Solariya - Bianka Mertes - E-Book

Solariya E-Book

Bianka Mertes

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tauche ein in die faszinierende Welt von Solariya - Magie der Fantasie! Erlebe eine Welt voller Mystik und Abenteuer, bevölkert von magischen Kreaturen und exotischen Pflanzen. Begleite Joshua und Jessie auf ihrer spannenden Reise durch eine Welt voller Krieg und Hoffnung. Ihre Geschichte wird dich mitreißen und dich emotional berühren. In Solariya stehen Freundschaft, Liebe und Mut im Mittelpunkt. Lass dich von der packenden Handlung mitreißen und tauche ein in eine Welt voller Magie und Fantasie. Solariya - Magie der Fantasie ist kein gewöhnliches Buch, es ist ein Erlebnis für die Sinne. Überzeuge dich selbst und lass dich verzaubern von dieser einzigartigen Geschichte. Tauche ein in die Welt von Solariya und entdecke das Abenteuer deines Lebens!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 322

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bianka Mertes

Solariya

Magie der Fantasie

Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

© 2022 Bianka Mertes

http://biankamertes-autorin.de/

Cover:

Bianka Mertes

Bildmaterial:

www.pixabay.de

www.depositphotos.com

Lektorat und Korrektorat:

Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt

www.buchstabenpuzzle.de

2. Auflage

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-66362-6

Neue Heimat, neues Glück

Jessie wurde gerade fünfzehn Jahre alt und sie wusste nicht genau, seit wann sie nicht mehr an Geschichten oder Märchen glaubte. Doch sie hatte das Gefühl, dass das schon immer so gewesen sein musste. Andere Kinder in ihrem Alter, besonders die Mädchen aus ihrer Klasse, spielten damals immer die Geschichten nach. Dann waren sie Prinzessinnen, die sich von ihrem Prinzen retten ließen, bauten Schlösser aus Pappkartons, über die sie herrschten, und natürlich durfte auch ein königliches Wappen nicht fehlen.

Für Jessie war das alles einfach nur peinlich. Da gab es wirklich Dummköpfe, die über eine lange Zeit an so einen Blödsinn wie Drachen, Magier, Ritter und was wusste sie, was sonst noch alles in diesen Büchern stand, glaubten. Sie machten sich regelrecht zum Affen und zogen ihre Freunde da auch noch mit hinein.

Aber Jessie war anders. Für sie gab es so eine Welt nicht und wenn es nach ihr gegangen wäre, sollten diese Geschichten abgeschafft werden. Sie zog sich lieber zurück und kümmerte sich um die Wirklichkeit, in der es ihrer Ansicht nach genügend spannende Dinge zu erleben gab. Und das änderte sich auch bis zum heutigen Tage nicht. Realität, genau das war ihre Welt, die sie dann auch bitter zu spüren bekam.

Sie ging gerade mit ihrer Mutter, der sie wie aus dem Gesicht geschnitten war, nach der Schule von der Stadt nach Hause, da klingelte das Handy ihrer Mutter. Sie wühlte aufgeregt in ihrer braunen Lederhandtasche herum, in der mal wieder viel zu viel Krempel war. Als hätte sie bereits eine Vorahnung gehabt, hob sie das Handy mit zitternden Händen an ihr Ohr, nachdem sie es dann endlich in dem Ungetüm von Handtasche fand.

»Ja – bitte?«

Jessie konnte hören, wie ihre Stimme zitterte, während ihre Mutter vom anderen Ende die schlimmsten Worte ihres Lebens vernahm. Sie blieb schlagartig mit weit aufgerissenen Augen stehen. All ihre Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, ganz so, als hätte sie einen Geist gesehen. Ihre Einkaufstaschen flogen auf den harten Gehweg und die Orangen, die sie gerade noch ergattern konnte, rollten Richtung Straße. Sie zitterte am ganzen Leib und wenn Jessie recht überlegte, hatte sie ihre Mutter noch nie im Leben so gesehen. Augenblicklich setzte ihr Herzschlag einige Sekunden lang aus.

»Mama, was ist denn los?« Sie eilte zu ihr, um sie zu stützen, denn die Beine ihrer Mutter zitterten so heftig, dass sie bereits unter ihr nachgaben.

»Was ist denn? Ist etwas passiert?« Mit noch immer weit aufgerissenen Augen sah sie Jessie an. Blass und bleich stand sie vor ihrer Tochter.

»Dein … dein Vater …«, stammelte sie vor sich hin, während sie mit den Tränen kämpfte, die sich bereits einen Weg über ihre Wangen bahnten. Instinktiv wusste Jessie, dass ihre Mutter keine guten Nachrichten für sie bereithalten würde.

»Was ist denn mit Paps? Sag schon, was ist denn passiert?« Auch Jessie wurde jetzt sichtlich nervöser, denn so kannte sie ihre Mutter absolut nicht.

Schließlich sackte ihre Mutter zu Boden und Jessie hockte sich neben sie und nahm sie in die Arme.

»Mama, was ist passiert?«

»Er hatte einen Autounfall. Wir müssen sofort ins Krankenhaus.«

Sie war so außer sich vor Sorge, dass sie auf sich selbst gar keine Rücksicht mehr nahm. Mit einem Satz sprang sie auf und rannte los. Jessie hatte Mühe, sie davon abzuhalten, blind auf die Straße zu laufen.

Schließlich fuhren sie mit einem Taxi ins Krankenhaus. In ihrem Zustand war es unmöglich, mit dem Auto sicher dort anzukommen.

Eine Schwester brachte sie zur Intensivstation und bat sie leise in den Raum.

Jessie blieb der Atem weg, nachdem sie die vielen Schläuche und Kabel sah, an denen ihr Vater angeschlossen war. Es war schrecklich, ihn da so liegen zu sehen. Vor allem war es schlimm für sie, ihm in keiner Weise helfen zu können. Sie kam sich so hilflos und sinnlos vor, wie noch nie in ihrem Leben. Sie konnten beide nur zusehen und abwarten.

