7,99 €
Lena wünscht sich mehr Stabilität in ihrem Leben, aber ihre Mutter arbeitet als Pflegemutter. Immer wieder steht ein Neubeginn deswegen an. Dieses Mal ausgerechnet von der Großstadt aufs Land. Sie sieht ihren Alltag schon dahinfrusten, bis sie auf Jörg trifft, der ihr vom ersten Tag an schon tierisch auf den Keks geht. Durch einen Fehler bei der Vermittlung für die Pflegschaft zweier Mädchen kommt es zu einer häuslichen Katastrophe. Wie soll sie das Leben auf dem Land und mit ihren neuen Geschwistern nur überstehen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2023
Bianka Mertes
Patchworkhoch Fünf
Pure Verzweiflung
Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder
verstorbenen Personen sind rein zufällig.
© 2017 Bianka Mertes
Oberwindhagener Str. 26a
53578 Windhagen
Cover:
Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt
Bildmaterial:
www.pixabay.de
Lektorat und Korrektorat:
Lektorat Buchstabenpuzzle Karwatt
www.buchstabenpuzzle.de
1. Auflage
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN: 978-3-347-81043-3
Bianka Mertes
Patchwork hoch Fünf
Pure Verzweiflung
Kapitel 1
Sandra war jetzt schon über vier Stunden mit dem Auspacken der Kisten für die Küche und das Schlafzimmer beschäftigt und kam weder zum Essen noch zum Trinken, langsam knurrte ihr Magen. »Lena, wie weit bist du mit auspacken? Wir wollen endlich etwas zu Essen bestellen.« Julian hämmerte noch die letzten Nägel in die Rückwand des Wohnzimmerschrankes und wäre dann auch endlich fertig. So ein Umzug ging nicht nur ins Geld, sondern auch eine Unmenge an Zeit und Nerven waren erforderlich.
»Ich bin jetzt soweit«, rief Lena aus ihrem Zimmer, das in der oberen Etage lag. Neben ihrem waren noch zwei weitere, unbewohnte Räume. Doch Lena glaubte nicht, dass dies lange so bleiben würde. Dafür kannte sie ihre Mutter zu gut. Sie kümmerte sich um Problemkinder. Und in Berlin, wo sie bis jetzt gewohnt hatten, waren zwei Mädchen in ihr Haus eingezogen, die echte Probleme mit ihrem Umfeld und der Gesellschaft hatten. Gina und Marie. Beide waren in Lenas Alter gewesen. Doch es hatte sich bewährt, sie zwei Jahre in einem familiären Umfeld zu haben. Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten, aus denen Sandra sie immer wieder herausboxte, konnte man sie guten Gewissens allein auf die Menschheit loslassen. So verkündeten es wenigstens die Mitarbeiter des Jugendamtes. Nach Sandras Ansicht wurden sie als ›geheilt‹ aus ihren Fittichen entlassen. Und auch wenn sie Lena mit der Zeit ans Herz gewachsen waren, wusste sie, dass irgendwann der Tag der Trennung kommen würde. Lena vermisste sie auch, trotzdem musste ihre Mutter die Mädchen mit achtzehn Jahren abgeben. Es fiel ihr nicht leicht, denn immerhin hatte sie sich ebenfalls in den zwei Jahren an ihre Gesellschaft gewöhnt, auch wenn es nicht immer einfach war. Aber so war der Lauf der Dinge. Entweder adoptieren oder betreutes Wohnen, wo sie sich auf ihr weiteres Leben vorbereiten konnten. Auch wenn es ihr schwerfiel, konnte sie nicht über eine Adoption nachdenken. Sie hatte sich fest vorgenommen, auch noch andere Teens in ein neues Leben zu entlassen. Dafür war sie geboren.
Jetzt war Lena sechzehn und wusste bereits, dass wieder neue Mädchen in ihr Leben treten würden. Und sie glaubte auch nicht, dass ihre Mutter diesen Job je an den Nagel hängen würde. Sie brachte nur noch schnell ihre zerzauste braune Mähne in Ordnung und begutachtete sich noch einmal im Spiegel, in dem ihre müden braunen Augen auf sie zurückblickten. Sie war total geschafft. Mit durchhängendem Magen begab sie sich nach unten in die Küche.
