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Nach seinem Ableben kommt Wilhelm Murks in den Himmel. Weil er ein Spaßvogel ist, bittet ihn der Herrgott zu sich. Zwischen den beiden kommt es zu einer interessanten Unterhaltung, der es nicht an hintersinnigem Humor fehlt. Bald gewinnt Wilhelm die Zuneigung Gottes, der ihn deshalb mit himmlischen Sehenswürdigkeiten bekannt macht.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Das Reich Gottes wird gemeinhin über den Wolken vermutet. Wand- und Deckenmalereien in kleinen oder großen Gotteshäusern vertiefen diesen irrigen Glauben. Da es früher mehr Gottesfürchtige gab als heute, hatten mehr Menschen ein fiktives Bild des göttlichen Himmelreichs über dem Bett oder anderswo hängen. Wer es sich leisten konnte, ließ es mit einem vergoldeten Rahmen versehen.
Mit dem Fortschreiten von Wissenschaft und Technik änderten sich auch die Vorstellungen vom Jenseits. Astronauten, in den Himmel geschickt, um sich dort umzusehen, haben das Gottesreich nicht entdeckt. Auch Astronomen erblickten es beim Gucken durch lange Himmelsfernrohre nicht.
Das hat einen einfachen Grund: Gott ist unsichtbar. Nicht nur er; auch seine Kollegen der anderen Religionen bleiben dem menschlichen Auge verborgen. Diesen Umstand nutzen Atheisten, die Existenz Gottes und die der anderen Götter zu leugnen.
Das Himmelreich nebst Paradies schwebt hoch droben, weit genug vom menschlichen Auge entfernt, aber nahe genug, die Götter das Geschehen auf der Erde sehen zu lassen.
Damit es den himmlischen Herrschern an Gemütlichkeit nicht fehlt, haben sie besonders große und flauschige Wolken der uns sichtbaren Wolkendecke entnommen und sie zu ihrer Wohnstatt gemacht. Dort thronen sie. Den irdischen Wand- und Deckenmalereien ist also ein bisschen naive Wahrheit inne. Deshalb naiv, weil noch kein Mensch aus dem Jenseits ins Diesseits zurückgekehrt ist, um über die Beschaffenheit des Gottesreichs zu berichten.
Wie es droben tatsächlich aussieht und wie der liebe Gott seines Amtes waltet, erfährt der Leser in folgender deutschsprachiger Niederschrift. Sie ist glaubwürdig, weil einer, der Gott am nächsten war und mit ihm plauderte, das zu Papier brachte. Seine handschriftlichen Aufzeichnungen fielen verpackt herab und blieben im Geäst meines Apfelbaums hängen. Beim Pflücken der reifen Früchte fand ich die sensationellen Mitteilungen, die ich der interessierten Menschheit nicht vorenthalten will und sie deshalb gedruckt wiedergebe. Ich vermute, Gott selbst hat sie in meinen Apfelbaum gelenkt.
Das Folgende konzentriert sich im Wesentlichen auf das Reich Gottes, des himmlischen Vaters aller Christen. Die Erwähnung der anderen Götter ist nicht als Einmischung in deren innere und äußere Angelegenheiten zu verstehen. Sie walten ihres Amtes in einem eigenen Teil des göttlichen Gesamthimmels.
Ich heiße Wilhelm Murks. Seit einigen Tagen befinde ich mich im Himmel, wenige Kilometer vom Paradies entfernt. Als ich hier oben eintraf, wurde ich von einer Entnazifizierungskommission gefilzt, die sehr gründlich arbeitete. Einer ihrer Mitarbeiter entdeckte das Eiserne Kreuz, das ich mir vorsichtshalber in den Hintern gesteckt hatte. Er warf es achtlos in eine Kiste, in der bereits mehrere höhere und nicht so hohe Auszeichnungen lagen. Erzürnt sagte ich, dass mir das Kreuz für meine Taten im 2. Weltkrieg verliehen worden war. Der geflügelte Filzer, ein Engel, grinste und meinte, dass mir das Blech hier oben nichts mehr nütze. Im Himmel herrsche immerwährender Frieden. Hier sei nur ein Kreuz von Bedeutung, nämlich das, an das Jesus genagelt worden war.
Weil er mich schmählich beraubt hatte, riss ich ihm eine Feder aus dem Flügel.
„Von nun an wird Gleiches mit Gleichem vergolten!“, brüllte ich ihn an.