Irgendwann kam ein Arzt und nahm ihre Mutter mit hinaus, während Jessie jede Sekunde wie eine lange Zeit vorkam. Langes Bangen um den Menschen, der ihr sehr am Herzen lag. Sie ahnte schon, dass es kein gutes Zeichen war, dass der Arzt allein mit ihrer Mutter sprechen wollte. Sie war fünfzehn und nicht dumm. Das alles war kein gutes Zeichen und es fiel ihr sichtlich schwer, sich auf das Schlimmste einzustellen. Von draußen konnte sie ihre Mutter bereits weinen und schreien hören. Was das zu bedeuten hatte, konnte sich Jessie auch ohne eine Antwort ihrer Mutter denken.

Sie ließ sich auf den Stuhl neben dem Krankenbett nieder und nahm die Hand ihres Vaters zitternd in ihre. Tränen rannen über ihr Gesicht, während sie schluchzend die Stirn auf seinen Oberkörper sinken ließ.

»Paps, bitte, du kannst mich hier nicht alleine lassen. Mama braucht dich auch. Was sollen wir denn ohne dich machen?«

Immer wieder sprach sie auf ihren Vater ein. Der Mann, der immer ein Vorbild gewesen war. Alles, was ihr im Leben wichtig war, waren ihre Eltern. Freunde besaß Jessie kaum, bis auf eine Freundin, die sie bereits seit der Grundschule her kannte und die sich aus dem Gespött der anderen genauso wenig machte wie sie selbst. Sie wurden in der Grundschule schon immer gehänselt, weil sie den ganzen Tag zusammenhingen und anders waren. Und das war auch bis zum heutigen Tag so geblieben. Aber egal, was auch geschah, auf ihre Freundin war Verlass und umgekehrt genauso. Und jetzt sollte sie einen großen Teil ihres Lebens verlieren. Sie wusste nicht, wie sie ihre Gefühle unter Kontrolle bringen sollte. Ihr Herz zerbrach gerade in viele Teile und sie hatte keine Ahnung, ob es je wieder repariert werden könnte. Auch ihre Mutter würde unter diesem Verlust sehr leiden. Das war ihr klar. Aber könnte Jessie ihr die Kraft und den Mut für die Zukunft geben? Sie hatte ihr ganzes Leben mit diesem Mann verbracht. Er war damals ihre Jugendliebe, die sie dann auch prompt nach der Schule heiratete. Für sie stand schon immer fest, dass er der Mann für den Rest ihres Lebens war.

Jessie wurde von ihrer Mutter nach Hause geschickt und es dauerte nicht lange, bis sie die Todesnachricht von ihrem Vater bekam. Auch wenn Jessie lieber geblieben wäre, doch ihre Mutter ließ ihr keine andere Wahl. Wenigstens bekam sie aber noch die Gelegenheit, sich von ihrem Vater zu verabschieden. Das war bis dahin das schlimmste Erlebnis, das sie je gemacht hatte. Sie verlor nicht nur ihren Vater, sondern auch den besten Freund in ihrem Leben. In diesem Moment zerbrach ihr Leben, wie ein Spiegel in tausend Teile. Ein Puzzle, das sich nie wieder zusammensetzen ließe.

Ein halbes Jahr verging. Ihre Mutter bemühte sich wirklich, sie beide, mit dem wenigen Geld, das sie in ihren Halbtagsjobs verdiente, über die Runden zu bringen. Aber auf lange Sicht sah das eher schlecht aus. Sie war und blieb eine gute Reporterin ohne Anstellung, die putzen ging, um sich und ihr Kind am Leben zu erhalten. Sie vergeudete ihr Talent für ihre Tochter und das schmerzte Jessie zusehends. Um die Beerdigung ihres Mannes zu bezahlen, musste sie sogar einen Kredit aufnehmen, weil die Versicherung nicht bezahlen wollte. Jetzt saß ihnen die Bank auch noch im Nacken. Jessie verfluchte es, dass sie die Schulbank drücken musste, während sich ihre Mutter fast zu Tode schuftete. Sie fühlte sich wie ein Schmarotzer, der nichts dazu beitragen konnte, ihre Leben etwas zu erleichtern.

Doch dann gab es endlich ein Licht am Ende des Tunnels. Ihre Mutter bekam ein Jobangebot einer hervorragenden Zeitung aus der Stadt. Der Chef der Zeitung, bei der sie zuvor arbeitete, legte ein gutes Wort für ihre Mutter ein. Nicht umsonst galt sie damals dort als Spitzenreporterin. Doch durch gewisse Umstände blieb dem Zeitungsvertrieb nichts anderes übrig, als ihr die Kündigung auszusprechen.

Jessie wollte eigentlich nicht aus ihrem Zuhause ausziehen. Das Haus war voll Erinnerungen an ihren Vater. Aber sie wusste auch, dass es so nicht weitergehen konnte. Vor allem sah sie das erste Mal seit dem Tod des Vaters ihre Mutter wieder glücklich und das wollte und konnte sie ihr nicht vermiesen.

Also zogen sie kurzerhand um. Von einem Landei zum Stadtmenschen würde sie jedenfalls nicht so schnell mutieren. Sie verbrachte ihr ganzes Leben auf dem Land und die Stadt sah sie nur, wenn sie ihre Großmutter besuchte. Damals war es schon für Jessie schwierig genug, sich zurechtzufinden. Das konnte jedenfalls noch heiter werden.

Auf der Fahrt dorthin konnte sie schon einmal einen ersten Eindruck vom Stadtleben gewinnen. Jedenfalls hatte sich auch hier viel verändert. Staus ohne Ende, Graffitis an den Wänden der alten Häuser. Menschen, wohin man sah, die alle hektisch durch die Straßen liefen. Und was ihr ganz gut gefiel, Geschäfte soweit das Auge reichte. Davon hatten sie auf dem Land natürlich nicht so viele gehabt. Selbst zum Supermarkt war sie da schon über eine halbe Stunde mit dem Fahrrad unterwegs. Hier war jedes Geschäft nur einen Steinwurf von dem anderen entfernt.

