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Mila erhält einen mysteriösen Brief. Auf dem Umschlag steht in goldenen Buchstaben ›Mysterious Game‹. In dem Anschreiben wird weder ein Treffpunkt, noch eine Uhrzeit genannt. Sie hält es für einen Scherz und wirft die Einladung weg. Plötzlich findet sie sich mit der Einladung in einem dunklen, verstaubten Zimmer wieder. Ein Zimmer ohne Fenster und ohne Tür, nur mit einer neuen Anweisung. Herzlich willkommen beim ›Mysterious Game‹.
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2023
Bianka Mertes
Mysterious Game: Ein Spiel - fünf Leben
Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
© 2018 Bianka Mertes
Oberwindhagener Str. 26a
53578 Windhagen
Cover:
Bianka Mertes
Bildmaterial:
www.depositphotos.com
© agnadevi
© Ijalin
Lektorat und Korrektorat:
Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt www.buchstabenpuzzle.de
1. Auflage
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN: 978-3-347-81069-3
Bianka Mertes
Mysterious Game
Ein Spiel - fünf Leben
Prolog
Das einfache Wort ›Einladung‹ auf dem edel wirkenden Briefumschlag weckte ihre Neugier. Hätte Mila allerdings gewusst, was in dem Brief stand, hätte sie ihn niemals geöffnet. Lieber hätte sie diesen zerrissen, verbrannt und seine Asche in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Zaghaft öffnete Mila den Umschlag, denn goldene Umschläge gab es in dieser Familie nicht. Es gab nur noch ihre Mutter und sie. Wer also sollte Mila eine Einladung schicken? Sie kannte jedenfalls keinen.
Mila zog die schöne goldverzierte, weiße Karte heraus und las die Worte leise vor:
»Einladung zum Mysterious Game«
Wann und wo wurde offengelassen. Diese Karte war sehr mysteriös, offensichtlich ein Fake. Wer käme schon auf die Idee so einen Quatsch zu verschicken? Und dann ausgerechnet ihr?
Mila schenkte der Nachricht keine weitere Beachtung und bunkerte den Umschlag in dem Stapel Zeitungen, den sie in einer Ecke des Zimmers sammelte. Sie hatte die Einladung auch schon bald vergessen, bis Mila eines Tages in einem völlig verstaubten Zimmer aufwachte, zusammen mit dieser Karte und einer Anweisung.
Kapitel 1
Mila blickte sich ängstlich im dämmrigen Raum um und wunderte sich. Dieses Zimmer hatte offensichtlich keine Tür oder Fenster. Wie zur Hölle war sie hier rein gelangt? Wo war sie hier genau? In ihrem Innersten breitete sich das Gefühl von Panik aus, dabei brauchte sie wahrscheinlich gerade jetzt einen klaren Kopf. Aber das war ihrem Körper ziemlich egal, er zitterte wie Espenlaub.
Mila stand auf und sah sich um. Irgendwo musste es doch einen Ausgang geben, schließlich musste sie ja genauso auf irgendeine Weise hier reingekommen sein. Mila spürte, wie sich die Augen mit Tränen füllten, zugleich hämmerte sie mit geballten Fäusten gegen die Wände, bis Mila wieder am Ausgangspunkt angekommen war. Nichts. Nicht einmal ein dumpfes Geräusch, das auf einen Hohlraum hindeutete.
Ängstlich und enttäuscht sank Mila auf die Knie. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Sie war hier gefangen, an einem unbekannten Ort, der in ihr ein kaltes Grausen auslöste.
Der eisig kalte Boden ließ Mila frösteln. Instinktiv setzte sie sich und zog die Beine an den zitternden Köper heran, um ihm so ein wenig Wärme zu spenden.
Mila trug noch immer die Sachen, die sie sich für die Party herausgesucht und vor dem Spiegel anprobiert hatte. Eine blaue dünne Jeans zu der sie das kurze rote Leinen T-Shirt angezogen hatte, was ihr angeblich so gut stand. Doch jetzt verfluchte Mila es eher und wünschte sich, lieber einen Pullover übergezogen zu haben. Zum Glück wollte sie wissen, wie ihr die Turnschuhe und die Jacke dazu standen, sonst hätte Mila hier jetzt wahrscheinlich ohne Schuhe herumgehangen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und sah sich in diesem Gefängnis genauer um.
