Mallorca mit allen Sinnen - Otto W. Bringer - E-Book

Mallorca mit allen Sinnen E-Book

Otto W. Bringer

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Beschreibung

Geschichten und Ereignisse vieler Ferienwochen auf Mallorca. Sie eine schöne Frau. Er ein Künstler. Wohnen bis zum Verkauf in ihrer Finka. Dann in historischen Finkas, Nobelhotels und einfachen Casas. Erleben Land und Leute. Das Meer. Die Berge, Städte Dörfer und alte Mühlen. Geschichten werden erzählt. Sie schnuppern, wo es schön und aufregend ist. Und lecker schmeckt. Feiern Silvester mit Einheimischen und tanzen ausgelassen. Lieben sich nackt. Tauchen ins Meer und in die rauen Schluchten der Serra Tramuntana. Vieles ist geplant. Anderes kommt, wie es kommt. Reifenpanne. Die Blumenfrau von anno dazumal. Stromausfall. Winterkälte. Es machte sie nicht unglücklich. Im Gegenteil. Bis alles anders kommt.

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Otto W. Bringer

Mallorca mit allen Sinnen

Tagebuch-Aufzeichnungen

Imprint

Mallorca mit allen Sinnen Otto W. Bringer

Schillinger Verlag Freiburg

Published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

ISBN 978-3-7418-???

Titelgestaltung und Fotos vom Autor

E-Book Konvertierung:

Inhalt

Isla d´amor.

Paella für vier.

Ein Tag am Meer.

Marias Kramladen.

Catedral la Seu.

Im Pullover zwischen Abendkleidern.

Santa Maria del Carme.

Weihnachten mit heißer Schokolade.

Fischsuppe aus dem Aluminiumtopf.

In der Haferkiste.

Hundert Kerzen und eine kalte Nacht.

Höllenheisse Gambas, himmelheller Wein.

Am Fuß der Salzberge.

Wo Londoner Banker Hemden kaufen.

Als die Tramuntana explodierte.

Die Nackten und die Schwarzen.

Stromausfall.

Wer war eigentlich Charly?

Mit dem Auto nach Mallorca.

Das tanzlustige Kleid.

Finka Koch und die Folgen.

Finka Ca N´Ái

Isla d´amor.

In meinem Kopf wirbeln taudend Gedanken übereinander, untereinander. Schlagen Purzelbäume. Rose, meine geliebte Rose fliegt mit mir nach Mallorca. Ich werde wahnsinnig. Schöner Wahnsinn. Bilder im Kopf: Rose unter Kaskaden pinkfarbener Bougainvilleas am Ziegelsims unserer Finka.

Sehe sie flanieren auf Palmas Palmenalleen. Azulejos im Almudainapalast bewundern, auf den Stufen der Kathedrale La Seu innehalten. Rose vor dem Blau der cala Mondrago, so blau wie auf retuschierten Postkarten. Die ersten Spuren meiner Rose im Sand. Rose interessiert den Jungen beobachten, der ein ganzes Schwein am Spieß dreht. Von Mittag bis Abend. Bis es schmeckt wie es soll. Rose hingerissen vom roten Wein in grünen Gläsern. Deren Ränder weich geschmolzen wie Küsse sind. Zikadenchöre, die unsere Nächte erfüllen. Nichts mehr ohne meine Rose.

Unüberhörbar das Meer bei seinen pausenlosen Angriffen auf das steinige Ufer. Rauschen, klatschen, rauschen, klatschen. Drei Wochen lang. Und ganze Ewigkeiten davor und danach. Mir brennt die Insel wieder im Kopf, füllt Nase, Ohren und Bauch mit bitterer Süße. Wie aber wird Rose reagieren auf all das Wunderbare? Wird sie es so erleben wie ich? Es wäre der Himmel. Für die dreiundvierzigjährige Frau und den vierundfünfzigjährigen Mann.

