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Ein Zeitroman. 2017/18. Ein Zustandsbericht. Die Republik ist ins Rentenalter eingetreten. Gebrechlichkeiten. Baustellen ohne Plan.
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Seitenzahl: 184
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Barnum / 1
Warten / 1
Barnum / 2
Barnum / 3
Barnum / 4
Barnum / 5
Warten / 2
Barnum / 6
Warten / 3
Barnum / 7
November / 1
November / 2
Barnum / 8
Warten / 4
Barnum / 9
Barnum / 10
Barnum / 11
Barnum / 12
Barnum / 13
Warten / 5
Barnum / 14
Warten / 6
Barnum / 15.1
Barnum / 15.2
Barnum / 15.3
Barnum / 16
Barnum / 17
Warten / 7
Barnum / 18
Barnum / 19
Barnum / 20
Barnum / 21
Warten / 8
Barnum / 22
Barnum / 23
Barnum / 24
Ich bin in berlin / 1
Sie / 1
Warten / 9
Ich bin in berlin / 2
Sie / 2
verirrt
zurück
mojito
gestochere
träume
unterwegs
nächster tag
zweiter ganzer tag
dritter ganzer
aufbruch
colmar
eguisheim
ausflug nach riquewihr
traum
die dame von eguisheim
durch die weinberge
barnum. wie der zirkus. barnum, brandenburg.
nest.
hühnerkacke, augentrost, gebrauchte damenbinden im kompost. die hat kirow mir untergeschoben, garantiert.
ich weiß nicht, warum hier so viel augentrost wächst, ich weiß aber, warum kirow das tut.
wenn ich ihn danach fragen würde, würde er sagen: weil kirow das getan hätte.
ich frage ihn aber nicht, weil ich gleich danach fragen würde, wo er die damenbinden her hat.
das möchte ich nicht. jeder mensch soll seine geheimnisse behalten.
kirow ist kirows form der opposition. die hat ihm seinerzeit zehn jahre bau eingetragen, obwohl stalin längst tot war.
kirow, der am stahl zerbrach, der die kugel bekam.
mein kirow hat auch im stahl gearbeitet.
jetzt gehen wir gemeinsam vor die hunde hier.
barnum. nest.
eine sterbende welt.
ich könnte erzählen, wie der himmel im herbst durch die decke geht. ich könnte mir vom augentrost einen tee für die augen bereiten.
stattdessen sauf ich sie mir mit vodka trüber. ist wohl besser so.
früher hab ich gedacht, wenn ich spüren könnte, wohin der wind weht, könnte ich mit ihm gehen.
aber der wind weht immer gegen uns.
bei uns gibt es keine anderen straßennamen als barnum.
barnum 7. das bin ich. flatternder steinhaufen plus bretterbude. kann mir keiner nehmen. will mir keiner nicht.
die straße schlängelt sich durchs dorf, als ob’s hier was zu finden gäbe. jedenfalls müssen die autofahrer vom gas. viele gibt es sowieso nicht.
und zu finden wären bloß kirow und ich auf der kirchhofmauer, aber nur eventuell.
am einen ende des dorfes geht es nach mecklenburg rüber, aber nicht bald, sondern irgendwann erst, nach langen alleen, am anderen ende geht es tief in die uckermark hinein. wenn du in dieser richtung weiterfährst besteht gute aussicht auf verschwinden. in einem zeittunnel, in einem der vielen seen, niemand wird danach fragen.
ich sehe in den spiegel, und sehe mein gesicht.
ich sehe augenlappen wie von einer bulldogge.
meine augen sehe ich nicht, die sind hinter der brille verborgen. wenn ich die brille abnehme, sehe ich meine augen nicht. was vor augen liegt, heißt bei mir im trüben fischen.
mit brille seh ich rote äderchen vom vodka, von den selbstgedrehten. will kein mensch sehen.
will ich nicht sehen. will mir stattdessen den bart abrasieren, eine schneise durchs kinn jagen.
bringt auch nichts. wenn ich eine rasierklinge hätte, würde ich sie auf die halsschlagader setzen. würde sie hierhin und dorthin schieben, würde fast in tränen versinken, sie dann bekümmert beiseite legen. weil ich ein einziges kümmernis bin. nicht bereit den heldentod zu sterben. wahrscheinlich, weil ich noch zu fest auf den beinen bin. fragt sich bloß, wozu. es muss aber kein wozu geben. es reicht auch hin, den mann im mond walten zu lassen.
