Patchwork hoch Vier - Bianka Mertes - E-Book

Patchwork hoch Vier E-Book

Bianka Mertes

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Beschreibung

Jonas ist mit seinen Eltern sauer. Warum haben sie ihm nicht erzählt, dass Celine bei ihnen einzieht? Celine ist die Tochter von der besten Freundin seiner Mutter, die gerade ihrer schweren Krankheit erlegen ist. Celine trägt nur Hoodies und achtet peinlich genau darauf, ihr Gesicht nicht zu zeigen. Jonas kann sich nicht erklären warum, vermutet aber, dass sie sich wegen ihres Äußeren schämt. Eines Nachts erwacht Jonas und entdeckt Celine bei sich im Bett. Am nächsten Morgen erfährt er von seiner Mutter, dass Celine Schlafwandlerin ist. In der folgenden Nacht kommt sie wieder in sein Bett. Als sie tief schläft, wagt er einen Blick in ihr Gesicht und ist geschockt. Er redet mit seinem besten Freund über seine Gewissensbisse, doch da tauchen schon die nächsten Probleme auf. Celine wird in wenigen Tagen mit ihm gemeinsam zur Schule gehen. Wie soll er damit umgehen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Bianka Mertes

Patchwork hoch Vier

Verräterische Nähe

Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sind rein zufällig.

© 2018 Bianka Mertes

Oberwindhagener Str. 26a

53578 Windhagen

Cover:

Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt

Bildmaterial:

www.pixabay.de

Lektorat und Korrektorat:

Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt

www.buchstabenpuzzle.de

1. Auflage

Verlag & Druck: tredition GmbH,

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-81037-2

Bianka Mertes

Patchwork hoch Vier

Verräterische Nähe

Kapitel 1

Dienstag Morgen und Jonas war schon wieder zu spät dran. Das kam in der letzten Zeit immer häufiger vor. Seitdem Larissa krank war und seine Mutter sich immer um sie kümmerte, konnte auch er sich immer weniger konzentrieren. Zwar hatte er mit Larissa eigentlich kaum etwas zu tun, dennoch konnte er die Traurigkeit seiner Mutter nicht übersehen.

»Ich bin jetzt weg«, rief Jonas seiner Mutter vom Hausflur zu, die war noch immer mit dem Geschirr vom Frühstück beschäftigt. Er musste sich echt beeilen. Es war kurz vor sieben und wenn er den Bus zur Schule noch erwischen wollte, wurde es höchste Zeit, sich auf die Socken zu machen.

»Kommst du heute früher nach Hause?« Anscheinend war sie noch immer nicht mit dem Spülen fertig, auf jeden Fall hielt sie das Küchenhandtuch in der Hand, als sie den Flur betrat.

»Mama, was für ein Tag ist heute?« Jonas verdrehte genervt die Augen. Seit es ihrer Freundin immer schlechter ging und sie jeden Tag zu ihr fuhr, um ihr bei den anfallenden Arbeiten im Haushalt zu helfen, war seine Mutter vollkommen durch den Wind. Einerseits konnte er sie ja verstehen, dass sie sich rührend um Larissa kümmerte, schließlich ging das an allen nicht spurlos vorüber, aber sie kam dabei die letzte Zeit einfach zu kurz. Vor allem nahm sie das mehr mit, als sie zugab. Und wenn sie nicht aufpasste, würde sie zum guten Schluss noch daran Zugrundegehen.

»Mittwoch oder nicht?« Sie sah ihn fragend an und lächelte dabei verlegen. Sie schien sich wirklich nicht mehr sicher zu sein.

»Nein, wir haben erst Dienstag. Und da ich dienstags Training habe, komme ich später, wie immer.« Jonas lachte ihr gequält ins Gesicht. Wenn das so weiterging, wüsste sie bald nicht mehr, wo hinten und vorne war. Er schnappte sich gerade seine Jacke, als seine Mutter aufschrie.

»Dienstag?« Sie ließ vor lauter Schreck das Küchenhandtuch fallen.

»Ja, wieso? Ist heute was Besonderes?« Jonas sah sie nachdenklich an. Es konnte ja nicht sein, dass sie schon wieder etwas vergessen hatte.

»Natürlich, ich habe Larissa versprochen, mit Celine die neue Schule zu besichtigen. Verdammt, das habe ich beinahe total vergessen.« Total verdattert hob sie das Handtuch wieder auf.

