Phoenix - Drucie Anne Taylor - E-Book

Phoenix E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Phoenix hat ein Leben voller Qualen hinter sich, nun fristet er sein Dasein in der Einsamkeit. An den Wochenenden kämpft er entweder im Circle oder er hilft in der Kirche aus, um sein Seelenheil wiederherzustellen. Alles ändert sich, als er der quirligen Camille begegnet, die bei ihrer Großmutter lebt. Zuerst scheint es so, als würden die beiden keinen Draht zueinanderfinden, doch dann entsteht eine zarte Romanze. Aus Angst, verlassen zu werden, verschweigt Phoenix Camille seine Vergangenheit, dennoch wächst die junge Liebe, bis das Schicksal sich ihnen in den Weg stellt. Werden die beiden es schaffen oder macht das Schicksal ihnen ein Strich durch die Rechnung? Der Kampf gegen die Einsamkeit beginnt. *** Die Mysterious Saints erzählen die Liebesgeschichten einer Clique in New York. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann getrennt von den anderen gelesen werden. Die Charaktere tauchen jedoch immer wieder in nachfolgenden Büchern auf.

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Phoenix

MYSTERIOUS SAINTS

BUCH DREI

DRUCIE ANNE TAYLOR

Copyright © 2020 Drucie Anne Taylor

Lektorat / Korrektorat: S. B. Zimmer

Satz und Layout: Julia Dahl

Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art

Auflage: 01 / 2023

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Buch

Phoenix hat ein Leben voller Qualen hinter sich, nun fristet er sein Dasein in der Einsamkeit. An den Wochenenden kämpft er entweder im Circle oder er hilft in der Kirche aus, um sein Seelenheil wiederherzustellen. Alles ändert sich, als er der quirligen Camille begegnet, die bei ihrer Großmutter lebt. Zuerst scheint es so, als würden die beiden keinen Draht zueinanderfinden, doch dann entsteht eine zarte Romanze. Aus Angst, verlassen zu werden, verschweigt Phoenix Camille seine Vergangenheit, dennoch wächst die junge Liebe, bis das Schicksal sich ihnen in den Weg stellt.

Werden die beiden es schaffen oder macht das Schicksal ihnen ein Strich durch die Rechnung?

Der Kampf gegen die Einsamkeit beginnt.

Die Mysterious Saints

Die Mysterious Saints erzählen die Liebesgeschichten einer Clique in New York. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann getrennt von den anderen gelesen werden. Die Charaktere tauchen jedoch immer wieder in nachfolgenden Büchern auf.

Es handelt sich um fiktive Orte, die, so wie beschrieben, bloß in meiner Fantasie existieren.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit Phoenix’ und Camilles Geschichte.

* * *

Inhalt

1. Phoenix

2. Camille

3. Phoenix

4. Camille

5. Phoenix

6. Camille

7. Phoenix

8. Phoenix

9. Ashes

10. Camille

11. Phoenix

12. Camille

13. Phoenix

14. Camille

15. Milly

16. Phoenix

17. Camille

18. Phoenix

19. Burn

20. Camille

21. Phoenix

22. Camille

23. Phoenix

24. Camille

25. Phoenix

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Rechtliches und Uninteressantes

Phoenix

Ein weiterer Abend im Circle, in dem ich mir freiwillig aufs Maul hauen lasse, aber noch lieber austeile. Seit Ashes und Lynn vor ein paar Wochen in die Wohnung gegenüber gezogen sind, verbringe ich meine freien Abende hier oder beim Training mit Cash. Irgendwie muss ich Ashes‘ fehlenden Mietanteil auffangen. Ich bin zwar nicht knapp bei Kasse, aber seit ich alleine wohne, langweile ich mich zu oft, als dass ich nur herumsitzen wollen würde. Deshalb kämpfe ich und auch wegen der Wut, die ich tief in mir verberge. Irgendwann werde ich sicher damit aufhören, aber noch bin ich gut in Form und ich kann noch besser austeilen. Meinen letzten Gegner mussten sie ins Krankenhaus bringen. Mir ist bewusst, dass man ihn vor der Notaufnahme einfach aus dem Auto geworfen hat, so läuft es nun mal, aber ich habe kein Mitleid mit den Idioten, die mich herausfordern. Wenn man hier kämpft, weiß man, worauf man sich einlässt, und das kann auch der Tod sein, der, wie wir alle wissen, das Teuerste im Leben ist.

Wir alle werden von ihm begleitet.

Stetig.

Ständig.

Wenigstens habe ich diesen einen treuen Wegbegleiter.

Ich bin einsam.

Und allein.

Es gibt nur mich, denn mit meiner Familie habe ich nichts mehr zu schaffen. Mein Stiefvater hat mich damals verkauft, um mich loszuwerden, vielleicht auch, um Schulden zu tilgen – ich weiß es nicht mehr. Hutch wollte mich fünftausend Kämpfe absolvieren lassen, bevor er mich freilässt, aber die Cops kamen dem glücklicherweise zuvor.

»Fuck«, stoße ich aus, als ich einen ordentlichen Schwinger einstecke, und sehe meinen Gegner aufgebracht an. Jetzt reicht’s! Ich gehe auf ihn los, ramme ihm erst meine Faust ins Gesicht, danach mein Knie in den Bauch. Immer und immer wieder schlage ich blind vor Wut auf ihn ein. Er ist es selbst schuld – hätte ich seinetwegen nicht mein Blut geschmeckt, würde er jetzt nicht seine Zähne fressen.

