Pheline - Eike M. Falk - E-Book

Pheline E-Book

Eike M. Falk

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Beschreibung

Es hätte eine große Liebe sein können. Es hätte eine große Nicht-Liebe sein können. Es ist beides nicht geworden. Das ist schade darum. So spannt sich ein Bogen des Missverständnisses bis zum Zusammenbruch der Kommunikation.

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fast eine Liebesgeschichte

beinahe

Eike M. (Michael) Falk, 1955 geboren, stammt aus der Pfalz, lebt in Hamburg. Studierte Theaterwissenschaft, später Altamerikanistik und Völkerkunde. Arbeitete u.a. bei der taz, meist aber als Selbständiger, zeitweilig in den abenteuerlichsten Jobs. Hat Spaß daran. Und am Leben. Und überhaupt.

Je ne t´ai pas aimé, mon amour

Quand le ciel menaçant était loin

(Benjamin Biolay)

Ich hatte einen Sommer. Einen ganzen Sommer mit ihr.

Es war ein strahlender, ein lichtdurchfluteter Sommer. Ein kostbares Geschenk, das ich mir aufbewahren werde wie in einer Schatztruhe.

Diesen einen Sommer mit ihr.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Der Jahrmarkt

Die Sonnenbrille

Das Karussell

Entenangeln

Zwischendurch

Das Riesenrad

Dosenwerfen

Übersättigung

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Du

Gelb

Chansons d´Amour

1

Als ich sie zum ersten Mal sah – es war ein kalter nasser Tag im April.

Im vergangenen Jahr ist das gewesen.

Ende April war es. Mitte des Monats noch hatte Schnee gelegen. Nun war keiner mehr, dafür war es matschig und immer noch kalt.

Meine Arbeitsvermittlerin hatte mir das Stellenangebot zugeschoben. Das wäre doch was für sie, hat sie gesagt.

Meine Arbeitsvermittlerin ist sehr nett.

Bei der Agentur für Arbeit werde ich immer noch und immer wieder als Akademiker geführt. Egal, welchen Job ich zuletzt hatte, ich lande bei den Akademikern. Das ist sehr praktisch. Ich bilde mir ein, dass man als Akademiker zuvorkommender behandelt wird als wenn man, was weiß ich, als Lagerhelfer aufläuft. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Vielleicht liegt es nur an meiner Arbeitsvermittlerin. Die ist wirklich sehr nett.

Darum war ich gerne mal für ein, zwei Monate arbeitslos zwischendurch. Ließ mich von ihr verwöhnen. Aber wie alles Schöne und Gute hatte auch das ein Ende, und nun war es mal wieder so weit.

Sie hatte mir das Stellenangebot zugeschoben. Servicekraft in einem Öko-Hotel, das eben neu eröffnet hatte. Auch was da sonst noch stand klang vielversprechend. Ja, ich würde da hingehen, selbstverständlich.

Das Hotel lag weit draußen. Nahe am Wald, nahe am Moor. Wie sich das gehörte. War auch sehr hübsch anzuschauen. Ganz in Holz gehalten. Nicht irgendwie billig, auf den Schein hin verschalt, sondern gediegen verarbeitet. Jedenfalls, soweit ich das beurteilen konnte.

Es sah fertig aus, nur außen herum, was die Begrünung anging, lag einiges im Argen. Um nicht zu sagen – alles. Denn da war nur Matsch. Und ein Bohlenweg, der zum Eingang führte.

Drinnen ging es geschäftig zu. Aber es waren alles Handwerker, niemand, der zum Hotel gehörte. Und niemand, der auf mich gewartet hätte. Ich fühlte mich beleidigt, übergangen.

An der unbesetzten Rezeption lehnte ein junger Typ, der einen Band Rilke in der Hand hielt. Er schien mir ein Student zu sein, Literaturwissenschaft, Germanistik, naheliegender weise.

