Mein anderes ich - Angelika Friedemann - E-Book

Mein anderes ich E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Alina bekommt noch als Schülerin ein Baby. Dank ihrer Eltern und Großeltern schafft sie einen Schulabschluss und wird Übersetzerin. Sie hat nie verwunden, dass der Erzeuger sie seinerzeit sitzen ließ. Nach dem Tod der Großmutter zieht sie mit ihrem Sohn auf die Insel Sylt, um dem Opa zu helfen. Sie nimmt einen Bürojob an und hat ein schönes Leben. Leider nur für kurze Zeit, da dann auch er stirbt. Er hat ihr jedoch ein lebenslanges Wohnrecht in dem Haus, welches nun ihrem Vater gehört, testamentarisch zugesichert. Sie muss nie Miete zahlen, sondern nur für die Unkosten aufkommen. Endlich kann sie ganz das Leben leben, wovon alle im Zusammenhang mit der Insel reden: Reichtum, Partys, schicke Kleidung und dazu gehört der tolle, wohlhabende Mann, der sie verwöhnt, auf Händen trägt, sie all die scheußlichen Jahre davor vergessen lässt.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Wer nicht zufrieden ist mit dem,

was er hat,

der wäre auch nicht zufrieden mit dem,

was er haben möchte.

Berthold Auer

******

Alina Knudsen verließ den Friedhof, wo sie alles für den Winter hergerichtet hatte. Der schmerzliche Verlust tat immer noch weh. Ihr Opa fehlte ihr so sehr. Johan Knudsen war vor sechs Monaten mit 86 Jahren gestorben. Der Arzt nannte es, friedlich für immer eingeschlafen.

Sie trat kräftiger in die Pedale, da der Wind doch kalt war. Sie musste Björn, ihren 4-jährigen Sohn von seinem Betreuungsplatz abholen. Während sie zu den Nissens radelte, weil sie Benzin sparen wollte und auch ein wenig für die Umwelt tat, überlegte sie: danach fix nach Hause, wo sie jeden Tag ein Stück von dem alten Pferdestall zerlegte. Noch war es nicht so kalt und die Arbeit ging ihr inzwischen leichter von der Hand. Am Anfang hatte sie sich jede Menge Blasen, reichlich andere Blessuren nicht nur an den Händen geholt. Auch die Unterarme zuweilen sogar die Schienbeine, der Rücken und der Po sahen schlimm aus, dazu kam auch noch der Muskelkater, von der ungewohnten Arbeit. Das Dach hatte seinerzeit noch die Firma abgerissen, die das Reet erneuerten. Die restlichen Stallungen wollte ihr Opa im Sommer, wenn sie mit Björn bei den Eltern war, abreißen lassen. Nur dazu kam es nicht mehr. Also legte sie selbst Hand an, riss zuerst die einzelnen Boxen weg, machte da alles sauber. Danach kamen die Türen dran, die sie herausbrach. Nun war das Schlimmste erledigt und sie musste nur noch die Außenwände entfernen. Wenigsten benötigte sie nun keine Leiter mehr, was alles erheblich vereinfachte, sie nicht mehr runterfallen konnte, wie mehrmals passiert, weil sie zu viel Schwung hatte. Die Bretter stapelte sie an der Seite, da sie die später zerteilen musste. Es war trotz allem eine Knochenarbeit, aber sie hatte kein Geld, das eine Firma machen zu lassen. Es reichte gerade dafür, all die Unkosten zu bezahlen. Eigentlich konnte sie sich das alte Haus von ihren Großeltern gar nicht leisten, aber er hatte es ihr hinterlassen. Sie wollte und konnte es nicht verkaufen, musste irgendwie damit klarkommen. Ihr Opa, ihr Vater waren darin aufgewachsen. Ihr Opa hatte in den letzten Jahren vieles erneuern lassen. Das fing bei der Elektrik, den Rohren, der Heizung an und hörte bei dem Reetdach auf. Sogar eine neue Küche hatte er gekauft, als die seinerzeit mit Björn zu ihm zog. Er war so lieb, besorgt um sie und ihren Lütten gewesen. Ein Verkauf wäre ihr wie ein Verrat vorgekommen, als wenn sie im Nachhinein ihre Großeltern betrügen würde.

Das riesige Anwesen, das große Haus bedeuteten viel Arbeit, selbst jetzt im Herbst. Dass sie den alten Pferdestall weghaben wollte, war dabei mehr, dass der sie störte. Die Pferde gab es schon seit fünf Jahren nicht mehr. Der Stall gammelte vor sich hin, störte den Blick Richtung Wattenmeer. Das befürwortete sogar ihr Opa, als sie im vergangenen Jahr mit ihm darüber sprach; ihm Pläne für den neuen Hof vorlegte. So hatte sie auch gleich zusätzliches Holz für den Winter. Ihr Nachbar Frieder, ein Freund ihres Opas, wollte ihr demnächst seine Elektro-Säge vorbeibringen, damit sie die Bretter zersägen konnte. Sie musste auch noch Holz hacken, um für den Winter gerüstet zu sein. Sie war als Sekretärin neun Stunden am Tag in Westerland. Daneben ging sie fünfmal in der Woche abends von 19.30 bis 21.00 Uhr in einer Bank putzen, damit sie ihrem Sohn seine kleinen Wünsche erfüllen konnte. Ihr Opa hatte ihr zwar auch noch 62.800 Euro hinterlassen, aber das Geld wollte sie nicht anrühren.

Fast zwei Jahre lebte sie nun auf der Insel. Solange ihr Opa lebte, war es einfacher für sie gewesen, da er Geld zum alltäglichen Leben dazu steuerte, alle Kosten für Haus und Grundstücke bezahlte, sich, wenn sie arbeiten war, um Björn kümmerte, ihm viel zeigte, beibrachte. Nur nach seinem Tod blieb alles an ihr hängen.

Alina, beklage dich nicht. Vielen Menschen geht es nicht so gut, kehrte ihr Optimismus zurück. Der Friedhofsbesuch ließ sie jedes Mal nicht nur traurig werden, sondern auch pessimistisch, leicht depressiv. In den Momenten kam sie sich sehr allein vor, sehnte sich nach einer Schulter zum Anlehnen, wollte verwöhnt werden, nicht ständig alles allein erledigen. Obwohl sie ein Mensch war, der anpackte, egal bei was, war ihr das oftmals doch zu viel.

Wie sagte Opa immer? Veränderung bedeutet – Leben. Sie ist generell unvermeidlich, also akzeptiere sie. Veränderung bedeutete auch Wachstum, Größe erlangen, Neues erproben, Risiken eingehen, zuweilen zu Altem zurückkehren. Nimm dir eine Weile Zeit und überlege in Ruhe, wo du derzeit stehst, was du wirklich möchtest, selbst wenn es utopisch ist. Dann lass dir durch den Kopf gehen, ob du auf dem richtigen Weg bist. Lass dich nie zu etwas drängen, was du nicht wirklich willst. Behalte deine Ziele stets vor Augen. Sie werden sich im Laufe des Lebens ändern, aber das ist normal. Ja, sie wusste, was sie wollte und dafür opferte sie viel. Nur das war es ihr wert, zumal es Björn hier sehr gut gefiel, da er wesentlich freier leben konnte. Vielleicht fand sie ja doch einmal den Richtigen. Einen Mann, der mit ihr und Björn leben wollte. Als sie Julian vor sich sah, schüttelte sie unwirsch den Kopf. Sie trat noch kräftiger in die Pedale.