Jetzt wurde auch er böse. Was mir einfalle, seine Flugfähigkeit zu beeinträchtigen. Ergrimmt rupfte ich ihm eine zweite Feder aus. Verärgert ließ er mich in ein Lager bringen, das sich unter freiem Himmel befindet. In ihm harren weitere Kameraden, die für Führer, Volk und Vaterland ihr Blut vergossen hatten, auf Überführung ins Paradies. Weil jeder in diese Stätte anhaltenden Glücks und vollster Zufriedenheit kommen will, zeigt er sich von seiner besten Seite.
Ein ehemaliger Gauleiter, der sich bei Kriegsende selbst gerichtet hatte, behauptete, er sei kein richtiger Nazi gewesen. Er habe lediglich den Vornamen und den Geburtstag des Führers gewusst. Weil dieser Gauleiter den Familiennamen Engel hatte, wollte man ihm Glauben schenken. Doch was im Himmel geglaubt und nicht geglaubt werden darf, entscheidet letztendlich Gott. Der ließ sich einige deutsche Ufa-Wochenschauen vorführen. Und siehe, Gustav Engel war nur dem Namen nach ein Engel. In einer Filmszene erkannte der liebe Gott Gauleiter Engel bei einem Fress- und Saufgelage inmitten halbnackter Hitlerjungen. Der fasste einem Jungen sogar ungeniert ans Geschlechtsteil. Der Herrgott konnte es kaum fassen und rief entsetzt: „Herrgott, was für ein Sauengel!“
Ohne Umschweife wies er ihn der Hölle zu. Den Teufel freute das, und er versprach dem Ausgehimmelten, ihn so lange über das Feuer zu hängen, bis ihm das Wasser im Arsch koche.
Der Wochenschauvorführengel fragte den himmlischen Vater, ob er noch einen weiteren Filmbericht zeigen dürfe. In dem sei zu sehen, wie ein irdischer Gottesdiener die Waffen segne, die Hitlers Krieger gegen Sowjetrussland bei sich hatten. Der liebe Gott glaubte, es sei die Bibel gewesen. Der Engel erklärte, dass es die Nazibibel ‚Mein Kampf’ sowie Kanonen, Panzer und ähnliches Gerät gewesen seien. Der Herrgott überging diese Peinlichkeit mit der Frage, ob es noch weitere Typen vom Format des Gauleiters Engels gebe. Der Vorführengel verwies auf Wilhelm Murks, also mich. Im Gegensatz zu Engel sei ich eine rechte Frohnatur. Ich mache den Mitgefangenen den Lageralltag leichter, indem ich die Kriegsgeschehnisse ins Lächerliche ziehe. Die Zuhörer würden lachend rufen: „Zum Schießen!“
Gott befahl, mich vor ihn zu bringen. Auch er lache gern.
Vor ihm sank ich demutsvoll auf die Knie. Er sollte sofort den besten Eindruck von mir gewinnen, denn ich glaubte, von ihm verhört und dann ins Paradies überwiesen zu werden.
Der Allmächtige sah mich argwöhnisch an. Er traue den Deutschen nicht mehr, brummte er in tiefem Bass. Seit 1914 würden ihm die germanischen Welteroberer große Sorgen bereiten. Erst Wilhelm, dieser kriegslüsterne Kaiser, und dann Adolf, der großsüchtige Gefreite, hätten sich gottesgleich gegeben. Zudem habe der schnurrbärtige Hitler die Vorsehung für sich in Anspruch genommen. Dieser Trottel wusste wahrscheinlich nicht, dass nur Gott vorhersieht, was drunten geschehen soll.
„Göttliche Hoheit haben also gewusst“, fragte ich kühn, „dass der Führer den Bolschewismus mittels Waffengewalt beseitigen wollte?“
„Führer“, schnaubte Gott verächtlich, „wenn ich das höre: Führer! Ich allein führe die christlichen Weltgeschicke.“
„Dann haben also Sie, himmlischer Führer, dem irdischen Führer Adolf den Tipp mit dem 2. Weltkrieg gegeben.“
„Was erfrechst du dich, mir solchen Schwachsinn zu unterstellen?“ wurde Gott grimmig. „Du bist hierher gebracht, mich zu amüsieren und nicht zu beleidigen. Sage deinen Namen und beginne mit deinem humorvollen Vortrag.“
„Darf ich mir zuvor die Frage erlauben“, fragte ich, „ob ich nach Beendigung meiner Ausführungen Einlass ins Paradies finde?“
Der Herrgott runzelte nachdenklich die Stirn und sagte dann: „Dass hängt ganz davon ab, wie sehr du mich belustigst. Sollte ich keinen Gefallen an deinen Humoresken finden, landest du in Luzifers Reich.“
„Nun denn“, begann ich entschlossen, „meine Name ist Wilhelm Murks. Trotz meines Vornamens stehe ich in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zum deutschen Kaiser. Wo steckt der eigentlich?“
„Das geht dich nichts an“, grollte Gott.
