Mord unter Freunden - Angelika Friedemann - E-Book

Mord unter Freunden E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung. Albert Einstein Die Scheune auf einem alten Bauernhof brennt ab. Darin finden sie die verkohlten Leichen von vier Menschen. Erst bei der späteren DNA-Auswertung stellt sich heraus, es waren fünf Personen. Nochmals wird die Brandstelle genau durchforstet, da erscheint die vermeidlich verbrannte Hofbesitzerin. Einen Hinweis kann jedoch auch sie nicht der Husumer Kriminalpolizei auf die Herkunft der fünf Opfer geben. Für Eike Klaasen und seinen Kollegen beginnt eine Suche, bei der jede noch so kleine Spur in einer Sackgasse endet. In seinem Privatleben tauchen ungewohnte Turbulenzen auf, mit denen er ebenfalls reichlich zu kämpfen hat. Ohne dass er es bemerkt, nähert er sich immer mehr einem gefährlichen Strudel. Als er seinen besten Freund ins Visier nimmt, ahnt er nicht, dass er im Hintergrund eine Lawine lostritt.

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Angelika Friedemann

Mord unter Freunden

Impressum

Copyright: © 2021. Alle Rechte am Werk liegen beim Autor, Angelika Friedemann, Herrengasse 20, Meinisberg/ch

[email protected]

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

Bildnachweis: Quelle: www.piqs.de Bildtitel: Sonnenuntergang Fotograf: Brainstrom

ISBN:9783754324332

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Eike lag ausgepowert, noch etwas schnell atmend auf dem Bett, hielt Nika im Arm, als sein Handy leise vibrierte. Er drehte sich leicht, griff danach, und als er die Nummer von Doktor Christian Hansen, dem Oberstaatsanwalt, sah, schwante ihm nichts Gutes.

„Moin, Krischan. Was ist passiert?“ Er stand auf. Während er dem Mann zuhörte, betrachtete er seine nackte Freundin, bevor er zum Fenster hinausblickte, wo sich zwei dicke, graue Hasen tummelten, das saftige Grün fraßen, dabei stets um sich guckten, lauschten.

„Ein Kind? Wieso ein Kind? Stine?“ „Ja. Ich komme. Eine gute Stunde. Sie sollen den gesamten Hof weiterräumig absperren.“ „Nein, können sie später holen.“ „Ja, bis dann. Kannst du noch in Ruhe einen Kaffee trinken.“ Er schaltete das Handy aus, drehte sich um. Nika hatte die Decke über ihren Körper gezogen. Er setzte sich auf das Bett.

„Ich muss nach Husum zurück. Sie haben in einer abgebrannten Scheune drei verkohlte Menschen gefunden. Du kannst mit Florian zurückfahren. Es wird heute herrliches Wetter und Wind ist auch schon da.“

„Kommst du wieder her?“

„Ich denke nicht. Wecke ich meinen Junior“, gab er ihr einen Kuss. „Mein Wochenende stellte ich mir irgendwie schöner vor. Tut mir leid.“

„Lass ihn hier.“

„Muss ich ihn fragen und auch die anderen.“

Er duschte, putzte Zähne, zog sich an und betrat die Küche, wo er schnell einen Kaffee trank. „Moin“, kam sein Freund Florian nur mit einem Slip bekleidet herein. „Du bist schon wach?“

„Moin, du dito. Ich muss zurück. Doktor Hansen hat angerufen. Auf dem Sölring Hof hat die Scheune gebrannt. Da drinnen haben sie drei verkohlte Leichen entdeckt. Eine davon - ein Kind. Ich habe Nika gesagt, sie kann mit einem von euch zurückfahren. Geht das?“

„Kein Problem. Lass Torben bei uns. Freut er sich, wenn er im Wasser toben kann, die vielen Drachen sieht. Die Lütten freuen sich seit Wochen auf das Drachenfest.“

„Danke. Ich sag´s ihm kurz, fahre dann los.“

„Rolf sollte eine Schulung besuchen, müssen sie dich nicht holen.“

„Ist ja eher selten. Er ist in Ordnung. Grüß alle.“

Kaum hatte er die dänisch-deutsche Grenze passiert, stellte er das Blaulicht auf seinen Wagen und gab Gas. War ja auch etwas Nettes, schnell zu fahren, versuchte er sich aufzumuntern. Sein Wochenende hatte er sich wirklich anders vorgestellt. Vergangenes Wochenende hatte Nika Bereitschaftsdienst in der Klinik. Die Wochenenden davor hatte es nur geregnet. Dieses Wochenende holte man ihn zurück. Er seufzte leise. Nun kam er wieder nicht zum Kiten. Nika hatte nächste Woche Spätdienst und auch sie sah er dann tagelang nicht.

Rasch lenkte er sich ab. Der Sölring Hof war ein großer, allerdings in die Jahre gekommener Bauernhof, der heute nicht mehr bewirtschaftet wurde. Die 83-jährige Christine Fries lebte dort allein, besaß nur noch einige Schafe, einen altersschwachen Gaul und ein wenig Federvieh. Ihr Mann war vor drei Jahren gestorben, der Sohn bereits seit zehn, elf Jahren tot. Die Tochter zeigte nie Interesse an dem Gehöft, lebte irgendwo mit dem Mann. Über die fünf Enkelkinder wusste er nichts. Ob es Urenkel gab, war ihm unbekannt. Vermutlich ja. Wenn Krischan ihn wegen eines Brandes zurückholte, selbst wenn es Tote gab, ging er von Mord aus. Nur warum sollte man die alte Dame ermorden? Wer waren die beiden anderen Personen? Eine Enkeltochter mit Kind? Was mochte der Besitz heute wert sein? Er überholte zwei Fahrzeuge, griff danach zum Handy und rief seinen Großvater an. Er fand diese Fernsprecheinrichtungen dusselig, obwohl er eine hatte. Die benutzte er nur innerorts, damit er keinen Ärger bekam und mit gutem Beispiel voranging.

„Moin, Opa. Ich habe eine Frage, der Sölring Hof, was ist der komplett wert?“ „Nein, ich komme zurück, da es dort gebrannt hat, sie drei verkohlte Personen fanden.“ „Sie sind auf Rømø geblieben, kommen mit den anderen Morgen zurück.“ Nun hörte er zu, was ihm Andrees Klaasen erzählte.

Bereits bevor er in den nicht geteerten Feldweg abbog, der einzigen Zufahrt zu dem Bauernhaus, sah er Doktor Hansen seitlich an der Brandstelle vorbeilaufen. Er guckte dabei auf den Boden, als wenn er etwas suchte. Der Mann sah ungewohnt in den Gummistiefeln, Jeans und dem Shirt aus. Normalerweise kannte er ihn dienstlich nur korrekt gekleidet mit Anzug, Hemd, Krawatte.

Er parkte hinter dem SUV des Oberstaatsanwaltes, holte hinten seinen Koffer, den Fotoapparat heraus. Gut, dass er den Wagen nicht ausgeräumt hatte. Krischan kam ihm entgegen. „Moin. Wenn ich mir deinen Wagen angucke, nehme ich das nächste Mal auch die Farbe. Er sieht irgendwie wuchtiger aus.“

„Moin, Krischan. Er hat einen Vorteil, du siehst nicht sofort jedes Staubkorn, jeden Regentropfen darauf, so wie auf deinem. Grau finde ich einfach ideal. Dafür hast du die schöneren Felgen. Wann gibt es den Neuen, auch nächstes Jahr?“

„Im Frühling. Die vier Jahre sind um. Nun Arbeit. Wer die Leute sind, nicht feststellbar, da sie richtig verkohlt sind. Wir vermuten, eine davon ist Stine, da sie nicht da ist. Das Haus war nicht abgeschlossen.“

„Wer hat die Feuerwehr alarmiert?“ Er holte die Gummistiefel heraus, zog diese an.

„Du hast immer noch nichts für Socken übrig.“

„Habe ich von Iris übernommen. Sie besaß weder ein Paar Socken noch Strumpfhosen. Nur Strümpfe für besondere Anlässe. Zog ich Socken an, lästerte sie immer. Irgendwann verzichtete ich ebenfalls darauf“, schlüpfte er nun in die Handschuhe.

„Ein Autofahrer, der Richtung Hamburg unterwegs war. Name und so weiter vorhanden. Als er das Feuer bemerkte, brannte es nur mäßig. Er rief sofort an, fuhr hin, ist zu dem Wohnhaus gerannt, hat gerufen, aber er sagte, da war niemand. Die Haustür war zu, aber nicht abgeschlossen. Er hat gewartet, bis die Feuerwehrleute ankamen. Er hat niemand gesehen, keinen Wagen wegfahren gehört.“

„Brandstiftung?“

„Gehe ich von aus, aber bisher unbewiesen. Dein Kumpel Stefan erscheint um 10.00 Uhr, um die Brandursache näher zu erforschen. Bis dahin müssen die Leichen raus sein. Doktor Fiedler kann nicht kommen, da er Silberhochzeit feiert. Deswegen musste ich dich herholen. Tut mir leid.“

„Wat mut, dat mut! Hat Martin fotografiert?“

„Ja, alles erledigt. Der gesamte Brandherd wurde abgelichtet, da waren die Feuerwehrleute noch anwesend. Deine Kollegen kamen fast zeitgleich mit der Feuerwehr. Auch sie suchten nach Stine im Haus, der anderen Scheune, dem Stall, draußen. Sie sind jetzt im Haus, haben vorher ihre Viecher gefüttert, Wasser hingestellt, da man sie vorsichtshalber in der Nacht rausholte.“

„Was weißt du über sie?“

„Liebenswürdig, leicht schrullig, noch fit. Sie lebte zurückgezogen seit seinem Tod. Die Tochter, Enkel kamen nie her. Die Schwiegertochter hat wieder geheiratet, lebt im Schwarzwald oder so. Darüber weiß ich nicht wirklich etwas. Mudding besuchte sie früher ja öfter, so hörte ich zuweilen etwas.“