Lena war nur gespannt, wie lange es diesmal dauern würde, bis sie neue ›Geschwister‹ bekommen sollte.
»Also irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du mehr Sachen hast, als wir für den Rest der Wohnung.« Sandra sah ihre Tochter prüfend an, die sich stöhnend auf dem Stuhl in der Küche niederließ.
»Natürlich, ich bin ein Teenager und da ist das doch normal«, grinste Lena breit. Sie hatte sich beim Zusammenpacken schon selbst gewundert, was sich über die Jahre alles angesammelt hatte, aber sie war in keiner Weise bereit, sich von irgendetwas zu trennen. Zum Schluss hatte sie neben ihren Klamotten, zehn weitere Kisten gepackt, die sie selbst nicht mehr tragen konnte. Allerlei Krimskrams und Wichtiges landete in den Ungetümen von Umzugskartons. Nur gut, dass ihr neues Zimmer größer und nicht kleiner war.
»Was möchtest du essen?« Sandra hielt ihr die Speisekarte von einem Italiener unter die Nase und prompt knurrte ihr Magen beim Anblick der abgebildeten Speisen erneut. Lena lachte und entschied sich schließlich für eine Pizza Funghi.
Nach der telefonischen Bestellung dauerte es noch eine halbe Stunde, bis sie sich auf das Essen stürzen konnten. So ausgehungert war Lena schon lange nicht mehr. Aber schon nach einer halben Pizza rebellierte ihr Magen. Total geschafft schleppte sie sich die Treppe hoch bis in ihr Zimmer und fiel todmüde ins Bett.
Ein langer anstrengender Tag ging zu Ende und nun hatte sie nur noch den Sonntag, um sich auszuruhen und den Weg zu ihrer neuen Zukunft zu bahnen. Eine neue Schule und neue Bekanntschaften würden sie dabei begleiten. Lena vermisste ihre alten Freunde jetzt schon, auch wenn sie nicht der Typ war, der lange alleine bleiben würde. So war sie schon immer. Offen für alles Neue, solange sie sich dabei nicht selbst verlor. Außerdem waren ihre alten Freunde ja auch nicht meilenweit von ihr entfernt und vielleicht wimmelte es an der neuen Schule ja nur so von ›heißen Typen‹, denen sie den Kopf verdrehen konnte. Natürlich war das nur Wunschdenken, denn mit Typen hatte sie noch nicht wirklich viel am Hut.
Lena wachte bereits in den frühen Morgenstunden auf, und nach dem Geräusch, die sie aus der Küche hörte, schien es ihrer Mutter nicht anders ergangen zu sein. Nach einer ausgiebigen Morgendusche in ihrem fast eigenem Badezimmer, welches vom Nebenraum mitbenutzt werden konnte, versuchte sie, ihre langen Haare zu bändigen, bevor sie sich zu ihrer Mutter gesellte. Diese saß bereits am Küchentisch und genoss den frisch aufgebrühten Kaffee.
»Morgen, Schatz, willst du auch einen?« Sandra erhob sie sich vom Stuhl.
»Lass mal, ich kann mir den auch selbst holen.« Lena drückte ihre Mutter zurück auf den Stuhl. Sie goss sich das warme Gebräu ein und gesellte sich zu ihr an den blauen runden Küchentisch. Ihre Mutter stand total auf Blau und das spiegelte sich in jedem noch so kleinen Detail der Küche wieder. Nur die Wände wurden in Weiß gehalten, darauf hatte ihr Vater bestanden.
»Und was hast du heute noch so vor? Die Gegend erkunden?«
»Ich wollte schon einmal die Strecke zur Schule abgehen, damit ich morgen alles finde«, gähnte Lena. »Und du?« In Berlin wurde sie morgens vom Bus abgeholt und hier auf dem Land musste sie die Strecke zu Fuß zurücklegen. Auch wenn sie nicht glaubte, dass es weit war und einen großen Unterschied machte. Lena lief gerne und das nicht nur im Sportunterricht.
»Wenn dein Vater wach ist, müssen wir noch einen Schrank aufbauen und dann haben wir es endlich auch geschafft.« Ihre Mutter verdrehte leicht genervt die Augen.