Sie fuhr auf den Hof von Frieder Nissen, stellte ihr Fahrrad vorn ab. Auf dem Anwesen lebten inzwischen vier Generationen. Björn war tagsüber immer dort untergebracht, da er mit dem 4-jährigen Torben und drei weiteren Kindern in dem Alter spielen konnte. Sie hatten ihr das seinerzeit, nach dem plötzlichen Tod von Johan Knudsen, angeboten und sie hatte dankend zugestimmt. In einer Kita wären die Zeiten so starr gewesen und zuweilen kam es vor, dass sie auch mal etwas länger arbeiten musste.

Heute gab es eine Überraschung für sie. Frank, der 30-jährige Enkel von Bauer Frieder hatte gegrillt und alle warteten auf sie, wie ihr Björn schon von Weitem zurief. Sie nahm ihn auf den Arm und es gab erst einmal eine Umarmung von ihm; Küsschen von ihr. Sein Zappeln ignorierte sie.

Es wurden zwei nette, unterhaltsame Stunden, dann mussten sie los, wie sie allen verkündete, da die Arbeit auf sie wartete. Nun hieß es rasch Björn ins Bett bringen und ab zu der Bank, putzen. Erst danach hieß es entspannen.

******

Auf dem Heimweg hielt sie rasch bei der Sylter-Seifen-Manufaktur. Da wurden Seifen nach eigenen Rezepturen nur aus Sylter Zutaten hergestellt. Im Hause ihrer Großeltern war es von jeher Tradition, Seife dort zu kaufen, neben Deko-Artikeln, die ihre Oma für das Bad, die Dusche oben und die Toilette unten gekauft hatte. Hübsche Sachen. Ihr gefielen generell alte Bräuche – Traditionen, da sie etwas von Beständigkeit vermittelten. Gerade weil alles so schnelllebig, hektisch, laut, stressig war, kehrte Ruhe, Beschaulichkeit ein. Die Menschen konnten dabei abschalten, das Schöne, den Brauchtum genießen, pflegte ihre Großeltern früher zu sagen. Schon als Kind erzählten ihnen die Großeltern von vielerlei alten Gewohnheiten, Überlieferungen, Sitten. Für ihren Bruder war das lediglich alter unnützer Kram gewesen; für sie interessante Ereignisse, Dinge. Gerade in den tristen Wintermonaten waren die Insulaner enger zusammengerückt, hatte die freie Zeit genutzt, um zu klönen, sich zu treffen, zu feiern, die gute Nachbarschaft etwas zu intensivieren, zumal dann auch die vielen Seeleute daheim waren.

Sie fand sowieso, dass Morsum oder auch Muasem der ursprünglichste Ort auf Sylt war. Der Tourismus fehlte eben. Die Reichen wollten hier auch keine Immobilien kaufen, da es zu viel Bauernhöfe gab, es zuweilen nach Kuh stank, die Trecker am frühen Morgen und späten Abend zeitweise laut dröhnten und der ganze Schicki-Micki-Kram fehlte.

Die 1100-Seelen-Gemeinde liegt im Osten der Insel. Bei Morsum beginnt der Hindenburgdamm, der die Insel mit dem Festland verbindet. Es war herrlich hier, da es viel Natur gab, überwiegend eine urwüchsige Heidelandschaft, neben den Wiesen der Bauern. Sie spazierten gern darin herum, sahen den Hasen, Rehen, den vielen Vögeln zu. Hier wurden heute noch die Straßennamen in Sölring geschrieben. Sie wohnten im Hirlön. Sölring, der friesische Dialekt, der auf Sylt gesprochen wird, war in Morsum noch weit verbreitet. Allgemein jedoch wurde es immer seltener benutzt, da immer mehr Auswärtige hier lebten; Sylter die Insel verlassen mussten, da sie die stark steigenden Lebenshaltungskosten nicht mehr bezahlen konnten. Die Reichen benötigten zwar für alles Personal, aber die Bezahlung war mehr als miserabel. Mindestlohn kannten die wenigsten, selbst die Politiker, die hier Häuser hatten, nicht.

Björn liebte die Spaziergänge am Morsum Kliff oder auch am Roten Kliff in Kampen. Nur die Gegend mied sie, da sie nicht noch einmal Ärger mit diesen Reichen wollte. Also das Morsum Kliff, dass sie auch schon mehrmals vom Boot aus gesehen hatten. In den Dünen zu laufen, machte ihm dito viel Spaß. Egal wo, hier konnte er frei aufwachsen, herumlaufen, spielen. Die Menschen im Ort kannte sie fast alle, da sie bereits als Kind jedes Jahr mehrere Wochen mit ihrem Bruder bei den Großeltern weilte. Dirk war hingegen nie so begeistert darüber gewesen, wie sie. Er nannte es später einmal, ich bin ein Großstadtkind, ein Hamburger Jung. Ich brauche das alles zum Leben, würde in Morsum eingehen. Sie grüßte freundlich, snàkte mit einigen Nachbarn, früher trank sie zuweilen Tee mit einigen Frauen in ihrem Alter. Tee war hier Nationalgetränk, obwohl sie lieber Kaffee mochte. Heute fehlte ihr die Zeit dafür, was sie bedauerte. Sie liebte dieses Geplauder.

Zu Hause angekommen, musste Björn die Küche, das Bad und die Treppe putzen, da sie auch so genug Arbeit hatte. Er maulte nicht, sondern fing mit Tränen in den Augen an. „Ich muss auch rund um die Uhr schuften“, meckerte sie.

So, nun die Ohrstöpsel rein, eine Platte auflegen und ran an die Arbeit. Mit Musik gingen die Abrissarbeiten gleich leichter von der Hand.

******

Heute goss es in Strömen und der blanke Hans pfiff um das Haus. Das Reetdach gab leise Geräusche von sich. Sie spielte mit Björn, lauschte den Geräuschen.

Abends schlief ihr Sohn unruhig ein, da er das alles unheimlich fand. Mit schlechtem Gewissen fuhr sie nach Westerland, da sie putzen musste. Sie lauschte immer wieder, ob Björn wach wurde. Zurück rannte sie gleich zu seinem Zimmer, aber er schlief. Sie zog sich aus, kochte Kaffee, trank, schaute in die Dunkelheit.

Sie saß an der Nähmaschine, nähte noch abends die Röcke und Kleider enger, da sie schon wieder abgenommen hatte. Sie freute sich auf das Wochenende, da sie da wirklich immer viel Zeit mit ihrem Sohn verbrachte. Sie hatte oft ein schlechtes Gewissen, dass sie Björn so wenig sah.

Der kam völlig verschlafen zu ihr. „Du bist ja da, Mama. Hab Durst.“

„Ab ins Bett. Ich bringe dir etwas, mein Schatz. Du hast heute nicht mein Schlafzimmer geputzt und die Fenster sind auch noch dreckig. Nun muss ich wieder die ganze Nacht schuften, komme nie zum Schlafen.“

Mit einem Glas Leitungswasser ging sie zu ihm. Er trank durstig, legte sich hin und sie erzählte ihm eine Geschichte. Nur es dauerte nur kurze Zeit, da war er bereits eingeschlafen.

Sie saß noch bis nachts 1.40 Uhr an der Nähmaschine. Gut das morgen Samstag war und sie länger schlafen konnte. Sie freute sich auf das Wochenende, da sie da wirklich immer viel Zeit mit ihrem Sohn verlebte.

******

Am Samstagvormittag waren sie, in der Heidelandschaft spazieren gewesen. Björn ließ seinen Drachen steigen. Der Herbst in seinen buntesten Farben hatte auf der Insel Einzug gehalten und es war wunderschön. Danach waren sie nach Westerland gefahren.