„Die Tochter erbt?“

„Weiß ich nicht. So wie ich Friedrich einschätzte, eher nein. Er tobte zuweilen über die Tochter, die Enkel, da niemand Interesse an dem Hof zeigte.“

„Opa sagte, der Hof plus allen Grundbesitz sind gewiss 750.000 Euro wert, da dazu bereits eingetragenes Bauland gehört. Es soll reichlich Geld vorhanden sein, neben einigen wertvollen Madonnen, Schmuck. Für Madonnen hatte sie eine Leidenschaft, für die sie bisweilen viel Geld ausgab. Friedrich habe ihr Einige geschenkt, obwohl er nichts damit anfangen konnte. Dazu soll es reichlich Schmuck geben, den er kaufte, beziehungsweise noch welcher von seinen Eltern. Was Hausrat und sonstiger Kram wert ist, weiß er nicht. Ein Teil der Möbel zählen heute gewiss zu den Antiquitäten, da die noch von seinen Eltern, sogar Großeltern stammten. Dafür lohnt sich Mord. Sie soll vereinzelt etwas von dem alten Kram verkauft haben, weil sie die Scheunen, Räume leer haben wollte. Sie hat vor zwei Wochen bei ihm angerufen. Sie wollte das Vieh loswerden, aber drei Reitpferde kaufen. Nur wir verkaufen keine mehr. Das Vieh sollte vor dem Winter weg, aber nicht zum Schlachter.“

Sie überquerten die grauweiße Fläche, stiegen über verkohlte Balken, versanken teilweise in dem anthrazitfarbenen Moder. Es roch nach Rauch, Chemie. Obwohl das Dach, die Seiten fehlten, stank es gruselig, je weiter sie hineingingen.

„Jetzt links. Da liegt Nummer eins. Etwas weiter dahinter zwei und drei.“

„Oh Schiet“, blieb Eike stehen, schaute das wenige an. „Da ist ja nichts mehr da?“

„Doch, ein wenig. Musst du freilegen. Die zwei anderen Reste sehen nicht besser aus.“

„Wie es aussieht, haben die brennenden Balken, die auf sie fielen, ganze Arbeit geleistet. Krischan, hol die Männer bitte her. Das schaffe ich nie, bis Stefan kommt. Da muss man den Dreck vorsichtig entfernen, die Teile sorgfältig auf ein Tuch legen, bevor das in einen Sarg kommt.“

„Deswegen bist du ja hier“, stiefelte er hinaus, während er den Koffer an die Seite stellte, ihn öffnete und eine sterile große Unterlage herausholte. Er blickte sich suchend um. Hier konnte er die nirgends ausbreiten, da alles nass und verdreckt war. Er legte sie auf den Koffer, schaute die spärlichen Überreste an. Da war ja nichts mehr davon übrig außer wenigen Knochen. Er entfernte die schwarzen, kümmerlichen Reste von Holzbalken. Mit einem Handbesen fegte er vorsichtig über das, was einmal ein Mensch war. Die nasse, anthrazitfarbene Masse ließ sich nur mühsam entfernen. Nur er konnte nicht zu doll aufdrücken, da ansonsten die Skelettteile verrückten oder eventuell zerstört wurden. Die Überreste würden später in der Gerichtsmedizin gewaschen. So wie die Teile lagen, besonders Becken und Oberschenkel, konnte man davon ausgehen, dass die Person seitlich mit angewinkelten Knien gelegen haben musste.

Er knipste.

„Moin.“

„Moin. Kommt her. Zieht vorher neue Handschuhe an. Anschließend breitet einer draußen, wo es trocken ist, drei Auflagen aus. Einer kommt fotografieren und bringt Nummern mit. Ein anderer steht parat, um die einzelnen Skelettteile auf die Auflage zu legen, genauso, wie sie hier liegen. Da kommen wiederum Nummern ran. Nochmals fegen und Bilder. Das alles in zwei Stunden.“ Er legte den Fotoapparat weg, sah sich um. „Rolf, du darfst säubern, fotografieren. Martin, du bist draußen für die Skelettteile zuständig“, reichte er ihm die drei Auflagen. „Olaf, du der Träger. Sind nicht mehr Leute da?“

„Eike, es ist Samstag. Helmut und Jacob fotografieren bereits im Haus, kommen gleich her, da sie fast fertig sind.“

„Wem sagst du das? Trotzdem benötigen wir noch zwei Helfer. Die Asche muss gesiebt, besser die Mansch durchwühlt werden. Da könnte Schmuck, Schlüssel, Knöpfe, Reste von sonstigem Kram drinnen liegen, selbst kleine Knochenteile.“

„Ich rufe an“, Christian Hansen sofort.

„Sagen Sie ihnen bitte, sie möchten eine Kiste Selters mitbringen. Die Luft kratzt im Hals. Danke.“

Er schaute den Männern zu. „Geht nicht querfeldein. Nur ein Trampelpfad, sonst bekommen wir Ärger mit den Brandexperten. Schau bitte jemand nach, ob hier irgendwo Bretter herumliegen, die man zum Schutz hinlegen kann.“

„Erledige ich“, rief ihm Olaf zu und verschwand eilig.

Er nahm vorsichtig den Schädel heraus, drehte ihn, sah seitlich eine Art Einkerbung. Er pustete, aber die schiefergraue, feuchte Pampe klebte fest daran.

„Doktor Hansen, können Sie bitte kommen?“, stand er auf, hielt ihm den Kopf hin. „Mord. Das kommt nicht vom Fallen, da hat jemand nachgeholfen. Schätze Hammer. Muss genauer ausgemessen werden.“

„Männlich – weiblich?“

„Weiblich, wenn man die Größe berücksichtigt. Das Becken, klein, zierlich. Könnte sogar eine Jugendliche sein oder eben Stine.“

„War sie vorher tot?“

„Keine Ahnung, vermutlich ja. An der Art Kopfverletzung wäre sie generell rasch verstorben. Martin, schaff ihn raus“, hielt er ihm den Kopf hin. „Die Person lag mit der beschädigten Kopfseite auf dem Boden. Könnte ich Kohlepartikel in der Luftröhre nachweisen, wüssten wir es. Nur die gibt es nicht. Wir müssen auf genügend Knochenmark hoffen, damit sie später die Identität feststellen können. Weiß jemand, was hier drinnen stand?“

Keiner antwortete.

Er nahm einen Teil eines Oberarms, fegte nochmals darüber. Diese Masse haftete jedoch zu fest daran. Erst wenn die getrocknet war, konnte man die leichter beseitigen.

„Oberarm. Nachher konstruieren wir das anhand der Fotos. Das muss wie der Teufel gebrannt haben. Es gab normalerweise mindestens zwei Ausgänge. Angenommen sie hörte in der Nacht Geräusche, geht sie aus dem Haus, Sie ruft. Niemand zu sehen, ginge sie wieder hinein. Nein, sie läuft nur mit Nachthemd bekleidet zu der Scheune, öffnete die Tür, ruft, geht sogar hinein?“

„Sie hörte ein Geräusch aus der Scheune, will nachsehen.“

„Oder so. Doktor Hansen, hier sehen Sie es, eindeutig Frau“, deutete er auf den Beckenknochen.

Helmut, der Jüngste der Husumer Polizei, guckte das interessiert an. „Moin, Eike. Bretter gibt es nirgends. Drüben die Scheune ist fast vollständig leer. Ein Personenwagen, ein Damenfahrrad, zwei Kinderfahrräder, aber die sind eingestaubt. Sonst nur noch ein großer uralter Schrank. Wieso sieht man, dass das eine Frau war?“

„Die weiblichen und männlichen Becken unterscheiden sich deutlich. Während bei der Frau die beiden Beckenschaufeln ausladender sind und das Hüftbeinloch eine eher dreieckige Form hat, ist das männliche Becken hoch, schmal und eng. Auch der Beckenausgang ist beim weiblichen Becken breiter und der Winkel der Schambeinfuge ist größer als 90 Grad, während sie beim männlichen Becken kleiner ist. Olaf, jetzt vorsichtig mit dem Teil und achtet darauf, nur einen Trampelpfad.“

„Die Kollegen kommen.“

„Gummistiefel an, aus meinem Wagen Sieb und Schippchen holen. Sie dürfen heute Kinder spielen, sollen allerdings Handschuhe an und ihre Jacken ausziehen. Helmut, bringe Martin die Kamera, damit er die Teile platzieren kann, später kommen die Nummern daneben. Danach gibt dir Rolf den übrigen Korpus, die Oberschenkelknochen, die restlichen Teile. Gehe ich zu den anderen Toten, sonst schaffen wir es nicht. Jacob, bring mir bitte deinen Fotoapparat rein. Nehme ich den einstweilen. Olaf, du kommst mit mir und Handschuhe wechseln“, zog er seine aus, warf die beiseite, schlüpfte in Neue.

„Herr Klaasen, ich bin gegen zehn Uhr zurück.“

Er nickte nur, suchte die beiden anderen Leichen.

