Patchwork hoch Eins - Bianka Mertes - E-Book

Patchwork hoch Eins E-Book

Bianka Mertes

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Beschreibung

Luisa wird seit der Schulzeit gemobbt und auch Zuhause hat sie mehr Probleme, als ihr lieb wären. Dennoch hat sie in ihrer Klasse auch jemanden, den sie heimlich anhimmelt. Tim. Doch leider gehört auch der zu denen, die sie immer wieder runtermachen müssen. Sie freut sich schon auf ihren Abschluss und das neue Leben danach. Doch als sie ihren Lehrvertrag im Gastrogewerbe unterschreibt, bleibt ihr die Spucke weg. Denn kein anderer als Tim, ist der Sohn der Lehrherren und dazu auch Lehrling im Betrieb. Erneut brennt sich der unsichtbare Schriftzug »Außenseiter« auf ihre Stirn ein. Wie soll sie erneut drei Jahre mit ihm überstehen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 167

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Bianka Mertes

Patchwork hoch Eins

Total verpeilt

Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

© 2019 Bianka Mertes

Cover:

Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt & Bianka Mertes Bildmaterial:

www.pixabay.de

www.depositphotos.com

Lektorat und Korrektorat:

Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt

www.buchstabenpuzzle.de

2. Auflage

Verlag & Druck: tredition GmbH,

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-76085-1

Bianka Mertes

Patchwork hoch Eins

Total verpeilt

Prolog

Schon im Kindergarten war ich jemand, der nicht gut mit anderen klar kam. Doch ich dachte mir mit sechs Jahren, was soll es, in der Schule wird alles anders. Nur hatte mein noch sehr kleines verwirrtes Gehirn eins nicht bedacht. Alle, die mit mir in einer Gruppe waren, wurden auch mit mir eingeschult.

Und so begann mein Leben in der Schule, wie es schon im Kindergarten aufgehört hatte. Als Außenseiter.

Mein Name, Luisa. Ich bin ein Meter sechzig groß und mit meinen fast fünfzehn Jahren, na ja sagen wir, ziemlich gut gebaut. Oder wie andere es sagten, meine Problemzonen schienen sich irgendwie auf den ganzen Körper zu verteilen. Aber wie auch immer, in meiner Klasse, war und blieb ich der Mittelpunkt. Auch wenn das nicht gerade positiv gemeint war. Denn wie schon vorhergesehen, blieb ich auch dort nicht vor meinen lieben Mitschülern verschont.

»Verdammt gib her.« Wie eine Bekloppte lief ich meiner Tasche hinterher, die zwei Jungs aus meiner Klasse meinten, als Frisbee zu benutzen. Jedes Mal, wenn ich bei dem einen angekommen war, landete sie schon wieder bei dem anderen. Ich war schon völlig außer Puste, als es Gott sei Dank zum Unterricht läutete und sie die Tasche auf meinen Tisch warfen. Vielleicht sollte ich das nächste Mal einfach auf den Gong warten.

Okay, zu meiner Erklärung. Ich musste vor zwei Wochen die Klassenstufe wechseln, weil meine Eltern sich in den Kopf gesetzt hatten, dass ich das Schuljahr nicht packen würde. Ihre Meinung. Meine zählte nicht.

Zum guten Schluss wurde ich von der Neunten in die Achte zurückgesetzt. Mitten im Schuljahr, echt klasse. Wer das kennt, dem brauche ich wohl nicht zu erzählen, dass man am ersten Tag schon mit Bauchschmerzen in die Schule geht.

In meiner alten Klasse war ich ja bereits die größte Außenseiterin aller Zeiten und ich dachte, na ja, vielleicht hatte es auch etwas Gutes zu wechseln. Aber, Pustekuchen. Als hätte ich das Wort ›Außenseiter‹ auf meine Stirn tätowieren lassen, ging es dort direkt weiter. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ich meinen Mund nicht aufbekam. Oder, doch an den zwanzig Kilo zu viel, die ich auf den Rippen hatte? Ich denke es lag eher an beidem. Ansonsten war ich eigentlich sehr aufgeschlossen, hatte dunkle lange Haare, braune Augen und wie die anderen immer sagten, ein Gesicht wie ein Hefekuchen.