Alina nahm Björn fix auf den Arm, als sie den großen Hund angerannt kommen sah. Wo war dessen Herrchen? Ohne sie zu beachten, hastete er an ihnen vorbei und sprang einen Mann an, der ihn streichelt, nun ihn an der Leine festhielt, welche er hinter sich hergezogen hatte. Eine Frau kam herbeigeeilt. „Sieht er dich, kann ich ihn nicht mehr halten“, rief sie schon von Ferne. „Entschuldigen Sie bitte. Er ist ein Lieber - ansonsten“, wandte sie sich an Alina.

„Sollten Sie aber, da Sie damit alle Menschen erschrecken“, äußerte ein Mann böse und arrogant.

„Entschuldigung! “, sagte die Frau nochmals, ging die letzten Schritte nun langsamer weiter.

Der Mann kam näher. „Entschuldigen Sie bitte. Sieht er mich, rennt er eben los. Deswegen gehen wir immer nur beide mit ihm raus. Ich wurde zu einem Notfall gerufen, deswegen war meine Frau mit ihm kurz allein unterwegs. Möchtest du ihn streicheln?“, wandte er sich an Björn, der sofort begeistert war.

Er streichelte ihn und Alina bedankte sich.

„Der Hund ist lieb“, wusste Björn nun. Sie wollte gehen, als sie jemand ansprach. „Moin, Alina! Angst gehabt?“

„Moin. Ich ja, Björn nein. Er wäre ihm sofort nachgerannt. Er liebt Hunde.“

„Mads, der war lieb“, Björn jetzt. „Der war so groß wie ich.“

„Trotzdem nie anfassen. Hat er schlechte Laune, zwickt er dich.“

„Willst du mich nicht vorstellen?“

Alina blickte überrascht zu dem gut aussehenden Fremden. Es war der Mann, der ebenso unhöflich gleich überheblich meckerte. Sie sah sofort Julian vor sich. Der war nur etwas größer und hatte braune Augen, keine blauen und er war stets höflich gewesen, nicht dermaßen rüde. „Moin, ich bin Alina Knudsen und das ist mein Sohn Björn.“

„Entschuldige. Arne Dirksen“, stellte Mads Volkersen vor.

Sie nickten sich zu, während Björn ihm die Hand reichte. „Magst du Hunde?“

„Mein Opa hat einen Schäferhund. Jöry ist aber schon sehr alt, bleibt lieber zu Hause liegen.“

„Hast du Zeit, gehen wir einen Kaffee trinken und Björn einen Kakao. Regina kommt erst mit dem Zug in einer halben Stunde. Sie war auf dem Festland.“

„Juchhu“, Björn sofort.

„Wir wollten gerade zurück.“

„Mads, wir gehen nämlich noch Hamburger essen. Lecker!“

„Schade, kannst du gar keinen Kakao trinken“, blickte er schmunzelnd Alina an.

„Doch geht!“, nickte der kleine Junge emsig.

„Also erst Kakao, dann Hamburger. Dürfen wir mitgehen?“

„Jow, schmeckt gut.“

Alina dachte nur, der Zehner fehlt mir nächste Woche. Für solche Extras hatte sie kein Geld. Sie bezahlte auch gleich, als die Getränke serviert wurden, erschrak, da es sogar 12 Euro waren. Unverschämt, aber eben Sylt.

Mads und Björn führten eigentlich die Unterhaltung. Ihr Sohn mochte ihn sehr. Opa meinte dazu, ist so eine Art Vaterersatz für ihn. Sie bemerkte hingegen trotzdem, dass der Fremde sie ständig anguckte, musterte, lächelte, wenn er ihren Blick bemerkte. Vergiss es, dachte sie nur. Du bist der gleiche Typ wie Julian. Hoppla, jetzt komm ich und alle liegen mir zu Füssen. Auf so einen Mann fällt man nur einmal im Leben rein und so naiv bin ich heute auch nicht mehr.

Als Regina kam, liefen sie die paar Meter zu dem Fast Food-Restaurant.

Sie bestellte für sich nur einen Cheeseburger, da der am billigsten war, verzichtete auch auf den Shake. Da hatte sie diese extra Ausgabe schon ein wenig raus. Sie hatte einen strengen Monatsplan, den sie meistens akribisch einhielt. Ausgaben wie zweimal im Monat Hamburger essen, waren da enthalten, aber ansonsten keine Besuche in Lokalitäten. Heute hatte sie generell schon 120 Euro mehr ausgegeben, da die Wintersachen für Björn wesentlich teurer waren, als geplant. Nur ihrem Sohn sollten die Sachen auch gefallen und daher war das ausgeufert. Das hatte sie von der Rücklage für das Heizöl genommen. Bis Februar fand sie vielleicht noch einen Job und konnte das ausgleichen.

„Danke! Mama, können wir ja nächste Woche noch mal Hamburger essen gehen, weil du dann noch das Geld von heute hast.“

„Mads, das geht doch nicht.“

„Doch geht und vergiss es.“

„Regina, benötigst du keine Äpfel?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Hast du welche?“

„Mama hat ganz viele. Sie schenkt euch welche. Ist wie Geld. Heute hat sie ganz viele Scheine für mich bei Kik ausgegeben, da ich neue Wintersachen brauchte. Weißt du so Jacke, Pullover, Hose und

Schuhe. Ein Paar Socken habe ich schon vorher gekriegt und einen neuen Schlafer. Gabs nämlich alles für zwei Euro. Ist viel Geld. Ich wachse nämlich so schnell. Opa sagt immer, ich werde mal so ein Riese, wie Papa. Der ist nämlich fast zwei Meter groß. Mama wächst nicht mehr, deswegen kann sie die ollen Sachen vom vorigen Jahr anziehen. Sind aber schön. Das weiße Kleid, was ihr Opa zu Weihnachten schenkte, ist so ganz weich und kuschelig, das passt ihr immer noch. War schon, als ich noch klein war.“ Er betrachte seine Finger. „War vor so vielen Jahren oder so“, hielt er drei Finger hoch, dann vier.

Alina verdrehte die Augen, da ihr Sohn mal wieder alles ausplauderte, was er so wusste.

Regina beugte sich zu dem Jungen, sprach leiser. „Nehme ich gern. Ich werde dir was verraten, Björn. Mads isst sehr, sehr gern Apfelkuchen. Ich muss dauernd welchen backen.“

„Seit wann kannst du backen?“, erkundigte sich der Fremde süffisant.

„Mir schmeckt der auch, aber wir haben so viele Äpfel, dass Mama schon überall welche verkauft hat“, flüsterte er, nickte dabei mit dem Kopf. „Mama, kann Mads bezahlen, kriegt er dafür Äpfel. Regina backt ihm dann Apfelkuchen. Hast du auch eine Frau?“, fragte er Arne.

„Nein!“

„Dann brauchst du keine Äpfel, weil dir keiner Apfelkuchen backt. Sonst hätte Mama dir welche verkauft, wenn du Geld hast. Kann man aber auch so essen.“

„Björn, genug jetzt.“ Alina musste sich trotz allem ein Lächeln verkneifen.

„Dein Sohn ist geschäftstüchtig“, stellte Mads schmunzelnd fest. „Frag mal beim Sylter Hof nach. Die nehmen dir gewiss eine größere Menge ab.“

„Haben sie schon. Dieses Jahr waren es fast doppelt so viel wie im vorigen Jahr. Äpfel hat die Insel mehr als genug, genauso wie Pflaumen, da noch viele bei den einzelnen Bauern liegen. Opa hätte sich darüber gefreut.“

„Wie viel haben Sie denn noch?“

„Bestimmt dreißig, vierzig Kilo. So nun beenden wir das Thema. Ich bringe euch morgen welche vorbei, Regina.“

„Kaufe ich Ihnen ab. Meine Mutter kann nämlich auch Apfelkuchen backen.“

Sie schüttelte verärgert den Kopf. Der Typ schien auch noch Geld zu haben.

