huang von mir wissen, »was soll das sein?« Und sein Finger deutete darauf hin.

»Eine Linie«, versuchte ich mich zu erklären.

»Ah«, sagte der große Zauberer Huang, »das ist es, was ihr Menschen des Westens nicht versteht. Stets setzt ihr Striche oder Linien mit einer Geraden gleich. Das ist ein fundamentaler Irrtum. Ein emotionaler Fehler.«

Vor der Vollendung

die junge Füchsin

ihren Bau aufsucht

achtsam bedacht

ihren Schwanz nicht

in Wasser zu tauchen

Wasser

kann Zauber brechen

bricht ein Zauber entzwei

verdunkelt sich der Mond

verdunkelt sich der Mond

rufen die Kraniche

im Schatten

ein Kranich

der im Schatten ruft

ist kein Kranich mehr

ist eine Eule

darum hüte dich

deinen Schwanz in

Wasser zu tauchen

junge Füchsin

du weißt es

der Mond beugte sich

seine Tochter zu küssen

»Soll ich dir sagen, dass der Mensch und der Mond eine Verbindung eingegangen sind um den Fuchs zu zeugen ...«

Der große Zauberer Huang wusste also Bescheid. Er wusste, dass ich mich auf seine 'fernöstlichen Geheimnisse' einzulassen begonnen hatte. Ich träumte nicht nur, ich hatte mir Bücher gekauft, chinesische Märchen und Geistergeschichten, Bücher zu chinesischer Philosophie, das Tao Teking, na, alles, was mir eben so in die Finger gekommen war.

Die Geistergeschichten hatten es mir besonders angetan. Chinesische Geistergeschichten waren immer auch Liebesgeschichten. Füchse spielten darin eine große Rolle. Füchse waren Gespenster, Geschöpfe der Geisterwelt. Und wenn man es genauer nahm tauchten in diesen Geschichten immer nur Füchsinnen auf, die menschlichen männlichen Wesen den Kopf verdrehten. Diese Füchsinnen wurden als atemberaubend schön beschrieben. Von solch einer Füchsin wollte ich mir auch gerne einmal den Kopf verdrehen lassen.

Also tastete ich mich an die Sache ran.

»Ich habe immer nur von Füchsinnen gelesen, in den Geistergeschichten, du weißt?«

Der große Zauberer Huang musste breit grinsen.

»Sie sind besonders schön.«

»So habe ich es gelesen.«

»Sie sind ganz besonders schön.«

»Das dachte ich mir.«

»Sie sind unvergleichlich schön.«

»Ist ja gut. Aber was willst du mir eigentlich damit sagen?«

»Dass du hierzulande keine finden wirst.«

»Nun«, sagte ich, »dann werde ich eben meine Vorstellungskraft bemühen. Alles beruht auf der Vorstellung. Manchmal wird es auch der Anschein richten.«

Sprachs, und grinste den großen Zauberer Huang breit an.

Was ihn nicht zu beeindrucken schien.

Na und! Ich würde doch eine Füchsin finden. Ha, das wäre doch gelacht!

Ich sah mich am Ufer des Yangtze stehen. Auf einer Sandbank, irgendwo im Bereich der drei Schluchten. Alles ringsum war tief verschneit und stand in seltsamem Kontrast zum Grau der Felsen und dem roten Farbton des Flusses. Nebel stiegen auf und ich hörte Hufschläge, laut, lauter werdend, eine große Reiterschar, die sich mir näherte. Und da kamen sie in vollem Galopp die steile Böschung hinab. Dreißig, vierzig Reiter, Krieger waren es, in ledernen Rüstungen. Reiter wie Pferde wirkten erschöpft, zerschunden, viele schwer verwundet von einer vorangegangenen Schlacht, deren Ausgang sie zu eiliger Flucht gezwungen hatte. Wie sie das Ufer erreichten, ließ die nun nachlassende Anspannung, die sie bis hierher hatte durchhalten lassen, manch Erschöpften aus dem Sattel gleiten, manches Pferd zusammenbrechen. Sie würden sich nie wieder erheben können.