»Soll ich euch helfen?«
»Nein, lass mal gut sein, dein Vater braucht diese Anerkennung.« Sie zwinkerte Lena schmunzelnd zu.
Lena musste lachen, denn sie kannte ihren Vater nur zu gut. Wahrscheinlich würde er den Schrank mehrmals auf- und abbauen, bevor der denn endlich stand. In solchen Sachen hatte er leider zwei linke Hände. Nur in seinem Beruf als Maler und Lackierer hatte er alles im Griff, und das spiegelte sich auch in jedem Raum des neuen Hauses wieder.
»Okay, dann ziehe ich mich nachher an und mach mich auf die Socken. Ich denke, zum Mittag bin ich wieder zurück.«
»Alles gut, lass dir ruhig Zeit und lerne erst einmal alles richtig kennen. Wie ich deinen Vater kenne, wird er bestimmt etwas mehr Zeit für den Schrank brauchen.« Sandra grinste breit.
»Ja, wahrscheinlich«, stimmte Lena mit ein.
Nach dem Frühstück zog sich Lena bequeme Sachen an, stellte das Navi auf ihrem Handy ein und zog los.
Schon an der näheren Umgebung ließ sich leicht feststellen, dass sie nicht mehr in Berlin wohnte. Neben zahlreichen kleinen Gassen entlang der Hauptstraße und den Einfamilienhäusern, gab es hier kaum etwas Aufregendes zu sehen. Wohingegen in Berlin jeder Zentimeter zugepflastert wurde, war hier sogar noch Platz für Felder, die mittlerweile bereits abgeerntet waren. Und auch die Geschäfte waren hier weiter verteilt, ganz im Gegensatz zur Stadt, wo alles nur einen Steinwurf entfernt war. Es würde einige Zeit dauern, bis sie sich hier eingelebt hätte, aber es war ja nicht das erste Mal, dass sie umgezogen waren. Vier Mal insgesamt zogen sie bisher wegen Sandras Arbeit um. Bis jetzt fiel Lena das eigentlich auch nicht schwer, doch hier auf dem Land war alles gewöhnungsbedürftig. Sogar Marie und Gina, die zwei Problemkinder um die sich ihre Mutter bis zum Umzug gekümmert hatte, fehlten ihr. Auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren und sie sich durch ihre blödsinnigen Aktionen immer wieder in neue Schwierigkeiten gebracht hatten, so waren sie zum Schluss doch ein Herz und eine Seele, die durch dick und dünn gingen. Und auch diesmal würden wieder zwei Mädchen in ihr Leben treten um die sich ihre Mutter kümmern würde. Egal wo sie auch hinzogen, es war immer neu und aufregend, wen sie als Nächstes in ihr Leben lassen würde. Wenigstens wurde es dadurch zu Hause nie langweilig. Sie war gespannt, wen ihre Mutter dieses Mal unter ihre Fittiche nehmen würde. Zwei Mädels, die wahrscheinlich wie die anderen vor ihnen, nur Blödsinn im Kopf hatten. Zwei Mädchen, die sie nach gewisser Zeit bei ihnen, genauso auf die Menschheit loslassen könnten wie Marie und Gina auch. Und danach würden sie wahrscheinlich wieder umziehen und alles ging wieder von vorne los. Halt wie immer.
Laut ihrem Navi war sie noch circa drei Straßen von ihrer neuen Schule entfernt. Neue Schule, neue Leute, neue Lehrer, neuer Stoff. Das war das Einzige, was sie jedes Mal aufs Neue aufregte. Sich eingewöhnen zu müssen und neue Freunde zu finden, aber auch diesmal würde sie das, wie die anderen Male meistern. Schließlich blieb ihr ja auch keine andere Wahl.