Plötzlich flackerte die winzige Deckenleuchte gespenstisch auf und spendete mehr Licht. Sie nutzte die Chance, um sich ein besseres Bild von dem Raum zu machen. Die Wände und der Boden wirkten kahl und kalt, mit grauem Putz überzogen, sodass keine Steine erkennbar waren. Feuchtigkeit bahnte sich einen Weg, wodurch einzelne Stellen dunkler gefärbt waren. Spinnweben glitzerten in den Ecken. Die Bauarbeiterin der Netze seilte sich gerade in diesem Moment von der Lampe an einem langen Faden ab. Behaart und wahrscheinlich auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, dieses Bauwerk zu vollenden. Gott sei Dank fürchtete sich Mila nicht vor diesen Achtbeinern. Wie es aussah, ihre einzige Gesellschaft in diesem muffigen Raum, in dem die Luft zu stehen schien.
In diesem Moment dachte Mila schlagartig wieder an die Anweisung, die neben ihr gelegen hatte, nachdem sie aufgewacht war. Zu allem Überfluss hatte Mila sich eben auf die Zettel gesetzt. Mit zittrigen Fingern zog sie diese hervor und hoffte, darin eine Erklärung zu finden. Es musste ja schließlich einen Grund für diese Situation geben. Nervös zog Mila die blaue Karte aus dem Umschlag, der nicht verschlossen war und begann die Zeilen zu lesen.
»Bei diesem Spiel wirst Du mit vier weiteren Mitspielern gegen andere Teams antreten.
Du trägst nicht nur die Verantwortung für Dein Leben, sondern ebenfalls für das Deines Teams. Damit das Spiel spannend bleibt, wird zudem das Wichtigste in Deinem Leben eingesetzt. Was das ist, muss jeder für sich entscheiden.
Aber Vorsicht, ein grober Fehler oder Regelverstoß führt zum sofortigen Tod des Spielers und zum sofortigen Ausschluss des Teams, was nicht bedeutet, dass die restlichen Mitspieler dieses Haus lebend verlassen werden. Diese Regeln gelten für alle Teams, die teilnehmen. Also überleg Dir sehr gut, was das Wichtigste für Dich ist. Denn nur Du und Dein Team können es retten.
Viel Glück beim Mysterious Game und ein langes Leben«
Mila las die unglaublichen Sätze noch einmal durch, ließ daraufhin den Brief langsam sinken und spürte, wie die Panik mit voller Wucht zurückkehrte. Angstschweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Milas Herz klopfte bis zum Hals. Das war wohl ein schlechter Scherz. Irgendwo in diesem Raum musste eine versteckte Kamera installiert sein und am anderen Ende lachte sich gerade jemand über ihre wachsende Panik kaputt. Doch Mila konnte keine Kamera entdecken, zudem war sie im Übrigen allein in diesem Raum. Es gab nur Mila, die Einladung, die Anweisung und ihren neuen achtbeinigen Freund. Mit dröhnendem Kopf stand sie auf und torkelte schweratmend zu einer Wand, um erneut wie wild dagegen zu hämmern.
»Lasst mich raus. Was soll der Scheiß? Ich will hier weg.« Keine Antwort. Immer wieder schlug Mila dagegen, wobei die Verzweiflung mittlerweile ins Unermessliche stieg. Nichts regte sich. Es herrschte Totenstille. Sie hatte Angst. Angst, dass sich die Worte der Anweisung wirklich bewahrheiten könnten, auch wenn Mila eher an einen schlechten Witz glaubte. Allerdings konnte Mila davon schon nicht mehr ausgehen, nachdem sie mit brummenden Schädel hier in diesen vier Wänden aufgewacht war. Dieser Raum, diese verdammte Karte, die sie nie hätte lesen sollen und diese Anweisung klangen alles andere, als nach einem schlechten Witz. Wieso hatte sie diese verdammte Einladung nicht sofort vernichtet? Darüber hinaus dachte Mila an einen ganz bestimmten Satz, der ihr Sorgen bereitete: Das Wichtigste in ihrem Leben.
Es gab nur eines, das ihr wichtig war und das war ihre Mutter. Oh Gott, was hatten die mit ihr angestellt? In Milas Kopf spielte sich ein Horrorfilm ab. Wie krank musste man sein, um sich einen solchen Mist auszudenken?
Derjenige hatte sein Ziel auf jeden Fall erreicht. Milas Panik wuchs sekündlich mehr und das nicht nur wegen ihres eigenen Lebens. Sobald sie nur daran dachte, drehte sich ihr Magen um.