„Moin. Ihr dürft gleich an der Stelle, wo Rolf hockt, den Moder Zentimeter für Zentimeter untersuchen, in das Sieb schaufeln, nachsehen, ob kleinere Gegenstände dabei sind. Anschließend kippt es seitlich nach draußen auf einen Berg. Martin, wurde um die ehemalige Scheune alles fotografiert?“

„Erledigt. Nichts. Kein Fußabdruck, da lag nichts. Nur Steine mit Gras dazwischen.“

„Danke. Also raus. Da kann Metall zwischen sein, aber auch Knochenüberreste. Die bekommt Martin. Anschließend muss hier hinten ein noch größerer Bereich abgesucht werden. Wir müssen damit bis gegen 10.00 Uhr fertig sein“, gab er Kerstin und Rüdiger Anweisungen. „Danach habt ihr wieder Freizeit. Martin, bei jedem anderen Leichnam bitte die Handschuhe wechseln, damit da nichts übertragen wird. Danke.“

„Was ist passiert? Wieso bist du überhaupt da?“

„Rüdiger, weil der Doc nicht kann, es drei Tote gibt und niemand weiß, was hier wirklich passiert ist, außer dass alles abgefackelt ist.“

„Verstehe ich nicht, die war doch leer?“

Eike schaute zu dem Kollegen. „Woher weißt du, dass sie leer war?“

„Weil Angela und ich vor drei Wochen bei Stine waren, da sie einen uralten Schrank verkaufen wollte. Er war das einzige Teil, das hier drinnen stand. Ist sie etwa unter den Toten?“

„Vermutlich. Sie ist nicht anwesend und das Haus war nicht abgeschlossen.“

„Scheun ´n Schiet!“

„Rüdiger, das musst du mir nachher erzählen. Ich fege, du stellst Zahlen hin, knipst“, wandte er sich nun an Olaf. „Rüdiger, du kannst uns einstweilen helfen, bis Rolf so weit ist. Leg die Teile auf die Matte. Sortieren tun wir sie später.

Mutter und Kind. So wie der Kopf des Kindes lag, musste der auf dem Schoß der Mutter gelegen haben. Das war schon gruselig, wenn er sich so ein Lüttes vorstellte, was sich ängstlich an die Mutter schmiegte. Er stellte die Zahlen auf, fotografierte.

Sie waren gerade fertig, als der Oberstaatsanwalt und die beiden Brandsachverständigen eintrudelten.

„Moin. Und?“

„Moin. Stefan, du sagst uns ganz fix, was die Ursache war“, grinste Eike den Mann an, hielt ihm die schmutzige Hand hin.

Der lachte: „Verzichte ich heute darauf. Viel liegt hier ja nicht rum. Drei Tote?“

„Eindeutig zwei Frauen, ein Kind. Frau eins um die 160 Zentimeter. Könnte Christine Fries sein. Da alles schmal ist. Frau zwei, vermutlich die Mutter des Kindes, um die 180 Zentimeter. Kind um die 110 Zentimeter.“

Der musterte die spärlichen Überreste. „Seid ihr mit der Suche fertig?“

„Fast. Sie haben die Pampe durchsucht. Nur auf der rechten Seite war noch niemand, da liegen die Balken und so, wie es der Brand zurückgelassen hat. Links bekommst du Fotos, wie wir es vorfanden. Die Holzteile, welche auf den Opfern lagen, habe ich in gleicher Höhe zur Fundstelle abgelegt. Nummern stehen dabei. Die Zeit fehlte dazu.“

„Uwe, fang schon an. Beginne rechts“, gab Doktor Stefan Berensen dem Kollegen, der bereits ganz in einen weißen Plastikanzug gehüllt war, Anweisung. „Zwei Herren von der Polizei helfen dir. Nicht die Lady“, schmunzelte er. „Ziehen Sie bitte saubere Handschuhe an.“

„Stefan, wenn du das so siehst, was denkst du?“, Eike trank durstig das Mineralwasser, betrachtete den Freund.

„Brandstiftung. Da kann ja nicht viel drinnen gestanden haben, oder wenn, nur gut brennbare Materialien. Hier gab es weder Heu noch sonstiges solches Zeugs, außer auf einem Oberboden, falls vorhanden. Soviel ich weiß, standen da früher Trecker und die anderen Teile dazu drinnen. Futter, Stroh lagerten immer drüben bei den Ställen. War ja auch logisch. Sie wären im Winter zu Tode gerannt, wenn sie das immer quer über den ganzen Hof hätten schleppen müssen.“

Eike drehte sich um, als es lärmte. Der Brandexperte, nun mit einer Kamera um den Hals, legte einen schwarzen verkohlten Dachbalken seitlich hin. „Helmut, die Nummer eins. Der ist ganz wichtig.“

„Danke. Ist auch meine Theorie. Davon muss er viel verwendet haben, wenn ich mir die … Schiet!“ Er betrachtete die Knochen von Opfer Nummer eins, hockte sich nun hin. „Rolf, bring uns bitte neue Handschuhe“, knurrte er verärgert, „und den Besen.“

„Was hast du?“

„Stefan, guck es an. Da wurde gesägt, abgehauen oder so.“

„Schiet“, ging der ebenfalls in die Hocke. „Da ist eine ganz gerade Kante. Kann ja nicht sein.“

„Eben. Ist keinen von den Dösbaddel aufgefallen.“

„Deswegen hat er dich ja geholt. Nehmen wir an, es ist Stine. Er haut ihr eine rüber, sie fällt, ist tot. Warum säge ich ihr die Beine ab? Das dauert doch.“

„Eventuell ist sie schon am Tag gestorben? Er hat nur mit dem Brand bis zum Abend gewartet. Hier kommt doch niemand her, außer den wenigen Leuten, die mit ihr befreundet waren. Die wurden in den letzten Jahren stets weniger.“

Rolf reichte ihm ein Paar Handschuhe. Er blickte ihn fragend an, konnte gerade noch einen harschen Kommentar unterdrücken. Er reichte einen Stefan, schlüpfte in den anderen hinein. Vorsichtig schoben sie die dunkelgraue Schicht beiseite. Durch die Sonnenstrahlen der frühen Morgensonne war ein Teil bereits getrocknet und fiel zerbröselt auf die weiße Auflage. Eine gerade Schnittkante kam zum Vorschein.

Er blickte kurz hoch. „Rolf, mache davon einige Aufnahmen.“

„Warum säge ich vorher an einem Menschen herum, den ich verbrennen will?“

„Gut Frage, Stefan. Weil ich pervers bin? Weil ich eine Macke habe? Weil ich der Frau damit zeige, wie es ihr ergeht, wenn sie nicht spurt? Zum Beispiel, als er Sex forderte, das Kind zu laut schrie? Weil ich …“

„Kommt mal jemand von der Kripo“, rief Uwe laut.

Sie rannten alle hin und Eike seufzte. „Noch jemand?“

Sie eilten zu der Stelle, wo man ein Stück eines Schädels sah.

„Was war hier los? Massenveranstaltung? Kaffeekränzchen?“

„Rolf, sieht so aus. Martin, fotografieren, danach Balken weg. Rolf, du erst die Fotos von der Nummer eins“ guckte er nach vorn, sah Doktor Hansen bei dem Leichnam hocken, wie der vorsichtig mit dem Besen den Knochen bearbeitete. „Kerstin, ich habe keine Unterlagen mehr, musst du welche im Büro holen. Bringe gleich einen Karton Handschuhe mit. Danke. Zurück zu dem Brand. Hier sind drei Leute plus Täter. Christine Fries bemerkt das, geht rein, fragt nach. Man schlägt vermutlich mit einem Hammer zu. Sie fällt, ist tot. Nun sägt oder hackt man ihr die Beine ab. Zwei Erwachsene und ein Kind schauen dabei zu, rennen nicht weg? Atypisch. Sehe ich einen Mord, laufe ich weg, schicke zumindest mein Lüttes fort, da ich weiß, ein Mörder benötigt keine Zeugen, außer ihre Ermordung war von allen gemeinsam geplant. Warum entferne ich die Beine? Warum muss bei so einer Tat ein Kind anwesend sein? Wieso schaffte es niemand von den übrigen Personen, rauszulaufen? Es fängt irgendwo an zu brennen, Ursache vorerst schietegal. Ich sehe Feuer, da renne ich doch nicht nach hinten, weg vom Ausgang.“

„Sie haben hier gepennt, bekamen dadurch nichts mit“, ging Stefan näher hinein.

„Stefan, so kann es nicht gewesen sein. Komm ein Stück näher, zeige ich dir, wo wir drei Leichen fanden. Jetzt siehst du es besser. Eins separat. Ich vermute, es könnte Christine Fries sein. Schmales Becken, kleiner Wuchs. Egal wer, sie wurde eindeutig ermordet. Sie hat eine Wunde am Kopf. Nicht erklärbar, da hier nicht ein scharfkantiger Gegenstand gefunden wurde. Holz schließe ich komplett aus. Sieht mehr nach einem Schlag mit einem Hammer aus. Die Beine wurden entfernt. Die Tatwaffen - bisher nicht gefunden. Zwei und drei näher beieinander. Mutter und Kind vermutlich. Siehst du alles genau auf den Fotos. Die spielen wir dir nachher zu.“

Doktor Hansen warf die Handschuhe auf den Stapel Plastik, ging zu seinem Wagen. Eike betrachtete den groß gewachsenen, schlanken Mann. In der legeren Kleidung wirkte er wesentlich jünger als 65 Jahre.

„Die Person, die Uwe fand, ist der Täter. Hier entzündete sich etwas durch einen Brandherd. Kann verschiedene Ursachen haben. Zigarette, Kerze, Feuerstelle für warmes Wasser, et cetera. Sie gehen schlafen. Es qualmt zunächst und sie atmeten das ein. Sie können nicht mehr handeln und Exitus“, erklärte Stefan.

„Da wurde gehackt, nicht gesägt. Eine ganz gerade Schnittfläche, falls ich mich nicht gänzlich täusche. Ein Teil ist dabei angekokelt.“ Doktor Hansen schlug die Akte auf. „Der erste vorläufige Bericht. Getippt mit ordentlicher Zeichnung bekommt ihr am Montag. Hat der Hamburger Autofahrer so aufgezeichnet. Der Mann erzählte, ihm wäre bereits vorher schon etwas Helles, Rötliches aufgefallen. Der Himmel sah da anders aus. Er kam um die Kurve, sah es brennen, rief die Feuerwehr an. Danach ist er abgebogen, hingefahren, hat gerufen. Weiter heißt es von ihm: Als er ankam, war die vordere Front hell erleuchtet, da krachten gerade irgendwelche Bretter runter. Funken flogen durch die Luft. Er befürchtete, die könnten einen der Bäume treffen, die dadurch ebenfalls Feuer fingen. Bedeutet, der Brand ist im vorderen Bereich entstanden.