Toll, echt toll. Wenn ich mir eins vorgenommen hatte, war es, dass ich die anderthalb Jahre noch durchzog, und mit einem guten Abschluss, diesen Sauhaufen verlassen würde. Also ließ ich mich normalerweise nicht auf solche Spielchen wie eben ein. Doch zu allem Überfluss waren in der Tasche nicht nur meine Hausaufgaben, die ich heute unbedingt abgeben musste, sondern auch noch eine Flasche O-Saft, die durch das hin- und herwerfen, geplatzt war.

Ernüchtert nahm ich das triefende Heft aus meiner Tasche, in dem die Aufgaben standen. Ich brauchte diese Note unbedingt. Sollte ich noch einmal mit einer schlechten nach Hause kommen, gäbe es wahrscheinlich die Hucke voll.

Ich versuchte, noch zu retten, was man konnte, trotz allem war die Tinte so sehr verlaufen, dass es eher einem Aquarell, als meinen Hausaufgaben glich. Meine Tischnachbarn sahen erst auf das Heft und dann auf mich und schüttelten nur die Köpfe. Okay, das war zu viel für heute. Tränen schossen in die Augen und als würde das nicht reichen, betrat auch schon unser Lehrer das Klassenzimmer. Er sah heute echt mies gelaunt aus. Toll, auch das noch.

Mein Magen drehte sich um hundertachtzig Grad und ein Knoten, so dick wie eine Apfelsine, schnürte mir die Kehle zu.

Ohne ein Wort und nur mit Handzeichen wies er mich darauf hin, dass ich meine Arbeit abgeben sollte. Prima Auftakt in den Tag. Von rechts hörte ich »Arme Socke« und von links »Erkläre es ihm«.

Zu allem Überfluss musste ich dazu sagen, dass ich trotz allem, was sie mir antaten, kein Kameradenschwein war. Natürlich taten die warnenden Blicke der zwei Typen das Übrige. Aber wahrscheinlich hätte ich auch so nichts gesagt, denn wie schon erwähnt, bekam ich kaum die Zähne auseinander. Schlimmer als mal wieder eine Auseinandersetzung mit meinen sehr strengen Eltern und einer Sechs für die Hausarbeit konnte es ja nicht werden.

Mit rasendem Herzen und feuchten Händen zwang ich mich unter den Blicken meiner Mitschüler zum Pult des Lehrers, der bereits die Hand nach meinen Aufgaben ausstreckte. Ich zitterte wie Espenlaub, als ich ihm das Heft überreichte. Zu allem Überfluss machten es mir meine doch so lieben Klassenkameraden auch nicht besonders leicht. Sie verfielen in schallendes Gelächter, nachdem der Lehrer erst mein Heft und dann mich fragend unter die Lupe nahm.

Ich hatte mich getäuscht, es konnte noch schlimmer werden. Selbst der Versuch, meinem Lehrer eine Erklärung zu liefern, ging voll daneben. Nein, ich durfte sogar beim netten Herrn Direktor, in seinem Büro, den schönen blauen Stuhl ausprobieren.

Knallrot, mit zitternden Beinen, ohne Worte, ohne vernünftige Erklärung und vor allem ohne Hausaufgaben. Aber wenigstens der Stuhl war bequem. Den Tag konnte ich auf jeden Fall als totalen Reinfall in meinem Tagebuch notieren. Hätte sich ein Loch vor mir im Erdboden aufgetan, ich wäre dankbar darin versunken.

Auch in den nächsten Tagen besserte sich kaum etwas. Der einzige Lichtblick, wenn ich das Klassenzimmer betrat, war dieser süße Kerl, der mir schon am ersten Tag aufgefallen war. Nicht dass er irgendein Interesse an mir kundgetan hätte, aber er hatte etwas an sich, dass mich in Träumereien verfallen ließ.

Da ich ganz hinten saß, hatte ich einen besonders guten Blick auf ihn. Da wurden sogar Hausaufgaben und Co zur reinen Nebensache. Natürlich nur, wenn er nicht auch zu denjenigen gehören würde, der nichts Besseres zu tun hatte, als sich ein Opfer zu suchen. Also hieß es wieder einmal Zähne zusammenbeißen und durch. Das Problem war nur, dass mein Herz sich etwas anderes in den Kopf gesetzt hatte und jedes verdammte Mal, wenn ich ihn ansah, einen Luftsprung machte.

