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Detlef Schumacher

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Beschreibung

Wilhelm Murks, von Luzifer aus dem Himmel in die Hölle entführt, erlebt im unterirdischen Reich des Teufels Vorgänge, die der Menschheit unbekannt sind. Wer glaubt, die Hölle sei furchteinflößend und grausam, bekommt durch Wilhelms Mitteilungen ein ganz anderes Bild von ihr. Wilhelm trifft auch mit Persönlichkeiten zusammen, die während ihres irdischen Daseins Schuld auf sich geladen haben und deshalb als Sünder in die Hölle verstoßen wurden.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Detlef Schumacher

Murks in der Hölle

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Der Hölle sagt man gemeinhin viel Negatives nach. Positives findet sich nicht. Diese Einschätzung zeugt von völliger Unwissenheit derjenigen, die die Hölle noch nie gesehen haben. Ich, Wilhelm Murks, sah sie.

Hier die Fortsetzung zu „Murks im Himmel“.

Im Krater des Vesuvs

 

„Willkommen im europäischen Höllenschlund“, grinste Luzifer, als wir uns im Krater des Vesuvs auf einem Lavastein niederließen, um von dem sausenden Abwärtsflug etwas auszuruhen.

„He, ihr beide, kommt sofort herauf!“ hörte ich eine Stimme über mir. „Der Vesuv kann jeden Augenblick wieder ausbrechen. Dann seid ihr erledigt.“

Ich glaubte, Gottlieb habe uns gewarnt. Dass er auch den Teufel zur Vorsicht mahnte, wunderte mich.

„Gottlieb ist aber nachsichtig mit dir“, gab ich Luzifer zu verstehen.

„Gottlieb?“, fragte er zynisch. „Der da“, deutete er hinauf zum Kraterrand, an dem ein Mann stand und zu uns herab blickte und sehr eindringlich seinen Hinweis wiederholte.

„Wann der Vesuv ausbricht, weiß ich allein“, rief Luzi zurück.

Der Mann glaubte, ein geistig Verwirrter habe gesprochen. Er schüttelte verständnislos den Kopf. Auch mich hielt er für abnormal, denn er zeigte mir den Vogel.

„Was erlauben Sie sich?“, beschwerte ich mich über diese Frechheit.

„Etwas anderes lässt Ihr waghalsiger Aufenthaltsort nicht zu“, rechtfertigte er sich. „Sie scheinen von allen guten Geistern verlassen. Welcher normal denkende Mensch steigt in den Krater eines Vulkans!“

„Wir sind geflogen“, erklärte Luzi und fügte hinzu: „Wir sind keine Menschen.“

Das war dem Mann am Kraterrand zu viel. „Plemplem die beiden“, sagte er den Leuten, die zu ihm getreten waren und nun ebenfalls zu uns hinab schauten. „Sie glauben sicherlich, sie seien Vögel. Auch eine Form von Verblödung“, ergänzte der Mann.

Die Leute nickten. Ein kleiner Junge, der bei ihnen stand, meinte, dass Vögel Flügel haben. Wir aber hätten keine und könnten deshalb nicht fliegen.

„Der wird sich wundern“, feixte Luzi, dem das Ganze Spaß zu machen schien. Er war guter Laune. Sicherlich freute es ihn, dass ich ihm in die Hölle folgte. In ihr wollte er meine weltmännischen Kenntnisse und klugen Ratschläge in Anspruch nehmen sowie das göttliche Fernglas an sich bringen, das mir am Hals hing.

Wie staunten die Menschen am Kraterrand, als sich Luzifer, den sie als Teufel wegen seiner Verkleidung natürlich nicht erkannten, in die Luft erhob und dann über den Köpfen der Betrachter wie ein Adler kreiste. Dabei keckerte er wie eine Elster.