»Verdammt noch mal, wer bist du und was bezweckst du eigentlich mit dieser miesen Aktion? Und wie zur Hölle hast du es geschafft, mich hier hin und in dieses Zimmer zu bekommen?« Mila schrie die Worte heraus, denn ruhig bleiben konnte sie nicht mehr. Die Gedanken an ihre Mutter, an das eigene Leben, das sie vielleicht verlieren könnte, waren einfach unerträglich und machten diese allmählich verrückt. Mila malte sich die schlimmsten Bilder aus, die sich hoffentlich nie bewahrheiten würden.
Ihre Schlagader pochte wild gegen die Haut, der Puls erhöhte sich immer mehr und die Kehle schnürte sich weiter zu. Was, wenn sie diesen Raum nicht lebend verlassen könnte? Sowie ihre Mutter nie wieder sehen würde?
Plötzlich spürte Mila ein leichtes Vibrieren unter den Fingern, das nach und nach kräftiger wurde. Ihre Angst wuchs und sogar die Spinne, die sich eben noch abgeseilt hatte, zog das Seil wieder ein und brachte sich in dem rettenden Netz in Sicherheit. Wenn Mila jetzt doch nur mit der Spinne tauschen könnte.
Mit einem Mal vernahm sie ein merkwürdiges Geräusch. Es klang wie Mahlsteine, die übereinander reiben. Unwillkürlich riss sie die Augen und, blickte auf die Wand gegenüber. Mila bemerkte Putz von den Wänden fallen, feine Risse bildeten sich. Sogar von der Decke rieselte immer mehr Staub und vernebelte die Sicht. Aus dem Vibrieren wurden richtige Erschütterungen und Mila bekam eine Heidenangst, während sie darüber nachdachte, dass dieses Gebilde jeden Moment über ihr zusammenstürzen könnte. Mila quetschte sich in eine Ecke und starrte wie versteinert an die Wand, die zu rütteln begann. Mit den Händen versuchte sie, sich gegen die immer größer werdenden Brocken der Decke, die auf die Erde herunterprasselten, zu schützen. Obendrein zuckte Mila bei jedem Rütteln der Wand zusammen.
Das Mauerwerk schob sich unter ohrenbetäubenden kratzenden Geräuschen immer weiter. Eine plötzliche Stille füllte danach den Raum und ließ Mila erneut nur stoßweise atmen.
Es dauerte eine Weile, bis Mila überhaupt verstand, was sich gerade zugetragen hatte. Langsam legte sich der Staub, und sie erkannte einen weiteren Raum, der im Dunkeln lag und vernahm ruhige Atemgeräusche.
Ängstlich quetschte sie ihren Körper noch weiter in die Ecke und krallte die Fingernägel in die dünne Jeans, als könnte man mit dieser Reaktion etwas Schlimmeres verhindern. Mila hatte eine Höllenangst und das Atmen fiel ihr im Moment alles andere als leicht. Sie hatte das Gefühl, als nähme ein dicker Kloß ihr die Luft zum Atmen. Dann fiel ihr die Anweisung wieder ein und demnach würde sie auf weitere Mitspieler stoßen. Vielleicht lag da gerade jemand, der Hilfe brauchte. Mila nahm den letzten Rest Mut zusammen und erhob sich langsam. Sie bewegte sich noch immer zitternd in die Richtung des neu aufgetauchten Raums. Vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. Mila spürte, wie sich aus Furcht vor dem Unbekannten ihr Magen verkrampfte.
Sie war nur noch drei Schritte von dem neuen Raum entfernt, versuchte angestrengt, einzelne Details in dem Raum zu erkennen. Aber es war unmöglich, in der Dunkelheit etwas auszumachen. Mila konnte keinen Hinweis auf das Bevorstehende erkennen. Langsam schob sie die Füße weiter vor. Das schlurfende Geräusch über Staub und Schutt verursachte eine Gänsehaut auf ihrem Körper. Erst auf der Schwelle aus Metall, meinte sie, einen Schatten vor sich auszumachen. Plötzlich erlosch das Licht in dem vorherigen Zimmer und die Dunkelheit umhüllte alles. Milas Herz blieb für einen Moment stehen, bis im neuen Raum langsam Licht anging. Milas Blick fiel erneut auf kahle, kalte Wände.