Rose ist überhaupt nicht aufgeregt. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, mit mir nach Mallorca zu fliegen. Und drei Wochen zu bleiben. Ob das gut geht? Ganz allein, wir zwei? Nach den vier Monaten, die wir uns kennen, lieben wir uns immer noch. Wage trotzdem nicht, mir vorzustellen, zwanzig heiße, lange Vierundzwanzigstundentage allein mit ihr zu sein. In einer engen Finka.

Ohne Fluchtmöglichkeiten. Besser darüber nicht nachgrübeln, sage ich mir. Lange gehegten Wünschen folgen ist das einzig Mögliche. Mit ihr zusammen sein. Aus ihren strahlenden Augen Zuversicht trinken. Den biegsamen Leib umfassen. Und küssen, was sich küssen lässt unter der Sonne. Was aber denkt Rose von alledem?

Es könnte ihr alles fremd sein. Italien kennt sie, liebt es mehr als Deutschland. Spanien kennt sie nicht. Die Menschen sind anders. Stolzer, distanzierter. Umarmungen erst, wenn man sich kennt und schätzt. Wie wird sie ihnen begegnen? Ich weiss es nicht. Vermutlich so, wie sie mir begegnete.

Rose erzählte mir einmal, dass alles Fremde sie anzieht. Sie will herausfinden, ob nicht ein Stückchen Glück darin steckt. Ein Widerstand, den sie besiegen könnte. Eine Schönheit, die sie noch nicht kennt. Vielleicht ist es viel mehr, als ich jetzt weiss. Ahne aber schon, sie besitzt ein sicheres Gespür für alles. Das begeistert oder warnt. Sie das tun lässt, was richtig ist. Ich dagegen bin einer, der sich blind in jedes Abenteuer stürzt. Ohne Alternative für den Fall des Falles. Jetzt nehme ich mir vor, achtsam zu sein.

Es steht zu viel auf dem Spiel. Will nach dem plötzlichen Tod meiner Frau endlich wieder glücklich sein. Und Rose glücklich machen. Mit allen Verlockungen der Insel und der Liebe. Mich selbst neu entdecken.

Erst einmal Koffer packen. Mein Gott, ist sie schnell. Und ordentlich wie meine Mutter. Kein Wunder, daß sie weiss, wo alles ist. Das Notpflaster da, wo man es schnell greift. In der Handtasche. Ich überlege: Wohin mit dem Fotoapparat? Umhängen? Lästig. Er wiegt fast ein Kilo. Oder ins Kleingepäck? Nicht zur Hand für den Schnappschuss.

Habe mir vorgenommen, Fotos meiner neuen Frau zu machen. Rose beim Einsteigen auf der Gangway. Rose im Fliegersitz Zeitung lesend. Rose mit der Tasse am Mund. Rose lachend. Roses Augendeckel geschlossen. Der blassblaue Lidschatten sollte an Marlene Dietrich erinnern. Alles das hatte ich mir vorgenommen.

Nur, wohin mit der verflixten Kamera? Höre ihre Stimme, leise, aber bestimmt: „Das Taxi ist da“. Also die Kamera rasch ins geöffnete Handgepäck. Reißverschlüsse ritsch ratsch zu. Fotoapparat ausser Reichweite. Schnappschüsse nicht möglich. Ärgere mich. Keine Ahnung, dass meine Rose mich ein paar Tage später zu viel schöneren Motiven animierte.

Taxi zum Flughafen. Einchecken. Mit Glück bekommen wir den einzigen Doppelsitz hinter der Kombüse. Können die Beine zwanzig Zentimeter weiter ausstrecken.

Rose schweigt. Reckt sich zu Recht. Nimmt die „WELT“, eine Zeitung mit großen Buchstaben. Im schwachen Licht besser zu lesen. Stewards und Stewardessen winden sich durch den engen Gang. Von vorn nach hinten, von hinten nach vorn. Der glatte Stoff ihrer Uniform streift meinen Arm. Hinterlässt dezente Frische.

