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Auf einer Wiese am Hang der Alpen lebt das Murmeltier Mu. Mit den Jahren ist es so alt und so weise geworden, dass es sämtliche Dinge der Welt und des Lebens versteht. Seine Weisheit hat hier und da eine Gämse belauscht, eine Föhre, ein Holzfäller, eine Grille. Bald sprach sich die Weisheit des Murmels herum, und immer mehr Pilger fanden sich mit ihren Fragen vor seinem Bau auf der Wiese ein. Die Hirtenkinder waren von Beginn an dabei. Ihr Vieh fand sein Gras auch allein. So setzten sie sich in die Wiese und lauschten. Ein Hirtenbub schrieb manches aus den Reden Mus mit. Das mochte er lieber als die Hausaufgaben vom Tal. Ein Druckwerk hat daraus ein Buch hergestellt. Manche der Geschichten sind lustig, andere weise, wieder andere pechschwarz. Das Buch ist deshalb nur für Leser ab 16 Jahren gedacht.
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Volker Friebel
Murmel Mu
Aus den Reden eines Murmeltiers
Edition Blaue Felder, Tübingen
Impressum
Edition Blaue Felder,
Volker Friebel, Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen (Deutschland)
www.Volker-Friebel.de
Text und Gestaltung: Volker Friebel
Erstveröffentlichung: April 2020
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Vorwort
Die Reden Mus
Weise
Feuer und Rad
Das Wasser der Wahrheit
Distelflaum
Verantwortlichkeit
Vom Anfang
Von der Teilung der Arbeit
Lebensweg
Von der Ausbreitung des Guten
Das schwarze Buch
Die Sonne
Palast aus Gold
Der Fisch
Die Sprache der Farben
Gott
Wie der Sinn in die Welt kam
Kurfürstentum
Das liebliche Tal
Nutzen der Weisheit
Von der Herkunft der Menschenrechte
Anker
Der Osterhase in Quarantäne
Der Schatz
Männlein und Weiblein
Die Geschichte vom singenden Kamel
Krumme Bananen
Wie die Welt zur Umwelt wurde
Wie der Umweltschutz und die Kartoffel erfunden wurden
Der Fuchs und die Krähe
13 Statuen und ein Kübel Schwarz
Verwandt
Von der Entstehung des Gänseblümchens
Mu als Regent
Das Manuskript
Zu Buch und Autor
Auf einer Wiese am Hang der Alpen lebt das Murmeltier Mu. Den Sommer über liegt es im Gras zwischen Blumen und sonnt sich. Im Winter schläft es in seinem Bau tief unter den Wurzeln der alten Föhre.
Damit reichlich beschäftigt, wurde es mit den Jahren immer älter und weiser. Und weil es über all diese dringenden Geschäfte keine Zeit zum Sterben fand, wurde es unversehens so alt und so weise, dass es sämtliche Dinge der Welt und des Lebens verstand. Denn die hatten ihm die Bienen gesummt, die Vögel gepfiffen, der Wind hergetragen, die Wanderer auf ihren einsamen Streifzügen erzählt. Und es hatte über alles gut nachgedacht.
Irgendwann begann das Murmeltier der Welt zu antworten, am liebsten dem Wind. Sie sprachen miteinander, und das Murmel berichtete von dem, was ihm den lieben langen Tag in den Sinn gekommen war. Das hat auch hier und da eine Gämse belauscht, die Föhre, ein Holzfäller, eine Grille. Bald sprach sich die Weisheit des Murmels herum, und immer mehr Pilger fanden sich mit ihren Fragen vor seinem Loch auf der Wiese ein.
Die Hirtenkinder waren von Beginn an dabei. Ihr Vieh fand sein Gras auch allein. So setzten sie sich in die Wiese und lauschten.
Ein Hirtenbub schrieb manches aus den Reden Mus mit. Das mochte er lieber als die Hausaufgaben vom Tal. Auf den folgenden Seiten steht ein Auszug davon.
Manche der Geschichten sind lustig, andere weise, wieder andere pechschwarz. Das Buch ist deshalb nur für Leser ab 16 Jahren gedacht.