Erschrocken schaute sie auf den seitlich liegenden Körper, der fast direkt vor ihren Füßen lag. Eindeutig der Verursacher der Atemgeräusche, die man gehört hatte. Dunkle gelockte Haare verdeckten das Gesicht und sie konnte nicht erkennen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Zudem steckte der Körper in einem grauen Jogginganzug und an den Füßen waren dunkle Turnschuhe. Am Handgelenk eines dieser Schweißbänder. Es schien, als wurde dieser Mensch gerade vom Sport weggezerrt. Mila hatte keinen Zweifel mehr daran, dass er vorher trainiert haben musste.
Sie ging näher an den Körper heran und zuckte zusammen, als diese Erschütterungen wieder von vorne begann. Mila sah zu, wie sich die Wand wieder an den für diese vorhergesehen Platz schob. Geistesgegenwärtig warf sie sich über den Körper, um ihn vor den herabfallenden Brocken der Decke zu schützen. So erkannte sie jetzt auch, dass es sich um einen Jungen handelte.
Nach einer Weile wurde es wieder ruhiger und das Zittern des Raumes hörte auf. Hoffentlich nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm, dachte Mila. Auf jeden Fall war diese Stille genauso unheimlich, wie der Krach, den die Wand verursacht hatte.
Gemeinsam mit einem Jungen, der noch nicht aufgewacht war, saß sie im nächsten Raum fest. Vorsichtig schob sie die Haare des Jungen aus seinem Gesicht, spürte seinen gleichmäßigen Atem an ihrer Hand und das beruhigte sie ein wenig. Im Falle, dass sie jetzt zu allem Überfluss auch noch auf eine Leiche gestoßen wäre, hätte sie ihren Verstand wahrscheinlich komplett verloren. Es reichte vollkommen aus, dass ihr Verstand nicht raffte, was hier eigentlich vor sich ging. Doch jetzt musste Mila erst einmal zusehen, wie sie diesen Kerl wach bekam. Vielleicht hätte er ja eine Ahnung, wo sie hier waren und was gespielt wurde. Irgendeiner musste ja mal einen Plan haben.
»Hey, wach auf«, schrie sie ihn an und rüttelte ihn ziemlich heftig. Sein Körper fühlte sich kalt an und er zitterte leicht unter ihren Händen. Kein Wunder in diesen kalten, feuchten Räumen. Vor allem wusste ja zudem auch keiner, wie lange sie hier bereits festsaßen. Das Zeitgefühl hatte Mila auf jeden Fall verloren. Zumal sie nicht einmal wusste, ob es gerade Tag oder Nacht war.
Der Junge reagierte nicht sofort, erst nach einem zweiten Versuch schlug er endlich die Augen auf. Milas Herz machte vor Erleichterung einen Sprung. Zumindest war sie jetzt nicht mehr allein in dieser Misere. Darüber hinaus fiel ihnen vielleicht gemeinsam eher eine Lösung ein.
»Was ist? Wo bin ich?« Er versuchte, sich aufzusetzen, und hielt dabei stöhnend seinen Kopf. Anscheinend brummte sein Schädel genauso wie Milas. Erst als seine Augen sich an das schwache Licht gewöhnt und er sich nachdenklich umgesehen hatte, blickte er erstaunt in Milas Gesicht.
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wo wir hier sind, aber hatte die Hoffnung, dass du es wüsstest«, gab Mila ihm eine ehrliche Antwort.
»Und wer bist du? Und was soll das hier?«, schrie er sie voller Furcht an. Seine Stimme hallte in dem leeren Raum und seine hastigen Bewegungen wirbelten den Staub vom Boden auf, der sich wohl über Jahre angesammelt hatte.
»Ich glaube, du solltest das hier erst einmal lesen, dann werden sich manche Fragen von selbst beantworten.« Mila reichte ihm mit zitternden Händen seine Anweisung, die er aufriss und zu lesen begann. Auch wenn der Typ nicht gefährlich aussah, genoss sie seine Nähe doch eher mit Vorsicht. Schließlich wusste Mila bereits, wie die Panik einen beherrschte. An seinem erschrockenen Gesicht konnte man ablesen, dass es ihm ähnlich ging wie ihr. Das konnte man ihm wohl im Übrigen nicht übel nehmen, schließlich wurden beide damit ins kalte Wasser geschmissen und hatten keine Wahl. Ein perfider Plan, der von einem Irren in die Tat umgesetzt wurde. Stellte sich nur die Frage, was dieser Irre mit alledem beabsichtigte. Vor allem, wer war dieser Mensch überhaupt?