mein hiersein ist eine schlichte trotzreaktion. die ganz schön widerstandsfähig sein kann. was zu beweisen bleibt. wofür sich jede anstrengung lohnt.
mit sarkasmus. und vodka.
der sarkasmus ist die vorletzte stufe der verzweiflung. der vodka läutet den untergang ein.
wie ich gelesen habe, besitzen wir nun das zweitgrößte parlament nach china. china! schon mal die bevölkerungszahlen verglichen? und überhaupt: china!
ist das größenwahn?
oder ist es einfach nur ein zuviel an gier?
ich fürchte, es ist letzteres. denn zum größenwahn mangelt es ihnen an geist und fantasie, der erforderte gedanken, wenn nicht gar ein gedankengebäude. dazu sind sie nicht in der lage.
sie sind die verwalter des mittelmaßes. man nennt es auch die bürgerliche mitte, der ort, wo sich kramp-karrenbauer und göring-eckardt auf den füßen stehen. diese 700 abgeordneten einer handvoll parteien, die nichts, aber auch gar nichts taugen, und dieser einen, die erst recht nichts taugt.
es vereint sie die gier. sie glauben, dass eine ihnen einigermaßen ansehnlich schmeichelnde talkshowgastgeberin die welt bedeutet.
sie erweist sich ihnen als lippenstift, wenig verwunderlich.
ich glaube, ich könnte kotzen, wahlweise böte eine badewanne duftender essenzen einen gewissen ausgleich.
das system ist korrupt, sagt kirow.
das hat er damals auch gesagt. zehn jahre bau.
heute läuft das anders, da lässt man einen wie ihn einfach vermodern.
diese abgrundtiefe jämmerlichkeit ...
sickert unaufhaltsam ein und erstickt deine welt, sagt benno.
meine welt?
benno ist aus dem westen. na schön: west-berlin.
aber seit dreizehn jahren hier. wohnt draußen in der wildnis in ner umgebauten datsche, samt atelier.
benno ist bildhauer und kloppt den lieben langen tag auf steinen rum. manchmal auch auf meinen nerven. so wie jetzt. das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen.
kirow ist mir aber zuvorgekommen. dort draußen ist sowieso alles scheiße, hat er gesagt.
was aber nur wasser auf bennos mühlen war. wir hier, und die dort draußen, verfügte er lapidar, und setzte mit runzelnder miene hinzu: man könnte es auch als eurozentrismus bezeichnen, ich wüsste nur nicht, wo hier ein euro aufzutreiben wäre.
benno ist ein verdammter schlaumeiernder wessie.
hab ich gesagt, dann haben wir gelacht und die flasche rumgehen lassen.
du denkst zu viel, sagt kirow. dabei denkt kirow ununterbrochen. aber kirow denkt in schleifen.
ich denke an den moderator, den ich neulich im fernsehen erlebte, als es um den plastikmüll in den meeren ging. ob der von den touristen auf den kreuzfahrtschiffen stammte, die plastiktüten ins wasser werfen, wollte er vom experten wissen.
ich dachte, ich werd nicht mehr! der hat das ernst gemeint. dumm wie bohnenstroh.
nein, sagt benno, das hat system.
schon wieder das system. man könnte zum verschwörungstheoretiker werden.
nix da, sagt benno. es verkrümeln sich die fakten.
75% weniger insekten in den letzten 27 jahren, sprudelt es aus mir raus.
bist du schwalbe?
ich mag schwalben, sagt kirow.
ich seh ihn erstaunt an.
raus aus der schleife.
wie das herz rasen kann. wie es sich zusammenfalten kann wie zwei welke blätter.
wie es mir den schweiß auf die stirn treibt und die angst den nacken hochkriecht. das ist aber nur am anfang so, wenn es einsetzt. dann aber gleich der gedanke: es ist vorbei. und: gut so.
ich leg mich flach hin und warte auf das ende. das kommt nicht. das herz pumpt. dann ist es weg. ist aber immer noch da.
außerdem kann ich kirow nicht alleine lassen.
der ist so verdammt gesund.
ich wohne hier seit damals, wie sie mich von der humboldt geschasst haben.
ich war nicht berühmt genug für den westen, habe wohl auch nicht laut genug gestrampelt.