Aus Lautsprechern quakt eine Stimme Notfall-Anweisungen zweisprachig. Während eine Stewardess Schwimmweste und Sauerstoffmaske pantomimisch interpretiert. Die Düsen donnern los, werden leiser, flüstern. Zwei Stunden bis Palma de Mallorca. Hophopsahophop setzen die Räder auf. Alle klatschen. Hören nicht auf zu klatschen. Als wären sie froh, dem Tod entronnen zu sein.

Kaum draussen auf der Gangway überfällt uns Kerosin. Die schöne blaue Luft geschwängert von den Emissionen aus hundert Düsen. Dick zum Ersticken. Koffergedränge am Laufband. Aus allen Lautsprechern gellt Spanischenglischdeutsch. So laut, dass ich es kaum verstehe. Leihwagen organisiert. Rückwärtsgang gesucht, gefunden und ab in Richtung Colonia de Sant Jordi. Alle Fenster offen. Noch kämpft Pinienduft gegen das Kerosin. Wird stärker, je weiter wir uns vom Aeropuerto entfernen. Gewinnt die Überhand.

Endlich Pinienduft pur. Wind treibt die Sonne über rot ausgetrocknetes Land. Flügellahm recken sich Windmühlen ins Blau. Ehemalige für die Felder-Wirtschaft notwendige Wasserschöpfer. Das bröckelig bröselnde Mauerrechteck unter ihnen ein „Safareig“, Behälter, in den die Flügelwesen das Wasser aus den Bergen pumpten. An rotockerziegelgedeckten Häusern eins, zwei, drei Palmen. Wie Hausheilige. Wir riechen die Trockenheit und jagen dem Meer entgegen.

Der kleine Seat gibt sein Bestes. Vorbei an endlosen Trockenmauern aus schräg zusammengepassten Steinbrocken. Sie halten die Erde fest, wenn der Frühjahrsregen alles wegschwemmen will. Auf den Feldern dahinter wachsen, blühen und gedeihen Mandeln, Orangen, Limonen und Aprikosen. Wuchernde Kakteenfeigenbüsche an den Mauern der Bauernhäuser wie festgeklebt. Ihre süßlichen Stachelfrüchte mögen Schweine zum Fressen gern. Neuerdings werden sie in deutschen Supermärkten als südländische Delikatesse angeboten.

Durch zwei Landstädtchen, Lucchmajor und Campos. Sehen aus, als leisteten sie noch erfolgreich Widerstand gegen den zunehmenden Autoverkehr. Scheinen sammelndes Zentrum zu sein, das sie immer schon waren. Noch. Weit hinaus streckt sich die Treppe zur Kirche, als holte sie die Beter von der Strasse. Noch.

An einer Straßenkreuzung eine Gruppe von fünf hochgewachsenen Pinien. Ein unübersehbarer Wegweiser zum „Baño san Joan“. Vielleicht gelingt es mir, Rose in das schwefelige, siebenunddreißig Grad warme Wasser zu bugsieren. Ihrer Haut zuliebe natürlich.

Ich kenne die großen steinrauen Tröge, in denen man eine Viertelstunde aushalten muß. Den Nacken an die harte Kante gelehnt. Zum Abschluss der Prozedur holt man sich frischkühles Wasser aus dem messingdunkel aufgerissenen Schnabel einer Ente. Bevor das Zweiquadratmeterlinnen den Körper im Nu getrocknet hat.

Unsere Finka nicht mehr weit. Die alte Dorfstrasse mit neuen Bogenlampen. Vorbei am „Marisol“, in dem wir ganz sicher manche Tage ausklingen lassen. Bei Kerzenschein und rotem Wein aus grünen Gläsern. Achtung, zweite Abbiegung links. Das weiße, geranienüberwucherte Mäuerchen führt uns mit Schwung bis vor das Tor aus geschmiedetem Eisen. Schlüssel passt.

Die pinkfarbigen Bougainvillea unter dem auskragenden Dachgesims winken uns zu. Die Läden geschlossen. Drinnen ist es kühl. Und alles noch am alten Platz. Blaugelbe Kacheln schmusen mit piniendunklem Holz. Geruch von Kaffee und dunkel Gebratenem in den Schrankritzen. Schiebe das Fenster in der Küche auf. Im abschüssigen Garten schleicht vorsichtig eine Katze um vielerlei stachelige Gewächse. Beäugt die neuen Gäste.