»Hast du sie noch alle, was soll der Scheiß?«, griff er ihren Arm und Mila versuchte verzweifelt, sich loszureißen. Er schüttelte sie unbeherrscht, weil er Mila offensichtlich die Schuld an dieser Situation gab. Als hätte sie nicht schon genug Muffensausen, sorgte seine Reaktion für noch mehr Angst. War er wirklich ungefährlich?
Mila bemerkte plötzlich aus den Augenwinkeln die Spinne an der Wand neben ihr. Er tat gerade so, als ob sie sich hier freiwillig mit einer Spinne und einem völlig fremden Kerl einsperren würde. Mila hatte ja auch sonst keine besseren Hobbys. Selbst wenn Mila ihn verstehen konnte, ging ihr das jetzt eindeutig zu weit. Seine Fingernägel bohrten sich immer tiefer in die Haut, das ziemlich schmerzte. Wieder kroch Panik langsam ihrem Körper empor. Dieser Typ könnte genau so gut total ausflippen und ihr etwas antun.
»Hey, beruhige dich. Ich bin genau wie du hier aufgewacht, deshalb weiß ich genauso wenig, worum es hier geht, also kein Grund so auf mich loszugehen«, schrie sie ihn an. Milas Stimme wurde von den kahlen Wänden zurückgeworfen und gaben ihren Worten doppelte Ausdruckskraft. Erst als er die Angst in Milas Augen erblickte, ließ er sie schlagartig los. In diesem Moment starrte er erschrocken drein, und schien sich selbst nicht zu verstehen. Mila rieb sich den Arm, wo seine Nägel bereits einen Abdruck hinterlassen hatten, die zu allem Überfluss auch noch höllisch brannten.
»Es tut mir leid, ich dachte …«, versuchte er, die richtigen Worte zu finden und sein mitleidvolles Gesicht sprach Bände. Mila schnitt ihm das Wort ab. Es gab jetzt echt Wichtigeres, als sich gegenseitig Entschuldigungen oder Vorwürfe an den Kopf zu werfen. Sie schluckte ihren anfänglichen Ärger herunter, zugleich versuchte Mila, sich zu beruhigen.
»Schon okay, aber wir sollten langsam aber sicher einen Weg hier raus finden, bevor diese irre Person noch ihr Ziel erreicht und wir hier vielleicht noch elendig verrecken.« Jedoch, wie schon in dem anderen Raum, gab es nirgends einen Ausgang. Nur vier kahle, kalte Wände. Eine alte Fassung mit einer Glühbirne, die ebenfalls schon aussah, als hätte sie es bald hinter sich, spendete gerade genug Licht, damit Mila schemenhaft etwas erkennen konnte. Wände, die mit Feuchtigkeit durchzogen waren, verliehen diesem Raum einen muffigen Geruch. In den Ecken hatte sich bereits Schimmel gebildet, der, wie Mila dachte, mit Sicherheit nicht besonders gesund war. Zudem fragte sie sich unwillkürlich, ob sich hier genauso auf mysteriöse Art und Weise eine Wand verschieben und falls, was sie diesmal dahinter erwarten würde. Vor allem aber hoffte Mila, dass dieses Gebilde nicht irgendwann über ihren Köpfen zusammenbrach. So marode wie das alles den Anschein machte, war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis etwas passieren würde.
»Ich denke, dass können wir uns sparen. Wie sind wir überhaupt hier rein gekommen?« Er blickte sich vorsichtig um.
»Die Wände sind der Durchgang«, erklärte Mila, auch wenn das unsinnig klang. Sie verstand es selbst ja noch nicht richtig und hätte wahrscheinlich jeden für verrückt erklärt, im Fall, dass jemand versuchte, ihr das weiszumachen.
»Die Wände?« Ungläubig lachte er kurz auf und Mila wollte gar nicht wissen, was er gerade von ihr dachte. Es war Mila aber sogar egal, schließlich hatte sie es mit eigenen Augen gesehen.
»Ja, die Mauern verschieben sich.« Mila probierte so ernst zu klingen, wie es eben ging. Eine andere Art, es zu erklären, gab es ja zu allem Überfluss keine. Es war schließlich kein Hirngespinst von ihr, sondern purer Ernst.