wollte ich auch nicht. mir gefiel es hier, ich konnte alle meine bücher mitnehmen.
mir gefällt es noch immer. die bücher haben sich vervierfacht.
das damals ist sehr lange her.
etwa zur gleichen zeit kam kirow zurück.
ich hab ihn zu mir geholt. er hatte keinen mehr.
wir waren auch ziemlich gleichalt.
während ich karriere machte und sie gleich wieder verlor, hat er im stahl geschwitzt.
im dorf haben sie getuschelt, wie sie es heute noch tun: da sind die beiden richtigen beisammen.
ich habe gelesen, kirow hat in der lpg den stall ausgemistet. so vergingen unsere tage.
abends habe ich gekocht, dann haben wir uns an den see gesetzt und bier getrunken.
jener ort, der war einmal, da halfen auch keine kerzen im fenster, die hat der wind ausgeblasen, da war auch die erinnerung tot.
am liebsten habe ich auf fähren gewartet, die mich zu inseln oder entfernten küsten trugen.
sobald ich den hafen, die anlegestelle, erreicht hatte, mir eine fahrkarte gekauft und die abfahrt der nächsten fähre erfragt hatte, betrat ich den wartesaal.
es beginnt der prozess des wartens, bei dem es keine rolle spielt, ob eine stunde, zwei oder drei bis zur abfahrt vergehen werden.
die zeit hat sich eingerollt wie ein schlafender hund.
ich gehe zum kiosk, den es in jedem wartesaal gibt.
dort bestelle ich mir einen becher kaffee und eine käsestange und beobachte den mann oder die frau hinter der theke, wie sie die kaffeemaschine in gang setzen, mir kekse auf den unterteller schichten, mal zwei, mal drei, milch und zucker. ob tagsüber, frühmorgens oder abends, sie machen immer einen ermüdeten eindruck, bleiben aber stets freundlich, hilfsbereit, mit einem aufmunternden wort zur stelle.
ich zahle und balanciere das tablett an einen tisch.
ich stelle das tablett ab, setze mich und lege meinen rucksack auf den nachbarstuhl.
ich zerteile die käsestange, nehme bissen für bissen auf, kaue, fast andächtig, jedenfalls sehr bewusst, unterbrochen von vorsichtigen schlucken kaffees, der ist noch sehr heiß.
ich weiß nicht, warum entkommen mein erster gedanke war, denn ich wüsste nicht, wovor ich fliehen sollte, wenn es nicht die welt an sich wäre.
dem ist nicht so.
das entkommenwollen muss sich wohl auf mich beziehen.
mir entkäme ich leichtfüßig ohne einen schritt zu tun.
nicht ganz.
ich gehe durch die hintertür nach draußen. eine rauchen.
der tag setzt ein, ein abenddämmer, ich brauche mich nicht zu entscheiden, weil es für den ablauf ohne belang ist.
ich gehe wieder rein, setze mich an meinen tisch.
der kaffee ist kälter geworden, ich trinke ihn in zwei kräftigen schlucken aus.
ich öffne mein handy und beginne zu schreiben.
ein mann nimmt am nebentisch platz.
teurer mantel, dicke brille, achtsame bewegungen.
auf seinem tablett ein milchkaffee, nichts zu essen.
noch bevor er sich dem kaffee widmet, legt er ein buch auf den tisch.
tischbeins goethe auf dem umschlag. die italienische reise. eine gebundene ausgabe.
er beginnt darin zu blättern, ich sinne darüber nach, was ihn daran interessieren mochte, denke an mein zerfleddertes exemplar, da fällt ihm etwas zu boden: eine cd. die war wohl dem buch beigefügt, ihre hülle auf dem rückwärtigen deckel verklebt, wie ich vermutete, nicht sorgfältig genug, herausgerutscht, eine unaufmerksamkeit seinerseits, vielleicht hatte er auch gar nicht mit dieser beigabe gerechnet, wie auch immer, sie fiel zu boden, kullerte unter den stuhl.
er bückt sich, achtsam, hebt sie auf, betrachtet sie von allen seiten, sie scheint nicht beschädigt, er steckt sie in die hülle zurück, beginnt zu lesen.
ich beginne in mein handy zu tippen, fühle nach, was er liest, fühle mich fortgehoben.
wie ein messer den bauch, durchbohrt der corso die stadt.
es ist ein schmales langes messer, dessen spitze im capitolinischen hügel steckenbleibt.
dort schwingt es, bebt und zittert auf und nieder.