Ihre Mutter hatte sie bereits an der Realschule im Ort angemeldet und morgen sollte auch schon ihr erster Schultag sein. Viel zu schnell, wenn es nach ihr ging. Sie verspürte keineswegs den Drang, sich bereits unter die neuen Schüler zu mischen. Vor allem, weil sie hier noch keinen kannte und ihre einzige Freundin kilometerweit entfernt war.

Morgens wurden die Kisten mit ihren Sachen angeliefert, die bis mittags schon alle ausgepackt und verstaut waren. Wenn Jessie eines hasste, war das Unordnung und die beseitigte sie immer so schnell wie möglich. Zufrieden sah sie sich in ihrem neuen Zimmer um. Es war zwar nicht so groß wie in ihrem alten Haus, dennoch gemütlich. Die komplett in Weiß gehaltene Einrichtung passte rundherum zu ihrem Geschmack. Um ein wenig Kontrast zu schaffen, versah sie ihr Bett mit einer geblümten Bettwäsche in einem hellen Lilaton.

Plötzlich machte sich ihr Magen bemerkbar. Sie hatte seit morgens nichts mehr zu sich genommen und langsam wurde es allerhöchste Zeit.

Auf dem Weg zur Küche hörte sie schon, wie ihre Mutter noch immer mit den Kisten hantierte. Als sie jedoch die Küche betrat, traf sie bald der Schlag.

»Hast du deine Sachen etwa schon alle ausgepackt?« Tina sah ihre Tochter verdutzt an, als sie sie im Türrahmen erblickte. Sie selbst schleppte gerade Kisten von einer Ecke in die andere und wusste nicht so richtig, wo sie anfangen sollte.

»Ja, ich bin schon fertig, aber es sieht so aus, als könntest du noch etwas Hilfe gebrauchen.« Jessie sah sich in der kleinen Küche um, in der das totale Chaos regierte. Die komplette Arbeitsfläche war bedeckt mit Utensilien, die sie heute Morgen schon auspackte. Irgendwie bekam Jessie das Gefühl, als würden die Sachen immer mehr als weniger. Jessie stöhnte.

»Ja, scheint so.« Tina sah sich lachend um. Sie hatte keine Ahnung mehr, wo sie gerade anfangen wollte.

»Keine Sorge, das bekommen wir schon in den Griff. Zuerst sollten wir einmal die Kisten nach den Schränken sortieren«, meinte Jessie schließlich und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Ein Organisationstalent war an ihrer Mutter auf jeden Fall vorbeigegangen.

»Gute Idee, warum bin ich da nicht schon selbst drauf gekommen.« Tina lachte verschmitzt und nahm ihre Tochter stürmisch aber dankbar in die Arme.

Innerhalb einer Stunde stellten sie die Küche so wohnlich her, dass man langsam auch ans Essen denken konnte. Jessies Magen knurrte gewaltig und hing ihr bereits in den Kniekehlen.

»Und, worauf hast du Lust?« Tina griff in den Schrank über der Spüle und kramte dabei zwei Dosen heraus, die sie nachdenklich begutachtete.

»Also, ich hätte Ravioli oder Ravioli im Angebot«, gab sie nachdenklich von sich und grinste schelmisch.

Zum Einkaufen waren sie nach dem Umzug noch nicht gekommen und so blieben ihnen wohl nur die Überreste, die sie eingepackt hatten. Daher sah das Abendessen eher eintönig aus.

»Wie wäre es denn mit Ravioli?«, witzelte Jessie.

»Genau das wollte ich auch gerade vorschlagen.« Tina konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen und Jessie stimmte sofort mit ein. Auch wenn der Umzug ziemlich anstrengend war, so freute sie sich über die gute Laune ihrer Mutter. In der letzten Zeit hatte sie ihre Mutter selten lachen sehen.

Nach dem Essen konnte sich Jessie das Gähnen nicht mehr verkneifen. Ein anstrengender Tag ging vorbei und sie sehnte sich nach ihrem Bett. Sie verabschiedete sich nach dem Spülen von ihrer Mutter und ließ sich im Zimmer der Länge nach auf ihr Bett fallen. Sie atmete den neuen Duft ein, der sich im ganzen Zimmer verbreitete und dachte über den nächsten Tag nach, der minder anstrengend werden würde wie der heutige. Ihr erster Schultag an einer neuen Schule mit jeder Menge Leute, die sie nicht kannte. Vielleicht sollte sie das Ganze als Herausforderung oder Abenteuer sehen. Jedenfalls fehlte ihr ihre Freundin momentan ganz gewaltig. In solchen Fällen hielten die beiden sonst wie Pech und Schwefel zusammen. Jedoch war sie ab jetzt auf sich allein gestellt und sie sollte das Beste daraus machen. Jedenfalls hatte sie nicht vor, sich unterbuttern zu lassen.

Jessie schlief kaum die Nacht. Sie war den Verkehr auf den Straßen nicht gewöhnt und jedes Auto ließ sie hochschrecken. Total gerädert machte sie sich auf den Schulweg. Auch ein Abenteuer für sich in so einer großen Stadt. Die Straßen und sogar die Gehwege schienen um diese Uhrzeit, total überfüllt zu sein, und sie war froh, die Schule unbeschadet zu erreichen. Jedoch wartete auch hier schon das nächste Problem auf sie.

»Oh Mann, ich hätte nie gedacht, dass man sich auf einem Schulgelände verlaufen kann.« Sie war jetzt bereits seit einer halben Stunde auf der Suche nach dem Sekretariat, ohne wirklich zu wissen, wo sie sich gerade befand.

