ortsbestimmung.hamburg - Eike M. Falk - E-Book

ortsbestimmung.hamburg E-Book

Eike M. Falk

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Beschreibung

aufzeichnungen, notizen, skizzen, bilder, gedanken, gefühle aus der zeit, da ich als betreuer dementer und psychisch kranker menschen zu fuß, mit bus und bahn kreuz und quer in hamburg unterwegs war.

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Seitenzahl: 116

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Kapitel 129

Kapitel 130

Kapitel 131

Kapitel 132

Kapitel 133

Kapitel 134

Kapitel 135

Kapitel 136

Kapitel 137

Kapitel 138

Kapitel 139

Kapitel 140

Kapitel 141

Kapitel 142

Kapitel 143

Kapitel 144

Kapitel 145

Anhang

1

ich beginne an diesem ort, der ein ort ist zweifellos und zu jeder zeit.

vielleicht sollte ich aber besser von einem standort sprechen, von meinem standort nämlich, der sich innerhalb dieses ortes verschieben kann.

ich könnte sogar, da ich jederzeit ein smartphone bei mir trage, meinen genauen standort angeben, auf die sekunde genau.

mein gegenwärtiger breiten- und längengrad wäre: 53.596953 nord, 10.050659 ost.

bramfelder chaussee. hamburg. deutschland.

es ist 8.19 uhr morgens, und ich sitze in einem bus der linie 8, der mich von poppenbüttel nach wandsbek bringt.

während ich dies niederschreibe wird sich mein standort bereits wesentlich verschoben haben.

ich bin in bewegung.

ich führe ein bewegtes leben.

weswegen mir diese exakten angaben eigentlich bedeutungslos sind.

ich werde sie aber, man darf es ein spiel nennen, das ich leichtfertig begonnen habe, beibehalten.

was mich dazu veranlasst die daten für den hamburger hafen, und zwar diejenigen des eurogate containerterminals, als allgemeinen orientierungspunkt festzulegen.

diese lauten für den

breitengrad: 53.527206 nord

für den

längengrad: 9.918959 ost

die gps-koordinaten lauten:

53° 31' 37.942 nord

9° 55' 8.252 ost

ich gedenke sie als richtwert zu nutzen, als den scheibenmittelpunkt, nach dem ich meinen jeweiligen standort verschiebe.

wenn wir uns die koordinaten vergegenwärtigen, stellen wir fest, dass hamburg auf einer nördlichen breite liegt, die in etwa mit dem südzipfel von alaska übereinstimmt. humboldtstrombegünstigt herrscht in hamburg ein sehr viel gemäßigteres klima.

so sehr, dass ich mich wohl genug fühle in dieser stadt. ich wohne in dieser stadt. ich arbeite in dieser stadt. ich versuche in dieser stadt zu leben und zu überleben.

wie jede großstadt ist auch hamburg eine schmutzige stadt, wenn auch lange nicht so schmutzig wie berlin, und längst nicht so schmutzig wie new york.

den begriff des schmutzes lege ich dabei sehr großzügig aus. der leser mag sich darunter vorstellen was er will, es wird sich schon als richtig erweisen.

und sollte keinesfalls abwertend zu verstehen sein. eine nicht-schmutzige großstadt wäre ein freak, ein monster, eine abscheulichkeit.

ich denke etwa an singapur, eine stadt, die ich zwar nicht kenne, von der ich aber schlimme dinge gehört habe. hamburg ist mir schmutzig genug.

die bleiche schöne, die nicht am meer, und doch an der see liegt.

der hafen ist der hafen, und die elbe ist der verlängerte arm des meeres. eines teiles des meeres, genauer gesagt, den wir hier die nordsee nennen.

ich denke mich an die elbe.

2

dort stehe ich, nicht weit entfernt von den landungsbrücken.

ich würde gerne sitzen, doch dafür ist es zu kalt, es ist anfang januar.

ich sehe möwen aus dem dunst aufsteigen, die silhouetten ein- und ausfahrender schiffe, die schwarze wand der docks von blohm & voss, die verladeanlagen der containerterminals.

ich füge die feuchte des nebels hinzu, die die lücken zwischen schal und mantel zu erkunden beginnt.

damit wäre der äußere standort ausreichend skizziert. vorläufig.

vorläufig will ich mich damit zufrieden geben.

ich stelle fest: es wäre an der zeit mich einer inneren ortung zu widmen.

ich zögere noch etwas, denn der versuch die inneren koordinaten bestimmen zu wollen, folgt keinem eindeutigen algorithmus, es ist das gerade gegenteil, es ist

heurismus. ich sehe mich vor einer ungewissen ausgangslage mit unbestimmbaren folgen.

mehr noch: von einem ziel oder gar einem zu erwartenden ergebnis reden zu wollen, verbietet sich von vorne herein.