»Oh man. Meinst du nicht, du übertreibst es allmählich? Wenn du so weiter machst, weißt du bald nicht mal mehr, wo du wohnst. Ich mache mir langsam echt Sorgen um dich.« Auch wenn Jonas wusste, dass es hart klang, machte er sich neben seinem Vater echt Sorgen um seine Mutter. Früher war sie komplett durchorganisiert und jetzt hatte man eher das Gefühl, als ob alles, was sie machte, nur noch einem Puzzlespiel ähnelte. Eines, was sie nicht zusammenbekam. Vor zwei Wochen wusste sie nicht mal mehr, wo sie ihren Wagen geparkt hatte. Sie musste durch die halbe Stadt laufen, um ihn zu suchen, bis ihr aufgefallen war, dass sie ihn nicht einmal benutzt hatte. Sie war an diesem Tag mit der Straßenbahn gefahren und ihr Auto stand gesund und munter in der Einfahrt. Zu der Sorge um ihre Freundin kam noch deren Tochter Celine, die genauso alt wie Jonas war. Er kannte sie nicht persönlich, aber vom Hörensagen her. Und danach musste sie ihrer Mutter sehr ähneln.

Bis Larissas Krankheit ausbrach, glich sie einer Schönheit. Doch nach den ganzen Chemotherapien und den anstrengenden Kampf gegen den Krebs war sie nur noch ein Häufchen Elend. Aber auch das wusste er nur von den Erzählungen seiner Mutter. Seit der ersten Chemo durfte sie das Haus nicht mehr verlassen. Und so hatte er keine Gelegenheit gehabt, sie persönlich zu treffen. Doch die Gefahr, sich irgendeinen Virus einzufangen, war zu groß gewesen, somit konnte er sie auch nicht besuchen.

»Ich weiß, es ist momentan etwas viel, aber wenn Larissa sich wieder besser fühlt, kehrt auch wieder etwas Ruhe ein. Solange bin ich auf jeden Fall für sie und ihre Tochter da.« Und da ließ seine Mutter sich auch auf keinen Kompromiss ein, das wusste Jonas. Sein Vater war zwar auch der Meinung, dass sich seine Frau mit der Situation komplett übernahm, doch auch er tolerierte es notgedrungen. Denn sich in dieser Sache mit ihr anzulegen, brachte nichts. Dafür war sie zu dickköpfig und gutherzig. Sie liebte ihre Freundin, die sie bereits seit der Schulzeit kannte, über alles und würde auch alles für sie tun. Eigentlich eine Eigenschaft, die er an seiner Mutter bewunderte und liebte.

»Okay, aber ich muss jetzt wirklich, sonst rollt der Bus noch ohne mich los.« Kurz sah er auf seine Uhr. »Wir sehen uns dann später.«

»Ja, aber heute komme ich wirklich etwas später nach Hause«, rief sie ihm noch nach, als er zum Bus rannte, der bereits an der Haltestelle stand.

Geschafft ließ sie sich auf einen der vier Stühle in der Küche nieder. Jonas hatte absolut recht. Lange würde sie das wahrscheinlich nicht mehr aushalten. Aber sie hatte Larissa versprochen sich um sie und Celine zu kümmern, denn Larissa war dazu nicht mehr in der Lage. Zwar gab es irgendwo einen Vater, aber der hatte sich nach Verkündigung der Schwangerschaft kurzerhand aus dem Staub gemacht. Larissa hatte sich bis jetzt auch gut ohne einen männlichen Begleiter durchs Leben geschlagen und wenn Nina ehrlich war, hatte sie das auch bravourös gemeistert. Sie bewunderte ihre Freundin insgeheim dafür. Doch gerade jetzt, wo sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, brauchte sie Nina. Sie kannten sich jetzt bereits so lange und all die Jahre hatten sie sich nie aus den Augen verloren. Doch jetzt war es auch für Nina kaum noch auszuhalten, ihre langjährige Freundin auf den sicheren Tod vorzubereiten und sie zu begleiten. Denn das war er, sicher. Auch wenn sie das vor Jonas geheim hielt, damit er sich nicht noch mehr Sorgen um sie machte. Larissa hatte bereits seit einem Jahr mit einem inoperabelen Tumor im Kopf zu kämpfen. Nach der Diagnose der Ärzte dürfte sie seit einem halben Jahr eigentlich schon nicht mehr leben. Doch sie war eine Kämpferin, die sich bis jetzt nicht an die Prognose der Ärzte gehalten hatte. Sie kämpfte für ihre Tochter, mit der sie noch so viel Zeit wie möglich verbringen wollte. Aber auch sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb und die verbrachte sie lieber mit Nina und Celine, als im Krankenhaus vor sich hin zu vegetieren und unter starken Medikamenten nichts mehr um sich herum mitzubekommen.