Ich höre das Meer rauschen und klatschen. In gleichmäßigen Abständen Schaum über die Steine schütten. Das muß ich sehen und einatmen. In mich aufsaugen, bis ich genug habe. Wird es je sein? Frage ich mich. Rasch die zehn Meter hinunter zum steinklüftigen Strand. Wo bleibt Rose? „Rose!“

Sie läuft auf mich zu, an mir vorbei. Wirft ihre Schuhe ab und springt auf den erstbesten größeren Stein und von da in ein Wasserloch. Jauchzt. Lacht: „Hier bleibe ich.“ Derweil versickert Welle um Welle im Sand zwischen den grauen Basaltbrocken. Und hört nicht auf, solange wir dort sind. Die Steine glitzern von Wasser und schräg einfallendem Sonnenlicht. Wir sind angekommen. Auf Mallorca, meiner Insel der Liebe. Isla d´amor. So nenne ich sie ab heute.

„du hast dich mir und ich mich dir überlassen – von den Rändern der Zeit sind wir gesprungen in die Mitte des Augenblicks – wir haben die Lichter angezündet in unseren Augen – und sind davon geschwommen – hoffnungsvoll“

Paella für vier.

Es sind Jahre vergangen und Paella nur noch eine Idee. Idee von großer, schwarzer Eisenpfanne. Bis an den Rand gefüllt mit safransattem Reis und Meeresgetier und Fleisch. Freundlich mit Zitronenschnitzeln besteckt, je nach Talent des Kochs für´s Dekorative. Unvergessliches, saftdampfendes Mallorcaerlebnis.

Ich habe grosse Lust darauf. Richtige Sehnsucht am blanken Tisch Mittelmeer zu atmen, zu genießen. Mit den Augen, beiden Händen und einer ausgehungerten Seele. Endlich wieder nach Jahren. Ob Rose, die Feinschmeckerin, solch wildes Durcheinander auf dem Teller mag? Habe letzte Woche noch mit ihr in Schloss Anholt viergängig geschlemmert. Und mit gebügelten Stoffservietten inklusive Schlossemblem die fettigen Lippen abgetupft, bevor wir das Glas nahmen. Wir feierten den vierten Monat unseres Kenenlernens.

Erinnere mich ans „Marisol“. Eines vieler Restaurants nah am Sandstrand von Colonia de Sant Jordi. Wie alle mit Freiluftplätzen und weißen Plastikmöbeln unter gestreiften Markisen. Diese hier gelbweiß. Andere grünweiß oder blauweiß. Für fröhliches Strandtheater. Acht Uhr abends. Die Sonne schwächelt schon und bereitet sich auf die Nacht vor. Leute kommen aus allen Richtungen. Aus Zelten, Bungalows, den Etagenwohnungen in vierstöckigen Neubauten. Alle mit Meerblick. Sonst könnte man sie nicht vermieten. Am Straßenrand stauen sich dicht an dicht die kleinen Coches. So Autos auf Spanisch.

Sie haben jetzt Zeit, sich von den ungeduldigen Gasgebern zu erholen. Langsam verkriecht sich der Benzingestank. Die Luft wird klar. Ich rieche Meer. Und das, was in den Pfannen und Töpfen der Köche brutzelt und brodelt, zur Freude von Restaurantbesitzern und Gästen.

An welchem Tisch möchtest Du gerne sitzen, Schatz?“ Noch haben wir die Wahl. „Möglichst weit draußen, wo ich das Meer atmen kann“ die erwartete Antwort. Die blanke Kunststoffplatte ziert ein Aschenbecher. Sonst nichts. Warten wir´s ab. Mit ausdruckslosem Gesicht nähert sich einer der Camareros. Juan, wie ich hörte, in Jeans und geblümtem, kurzärmeligem Hemd.