über schaft und klinge tanzt der karneval.
ohne vorwarnung ist er gekommen. ohne dass der weite blau himmel etwas ahnte.
wie der morgen erwacht, ist der corso gefüllt von den absonderlichsten gestalten.
pulcinellen, die sich einen könig suchen.
der advokat des teufels, der aller welt seine aufwartung macht.
er weiß von allen alles, und sie sollen es kräftig büßen, keiner bleibt verschont.
die quacqueri, napolitanische sbirren, der tabarro, weiße gestalten.
namen, masken, falsche gesichter.
es ist bunt, es ist schreiend, es ist eine qual ohne verstand.
es ist ein gedränge, es wird geschubst und gestoßen.
wohin du dich wendest, steht der advokat und brüllt dir die schlimmsten verwünschungen ins ohr.
dann kommt der konfettiregen. dann wird es dunkel. dann kommt die nacht. die wachen verlassen ihre posten.
kerzen werden entzündet.
'sia ammazzato chi non porta moccolo!'
unter diesem ruf bläst man sich gegenseitig die lichter aus.
das leben schreitet munter fort.
bis aschermittwoch bleibt der taumel erhalten.
und so, schreibt goethe, 'wünschen wir, dass jeder mit uns, da das leben im ganzen, wie das römische karneval, unübersehlich, ungenießbar, ja bedenklich bleibt, durch diese unbekümmerte maskengesellschaft an die wichtigkeit jedes augenblicklichen, oft gering scheinenden lebensgenusses erinnert werden möge.'
so sei es. ja.
fast gleichzeitig erheben wir uns, stoßen beinahe mit den köpfen zusammen, entschuldigen uns, lächeln, wechseln einige worte über die insel, unser ziel, erwartungen, den orkan, der sich von norden über das meer bewegt.
wir gehen zur theke, bestellen uns beide einen neuen kaffee, kehren zurück, lächeln, er vertieft sich erneut in die reise, ich mich in einen band gedichte.
warten.
brot, oliven, wein. und das schweigen der bootsrümpfe.
da gibt es einige, die draußen im hafenbecken an den dalben festgemacht liegen.
das wasser ist spiegelglatt, ölig.
warten.
warten, bis die fähre bereit ist, die passagiere an bord gehen können, im dunkel, das rote blinken des scanners, der die fahrkarten abtastet, die seilwinde für die gepäckcontainer.
du kommst aus dem nichts und fällst in die bugwelle, wo du deine geschichte findest.
wenn man nichts sieht, muss man die welt im kopf haben.
ich finde ja, dass es eine ziemlich sinnvolle zeitverschwendung ist.
der sehnsuchtsort, das ist immer der, wo man nicht ist. es geht also weiter.
der orkan zieht auf. er bewegt die wolken und die mastbäume, die köpfe nicht, nein.
wenn es hier dunkel wird, wird es dort hell. aber wenn es dort dunkel wird, was dann?
es reißt sich ja nicht fort.
die freiheit beginnt über den dächern, wenn in den fenstern die lichter ausgehen.
bis zur schwärze bleibt noch eine stunde wachsamkeit.
wie sich verlorenheit einstellt?
es ist ganz einfach ...
ich habe es hingeschrieben, schon waren die worte verschwunden, die hätten folgen sollen, die sich in meinem kopf gesammelt hatten, die herauswollten.
da erst habe ich begriffen, dass es keine worte, dass es bilder waren.
die waren übermächtig. die haben die worte erschlagen.
totschläger der übelsten sorte sind sie. totengräber meiner welt. benno hatte recht.
dieses gefühl der verlorenheit ...
es ist etwas für die jungen jahre, es ist etwas für die alten, das älterwerden, es ist etwas für die verlierer.
wie anders sollte es sein, und wer sonst außer diesen sollte es verstehen können?
die satten nicht, nicht die zufriedenen, und wie leicht bescheidet sich der mensch.
baut sich einen stuhl, baut sich einen tisch, baut sich ein haus drumherum.
dann kommen die brandstifter.
die immer kommen, darauf kannst du dich verlassen.
wievielmal möchtest du leiden, nichts anderes wird hier gefragt.
nein. du wirst nicht gefragt.