Er ist zuerst zu dem Wohnhaus gerannt, klopfte, brüllte Feuer. Als sich niemand meldete, ist er um das Haus gelaufen, hat an die Fenster gehämmert, gerufen. Da war hinten von der Scheune noch alles heil. Keine Flammen. Die linke Seite stand auch noch bis auf einen kleinen Teil. Auch da rief er, schlug mit der Faust dagegen, hörte nichts. Das Feuer, so sagte er weiter, breitete sich rasend schnell an der Hausseite noch hinten aus. Er fotografierte wieder. Er drehte um, nochmals zu dem Wohnhaus, wo er an die Fensterläden hämmerte, rief. Vorn angekommen sah er bereits auf der Straße die Feuerwehrautos ankommen. Es gibt die Handyfotos von allem. Die hat er Martin sofort übertragen. Sind diese Dinger wenigstens zu was nützlich und nerven nicht nur zu den unmöglichsten Zeiten, unpassendsten Gelegenheiten.

Martin und Olaf erschienen fast zeitgleich mit den Feuerwehrwagen. Sie durchsuchten Haus, Scheune, brachten das Vieh raus. Nun nahmen sie die Aussage des Mannes auf. Sie stellten noch Futter und Wasser für die Viecher hin, fuhren Streife. Der Zeuge war da bereits abgefahren.

Als die Kollegen von der Feuerwehr eintrafen, haben die zuerst versucht die Flammen links einzudämmen, damit das Wohnhaus nicht erfasst wurde. Die Scheune brannte da bereits von allen Seiten lichterloh.

Als sie fertig waren, sie kontrollierten, ob nichts mehr glimmte, sind ihnen die Leichen aufgefallen. Gemeldet wurde der Brand um 3.17 Uhr. Sie benötigten etwa, zwölf, dreizehn Minuten, bis sie hier waren. Löschen. Gegen 5.06 Uhr fanden sie die Leichen, informierten die Polizei. Der erste Streifenwagen erschien etwa zwölf bis fünfzehn Minuten darauf. Martin guckt sich das an, rief die Kollegen, mich an. Jacob war gegen 5.24 Uhr vor Ort, Rolf zwei, drei Minuten später. Jacob hat da extra auf die Uhr geschaut.

Nun Folgendes. Wir hatten eindeutig Westwind, wenn auch nicht sehr Starken. Das Feuer bricht vorne aus, warum vorerst egal. Nehmen wir an, in der Nähe des Tores. Der Wind treibt die Flammen seitlich weg, Richtung Ende der Scheune. Die Vorderfront, alles Holz, brennt fix weg. Das Feuer frisst sich oben von Balken zu Balken. Dass alles dauerte, so wie es der Zeuge beschreibt, circa 15 Minuten. Herr Petersen und die Feuerwehrleute bestätigen, als sie ankamen, brannte die Scheune vorn, die rechte Seite und das Dach lichterloh. Hinten begann es erst von unten, seitlich, über den Dachstock zu brennen. Sieht man auf den Bildern.

Bedingt durch den Wind, das Wohnhaus, erhöhte sich die Rauchentwicklung in der Scheune. Diese zwei Personen, Mutter und Kind, die du links gefunden hast, waren eigentlich auf der sichersten Seite. Da war eine kleine Tür. Warum sind sie nicht raus? Selbst wenn die abgeschlossen war, kriegt man die auf. Diese Scheunen sind alt, marode, zumal hier seit Jahren nichts mehr aufgearbeitet wurde, die Dinger leer standen. Selbst eine Frau tritt da zweimal dagegen und die Tür ist offen. Bist du in Panik, hast Angst, du verbrennst, entwickelst du generell mehr Kräfte, schaffst Dinge, von denen du nie eine Ahnung hattest, dass du das bewältigst. Das ist einfach der Überlebenswille. Bei einer Mutter mit Kind ist das noch ausgeprägter. Ich vermute, diese Tür war generell nicht abgeschlossen“, klappte Christian Hansen die Kladde zu.

„Mit anderen Worten, die Leute wurden vorher ermordet?“, forschte Stefan nach.

„Doktor Berensen, gehen Sie davon aus, zumindest mit Schlaftabletten oder Ähnlichem betäubt, könnte zutreffen. Das Feuer wurde zur Beseitigung der Leichen gelegt. Nicht erwiesen, nur meine Theorie.“

„So, nun mache ich mich an die Arbeit, sonst bekomme ich Ärger mit meiner Frau, da wir am Nachmittag Besuch bekommen. Wir benötigen generell noch einen weiteren Tag. Morgen ist das alles trockener und lässt sich leichter entfernen, ohne markante Indizien zu verwischen. Wolltest du nicht mit deiner Familie nach Rømø?“

„Torben und Nika sind noch dort, kommen mit Florian zurück. An dem Wochenende ist Drachenfest. Mein Junior redet seit zwei Wochen von nichts anderem. Er ist groß, will kiten und da gibt es die passenden Drachen dafür. Ist schön und brauch er. Noch Fragen?“, lächelte er.

„Sei froh, dass er noch so klein ist. Meine Kids benötigen neue Handys und so einen Mist, dass zweimal im Jahr. Ich sage Nein, meine Mutter kauft es ihnen. Völlig verzogen werden sie dadurch. Breesig! Gehe ich an die Arbeit.“

Eike fotografierte, holte die Überreste des Toten heraus, von dem ein wenig mehr übrig geblieben war. Ein Mann. Dessen Körper bekamen sie fast komplett zusammengesetzt. An einem Fuß gab es sogar verschmorte Überreste von einem Schuh. Bei der näheren Durchsuchung der nassen Masse daneben fanden sie einen Klumpen Plastik mit Metall darinnen, sowie einen Schlüsselbund, den die Beamten seitlich entdeckten. Das wurde in Tüten gesteckt, da das KTI die Dinge untersuchen musste.

Die mit Schlamm verkrusteten Leichenteile wurden nun anhand der Fotos platziert, die entsprechenden Nummern dazugestellt. Alles sollte so aussehen, wie man die Skelettteile gefunden hatte.

Nachdenklich betrachtete er die Überreste des männlichen Leichnams. Entweder täuschte das oder ein Oberschenkel war kürzer. Auch er wurde mehrmals von allen vier Seiten geknipst.

„Irgendwie sieht der Mann aus, als wenn er eine Behinderung hatte. Schau dir die Oberschenkel an. Der eine ist kürzer, aber die Knochen dicker.“

„Täuscht oder doch Behinderung“, stellte Rolf fest.

Eike holte aus dem Koffer ein Maßband, hielt es ran. „Eindeutig 118 Millimeter kürzer. Der Dreck am Stumpf ist zu dick und ich will da nicht schaben, aus Versehen etwas beschädigen. Eventuell könnte man dort mehr sehen.“

„Wie alt schätzt du das Kind?“, erkundigte sich Kerstin.

Er zuckte mit der Schulter. „Fünf bis acht. Schmal gebaut. Die Zahnlücke vorn schließt mehr auf fünf, sechs, sieben Jahre. Da fallen die Milchzähne aus. Ich vermute ein Mädchen. Gewalteinwirkung weder bei ihr noch bei der mutmaßlichen Mutter so sichtbar.“

Nun konnten sie abtransportiert werden. Solange wartete der Oberstaatsanwalt, bevor er sich verabschiedete.

„Rüdiger, Kerstin, ihr dürft nach Hause. Den Rest schaffen wir allein. Sperrt bitte vorn an der Zufahrt zum Hof alles ab. Das Band legt hin, befestigen wir nachher an der anderen Seite. Rüdiger, reden wir am Montag. Martin und Olaf bleiben hier, die anderen dürfen in Husum für Ordnung sorgen, sonst denken die Bürger, unsere Polizei schläft. Rolf, du fährst ins Büro, versuchst, Angehörige von Christine Fries zu finden. Sie müssen informiert werden. Druck mir von allen Angehörigen einschließlich Ehemann und Sohn die Infos gleich aus und leg sie mir hin. Danach hast du Bereitschaft, kannst nach Hause fahren. Gehen wir ins Haus, sehen uns dort näher um.“

Das Schloss der Haustür unversehrt, der Schlüssel steckte außen. Er suchte zuerst ihr Schlafzimmer auf. Das Bett zerwühlt. Er rief nach Martin. „Guck dir das an. Sieht wie absichtlich gemacht aus, oder?“

„Da muss Stine sehr unruhig geschlafen haben. Sie war etwa 1,60 Meter, wog 50 Kilo. So sieht es bei mir aus, wenn ich mit Karen getobt habe. Snaksch! Das wurde alles irgendwie inszeniert. In der Küche steht ein Kaffeepott, wo noch etwas Milch drinnen ist. Nur am Rand keinerlei Spuren, dass da jemand getrunken hat. Haben wir bereits verpackt. Geknipst ist alles.“

„Müssen wir alles abkleben. Olaf soll einen Korb holen und alle Papiere, Ordner reinstapeln. Die kommen ins Büro. Ich beginne mit ihrem Schlafzimmer, du Wohnzimmer.“

Am späten Nachmittag waren sie endlich fertig. Eike fuhr kurz ins Büro, druckte die Angaben des Hamburger Zeugen aus, nahm die Seiten der Familie Fries mit, anschließend ging es nach Hause. Amund, der sechs Monate alte Schäferhund, kam sofort angerannt.

„Freust du dich?“, streichelte er ihn. „Na, komm mit rein.“

Vorn standen die Stiefel von Torben und er musste schmunzeln. Die mochte sein Lütter nicht, hatte sie heimlich aus dem Auto geräumt. Die Dinger konnte er wegwerfen, da er die nie anziehen würde. Er fasste einen Entschluss, rief in einem Restaurant an, bestellte Essen für 15 Personen. Nun Florian und kurz duschen.