„Buenas Tardes, ich sprechen Deutsch, un poco.“ Reicht uns mit ausgestreckter rechter Hand die Speisekarten. Während die linke den Aschenbecher zur Seite schiebt. Zweimal Lista de Platos. Fettiger brauner Umschlag mit goldgeprägtem „Marisol“. Eingeklemmt fünf Einzelblätter in Plastikhüllen. Entreméses, Vorspeisen eine Seite. Sopas, Suppen halbe Seite. Ensalades, Salate halbe Seite. Pescados, Fisch zwei Seiten. Carnes, Fleisch zwei Seiten. Postres, Dessert eine Seite. Especialidades, Spezialitäten eine Seite. Bebidas, Getränke heiße und kalte, Vino blanco, vino tinto, Weiß- und Rotweine, Digestivos, Schnäpse, Cognac drei Seiten. Alles in drei Sprachen: spanisch, englisch, deutsch.

Rose blättert mit spitzen Fingern durch das Angebot. Überlässt mir dann die Bestellung. Wir wollen Paella, nichts anderes. Vielleicht ein Postre hintennach. Und einen Café solo. Plötzlich steht Juan wieder am Tisch. Lächelt erwartungsvoll. Ich komme ihm zuvor: „Quisieramos una paella para dos personas e una botella pequeña de vino tinto de Ferrer, Binisalem por favor. Wir möchten eine Paella für zwei Personen und eine kleine Flasche Rotwein von Ferrer. Den Roten kenne ich noch von früher. Louis Ferrer soll immer noch einer der besten Winzer auf der Insel sein. Probieren wir eine halbe Flasche.

„En seguida,“ sofort. Mit Schwung nahm Juan die fettigen Speisekarten und warf sie den Leuten nebenan auf den Tisch. Warum so unfreundlich? Vielleicht, weil sie in Badehosen hier sitzen. Späte Strandläufer. Wir hatten uns auf Restaurantbesuch eingestellt. Wie zuhause. Wir wollen es so lassen. Uns selbst zuliebe. Wie man kommt gegangen, so wird man auch empfangen. Stimmt überall. Dreißig Minuten später.

Mit ausgebreiteten Armen nähert sich Juan unserem Tisch. Lacht jetzt über´s ganze Gesicht. Seine behaarten Hände halten die grosse, schwarze, buntgefüllte Pfanne wie eine Trophäe. Eine Pfanne, die wie alle Pfannen Mallorcas, viele, viele Feuer überlebt und immer noch kein Loch hat. Juan strahlt noch mehr. Knallt das schwere Eisen auf einen umgedrehten Teller in der Mitte des Tisches. Unsere platos haben gerade noch Platz. Auch ein dritter Teller für abgeschälte Krusten und ausgelutschte Muschelschalen.

„Original Paella Marisol. Bon profit, guten Appetit“. Geht, kommt wieder, um zwei dünne Papierservietten neben unsere Teller zu schieben und das Blechbesteck dazu. Geht und kommt zum dritten Mal. Stellt die Weinflasche auf ein freies Fleckchen. Nachdem er sie entkorkt und mir einen Schluck ins Glas gegossen hat. Ich rieche, schlucke und kann es nicht erwarten loszulegen.

Alles, was Meer und Land hergeben, farbenfroh in einer Pfanne versammelt. Unsere erste gemeinsame Paella. Ach ja, Rose. Sie betrachtet das Rundwerk interessiert. Sehe sie einen Moment die Augen schließen, den Duft einatmen. Augen auf und entschlossen die Gabel ergreifen, um vom safransatten Reisberg eine kleine Probe zu nehmen.

Anfangs stört uns die grosse Pfanne nicht, die für vier Personen reichte. Überfluss ist was Schönes. Im braungelben Reisbrei stecken sechs große choches, Miesmuscheln. Drunter und drüber kleine Stücke von Gebratenem. Huhn und Kaninchen noch an ihren Knöchlein. Die zusammen den Geschmack bringen, wie die unsichtbaren Zwiebeln, sichtbare Petersilienblätter und Papikastreifen.