Langsam raffte sich Nina wieder auf, legte das Handtuch zum Trocknen auf die Halterung und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Kurz darauf war sie auch schon unterwegs zu Larissa.

»Hey, da bist du ja endlich, ich dachte, du hättest schon wieder den Bus verpasst«, begrüßte ihn Sarah lächelnd, nachdem er abgehetzt das Schulgebäude betrat.

»Na ja, viel hat auch nicht mehr gefehlt.« Jonas grinste breit. Sarah wusste, dass er momentan nicht auf der Höhe wegen seiner Mutter war, aber sie sprach ihn auch nie darauf an, was er ihr hoch anrechnete. Sie war der Typ, der einem zuhörte, wenn man es brauchte.

Es dauerte jedoch nicht lange, da wurden die beiden von seinen Mannschaftskollegen in Beschlag genommen. Alle sprachen durcheinander wie jeden Morgen. Begrüßung hier und Kommentare zu den bevorstehenden Spielen da. Aber genau das, machte die Schule für ihn so interessant. Seine Freunde, auf die er sich immer verlassen konnte. Genau deshalb konnte er sich auch so gut in seine Mutter hineinversetzen. Wahrscheinlich würde er nicht anders handeln, wenn einer seiner Freunde in der gleichen Lage stecken würde.

»Heute wird es ein anstrengendes Training. Der Trainer wird uns sicher besonders hart rannehmen«, erinnerte Mike sie noch einmal alle an das bevorstehende wichtigste Spiel des Jahres. Sie standen kurz davor aufzusteigen und da hatte der Trainer sich die ganze Zeit schon besonders nette Sachen für die Mannschaft ausgedacht. Auch wenn das eher im negativen Sinne gemeint war. Fußball war aber nicht die einzige Leidenschaft, der Jonas nachging. Auch das Skaten lag ihm im Blut, das er auch jede freie Minute, die er hatte, ausübte. Auch dort hatte er bereits eine Menge Freunde gefunden und zu denen gehörte auch Peter aus seiner Klasse und Spielkollege.

»Lässt du dich heute nach dem Training auch blicken?« Peter konnte es bereits kaum erwarten auf seinem Skateboard neue Kunststücke zu üben.

»Ja, wahrscheinlich schon. Sonst hatte ich heute eigentlich nichts eingeplant.« Jonas lachte ihn breit an und war froh, sich endlich von seinen Teamkollegen loszureißen und sich einen Weg zwischen den ganzen Schülern bahnen zu können, die den kompletten Flur in Beschlag genommen hatten.

Sie waren jetzt vor drei Jahren nach Berlin gezogen und Jonas hatte schon auf dem Land das Gefühl gehabt, als wären die Schulen überfüllt. Doch hier in Berlin war es noch schlimmer. Es gab keine Klasse, in der unter dreißig Schüler waren. Viel zu viele Schüler für einen Lehrer. Und um ehrlich zu sein, wollte er auch mit denen nicht tauschen. Denn einige von diesen Schülern hatten es faustdick hinter den Ohren. Und das ließen sie auch die Lehrer regelmäßig spüren.

»Der Walter ist krank heute und so haben wir heute beim Direx Unterricht«, meinte Peter gelangweilt, als sie sich auf ihren Stühlen niederließen. Doch zu einer Antwort kam Jonas nicht mehr. Der Direx, vor dem wirklich fast alle Respekt hatten, betrat das Klassenzimmer, und die anfänglich aufkommende Unruhe verstummte sogleich. Wenigstens einer, der diese Bande im Zaum halten konnte.

Aber diese Ruhe währte nicht wirklich lange. Nur bis der Direx einen Test ankündigte. Ab da hätte man meinen können, er hätte den Raum niemals betreten. Mit einem lauten Knall schlug er mit dem Klassenbuch auf den Tisch.

»Ruhe jetzt.« Er blickte böse von einem zum anderen und sofort war es mucksmäuschenstill im Klassenraum. Danach verteilte er die Tests und alle versuchten angestrengt, die Aufgaben zu lösen, die er sich ausgedacht hatte. Man merkte, dass er der Direktor war, denn keine der Aufgaben war so einfach, wie es sich manche erhofft hatten. Im Gegenteil, sie waren alle froh, als es endlich zur heiß ersehnten Pause klingelte.