»Du meinst also wie in dem Spiel mit dem Labyrinth? Das ist doch Wahnsinn. Wie sollte man so was auf die Beine stellen?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Mila laut ausatmend zurück. »Aber es ist mir eben auch passiert. Ich war in einem Raum neben diesem hier, und hätte sich die Wand nicht wie von Geisterhand bewegt, stünde ich jetzt nicht hier?« Sie wusste nicht, ob er ihr glaubte, zudem ebenfalls nicht, wie sie ihm das sonst erklären konnte. Wahrscheinlich würde er es aber bald selbst mit eigenen Augen sehen. Denn so, wie Mila die Anweisung verstanden hatte, fehlten ihnen noch drei weitere Mitspieler. Und sollten diese nicht wie aus dem Nichts auftauchen, was sie jetzt auch nicht mehr wundern täte, müsste sich dieses Schauspiel noch einige Male wiederholen. Anderseits stellte Mila sich noch die Frage, wie er das mit den Spielen meinte. Ob sie irgendwann sogar auf die anderen Gruppen stoßen würden?
An seinem Gesicht konnte Mila genau erkennen, dass er kein Wort von dem glaubte, was ihr Mund von sich gegeben hatte.
Aber Gott sei Dank ließ er die Sache doch erst einmal auf sich beruhen, was Mila nur recht war. Denn erstens brachte sie das nicht wirklich weiter und zweitens hatte diese auch absolut keinen Bock darauf, sich mit einem fremden Kerl in einem dunklen Loch darüber zu streiten, ob sie Recht hatte oder nicht. Dafür fehlten Mila im Moment jedenfalls die Nerven.
»Wie heißt du eigentlich? Während ich hier schon festsitze, will ich wenigstens wissen mit wem«, wechselte er das Thema und begutachtete ihr Gesicht aus schmalen Augen. So ganz schien er ihr nicht zu trauen, genauso wenig, wie Mila ihm traute. Ihr war es ebenfalls lieber zu wissen, wen sie als Mitspieler hatte. Denn immerhin hing Milas Leben genauso von ihm ab, darüber hinaus war es umgekehrt der gleiche Fall.
»Mila und du?« Vorsichtig reichte sie ihm die Hand, die er langsam nahm und zaghaft drückte.
»Tobias.« Dankbar ließ er sich von Mila auf die Beine helfen.
»Sag mal, glaubst du, dass es ernst gemeint ist, was in dieser merkwürdigen Anweisung steht?« Milas Herz klopfte wie wild, sobald sie nur daran dachte, dass sie wegen des Spiels das eigene Leben riskieren musste und blickte ihn verzweifelt an. Vor allem wusste Mila noch immer nicht, was mit ihrer Mutter war. All das überstieg eindeutig den Horizont eines Normalsterblichen. Es gab ja vieles, was Mila in ihrem Leben nicht verstand, aber das hier war wohl das Allerschlimmste. Allein die Tatsache, sich so etwas einfallen zu lassen, grenzte an großer krimineller Energie. Da wollte Mila sich gar nicht ausmalen, was sie noch alles erwartete.
»Wenn ich mich hier so umsehe, sollten wir wohl davon ausgehen«, gab er niedergeschlagen zurück. Wenn sie nur wüssten wie und vor allem, welche Person die beiden hier hin verfrachtet hatte, brächte sie das wahrscheinlich schon einen großen Schritt weiter. Doch diese Einladungen zum Spiel wurden ja nicht mal unterschrieben. Wer hatte wohl einen Grund, so etwas mit ihnen zu veranstalten? Konnte so ein Hass auf Jugendliche möglich sein?
Mila hatte auf jeden Fall eine andere Antwort erhofft, doch jetzt zerschlug sich diese letzte Hoffnung. Eine Hoffnung für sie und ihre Mutter. Dennoch müssten die anderen Mitspieler dem genauso ins Auge blicken, wie Mila selbst. Geplagt von Zweifeln, Angst und auf der Suche nach dem warum. Vor allem fragte sie sich aber, wie lange jemand gebraucht hatte, um dieses Ding, in dem alle festsaßen, zu konstruieren. Denn so, wie Mila das sah, musste man schon ganz schön handwerklich geschickt sein und die Fläche haben, um solch ein Teil auf die Beine stellen zu können.
Wieder hörte Mila dieses Geräusch von vorhin. Tobias stieß einen leisen Schrei des Schreckens aus und mit großen Augen beobachteten beide, wie sich die nächste Mauer verschob und unter einem weiteren Schwall aus Staub und Putzbrocken einen neuen Raum zum Vorschein brachte. Dunkel, fast geheimnisvoll, tauchte er vor ihnen auf.