„Nein, nicht nötig.“

Sie ahnte nicht, dass Mads ihretwegen wütend auf seinen Freund, als sie im Wohnzimmer saßen, einredete.

„Arne, du lässt die Finger von Alina. Sie hat es schon schwer genug, muss nicht noch eine von deinen hundert Bräuten werden. Du kannst dir zig andere nehmen, aber nicht sie.“

„Willst du das nicht ihr überlassen? Außerdem sagte ich nie, dass ich sie abschleppen will. Reg dich ergo ab.“

„Ich kenne deinen Blick.“

„Mads hat recht. Sie hat sich gut eingelebt. Sie kennt nur Arbeit und den Lütten. Da musst du ihr nicht noch Herzschmerz zufügen. Du stehst sowieso auf etwa Aparteres, Stilvolleres. So eine arme Gans passt nicht in dein Beuteschema. Sie wäre hingegen überglücklich, wenn du sie besteigst. Nur sie ist so eine, die gleich deswegen einen Ring erwartet, gerade von einem Mann, der Geld hat.“

„Hört auf! Ist ja wohl albern, dass ihr mir vorschreiben wollt, mit wem ich mich treffe. Ich will ihr helfen, damit sie das Obst loswird, Geld damit verdient. Das bedeutet nicht, ich nehme sie mit ins Bett.“

„Arne, ich kenne dich besser, als mich selbst, habe deswegen nie von ihr gesprochen. Sie ist vom Aussehen, dem Wesen, genau dein Fall. Sie sieht nett aus, hat eine einigermaßen Figur, neben den langen Haaren, den Katzenaugen, ist nicht gerade klein. Sie ist zwar nicht gerade dusselig, aber setzt selten ihren Verstand ein. Sie ist billig, arrogant, hochtrabend, arm und verlogen. Alles, was sie nicht benötigt, bist du, da sie dann vollständig abhebt. Ihr Sohn wäre dann noch mehr der Leidtragende.“

„So schlimm bin ich also“, amüsierte er sich.

„In Bezug auf Frauen – ja. Du siehst in allen für kurze Zeit ein Spielzeug. Mir eigentlich egal, da ich früher nicht anders war. Nur lass Alina in Ruhe. Ich denke da nur an den Lütten, den ich wirklich mag.“

„Wo ist der Vater des Jungen?“

„Weiß sie nicht. Er war ihr erster Freund und sie dachte damals noch an die große Liebe. Für sie war er es. Er wusste, dass sie nicht verhütete, eigentlich auch noch keinen Sex wollte. An ihrem 18. Geburtstag passierte es. Nach einigen Monaten erfuhr er, sie ist schwanger. Er schob sie ab und sie sah ihn nie wieder. Logischerweise zahlt er auch nicht. Sie machte trotzdem Abi und die Ausbildung, arbeitete in einem Konzern. Dann starb die Oma und sie zog fünf Monate darauf mit Björn her.“

„Das Knudsen-Anwesen ist riesig, dazu die ganzen Stallungen und so. Wie will sie das alles allein bewältigen?“

„Ja, da hat sie den großen Reibach gemacht, da er alles ihr vererbte. Er vererbte nur das Grundstück in Kampen. Die 620.000 Euro boten sie Dirk schon dafür. Er verkauft jedoch nicht. Nur sie kann das eben nicht richtig nutzen und es kostet nur Geld. Deswegen braucht sie einen Mann mit Geld.“

„Neidisch?“, fragte Mads seine Freundin. „Du würdest gleich alles verscherbeln. Die Pferde sind ja schon länger weg. Alle weiß ich nicht, nur drei Wiesen hat sie an Nissens vermietet, eine davon kriegen sie umsonst, da sie fünf Tage den Lütten tagsüber haben. Den Rest hält sie in Schuss. Den hinteren Stall hat sie im Sommer allein abgerissen; bei dem vorderen ist sie gerade bei. Immer wenn sie Zeit hat, macht sie ein wenig weiter. Björn hilft gern, da es ihm Spaß macht. Ich wollte ihr helfen, aber sie lehnte ab. Das Holz sägt sie selber zurecht, da sie das alles verheizen will, so Heizöl einsparen kann. Nächstes Jahr will sie den gesamten Hof umgraben, Sträucher, kleine Bäumchen und Blumen pflanzen. Irgendwann, wenn sie genug Geld gespart hat, möchte sie dort Gartenmöbel hinstellen.“

„Nun reicht es ja!“, Regina aufgebracht.

„Ich muss es allein schaffen, wenn nicht, muss ich mir noch etwas suchen, wo ich Geld verdienen kann, erzählt sie jedem. Sie hat sich jetzt als Übersetzerin bei LinkedIn gelistet. Die ersten Anfragen kamen bereits. Da muss sie abends Björn nicht mehr allein lassen.“

„Wieso, was macht sie da?“

„Bei der Bank in Westerland putzen. Gunther hat sie sofort genommen, vertraut ihr sogar die Schlüssel an, da sie so freier in der Zeiteinteilung ist. Dort will sie allerdings nur noch bis zum Frühjahr bleiben, auch wenn das mit den Übersetzungen klappt, da sie Geld an die Seite legt, lachte sie noch. Verstehst du, ein Playboy, wie du es einer bist, passt nicht in ihr Leben, nicht zu ihr, nicht zu Björn. Sie sieht den Reichtum bei dir und versackt noch mehr. Spaß am Sex für eine Weile, dann sagt man Tschüss, sieht sie nur bei Normalos. Sie sucht den Mann mit viel Geld. Findet sie ihn, will sie ihn festhalten, mitziehen. Du gibst in einer Woche mehr Geld aus, wie sie im ganzen Monat, könnte da nie mithalten. Sie hat nicht nur die beiden Jobs, sondern dazu einen Sohn, ein Haus, den großen Garten. Sie muss alles allein erledigen, egal ob das die Wäsche, das Putzen ist und die tausend anderen alltäglichen Dinge, wie kochen, aufräumen, mit Björn spielen. Sie glaubt wirklich noch an die große Liebe, hofft, dass ihr eines Tages eben der Mann über den Weg läuft, der sie liebt, finanziert, nicht einer, der sie nur sexuell als eine weitere Trophäe haben will. Ihr Ex war nämlich im Grunde genau wie du. Hübsche Frau, dazu noch völlig unberührt, ergo will ich sie haben.“

„Ich stehe nur nicht auf junge Dinger oder gar auf Jungfrauen. Langweilig. Erfahrung sollte sie schon haben“, amüsierte sich Arne. „Ich habe es ja kapiert, ergo Thema erledigt.“

„Leider nicht, da ich dich kenne. Es gibt auf der Welt nicht viel, was so erstrebenswert ist, als Glück. Sage Isa endlich, heirate mich.“

„Weiß sie seit Jahren. Wann heiratet ihr nun?“

„Seit wann will ich heiraten, noch dazu Regina? Sie garantiert nie, aber das weiß sie seit Beginn der Liaison. Ich bin mit ihr wegen des Sexes zusammen, da ich zu faul bin, mir jede Woche eine neue Gespielin zu suchen. Dafür wird sie von mir bezahlt, aber nie mehr. Was will ich mit so einer faulen, dusseligen, nichts könnenden Frau? Ich wünsche mir dafür eine hübsche, intelligente, toughe Deern, die mich nicht als Geldmaschine benötigt, so wie deine Cousine. Ablenkungsmanöver missglückt“, Mads nun wirklich ärgerlich.