Ein „Oh!“ und „Ah!“ aus allen Kehlen begleitete seinen Rundflug. Sodann richteten sich die Blicke auf mich, im Glauben, auch ich werde meine Flugtauglichkeit beweisen. Wie gern hätte ich das getan, doch waren mir die Engelsflügel vom Luftsog während des Sturzflugs zur Erde von den Schulterblättern gerissen worden. Ihr Fehlen wurde mir nun bedauerlich bewusst. Doch tröstete ich mich, dass sie mir bei Rückkehr in Gottes Reich wieder angeheftet würden. Ich hoffte, Charlie, der Hauptmann des Engelswachregiments, würde sie in sicherer Verwahrung halten. Er hatte sie ja aufgefangen.

Der kleine Junge sagte: „Er kann nicht fliegen!“

Die Leute wandten ihre Blicke enttäuscht von mir ab und wieder dem fliegenden Luzifer zu. Mich ärgerte das. Ich war geneigt hinauf zu rufen, dass ich vor einigen Augenblicken noch ein flugfähiger Engel mit Flügeln war, doch würde mir das keiner glauben. Man würde mich als hilflose Kraterkreatur verlachen. Zum ersten Mal wurde ich wütend auf Luzifer. Ich schwor mir, ihm jeglichen Ratschlag zu versagen, sollte er ihn von mir verlangen. Meine öffentliche Bloßstellung fand ich erniedrigend. Vielleicht sollte ich ihm auch nicht in die Hölle folgen. Sollte er zusehen, wie er ohne mich fertig würde. Diese meine Absicht rief ich ihm zu.

Auch die Leute vernahmen sie. Hellhörig machte sie meine erboste Bemerkung: „Fahre ohne mich zur Hölle, du dummer Teufel!“

Die Leute sahen sich fragend, auch ein wenig ängstlich an. Ihre Angst wuchs, als der kleine Junge rief: „Seht, er ist kein Vogel, sondern der Teufel! Er hat Hörner auf dem Kopf! Er sieht aus wie ein fliegender Ziegenbock!“

Tatsächlich. Luzifer hatte bei seinen Flugkapriolen den silberfarbenen Helm verloren. Die aus seiner Kopfoberfläche ragenden leicht nach hinten gekrümmten Hörner machten ihn als Satan kenntlich. Ein Betrachter zog die Nase kraus und schniefte: „Es riecht nach Schwefel. Er ist der Leibhaftige.“

Der Mann, der uns zuerst gesichtet hatte, versuchte mit der Erklärung zu beschwichtigen, dass ein Vulkankrater kurz vor seinem Ausbruch Schwefeldämpfe ausstoße.

„Wie? Was?“, entsetzte sich eine Frau mittleren Alters und sprang ängstlich auf und ab. Dabei wäre sie beinahe in den Krater gefallen. Mit ihrem Schreckenssatz: „Der Teufel öffnet die Hölle!“, bekundete sie ihre christliche Strenggläubigkeit.

Nun war der Teufel los. Der sprichwörtliche und der über den Köpfen schwebende. Die Strenggläubige fiel in Ohnmacht, der kleine Junge machte sich in die Hose, und der Rest der Versammelten schlug das Kreuz, um den im Gleitflug herabkommenden Luzifer fern zu halten. Der hatte jedoch keineswegs die Absicht, sich einer Seele zu bemächtigen. Er war bemüht, sich den Blicken der Leute schnellstens zu entziehen. Als Teufel erkannt zu sein, behagte ihm überhaupt nicht. Er war nämlich sehr eitel und legte großen Wert darauf, als Gentleman in Erscheinung zu treten. Sofern er sich in oberirdischen Gefilden bewegte. Das war zwar nicht häufig der Fall, wenn aber, dann tat er es mit Akribie und übertriebenem Imponiergehabe.

Als sich Luzi neben mir niedergelassen hatte, verlangte er von mir, ihn nicht ‚Teufel‘ zu nennen, wenn sich Christen in der Nähe befinden. Ich solle mich dann des gehobenen Begriffs ‚Mephisto‘ bedienen. Der sei den Menschen zwar auch nicht geheuer, doch habe er durch Goethes ‚Faust‘ einen klassischen Anstrich bekommen.