»Ich glaubs nicht, du hattest echt Recht«, glotzte er seine Mitspielerin verblüfft an.
Mila wandte sich dem Raum zu, aus dem ein Wimmern zu hören war. Es handelte sich auf jeden Fall um ein Mädchen, so viel hörte sie bereits heraus. Ein Mädchen, das jedenfalls eine Heidenangst haben musste, wie es sich anhörte.
»Lass uns nachsehen.« Schnell erhob Mila sich, da sie sich schon vorstellen konnte, dass dieses Mädchen eine Angstattacke hatte. Es war wahrscheinlich froh, etwas Gesellschaft zu bekommen von Menschen, die im gleichen Boot saßen wie es selbst.
»Ich weiß nicht, was ist, wenn wir einfach hierbleiben? Uns kann doch keiner zu diesem Spiel zwingen, zudem, sollten wir nicht weiter gehen, kann uns außerdem nichts passieren, oder?« Seine Worte brachten Mila zum Nachdenken. Dennoch erinnerte sie sich an das, was in der Anweisung stand. Vor allem konnten Mila doch dieses Mädchen auf der anderen Seite nicht einfach im Stich und ihrem Schicksal überlassen. Das war gar nicht Milas Art.
»Könnte es sein, dass wir dann die Regeln brechen?« Mila blickte ihn fragend an.
»Keine Ahnung, aber bis jetzt leben wir ja noch.« Er grinste breit, bis das nächste Ereignis ihm schlagartig die Angst in die Augen trieb. Es ertönte ein schrilles, ohrenbetäubendes Pfeifen und die zwei gegenüberliegenden Wände schoben sich fast gleichzeitig zusammen. Sie mussten schnell handeln, sonst würden beide zerquetscht werden, wie ein Käfer unter einer Schuhsohle.
»Raus hier«, schrie Mila unbeherrscht, schnappte seine Hand und zerrte ihn mit in den nächsten Raum, bevor die Wände zusammenkrachten. Atemlos und mit weit aufgerissenen Augen sahen sie die Staubwolken, die diese Wände hervorgebracht hatten. Das laute Aufeinanderprallen der Wände hallte anscheinend in dem ganzen Gebäude wieder. Jedenfalls konnten die Zwei es noch lange hören.
»Verdammt, dieses Spiel geht mir jetzt schon auf den Sack.« Er schaute Mila noch immer außer Atem an und bedankte sich mit einem kurzen Nicken bei ihr.
»Ja, mir ebenfalls, aber wie es aussieht, lässt man uns keine andere Wahl als teilzunehmen. Und einen weiteren Versuch, uns dem Spiel zu entziehen, sollten wir besser unterlassen«, gab Mila ehrlich und bedenklich zurück, bevor sie sich an das zitternde Mädchen in der Ecke wandte. Ihre blonden Haare waren durch das Weinen nass und klebten im Gesicht verteilt. Der blaue Rock und das gelbe Shirt waren übersäht mit dem Schmutz, den sie vom Boden aufgenommen hatte, während das Mädchen weinte und sich zugleich hin und her wog, wie ein kleines verängstigtes Kind.
»Alles okay mit dir?« Mila legte ihr vorsichtig eine Hand zum Trost auf die Schulter. Das Mädchen zuckte zusammen, darüber hinaus entzog es sich ängstlich Milas Hand. Mila konnte das Zittern ihres Körpers spüren und die Panik, die sich in ihren Augen wiederspiegelte, ließen einen Stich durch ihr Herz schnellen.
»Keine Angst, ich will dir nichts tun. Ich bin Mila. Wir sind hier genau so reingeraten wie du«, versuchte sie, auf das Mädchen einzureden und es zu erreichen. Allmählich schien Mila Erfolg zu haben. Das Mädchen sah sie aus nassen blauen Augen an und schluchzte leise.
»Wieso … warum …?«, bekam es nur mit zitternder Stimme heraus. Dieses verängstigte Mädchen tat Mila in dem Moment unheimlich leid. Alle zusammen saßen im gleichen Boot, das hoffentlich nicht unterging. Zudem ging jeder anders mit dieser Situation um, und diese Person schien ziemlich labil zu sein. Jetzt hieß es erst einmal, ihr ein wenig Mut zu machen, den zudem alle gut gebrauchen konnten.