„Ich bin eben nur ein Zeitvertreib.“

„Du kannst jederzeit gehen, wenn es dir nicht passt. Du bist doch von Mami und Papi gleich bei mir eingezogen, weil du nie Miete zahlen könntest. Arne kann dich gleich mitnehmen. Ich finde einen Zeitvertreib, der fleißiger ist, weniger von meinem Geld nimmt, nicht nur nervt und große Töne spuckt, obwohl selber eine Niete. Attraktive Damen gibt es außerdem immer als Unterhaltung.“

Regina lachte nur, sagte „Blödmann!“

„Komm Mads, keinen Stress wegen so einer kleinen, unwichtigen Tippse.“

„Arroganter Schnösel! Du kotzt mich an, wenn du dich dermaßen dusselig und überheblich gibst. Du bist genau wie Regina: faul, träge, könnt nur vom Geld anderer Leute leben, aber einen auf dicke Hose machen, große Töne spucken und angeben. Würden eure Eltern den Geldhahn zudrehen, würde zumindest Regina verhungern, außer sie fände einen Mann, der sie durchfüttert. Nur bald hat sie das Verfallsdatum erreicht und dann? Du als arbeitender Möchtegern-Playboy wärst auch nur eine Lachnummer. Also kommt zurück auf den Boden der Realität, sonst geht.“

Zu Hause angekommen, rannte Björn gleich in den Schuppen, während sie sich umzog, alles wegräumte.

Mit Äpfeln kam er herein, legte die auf den kleinen Tisch in der Küche.

„Mama, ich habe schon alles gefunden. Guck mal, Mads hat so viele Sachen bezahlt“, legte er drei Äpfel oben hin. „Hamburger, Hamburger, Milch. Sind die Äpfel. Wir geben ihm noch mal so viele, weil er so lieb war, bezahlte“, legte er drei darunter. „Das reicht. Da hat er wie noch mal Essen bezahlen, oder so. Da hat er mehr, als wir hatten oder so.“

Alina war erstaunt, wie er das erklärte, lobte ihn und reichte ihm den Korb, damit er die dort hineinlegen konnte.

„Wie viele sind das?“

„Eine Menge!“

Er wusste, dass das ganz viel waren, da mehr als eine Hand.

„Ja, aber das lernst du später alles in der Schule. Genug mit der Fragerei. Dafür bist du noch viel zu klein.“

******

Alina backte am Sonntagmorgen zwei Apfelkuchen, was Björn aufmerksam verfolgte. Er half auch, damit da ja genug Rosinen reinkamen.

Einen Kuchen und einen Korb mit Äpfeln stellte sie vor die Tür von Regina und Mads, da sie schon weg waren. Sie war eben spät dran gewesen, ärgerte sie sich ein wenig.

Da heute ein wunderschöner Herbsttag war, beschloss sie, mit Björn doch ans Wasser zu fahren. Als sie ihm das sagte, jubelte er, suchte gleich seinen kleinen Eimer, da er bestimmt was Tolles fand, wie er wusste.

Er lief am Ellenbogen zu gern am Strand entlang. Die liegen gebliebene Arbeit musste sie später nachholen, konnte dafür wenigstens einige Stunden abschalten, sich erholen, einfach die Zeit mit ihrem Sohn genießen.

Am späten Nachmittag begann sie draußen weiter abzureißen, hatte dabei eine Lampe an, damit sie noch etwas sah. Björn war warm angezogen, tobte draußen herum. War ein Brett ab, schleifte er es weg.

Es hupte und sie sah Mads und Regina mit ihrem neuen Tesla kommen. Dieses Auto hörte man fast gar nicht. Sie seufzte. Jetzt musste sie die Arbeit unterbrechen.

„Moin! Was treibst du da? Das ist Arbeit für solche Proleten.“

Arrogante Frau, dachte sie. „Regina, ich kann es selbst. Also warum Facharbeiter dafür bezahlen?“

„Moin! Alina, Regina kennt nicht das Wort etwas tun, da sie für alles Personal benötigt. Sie schafft es nicht mal, mein Haus sauber zu halten, weil stinkfaul.“

„Mads, das ist eine Frechheit. Dafür gibt es doch die Leute. Sie sind froh, wenn sie für uns arbeiten dürfen.“

„Du könntest sie nur nie bezahlen, Angeberin! Lass es, da es nur nervt“, winkte er ab.

Oh je, nun noch Ehekrach. Sie bat sie ins Wohnzimmer, kochte Kaffee und zog sich rasch um.

„Mama, hat für uns auch Apfelkuchen gebacken. Können wir ja jetzt essen“, hörte sie Björn sagen.

Deswegen waren sie gekommen, um sich zu bedanken. Sie blieben zu Kaffee und Kuchen.

Nach zwei Stunden gingen sie. Nun brachte sie Björn ins Bett, nachdem er heute nur geduscht hatte. Er schlief rasch ein und sie zog sich erneut um, da draußen die Arbeit wartete. Sie wollte das noch vor Weihnachten alles ordentlich haben.

Es wurde einmal mehr eine kurze Nacht.

******

Als sie am Montagmittag der Filialleiter der Bank anrief, befürchtete sie das Schlimmste. Er wollte aber nur 100 Äpfel haben, da die Grundschule welche benötigte und er sofort an sie gedacht habe. Er nannte ihr den Preis, welchen er dafür erzielt hatte. Die Äpfel sollte sie einfach in einem Korb in sein Büro stellen. Den Korb bekäme sie dann morgen zurück. Sie war überglücklich, jubelte und bedankte sich herzlich. Das war noch ein unverhoffter kleiner Geldsegen. Ihm würde sie ein kleines Dankeschön dafür hinlegen.

Bei den Nissens gab es am Nachmittag die nächste freudige Botschaft. Sie hatten heute die restlichen zwei Gläser ihres Pflaumenmuses verkauft. Die Abrechnung gab man ihr, teilte ihr mit, dass man das Geld bereits überwiesen habe. Sie jubelte, da sie so die Extra-Ausgaben für Björns Kleidung wieder raus hatte, selbst wenn sie die kleinen Geschenke abzog.

Ingrid Nissen fragte an, ob sie noch Pflaumenschnaps habe, da mehrere Leute bereits gefragt hätten.

„Ja, aber du weißt, ihr habt ihn nie vor dem 1. November verkauft. Der vom vorigen Jahr war alle.“

„Bring ein paar Flaschen her. Die Leute können anscheinend nicht warten“, lachte die Frau. „Sie wollen ihn jetzt haben, ergo bekommen sie ihn. Sie können es nicht abwarten, sind der Meinung, er schmeckt jetzt schon.

„Dieses Jahr sind es generell einige Flaschen mehr.“

„Umso besser. Ich habe noch Leergut für dich. Allerdings hauptsächlich Gläser.“

„Stelle ich für nächstes Jahr weg. Spare ich es, Neue zu kaufen. Heute scheint mein Glückstag zu sein“, freute sie sich.