die welt ist nicht freundlich zu dir, wenn du ein wolf bist, ohne nutzen den gierigen und frommen, den kükenschlächtern, den säuebesamern.
ich bring sie alle um, schreit kirow, und schwenkt eine alte schrotflinte, die er werweißwoher aufgegabelt hat.
benno reißt die augen auf, nach oben, nach unten, was sein gesicht wie eine indische glubschmaske aussehen lässt.
da habe ich gleich zweimal zum fürchten.
aber es ist ja nicht so, dass ich angst hätte, nicht, dass benno angst hätte, er hat ja nur so getan, wenn auch aus einem ernsten grund, denn nicht um uns, um kirow geht es, steht es schlimm, wenn er sich so gebärdet, er ist ja sonst die ruhe in person.
es muss ihn fürchterlich was aufgeregt haben.
die wölfe in der schorfheide sind’s.
nein - nicht die. die berliner, die sie abschießen kommen: politiker, gangster, firmenbosse.
eine streng geheime sache. aber es dringt ja immer was durch und kommt zu ohren. greift um sich und sickert in die letzte güllegrube.
kirow weiß das alles. der kennt den wald und die heide, der weiß, nach welcher uhr die seen ticken, der kennt die dörfer, die häuser, alle menschen darin.
bist du dir sicher? ich kann es kaum glauben:
eine solche perfidie!
aber ich denke noch immer: der mensch ist gut.
sitze all die jahre hier und habe mich noch nicht von dieser krankheit geheilt.
benno kennt die welt besser. der klugscheißer, der wessie. der hält nichts für unmöglich.
aber mit der knarre, das läuft nicht.
die knallen dich ab und kriegen noch das bundesverdienstkreuz dafür.
umdenken ist angesagt.
köpfe rauchen lassen, eine rauchen gehen.
nach zwei bieren schält sich der plan aus.
autoreifen aufschlitzen.
wenigstens wehtun soll es ihnen.
was anderes wär uns gar nicht eingefallen.
öffentlichkeitsarbeit? mit plakaten und betroffenheitsmiene an den waldrand stellen? hihi!
nichts da. hier kämpft das proletariat.
und wenn sie leibwächter dabei haben, und chauffeure?
glaub ich nicht, die wollen unter sich sein.
wir müssens draufankommen lassen.
und wenn sie da rumstehen, sind wir eben drei wunderliche alte, die pilze suchen gehen.
pilze?
ja, aber solche, du weißt schon, die roten mit den weißen pocken.
apropos ...
nein benno, mit deinem fahren wir nicht ...
bennos ist ein alter transit, der sehr bunt strahlt.
meiner ein dunkelblauer golf, den ich mir kurz nach der wende gekauft hatte.
ein echter drei-liter-diesel, wie man ihn heutzutage nicht mal mehr gepfuscht hinkriegt. es ist schon traurig.
aber mal spaß beiseite: der ist so dunkelblau, der läuft so mit, den sieht keiner.
so wie uns. nicht. drei schummrige alte.
mit jagdmessern.
made in the german democratic ...
die kramt uns kirow raus (der hat aber auch alles).
jagdmesser aus mühlhausen, erklärt er uns.
wurden auch von den betriebskampfgruppen verwendet, sagt er.
na, wenn sich einer mit stahl auskennt ...
die fahrt.
so viele seen. so viel wald. quer durch templin.
mehr wald. und etwas feld. und mehr wald. mehr mehr mehr.
ich war ja bis zuletzt noch ungläubig gewesen.
ach, mensch!
da standen sie aufgereiht.
die tat. und die täter: wir.
keine beobachter, störenfriede: die chauffeure, leibwächter.
in der waldschänke. zum goldenen hirschkäfer.
anstrengend. immer in die beuge. ist nichts für alte männer.
und die armmuskulatur ...
so ein gummireifen bietet widerstand.
aber der stahl hat gehalten.
geschafft. alle neune
(es waren fuffzehn)
(viermal fuffzehn macht ...?)
hoch die internationale solidarität, intonierte ich.
kirow hob die faust.
okee, sagte benno, okee, ich versteh schon:
polnische wölfe und deutsche hornochsen. wir sollten trotzdem machen, dass wir hier wegkommen.
was wir taten.
schlugen uns ins gebüsch undsoweiter.