Wenigstens wurden meine Noten besser, auch wenn meine Sachen noch immer als Punchingball verwendet wurden.

Zu Hause lief das dann ungefähr so ab. Essen, Hausaufgaben, Haushalt helfen, Tracht Prügel, Essen und Bett. Freizeit hatte ich zwar auch aber eben alleine. Als Außenseiterin hatte man da nicht die große Auswahl, mit wem man um die Häuser zog. Sollte ich doch mal die Nase voll haben, Stöpsel ins Ohr, Musik auf volle Lautstärke und einfach in die Natur marschieren. Alles vergessen, und von besseren Zeiten träumen. Das half wenigstens für kurze Zeit alles zu unterdrücken, auch wenn mich die Gegenwart schneller wieder einholte, als mir lieb war.

Endlich war das achte Schuljahr vorbei und die Ferien fingen an. Andere fuhren in Urlaub, unternahmen etwas mit ihren Freunden oder Familien und ich, na ja, wieder die Stöpsel ins Ohr. Das wurde langsam aber sicher zu einem unausweichlichen Hobby.

Aber da gab es auch noch etwas anderes, wofür ich die Ferien nutzte. Ich hatte mich fest dazu entschlossen, ein paar Kilos purzeln zu lassen. Gut und schön, nur wie. Also hatte ich tagelang nichts gefuttert, auch wenn ich wusste, dass das ungesund war, aber ich musste zugeben, dass es mir nicht mal schwerfiel.

Die ganze Zeit zu Hause zu verbringen, hatte mir wortwörtlich den Appetit verdorben. Und zu guter Letzt hatte es gewirkt. Nach und nach zeigte meine Waage immer weniger an. Bis zum neuen Schuljahr hatte ich bereits zehn Kilo weniger auf den Hüften. Von achtzig Kilo auf siebzig Kilogramm, fehlten nur noch zehn. Das war das, was ich mir fest vorgenommen hatte.

Auch wenn es dann so war, wie ich vermutet hatte, dass meine Mitschüler anscheinend blind dafür waren. Denn auch in dem neuen Schuljahr änderte sich nichts. Außenseiterin blieb eben Außenseiterin. Aber vielleicht hatte ich mich ja einfach nur getäuscht und es lag gar nicht an meinem Übergewicht? Wie auch immer, ich hatte keine Ahnung, warum sie ausgerechnet mich ausgesucht hatten.

Doch zu meiner Überraschung wurde ich jetzt im Sportunterricht nicht immer als letzte gewählt und zudem noch von dem süßen Kerl.

Ein Lichtblick, dachte ich. Haha, aber nicht in diesem Universum. Ich hatte etwas getan, was mir nie aufgefallen wäre, hätte ›mein Süßer‹ mich nicht darauf aufmerksam gemacht.

»Die ist doch total in mich verschossen. Die lacht immer dann, wenn ich es auch tue, und starrt mich die ganze Zeit nur dämlich an.« Okay. Der Schuss ging völlig nach hinten los. Meine Schmetterlinge verflogen und anstelle hatte sich mein Herz gerade in einen eiskalten aber riesigen Stein verwandelt. Mein Magen drehte sich unaufhörlich, wobei mein Mittagessen bereits an meinem Zäpfchen spielte.

Unfähig auch nur ein Wort zu sagen, ließ ich es zu, dass sie sich mal wieder aus einem anderen Grund über mich lustig machen konnten. Ich weiß, ich war halt eine Idiotin. Doch auch danach mochte ich ihn noch immer. Wieso? Weil mein Herz sich partout in den Kopf gesetzt hatte ›den oder keinen‹. Dabei war mein Kopf schon viel weiter als mein Herz.

Dann kam die Klassenfahrt, auf die ich nicht mitwollte. Langweilen konnte ich mich schließlich auch zu Hause. Doch meine Eltern bestanden darauf, unter Androhung von Prügel natürlich. Nette Eltern? Jupp, durch und durch. Wahrscheinlich wären sie noch froh, wenn mein Lehrer mich dort irgendwo im Wald vergessen hätte.