»Man, bin ich froh, dass der Tag endlich vorbei ist. Noch länger hätte ich nicht ruhig auf diesem Stuhl sitzen können, mir tut bereits jeder Muskel im Hintern weh«, meinte Peter, nachdem sie nach dem letzten Klingeln das Klassenzimmer verließen.

»Jetzt hast du bestimmt dicke Pocken am Hinterteil.« Jonas musste lachen, wenn er daran dachte, wie steif er auf diesem Stuhl gehangen hatte. Wenn es jemand gab, der einen gehörigen Respekt vor dem Direx hatte, gehörte Peter jedenfalls als erstes dazu. Aber auch er war froh, den Tag endlich überstanden zu haben. Auch wenn er den Direktor wirklich respektierte, war er einer der strengsten Lehrer der Schule, der so schnell nichts durchgehen ließ. Doch jetzt hieß es, sich erst einmal für das Training fertig zu machen, bei dem sie die aufgestaute Energie mit Sicherheit gut gebrauchen konnten.

Wie sich nach kurzer Zeit herausstellen sollte, konnten sie diese Energie wirklich sehr gut gebrauchen. Denn ihr Trainer nahm sie heute besonders hart ran. Er wollte dieses letzte Spiel unter allen Umständen gewinnen. Er ließ keine Gelegenheit aus, das Team zu schikanieren. Ohne Pause machte er immer weiter und so langsam verließen sie ihre Kräfte. Da nutzte auch die Energie von vorhin nichts mehr, die hatten sie schneller verbraucht, als sie gucken konnten.

Erschöpft ließ sich Jonas nach dem Endpfiff auf den kühlen Rasen fallen und genoss das schmerzliche Erschlaffen der Muskeln. Und selbst Peter japste nach Luft und ließ sich neben Jonas fallen. Hoffentlich erwies sich dieses Training auch als sinnvoll und sie würden dieses Spiel wirklich für sich entscheiden können.

»Heute hat er es aber extrem gut mit uns gemeint«, meinte Peter sarkastisch und sah sich die Wolken an, die ruhig mit dem Wind flogen.

»Das kannst du wohl laut sagen. Ich will nicht wissen, was der erst mit uns anstellt, sollten wir es wirklich bis zur Meisterschaft schaffen.« Jonas schossen Bilder von einem Tyrannen in den Kopf, die er sogleich mit einem heftigen Kopfschütteln wieder aus seinem Hirn verbannte.

»Erinnere mich bloß nicht daran.« Peter lachte gekünstelt auf. Daran wollte er gar nicht erst denken.

»Glaube mir, da wird der sich bestimmt noch etwas Schlimmeres für uns ausdenken«, stöhnte Jonas.

»Da kannst du einen drauf lassen.« Peter schloss die Augen und versuchte seine Gedanken auf etwas Anderes zu lenken, als auf das bevorstehende Spiel und die endlosen harten Trainings.

Jonas wollte gerade etwas erwidern, als sein Handy klingelte. Er wühlte es aus seiner Sporttasche, die sich nicht weit von ihm befand und ging dran.

»Hallo, Mama, was kann ich für dich tun?«, fragte er noch immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht, doch das verkümmerte sofort, nachdem Nina ihm antwortete. Sein trauriger Ausdruck und die aufkommende Nervosität blieben sogar Peter nicht verborgen.

»Okay, ich komme sofort«, antwortete er noch, bevor er das Gespräch beendete. Seine Mutter klang gerade so fertig, dass er sowieso kaum ein Wort verstand. Nur das Wichtigste bekam er mit.

»Was ist los? Ist was passiert?« Sein Freund sah ihn besorgt an. Er kannte Jonas eigentlich immer als gut gelaunt, und das hier passte eigentlich gerade nicht zu ihm.

»Ich erkläre es dir später, okay? Ich muss jetzt erst einmal nach Hause.« Jonas sprang auf und raffte seine Sachen zusammen, die er wild in seine Tasche stopfte.

»Okay, aber du weißt, dass du über alles mit mir reden kannst.« Er sah ihn besorgt an, sodass Jonas schon bald ein schlechtes Gewissen bekam. Trotzdem müsste eine Erklärung jetzt erst einmal warten.