Mit dem Hund ging er zu seinen Großeltern, berichtete kurz.

Er warf die dünne Akte auf den Beifahrersitz, holte das Essen ab und raste mit Blaulicht Richtung Dänemark.

Sofort kamen die Kinder angerannt. Er nahm Torben auf dem Arm, gab ihm einen Kuss, hörte das aufgeregte Geplapper der sieben Kinder. „Holt eure Väter“, unterbrach er sie. „Sonst ist das Essen kalt.“

„Papa, ist schön.“

„Zeigst du mir nachdem Essen. Ich habe uns etwas Leckeres mitgebracht“, stellte er ihn runter, begrüßte die Männer. „Beeilen wir uns, sonst ist alles kalt.“

„Du bist aber fix hier.“

„Björn, für was habe ich Blaulicht und Sirene?“, grinste er. Er ging zu Nika, nahm sie in den Arm, küsste sie ausgiebig.

„Was war?“, erkundigte sich Staatsanwalt Frederik Kerper beim Essen.

„Scheunenbrand mit vier Opfern. Jetzt habe ich allerdings Feierabend. Bearbeitet generell Doktor Hansen“, schüttelte er verärgert den Kopf. Sollte er nun vor den Kindern von den Leichenteilen erzählen?

„Du hättest mich mitnehmen müssen.“

„Man spricht nicht mit vollem Mund. Ich muss irgendwann sterben, sonst nichts. Hätte dich dein Vorgesetzter, Oberstaatsanwalt Doktor Hansen, benötigt, keine Ahnung für was, außer zum dusselig herumstehen, hätte er dich sicher informiert. Resümee: Keiner benötigt dich.“

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fuhren sie alle zum Strand. Es gab da ein spezielles Highlight. Nachtflug mit  Drachen. Die von Lampen angestrahlten Drachen sahen wirklich fantastisch aus, schafften eine ganz besondere Stimmung. Nicht nur die Kinder waren von der Darbietung begeistert.

Die Kinder fielen entsprechend müde ins Bett. Nika und er zogen sich ebenfalls zurück. Sie wollten den Abend zu zweit genießen.

~~~

Am Sonntagmorgen hatten die Kinder länger geschlafen. Eike und Nika deckten den Tisch, während Torben ihnen erzählte, dass der Drachen, den gestern Regina für ihn gekauft hatte, falsch wäre. Der muss so gerade sein, wusste er. Zum Kiten ginge der nicht, stimmten auch die anderen Kinder zu.

„Gucke ich mir später an. Geh zu anderen so lange.“

Florian und Björn grinsten ihn an.

„Witzig. Wo ist eigentlich Kerstin?“

„Brötchen holen. Doktor Kerper ist schließlich nicht jeden Morgen unser Laufbursche.“

„Er spinnt“, stellte Eike fest. „Es gibt eine klare Aufgabenregelung. Sollte er nachlesen.“

„Danke, Eike. Ist das alles, was du von dem Brand hast?“, kam er mit der Akte und dem Fotoapparat herein.

Der guckte ihn perplex an. „Wie bist du an die Sachen gekommen?“

„Da ich nicht so lange penne oder eine Tussi befriedigen muss, habe ich mir die Sachen geholt. Ich bin dein Vorgesetzter und dem hast du Bericht zu erstatten. Seit wann benutzt ein Beamter die Kamera für private Fotos von irgendwelchen Gespielinnen, dem Adoptivsohn? Nicht ein Foto ist da von dem Tatort, den Leichen drauf. Schlampige Arbeit. Hast du vor Ort gepennt oder was? Das hat ein Nachspiel, dafür sorge ich.“

Sybille lacht. „Sei froh, dass dieses … diese Person sich nicht noch ganz auszog. Widerlich.“

„Du stiehlst meinen Autoschlüssel? Das hat ein Nachspiel, allerdings für dich“, nahm er ihm die Sachen ab, legte sie auf den Küchentresen, griff zum Handy. „Mal sehen, was dein Chef dazu sagt. Er bearbeitet den Fall, nicht du.“

„Leg das Handy weg. Das hat …“

„Moin, Krischan. Wer bearbeitet den Brand? Doktor Kerper?“ „Aha, nein. Er hat mir den Autoschlüssel gestohlen, aus dem Auto meine private Kamera entwendet, dazu die Unterlagen von dir.“ „Ja, Diebstahl, dazu Beleidigung von Frau Doktor Stern und meinem Sohn. Krischan, ich zeige das an. So nicht!“ „In Ordnung. Schicke ich direkt zu euch ins Büro. Zeugen benenne ich ebenfalls dazu.“ „Danke. Euch auch.“

„Eike, du hast vergessen, zu sagen, dass es die Kamera der Justizbehörde ist.“

„Du lügst, Frederik. Die bekam Eike von seinen Großeltern zum Geburtstag. Canon hat nicht nur ein Stück davon produziert. Dass ihr klaut, weil ihr vor Neugier platzt, nur abscheulich. Wenigstens weiß die Justiz, dass deine tolle Frau Unterlagen der Justiz liest. Sage ich so mit aus. Haut ab, da ihr uns nervt, ihr faulen verlogenen …“

„Björn, nicht“, schüttelte Eike den Kopf, da die Kinder hereingerannt kamen, Tüten in der Hand hielten. „Das wird vor Gericht geklärt. Meinen Autoschlüssel“, hielt er die Hand auf. „Ich gucke nachher nach, was noch gestohlen wurde, nehme Fingerabdrücke, wo man in meinem privaten Wagen überall herumwühlte. Ich glaube, ich spinne!“

„Frederik, das müssen wir uns nicht gefallen lassen!“, keifte Sybille.

„Eike dreht durch. Das wirst du gefälligst unterlassen, dafür kein Dienstmaterial verwenden.“

„Nein? Frage ich Doktor Hansen, ob ich jetzt keine Spuren mehr zu einem Diebstahl feststellen darf“, griff er abermals zum Telefon.

„Du blöder Idiot, was willst du damit erreichen?“

„Diebstähle aufklären“, entfernte er sich ein wenig. „Das nennt man übrigens Beleidigung und das noch vor Zeugen. Macht sich gut, Herr Staatsanwalt.“

„Ruhe. Wir frühstücken“, Regina nun. „Eier sind fertig. Frederik, Sybille, für euch sind keine mehr da, da ihr nichts eingekauft habt.“

„Nehmen wir uns die von Ole und Jan.“

„Nee Mama. Das ist gemein, nur weil du nichts machen willst.“

„Nein, ihr esst die“, Frederik nun. „Schluss mit dem Zirkus, Bille!“

Eike setzte sich. „Ich darf und muss, sagte dein Vorgesetzter. Torben, ich schneide dir das Brötchen auf. Mohn?“

Eike griff nach dem Fotoapparat, schaute in dem kleinen Monitor nach. „Seid ihr bekloppt?“, brüllte er. „Ihr habt meine Fotos gelöscht?“

„Was haben die auf einem Dienstapparat zu suchen?“, Sybille schnippisch. „Es waren nur blöde Nacktbilder.“

„Du hast waaass?“, Frederik nun.

„Ja, alle gelöscht. Hast doch gesehen, was das für ekelige Schmuddelfotos waren. Du musst das sowieso melden.“

„Schmuddelfotos von den Kindern, meinem Sohn, meiner Freundin, meinen Freunden? Ich benötige keine Nacktfotos, noch nie. Das nennt der Gesetzgeber nicht nur Diebstahl, Datenmissbrauch, sondern Sachbeschädigung. Wird richtig ernst für euch. Zwei Anzeigen innerhalb von wenigen Monaten. Das für einen Staatsanwalt und seine Frau.“

„Blödmann. Mein Mann ist dein Vorgesetzter, Staatsanwalt, bald Oberstaatsanwalt.“

„Florian, gehen wir nachsehen, ob diese Kriminellen uns auch bestohlen haben, unsere Bilder löschten, nur weil diese Menschen nicht wissen, dass es mehr als eine Kamera gibt. Dass hier solche dusseligen Leute verkehren, echt abscheulich.“

Björn und Florian verließen den Raum.

„Alles nur wegen dir, Eike und weil du uns hier so eine … anschlepptest. Die spinnen ja. Ich lasse mich nicht beleidigen, werde das anzeigen.“

„Schluss jetzt!“, Frederik wütend.

Eike sah zu den Zwillingen, erwiderte nichts. Nicht vor den Kindern.

Das Drachenfestival mit Tausenden Teilnehmern war nicht nur für Kinder jedes Jahr wiederkehrend ein schönes Erlebnis. Im Hintergrund entweder eine Dünenlandschaft oder die Nordsee, mit dem breiten Strand bildete dafür eine atemberaubende Kulisse. Über die Jahre hatte sich das Fest zum größten Drachenfestival Nordeuropas entwickelt, das Menschen aus dem gesamten nordeuropäischen Raum anlockte. Es war faszinierend die farbenprächtigen Flug- oder Lenkdrachen in allen Größen und Formen über dem Himmel von Rømø, am Strand von Lakolk, zu bewundern, schweben zu sehen.

So sahen sie es, als sie zum Strand fuhren. Die Kinder zeigten in alle Richtungen, weil sie dort coole oder tolle Drachen im Wind segeln sahen.

„Die Gebilde werden immer kurioser“, stellte Björn leise fest.

„Jeder will eben zeigen, welch fantasievolle Drachen er gebastelt hat. Guck, sogar welche aus dem Herr der Ringe siehst du da hinten. Ich finde es lustig.“

„Papa, nachher ist ein Wettbewerb beim Drachen steigen lassen. Musst du mitmachen.“

„Dominik, so gut bin ich nicht. Macht Eike.“

„Juhu. Papa macht das“, Torben sofort.

„Vergesst es. Da blamiere ich mich doch nicht. Das sind richtige Freaks bei dem Geschicklichkeitswettbewerb.“

„Papa, musst du machen“, nickte Torben mit dem Kopf.

„Nun kannst du nicht kneifen“, Nika schmunzelnd.

„Papa, macht das auch, oder?“, der 4-jährige Reuben, Björns Sohn. „Musst du machen, Papa.“

„Musst du“, Eike grienend.

„Björn, Eike und Papa nehmen daran teil“, Regina nun.

„Genau und wir feuern sie alle an“, stimmte Kerstin zu.

Die Kinder jubelten, die drei Männer schauten sich an, zuckten mit den Schultern.

„Machen wir uns zum Affen“, stellte Florian fest.

Natürlich wurde es ein Reinfall, aber die Kinder waren trotzdem stolz auf ihre Väter, weil sie nicht gekniffen hatten, wie der 6-jährige Bastian, Florians Sohn, wusste. Eike kaufte für die Jungs kleine Matten, die sie gleich ausprobierten. Birte, als einziges Mädchen, bekam dafür einen rosafarbenen Armreif.

Nachmittags fuhren sie zum Haus zurück, sahen den noch gedeckten Frühstückstisch. Nichts hatten Sybille und Frederik weggeräumt. Der Pool war offen, Stühle standen draußen herum.

„So nicht!“, tobte Florian. „Nun ist Schluss. Ich will nicht mehr. Die führen sich hier wie die Kings auf und wir müssen den Mist wegräumen. Dazu permanent dieses dusselige Gelaber, ihre Intrigen. Es reicht. Lasse ich meiner Frau und mir das Wochenende von solchen Dusseln versauen?“

„Nicht jetzt. Klären wir, ohne dass die Lütten dabei sind“, Björn sofort.