„Du kennst Goethe?“, staunte ich.

„Wer kennt ihn nicht“, tat er selbstverständlich. „Leider“, sprach er weiter, „hat ihn der da oben“ (er meinte den Herrgott) „in seinem Besitz. Eigentlich müsste er mir gehören, denn Goethes Privatleben war nicht immer gottgefällig. Ein richtiger kleiner Saukerl war er, was seine Liebesgeschichten betraf. Von ihm hätte ich eine Menge lernen können. Aber nun habe ich ja dich“, meinte Luzi zufrieden.

„Du hast sehr unbedacht gehandelt“, bog ich die Unterhaltung in eine andere Richtung, denn Goethe genoss meinen größten Respekt.

„Wieso unbedacht?“, fragte er erstaunt. „Haben dir meine Flugkünste nicht gefallen?“

„Die schon, nicht aber die Entblößung deines Hauptes. Bisher glaubte ich, die bildliche Darstellung des Teufels mit Hörnern sei der Phantasie der Menschen entsprungen. Dem ist nicht so; du bist wahrhaftig der personifizierte Ziegenbock.“

Sein Gesicht lief rot an, was ihm umso deutlicher das Aussehen des Leibhaftigen verlieh. Erst jetzt gab ich mich der Betrachtung seines Konterfeis genauer hin. Die große Hakennase, die stechenden schwarzen Augen und sein widerwärtig breiter Mund, der bis zu den spitzen Ohren reichte, vervollständigten die Vorstellung vom Aussehen des Teufels. Irgend ein Maler musste ihn so schon einmal gesehen haben, denn wie anders war es möglich, dass er dergestalt dargestellt ist. Ich senkte meinen Blick, um zu sehen, ob er einen Pferdefuß besitzt. Seine Füße steckten aber in Stiefeln, weshalb ich meine Augen nun seinem Hinterteil zuwandte. Ich hoffte, einen Schwanz an diesem zu entdecken. Sein Unterleib steckte jedoch in einer silberfarbenen Hose. Bestimmt hat er ihn hochgebunden im Beinkleid untergebracht, dachte ich mir.

Zu weiterer Betrachtung kam ich nicht, denn Luzis roter Kopf war Ausdruck seiner zorngeschwellten Halsadern.

„Was erfrechst du dich, mich mit einem Ziegenbock zu vergleichen?“, entlud er seinen Unmut. „Ein Ziegenbock besitzt zwar Hörner wie ich, doch fehlt es ihm an Geist. Dass mir Hörner gewachsen sind, ist Schuld meiner Großmutter, die sich vor einigen Millionen Jahren mit einem gehörnten Drachen eingelassen hatte. Das war zu der Zeit, als es der Erde an Menschen fehlte. Großmutter war in jungen Jahren eine liebeshungrige Göttin. Meine Hörner sind also keinesfalls Ausdruck von Missgestalt.

Dich wundert jetzt, dass ich mit diesem Aussehen einst Engel im Himmel war. Aber nicht wegen meiner Hörner verstieß mich Gott aus seinem Reich, sondern weil ich den Mut aufbrachte, mich seinen unsinnigen Befehlen zu widersetzen. Gott duldet keine Widersacher oder Andersdenkende. Als gehörnter Engel wurde mir ein anderer Lebensraum zugewiesen, in den wir uns nun begeben wollen.“

„Zuvor erlaube ich mir die Frage“, sagte ich, „wie du als Drachenenkel in den Himmel kommen konntest. Drachen, eigentlich Dinosaurier, lebten bekanntlich auf der Erde und nicht im Himmel.“