»Ja, das weiß ich, aber im Moment geht es wirklich nicht. Wir sehen uns morgen.« Er winkte ihm noch kurz zu und war so schnell verschwunden, dass Peter keine Gelegenheit mehr bekam, ihm noch eine Frage zu stellen. Verwirrt blickte er seinem Freund nachdenklich nach, der sich noch nie so merkwürdig verhalten hatte, solange er ihn kannte.

»Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert.«

Kaum hatte er die Haustür aufgeschlossen, hörte er schon das Schluchzen seiner Mutter. Ralf, sein Vater, hatte sie im Wohnzimmer in die Arme geschlossen und versuchte alles Mögliche, sie wenigstens ein bisschen zu trösten, was gerade nicht so einfach zu sein schien. Unter diesen Umständen konnte Jonas das nur zu gut verstehen.

»Da bist du ja endlich.« Sein Vater verdrehte erleichtert die Augen. Er musste schon länger hier gewesen sein, denn sein T-Shirt war mit Tränen seiner Frau total durchtränkt. Sie hing total fertig in seinen Armen.

»Ich bin sofort los, aber der verdammte Bus war mal wieder schneller als ich.« Er legte seiner Mutter tröstend eine Hand auf den Arm. Und schon hatte sie ihn in Beschlag genommen. Es tat ihm verdammt weh, seine Mutter so zu sehen, und sein Herz zog sich schmerzlich zusammen. Er konnte gerade nur erahnen, wie seine Mutter sich fühlen musste. Wenn er sich vorstellen müsste, seinen besten Freund so zu verlieren, würde er wahrscheinlich durchdrehen. Diese Krankheit war wirklich das Allerletzte. Er schloss Nina in die Arme und Tränen schossen ihm in die Augen. Verdammt, wieso musste das ausgerechnet jetzt schon sein? Warum musste Larissa jetzt schon sterben? Hätte man ihr nicht wenigstens noch etwas Zeit geben können? Doch auch dann wäre es wahrscheinlich nicht weniger schmerzlich gewesen. Sein Herz zerriss gerade in tausend Stücke. Von jetzt auf gleich hatte sich alles verändert. Jemand wurde aus dem Leben gerissen, der ihnen viel bedeutet hatte, der für Nina alles war und es würde eine Lücke in ihrem Leben entstehen, die keiner mehr füllen könnte. Zudem fragte er sich unwillkürlich, wo Celine sich gerade aufhielt. Wie schlimm musste es ihr wohl gehen. Nina war ihre Freundin, doch Celine immerhin ihre Tochter. Auch wenn er sie nicht kannte, schossen ihm gerade jetzt diese Fragen in den Kopf. Er wusste, dass sie keinen Vater mehr hatte, jemand der sie in dieser Situation auffangen könnte, sie trösten und ihr helfen würde, diese Sache zu überstehen. Wie schlimm musste es gerade um sie stehen, die ihre Mutter von jetzt auf gleich verloren hatte. Wäre er in ihrer Situation, würde er nicht wissen, was er vor lauter Wut anstellen würde. Ob Larissa da bereits vorgesorgt hatte?

Er spürte, wie die Beine unter seiner Mutter nachgaben und setzte sie behutsam, mit der Hilfe seines Vaters, auf das Sofa, das schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Doch seine Mutter konnte oder wollte sich einfach nicht von diesem ollen Ding trennen. Wieder fiel sie in tiefe Trauer, und ihre Tränen schienen kein Ende zu nehmen. Jonas heulte bereits mit ihr um die Wette und selbst an seinem Vater ging die ganze Sache nicht spurlos vorüber.

»Vielleicht solltest du dich besser etwas hinlegen und dich ausruhen. Ich denke nicht, dass Larissa wollte, dass du dir hier die Augen ausheulst.« Ralf versuchte alles, um sie zum Ausruhen zu bewegen, doch Nina konnte sich nicht beruhigen, zu tief saß der Schmerz in ihrem Herzen. Irgendwann hatte er doch Erfolg und begleitete Nina ins Schlafzimmer. Kurze Zeit später kam er zurück, nachdem Nina unter einer Tränenflut eingeschlafen war.

»Oh man, ich dachte echt, sie hätte noch ein bisschen mehr Zeit.« Ralf ließ sich geknickt auf dem Sessel nieder.

»Aber warum ging das auf einmal so schnell? Ich dachte, es ging ihr schon wieder um einiges besser?« Jonas starrte nachdenklich ein Loch in die Fensterscheibe.