~~~

Im Büro fand er am Montagmorgen einige Faxseiten von der Feuerwehr vor und las diese, nachdem die Kaffeemaschine zu blubbern anfing. Die musste entkalkt werden, registrierte er unbewusst, ganz auf die Aussage des Zeugen konzentriert. Es war jedoch nicht viel mehr, als was ihm der Oberstaatsanwalt am Samstag mitgeteilt hatte. Als er gestern auf der Heimreise war, hatte er aufgepasst, aber die Beschreibungen des Hamburgers konnten so zutreffen. Ihm war da nichts aufgefallen, was nicht stimmig war. Trotzdem gab es ein Problem. Wie war der Täter, waren die Täter, von dort weggekommen? Zum Hof gab es nur diese eine Zufahrt, kein weiterer Feldweg führte vom Haus weg. Spuren auf der angrenzenden ehemaligen Weidefläche, gaben es keine. War er ein Stück ohne Licht gefahren? Er suchte die Zeichnung, trug die Kilometerangaben ein, die Nika gestern notiert … Die Tür wurde aufgerissen. „Moin.“

„Rolf, irgendwann kriegst du eine. Moin. Türen öffnet man normal, ohne dass der ganze Bau zusammenfällt.“

„Marc kann schon plappern“, strahlte der.

„Fein. Er plappert nicht, sondern brabbelt irgendwelche Töne. Normal mit vier Monaten.“

„Er ist noch keine vier Monate, erst drei Monate 22 Tage.“

„Weiß du die Stunden nicht? Du nervst. Er entwickelt sich so wie Milliarden Babys auf der Welt. Dass ihre Kinder sich irgendwie artikulieren, stellen gerade Millionen Menschen fest, ohne dass deswegen Türen knallen.“

„Hast du dich bei Torben nicht darüber gefreut?“

„Sehr, aber leiser. Deswegen steht auch das Haus noch. Ob es bei dir in zwei Jahren noch existiert, bezweifle ich“, musste er doch schmunzeln.

„Weißt du, jeden Tag kommt etwas Neues hinzu. Einfach faszinierend.“

„Sicher, weil du jeden Tag neues Spielzeug kaufst.“

„Dösbaddel!“

Die Tür öffnete sich und die Polizisten kamen herein. „Moin.“

„Moin. Was gab es?“

„Nur das Übliche“, reichte ihm Martin einen Stapel Papier. „War ein ruhiges Wochenende.“

Er überflog die Seiten. „Wie, der Wenzel schon wieder voll Auto gefahren? Nun ist er die Pappe aber für viele Jahre los. Die muss er neu machen, vorher zum Test. Er ist unbelehrbar.“

„Er lallte, wollte bloß ein Nickerchen machen. Er wollte Kerstin zu einem Bier einladen, nannte sie meine Süße. Dass er vor einer Ampel stand, kriegte er nicht mehr mit, das fast vor der Wohnungstür“, erklärte Polizeiobermeister Rüdiger Niess.

„Wo ist Kerstin?“

„Zieht sich um.“

„Liegt etwas Besonderes an?“, erkundigte sich Polizeihauptmeister Martin Petersen.

„Nein, ihr könnt los.“ Er legte den Stapel an die Seite. „Rüdiger, wir müssen kurz snaken. Was war bei Stine?“

Der goss etwas Kaffee in einen Becher, Milch dazu, trank einen Schluck. „Sie hatte einen alten Sekretär, 1910, inseriert. Angela wollte den unbedingt haben. Wir sind einen Nachmittag hingefahren, weil mein Bruder keine Zeit hatte, haben uns das gute Stück angesehen. Er stand in der Scheune. Die war ansonsten völlig leer. Dienstag haben wir den angeguckt, am Samstag hat mein Bruder den abgeholt. Angela ist absolut begeistert davon und für ´nen Tausender fast geschenkt, sagte sie. Das Teil sieht aber wirklich noch wie neu aus. Er hat nur seitlich zwei kleine Schrammen. Sieht man kaum.“

„Wann war das?“

„Am vergangenen Samstag vor zwei Wochen wurde der von Wilfried abgeholt. Er passt wirklich gut in ihr Büro, gibt dem Aussehen etwas Edles.“

„Wie war sie drauf?“, fragte Rolf.

„Gut. Wir tranken Tee, snakten eine Weile. Sie ist noch mopsfidel, weder senil noch tüttelig. Sie wollte uns noch die Fahrräder aufschwatzen, aber meine Neffen haben welche. Wilfried oder ich fahren sowieso nie; Angelas steht nur herum. Ich habe ihr gesagt, ich höre mich mal um. Sie meinte in etwa, sie will das alte Zeug endlich loswerden. Das Auto würde der Junge von den Köhlers zur bestandenen Führerscheinprüfung bekommen. Der half ihr da zuweilen beim Mähen und im Garten. Hektor, also der Gaul, würde nicht mehr lange machen und die anderen Viecher würde sie ebenfalls abschaffen.“

„Danke, Rüdiger. Kannst jetzt schlafen gehen.“

„Muss ja nicht gleich schlafen sein“, grinste der.

„Zieht endlich zusammen, dann weiß jeder, wo man euch erreicht“, Rolf schmunzelnd.

„Will weder Kerstin noch ich. Abwarten.“

Eike widmete sich nun den Kilometern.

„Ist dir schon mehr zu dem Brand eingefallen?“

„Nein. Doch“, schaute er ihn an. „Rolf, du hast dir die Teile von der Frau nicht richtig angesehen. Man sah an den Oberschenkeln eindeutig eine gerade Schnittfläche. Bedeutet - es liegt ein Kapitalverbrechen vor. Jemand hat sich an der Frau zu schaffen gemacht. Sie verbrannte nicht einfach so.“

„Wussten wir doch, wegen des Loches am Kopf.“

„Hat damit nichts zu tun. Solche Dinge müssen sofort festgestellt werden, weil das für uns vorab schon wichtig sein könnte.“

„Ist mir ehrlich gesagt nicht aufgefallen. Ich hab die Teile ausgebuddelt, soweit möglich gereinigt und weg.“

„Beim nächsten Mal guckst du genauer hin. Die Geschichte mit den Handschuhen, völlig unüberlegt. Was wollen zwei Leute mit einem Paar? Weißt du es nicht, stecke fünf Paar ein und fertig. Hatte ich vorher auch, nur die hatte ich schon verteilt. Tipps für die Zukunft.“

Nun widmete er sich den Notizen, schrieb. „Der Brandstifter müsste über drei Kilometer ohne Licht, ohne zu bremsen, gefahren sein, sonst hätte der Zeuge den Scheinwerfer, Bremslichter gesehen. Glaube ich nicht. Bedeutet, er ist entweder weggerannt oder war früher dort. Kann so nicht sein, da, wenn du Brandbeschleuniger auskippst, ein brennendes Streichholz hineinwirfst, es sofort lichterloh brennt.“

„War´s der Hamburger, der gelogen hat.“

„Warum sollte der die Scheune anzünden, Menschen ermorden? Es gibt kein verwandtschaftliches Verhältnis zu Stine, der Familie Fries oder einer der angeheirateten Verwandtschaft. Harald Klose ist sauber, geht brav arbeiten, hat keine Schulden, keine Kinder sind eingetragen und er war nie verheiratet.“

„Vielleicht ist von den Toten jemand mit ihm bekannt. Eine Ex oder so.“

„Wäre er blöd, da du das gleich herausfindest, indem du die Vermisstenmeldungen durchgehst. Schau einen Monat zurück. Es könnte sein, dass Stine da jemand Unterschlupf gewährte, weil … Keine Ahnung. Ich schreibe kurz eine Anzeige. Danach fahren wir zu Manfred Herzog, bei dem war der Zeuge an dem Abend, bevor er nach Hause gefahren ist.“

„Wieso fahre ich mitten in der Nacht nach Hause? Entweder abends zehn, elf oder am nächsten Morgen.“

„Werden wir ja hören. Ich weiß es nicht. Der Herzog ebenfalls sauber. Geschieden, einen erwachsenen Sohn.“

„Hatte der Klose was getrunken?“

„Hat niemand überprüft. Was war bei der Verwandtschaft von Frau Fries?“

Eike tippte die Anzeige derweil, füllte die Felder aus. In ihm brodelte es immer noch. Die Aufnahmen von Omas Geburtstag, wo Torben das erste Mal allein auf dem Pferd saß, wie er mit Nika geritten war, alles weg.

