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Der Erzähler in dieser Novelle bekommt in seinem Mehrfamilienhaus einen neuen Nachbar, eben den Herrn Petermann, bei dem es hoch hergeht. Bis zu einem Zusammenbruch, von dem sich Petermann durch einen Sprung wieder erholt und dem Erzähler ein wunderbares Abenteuer beschert.
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Seitenzahl: 71
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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
„Ich habe einen Mord begangen“, gestand mir Klaus Petermann eines Tages lächelnd.
Ich sah ihn ungläubig und erschrocken an. „Nein, nein!“ sagte er. „Nicht so, wie du denkst. Es ist mehr metaphorisch. Es ist der Tod einer Bestie, die mir auf der Schulter saß.“
„Ach so!“ meinte ich erleichtert. „Konnte ich mir bei dir auch nicht anders vorstellen. Aber einen ersten Schrecken hast du mir trotzdem eingejagt.“
Als Erzähler dieser kleinen Geschichte und als Nachbar von Herrn Petermann gehe ich zunächst in die Vergangenheit, damit die Leser mit den Figuren und den Umständen vertraut werden. Petermann hat mir die Erlaubnis gegeben, alles so schonungslos zu berichten, wie es war.
„Schreib, was du willst!“ erklärte er. Was soll mir schon passieren!? Was die Leute denken mögen, ist mir ziemlich egal.“
Nun, Ort der Handlung ist Bad Breisig, ein kleiner Ort am Mittelrhein. Er liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Bonn und Koblenz. Was den Ort auszeichnet: Er ist irgendwie überaltert, dient als letzte Residenz verrenteter Senioren. Weshalb böse Zungen auch sagen: Bad Greisig. Er ist sozusagen letzte Station auf dem Weg in den Ruhewald, wo sich die Asche der Verstorbenen mit einem Baum vereinigt. Der Baum freut sich und wächst ein Stück weiter dem Licht entgegen.
Die B9 zerschneidet mit ihrem lauten und zur Zeit stockenden Verkehr den Ort. Man hat es aus Geiz oder auch aus Dummheit versäumt, einen Tunnel zu bauen, so wie man das etwa bei dem nahen Bad Godesberg gemacht hat. Einzig die Rheinpromenade mit ihren Hotels und Restaurants ließe sich als schön bezeichnen. Im Sommer ist sie viel besucht. Im grauen deutschen Winter weniger. Da hat sie eine seltsame Tristesse. Munteres Leben ist dann einzig in einer Weinstube, wo ein singender Wirt seine Gäste unterhält und wo man wegen der engen Tanzgelegenheit auf seriöse oder auch unseriöse Abenteuer aus ist. „Wer da keine Frau abschleppt“, hatte mir einmal ein Freund gesagt, „dem ist nicht mehr zu helfen.“
Ich wohne etwas oberhalb von Bad Breisig in der Parkstraße. Auch die ist nicht besonders schön. Die viereckigen Bauten, die sich die Straße entlangziehen, sind 0815 gleichförmig. Es ist still. Ab und zu geht jemand mit einem Hund vorbei. Vor gut einem Jahr blickte ich von meinem Balkon noch auf Bäume. Die haben sie jetzt, um weiteres Bauland zu gewinnen, abgeholzt. In der stillen Straße wirkt das Leben abgewürgt, was in einem gewissen Maße der deutschen Mentalität entspricht. Jetzt in der Coronazeit kommt noch die Ängstlichkeit dazu. Wer einmal unten im Ort bei Edeka einkaufen war, kann das bestätigen. Man achtet mit Maske auf den Abstand. Was die Regierung verordnet, wird wie ein Gottesgebot befolgt. Gibt es einmal eine Übertretung, wird man sofort von seinen Mitbürgern zurechtgewiesen. Der Deutsche neigt also auch in besonderem Maße zum Gehorsam, so als hätten die Politiker die Gesetzestafeln des Moses herausgegeben.