„Deine Wissbegier freut mich“, entgegnete Luzi. „Weil du fürderhin in meinen Diensten stehen wirst, ist es dein gutes Recht, Genaues über mich und meine Herkunft zu erfahren. Geboren wurde ich im Himmel. Gezeugt war ich vom Engel Thursos, einem hörnerlosen Himmelsbewohner. Meine Mutter hatte sich unsterblich – im wahrsten Sinne des Wortes – in ihn verliebt. Thursos war keine sonderliche Schönheit, doch verstand er es ausgezeichnet, Engelinnen zu befruchten. Das wusste meine Mami, weshalb sie sich ihm hingab. Wohl auch in der Hoffnung, dass ich hörnerlos zur Welt kommen werde. In den ersten zwei Stunden nach meiner Geburt – im Zeitverständnis der Menschen etwa zweitausend Jahre – waren bei mir keine Anzeichen von Hörnerbildung zu sehen. Mami war glücklich. Sie hatte aber nicht bedacht, dass auch im Himmel Gene vererbt werden, und zwar in der zweiten Generation. Wie entsetzte es sie und ihre Freundinnen, als sich auf meiner Kopfhaut zwei kleine Beulen bildeten, die dann zu Hörnern wuchsen. Großmutter war erfreut, dass ich auf diese Weise ihrem einstigen Drachenliebhaber ähnelte. Auch ich zeigte mich nicht entsetzt über meine andersgeartete Kopfform. Mit meinen Hörnern stieß ich so manchen Engel um, der mich wegen meines Aussehens verlachte oder hänselte. Recht schnell kam Gott zu Ohren, welcher Exot in seiner Engelsschar heranwuchs. Als ich ihm vorgeführt wurde, war er entsetzt. Er überlegte, wie er mit mir verfahren sollte. Um eine Begründung für seine arglistigen Überlegungen zu finden, sagte er mir: ‚Du bist aber hässlich.‘

Trotzig erwiderte ich: ‚Du bist auch nicht der Schönste.‘

Solche Offenheit hatte sich noch niemand erlaubt. Gedacht wohl schon, nicht aber geäußert.

‚Du bist nicht nur hässlich, sondern auch frech‘, brummte er.

Ich blieb ihm die Antwort nicht schuldig und entgegnete: ‚Und du bist ungepflegt; in deinem Vollbart tummeln sich Läuse.‘ Damit wollte ich lediglich andeuten, dass ich mir nichts gefallen lasse.

Er geriet außer sich. Woher ich wissen wolle, dass er Läuse habe. Ich log, dass dies Engelsgespräch auf allen Wolken sei. Er fiel aus allen Wolken und rief seinen Personenschutzengel zu sich. Dem befahl er, alle Engel zusammenzutrommeln. Als sie versammelt waren, fragte er streng, wer verbreitet habe, er hätte Läuse im Bart. Die Engel schwiegen und guckten verängstigt nach unten. Der Alte blieb unnachgiebig und wurde im Tonfall barscher

‚Wenn sich der Engel-Bengel nicht sofort meldet, lasse ich euch allen eine Feder aus beiden Flügeln rupfen.‘

Die Engel ahnten, dass ihr Herr und Meister ernst machen würde. Doch schwiegen sie auch jetzt.

‚Nun gut‘, dröhnte der Allmächtige, ‚dann wird jetzt jeder Zehnte nach vorn treten. Dem werde ich sämtliche Flügel abschneiden lassen.‘

Er gab dem kräftig gebauten Personenschutzengel ein Zeichen, woraufhin der freudig vor die Engel hintrat und abzuzählen begann: ‚Eins, Drei, Zwölf, Fünf …‘

‚Stopp, du Idiot‘, schnauzte Gott, ‚muskulös wie Schwarzenegger, aber dumm wie Bohnenstroh. Und so einer steht in meinen Diensten. Du bist fristlos entlassen.‘

Der Personenschutzengel begann zu weinen.

‚Das ist ungerecht‘, erboste sich eine Engelin. Es war die Freundin des Entlassenen. ‚Was kann er dafür, dass er nicht richtig zählen kann. Er hat es in den Muskeln und nicht im Kopf. Das hast du gewusst, hoher Herr, als du ihn in deine Dienste nahmst.‘

Gott zog die Stirn kraus, ein Zeichen dafür, dass er überlegte. Dann sprach er: ‚Du scheinst mit ihm unter einer Decke zu stecken.‘

‚Jawohl, unter einer Wolkendecke, wenn wir uns lieben‘, sie ohne Scham.