„Gut, gut“, entschuldigte ich meine Wissbegier, „war nur ’ne Frage. Also, meine Tatsachenberichte beruhen auf Tatsachen, die ich tatsächlich während meines kämpferischen Mitwirkens an der Ostfront erlebt habe. Die Ostfront befand sich damals gegenüber der Westfront. Zwischen beiden Fronten lagen mehrere hundert Kilometer und mittendrin Deutschland. Da liegt es noch immer, wie Ihre Göttlichkeit wohl wissen, nur fehlen jetzt die Ost- und die Westfront. Der Krieg ist vorbei und Gitler kaputt.“
„Wer ist Gitler?“
„Gitler war Hitler, Göttliche Gnaden“
„Hatte der sich einen anderen Namen zugelegt?“
„I wo“, sagte ich lächelnd. „Die Russen nannten ihn so, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, das deutsche ‚h’ auszusprechen. Sie ersetzen es durch ein ‚g’. Klingt manchmal ziemlich komisch. Den Himmler nannten sie ‚Gimmler’. Hat Ähnlichkeit mit ‚Gammler’. Nur Göring und Goebbels blieben von der Wortentstellung verschont. Hat ihnen im Endeffekt aber nichts geholfen. Manche deutsche Kriegsgefangene wurden von den Russen als ‚Gurenböcke’ beschimpft. – Klingt lustig, nicht wahr?“
Der Herrgott behielt seinen finsteren Gesichtsausdruck und knurrte, dass ‚Gott’ dann sicherlich ein russisches Wort sei. Bei den Deutschen hieß er ursprünglich wohl ‚Hott’.
„Nein, nein“, lachte ich ungezwungen, „wir Deutschen kennen das Wort ‚Hotte hüh!’ Es dient zum Antrieb von Pferden und nicht, den himmlischen Vater auf Trab zu bringen.“
„Was feixt du so frech?“ zürnte Gott. „Mich allein sollst du Lachen machen. Hoffentlich geschieht das bald.“
„Dürfte ich noch einen Wunsch vorausschicken?“, fragte ich zaghaft.
„Geburtstage gibt es hier nicht.“
„Es geht mir nur um die Erfüllung eines schlichten diesseitigen Wunsches.“
„Welcher ist es?“
„Vor geraumer Zeit wurde mir von einem Ihrer Mitarbeiter das Eiserne Kreuz genommen. Die Konfiszierung erfolgte gegen meinen Willen.“
„Was ist das, ein Eisernes Kreuz?“
„Das ist ein kreuzförmiges Gebilde aus Eisen, dem Jesus-Kreuz ähnlich, das den deutschen Kämpfern verliehen wurde, die einige Gegner erfolgreich umgelegt hatten.“
„Umgelegt?!“
„Ins Jenseits befördert, himmlischer Vater. In Ihr Reich geschickt.“
Gott guckte verständnislos. Der neben ihm stehende Beraterengel flüsterte ihm etwas ins Ohr.Das Gesicht des Himmlischen hellte sich auf, und er sagte: „Das heißt nicht ‚umgelegt’, du Dussel, sondern ‚dem Herrgott zugeführt’! – Das Eiserne Kreuz bleibt konfisziert. Ich werde es mir ansehen. Gefällt es mir, wird es meine Brust zieren.“
Das gefiel mir nicht, weshalb ich einwandte, dass es an seiner Brust keine Beachtung fände.
„Weshalb nicht?“
„Weil Ihr Rauschebart es verdeckte. Den würden Sie deshalb doch nicht kürzen lassen wollen.“
„Und wenn doch?“
„Dann müssten sämtliche Heiligenbilder, die Ihr Porträt zeigen, geändert werden. Das würde viel Arbeit machen und eine Menge Geld kosten. Die irdischen Länder stecken aber in hohen Schulden.“
Der Herrgott strich nachsinnend seinen Bart und meinte dann vulgär: „Dann stecke es dir in den Arsch!“
„Da war es bereits“, gab ich selig von mir.
„Zur Sache“, befahl er. „Lass’ hören, weshalb du das Eiserne Kreuz erhieltest.“
Als ich das erste Mal Heimaturlaub hatte, fragte meine Gattin, was ich als Soldat so treibe. Ich sagte, dass ich allerlei Nützliches für sie und die anderen Deutschen tue. Das fand sie erfreulich und bereitete mir deshalb ein kräftigendes Mittagsmahl. Es war Bohnensuppe. Mir stand der Jubel ins Gesicht geschrieben.
„Bohnensuppe ist das Klavier des deutschen Soldaten“, grunzte ich.