Nachdenklich sah sie sich noch einmal die Karte an, die ihre Mutter ihr nach der Anmeldung mitbrachte. Aber egal, wie sie sie auch drehte, sie fand sich einfach nicht zurecht und diese Karte machte auch irgendwie keinen Sinn. Sie schnaubte entmutigt, während sie sich nach jemandem umsah, der ihr vielleicht helfen konnte. Doch da sie das Klingeln bereits hörte, sah sie da eher weniger Chancen, bis ihr Blick an einem Jungen hängen blieb, der sich im Schatten eines Baumes ein lauschiges Plätzchen ergattert hatte. Jessie ging näher heran, doch er schien sie nicht wirklich wahrzunehmen. Mit geschlossenen Augen lag er im Schatten des Baumes, und schien tief und fest zu schlafen. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der ihr hätte helfen können und der befand sich im Land der Träume.

Sie stöhnte mutlos und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Selbst das bemerkte er nicht. Sie kam sich gerade total verloren vor.

Ihr Blick wanderte wieder zu diesem Jungen, der bei näherem Betrachten recht süß aussah. Wäre er ein Mädchen gewesen, hätte man ihn wahrscheinlich schon in die Kategorie ›Schönheit‹ stecken können. Blonde, schulterlange Haare, eine sehr gute Figur und dem Trend nach gekleidet. Ungewollt machte ihr Herz einen kleinen Satz nach dem anderen.-

Noch während sie ihn musterte, blinzelte er, bis Jessie einen Blick auf seine tiefblauen Augen erhaschen konnte, die sie genervt ansahen.

Erschrocken wich Jessie mit einem Ruck zurück und rammte dabei mit ihrem Kopf den Stamm des Baumes. Schmerzlich rieb sie sich über die Stelle an ihrem Kopf, an der mit Sicherheit eine Beule entstehen würde.

Der Junge sah sie missbilligend ins Gesicht.

»Willst du vielleicht ein Passfoto?« Genervt setzte er sich auf.

Jessie sah ihn verlegen an. Sie hatte schließlich nicht die Absicht gehabt, ihn ohne Grund zu belästigen. Doch trotz allem hämmerte ihr Herz wild gegen ihre Brust. Selbst jetzt sah er noch umwerfend aus. Sie kannte sich selbst nicht mehr wieder. Noch nie hatte sie so auf das andere Geschlecht reagiert und normalerweise war sie auch nicht so schüchtern, wie sie sich gerade in seiner Gegenwart fühlte.

»Es … es tut mir leid, aber ich bin noch neu an der Schule und scheine mich total verlaufen zu haben. Ich dachte, dass du mir vielleicht weiterhelfen könntest. Mehr wollte ich wirklich nicht von dir. Aber da habe ich gesehen, dass du geschlafen hast, und wollte dich nicht wecken, also …«

»Bist du endlich fertig? Willst du jetzt, wo ich wach bin, mich noch zu Tode quatschen?«

Jessie sah ihn noch immer verlegen an und spielte nervös mit ihren Fingern. Mit einer solchen Reaktion hatte sie wirklich nicht gerechnet. Jetzt kam sie sich noch verlorener als vorher vor. Was war nur mit ihr los?

Er musterte Jessie eine Weile nachdenklich. Ihr Gesicht lief rot an und sie lenkte verlegen den Blick zu Boden. Plötzlich richtete er sich jedoch auf und klopfte sich das frisch gemähte Gras von seiner Kleidung.

»Also?«, fragte er plötzlich und Jessie blickte ihn erschrocken an.

»Was?«, fragte sie verdutzt.

»Also, wohin musst du? Oder willst du doch alleine nach dem Weg suchen?«

»Nein, natürlich nicht.« Sie grinste verlegen. »Ich muss zum Sekretariat.«

»Dann bist du hier auf jeden Fall total verkehrt. Du musst zurück bis zum Hauptgebäude und von da an hältst du dich immer links. Kann man eigentlich gar nicht verfehlen, es sei denn, man hat nicht viel im Kopf.« Er grinste ihr frech entgegen.

Bis zu einem gewissen Punkt seiner Ausführungen musterte Jessie ihn angetan. Selbst seine Hände hätten die eines Models sein können. Jedoch sah sie ihn schräg und entrüstet an, nachdem sie verstand, worauf er eigentlich anspielte.

»Also, das verbitte ich mir jetzt aber, auch wenn ich den Weg nicht auf Anhieb gefunden habe, heißt das noch lange nicht, dass ich doof bin.« Wütend suchte sie ihre Sachen zusammen, die sie beim Zusammenstoß mit dem Baumstamm verloren hatte, und stampfte sauer drauf los. Wie konnte er es wagen. Sie war nicht hierhergekommen, um sich von irgendwelchen dahergelaufenen Kerlen sagen lassen zu müssen, dass sie doof sei. Selbst wenn sie am Anfang von ihm angetan war, so hatte dieser Kerl es nicht einmal verdient, so gut auszusehen. Wahrscheinlich wusste er selbst am besten, wie er auf andere wirkte und meinte, er könnte sich daher alles herausnehmen. Da war er bei ihr aber an der falschen Adresse. So ließ sie nicht mit sich umspringen.

»Ich will dich ja nicht in deinem Eifer bremsen, aber zum Hauptgebäude geht es in diese Richtung.« Kopfschüttelnd zeigte er in die entgegengesetzte Richtung und grinste schief.

Auf der Stelle blieb Jessie wie angewurzelt stehen und schnaubte. Erneut gab sie ihm einen Grund, über sie zu lachen, weil sie sich zum Affen zu machte. Jessie schloss die Augen und atmete tief durch, bevor sie sich trotzig und leise knurrend rumdrehte und mit hocherhobenem Hauptes in die Richtung ging, in die sein Finger zeigte.

»Und so viel zum Thema doof«, sagte er zu sich selbst und machte es sich schließlich erneut unter dem Baum gemütlich.