Diese Offenheit gefiel dem Boss, weshalb er den Personenschutzengel wieder in seinen Dienst stellte.

‚Liebet und mehret euch‘, gab er ihm und seiner Freundin mit auf den Weg. Damit war ein weiterer Bibelspruch geboren. Allerdings ein sexbetonter, schloss Luzifer.

Dieses abrupte Ende stellte mich nicht zufrieden.

„Du hast unerwähnt gelassen“, sagte ich „wie Gottlieb die Behauptung, er habe Läuse im Bart, als deine Lüge entlarvte.“

„Er entlarvte sie nicht. Ich gestand sie ihm.“

„So ohne Weiteres?“

„So ohne Weiteres. Ich tat es, als er seinem Personenschutzengel befahl, dem ersten zehnten Engel die Flügel abzusäbeln. Er hatte sich seines Grimms erinnert.“

„Du hast also aus purem Mitgefühl deine Lüge als Lüge kenntlich gemacht?“

„So ist es.“ Luzis Brust schwoll.

„Wie hat Gottlieb darauf reagiert?“

„Sprich nicht dauernd von Gottlieb. Gott ist nicht lieb. Er entfernte mich umgehend aus der Schar der Engel und wenig später aus dem Himmel.“ Luzi seufzte, als wäre ihm etwas Unehrenhaftes widerfahren. „Daran kannst du ermessen, wie göttlich Gott ist“, fügte er hinzu.

Mir behagte nicht, dass er so abwertend über meinen göttlichen Freund und Wohltäter befunden hatte. Deshalb sagte ich mit hörbarem Unmut, dass er auch jetzt wieder gelogen habe. Gottlieb sei von edlem Gemüt und stets darauf bedacht, Gutes zu tun. Er sei die Personifizierung all dessen, was der Mensch für sich als erstrebenswert erachtet.

„Nicht jeder Mensch“, berichtigte Luzi. „Diejenigen, denen es nicht gelingt, nach den von Gott gesetzten Maßstäben gelebt zu haben, überlässt er zur weiteren Einflussnahme mir. Um ihnen gehörig Angst einzujagen, verteufelt er mein Höllenreich als die Stätte furchtbarster Grausamkeiten. Ich will nicht Einzelheiten nennen, welcher perfider Ideen er sich dabei bedient. Du wirst dich überzeugen können, dass meine Hölle der Ort vollster Zufriedenheit, guter Behandlung und höchster Lust ist. Dann wirst du sie mit anderen Augen sehen und mich nicht als Lügner brandmarken.“

„Brandmarken ist ein recht krasses Wort“, meinte ich. „Du willst mir doch nicht weismachen, dass dich Gottlieb wegen deines engelsfreundlichen Handelns aus dem Himmel verbannte.“

„Hatte er“, beeilte sich Luzi, seinen lobenswerten Einsatz glauben zu machen. „Du bist durch ihn verblendet worden. Ich möchte nicht wissen, wieviel Unwahrheiten er über mich geäußert hat.“

„Ich glaube, er hat die Wahrheit gesagt.“

„Du glaubst es, weißt es aber nicht. Auf Glauben allein beschränkt sich Gottes Allmacht.“

„Auf Wissen ist es ja nicht möglich“, hielt ich dagegen. „Durch mich kommt sein göttliches Wirken endlich ans Licht, d.h., meine Aufzeichnungen über ihn, sein Denken und Tun werden der Menschheit nun wahrheitsgemäß bekannt.“

„Hoffentlich das auch über mich.“

„So ich Gutes berichten kann, ja. In meinen Aufzeichnungen über Gottlieb und sein Reich habe ich allerdings geschrieben, dass du aus Gottes Reich verstoßen wurdest, weil du dich auch an Engelinnen unsittlich vergangen hattest, vergewaltigt also. Das sagte mir Gottlieb.“