Obenauf für jeden zwei prächtige Langustinen und fünf kleinere Gambas. Zwischen allem Gelb, Schwarz, Rot und grünen Erbsen, Bohnen, Calamares, Tintenfischbauchringe und tintentriefende Tentakeln. Duftet und dampft. Heiß vom Herd. Aber wer soll das alles essen? Ich schaufele zwei Löffel vom Reisgemisch auf Roses Teller. Lege zwei Muscheln auf den kleinen Hügel. Drapiere zwei Langustinos, zwei Gambas mit dem Kopf so, dass die schwarzen Knöpfe Rose anschauen. Kennenlernen sozusagen. Rose lacht laut: „Kenne ich vom Ansehen bei Fisch-Schälte.“

Sieht aber genau hin, greift zur Gabel. Wartet, bis ich meinen Teller gefüllt habe und beginnt vorsichtig. Zuerst mit weniger befremdlichem Reis, Huhn und Kanin. Ein, zwei Erbslein. Ein Böhnchen. Wartet, bis ich eine Rothaut in die Hand nehme. Beobachtet, wie ich den Kopf der Gamba abdrehe, den süßherben Geschmack aussauge und mitsamt den Tastfäden auf den dritten Teller lege.

Mit spitzen Fingern die Schale an ihrem Bauch löse und langsam nach außen biege. Zum Schluss der ungewohnten Prozedur den Schwanz festhalte und den ganzen Korpus aus dem nun gelockerten Panzer heraushole. Noch gekonnt. Halleluja. „Das kann ich auch“, kontert Rose. Und besieht ihre Finger mit den perlmuttlackierten Nägeln.

Sie beginnt langsam. Aber mit ihren spitzen Fingernägeln kommt sie schneller voran als ich mit meinen kurzgeschnittenen. Da sieht man, Frauen sind von Natur auch begünstigt für´s Pulen von Langustinen und ähnlichen Köstlichkeiten. Später schaffen wir es ohne die Nägel. Sehe beglückt, daß meiner Rose das Paellaessen zunehmend Spaß macht.

Ich lege mein Besteck auf den Tellerrand. Sehe ihr zu. Lächle sie an. Mit brennenden Augen. Bewundere das schmale feingeschnittene Gesicht. Als sähe ich es zum ersten Mal. Gekrönt vom rotgoldenen Haarschopf. Sie kommt mir vor wie die Siegesgöttin Athene. Die sich ein Vergnügen daraus macht, mit einem irdischen Fußsoldaten zu speisen. Da soll einem nicht das Herz aufgehen?

„Ich liebe Dich“, flüstert der Fußsoldat. „Te amo“, antwortet die Göttin. Ohne daß ich es bemerkte, hatte sie in meinem Diccionario diese Formel unter der Rubrik Verabredungen gefunden. „Yo te amo también! Mi mas querida Rosa.“ Ich liebe Dich auch, meine liebste Rose. Das wichtigste Bekenntnis können wir schon auf Spanisch beten. Und in den Superlativ hinaufjauchzen.

Wir sitzen schon eine Stunde vor der schwarzen Pfanne. Und immer noch ist sie halb voll. Die leere Hälfte glänzt öligschwarz. Wir sind satt bis zur Halskrause. Sagt man. Die letzten kostbaren Schalentiere zupfen wir noch aus dem Reisberg, genießen ihre süßliche Eigenart. Den beiden letzten Muscheln entreißen wir das gelbe Fleisch. Drehen es im Mund herum und schlucken es mit Wein hinunter. Dann reicht´s. Aber die Völlerei hat uns gut getan. Jetzt brauchen die ölfischigen Finger nur noch heißes Zitronenwasser. Wie heißt das auf Spanisch? Egal.

Drehen, wenden, reiben die dünne Papierserviette um unsere Finger, bis wir ein gewisses Gefühl von Sauberkeit haben. Ein weicher Wind fächelt unsere Wangen. Die gerötet sind von Wein und vielem Kauen, Schlucken. Und der Freude an allem. Es wird dunkel. Kerzen im Glas kommen auf die Tische. Juan fragt: „Sie wollen Postres?“ „Dos café solo, por favor. Y servilletas frescas“. Zwei Kaffee und frische Servietten.