»So ein arroganter Kerl. Er wird seinem Aussehen gar nicht gerecht. Wie kann er es überhaupt wagen?« Jessie war so aufgewühlt, dass sie nach einem Stein trat, der er im Weg lag. Noch nie im Leben hatte es sich einer gewagt, sie als doof zu bezeichnen oder so abfällig über sie zu reden. Am liebsten wäre sie zurückgegangen und hätte ihm die Meinung gegeigt, doch ein kleiner schmerzlicher Aufschrei ließ ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten.

»Wie ich sehe, hast du bereits Bekanntschaft mit Joshua gemacht.«

Erschrocken sah Jessie in die Richtung, in die sie gerade den Stein geschossen hatte und musste mit Entsetzten feststellen, dass dieser einen dunkelblonden Jungen am Kopf traf. Vor Schreck erstickte sie einen entsetzten Aufschrei hinter ihren Händen, die sie sich schnell auf den Mund legte. Schlimmer konnte ihr erster Schultag ja nicht mehr werden. Jedenfalls hinterließ sie einen bleibenden Eindruck. Der schlanke Junge hielt sich die Hand an den Kopf und in der anderen seine Schultasche. Jessie schätzte ihn in ihrem Alter, auch wenn er sie fast um einen Kopf überragte.

Jessie unterdrückte mit ihren Händen einen neuen Aufschrei, als sie das Blut sah, das zwischen seinen Fingern hervorquoll. Oh Gott, was hatte sie nur getan? Nach einigen Sekunden in einer Schockstarre gefangen, fasste sie sich jedoch langsam wieder, ließ ihre Tasche fallen und rannte zu ihm. Wieso mussten solche Sachen auch immer ihr passieren?

»Oh … oh mein Gott. Es … es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Das wollte ich wirklich nicht.« Unbeholfen fuchtelte sie mit ihren Händen vor seinem Gesicht herum. Was sollte sie jetzt nur tun? Diesen Tag jedenfalls hatte sie sich gründlich ruiniert. Wäre ein Wunder, wenn sie hier in der neuen Schule noch jemand herzlich willkommen heißen würde.

»Hey, hey, ist ja schon gut. Ich lebe ja noch.« Angestrengt wehrte er ihre Hände ab. Am liebsten wäre sie gerade in einem Erdloch versunken. So dumm konnte auch nur sie sein.

»Es … es tut mir ja so leid. Ich bringe dich am besten zu einem Arzt. Das sieht aus, als müsse es unbedingt genäht werden.« Wieder versuchte sie, ihn an sich heranzuziehen, aber da fiel ihr ein, dass sie ja noch nicht einmal das Sekretariat fand. Wie bitte sollte sie den Schularzt auftreiben?

»Entschuldige … aber … wo ist denn hier das Krankenzimmer?«, wollte sie verlegen von ihm wissen. Auch wenn sie seine Reaktion auf ihre Frage nicht ganz verstand, musste er sich offensichtlich ein Lachen verkneifen.

»Na toll, kennt sich nicht aus und dann will sie auch noch unsere Jungs umbringen«, hörte sie plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich.

Wütend schloss sie kurz die Augen, drehte sich zu ihm rum und wollte ihm gerade die passende Antwort an den Kopf schmeißen, als plötzlich eine kreischende Blondine an ihr vorbeigerannt kam. Hochnäsig und lang gewachsen. Ihre Beine schienen endlos zu sein. Sofort kam sich Jessie klein, mickrig und unbedeutend vor. Und genau nach diesem Tag würde sie das hier in dieser Schule auch wahrscheinlich sein.

»Oh mein Gott. Was ist denn mit dir passiert? Du musst sofort zur Schwester.« Total entrüstet untersuchte die Blondine die Wunde. Doch zu Jessies Überraschung, schien ihm das genauso wenig zu gefallen, wie eben von ihr.

»Rege dich nicht sofort wieder so auf, es ist nicht so schlimm. Ein Pflaster drauf und gut ist«, versuchte er, das hübsche Mädchen zu beruhigen. Sie war sogar sehr hübsch, das konnte selbst Jessie nicht abstreiten und kam sich sofort wie das kleine hässliche Entlein vor.

»Na ja, ich denke, da wollte wohl jemand seinen Frust abbauen.« Er grinste Jessie unter der Hand, die seine Wunde bedeckte, ins Gesicht.

Jessie schluckte hart, als dieses Mädchen ihr wütend ins Gesicht blickte.

»Wir beiden sprechen uns noch«, fauchte sie Jessie an und zog dann den Jungen, ohne auf seinen Protest zu achten, in die Richtung eines weißen Gebäudes, das einige Meter von ihr entfernt lag. Jessie brauchte nicht einmal über die Worte nachdenken, sie wusste, dass es eine Drohung war. Verdammt, wieso konnte wenigstens in der neuen Schule nicht einmal alles glatt laufen. Jessie sah ihnen nur erschrocken und mit zitternden Händen nach. Neue Schule neues Glück, konnte sie wohl knicken.

»Ich denke, du solltest dich schon einmal auf ihre Rache einstellen, schließlich hast du ihren Freund auf dem Gewissen und das lässt sie mit Sicherheit nicht durchgehen. Sie ist nicht gerade dafür bekannt, friedlich und freundlich zu sein.« Er lachte höhnisch, was Jessie eine Gänsehaut bescherte.

Wütend schoss ihr Kopf zu Joshua herum.

»Verdammt, ich habe das nicht mit Absicht gemacht und ich habe dich auch nicht nach deiner Meinung gefragt«, verteidigte sich Jessie und sah ihn dabei aus wütend funkelnden Augen an.

»Das wird sie nicht sonderlich interessieren. Am besten suchst du dir schon einmal ein gutes Versteck.« Er lachte lauthals und ließ sie einfach stehen.

»Na, ganz toll«, fluchte sie ihm nach. Eigentlich wollte sie hier, wo sie keiner kannte, alles anders machen, neu anfangen und vielleicht ein paar Freundschaften schließen. Doch so, wie es jetzt aussah, würde sie sich in Zukunft allein durch die Schuljahre schlagen müssen.