„Dieser infame Lügner.“ Luzis Kopf lief wieder rot an. „Er schämt sich nicht, solche Unwahrheit in die Welt zu setzen. Und du, Wilhelm, hast diesen Unfug veröffentlicht!“

„Was sollte ich tun?“, gestand ich. „Gottes Wort ist wahr.“

„Daran zweifeln auf Erden nur die, die sich ihres gesunden Menschenverstandes bedienen. Du scheinst nicht zu denen zu gehören, Wilhelm Murks.“

„Das ist doch die Höhe“, geriet ich in Rage. „Weshalb willst du mich in deine Dienste nehmen, wenn dir jetzt schon Zweifel an meinem Verstand kommen?“

Ich machte Anstalten, das Kratergefälle zu erklimmen. Dabei schoss mir durch den Kopf, dass dies die beste Gelegenheit sei, in irdische Gefilde zurückzukehren. Wie würden sich meine Lieben freuen, mich wieder zu sehen. Oder freuten sie sich nicht? Für sie war ich ja tot. Sie hatten mich bestattet. Die Anwesenden hatten sogar Tränen vergossen. Einige aus echter Trauer, die meisten aber aus Freude, dass sie mich los waren. Ich würde also nichts Gutes erreichen, wenn ich aus dem Jenseits zurück kam. Selbst die Kirche würde Zweifel an meiner Auferstehung hegen, denn die wurde einzig und allein Jesus zugestanden. Gottlieb würde mir grollen.

„Scheiße!“, fluchte ich.

„Na, na, Wilhelm“, beruhigte Luzi, „so böse habe ich es nicht gemeint. Natürlich besitzt du ein hohes Maß an Intelligenz. Deshalb bist du interessant für mich. In der Hölle befinden sich zwar eine Menge geistiger Größen, doch fehlt ihnen allen das, was du besitzt.“

Er hielt inne, um mich neugierig zu machen. Das war ich nun und fragte, was das sei.

„Hinsichtlich der neuesten irdischen Ereignisse bist du auf dem neuesten Stand. Fast. Aktueller jedenfalls als Erich Honecker.“

„Was“, fragte ich erstaunt, „der ist auch bei dir?“

„Wo denn sonst! Der hat doch den DDR-Sozialismus gegen die Wand gefahren.“

„Gegen die Mauer“, korrigierte ich.

„Meinetwegen, und deshalb befindet er sich in der Hölle.“

„In der er für seine Untat nun büßen muss“, setzte ich fort.

Luzi, den Kopf schüttelnd: „Nein, von büßen kann keine Rede sein. Er befindet sich nebst anderen bekannten Politikern der Weltgeschichte im Debattierraum und diskutiert mit ihnen darüber, was falsch gelaufen ist und besser zu machen gewesen wäre. Ich habe ihn deshalb erwähnt, weil er auch dich regiert hat. Soviel ich weiß, warst du doch Einwohner der ehemaligen DDR.“

Mein Drang, in die Hölle zu kommen, wuchs. Ich bat Luzi, mich sofort in den Debattierraum zu führen, sobald der Höllenboden erreicht sei. Ihn freute, dass ich Feuer und Flamme war, sein Flammenreich zu betreten. Er werde mir den Wunsch natürlich erfüllen. Zunächst jedoch müsse er mich seiner Familie vorstellen. Ohne diesen Anstands-Wau-Wau würde ich ständiger Skepsis ausgesetzt sein. Und das wäre doch nicht in meinem Sinne.

Ich verneinte bejahend.

„Na dann“, schloss er seine Worte, „ab in die Hölle!“

Er breitete die Arme aus und murmelte etwas Unverständliches. Wie von Zauberhand geschaufelt öffnete sich der Kraterboden zu einem Loch, in das Luzi mit mir hinabschwebte.