Ich hatte ein Reclambändchen Novalis dabei, das zückte ich nun, und stellte mich dazu. Wir kamen ins Gespräch und natürlich war auch er wegen der Stelle da, ein Konkurrent. Aber das machte nichts, die Stelle war mein, das war vorherbestimmt.

Dann kam jemand, der uns den Weg wies. Wie eine Eingebung. Ein Stockwerk höher im Konferenzraum Soundso. Die anderen seien schon dort. Die anderen??? Noch mehr Konkurrenz also.

So Stücker zwanzig Leutchen um eine Tischgruppe.

Und sie. Ja, sie hat auch bereits da gesessen. Zwischen all den anderen: Sie.

Und sie ist mir sofort aufgefallen, gleich bei meinem Eintritt, noch bevor ich Platz nahm, das weiß ich genau. Es war ein großer Eindruck, den sie auf mich machte.

Es war mehr. Es war wie ein Blitz, der einen durchzuckt. Für einen Moment. Diesen einen Moment.

Sie war eines jener zierlichen, blonden Geschöpfe, die mich von jeher anrührten, berührten.

Ich setzte mich an den Tisch. Bald darauf kam eine Frau herein, die sich als unsere zukünftige Chefin erweisen sollte. Die machte nicht viel Federlesens, die wollte uns alle haben, alle, die wir da saßen.

Einige standen gleich wieder auf, das waren die, die es immer gibt, die meinten, dass ihr Arbeitslosengeld höher sei als das zu erwartende Gehalt, die waren vorher Generaldirektoren gewesen oder so etwas, aber ich blieb, sie blieb, auch der Typ mit dem Rilke unterm Arm ist geblieben.

Und dieser meldete sich bald, gab sich als Künstler zu erkennen (ach, schau!), um auf einen speziellen Vertrag zu dringen, damit er bei seiner Künstler-Versicherung bleiben konnte.

Unserer Chefin schien das nichts Neues zu sein, mir schon, aber ich machte mir nicht weiter große Gedanken darum. Staunte allerdings nicht schlecht, als sie sich seinem Ansinnen angeschlossen sehen wollte. Sie also auch? Was für Künstler mochten die beiden wohl sein, dachte ich. Aber was mich wirklich verblüffte, war die Art, wie sie sich artikulierte, diese Brüchigkeit, die Zaghaftigkeit ihrer Stimme. Das war etwas, das mich viel stärker gefangen nahm als der Blitz, der vielleicht eine Viertelsekunde gewährt hatte und längst in mein Unterbewusstsein abgetaucht war. Doch was ich nun erlebte, das sollte mein Bild von ihr für die folgenden Monate prägen.

Noch nie war mir eine so schöne Frau untergekommen, die zugleich so schüchtern und zerbrechlich, ja gehemmt und verstört wirkte wie sie. Das drückte sich nicht allein in der Stimme, sondern in ihrer ganzen Körpersprache aus. Das war es, was mich sofort für sie einnahm, oder, ja, gut – gefangen nahm. Wohl so eine Art von Beschützerinstinkt, der da erwachte.

Gleich an einem unserer ersten Arbeitstage war ich mit den beiden Künstlern zu einer gemeinsamen Mission unterwegs. Ich weiß nicht mehr genau worum es sich handelte, wahrscheinlich hatten wir einige Zimmer einzurichten, nichts aufregendes, es blieb genügend Zeit sich zu unterhalten.

Der mit dem Rilke unterm Arm entpuppte sich als Schauspieler, der, wie das eben so geht, zwischen einzelnen Engagements auch einmal andere Jobs anzunehmen hatte um Geld zu verdienen. So war er hier gelandet.

Wir unterhielten uns über dies und das und über die Kunst. Der Schauspieler war mir durchaus sympathisch. Doch was er mir vom Showbiz erzählte, welche Leute er bewunderte, wem er nachzueifern strebte, erregte in mir, sofern mir die Namen überhaupt etwas sagten, ein gewisses Grauen. So wie die wollte er werden? Hilfe! Nein! Das hatte mit Schauspielerei wie ich es verstand überhaupt nichts zu tun.