Wie auch immer. Das Sekretariat hatte sie auf jeden Fall noch immer nicht gefunden und es klingelte bereits zur zweiten Stunde. Kopfschüttelnd über sich selbst, suchte sie weiter und fand es schließlich kurze Zeit später endlich auch. Wenigstens dafür war Joshua eine Hilfe gewesen.

Erneut befand Jessie sich auf der Suche. Ohne zu wissen, wo sie hinlief, versuchte sie, ihr neues Klassenzimmer zu finden. Die nette Dame vom Sekretariat beschrieb ihr zwar den Weg, aber in diesen riesigen und endlos langen Gängen, mit den vielen Treppen, die sich auch noch wie ein Ei dem anderen glichen, war es für Jessie wirklich nicht leicht, sich zurechtzufinden. Sie kam sich gerade wie in einem anderen Universum vor. In ihrer alten Schule gab es solche Probleme nicht. Auf dem Land war doch eben alles anders und einfacher. Mal abgesehen von den Schülern, die dort auch nicht viel anders waren. Jeder war auf sich bedacht, in kleinen Gruppen zogen sie über andere her und mobbten, was das Zeug hielt. Die Lehrer hielten sich aus allem raus, was nach extra Arbeit aussah. So konnte jeder machen, was er wollte. Jessie hoffte nur, dass die Lehrer hier sich als hilfreich erweisen würden.

Sie lief gerade erneut in entgegengesetzter Richtung den Flur entlang, da kam ein Mädchen aus einem der Klassenzimmer. Die erste Gelegenheit, die sich bot, endlich nach dem Weg zu fragen.

»Entschuldige bitte …«, fing Jessie mit ihrer Frage an, wurde jedoch sofort unsanft unterbrochen.

»Ha, du musst die Neue sein, von der Leona erzählt hat. Was ist? Willst du mich vielleicht auch noch ins Krankenzimmer verfrachten?« Sie funkelte Jessie böse und herablassend an.

Jessie war wie vor den Kopf gestoßen und konnte im ersten Moment keinen klaren Gedanken fassen. Waren denn hier alle so unfreundlich und überheblich? Oder hatten sie es nur auf sie abgesehen? Klar, sie sollte nicht vergessen, dass sie vorhin schon ein unschönes Erlebnis selbst verursacht hatte. Vielleicht konnte sie ihnen es nicht einmal übelnehmen, dass alle so auf sie reagierten. Trotzdem fand Jessie das ziemlich kleinkariert.

»Nein, natürlich nicht und außerdem war das Ganze nur ein blöder Unfall«, versuchte sie, sich händeringend zu verteidigen. Dieses Mädchen mit den langen dunklen Haaren musterte sie angestrengt, als würde sie Jessie kein Wort abkaufen. Jessie ließ frustriert die Schultern hängen.

»Wirklich, ich wollte nur fragen, ob du vielleicht weißt, wo mein Klassenraum ist.« Sie hob abwehrend die Hände bei ihren Worten in die Höhe, als könnte sie das Mädchen so von ihren Worten überzeugen. Doch ihre Reaktion war nicht gerade die, die sie erwartete. Im Gegenteil, es war eindeutig zu sehen, dass sie ihr kein einziges Wort abkaufte.

Sie musterte Jessie eine ganze Weile misstrauisch, bis sie endlich etwas freundlicher dreinschaute. Sie wies mit ihrem Finger auf eine Tür, zwei Zimmer weiter und ohne ein weiteres Wort verschwand sie, wie sie aufgetaucht war. Leise und geheimnisvoll.

Jessie sah ihr noch eine Weile nachdenklich nach. Das war ihr erster Schultag hier, aber ihr geschah bereits schon ein Missgeschick nach dem anderen. Sie kam sich vor, als würden sie alle bereits kennen, auch ohne dass sie sich vorstellte. Ihr Ruf eilte ihr eindeutig voraus. Aber das Schlimmste. Sie war kaum eingetroffen und keiner konnte sie leiden. Ermutigend war das nicht gerade. Sie fragte sich, ob sie hier jemals Freundschaften schließen würde.

Lautes Gelächter aus einem der Klassenzimmer riss sie aus ihren Gedanken und sie erinnerte sich wieder daran, warum sie eigentlich hier war. Mit zitternden Händen schaffte sie es schließlich bis zum Klassenraum, aus dem sie bereits den Lehrer hören konnte, der seinen Stoff herunterrasselte. Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich noch. Aber es gab jetzt kein Zurück mehr, sie musste da rein, ob sie wollte oder nicht. Nachdem sie noch einmal tief durchatmete, öffnete sie mit zittrigen Händen die Tür. Auch wenn es vorher im Raum mucksmäuschenstill war, so hatten plötzlich alle nur noch sie im Visier. Jessie stand im Mittelpunkt, ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefiel.

»Bist du die Neue?« Der Lehrer, der mit seiner Brille auf der Nase, wie ein alter Professor aussah, musterte Jessie eine Weile, bis sie schließlich zustimmend nickte. Augenblicklich fragte sich Jessie, ob er seine Schüler überhaupt kannte. Ein fremdes Gesicht stand vor ihm und er musste erst noch fragen, ob sie die Neue war? Wie sich herausstellte, sah er anscheinend nur nach dem Äußeren streng aus, denn wenigstens er hatte ein Einsehen mit ihr. Und wahrscheinlich konnte nicht nur er ihre Nervosität spüren, denn man konnte sie auch an ihrer ganzen Körperhaltung ablesen. Nach dem Getuschel und dem unterdrückten Lachen zufolge, bekamen es auch ihre neuen Klassenkameraden mit. So unwohl fühlte sich Jessie schon lange nicht mehr. Wie auf einem Präsentierteller wurde sie von allen Seiten in Augenschein genommen. Sie wogen ab, in welche Kategorie Jessie wohl passte. Dabei wusste Jessie bereits, dass sie in die Kategorien ›untauglich und tollpatschig‹ eingestuft worden war. Nach dem Vorfall von heute Morgen auch kein Wunder.