»Na ja, der Tumor ließ sich trotz der ganzen Medikamente nur kurz aufhalten, bevor er dann wieder weiter wuchs. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es so wahrscheinlich besser für Larissa. Auch wenn es hart klingt, aber sie konnte sich nicht mal mehr richtig orientieren.« Ralf sah betroffen drein. Auch er kannte Larissa bereits einige Jahre und auch an ihm war das alles nicht spurlos vorübergegangen.

Der Leidensweg von Larissa und auch das Aufopfern von Nina, hatten eine tiefe Kerbe in ihrer aller Leben geschlagen. Sie hatte mehr Zeit bei Larissa und ihrer Tochter verbracht, als bei ihnen zu Hause. Aber keiner hatte es ihr je übel genommen. Doch jetzt würde sich wahrscheinlich einiges wieder ändern, nachdem die erste Trauer vorüber war. Er hoffte nur, dass sie das alles gut wegstecken würde. Doch dann fiel ihm Celine wieder ein, für die das alles noch schwerer sein musste.

»Vielleicht hast du recht«, pflichtete Jonas seinem Vater bei. »Aber was passiert jetzt eigentlich mit ihrer Tochter?«

»Ich weiß es nicht wirklich, aber ich glaube, dass sich das Jugendamt hauptsächlich um sie kümmern wird. Deine Mutter wird ihr auf jeden Fall zur Seite stehen, denn sie ist jetzt die nächste Bezugsperson, die Celine hat.«

»Gibt es denn keine Verwandten, wo sie unterkommen könnte?« Es war doch merkwürdig, dass sich niemand um sie kümmern würde.

»Nein, soviel ich weiß, leben die alle nicht mehr. Und wo ihr Vater ist, weiß keiner.« Ralf lachte kurz sauer auf. Wie konnte man nur sein eigenes Kind im Stich lassen und sich nicht um sie kümmern? Jonas jedenfalls konnte es sich nicht vorstellen, sein eigen Fleisch und Blut irgendwann einmal so im Stich zu lassen. Er selbst war behütet aufgewachsen und seine Eltern waren immer für ihn da gewesen, egal, was auch war. Wenn sich das von heute auf morgen ändern sollte, würde er wahrscheinlich durchdrehen. Wie sollte es dann erst Celine gehen, die außer ihre Mutter niemanden mehr hatte.

Jonas löcherte seinen Vater nicht weiter. Schließlich würde es weder Celine noch sie selbst weiterbringen. Er konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, was sie gerade durchmachte. Wenigstens wäre sie beim Jugendamt gut aufgehoben und solange sich seine Mutter noch zwischendurch um sie kümmerte, käme sie vielleicht auch über diese Sache hinweg. Auch wenn er sie nicht kannte, tat sie ihm in diesen Moment unendlich leid. Trotzdem war er froh, dass seine Mutter nicht auf die glorreiche Idee kam und Celine bei sich aufnehmen wollte. Erstens hatten sie nicht genug Platz und zweitens wollte er mit keinem Mädchen unter einem Dach leben müssen. Das wäre für ihn das Grauen schlechthin. Er war beliebt bei den Mädels, keine Frage, aber er hatte darauf absolut keinen Bock. Sie gingen ihm mittlerweile echt auf die Nerven. Und da würde es ihm gerade noch fehlen, wenn auch noch eine das Haus mit ihm teilen würde. Niemals.

Zwei Wochen später fand die Beerdigung statt. Da Larissa eingeäschert werden wollte, mussten sie so lange warten. Wie sein Vater bereits vorhergesagt hatte, wurde Celine in die Obhut des Jugendamtes gegeben, die aber eng mit Nina zusammenarbeiteten, weil sie die Einzige war, zu der Celine Vertrauen hatte.

Es fand nur eine kleine Beerdigung statt. Wie schon in Larissas Leben, hatten sie auch dort nur wenigen Menschen begleitet.

Zum ersten Mal sah Jonas Celine, sie sich hinter langen dunklen Haaren und einer Kapuze, die sie weit ins Gesicht gezogen hatte, die Augen ausweinte. Ihr Gesicht konnte er so allerdings nicht erkennen. Vielleicht wollte sie einfach nicht, dass man sie weinen sah. Verständlich einerseits, aber vollkommen dumm andererseits. Es nahm ihr wohl kaum einer übel, wenn sie auf der Beerdigung ihrer Mutter weinte. Schließlich konnte sich jeder in sie hineinversetzen. Zwei Frauen vom Jugendamt, standen neben ihr und stützten sie, während sie der Trauerrede, geistig abwesend, zuhörte.