******

Am Dienstag fand sie abends eine Anfrage nach Übersetzungen vor. Eine Hamburger Maklerfirma wollte ihre Offerten in Englisch und Französisch übersetzt haben. Einen Ausschnitt einer solchen Offerte hatten sie per PDF beigefügt. Als sie die Summe las, die man ihr pro Offerte zahlen wollte, war sie verblüfft, da das ein horrendes Honorar war. Vorerst waren es acht Immobilien, die sie so in die zwei Sprachen übersetzen sollte. Man bot ihr an, dass sie generell das für sie übernehmen könnte, da sporadisch immer wieder neue Projekte dazu kämen. Einen Vertrag würde man ihr selbstverständlich zusenden. Einer ihrer Anwälte, Ulf Brendel, würde auf Sylt wohnen, wäre dann ihr Ansprechpartner. Nun suchte sich im Internet das Maklerbüro. Alles war schick in vier Fremdsprachen aufgemacht. Diesen Makler gab es bereits seit den Achtzigerjahren. Gründer war ein Pieter Dirksen, der gleichzeitig auch Anwalt war. Schien eine seriöse Firma zu sein. Trotzdem blieb das mulmige Gefühl in ihrem Bauch. Die Summe war zu utopisch.

******

Sie rief in der Mittagspause Mads an. Zuerst entschuldigte sie sich, dass sie ihn belästigte, aber sie wusste nicht, wen sie sonst fragen könnte. Nun berichtete sie von dem Angebot aus Hamburg und dem Anwalt.

„Kennst di ihn?“

Es war eine Weile gespenstisch ruhig, bevor er antwortete. Seine Stimme klang irgendwie komisch. Einbildung Alina!

Ja, er würde ihn kennen. Er sei Hamburger, habe eine Frau von der Insel geheiratet und sie lebten auf Sylt.

„Also, ganz seriös, keine Betrüger oder so.“

Nein, auch der Makler nicht. Da könne sie ganz beruhigt einen Vertrag unterschreiben.

Sie bedankte sich. Ihr Bauch sendete trotzdem immer noch Warngefühle.

Abends unterschrieb sie trotz allem. Sie brauchte dringend Geld, da die Bank nun mehr als Ärger machte, nicht nur mit Gehaltspfändung drohte. Morgen würde sie ja diesen Anwalt Brendel kennenlernen.

******

Nach einem ausgedehnten, ausgiebigen Frühstück, fuhr sie am Samstag mit Björn, einkaufen. Zuletzt zu dem Hofladen von Nissens. Sie kaufte viel dort, da alles frisch und ohne Chemie war. Björn tobte gleich mit Torben und den Tieren herum. Sie stellte vorerst zehn Schnapsflaschen in den Laden, gab Ingrid und Gertrud die getragene Kinderkleidung. Sie reichten diese immer an Bedürftige weiter, engagierten sich sehr für Ärmere. Sie trank noch eine Tasse Tee, snàkte mit den beiden Frauen. Dann verstaute sie die Einkäufe im Auto, rief nach Björn.

„Mama, hast du die Marmelade nicht vergessen?“

„Habe ich gekauft. So nun ab nach Hause und alles wegräumen.“

Am späten Vormittag klingelte es. Dirk und Rita standen vor der Tür. Ihr 4 Jahre älterer Bruder nahm sie ihn den Arm, schwenkte sie im Kreis, gab ihr Küsschen rechts und links.

„Schwesterchen, die Überraschung ist gelungen, hoffe ich.“

„Ich freue mich riesig, dass ihr gekommen seid. Hoffentlich bleibt ihr bis morgen?“

Sie umarmte Rita herzlich. Sie mochte ihre Schwägerin sehr.

„Mama, wo bleibst … Dirk“, rannte Björn zu dem Mann, der ihn auf den Arm nahm.

Eifrig packte er das Geschenk von Dirk und Rita aus, während sie sich sehr über die drei Schallplatten freute. Die hatte sie bisher hier vergeblich gesucht.

„Mama, guck mal. Ich bin schon groß“, zeigte er ihr die Legosteine. „Dirk weiß das auch“, nickte er dazu.

„Wollen wir den Bauernhof anfangen zu bauen?“

„Juchhu! Danke!“

Sie setzten sich auf den Boden und Björn packte alles aus, stellte die Tiere an die Seite, plapperte dabei von dem Hof der Nissens.

Mit ihrer Schwägerin kochte sie das Mittagessen, erzählten sich dabei alle Neuigkeiten, lachten viel.

Danach verschwanden sie mit Björn zu Frank Nissen. Die beiden waren seit der Kindheit befreundet. Endlich hatte sie mal Ruhe.

Sie hockte sich hinunter, nahm die Streichhölzer und Papier. Das Feuer an dem Papier griff auf die trockenen Zweige über, die den Zunder bildeten, und flammten auf. Die harzigen Scheite griffen begierig danach und bald prasselte es hell. Schnell drang die Wärme zu der Polstergruppe.

„Ich liebe Kaminfeuer“, stellte ihre Schwägerin fest.

„Musste Mama klein machen, denn großes Holz mag Feuer nicht“, wusste Björn.

„Die dicken Stämme hat Hauke zerkleinert. Ich stellte mich zu dusselig an.“

„War schwer. Hauke sagte, ist Männerarbeit. In ein paar Jahren mach ich das“, wusste er.

Sie berichtete von den Übersetzungen, zeigte Dirk den Vertrag, den sie am Donnerstag unterschrieben hatte. Auch er war über die Summe verblüfft.

„Kennst du die Leute?“

„Nein, aber ein Bekannter und seine Frau. Scheint alles seriös zu sein. Der Anwalt machte einen seriösen Eindruck und das Büro sah normal aus.“

„Dir kann doch nichts geschehen. Du übersetzt, bekommst deinen Lohn. Zahlen sie einmal nicht gleich, machst du nichts mehr für sie. Was du übersetzt, weißt du ja. Ergo was soll da falsch sein?“

„Hast du recht, Rita. Ich weiß auch nicht, aber mein Bauch sagte etwas anderes. Irgendwie bin ich überrascht von dem Angebot.“

„Die Hamburger kennen eben die Preise von der Insel“, scherzte ihr Bruder. „Lass es auf dich zukommen.“

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Nach dem Frühstück wollten Dirk und Rita zum Morsum-Kliff. Björn war begeistert, da er dahin besonders gern spazierte.

Umgeben von Heidelandschaft und dem Wattenmeer befindet sich das Morsum-Kliff praktisch vor ihrer Haustür. Auf so einem Spaziergang gab es stets viel zu sehen. Da hoppelten Hasen herum, Vögel flatterten in Scharen in der imposanten Natur auf. Eins war auch berauschend, der weite Blick über das Wattenmeer.

Ihr Opa hatte ihr schon in jungen Jahren von dem Kliff erzählt. Es war 1.800 Meter lange und 21 Meter hoch, bestand aus diversen Gesteinsinformationen. Es ist geologisch einzigartig in Europa, steht seit 1923 unter Naturschutz. Durch die Eiszeit-Gletscher wurden hier viele Erdschichten zusammengepresst. Das rote Erscheinungsbild verleihen dem Morsum-Kliff die Erdschichten: dunkler Glimmerton, roter Limonitsand, weißer Kaolinsand und braungelber Geschiebelehm. Die See spülte diese wieder frei, sodass sie im Kliff in schräg laufenden Farbabstufungen von weiß bis braun erkennbar sind. Ebenso finden sich im Watt vor dem Kliff immer wieder Findlinge, die von den Eiszeitgletschern nach Sylt getragen wurden. Das Kliff ist reich an Fossilien. Der in den letzten Jahrzehnten stetig steigende Tourismus führte dazu, dass viele Trampelpfade entstanden und infolgedessen teilweise ganze Dünen zerstört wurden. Dadurch entstanden immer wieder Wegbegrenzungen und Gehverbote, hatte ihr Opa immer geschimpft.