Sie ging gerade an einer hohen weißen Mauer entlang und hatte das Ende fast erreicht, als ein blonder Junge in ihrem Alter um die Ecke gerannt kam. Ohne an etwas Böses zu denken, griff er sie, drückte sie an die Mauer und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu. Doch bevor Lena reagieren konnte, drückte er seine Lippen auf die Hand. Lena blieb im ersten Moment stocksteif stehen, bis sich ihr Gehirn wieder einschaltete. Nur seine Hand hielten seine Lippen davon ab, ihre zu berühren. Ihr Herz raste bei diesem Gedanken und plötzlich reagierte ihr Körper wie von selbst. Sich gegen die Gefahr, die nur wenige Millimeter vor ihr stand, wehrend, versuchte sie ihn von sich wegzuschieben und sah aus den Augenwinkeln, wie eine Gruppe Jugendlicher suchend um die Ecke rannte. Lena trat und schlug auf ihr Gegenüber ein, in der Hoffnung, dass die Jugendlichen es mitbekommen und sie aus dieser misslichen Lage befreien würden.
»Halt still, sonst könnte es auf einmal passieren, dass mir meine Hand wegrutscht«, grinste er frech und zog warnend eine Augenbraue in die Höhe. Seine blaugrünen Augen fixierten ihre. Verdammt, wo war sie hier nur hineingeraten? Es war mittlerweile offensichtlich, dass diese Kerle nach ihm suchten und er sie nur als Abwehrmanöver in diese Situation brachte. Sie hoffte nur, dass er sie freigeben würde, wenn sie verschwunden waren. Aber eins fiel ihr neben diesem verdammten Herzrasen und den weichen Knien dennoch auf. Er sah verdammt gut aus. Das gab ihm aber noch lange nicht das Recht, sie hier festzuhalten. Plötzlich rannte die Gruppe weiter, ohne ihn entdeckt zu haben, und der Kerl vor ihr, atmete erleichtert aus und gab sie breit grinsend frei.
»Okay, braves Mädchen«, lobte er sie und blickte dabei in Lenas verdutztes Gesicht. Als er keine Antwort bekam, fügte er noch hinzu, bevor er abdampfte, »wir sehen uns.«
Lena war wie vor den Kopf gestoßen, überrumpelt. Ihr Herz schlug bis zum Hals und ihre Beine hielten sie auch nicht mehr. Sie sackte an der Mauer herunter in die Knie und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Noch immer starrte sie auf den Punkt, wo der verdammte Kerl verschwunden war.
Oh man und da dachte sie, hier auf dem Land wäre nichts los, doch so etwas hatte sie selbst in der Stadt noch nicht erlebt. Ihr Herz machte noch immer unkontrollierte Sprünge. Verflixter Kerl. Vor allem kannte sie nicht mal seinen Namen, hoffte aber instinktiv, dass er ihr in der Schule nicht über den Weg laufen würde, denn dann würde er sein blaues Wunder erleben.
So langsam erholte sie sich von dem Schock und stellte sich auf. Mit zitternden Beinen und Gedanken an das Erlebte, setzte sie ihren Weg trotz allem fort, bis sie die Schule endlich erreicht hatte. Da sah sie die Typen von vorher, die alles andere als freundlich dreinblickten. Zuerst juckte es ihr in den Fingern, diesen Kerl zu verraten, doch bei den grimmigen Gesichtern vor ihnen, ließ sie das lieber bleiben. Wer wusste, was sie mit ihm anstellen würden, wenn sie ihn in ihre Klauen bekommen würden und auch, wenn es ihr eigentlich egal sein konnte und er es ihrer Meinung auch verdient hatte eine Abreibung zubekommen, besann sich Lena eines Besseren. Diese Typen würden ihn wahrscheinlich zu Hackfleisch verarbeiten und das war das Letzte, wo sie dran Schuld sein wollte. Da konnte er es noch so sehr verdient haben. Nachdem sie bereits mit etlichen Problemkindern aufgewachsen war, hatte sie schon einiges einstecken müssen und war vieles gewöhnt. Er hatte wirklich Glück, dass sie sich zusammenreißen konnte.
Zurück daheim behielt sie das kleine Geheimnis für sich. Sie wollte nicht, dass sich ihre Eltern unnötige Sorgen machten. Zudem würden sie bald selbst alle Hände voller Probleme haben. Zwei neue Mädchen, und viele neue Herausforderungen warteten auf alle. So war ihr Leben nun einmal. Ein Leben, das sie sich manchmal selbst schwer machten, aber wo der Erfolg ihnen auch immer wieder Recht gab und sie stolz darauf sein konnten.