Sie vermutete, im Krieg werde Klavier gespielt. Ihr eingeschränktes Wissen über die Tätigkeit der Soldaten beruhte auf ihrem Desinteresse am Kriegsgeschehen.
„Der Führer wird’s schon richten“, sagte sie und widmete sich dem Stricken von Socken für meine Füße und das Winterhilfswerk.
„Damit ihr keine kalten Füße kriegt“, meinte sie warmherzig.
Wir bekamen Besuch. Einige Verwandte wollten sehen, ob ich noch unversehrt bin. Man habe viel Schlimmes von den bösen Russen gehört. Die schössen rücksichtslos auf die deutschen Soldaten. Ob ich zurückschieße, wollte Tante Martha wissen. Nur im äußersten Notfall, erwiderte ich. Ich sei mit einer anderen Aufgabe betraut. Mit welcher, fragte man. Ich sei Speku. Man nickte verstehend. Als ich an die Front zurückkehrte, war ich mit Speckkuchen reich beladen. Meine Kameraden freute das. Heißhungrig schlangen sie das Zeug in sich. Den Kompaniechef freute es nicht, weil die Truppe einen Tag lang kampfunfähig war.
‚Überfressen, die Schweine!’ notierte er in sein Kriegstagebuch. Und weiter schrieb er: ‚Musste den Russen den Brückenkopf K. überlassen. Wir holen ihn aber zurück. Der Führer soll stolz auf seine ‚Spezialkundschafter’ sein.’
Weil ich der Verursacher der Völlerei war, befahl er mir die Ausführung eines besonders brisanten Auftrags.
Ich legte eine Gedankenpause ein, die den Herrgott, der brav zugehört hatte, zappelig machte.
„Weiter! Weiter!“, verlangte er und rückte den verrutschten Heiligenschein zurecht.
‚Gelacht hat er noch nicht’, dachte ich, ‚vielleicht kommt das noch.’
Ich sollte einen russischen Scharfschützen erledigen. Der pendelte am östlichen Frontverlauf und schoss deutschen Kameraden den rechten Arm ab, wenn sie ihn zum deutschen Gruß erhoben hatten. Als der Führer davon erfuhr, tobte er und biss wütend in den Teppich. Dabei hätte er beinahe seinem Schäferhund Blondi, der auf dem Perser ruhte, in den Schwanz gebissen.
Adolf sandte Stalin eine Protestnote, in der er die sofortige Liquidierung dieser bolschewistischen Bestie verlangte. Die verstoße gegen die Genfer Konfektionen – Hitler korrigierte - Konventionen. Wenn dieser Dreckskerl weiterhin erfolgreich ballere, könne bald kein deutscher Soldat der Ostfront mehr seinen Führer grüßen. Stalin schrieb retour, dass dann mit dem linken Arm gegrüßt werden solle. Adolf fuhr fast aus der Haut. Links sei für ihn gleichbedeutend mit den Linken, den Kommunisten und Bolschewisten. Sollte der Heckenschütze weiterhin sein hinterhältiges Handwerk treiben, sehe er – Adolf Hitler – sich gezwungen, die deutsche Wehrmacht bis Wladiwostok marschieren zu lassen.
Weil Stalin nicht antwortete, wahrscheinlich aus Furcht, bekam mein Kompaniechef vom Führer persönlich den Auftrag, das stalinistische Schützenschwein zur Strecke zu bringen. Der gab den Befehl an mich weiter. Ich war mir der Ehre bewusst und versprach, mein Möglichstes zu tun. Ich hob den rechten Arm zum Abschiedsgruß.
„Flosse runter!“, schnauzte der Chef. Kaum war das gesagt, pfiff eine Kugel haarscharf an mir vorüber. Der Scharfschütze befand sich also in unmittelbarer Nähe.
„Mach’ ihn platt!“, brüllte der Chef so laut, dass der es auch hören sollte.
Der Herrgott unterbrach meinen Vortrag und fragte, wann es endlich lustig werde.
„Gemach, gemach“, erwiderte ich, „so schnell schießen die Preußen nicht.“
Ich räkelte mich in eine bequemere Sitzhaltung auf der Hauptwolke, Gottes Hauptquartier. Sie ist besonders flauschig.
„Möchtest du etwas trinken? Vom vielen Reden wird der Mund so trocken.“
„Sehr gern, lieber Gott“, freute ich mich über sein Interesse an meinem Befinden.
Der Beraterengel flatterte zu einer Nachbarwolke, schlug einen Zapfhahn in sie und ließ Wolkenwasser in ein Glas laufen. Er flatterte wieder her, reichte mir das Glas und sagte: „Wohl bekomm’s!“
„Spasibo!“
„Was hat er gesagt?“, fragte Gott den Beraterengel.