Im Sommer vor zwei Jahren hatte die ganze Familie eine Bootsfahrt gemacht. Ihr Opa hatte Björn auf den Arm genommen, ihm das Kliff gezeigt, ihm die verschiedenen Farben erklärt. Danach wollte der Knirps das zu Hause mit Duplo-Steinen nachbauen, aber die Farben waren falsch, hatte er festgestellt. Drei Tage später waren Duplos in den richtigen Farben da gewesen und er hatte das Kliff auf einer blauen Lego-Platte nachgebaut. Ihr Opa hatte ihm ein Holzboot geschnitzt, davorgesetzt. Das stand heute noch so in Björns Zimmer, durfte man nicht wegnehmen, da wichtig. Das war auch ein Grund, warum er so gern zum Kliff spazierte. Ein Weg, den er oft mit seinem Urgroßvater gelaufen war, jetzt mit dem Opa lief.

Nach der Wanderung lud ihr Bruder alle in ein Restaurant ein, wo sie vorzüglich aßen.

Im Anschluss fuhren sie zurück und nahmen Björn mit. Er würde eine Woche bei ihren Eltern bleiben. Endlich einmal Ruhe, keine Verpflichtungen eine ganze Woche, genoss sie den Tag. Das sie Urlaub hatte, wusste ja niemand.

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Samstag kamen ihre Eltern, brachten ihr Björn zurück. Er hatte viele neue Kleidungsstücke, Spielzeug, ein Puzzle und einen Rucksack, wie er gleich stolz ausplauderte. Alles musste sie sich ansehen. Das Puzzle hatte hundert Teile und er hatte mit Opa nachgezählt – es stimmte. Das mit dem Zählen war ganz einfach, weil immer die Zahlen null bis neun kamen, nur davor eins, zwei, drei und so. Bloß bei der ersten Reihe sparte man sich die null zu sagen, erklärte er ihr ganz ernst. Seinen Namen konnte er auch schon schreiben, zeigte er ihr. Sie fand es idiotisch, dem kleinen Kind schon all den Quatsch beizubringen.

Nach dem Mittagessen räumte sie seine Sachen weg, fand sie überrascht, aber auch entsetzt ein Foto von Julian in einem Rahmen auf dem Tischchen neben seinem Bett, stehen. Sekundenlang starrte sie in sein Gesicht. Sie wollte den wegnehmen, weil das hier nicht hinkäme, da weinte Björn. Da sie jetzt keinen Ärger mit ihm wollte, da ihr Eltern da waren, ließ sie das Bild stehen. Morgen reichte auch.

Ihre Eltern gingen mit Björn zum Kliff. Sie blieb da, schob Arbeit vor. Kaum waren sie weg, hastete sie hoch. Sie nahm Julians Bild in die Hand, blickte in sein Gesicht. Er sah unverändert aus, hatte immer noch das schelmische Lachen, das selbst seine braunen Augen erfasste. Er hatte die Haare jetzt etwas kürzer, war die einzige Veränderung, die ihr auffiel. Sie wusste aber nicht, wie alt das Foto war. Sie streichelte sein Gesicht, dachte an die aufregende Zeit mit ihm.

Als Björn abends schlief, sprach sie ihren Vater auf das Porträt an, fragte erbost, was das solle und woher er das Bild habe.

„Alina, du lässt deinem Sohn das Bild seines Vaters, sonst handelst du dir großen Ärger ein.“

„Papa, das meinst du nicht ernst? Der hat mich und Björn sitzen gelassen, zahlte nie. Ihm waren wir immer schietegal.“

„Weißt du alles? Bist du jetzt unter die Hellseher gegangen? Nein, so war es nie und du weißt es genau. Schiebe die Verantwortung für dein nicht gerades faires Handeln, nicht ihm unter. Das Bild bleibt dort stehen. Julian ist sein Vater, auch wenn du das verdrängst, dir irgendetwas einredest, deinen Sohn über ihn belügst. Ohne uns und seine anderen Großeltern! Björn wünscht es, sein Bild hinzustellen, fragte sogar nach einem Foto, da er wissen wollte, wie sein Vater aussieht, als Kind aussah. Er hat gesetzliche Rechte, obwohl ein Kind. Erzählst du ihm weiter deine erfundenen Schauergeschichten, melden wir das dem Jugendamt. Erpresst du Björn jetzt, uns zu belügen, gibt es ganz großen Ärger. Du hast Julian reingelegt, beschissen, belogen, hintergangen und als er nicht so spurte, wie du wolltest, erklärtest du ihn zu deinem Feind. Das erzähltest du auch überall und bei jeden. Er war der Böse; du die arme, gute Frau. Nein, du allein warst an dem Desaster schuld, hast Julian über fast ein Jahr belogen. Alina, ihr wart nie fest liiert, wie du alle belogen hast. Alle wussten das, haben über deine Lügen nur den Kopf geschüttelt, uns zugetragen, wie abscheulich du dir den Mann angeln wolltest. Danach wendeten sich selbst deine Freunde von dir ab, da keiner kontinuierlich belogen werden will. Dir konnte niemand mehr noch ein Wort glauben. Julian hat uns bereits am Anfang erzählt, welche Pläne er für sein Leben hat, das er für Jahre ins Ausland will, er deswegen keine Beziehung haben möchte. Dir war das egal, da du immer plantest, ihn hereinzulegen, zu betrügen, zu hintergehen.“

„Er sollte doch nur bleiben“, antwortete sie entrüstet.

„Ach so! Damit rechtfertigst du deine miesen, kriminellen Machenschaften? Hast du ihm nur nie gesagt, sondern gelogen, Märchen erfunden. Es war Betrug deinerseits. Ende! Es geht jetzt um Björn, den du nicht auch mit den Lügen bequatschen wirst, wie alle anderen, nur damit du gut dastehst. Du wirst ihn nicht weiterhin manipulieren.“

„Alina, dein Vater hat recht. Du willst und alle sollen nach deiner Pfeife springen, dir viel Geld in den Rachen werfen, alles für dich machen. Du darfst Björn nicht auch das Leben mit Lügen verderben, weil du ihn enger an dich binden willst. Er ist eine eigenständige Persönlichkeit, die du nicht mit Unwahrheiten manipulieren darfst und wirst. Er ist ein aufgewecktes Kerlchen, der heute schon sehr gut selber denken, eigene kleine Entscheidungen treffen kann, welche er stets begründet. Mach ihn nicht kaputt, weil er dein ganzer, einziger Lebensinhalt ist, du ihn fest an dich binden willst, er nur dich anbeten soll.“