Ankunft in der Hölle

 

„Willkommen im wärmsten Ort der Erde!“, tönte es aus Öffnungen links und rechts des Höllenschlundes. Ich konnte der Durchsage nicht widersprechen. Trotz des Luftzugs, der durch das Abwärtsschweben verursacht wurde, spürte ich die wohltuende Temperatur. Mein Denken konzentrierte sich nun auf das, was mich erwarten wird. Je näher wir dem Erdinneren, also der Hölle kamen, desto wärmer wurde es. Auch wurde es zunehmend heller. Nicht wie das liebe Tageslicht, sondern wie der Schein vieler kleiner Lichter.

„Wir sind gleich da!“, sagte Luzi.

Wenig später kamen wir unten an. Nicht auf schmutzstarrender Fläche, sondern auf einem Glasboden, unter dem viele Flämmchen züngelten und den Eindruck erweckten, ich würde auf offenem Feuer stehen. Meine bloßen Füße verspürten aber keinen brennenden Schmerz. Im Gegenteil, das Glas war wohltemperiert. Ich hob meinen Blick und ließ ihn schweifen. Mein Erstaunen wuchs, denn nicht in einer finsteren Höllenhöhle befand ich mich, sondern in einer hellen, freundlichen und überaus großen Halle, ähnlich der Rezeption eines großen Hotels. Wie in einer solchen hielten sich auch hier mehrere Personen auf, die sich angeregt unterhielten. Eigentlich hatte ich vor Schmerzen brüllende Menschen in über offenem Feuer hängenden Kesseln in siedendem Wasser erwartet. Meine Vorstellungen vom Innenleben der Hölle waren von den Schauergeschichten meiner Großmutter geprägt, die so anschaulich erzählt hatte, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Das Mitgeteilte war natürlich nicht auf ihrem Mist gewachsen, sondern Ergebnis der Gräuelmärchen, mit denen der Pfarrer allsonntäglich die Gläubigen zum Zittern brachte. Unterstützt wurden sie durch bunte Bilder, die gruseliger als die gruseligsten Gruselfilme waren. Die in den Kesseln kochenden Menschen waren nackt, die hier in der Rezeption recht vornehm gekleidet. Auch waren meine Vorstellungen dahingehend geprägt, kleine Teufel um die Höllenkessel hüpfen zu sehen, die die Feuer schürten. Angefeuert durch des Teufels Großmutter, einer hässlichen Hexe. Wie fürchtete ich mich als Kind, jemals in die Hölle zu kommen. Deshalb hielt ich die Sünden, denen ich auf meinem weiteren Lebensweg erlag, so gering wie möglich. Wenn ich gewusst hätte, wie die Hölle wirklich ist, hätte ich zügelloser gelebt. Manche meiner Freunde, die ihre lüsterne Begierde auslebten und wussten, dass sie dafür die Hölle erwartet, zeigten keine Angst und Reue. Sie freuten sich auf das nach ihrem Tod Kommende. Sie meinten, in der Hölle herrsche Action, in ihr könnten sie ihr lasterhaftes Tun fortsetzen. Im Himmel sei es in der Gemeinschaft mit braven Engeln stinklangweilig.

„Na, Wilhelm, überrascht?“, fragte mich Luzi.

Ich nickte, obwohl ich vermutete, dass der Glanz dieser Empfangshalle sicherlich nur trügerischer Schein war. Zu uns gesellte sich ein adrettes brünettes Fräulein. Sie sah gut aus.

„Mehr hast du von oben nicht mitgebracht?“, fragte sie Luzi sichtlich enttäuscht.

„Was heißt ‚nicht mehr‘, Hexi? Diese Person habe ich Gottlieb entwendet.“

„Wer ist Gottlieb?“

„Der da droben.“ Luzi wies mit dem rechten Daumen nach oben.

„Du meinst den Überirdischen?“

„Genau den.“

„Weshalb bedenkst du ihn mit einem Kosenamen? Bist du ihm jetzt wohlgesonnen?“

„Ich nicht, aber der da.“ Luzis Daumen schwenkte in meine Richtung.