„Traurig hört sich anders an. Die Kollegen wollen sie alle näher befragen, auch nach einem Alibi. Die Tochter meinte, wer weiß, wen sie da einquartiert hatte. Zuweilen tickte sie ja nicht mehr richtig. Wann kann sie beerdigt werden? Muss ich am Montag gleich Annoncen schalten, damit das verkauft wird. Nein, sie würde erst zur Beerdigung kommen und da mitnehmen, was noch ein wenig Wert hätte, wie der Schmuck, die komischen Figuren, Geld. Nun fragte sie, es wurde doch wohl nichts geklaut, oder? Sie wollte das bei mir sofort anzeigen. Der Rest käme alles weg. Als ich nach den Tieren fragte, lautete ihre Antwort: Knallen sie die Viecher ab. Sie erbt angeblich alles, da sie ja das einzige Kind sei. Ein Testament gebe es nicht, weil ja alles klar wäre. Nun würde sie endlich für einige Monate in Urlaub fahren.“ Er wühlte in einem Papierstapel. „Christine Fries, ist vor wenigen Wochen 84 geworden. Witwe, zwei Kinder. Ihr Mann Friedrich ist 2011 gestorben.

Der Sohn Fritz starb 2002 an Lungenkrebs, hatte drei Kinder, war verheiratet. Die Tochter, Monika, zum zweiten Mal verheiratet hatte in erster Ehe zwei Kinder, zweiter Ehe keine. Die zwei Töchter von ihr sind nach der Scheidung bei dem Vater und den Großeltern aufgewachsen. Beide heute verheiratet, haben beide je zwei Kinder. Sie leben alle in der Nähe von Vater und der Großmutter. Deren Mann starb vor einem Jahr. Alle sind sauber, haben Berufe erlernt, gehen arbeiten, keiner hat Schulden. Die eine Tochter, Regina, 37 Jahre alt, sagte am Telefon, sie kennt die Frau nicht, hat sie zwei-dreimal als kleines Kind gesehen. Kontakt zu der Mutter hat sie seit der Scheidung, war vor 29 Jahren, keinen mehr gehabt, daher konnte sie da nichts zu all dem sagen. Ihre Mutter hätte zu dem Hof immer stinkenden Bauernhof gesagt, wollte nie hinfahren. Sie hätte den Kindern verboten, dort die Ferien zu verleben, obwohl die es gern wollten.

Nun die Schwiegertochter, also Fritz Frau. Als er noch lebte, seien sie alle zwei Wochen hingefahren. Nach seinem Tod sei der Kontakt lediglich noch telefonisch gewesen, da sie kein Auto habe, nicht fahren könnte. Sie rief einmal im Monat an, man snakte ein wenig und Ende. Ihre Tochter ist 2004 bei einem Verkehrsunfall verstorben. Die war verheiratet, hatte ein Kind. Der Mann neu verheiratet, keine weiteren Kinder.

Die beiden Söhne von Fritz. Michael verheiratet, hat einen Sohn. Thomas, ledig, keine Kinder. Auch bei der netten Schwiegertochter die Frage, wann sie beerdigt wird und wann sie das alles zu Geld machen könnte. Ihr Mann war der einzige Erbe, weil sich ihre Schwägerin ja nie um die Alte kümmerte. Den Pflichtteil habe Monika noch zu Lebzeiten von Friedrich ausbezahlt bekommen, wusste sie noch.“

„Nette Familie. Mein Opa hat mir so einiges erzählt. Interesse hatten beide Kinder nie an dem Sölring Hof. Sie verkauften bereits Mitte der 90er-Jahre das Vieh, Landwirtschaftsmaschinen, behielten nur einige Jungtiere für Eier, Milch, Fleisch. Es wurden einige Äcker verkauft, so hatten sie immer genug Geld zum Leben, danach eben von der Rente. Friedrich habe früher zuweilen getobt, weil die Kinder nur kämen oder anriefen, wenn sie Geld benötigten. Besonders die Tochter stach da hervor. Fritz eher Seltener. Der Einzige aus der Verwandtschaft, der sie regelmäßig besuchte, zuweilen mit anpackte, wäre der Lütte, von seinem Bruder der Enkel. Carsten. Der habe auch nach dem Tod von Fritz ihnen zur Seite gestanden, später ihr, als Friedrich starb. Carsten Fries, 34 Jahre alt, verheiratet, hat einen Sohn. Er wohnt im Haus seiner Großeltern, die dort ebenfalls noch leben. Seine Oma sitzt im Rollstuhl, wird von seiner Frau betüttelt. Er ist Lehrer an einem Flensburger Gymnasium. Seine Frau, Viktoria, war früher ebenfalls Lehrerin, gibt jetzt nachmittags Nachhilfeunterricht. Beide sauber“, schob er Rolf die Seiten rüber. „Doktor Hansen hat von den Flensburger Kollegen sein Alibi überprüfen lassen. Seine Frau und er waren auf einem Fest, wurden von zig Leuten gesehen. Die Unterlagen dazu bekommen wir noch. Er war mit seiner Familie, einschließlich der Großeltern, Eltern zu ihrem Geburtstag dort, allerdings erst am Samstag, da er am Donnerstagnachmittag Unterricht hatte. Haben wohl alles Carsten, seine Frau und seine Eltern organisiert. Ansonsten fuhr man mindestens einmal im Monat zu Stine, übernachtete dann auch dort. Er machte kleinere Reparaturen, sie ging mit Stine einkaufen, half eben hier und da. Deren Sohn soll wohl einige Male sogar seinen Freund mitgebracht haben. Lasse ist sieben Jahre alt. Opa erzählte weiter, Stine suchte drei Reitpferde, hat deswegen bei ihm nachgefragt. Ihr Viehzeug hingegen wollte sie verschenken. Es sollte nur nicht zum Schlachter. Das letzte Mal war die Familie wohl vor zwei Wochen dort. Über die Kinder, Enkel habe Stine selten etwas gesagt, aber wenn, war das nicht Gutes. Als sie ihren Geburtstag im kleinen Kreis am Donnerstag feierten, habe sie in etwa geäußert, heute rufen sie alle an, wollen wissen, wann ich endlich sterbe. Jeder benötigt Geld für irgendetwas. Meine Großeltern haben mir einige Namen gegeben, die mit Stine oder schon seinerzeit mit Friedrich befreundet waren. Müssen wir alle abklappern.“

„Oh Mann. So eine Familie echt gruselig. Die würde ich …“

Jemand klopfte. Eike rief „herein.“

„Moin. Bernd Hinof.“

„Klaasen. Was können wir für Sie tun, Herr Hinof?“, musterte er den Mann im Anzug mit Aktenköfferchen, dessen grau genau zu den Schuhen und der Krawatte passte. Versicherungsvertreter.

„Ich sollte hier warten, Herr Klaasen.“

Eike blickte Rolf verdutzt an, der sich mühsam ein Grinsen verkniff. „Das ist eine Polizeistation, keine Wartehalle, kein Bahnhof, kein Café.“

„Ja, weiß ich. Steht ja draußen dran. Das mit dem friesisch hört sich lustig an. Warum hat man das gemacht?“

„Damit es auch Dösbaddel verstehen. Leider vergeblich. Da Sie kein Anliegen haben, warten Sie außerhalb des Gebäudes. Ich glaube, ich spinne“, stand er auf, wollte den Mann rausbringen, da ging die Tür auf. „Moin. Hallo Bernd, habe mich verspätet“, wirbelte Frederik herein.

„Was soll der Schiet?“, erkundigte sich Eike erbost.

„Was meinst du?“

„Willst du was von uns, sonst Tschüss. Wir haben Arbeit“, setzte er sich hin, schüttelte den Kopf.

„Bernd, stelle ich vor. Der brummige Mann ist Hauptkommissar Eike Klaasen. Normalerweise ist er ein nettes, höfliches Kerlchen“, grinste er Eike an. „Der andere Herr ist Oberkommissar Rolf Kristens. Staatsanwalt Bernd Hinof.“

„Hätte er ja sagen können“, äußerte Eike lakonisch. „Ich dachte, er will uns eine Versicherung andrehen.“

„Ich hätte es gleich erwähnen sollen“, lenkte Bernd Hinof ein.

„Nun wissen wir es ja.“

„Habt ihr was für uns?“

„Ja, Trunkenheitsfahrten“, reichte er ihm drei Seiten.

„Eike, der Brand.“

„Wir haben noch keine Berichte von irgendwem. Wir wissen nicht, wer die Toten sind, ob etwas gestohlen wurde, wie der Brand entstand. Was willst du da bekommen? Außerdem ist das der Fall von Doktor Hansen. Er nimmt die Sachen selber in Empfang, da er später noch eine Anzeige wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und Beleidigung hier abholen möchte.“

„Hätte ja sein können. Nach zwei Tagen erwarte ich deutlich mehr. Ach ja, vergessen du hattest Wochenende, da wird selbst bei Mord nicht gearbeitet. Sicher, hätte deine Sexgespielin gekeift, weil die daher gelaufene Tussi verwöhnt werden will. Die Anzeige nehmen wir ebenfalls mit.“

„Da steht ein Telefon. Doktor Kerper, rufen Sie in der Gerichtsmedizin, dem Kriminaltechnischen Institut und Doktor Berensen an und sagen Sie es ihnen. Das Kerlchen macht es nämlich nicht, da man mich sonst für breesig erklärt. Es war Wochenende, vergessen? Es arbeiten da nicht alle so fleißig wie Sie, der sich in Dänemark bedienen ließ, während Doktor Hansen und wir arbeiteten. Außerdem, Heeerr Staatsanwalt, bearbeitet das Ihr Vorgesetzter, der leitende Oberstaatsanwalt Doktor Hansen. Endlich begriffen? Die Diebstahlanzeige bekommen Sie ebenfalls nicht. Da kommt nun die nächste Anzeige wegen Beleidigung hinzu. Die Anzeigen bekommt Doktor Hansen persönlich, nicht das die verschwinden“, grinste Eike. „Sie hören nie zu. Wie ich karrieregeile Typen verachte“, murmelte er leiser.