»Herzlich willkommen in unserer Klasse«, unterbrach der Lehrer schließlich die aufkommende Unruhe. »Da der Unterricht bereits angefangen hat, schlage ich vor, du setzt dich erst einmal und vorstellen kannst du dich dann später noch. Das ist übrigens Jessie Turner, eure neue Mitschülerin«, stellte er sie nur knapp vor.

Erleichtert einer neuen Farce zu entkommen nickte Jessie nur kurz zu ihren neuen Klassenkameraden, um dann nach einem freien Platz zu suchen, aber es sah so aus, als wäre die Klasse, auch ohne sie, bereits komplett ausgefüllt. Auch der Lehrer, Herr Peters, sah sich suchend um, bis er schließlich noch einen freien Platz in der hintersten Reihe erspähte. Ohne großes Aufsehen wies er diesen Jessie zu.

Jessie stolperte schon fast die Schritte bis zu diesem Tisch, so nervös war sie. Doch als sie den Tisch erreichte, blieb sie kurz erschrocken stehen, als sie erkannte, wer ab jetzt neben ihr sitzen sollte. Den Jungen, den sie vorhin unter dem Baum gestört hatte. Sie schluckte. Es konnte tatsächlich doch noch schlimmer kommen, als sie dachte. Gerade er war der Letzte, den sie jetzt sehen wollte. Schließlich hatte er ihr ja unmissverständlich zu verstehen gegeben, was er von ihr hielt.

Er grinste nur verächtlich in ihre Richtung. Als sich ihre Blicke jedoch trafen, sah er sofort in eine andere Richtung. Jessies Herz raste plötzlich vor Wut. Wie weggeblasen war ihre Nervosität und machte ihrem Ärger Platz. Doch sie setzte sich trotz allem, ohne etwas zu erwidern, neben ihn und beachtete ihn schließlich auch nicht weiter. Es war ihr sowieso schleierhaft, wie sie sich so einschüchtern lassen konnte. Jessie war nie der Typ gewesen, der sich unterbuttern ließ. Doch hier an der neuen Schule war alles anders. Sie fühlte sich plötzlich klein und verletzlich. In der Hoffnung, dass sich das bald wieder ändern würde, folgte sie den Ausführungen des Lehrers, doch den verächtlichen Blicken ihrer neuen Klassenkameraden konnte sie nicht entkommen.

Unter dem Tisch krallte sie ihre Nägel in die Handflächen. Sie kam sich total fehl am Platz vor. Schon fast wie ein Monster, das man in einem Zoo begaffte. Hier in der neuen Schule schien schon am ersten Tag alles und wirklich jeder gegen sie zu sein. Nicht gerade der Start, den sie sich wünschte.

In sich hineinseufzend sah sie sich erst einmal vorsichtig in der Klasse um. Dann stockte sie plötzlich. Das durfte doch nicht wahr sein. Nicht nur, dass sie diesen arroganten Kerl neben sich sitzen hatte, zwei Reihen vor ihr saß auch noch der Junge, dem sie fast das Auge ausgeschossen hatte und das hübsche Mädchen, das ihr bereits die Rache schwor. Oh Mann. Am liebsten wäre sie auf der Stelle aufgesprungen und aus dem Klassenraum gerannt. Nicht, dass sie Angst verspürte, aber peinlicher konnte es doch wirklich nicht mehr werden. Und wenn dieses Mädchen bereits alle anderen auf ihre Seite gezogen haben sollte, was sie schwer vermutete, nach der Begegnung mit dem Mädchen auf dem Flur, würde sie sowieso besser ihre Sachen packen und hier nie wieder auftauchen. Was hatte sie nur wieder angestellt? Ihr Leben hier war bereits ein Wrack, bevor es überhaupt begonnen hatte. Nach einmal tief durchatmen, straffte sie schließlich ihre Schultern. So leicht würde sie sich jedenfalls nicht vertreiben lassen, dafür machte sie schon ganz andere Sachen durch. So ein Typ war sie nicht und hatte auch nicht vor, so einer zu werden. Schließlich biss sie sich bereits bis jetzt recht gut durch und das würde sich auch in dieser Schule nicht ändern. Auch wenn das hieße, nie wieder Freunde zu haben.

Der Unterricht erwies sich schließlich doch nicht als so langweilig und schwierig, wie sie es sich vorstellte. Diese Themen hatte sie bereits weitgehend schon an ihrer alten Schule durchgenommen, so dass es keine Schwierigkeiten gab, dem Lehrstoff zu folgen. Nur die eisige Stimmung, die von ihrem Banknachbarn ausging, machte ihr doch ein wenig zu schaffen. In ihrer alten Schule hatte sie wenigstens Glück gehabt, neben ihrer einzigen Freundin zu sitzen. Diese half ihr auch gern einmal aus, wenn Jessie etwas vergessen hatte. Aber dieser Kerl machte ein Gesicht, als würde er sie fressen, wenn sie nach einem Radiergummi fragen würde. Wie konnte ein so gutaussehender Kerl nur so widerlich sein? Es ist eben doch nicht alles Gold, was glänzt, dachte sich Jessie.

Dann klingelte es endlich zur Pause. Ein kleiner Lichtblick. Von wegen. Anstatt ihre wohlverdiente Ruhe genießen zu können, wurde sie auf dem Schulhof bereits von ihren Klassenkameraden erwartet. Angeführt von diesem blonden Mädchen, das nicht gerade nett dreinschaute. Allein das hätte Jessie schon eine Warnung sein sollen, doch sie nahm sich fest vor, sich nicht von ihnen unterkriegen zu lassen. Wenigstens hatte sie es sich vorgenommen, doch das Ergebnis sah leider etwas anders aus.

Jessie wurde regelrecht in eine Ecke gedrängt, als wollten sie alles abschirmen, was geschah. Allein die Vorstellung ließ ihr eine Gänsehaut wachsen. Sie war nie jemand gewesen, der Angst vor etwas bekam, doch diese Situation ließ sie frösteln. Wenn sie da nicht schnell einer rausholen würde, wer wüsste, ob sie den Tag noch überlebte.