„Mama, so war das nie. Nur der hat sich einen Scheiß um uns gekümmert.“

„Lenk nicht ab. Er erfährt die Wahrheit in wenigen Jahren doch, wenn nicht von dir, dann von uns, Dirk, seiner Tante, den Onkeln, seinen anderen Großeltern, vermutlich sogar von seinem Vater persönlich. Soll er dann feststellen, dass du ihn nur belogen hast, genau wie damals seinen Vater? Du wusstest vom ersten Tag eurer Freundschaft, dass Julian, nach seinem ersten Abschluss, für Jahre ins Ausland geht, da er nie ein Geheimnis daraus machte, genau so wenig daraus, dass ihr nie sooo eng zusammen wart. Sagte er uns sogar alles, da Julian nie log, im Gegensatz zu dir. Bereits bevor Björn gezeugt wurde, hatte er den neuen Studienplatz, eine Wohnung in Australien. Wusste jeder! Das wolltest du ihm versauen. Du willst und alle anderen sollen deinen Willen erfüllen. So war es mit Julian, so war es mit dem Baby, dass deine Mutter versorgen musste, trotz ihres Berufes und der ganzen anderen Arbeit, selbst dich musste sie betütteln und auch alles finanzieren. Du kassiertest Unterhalt und Kindergeld ab, kauftest nichts für deinen Sohn, aber für dich Klamotten. Stinkfaul warst du all die Jahre, musstest ja abends weggehen, Party machen. Danach hast du meinem Vater Björn angedreht, ihn angebettelt. Dein Sohn versorgtest du das erste Mal, nachdem mein Vater gestorben war, beziehungsweise seitdem schiebst du ihn tagsüber, teilweise auch abends, nachts zu der Familie Nissen ab. Dort lebt er mehr, als bei dir. So ist es mit dem Hof hier. Du kannst ihn nicht halten, also sollen alle Gelder reinpumpen. Das du ständig Dirk um Geld anbettelst, hat ein Ende. Er hat nichts von meinem Vater geerbt, damit du ihm das wegnimmst. Es ist dreist von dir zu sagen, da hast ja so viel von Opa bekommen, kannst mir mal etwas geben. Vorige Woche hast du erneut 5.000 Euro abgestaubt. Das Geld bekommt Dirk innerhalb vier Wochen zurück, wenn nicht, bist du schneller obdachlos, als du denkst. Du hast anscheinend die Klausel im Testament meines Vaters vergessen. Du brauchst ihn gar nicht deswegen belabern, heulen, jammern. Ich überwache das. Du wolltest den Hof, sonst hätten wir ihn verpachtet, wie es mein Vater wollte. Nein, du willst hier wohnen, angeben. Dass das nie etwas wird, wusste wir alle, da du nur forderst, mein Vater bezahlen musste. Mein Vater wollte deswegen auch sein Testament ändern, hatte bereits einen Termin zur Unterzeichnung, nur drei Tage vorher, schlief er ein. Nur ich bin anders, werfe dich raus und du gehst völlig leer aus, da du deinen Pflichtteil von uns schon erhalten hast. Hast du auch unterschrieben, es wurde notariell beglaubigt, damit nie weitere Forderungen von dir kommen. Vergessen?“

„Ich habe hier viel geschuftet, abgerissen und so.“

„Alina, lass es und stelle mich nicht als unwissend oder dusselig hin. Die Scheune zum größten Teil hat die Firma Berger abgerissen, den ganzen Dreck innen entfernt sowie all die Bretter, die Steine und so weiter. Mein Vater starb und du hättest den Rest bezahlen müssen, hast es gestoppt. Frank, kannst du mir mal helfen, wurde danach gejammert. Was hast du denn gemacht? Die zehn Meter Bretter unten entfernt. Das dauerte ein halbes Jahr. Du hast den Hof, den du großspurig haben wolltest. Jetzt wirst du ihn in Ordnung halten, endlich mal säubern, genau wie mein Haus. Ja, meins! Alles gehört mir, falls du das vergessen hast. Man muss sich etwas verdienen, da das Schlaraffenland nirgends existiert. Bleibt es dermaßen dreckig, scheußlich, werfe ich dich raus. Ganz einfach.

Das dein Sohn unter der ganzen Situation leidet, bekommst du nicht mit, weil er dich nicht interessiert, du ihn als Kleinkind halten willst, das dich anhimmelt. Er ist weit hinter allem zurück, weil du dich nie wirklich mit ihm beschäftigst, ihm nur erzählst, wie viel du immer arbeiten musst, wie schwer du es hast. Da muss der Lütte Knochenarbeit verrichten, die viel zu schwer für ihn ist. Alina, du bist verantwortungslos, in deinem Wahn, was Großes zu werden, zu sein. Mein Vater konnte dich da noch bremsen, aber seit seinem Tod drehst du völlig ab. Wir gucken uns das nicht mehr lange an, dann holen wir Björn zu uns. Wir waren bereits beim Anwalt, haben uns erkundigt.“

Alina blickte entsetzt ihre Eltern an. „Das könnt ihr doch nicht machen? Ich arbeite ja jetzt weniger, habe mehr Zeit für ihn.“

Ihr Vater schüttelte zornig den Kopf. Dass er richtig wütend war, sah sie ihm an, da dann seine Augen schwarz funkelten, wie früher bei ihrem Opa.

„Du begreifst nichts. Er benötigt keine Glucke, die ihn ständig beaufsichtigt, sondern andere Kinder, Menschen, die ihm etwas beibringen, die ihn in kleinen Schritten, altersgerecht fördern, von denen er automatisch lernt, die ihn auch mal etwas allein machen lassen, ohne seine große Supermutter, die ja alles kann, kaum Schlaf bekommt, weil sie rund um die Uhr arbeitet. Er darf nichts allein machen, nicht mal einen Pulli anziehen, den du ihm nicht raus legst, sogar noch meckerst, wenn er lieber den Blauen anziehen möchte. Er darf sich nicht allein waschen, nicht allein ein Brot schmieren, nichts. Bei dir geht es schneller und er weiß ja, dass du sooo viel arbeiten musst, hört er zehnmal jeden Tag. So wie heute. Wir kommen an, da tönst du gleich, guck mal Björn, Mama hat alles fertiggemacht und schon aufgeräumt. Ich habe mich beeilt, kaum geschlafen, damit es schön ist, wenn du kommst. Gefällt es dir? Was soll er da sagen? Dein Agieren unserem Enkel gegenüber ist völlig unakzeptabel. Denk mal darüber nach, bevor es zu spät ist. So, jetzt will ich Nachrichten hören und nicht mehr deinem verlogenen Schwachsinn.“

******

Am Sonntagnachmittag, als die Eltern gefahren waren, wollte sie Björn aushorchen, was alles in Hamburg passiert war. Er erzählte, wo sie überall waren, wie schön es war. Egal wie sie fragte, das, was sie hören wollte, sagte er nicht. Kein Wort über Julian, was man ihn gefragt hatte, was er erzählte. Immer kam nur, dass er sich dort sehr wohlfühlte, es toll war.

„Mama, ich will jetzt noch ein bisschen puzzeln.“

„Komm, machen wir schnell zusammen.“

„Nein, mache ich allein. Habe ich Opa versprochen, da ich das kann. Du kannst dich ja ausruhen.“

„Ich habe noch viel zu tun“, antwortete sie konsterniert, ging hinunter.

Abends dachte sie über die Worte ihrer Eltern nach. Sie war seinerzeit wirklich nicht ehrlich zu Julian gewesen. Sie wollte ihn in Hamburg behalten, da sie ihn liebte. Nur deswegen hatte sie ihn belogen, ihm gesagt, sie nehme die Pille. Seine Wünsche, seine Ziele hatten sie nie interessiert. Er sollte sie heiraten und Ende. Nur sie war damals eben noch ein Teenie gewesen und er ein Mann, der sich schäbig verhalten hatte. Seine Pläne, diesen Schwachsinn mit dem Ausland, hätte er ihretwegen fallen lassen müssen. So hätte jeder ehrliche, richtige, vertrauensvolle Mann gehandelt. Er hätte eine Wohnung suchen müssen, arbeiten gehen und ihr Geld geben müssen, damit sie das alles einrichten kann, sie es gut hat, er ihr in der Schwangerschaft alles abnimmt.

Dass ihr Sohn etwas allein machen wollte, kam in der nächsten Zeit öfter vor. Stets hieß es, habe ich Opa versprochen. Alina machte sich darüber Gedanken und wusste, er war nicht mehr das kleine Baby, sondern wurde ständig eigenständiger.

---ENDE DER LESEPROBE---