Kapitel 2
Als Lena in der Schule ankam, wimmelte es schon von quasselnden und lachenden Schülern. Sie musste unwillkürlich zugeben, dass es diesen Elan an ihrer alten Schule nicht gab, da war sie morgens von langen Gesichtern in Empfang genommen worden. Vielleicht war hier doch nicht alles so schlecht, auch wenn ihr die gestrige Begegnung noch immer in den Knochen hing.
Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge, um zum Sekretariat zu gelangen, bis ihr plötzlich ein paar Gestalten auffielen, die sie bereits vom sehen her kannte – die Meute vom Vortag. Sie waren gerade dabei einen verängstigten Jungen in die Mangel zu nehmen, aber wie in ihrer alten Schule schon, hatte keiner der umherstehenden den Mut, ihm zu helfen. Auch Lena nicht. Das könnte man aber auch anders regeln, denn nichts tun kam nicht in Frage, nur wollte sie sich nicht mit der ganzen Meute anlegen und auf Hilfe brauchte sie wohl nicht zu hoffen. Und einmal mehr dachte sie, dass es besser war, diesen Kerl nicht an die Meute zu verraten. Dennoch interessierte es sie, was er angestellt hatte, um sie so auf die Palme zu bringen, aber das sollte nicht ihr Problem sein, denn sie hatte ganz andere. Im Sekretariat musste sie feststellen, dass man vergessen hatte, sie in die Schule aufzunehmen. Und das obwohl ihre Mutter sie bereits vierzehn Tage vorher schriftlich und telefonisch angemeldet hatte. Tolle Neuigkeiten und das bereits am ersten Tag. Die nette Sekretärin bat Lena, einen Moment zu warten, bis sie die Situation geklärt hatte. Vorher jedoch bat Lena, dass sich ein Lehrer um das Problem mit dem Jungen auf dem Schulhof kümmern sollte, denn so konnte sie das nicht durchgehen lassen und ihre Probleme waren jetzt nicht so wichtig. Die Sekretärin schüttelte nur den Kopf und wandte sich dann an eine Aufsichtsperson, die sofort nach draußen rannte, erst dann begab sich die Frau in ein Büro und Lena wartete.
In der Zwischenzeit sah sie sich einige Fotos an, die eingerahmt an den Wänden hingen und erkannte diesen Typen von gestern wieder. Sogleich schlug ihr Herz einen Takt schneller. Er stand zwischen einer Gruppe lachender Jugendlichen und grinste freudig in die Kamera. Das gleiche Grinsen, dass er am Vortag aufgesetzt hatte. Dieser Kerl wurde ihr immer suspekter. Jetzt erst fielen ihr seine leuchtenden blaugrünen Augen auf, und das, obwohl er ihr gestern verdammt nahe gekommen war. Doch bevor sie weiter über ihn nachdenken konnte, wurde sie von der Sekretärin an die Theke herangerufen.
»Alles geklärt. Die Unterlagen waren nur in einem falschen Fach abgelegt«, meinte sie freundlich und überreichte Lena einige Unterlagen. Lena überflog den Stundenplan und stellte fest, dass sie in den ersten beiden Stunden eigentlich Sport hatte, was mit dem fehlenden Outfit unmöglich war. Schnell warf sie noch einen Blick auf die anderen Blätter und stellte erleichtert fest, einen Aufteilungsplan des Gebäudes vorzufinden.
»Ach so, für Sport sind Sie heute natürlich befreit.« Die nette Sekretärin zwinkerte ihr freundlich zu und dachte wohl, sie würde ihr damit einen Gefallen tun.