»Und jetzt zu dir. Was sollte dieser Anschlag heute Morgen auf Peter? Ist das auf dem Land vielleicht so eine Art Begrüßung oder hast du einfach nur den Verstand verloren? Es ist deine Schuld, wenn er jetzt nicht an dem Fußballturnier teilnehmen kann. Aber ich schwöre dir, dann mach dich besser schon mal auf was gefasst.« Die Blonde hob sauer die Fäuste und hielt sie Jessie unter die Nase. Die anderen Mädchen grinsten frech und Jessie wusste automatisch, sollte sie jetzt einen falschen Schritt machen oder etwas falsches antworten, würden sie nicht lange fackeln.

Jessie kam sich total überfallen vor. Alle standen um sie herum, starrten sie wütend an und sie hegte keinen Zweifel daran, dass nicht nur diese Blonde sie fertigmachen wollte. Alle sprachen durcheinander, und Jessie hatte müh und Not, sich zu erklären. Obwohl sie sich sicher war, dass sie sowieso keine Erklärung von ihr hören wollten. Trotz allem versuchte sie, sich Gehör zu verschaffen.

»Aber das war doch keine Absicht. Ich wollte das doch nicht«, versuchte sie, sich zu verteidigen, aber ihr hörte niemand zu. Sie hätte genauso gut mit einer Wand diskutieren können. Alle waren so mit ihren eigenen Meinungen beschäftigt, dass man Jessie nicht einmal mehr würdigte.

Schlagartig wurde ihr klar, egal was sie jetzt sagen oder tun würde, diese Kids hatten sich ihre Meinung über sie schon gebildet und da bekam sie keine Chance mehr, gegen anzukommen.

Alle schrien Jessie durcheinander an und machten ihr die schlimmsten Vorwürfe. Ihre Knie schlotterten, aber wegrennen konnte und wollte sie jetzt auch nicht, dazu war sie nun einmal nicht geboren. Normalerweise diskutierte sie solche Sachen einfach aus. Doch hier, absolut sinnlos.

Ohne zu wissen, was sie noch machen konnte, um das Missverständnis aufzuklären, packte sie plötzlich jemand am linken Arm. Aus Angst, jetzt wäre es um sie geschehen, machte sie erschrocken einen Schritt zurück, wurde dennoch augenblicklich aus der Menschenmenge gezogen, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Verwirrt sah sie in die Richtung, aus der die Hand kam und blickte verdattert in das Gesicht ihres Banknachbarn. Der grinste nur wie immer, schüttelte dann den Kopf und stöhnte, bevor er sich an die Horde wild daher gackernden Mädchen wandte und schließlich genervt lossprach.

»Herr Peters möchte mit ihr sprechen. Wenn ihr also das Lynchen auf später verschieben könntet?«, raunte er in die Runde der aufgebrachten Klassenkameraden und zog Jessie in seine Richtung.

»Wenn es denn sein muss. Aber freue dich nicht zu früh, wir sind noch nicht fertig mit dir«, wandte die Blonde die Worte an Jessie. Hocherhobenen Hauptes rempelte die Blonde sie an, bevor sie davon spazierte. Die anderen schenkten Jessie noch einen bösen Blick, bevor sie es der Blonden gleichtaten.

»Ich glaube, ich sollte mich bei Herr Peters für die lebensrettende Maßnahme echt bedenken«, stöhnte Jessie erleichtert auf.

»Und ich denke, das ist nicht wirklich nötig«, gab Joshua knapp von sich und ließ schlagartig ihren Arm los.

»Aber wenn er mich nicht ausgerechnet jetzt hätte sprechen wollen, wäre ich mittlerweile schon gevierteilt worden.« Sie rang sich ein Lächeln ab, als sie unterwegs zum Klassenraum waren. Joshua zog nur kurz die Brauen nach oben, erwiderte aber nichts auf ihre Worte.

Vor dem Klassenzimmer sah sie noch einmal kurz grübelnd zu Joshua, bevor sie es schließlich betrat und sich verdutzt umsah. Von Herrn Peters gab es weit und breit keine Spur.

»Was …?« Nachdenklich sah sie Joshua an, der sich lässig im Türrahmen anlehnte und sie belustigt musterte.

»Du … du hast mich da rausgeholt? Aber warum?«, machte es endlich in ihrem wirren Hirn klick. Verständnislos musterte sie sein Gesicht. Jessie hätte mit allem gerechnet, aber damit am allerwenigsten. Schließlich gab er sich schon am Anfang nicht gerade als der Lebensretter schlechthin. Im Gegenteil, er gab sich eher als der Typ, der andere den Haien zum Fraß vorwarf. Täuschte sie sich vielleicht doch in ihm?

»Komme jetzt ja nicht auf dumme Gedanken, dass ich dich leiden kann oder sowas. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie die sein können und ich wollte nur ein Blutbad an unserer Schule verhindern«, rechtfertigte er sich schließlich energisch und ließ sie dabei nicht aus den Augen. »Aber ich hatte dir ja auch schon gesagt, dass sie sich rächen würde«, meinte er noch einmal mit Nachdruck.

»Ja, hast du.« Jessie stöhnte enttäuscht. Eigentlich hoffte sie, dass die Blonde die Sache auf sich beruhen lassen würde, doch die Realität sah da wohl anders aus. »Und was soll ich deiner Meinung jetzt tun?« Jessi sah Joshua flehend an und hoffte, dass er die rettende Lösung parat haben würde. Vielleicht kannte er bereits die Antwort und wollte nur nicht damit herausrücken.

»Tsss.« Er lachte lauthals. »Das ist jetzt wirklich nicht mein Problem, aber wenn ich du wäre, würde ich auswandern. Vielleicht an den Nordpol oder so.« Sein befürwortender Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.