Ich selbst ertrage den grauen deutschen Winter nicht, verschwinde lieber in das sonnige und lebendigere Spanien. Als Rentner habe ich diese Zeit und darf mich beliebig bewegen. Mit meinen 69 Jahren kann ich noch gehen, laufen, fliegen, selber Auto fahren muss keinen Rollator mit in die Maschine nehmen. Leider fahre ich Anfang November immer alleine. Es will mir nicht gelingen, eine Freundin zu finden. Offensichtlich bin ich beziehungsunfähig. Ich versage selbst in der Weinstube des singenden Wirts. Zum Tanzen bin ich zu faul und zu ungeschickt. Außerdem bin ich Raucher, was beim engen Tanzen wegen des qualmigen Gestanks nicht gut ankäme. Da lass ich es lieber. Nicht das Rauchen, sondern das Tanzen. Hobbys habe ich keine. Meistens sitze ich im Sommer auf dem Balkon, blicke in die Gegend, beobachte Vögel und grübel über den Sinn des Lebens. Da komme ich allerdings auch nicht weiter mit. Mein liebster Klang auf dem Balkon ist, wenn es beim Öffnen der Bierdose ‚klack‘ und ‚zisch‘ macht. Nach der dritten Dose ist mir der Sinn des Lebens ziemlich egal und nach der vierten und fünften sowieso. Ab und zu höre ich mit dem Biertrinken auch auf, mache eine Pause, ‚Blaupause‘ nenne ich das. Ich kann das sehr gut regulieren, so dass eine Abwärtsspirale, wie sie Alkoholikern droht, vermieden wird. Ich rutsche in das Trinken rein und rutsche auch leicht wieder raus. Hobbys habe ich keine, hatte ich gesagt. Stimmt nicht so ganz. Ich würde gerne Schach spielen, finde hier aber niemanden. Bis, bis eben Klaus Petermann in die Wohnung nebenan einzog. Das war im Mai 2021.
Ach ja, ich hatte vergessen, meinen Namen zu sagen. Francesco Moravi. Daran sehen Sie, dass ich italienischer Abstammung bin. Mein Vater nebst Ehefrau ist Anfang der Fünfziger-Jahre von Sizilien in den Ruhrpott gezogen, um in den Pütt zu fahren und unter Tage Geld zu verdienen. Er war ein sehr disziplinierter Mensch, ist nicht mit den Kumpels saufen gegangen, hat gespart. Wir haben in Bochum gewohnt, wo ich, kaum dass die Eltern angekommen waren, geboren wurde. Nach zehn Jahren hat der Vater genug Geld gehabt, hat den Ruhrpott, der ihm nicht sonderlich gefiel, verlassen und hat in Bonn eine Eisdiele gepachtet. In Bonn bin ich auch zur Schule gegangen, schaffte mit Not das Abitur und schenkte mir die weitere Bildung, das heißt, ich habe nie eine Universität von innen gesehen. Stattdessen begann ich eine Lehre in einer Druckerei und bin da auch bis zu meiner Verrentung geblieben. Ist nicht viel passiert in meinem Leben, werden Sie denken und haben damit völlig recht.
So, nun aber zu Klaus Petermann und jenem Mai 2021, als er in das Haus, in die Wohnung nebenan einzog. Zu dem Haus muss man wissen, dass dort acht Parteien wohnen. Der Verkehr ist freundlich distanziert, aber sonst passiert da nichts. Keine Partys, keine laute Musik, kein Hanfanbau. Es ist, obgleich hellhörig, ein ruhiges Haus. Ich habe meine Wohnung möbliert gemietet, mein Nachbar Petermann auch. Sein Einzug war also sehr diskret, unspektakulär. Kein großer Möbelwagen hielt vor dem Haus. Als er mit seinem blauen Minicooper ankam, reichte das kleine Auto völlig für die paar Taschen, mit denen er umzog. Ich stand da gerade auf dem Balkon und beobachtete alles. Was das Alter betrifft, schätzte ich den neuen Nachbar auf knapp unter siebzig, was sich später, als ich ihn fragte, als richtig herausstellte. Er war 68, groß von Figur, schlank, glatzköpfig. Der Herr kam im Anzug, legte offensichtlich Wert auf ordentliche Kleidung. So etwas ist bei mir nicht der Fall. Ich trage Schlabberhosen und ungebügelte Marokkohemden. Ziehe ich die Turnschuhe aus, sieht man, dass ich keine Strümpfe ohne Löcher habe.
Eine Weile überlegte ich, ob ich mich bei meinem neuen Nachbarn vorstellen sollte, ließ es aber und dachte, das ist eher seine Sache. So vergingen Mai, Juni, Juli ohne dass man sich näher kennenlernte. Aber vom Balkon aus machte ich so meine Beobachtungen. Abwechselnd erschienen am Abend ein roter Fiat und am nächsten Abend ein blauer Citroen. Den Autos entstiegen recht hübsche Frauen, beide blond. Bei Petermann klingelte es. Etwas später erklang in seiner Wohnung Musik, die indes nicht laut genug war, um das Gestöhne zu übertönen. Es nervte. Aber in Wirklichkeit, wenn ich ehrlich bin, war ich neidisch. Am nächsten Morgen stiegen die Frauen wieder in ihr Auto, um recht bald wiederzukommen. Man stelle sich das vor: Ich saß auf dem Trockenen und nebenan ging die Post los. Könnte er mir doch eine abgeben, dachte ich. Wie schafft der das bloß? Abend für Abend, Nacht für Nacht?