„Wer ist der?“

Ich spürte, dass ich der Brünetten nicht willkommen war. Was hatte sie an mir auszusetzen?

Luzi erklärte ihr seine Absicht, mich hierher gebracht zu haben. Während er das tat, sortierte ich meine Gedanken. Mir fiel ein, dass er mich zunächst seiner Familie vorstellen würde. War die adrette Brünette etwa seine Gattin? Dann hatte er eine sehr hübsche Ehefrau. Bei seinem Aussehen ein wahres Wunder. Ich änderte meine Überlegung und kam zu dem Schluss, dass sie seine Mutter sei. Die Großmutter auf keinen Fall, dafür war sie zu jung.

Da Luzifer seine Erklärungen zu meiner Person noch nicht beendet hatte, konzentrierte ich meine Blicke auf die in der Empfangshalle anwesenden Personen. Mir fiel auf, dass sie alle von blasser Gesichtsfarbe waren, so, als hätte ihre Haut seit Wochen keinen Sonnenstrahl mehr empfangen. Kein Wunder; wie sollte ins Erdinnere Sonnenlicht gelangen. Die Blasshäutigen unterhielten sich zwar angeregt, doch waren ihre Gesprächslaute nur monotones Gemurmel, also nicht klar akzentuiert. Dabei sahen sie sich mit leeren Blicken an. Vielleicht war ihnen ihr Gegenüber so vertraut, dass sie an ihm nichts Bemerkenswertes mehr entdecken konnten. Eigentlich hätte ihre Aufmerksamkeit meinem Erscheinen gelten müssen, doch reagierte nicht einer neugierig. Vielleicht war ich ihnen nicht sichtbar. Ein in meiner Nähe befindlicher Wandspiegel veranlasste mich, in ihn zu blicken. Was ich sah, entsetzte mich. Seit meinen letzten Lebenstagen auf der Erde hatte ich mich nicht wieder betrachten können. Gottlieb hatte mir wohlweislich einen Spiegel vorenthalten. Ich sah ein Gesicht, das nicht im entferntesten Ähnlichkeit mit dem mir bekannten hatte. Mein Kopf war einem Totenkopf ähnlich, bedeckt von grauer lederartiger Haut, aus der sich die Kopfknochen wölbten. Ich öffnete den Mund, um einen Ruf des Erschreckens auszustoßen. Kaum hatte ich die bleichen Lippen geöffnet, überkam mich das nächste Entsetzen. Mein Gebiss hätte auch den erfahrensten Zahnarzt in die Flucht geschlagen. Ich versuchte ein Lächeln, wie es zu meinen Lebzeiten bei Frauen erfolgreich war. Jetzt machte es mich fürchten. Mein Gott, war ich hässlich. Deshalb also schenkte man mir keine Aufmerksamkeit. Ich kam zum dem Schluss, dass der Spiegel falsch spiegele. Ein Zerrspiegel, wie man ihn auf Jahrmärkten findet. Luzifer hatte ihn sicherlich aufgehängt, um den Ankommenden Angst vor dem eigenen Ich zu machen. Oder aber, um sie auf das einzustimmen, was sie an Hässlichem noch erwarten würde.

„So machst du mir die Hölle nicht sympathisch, Luzifer“, sprach ich halblaut vor mich hin und zeigte meinem Siegelbild die Zunge. Das sah aus, als würde aus meinem Mund eine Schlange kriechen. Flugs zog ich sie zurück.

Neben mir vernahm ich ein keckerndes Lachen und die Frage: „Gefällst du dir, Wilhelm?“

„Natürlich nicht“, erwiderte ich und wiederholte die Bemerkung, dass er, Luzifer, mir die Hölle auf diese Weise nicht sympathisch mache.

„Wie hättest du sie gern?“

„So, wie du sie mir beschrieben hattest.“

„Nicht anders wirst du sie erleben. Doch zunächst will ich dir ein wichtiges Mitglied meiner Familie vorstellen.“