„Bernd, fahren wir. Das ist der alltägliche Ärger, mit dem man sich bei solchen dusseligen Pro…“, die Tür fiel, zu.

„Das ist der neue Staatsanwalt?“, erkundigte sich Rolf nun breit lächelnd.

„Hast du gehört. Scheint ein wenig dröge zu sein.“

„Weißt du mehr über ihn?“

„Nein. Ich trauere heute schon Krischan nach.“

„Frederik ist doch auch nicht schlecht.“

„Das sicher nicht, aber Krischan ist anders. Ruhiger, nicht so ungeduldig, hört besser zu, hat extrem gute Ideen und ein sehr gutes Durchsetzungsvermögen. Mir hat ein Kollege vom LKA gesagt, er ist einer der besten Staatsanwälte, die er kennt. Ist auch meine Meinung. Vielleicht liegt es bei Frederik auch daran, dass wir privat befreundet sind. Da wird er zuweilen schon ein bisschen kesser. Ach, rufe bitte im Tierheim an, damit man dort die Viecher wegholt. Was mit denen passiert, muss der Erbe entscheiden. Zu dem Anwalt müssen wir später, da dort noch alle schlafen. Fahren wir erst zu Herrn Herzog.“

Ihr Chef, Axel Rothmann kam herein. „Moin, die Herren. Doktor Kerper hatte es ja heute eilig. Wer war der Mann?“

Eike grinste. „Hinof, ein Staatsanwalt und Dussel. Komm rein, nennt seinen Namen und will hier warten. Kein Wort, das er Staatsanwalt ist, er auf Doktor Kerper wartet. Ich hielt ihn für einen Versicherungsvertreter.“

„Hast du ihm das so gesagt?“, lachte der.

„Sicher. Ist er zu dröge für, dass er das kapiert. Er trampelte wie ein Dackel hinter Frederik her.“

„Was macht ihr heute?“

„Leute zu Frau Fries befragen. Wir müssen auf erste Ergebnisse warten. Nein, wir benötigen keine Polizisten.“

„Das höre ich gern. Wisst ihr mehr, sagt mir bitte Bescheid. Freitag ist für euch Schießtraining angemeldet.“

Manfred Herzog suchten sie in der Firma auf, wo er beschäftigt war.

„Herr Klose war am Wochenende bei Ihnen. Wann kam er, wann fuhr er zurück?“

„Nicht am Wochenende. Am Mittwochabend, so gegen 22.00 Uhr kam er. Gefahren ist er Freitagnacht so gegen 3.00 Uhr. Ich habe da nicht auf die Uhr gesehen, da ich es nur leise hörte.“

„Warum ist er nachts zurückgefahren?“

„Machte er immer so. Da sind die Straßen leer. Harald hasst Staus, wird da richtig brummig.“

„Warum ist er zum Wochenende generell zurückgefahren?“

„Wegen Uschi, seiner Freundin. Sie musste bis 6.00 Uhr Schicht arbeiten und, bis dahin wollte er zu Hause sein. Wenn beide Partner im Schichtdienst arbeiten, muss man das schon alles ein wenig koordinieren. Als meine Frau damals die Scheidung deswegen wollte, habe ich mitgekriegt, da läuft was falsch. Deswegen der andere Job. Den Fehler wollte ich kein zweites Mal machen.“

Weder er noch Harald Klose kannten Christine Fries oder den Sölring Hof.

„Viel weiter gebracht hat uns das nicht.“

„Dachtest du, er sagt, ich weiß, wer der Täter ist? Heute Nachmittag besuchen wir Klara und Karl.“

„Den Pfarrer?“

„Genau sie.“

„Oh Mann, da muss ich vorher was essen, sonst bin ich blau.“

„Ist ja warm, da gibt es nur zwei. Wir fahren im Winter hin, macht mehr Spaß. Du sitzt draußen, das Feuer wärmt dich von außen, die Pharisäer von innen.“

„Hört sich irgendwie gut an. Nur die Menge von den Pharisäern macht mir zu schaffen.“

„Wat mut, dat mut! So ein paar Lütte hauen einen ja nun nicht um“, grinste Eike. „Jetzt suchen wir Emma Dirksen auf. Ein alter, resoluter Dragoner. Bei ihr hatte ich ein Jahr Deutschunterricht. Sie war wirklich so eine Lehrerin wie aus der Steinzeit, schlug mit dem Zeigestock zu gern zu, wenn jemand nur einen Finger bewegt, sie nicht anstierte. Morgens strammstehen, wenn sie reinkam. Ich habe sie gehasst, wegen ihres Kommandotons, der Schläge.“

„Hast du auch welche abgekriegt?“

„Einmal. Beim zweiten Mal habe ich die Hand weggezogen, ihr gesagt, mich haut niemand. Mein Vater wurde zu ihr zitiert. Der sagte ihr Einiges dazu, da man Kinder generell nicht schlägt. Bei Arne wurde es richtig böse für sie. Der weigerte sich die Hand auszustrecken, da holte sie aus, und er bekam einen Schlag auf den Hinterkopf. Platzwunde. Sie schickt drei Mädchen in so einen Abstellraum, damit die das Blut wegwischen, meckert noch herum, wir sollten nicht denken, dass deswegen der Deutschunterricht ausfallen würde, da wir eine Stunde länger Unterricht hätten. Arne solle gefälligst ein Taschentuch auf den Kopf drücken. Stefan und ich rennen zum Direktor, melden das. Arne kam ins Krankenhaus, wurde dort genäht. Knut geht in die Schule, holte sie aus der Klasse. Wir hörten ihn draußen brüllen. Sie bekam deswegen eine Anzeige, musste zahlen. Verändert hat sie sich nie. Doreen hatte das erste Jahr bei ihr Unterricht. Sie kommt in der Pause heulend zu mir, weil die Dirksen ihr auf die Finger geklopft hatte. Ich hin, sage ihr vor versammelter Mannschaft, sie wäre eine bösartige, kriminelle Hexe. Würde sie sich noch einmal an meiner Schwester vergreifen, zeigte ich sie an und würde das jedem erzählen. Herr Rasmussen würde ja schon alles über sie wissen, da sie eine Kriminelle wäre. Ich bekam deswegen nicht mal vom Direx einen Anschiss. Opa hat uns dafür am Nachmittag zum Eisessen eingeladen.“

„Na toll. Da kommt ja was auf uns zu.“

„Ich nehme an, heute wird sie ruhiger sein. Sie war mit Christine Fries seit Jahrzehnten enger befreundet, daher muss das sein. Ich würde ihr auch lieber aus dem Weg gehen.“

Emma Dirksen musterte sie. Sie nahm die Ausweise in Augenschein, verglich die Fotos mehrmals mit den Gesichtern der Männer. Damit endlich fertig bat sie die Herren in einem schroffen Tonfall herein. „Putzen Sie ordentlich die Schuhe ab“, deutete sie auf die Matte. „Ich will keinen Dreck in meiner Wohnung haben.“

Blöde Hexe, dachte Eike, ging so hinein, schaute sich um. Gruselig, aber passend zu ihr. Altertümlich, steril, korrekt. Da stand gewiss jeder Nippeskram genau ausgerichtet, die Kissen ordentlich gerade gerückt, in der Mitte mit einer Einkerbung und die Spitzendeckchen sorgfältig geglättet.

Sie setzte sich auf die Kante eines Sessels, bot ihnen keinen Platz an. Sie taxierte Eike von oben nach unten und zurück. „Dich habe ich doch unterrichtet, oder?“

„Frau Dirksen, duzen Sie mich nicht. Sie haben keine Erst- oder Zweitklässler vor sich, die Sie schikanieren konnten. Als Lehrerin eine Null, das wurde durch Schläge und arrogantes Verhalten kompensiert. Sie sind mit Frau Christine Fries befreundet. Erzählen Sie uns bitte mehr über sie“, setzte er sich auf die Couch, nickte Rolf zu, legte das Aufnahmegerät auf den Tisch.

„Ich tratsche doch nicht“, empörte sie sich, schaute ihn mit bohrendem Blick an. „Hat man dir kein Benehmen beigebracht?“

„Mir schon, dir anscheinend nicht“, entgegnete Eike lächelnd, seine Augen schauten sie jedoch eiskalt an, worauf sie ihn entsetzt, nach Luft schnappend, anguckte.

„Was wissen Sie also über Frau Fries“, Rolf nun, der das störende Kissen auf die Lehne legte, worauf sie hörbar nach Luft schnappte.

„Nichts. Fragen Sie die Dame selbst, wenn Sie Auskünfte benötigen.“

„Frau Fries ist vermutlich bei einem Brand am Samstag ums Leben gekommen. Haben Sie es noch nicht gehört?“

„Nein.“

Sie zeigte keinerlei Regung, nicht einmal ein kleines Zucken im Gesicht. Da gab es kein Erschrecken, Entsetzen, Trauer. Nichts. An dieser Frau prallte alles ab. Sie war völlig gefühllos.

„Es wurde in allen Medien gesendet. Wir suchen nun nach dem Täter. Also was wissen Sie über Frau Fries“, Eike barsch.

„Sie war eine liebenswürdige, nette Dame.“

„Kennen Sie weitere Freunde von ihr?“

„Nein. Wir trafen uns bisweilen, aber da waren wir allein. Ich liebe mehr die Ruhe, nach all den Jahren mit lärmenden, ungezogenen Kindern.“