Gut, das würde ich wahrscheinlich auch noch irgendwie überleben. Einfach den anderen aus dem Weg gehen, dachte ich mir. Leider kam es natürlich anders. Mit meinen ›besten Freundinnen‹ in einem Zimmer konnte ja nichts mehr schiefgehen. Da fragte man sich nur noch, wer all meine Klamotten verschwinden lassen hatte?

Nachdem ich sie dann aus einem Mülleimer gefischt hatte, ging es schnurstracks zur Wanderung. Tolle Sache, wenn man den Weg kannte und nicht gerade als Außenseiter abgestempelt war. Sie hatten bestimmt eine tolle Zeit, als sie im Wohnheim angekommen waren und ich noch immer den Weg suchte.

Trotz Blasen an den Füßen kam ich schließlich dann doch irgendwann heil an. Juhu. Endlich etwas in den Magen. Und wieder Pustekuchen. Ich war zwar da, aber zu essen gab es nichts mehr. Die Küche hatte schon geschlossen, schließlich war es auch kurz vor Mitternacht. Egal, ich hatte ja eh vor abzunehmen.

War ich froh, als es hieß ›Abreise‹, das kann sich keiner vorstellen. Noch ein halbes Jahr durchstehen und endlich nicht mehr als Außenseiterin gelten.

Da ich jedoch nicht jeden einzelnen miserablen Tag meiner Schulzeit vor euch ausbreiten möchte, denn sonst könntet ihr auch meine Tagebücher lesen, springe ich zur Zeugnisvergabe.

Ja, tatsächlich hatte ich es geschafft und meinen Abschluss in der Tasche. Jetzt gab es nur noch eins, dass ich hinter mich bringen musste. Die Abschlussfeier.

Man hatte recht, wenn man dachte, warum ist sie überhaupt dahingegangen, aber ich hatte einen verdammt guten Grund. Der wichtigste in meinem Leben.

Wahrscheinlich der letzte Moment, an dem ich ›meinem Süßen‹ begegnen würde. Auch wenn ich die eineinhalb Jahre nichts erreichen konnte, wollte ich wenigstens einen letzten Versuch starten. Nur gucken. Denn für mehr blieb mir auch keine Zeit. Zwei Stunden hatten meine Eltern mir erlaubt. Zwei Stunden, in denen man nicht mal Zeit zum Essen, geschweige denn für mehr gehabt hätte. Vor allem, wenn man diese zwei Stunden auch noch allein herumsaß.

Ich brauchte gar nicht hoffen, dass sie sich verspäten würden, denn pünktlich wie die Maurer standen sie dann auch da mit ihrem Auto und holten mich ab. Auch wenn sich unsere Blicke zum Abschied, den ich gerade noch so über meine Lippen brachte, trafen, war meine Zeit um. Auch jetzt hatte ich bei ›meinem Süßen‹ keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Zeit, der ich nachtrauerte, obwohl ich mich eigentlich freuen sollte.

Ich hatte meinen Abschluss und einen Lehrvertrag sollte ich am nächsten Tag unterzeichnen. Ich wollte unbedingt im Gastrogewerbe lernen. Also hatte ich mich schon in dem letzten halben Jahr, in dem die anderen nur Unsinn im Kopf hatten, darum bemüht. Und es hatte geklappt. Günstig von der Arbeitszeit und nicht in der Nähe meines Zuhauses. Was natürlich am besten war, mich kannte dort keiner und vielleicht hatte ich ja auch mal Glück und würde nicht mehr als Außenseiterin angesehen. Meine Stirn hatte ich jedenfalls vorher kontrolliert.

Der nächste Tag. Stolz wie Oskar fuhr ich mit meinem Fahrrad zur Unterzeichnung des Vertrages. Natürlich war ich nervös und keiner konnte mir erzählen, dass er es nicht war. Noch ein kleines Gespräch bei einer Cola. Die Leute unheimlich nett. Netter, als ich es mir hätte wünschen können. Die Gaststätte genau nach meinen Vorstellungen eingerichtet. Also fackelte ich nicht lange, bevor mir noch jemand meine Stelle wegschnappen konnte. Zufrieden unterzeichnete ich den Vertrag, den nun noch meine Eltern zu Hause unterschreiben mussten, und ließ den Kugelschreiber fallen, als ›mein Süßer‹ Tim, als ihr Sohn vorgestellt wurde. Unter Schnappatmungen versuchte ich, mich wieder zu beruhigen, doch mein Herz raste so schnell, dass ich das Blut in meinen Ohren bereits rauschen hören konnte. Wann zum Teufel hatte der Himmel eigentlich einmal Gnade mit mir?