scheiße! zauste sich benno das haar, wie ich den golf in die gänge brachte, wir haben das bekennerschreiben vergessen.
wir kehren jetzt nicht um, sag ich, aaaber:
ich lad euch zum essen ein ...
bei britta?
aber sicher doch.
kirow strahlte. ein freudenkind.
britta war die fülle an sich, rot im gesicht, in den haaren, tausend bunte spangen.
und kochen konnte sie ...
mmmmmh ... ob es schon gans gibt?
benno zauselte vor, zurück, stellte die musik lauter. antenne rbb:
... du hast den farbfilm vergessen, bei meiner seel ...
ich musste an das bekennerschreiben denken
... nun glaubt uns kein mensch, wie schön das hier war ...
es gab ente. und einen rotwein aus dem périgord.
jemand gibt dir ein rätsel auf.
jemand erteilt dir einen rat.
was auf den ersten blick unterschiedliche positionen einzunehmen scheint, ist gar nicht so weit voneinander entfernt, denn: dein denken ist gefragt.
wenn es alleine in der küche ist, hat es vier
buchstaben.
sind sie zu zweit, werden es fünf.
bei sechs sind es sieben.
ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt eines haben, sagte ich.
kirow griff hinter seinen rücken und legte es mit einer triumphierenden geste auf den tisch.
dadaaaa ...
na schön, sagte ich, du hast gewonnen.
kirow strahlte übers ganze gesicht.
wahrscheinlich hatte er tagelang gegrübelt. über das rätsel, und wie er es mir beibringen konnte.
wobei ich mir nicht sicher bin, ob er es sich selbst ausgedacht hat.
wahrscheinlich hat es ein kind ihm erzählt.
obwohl: so viele kinder gibt es hier nicht mehr, die jungen leute sind ja alle fortgezogen.
andererseits: selbst wenn es auf der welt nur noch ein kind geben sollte, das kind und kirow würden sich finden.
kirow kann gut mit kindern.
ich kann auch gut mit kindern, aber in mir sehen sie immer den erwachsenen.
in kirow erkennen sie das andere kind.
das ist kein rätsel, das ist eine beobachtung.
sieb siebe sieben
siebe sieben sieb
sieben siebe sieb
und es siebt
die sieben philosophischen weisheiten
(die ich mir noch auszudenken habe)
die sieben gegen theben
die glorreichen sieben
kirow ist mir ein rätsel.
kirow ist mir kein rätsel.
kirow erteilt mir keine ratschläge.
kann aber sein, dass er den kindern welche unterbreitet. von gleich zu gleich.
mit einem lächeln im gesicht, das um verzeihung zu bitten scheint für die anmaßung.
so lächelt er auch jetzt.
karascho, sage ich, wir backen einen kuchen.
man könnte höhlenforscher spielen, unterseetaucher, noch besser: bodenaufschneider.
erdschichtenleser werden. es wird immer etwas zu finden geben, geheime botschaften, vor jahrhunderten, jahrtausenden versteckt oder achtlos beiseite geworfen.
da haben kinder etwas hingekritzelt, eines am yadoga-see, ein anderes im altaigebirge, ein drittes in memphis, am ufer des nils. und dazugeschrieben haben sie: ˋich bin eine bestie´, ˋich bin eine chimäre´, ˋich bin ein ungeheuer´.
und alle sehen sie aus wie eine bundesdeutsche politikerin.
subversive spielchen oder le grand macabre? wir wissen doch alle, dass alles den bach runtergeht.
die wussten das auch, die haben dasselbe spiel gespielt.
aaaah! wir wollen das leben leben, nun mehr denn je. wir wollen noch mehr autoreifen aufschlitzen, wir wollen kuchen backen und vodka trinken.
ich habe mir zum vergnügen auch ein solches ungeheuer gezeichnet.
es ist aber ein ganz liebes. wenn ich genau hingesehen hätte, hätte ich den schmetterling bemerkt, der ihm auf der nase saß. da hatte ich das bild aber schon vollendet.
man muss es sich eben dazudenken, versucht kirow mich zu trösten.
wobei das natürlich gar nicht nötig wäre, aber so ist kirow nun mal.
ausgerechnet jetzt sehe ich, wie sich der reißverschluss eines igluzeltes öffnet.
heraus schaut ein bär, der gähnt.
ungläubig und mit geöffnetem mund starre ich kirow an.