Der Café solo kommt. Die Servietten bleiben unangetastet im Schrankfach. Was soll´s. Wir haben nicht viel gesprochen während der ungewohnten Tätigkeit beim Essen. Und der Konzentration auf unübliche Detailarbeit. Beim Zurechtlegen von Köpfen und Schwänzen. Auch Roses sonst lockeres Mundwerk war zu beschäftigt, um Kommentare abzugeben. Aber dann, zu einem Café solo die Zigarette, Lord Extra. Rede frei. Über´s Essen, na klar.

Die schwarze Pfanne steht noch lange auf unserem Tisch. Juan und Kollegen beschäftigt mit inzwischen voll besetzen Tischen. Es ist zehn Uhr. Man lässt uns. Und das ist gut so. Überlegen, ob wir unser nächstes Jubiläum mit einer Paella feiern sollen. Roses Zunge hat, wie sie sagt, Kräuter und Geschmack registriert. Die Frage ist nur, wo finden wir frische Gambas, frische Langustinen? Muscheln kein Problem. Ich will unseren Fischhändler fragen. Er macht vieles möglich.

„Die Nacht hier ist blau“, sagt Rose. „Schau nach oben. Nicht so schwarz wie bei uns. Schwarz selbst im industriefernen Westerwald. Sieh dieses Blau. Vermutlich, weil sich die Sterne im Meer spiegeln. Wenn Du lange genug hinsiehst, schimmern sie bläulich. Tannengrün finstert vor sich hin, reflektiert nicht. Im Zeichen der Venus ist alles denkbar.“

„Was bist Du für ein kluges Mädchen.“ Schön formuliert. Wir stehen auf, ich lege Geld unter die Tasse, lassen die schwarze Pfanne allein und schlendern hinunter zum Strand. Bis sich der Sand die Spur unserer Schuhe gemerkt hat. Beschließen, ein anderes Restaurant zu suchen, das Paella in kleineren Pfannen serviert. Darauf freuen wir uns schon jetzt. Es sollte keine Woche dauern, und wir finden die beste Paella unseres Lebens. In kleiner Pfanne für zwei Personen. Haben Lust auf Entremes und noch Platz für ein Postre.

Bei „Antonio“ im großen, schlichthellen Restaurante. Die Sicht auf´s Meer behindert ein massiver Felsbrocken. Dafür gart das Beste aus Neptuns Reich in Töpfen und Pfannen. Es lebe der Unterschied. Seine Paella, hören wir, lockt Spanier sogar aus Barcellona an. Sie nehmen am Wochenende die sechsstündige Überquerung mit dem Fährschiff in Kauf, um bei „Antonio“ die gleiche Zeit mit Essen, Trinken und Plaudern tot zu schlagen.

Im „Marisol haben wir nicht mehr gegessen. Nur noch an die riesige schwarze Pfanne gedacht wie an eine Ouvertüre. Gelegentlich verlängern wir dort den Abend in die Nacht. Mit flackernden Kerzen, rotem Wein in grünen Gläsern und fröhlichem Gelächter ferienfeiernder Menschen. Träumen beim leisen Rauschen des Meeres am flachsandigen Strand. Von uns und unseren waghalsigen Plänen.

Zurück geschlendert. Vorbei an halbfertigen Häusern. Wohlstand hat die Einheimischen mutig gemacht. Steuergesetze geholfen. Alle mehrgeschossigen Neubauten bestehen nur aus einem Betonskelett. Das Erdgeschoss ist ausgebaut. Mit Wohnung, Laden und Garage. Darüber gähnende Leere. Steuern sind erst fällig, wenn das Haus bis unters flache Dach ausgebaut ist. Gespenstischer Heimweg im fahlen Licht der wenigen Lampen entlang eines seltsamen Wohlstandbeweises. Hätten wir nicht die Paella in Bauch und Gemüt, es wäre uns unwohl geworden.

Ein Tag am Meer.