es ist der sprung ins kalte wasser.

nein. nicht das der elbe.

ich brauche mir zusätzlich zu meinem schnupfen nicht auch noch eine lungenentzündung zu holen.

der nebel, die wabernde feuchte sind mir mehr als genug.

und doch werde ich mich dem fluss anvertrauen.

ich werde weitergehen. nach övelgönne.

unterwegs kann ich mein herz ausschütten, den verstand überfließen lassen.

oder umgekehrt.

oder gar nichts davon.

oder mehr noch.

ich werde sein wie der fluss

mit allen seinen erinnerungen

und dem, was daraus fließt

über glatte steine und schroffe felsen

ein kristallklarer fluss am morgen

unter bäumen, schattig, der das vieh tränkt

kinder laufen mir zu

nachts flüstern die liebespaare

tauchen ihre augen in den trügerischen schein meines wassers

in dem sich die brückenbögen spiegeln

manchmal werde ich wild

schone das leben nicht, bringe den tod

öffne die türen

den städten, den menschen, den vielen

deren blut ich zu fassen bekomme

deren gedanken sich regen in meinen armen

ich bin der fluss, der in den menschen fließt

baum und blatt

rose, stein

tisch und anker

wort und werkstatt

ich, das alles

3

ich gehe. ich folge dem fluss.

die hafenstraße. der fischmarkt. die fischauktionshalle. der elbspeicher. der holzhafen.

das cruise center altona. das in die elbe hineinragt wie der bug eines schiffes.

ich gehe weiter. ohne hast.

auch wenn nun regen einzusetzen beginnt. der richtige regen.

als ob an regen etwas richtig oder falsch sein könnte.

natürlich meinte ich die nebelfeuchte. als den falschen regen. falschen hasen.

mich meinte ich nicht.

das sind spielereien.

ich bin ein spielkind.

ich suche einen ort, an dem ich mich nach herzenslust meinem spieltrieb hingeben darf.

ein café. eines mit überdachter terrasse, wo ich mir von zeit zu zeit eine zigarette gönnen kann. vom denken auszuruhen, neue denkmuster zu empfangen.

denn das ist einer der effekte des rauchens. es wirkt wie ein katalysator. zumindest bilde ich mir das ein. darum rauche ich. noch.

es gibt kein 'noch'.

ich spiele schon wieder. mit mir.

gut so.

so gerät jedes koordinatensystem durcheinander.

ich betrachte die entlaubten bäume, das wasser.

die bäume sehen verwahrlost aus. ein baum ohne blätter ist wie ein vogel in der mauser. unansehlich.

so muss man ihn ansehlich machen.

baum

baum

schlaf du nur

träume

singe deinen traum

ich höre dich summen

zwei möwen umkreisen dich

dann sind sie verschwunden

und du träumst einen neuen traum

singst eine neue melodie

ich höre dich summen

wie die bienen

die schlafen

wie du

schlafen

und träumen

beinahe wären mir die augen zugefallen

4

ich weiß nicht mehr zu sagen, ob die anwesenheit oder das fehlen salzhaltiger luft den größeren anreiz ausübten meine sehnsucht zu beflügeln.

ich sitze wie eingefroren, eisweiß.

es sind nicht die reisen, die ich selbst unternahm, es sind reisen in eine fernere vergangenheit, die aber auch nicht die vergangenheit der alten spanischen kartographen ist. es ist keine historische vergangenheit, meine gedanken schweifen darüber hinaus, schweifen sich ab in konstrukte der fantasie.

es ist etwas, das in uns allen wohnt, und von alters her. einen gegenentwurf zum bestehenden zu schaffen.

wenn ich jetzt nach indien reiste, wäre ich zwar nicht enttäuscht, ich würde mir neue anregungen holen. doch wozu?

wenn ich jetzt hier sitze, kann ich mir ein eigenes indien erschaffen, ein eigenes mexiko.

zweifellos hat es etwas mit dem alter zu tun, früher hätte ich anders darüber gedacht, anders gehandelt, auch ohne nachzudenken.

ich hätte die nächste gelegenheit ergriffen, das nächste schiff bestiegen - und wäre aufgebrochen.

geblieben ist die sehnsucht der salzigen luft.

eine andere nun. in gedanken.

ein anderer reiz. nicht minder verführerisch.

5

so geschieht, wie es - nein - nicht immer geschieht, doch wie es jeder von uns immer wieder erlebt. es kam alles ganz anders als ich es erwartet und geplant hatte. meine gedanken nahmen einen perspektivwechsel vor, ohne mich vorher darüber zu informieren.

ich bestellte mir einen weiteren kaffee und trat hinaus auf die veranda, eine zigarette zu rauchen, mir die bunten märkte mexikos vorzustellen.