Schade eigentlich, denn das war eine Unterrichtsstunde, die Lena mochte. Jedenfalls mehr als Mathe, auch wenn sie darin nicht schlecht war, liebte sie es jedoch mehr, ihren Körper an seine Grenzen zu bringen. Da ihr aber heute nichts anderes übrig blieb als zuzugucken, konnte sie sich schon einmal mit ihren neuen Mitschülern bekannt machen, wenn auch nur von deren Fitness her. So schlecht wie sie vermutet hatte, waren die hier auf dem Land überhaupt nicht. Sie standen denen in der Stadt an nichts nach. Ganz im Gegenteil, manche von ihnen hätten Spitzenturner sein können. Ein Mädchen mit roten Haaren fiel Lena ganz besonders auf. So wie sie mitbekommen hatte, hieß sie Lisa. Nicht gerade so groß wie sie selbst, aber das Mädchen hatte eine sehr gut durchtrainierte Figur, die sie auch mit ihrem engen Outfit perfekt in Szene setzte. Alle Übungen schaffte sie mit links. Dann klingelte es plötzlich zur Pause. Lena hatte nicht mal mitbekommen, wie schnell die Zeit verging. Schon gesellten sich alle zu ihr und stellten ihr alle möglichen Fragen, an Neugier schien es ihnen also nun wirklich nicht zu mangeln. Nur die Rothaarige hielt sich abseits und kümmerte sich um ihre eigenen Sachen. Sie hatte nicht einmal einen Blick für Lena übrig. Also gab es hier auch solche, die ihre Nase etwas höher trugen, als der Rest der Bevölkerung. Nicht anders als in der Stadt auch. Das waren solche Menschen, mit denen Lena nie warm werden würde. Sie blieb lieber bei den Leuten aus ihrem Schlag, da kam sie besser mit zurecht.
Doch dann bekam Lena, zwischen dem ganzen Trubel um sie, aus den Augenwinkeln heraus mit, dass sich ein Junge zu der Rothaarigen gesellte und ihr dann einen Kuss auf die Wange drückte. Erst als sie genauer hinsah, bleib ihr beinahe die Spucke weg. Es war der Kerl vom Vortag.
Lena war nur froh, dass die anderen alle so dicht um sie herumstanden, sodass er sie nicht sehen konnte. Auf eine Konfrontation mit ihm konnte sie gut und gerne verzichten, selbst wenn Lena es nicht wollte, klebten ihre Augen förmlich an ihm und ihr Herz schlug einen Takt schneller.
»Von dem würde ich mich an deiner Stelle besser fernhalten. Der ist total durchgeknallt.« Dagmar, eine ziemlich hübsche Brünette war ihrem Blick gefolgt und musste auflachen. Auch wenn sie ihr das nicht gesagt hätte, hatte sie ja bereits erste Erfahrungen mit seinem Wesen sammeln dürfen. Trotzdem wurde sie jetzt neugierig.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, der ist aus dem Heim hier in der Nähe und macht nur Probleme. So oft wie der beim Direktor hockt, könnte man meinen, dass der den schon adoptiert hat.«
»Okay«, gab Lena nur von sich. Sie gab nicht wirklich etwas darauf, was andere über ihre Mitmenschen erzählten, sie machte sich lieber ihr eigenes Bild von den Leuten. Nach dem gestrigen Vorfall konnte ein Funke Wahrheit in Dagmars Worte stecken.
Dann war er auf einmal verschwunden und die Rothaarige total aus dem Häuschen. Schade, dass Lena keine kleine Maus war. Sie hätte zu gerne gewusst, was der Grund für ihr jetziges Benehmen war, ob er ihr wohl eine Abfuhr erteilt hatte?
Ruhig ging der erste Schultag vorbei und um ehrlich zu sein, war das Lena auch nur recht so. Sie war froh, ihm nicht mehr über den Weg zu laufen und sich eventuell mit ihm über den Vorfall auseinandersetzen zu müssen. Wahrscheinlich hätte das nur böses Blut gegeben. Aber das hieß nicht, dass sie ihn deshalb nicht irgendwann zur Rede stellen würde.
Zuhause waren ihre Eltern wegen irgendetwas in heller Aufregung. So hatte Lena ihre Eltern selten gesehen und das machte sie doch ein wenig neugierig, denn trotz aller Probleme hatte sie sie noch nie streiten sehen. Und da gab es eigentlich eine Menge Gründe für, wenn sie an die ganzen Probleme der Kids dachte, die sie ihnen schon bereitet hatten. Bis jetzt jedenfalls hatte ihr Vater immer alles mitgemacht und sie sogar noch unterstützt. Um so merkwürdiger war diese Situation.
»Was ist los? Ist etwas passiert?« Lena blickte verdutzt von einem zum anderen.
»Das kann man wohl laut sagen«, antwortete Julian verärgert.