Moment mal, fiel es mir dann plötzlich wie Schuppen von den Augen. Ich hätte den jetzt erneut drei Jahre an der Backe? Drei Jahre, auf die ich mich auf einmal nicht mehr so freute. Auch wenn ich ihn angehimmelt und eigentlich bereits damit abgeschlossen hatte, schwante mir Schlimmes. Zu allem Überfluss sollte er das Geschäft einmal übernehmen und war natürlich ebenfalls Lehrling im elterlichen Betrieb.

Damit hatte es sich wohl erledigt, dass mich keiner kannte. Und unwillkürlich erschien der unsichtbare Schriftzug ›Außenseiterin‹ wieder auf meiner Stirn. Dreckig grinsend nahm er sich eine Cola und verschwand. Klasse. Ich freute mich schon auf meine drei Jahre Lehrzeit.

Kapitel 1 - Schlimmer geht immer

Bis zum ersten Tag meiner Lehre hatte ich es wenigstens geschafft, die restlichen zehn Kilo zu verlieren. Cool, wenn man bedachte, dass es außer meinen Eltern wahrscheinlich nie jemandem auffallen würde. Wenn es meine Eltern denn interessieren würde.

Es war klasse, wenn man schon am ersten Arbeitstag mit Bauchschmerzen erschien, das sollte man unbedingt mal ausprobieren. Vor allem, wenn man kerngesund war.

Na super.

Nervös trat ich meiner neuen Chefin gegenüber, die mich freundlich in Empfang nahm.

»Deine Sachen kannst du hier im Umkleideraum lassen und wenn du dich umgezogen hast, komm bitte zur Theke, dann gebe ich dir eine kleine Einweisung«, sagte die nette Frau, die ab jetzt meine Lehrherrin war. Ich schätzte sie um die vierzig, was man ihr aber nicht direkt ansah. Sie war groß, blond, trug eine Brille und war wahnsinnig attraktiv. Also das komplette Gegenteil von mir. Neben ihr wirkte ich eher wie eine kleine nichtssagende Kreatur. Aber sie behandelte mich wenigstens nicht als Außenseiterin. Schon mal ein großer Pluspunkt.

Ich tat, was sie sagte, schloss meine Sachen in einen der Spinde, zog mir schnell die schwarze Hose und weiße Bluse an, und die hellblaue Vorbindeschürze mit dem Logo der Gaststätte, über und ging zur Theke, an der sie bereits auf mich wartete.

Nach und nach wies sie mich in die Getränke und meinen Aufgabenbereich ein. Okay verstehen, war noch nie mein Problem, also hatte ich in kürzester Zeit alles kapiert.

Dann war die Küche dran, wo bereits zwei Köche ihr Unwesen trieben. Es roch herrlich hier und ich musste aufpassen, nicht alleine vom Geruch wieder zehn Kilo zuzulegen. Dann waren die Toiletten und die Gästezimmer dran. Ich kannte alles bereits wie meine eigene Westentasche, dass ihr sichtlich imponierte.

»Zuerst teile ich dich für die Gästezimmer ein. Die sind, neben des Essen, das Aushängeschild unseres Betriebes. Aber ich denke, das wird für dich kein Problem sein. Wenn alles gut läuft, kannst du als Nächstes mit an den Thekenbereich und die Gäste bedienen.« Sie lächelte mich freundlich an.

»Vielen Dank, ich werde Sie sicherlich nicht enttäuschen.«

»Wenn ich den Eindruck von dir gehabt hätte, wärst du heute nicht hier«, gab sie wieder freundlich zurück. Ich glaubte, zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich gerade Anerkennung bekommen. Ich war total aus dem Häuschen und musste aufpassen, nichts Dummes zu plappern. Jedenfalls war ich so happy wie in meinem ganzen Leben noch nicht.

»Meinen Sohn kennst du ja bereits.« Schon sank mein Pegel an der ausgelassenen Freude in den Keller.