6

flüsse. ich liebe flüsse. vielleicht sogar mehr noch als das meer.

flüsse sind unbestimmter, haben gurgelnde stellen und biegungen, hinter denen sie sich verstecken.

der fluss ist ein zauberer, ein magier, seine nebel sind die nebel von avalon.

schon sehe ich mich in einem kleinen boot auf der themse treiben.

es sind augenblicke wie diese, da liebe ich die literatur wie das leben, mehr noch, wie einen gesalbten himmel liebe ich sie, wie etwas, das man mit unvorstellbarer leidenschaft liebt.

denn die emotionen, die bilder, sie werden greifbar, sie sind da, sie sind so wahr, wie die möwen, die über dem weidenviereck kreisen.

die themse. ich kann sie riechen wie sie war. ihren damaligen duft in mich aufnehmen.

es ist ein duft, der entsteht, wenn die eingeweide eines herings zutage treten. doch noch ist der tag kaum angebrochen.

die themse. our mutual friend.

es liegt keine zweideutigkeit darin, wenn wir den fluss, wenn wir jeden fluss so nennen. wenn es bei dieser benennung bleibt.

ein suchendes auge streift über das wasser hin, ein erfahrenes auge, eines, das noch der leichtesten missregung im wellenschlag ein zeichen zu entnehmen vermag. wir wissen es: ein leichenfledderer.

flüsse sind eine totenbahre.

sie sind es nur nebenbei.

sie sind unsere freunde, aller menschen freunde, was uns nicht nur ein gefühl, sondern die sicherheit von gemeinschaft und gemeinsamkeit vermittelt.

sie sind es von der geburt bis zum tod.

dieser ist nur eine wasserscheide.

unser leben gleicht einer immerwährenden flussüberquerung.

wir fahren mit der fähre hinüber. und gleich wieder zurück.

diese frau dort drüben, in einem früheren dasein ist sie ein tintenfisch gewesen, der hat mich gefressen.

ich kann mich aber nicht mehr entsinnen, welch ein geschöpf sie fraß.

7

ich betrachte die schillernde oberfläche meiner seele. die wie ein marienkäfer getüpfelt ist.

in diesen tupfen sind alle farben vertreten, die ein mensch fähig zu sehen ist.

wenn ich ein igel wäre, ich sähe alles einförmig grau.

nur die raupen und würmer nicht, die sich in hellen beigetönen hervorheben.

doch was sagt das über mich oder über den igel aus? nichts.

oder: etwas typisch menschliches.

eine anhäufung von fakten ohne auf ein gegründetes wissen hinzusteuern.

erscheint dem igel auch der autoreifen taubengrau, oder wandelt er sich brennendrot?

was verstehe ich von der liebe?

8

wozu ein fluss doch alles verleiten kann ...

denn ich behaupte, dass es auf den fluss zurückzuführen ist, unmittelbar.

es ließe sich einwenden, dass er nur den äußeren rahmen abgegeben habe.

in diesem fall hätte ich ebensogut eine waldschänke aufsuchen können.

doch waldschänkengedanken, auch waldgedanken sind etwas völlig anderes.

ich werde diese behauptung bei gelegenheit auf die probe stellen.

doch im frühjahr erst.

derzeit ist es im wald eher ungemütlich und die waldschänken haben geschlossen.

auch den fluss und das café am fluss habe ich längst hinter mir gelassen.

es ist ein anderer tag. es ist kalt, minus zehn grad, ich bin wieder unterwegs und denke über die ewigkeit nach.

es könnte die ewigkeit der kälte und die ewigkeit der liebe sein, es könnte auch der bus sein, in den wir eben alle einsteigen wollten, schutz vor der kälte zu suchen, ohne richtig hinzusehen.

feierabend!, rief uns der fahrer zu. er hatte schichtende. wir steigen wieder aus.

unser bus kommt erst in zwei minuten. eine ewigkeit.

doch immerhin hatten wir etwas zu lachen. sogar der fahrer lachte mit uns. es war einer dieser momente ...

wollte ich sagen - für die ewigkeit?

aber bestimmt.

ist es nicht so, dass der begriff der ewigkeit eine relative anwendung findet im hinblick auf etwas, das mit dauer und beständigkeit zu tun hat?

und doch ist die ewigkeit von großer, ja größter bedeutung. ein zauberwort, dem man zauberzusammenhänge wünschen möchte, das man in tüdelchen schreiben sollte, mit ganz vielen ausrufezeichen.

oh, diese ewigen belehrungen!

ewig und drei tage.

aber keine sorge. zwischen gestern und morgen ist alles vorbei.

9

jahreswende

wenn die kälte kommt

wenn das eis geht

wenn die gänseblümchen erfrieren

das eis geht

auf den flüssen

staut sich die gemächlichkeit