Sie, Pheline, ja, sie war ganz anders. Da, zum ersten Mal, erfuhr ich ihren Namen. Pheline, die Geliebte. Was für ein schöner Name. Und ich erfuhr, dass sie eine bildende Künstlerin war, eine Malerin, eine Zeichnerin. Ich konnte es mir noch gar nicht recht zusammenreimen. Passte das zu ihrer Art?

Und wie ich erwähnte, dass ich schrieb, erzählte sie mir, dass auch sie geschrieben hätte. Etwas aufgezeichnet hätte über ihre Arbeit in einem Heim für Demenzkranke. Und dann erzählte sie noch, wie viel ihr diese Arbeit bedeutet hatte und dass sie es gerne wieder tun würde. Und schon – oder wieder – überraschte sie mich. Wer mit solcher Wärme, solcher Anteilnahme von einem Beruf sprach, der einem in körperlicher wie seelischer Hinsicht alles abverlangte, der musste ein guter Mensch sein, einer, den kennenzulernen sich lohnte.

Das also war meine erste Begegnung mit ihr. Wahrscheinlich habe ich danach bereits im Internet nach ihr gesucht, ihre Seite entdeckt, ihre Bilder betrachtet und festgestellt, dass sie eine große Künstlerin war.

Viele Schichten habe ich nicht mit ihr zusammen gearbeitet, sie hat auch sehr bald aufgehört Vollzeit zu arbeiten, ist auf eine halbe Stelle umgestiegen, um sich mehr auf ihre Arbeit, ihre künstlerische Arbeit, konzentrieren zu können.

Wenn ich mit ihr zusammen arbeitete kam ich immer gut mit ihr aus, darum wunderte es mich sehr, dass sehr bald sehr viele Kolleginnen und Kollegen schlecht über sie sprachen oder bereits zerstritten mit ihr waren.

Ich war ratlos. Ich fragte mich, was da an ihr sein sollte, das andere Menschen abschreckt, ja so weit brachte, dass sie mit Abneigung, Abscheu, ja beinahe mit Hass ihr begegneten. Ich habe es nicht herausfinden können. Wann immer ich jemanden darauf ansprach kamen nur Unbestimmtheiten heraus. Und die Ablehnung. Und die war bestimmt und unumkehrbar. Und blieb hartnäckig erhalten.

Manchmal habe ich versucht dagegen anzugehen. Vergebens.

Nun, ich mochte sie. Eine feinfühlige, gewitzte, scharfsinnige junge Frau. Das ist fast ein Zitat. So wurde sie einmal in der Ankündigung auf eine Ausstellung, an der sie teilnahm, vorgestellt. So war ich geneigt sie auch zu sehen.

Nun, vielleicht nicht ganz so. Noch nicht. Vorläufig blieb bei mir der Eindruck erhalten, den sie bereits am ersten Tag auf mich gemacht hatte. Der Eindruck einer Frau, die schön ist und zugleich unsicher wirkt. Diese merkwürdige Diskrepanz. Fast mystisch anmutend. Etwas, das nicht nur merkwürdig war, sondern sich einer Erklärung entzog.

Durch ein weiteres Ereignis wurde dieser Eindruck verstärkt und ergänzt um Charakteristika wie chaotisch, weltfremd und eine Spur von Lebensuntüchtigkeit.

Aus finanziellen Gründen war sie wohl gezwungen ihr bisheriges Atelier aufzugeben, zu räumen.

Wobei, bei näherer Betrachtung, der Begriff der Lebensuntüchtigkeit bereits zu streichen wäre. Immerhin war es ihr gelungen Umzugshelfer zu gewinnen, die die Sache für sie in die Hand nahmen. In erster Linie waren das der Freund einer Kollegin und ich.