Ob wir allein sind? Eine Frage, die mehr Wunsch ist als Frage. Frage auch nicht. Denke es nur. Mit heißem Herzen, aufgeheiztem Hirn, fieberndem Leib. Die letzte Nacht hat alles auf Höchsttemperatur gebracht. Die erste Nacht, in der wir uns erkannten, wie die Bibel sagt. Mir erscheint es danach, als kennten wir uns schon Ewigkeiten. Rose auch.

Nichts wünschen wir so sehr wie kühlen Morgenwind und kühlendes, wogendes Meer. Wo anders als am Strand Es Trenc. Drei Kilometer langer Sand, der sich langsam flach ins Meer schiebt. Nur wenige vulkanraue Gesteinsgruppen dazwischen und dichtes Piniengebüsch randseits. Willkommene Verstecke für Liebende, die sich noch schämen können. Ein Kilometer nordwärts unserer Finka.

Frühstücken langsam. Wie gestern schon. Und vorgestern. Der dritte Tag beginnt wie an den Vortagen mit panesillos und Honig. Den Cylontee hatten wir mitgenommen. Spanier sind keine Teetrinker. Irgendwie aber haben sich „Teekanne“- Beutel in Marias Comestibles verirrt. Der Tourismus gewinnt an Fahrt. Die Alemanas sind da.

Vorsichtshalber schließe ich die Tür der Finka. Stecke den Schlüssel in den Brustbeutel. So, los geht´s. Hüpfen durch den abschüssigen Garten vorbei an Stacheligem, Kakteen, Agaven und anderen fleischigen Stachelpflanzen, deren Name mir entfallen ist. Sie speichern das knappe Wasser gelegentlicher Schlauchspritzerei oder seltener Regenfälle im Jahr. Im ausgetrockneten Boden gedeiht nichts anderes. Blüht aber noch, wie jetzt, im Juni. Das Lattentor auf und wieder zu.

Wir sind auf dem Weg, der kein Weg ist. Eher ein Stolpersteinpfad. Hüpfen mehr als wir gehen von Stein zu Stein. Bleiben einen Moment stehen, wenn eine sandige Strecke uns dazu einlädt. Sehen immer wieder den unentwegt anrollenden Wogen zu. Suchen das ferne Ufer. Überspringen den niedrigen Zaun eines Nachbarn. Der meint damit sein Revier vor fremdem Zutritt zu schützen. Deutsche Zäune sind höher.

Hinter einem engmaschigen Gitter kläfft ein Köter, als wir vorübergehen. Einer der fahlgelben, die hier frei herumlaufen und nach mitleidigen Mädchen schnüffeln. Hin und wieder erwischen sie eines, das ihn mit zu sich nachhause nimmt und verwöhnt. Meine Dorothee hatte so einen Bilbo. Es gelang ihr, ihn zu einem gehorsamen Menschenfreund zu erziehen.

In meinem Kopf Es Trenc. Lockt mit bisher nur geträumten Möglichkeiten. Nackt ins wogende Meer laufen. Weiter, immer weiter, bis die Füsse den Sandboden nicht mehr spüren. Mit ausgestreckten Zehen abstoßen, und sich den wiegenden Wassern überlassen. Ob Rose genauso denkt? Genauso fühlt? Ihr Gesicht ist ungeschminkt. Die Augen blitzen unternehmungslustig. So noch nicht gesehen. In meinem Hirn breitet sich Hoffnung aus. Ungeahnte, widersinnige Hoffnung auf Paradies. Hier am Strand von Es Trenc und seinen Steinburgen und Pinienbüschen. Liebesakt im wogenden Meer? Verrückt!

Wir passieren soeben das achtgeschossige Hotel „Tres Playas“ mit Terrasse und eingegrenzten fünfzig Metern eigenem Strand und ebenso viel oder wenig Meer. Die ein und andere Badehaube blitzt gelb und rotweißgestreift aus dem Blau. Aufgeblasene Ringe und Disney-Enten in den Händen schreiender Kinder. Üblicher Lärm am Morgen.