»Wir haben ebenfalls keinen blassen Schimmer. Aber wenn wir hier raus wollen, müssen wir uns zusammenreißen. Wir haben ja gerade erlebt, was passiert, sollten wir versuchen, uns dagegen zu wehren«, richtete sie ihre Worte hauptsächlich an Tobias, der das Ganze anscheinend immer noch nicht verdaut hatte. Wegen seiner Idee wären beide beinahe draufgegangen. Das Mädchen nickte nur. Sie war zu aufgewühlt, um ihre Worte und Gedanken zu sortieren.
»Sagst du uns, wie du heißt?« Mila lächelte, um sie aufzumuntern und ihr ein wenig die Angst zu nehmen.
»Ich bin Jennifer«, gab das Mädchen endlich zurück.
»Okay, nett dich kennenzulernen, Jennifer. Das ist Tobias und ich bin Mila. Zusammen werden wir das schon irgendwie schaffen. Okay?« Mila versuchte mit diesen Worten, nicht nur Jennifer etwas Mut zu machen, auch sie selbst brauchte diesen bitternötig. Denn so wie Mila es einschätzte, würden sie so schnell diese ›Gruft‹ nicht verlassen. Aber das musste man den anderen ja nicht unbedingt auf die Nase binden, wodurch sich die Situation wahrscheinlich noch verschlimmern würde.
»Du bist ganz schön zuversichtlich«, machte Tobias Milas ganze Arbeit mit einem Schlag zunichte. Sogleich flennte Jennifer erneut drauf los. Mila funkelte ihn böse an, doch er hob nur abwehrend die Hände, als hätte die ganze Situation mit ihm nicht das Geringste zu tun.
»Ja, ich bin zuversichtlich, weil uns alles andere jedenfalls nicht weiter bringt. Nur zusammen können wir das schaffen.« Mila legte Jennifer wieder eine Hand auf die bebende Schulter, der sie sich diesmal nicht entzog. Schließlich sah es nicht danach aus, als hätten die Drei eine große Wahl. Deshalb sollten alle das Beste daraus machen, was und wie sie nur konnten. Mila war auf jeden Fall nicht bereit, kampflos aufzugeben, sollte kommen was wollte.
Mila half Jennifer auf die zittrigen Beine. Sie stützte das Mädchen, damit dieses sich etwas beruhigen und die Tränen aus dem Gesicht wischen konnte. Eben diese bedankte sich gerade bei Mila, als sich in dem Moment die nächste Wand mit lauten Mahlgeräuschen öffnete. Das gleiche Prozedere wie vorher schon, nur dass sich jetzt keiner mehr die Frage stellte, ob dieses Spiel ernst gemeint war.
»Was zum Teufel ist hier eigentlich los und wer seid ihr überhaupt?« Ein weiteres Mädchen blickte die kleine Gruppe abwertend an. »Und was soll ich mit diesem Mist hier anfangen?« Sie knüddelte die Anweisung zusammen und warf den Papierballen entschlossen auf den Boden. Diese Person war genau das Gegenteil zu allen, die sich bis jetzt versammelt hatten, das spürte Mila sofort. Hoffentlich würde sie sich ihnen nicht auf die eine oder andere Art in den Weg stellen, denn das konnte keiner von ihnen jetzt wirklich gebrauchen. Alle mussten zusammenarbeiten, das war das Allerwichtigste.
»Lesen vielleicht, oder ist das unter deiner Würde?«, meinte Tobias eher sarkastisch, wobei er sie von oben bis unten begutachtete. Doch das Mädchen tat gerade so, als hätte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Es war unter ihrer Würde, das sah Mila ihr sofort an.
»Vielleicht solltest du die Sachen wirklich lesen, bevor du sie wegwirfst. Du wirst überrascht sein, über das, was drin steht. Das garantiere ich dir«, gab Mila mit Nachdruck von sich und hoffte, dass sie ihrer Aufforderung nachkam, um den Ernst der Lage zu verstehen.
»Du glaubst wirklich, dass ich mir von dir etwas sagen lasse?« Eine unberechenbare Überheblichkeit lag in ihrer Stimme, bevor sie den Kopf in den Nacken warf.
»Es ist ja nicht so, dass ich es von dir verlange, aber in deinem eigenen Interesse solltest du es lesen, bevor du die Nachricht mit Füßen trittst.« Das Mädchen schien einen Moment über Milas Worte ernsthaft nachzudenken, denn Milas Gesichtsausdruck ließ sie anscheinend doch den Ernst der Lage begreifen.