Er betrat grinsend das Gästezimmer und lehnte sich gelassen gegen den Türrahmen. Meine Stimmung veränderte sich nicht unbedingt, weil er es war, sondern, weil ich dieses Grinsen bereits zu gut kannte. Ich nickte ihm nur zu, denn mehr hätte ich eh nicht rausbekommen. Zudem wollte ich ihm keinen Grund für dumme Kommentare geben.

»Wer hätte gedacht, dass wir uns so wiedersehen«, meinte er schließlich und grinste noch breiter, als seine Mutter weg war und mich den Zimmern überließ. Ich wusste nicht genau warum, aber irgendwie legte sein freches Grinsen plötzlich bei mir einen Schalter um, der jahrelang eingerostet zu sein schien. Es kamen tatsächlich Worte aus meinem Mund. Und die waren nicht einmal nett gemeint.

»Ja, wer hätte das wohl gedacht«, gab ich nur schnippisch zurück und funkelte ihn böse an.

»Wow, was war das denn gerade? Du kannst ja sprechen.« Sein dreckiges breites Grinsen brachte mich zur Weißglut. Das hatte ich mir lange genug gefallen lassen. Und so nahm ich endlich einmal allen Mut zusammen.

»Ich kann auch noch ganz andere Sachen, wenn du mich weiter so dumm anmachst.« Es platzte einfach so aus mir hinaus. Wahrscheinlich hatte sich über die Jahre genug Frust aufgebaut, der jetzt unbedingt an die Oberfläche wollte. Nur leider konnte man meine Worte auch zweideutig verstehen, was mir erst viel zu spät auffiel. Und er nahm natürlich die zweite Variante. Knallrot sah ich zu, wie er an mich herantrat und seinen Mund an mein Ohr führte.

»Na ja, jetzt habe ich leider keine Zeit, aber das können wir gerne später ausprobieren.«

Zuerst war ich total verdattert und schloss nur noch die Augen in meiner Panik. Doch das änderte sich schnell, als er wieder einen Schritt von mir wegtat. Okay, genug für heute, mein Körper war bereits mit Gänsehaut übersät und ich hatte absolut keine Lust mehr auf diese dämlichen Spielchen, aus der Vergangenheit.

»Ja, sicher träum weiter«, gab ich nervös zurück und schubste ich ihn von mir weg. Er lachte nur kurz auf und wedelte mit der Hand.

»Bis später dann.« Ich konnte nur ungläubig mit dem Kopf schütteln und musste mich einen kurzen Moment auf das Bett setzen, was ich eigentlich für den nächsten Gast fertigmachen sollte. Mein Herz raste wie wild, wobei meine Beine gerade wie reinster Pudding waren. Wieso zum Teufel bekam ich auf einmal den Mund auf? Wenn ich das schon in der Schule gemacht hätte, wäre mir vielleicht einiges erspart geblieben. Aber nein, der Schalter musste ja ausgerechnet jetzt erst betätigt werden. So ein Mist.

Ich schaffte die Zimmer in der vorhergegebenen Zeit und meine Chefin war sichtlich beeindruckt, nachdem sie jedes einzelne kontrolliert hatte. Also wenigstens dazu taugte ich etwas. Nun hieß es, weiter sauber machen. Erst die Toiletten und dann den Bereich des Gastraumes. Für die Küche waren die Kochlehrlinge zuständig.

Die Toiletten hatte ich schnell hinter mich gebracht und war auch im Gastraum ziemlich fix unterwegs, als ich das Gefühl bekam, mich würde jemand beobachten. Ich sah zur Theke herüber und da saß kein geringerer als Tim und schluckte gerade in großen Zügen eine Cola herunter.

»Buh«, machte er, als sich unsere Blicke trafen. Na klar, meine Knie schlotterten vor Angst. Phhh, eingebildeter Affe. Unbeachtet putzte ich weiter den Boden, bis er plötzlich neben mir auftauchte.

»Also jetzt gerade hätte ich Zeit. Wenn du weißt, was ich meine.« Wieder dieses freche Grinsen im Gesicht. Genervt drehte ich mich zu ihm um und zeigte ihm, eine Hand in die Hüften gelegt, den ausgestreckten Mittelfinger.