Zusatz vom Buchdrucker: Die lustigen und die weisen Worte stammen von Murmel Mu und wurden vom Hirtenjungen exakt aufgezeichnet. Die mürrischen Sachen dazwischen stammen aber vom Schriftsteller, der dem Jungen die Kladde weggenommen hat und das Buch zu seinem eigenen machen will, was aber nicht richtig ist! Das steht alles genau im letzten Kapitel.
Zusatz von der Stadtverwaltung im Tal: Das Buch darf nur mit einer Sondergenehmigung der Stadtverwaltung gelesen werden, mit Stempel und Bescheinigung, dass es sich beim Lese-Anwärter um einen zuverlässigen Bürger handelt.
Zur Sicherheit empfehlen wir außerdem eine genaue Lektüre der Lese- und Schreibverordnung des Magistrats, unter besonderer Berücksichtigung der Paragrafen 487 a-d, bis einschließlich Absatz 42.
Selbstverständlich sind Lesen und Schreiben in unserem Tal frei, im Unterschied zu anderen Tälern – es sei denn natürlich, ihre Ausübung verstößt gegen die Bestimmungen in den genannten Paragrafen oder das allgemeine Empfinden.
„Mein Leben lang war ich ein Herumtreiber. Ich hab viel erlebt und gelernt. Nun bin ich alt geworden – aber auch weise? Nein. Kann ich das irgendwie nachholen?“, fragte ein grauhaariger Wanderer.
„Besser nicht“, entgegnete Mu. „Im Alter sollte man lieber nicht weise sein. Das schickt sich eher für die Jugend, wo es auch nötiger ist.“
Und Mu streckte seine Zunge heraus.
Der Alte lachte und zeigte ihm seine.
Ein Wanderer setzte sich zu Mu vor dessen Bau und fragte: „Wenn ihr so weise seid: Warum habt ihr Murmel weder das Rad noch das Feuer erfunden?“
Mu blinzelte und antwortete: „Weil wir glücklich sind. Wir mussten nie etwas verändern. Wo das Wort ‚neu‘ viel gilt, sind die Menschen nicht glücklich.“
„Was ist Glück?“, wollte der Wanderer wissen.
Mu leierte herunter, was in der Anmerkung eines Wellness-Prospekts stand, den eine Pilgerin vor seinem Bau liegengelassen hatte: „Glück ist ein Zustand, der mir wohl tut, der mir gut tut und den ich nicht verändern möchte.“
„Damit kommt man nicht weit“, sagte der Wanderer und neigte den Kopf.
„Nein“, lachte Mu, „damit kommt man nicht weit.“ Er schlug mit dem Schwanz in das duftende Gras.
„Liebes Murmel“, sagte ein Mann, der von der Universität hoch auf die Wiese gestiegen war, „Jahr um Jahr schon forsche ich, wie andere neben und vor mir. Obwohl wir auch wirklich viel Wissen angehäuft haben und noch immer mehr anhäufen, scheint uns die Wahrheit dauernd zwischen den Fingern zu entgleiten. Nach so vielen Jahren des Forschens meine ich fast, ihr kein bisschen näher gekommen zu sein, obwohl ich so viel mehr weiß als früher.“
„Wissen ist gut und reicht aus“, pfiff Mu. „Sei froh, dass du die Wahrheit nicht findest. Willst du hören, was den Leuten passiert ist, die sie gefunden haben?“
Der Wissenschaftler nickte, und Mu erzählte ihm eine Geschichte.
„Eines Sonntagvormittags vor langer, langer Zeit erschienen an der Unterseite einer Wolke feine Risse. Es knirschte und polterte. Dann öffnete sich plötzlich eine Falltür und ein mächtiger Schwall Wasser stürzte hinab auf die Erde. Das war aber das Wasser der Wahrheit. Alles wurde patschnass.
Die Leute warfen böse Blicke nach oben, aber die meisten schüttelten sich dann bloß und setzten ihren Spaziergang fort. Auch die Wolke zog weiter. Die Sonne kam hinter ihr vor und trocknete den ganzen Schlamassel. Und bald war alles wie immer.
Aber nicht ganz.
Nach ein paar Tagen bemerkte der Apotheker zufällig, dass das Gras auf den Wiesen aufgehört hatte zu wachsen. Am nächsten Morgen besorgten sich alle Leute gleich Maßbänder, um nachzumessen – und richtig: Das Gras wuchs keinen Millimeter mehr.