Ich befinde mich im Rausch, spüre seine Knochen unter meinen Schlägen brechen und mein Herzschlag wird vom Adrenalin beschleunigt, bis das Organ droht, meine Rippen zu durchbrechen. Doch als es fast so weit ist, geht mein Kontrahent schon zu Boden. Ich rage über ihm auf, stupse ihn mit dem Fuß an, allerdings regt er sich nicht mehr.

»Phoenix gewinnt!«, schallt es durchs Megafon, während ich grimmig in die Menge schaue.

Schnaubend wende ich mich ab, gehe zur Tür und auf Cash zu, der davor auf mich wartet.

»Du solltest deine Gegner nicht fast umbringen, auch wenn du inzwischen ungeschlagen bist«, sagt er ernst.

»Manchmal vergesse ich, dass ich nicht mehr auf Leben und Tod kämpfen muss«, erwidere ich, als wir die Halle verlassen. Wir machen uns auf den Weg zur Umkleide, als ich neben mir ein »Der hat ihn fast umgebracht« höre. Ich schaue mich um und mich trifft fast der Schlag. Mit offenstehendem Mund betrachte ich sie, dabei vergesse ich, dass ich in die Umkleide wollte. Aber sie verschwindet zu schnell aus meinem Sichtfeld, als dass ich sie ansprechen könnte.

»Phoenix, was ist los?«, fragt Cash ungeduldig.

Ich winke ab und versuche, die rauchige Stimme ausfindig zu machen.

»Alter, was ist los?«

»Hast du die Frau gesehen?«

»Hier sind einige Frauen, welche meinst du?«, hakt er ruhelos nach.

»Sag mir nicht, dass du sie nicht gesehen hast«, verlange ich.

»Ich sehe hier einige Frauen, aber ich habe keine Ahnung, welche du meinst.«

»Ich habe sie nicht lange genug gesehen, um ein Phantombild anzufertigen«, erwidere ich genervt.

»Jetzt komm schon«, sagt er und geht weiter, ich folge ihm missmutig. »Ich gehe mal kassieren«, meint er, als wir die Umkleide erreicht haben. »Du weißt, dass du ungeschlagen bist, das heißt, du musst dich auf jede Herausforderung einlassen.«

Ich nicke ruppig. »Ist mir bewusst, aber jetzt wasche ich mir das Blut von dem Schlappschwanz ab und ziehe mich um.«

»Alles klar, ich warte auf dich.«

»Danke, Alter.« Ich verschwinde in dem Raum, hole meine Klamotten aus dem Spind und gehe in die Dusche, die daran angeschlossen ist.

* * *

Als ich fertig bin, sitzt Cash auf der Bank, die an die Wand montiert ist. »Sechstausend Dollar, nicht schlecht für Donnerstagnacht«, sagt er und wedelt mit dem Bündel Scheine.

Ich gehe zu ihm, nehme sie ihm ab und reiche ihm zweitausend davon. »Hier.«

»Danke.« Er steckt das Geld weg. »Trotzdem solltest du dir ein anderes Ventil für deinen Frust suchen, statt jeden Herausforderer halbtot zu schlagen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Wir werden sehen, wie es kommt.«

Cash schnaubt. »Seit Ashes und Lynn ausgezogen sind, warst du jeden Abend hier, außer du hattest Nachtschicht. Phoenix, du übertreibst es und solltest dich ein wenig zurücknehmen.«

»Was bringt das? Ich komme hierher, lade meinen Frust ab und wenn die Kerle meinen, sie müssen mich bis aufs Blut reizen, sind sie selbst schuld, dass ich ihnen die Ärsche aufreiße«, halte ich entschieden dagegen.

»Du wirst zwei Wochen Pause machen, haben wir uns verstanden?«

»Nein«, entgegne ich und ziehe die hellgraue Sweatjacke über. »Können wir gehen?«

»Hm«, brummt er. »Nimm dein Zeug mit, dann geht’s los.«

Ich nicke ihm zu, sammle meine Sachen ein, anschließend verlassen wir den Circle. »Ich habe überlegt, nach Orlando zu gehen.«

»Was willst du da?«

»Na ja, ich komme dorther und ich will meine Schwester wiedersehen«, antworte ich seufzend. »Ich hab Milly seit Jahren nicht gesehen und sie fehlt mir. Ich hoffe nur, dass sie und meine Mom diesen Hurensohn endlich hinter sich gelassen haben.«

Cash hebt eine Augenbraue. »Glaubst du dran? Deine Mom hätte sich vor dich stellen müssen, als ihr Kerl dich als Teenager an Hutch vertickt hat.«

»Ich will nur meine Schwester wiedersehen, sie ist mir wichtiger als meine Mom, checkst du das nicht?« Ich kann nichts dafür, dass ich mit jedem weiteren Wort genervter klinge.

»Verständlich, aber du solltest vielleicht nicht alleine dorthin fliegen. Nimm Ashes oder Burn mit, damit du Rückendeckung hast.«

»Mal sehen.«

Er öffnet die Türen seines schrottigen Wagens und ich setze mich auf den Beifahrersitz. »Ansonsten begleite ich dich.«

»Wir werden sehen, okay?«

»Geht klar«, sagt Cash und startet den Motor. »Hunger?«

»Ich kann immer essen«, entgegne ich.

»Sollen wir zu dem Diner fahren, in dem du so gern frühstückst?«

Ich schüttele den Kopf. »Eher zu McDonald’s, ich hab Bock auf einen McRib.«

»Alles klar, dann fahren wir eben dorthin.«

* * *

Eine halbe Stunde später sitzen wir im McD und ich habe mir zwei McRib und vier Cheeseburger gegönnt. Ich habe heute nicht besonders deftig gegessen, das tue ich vor einem Kampf nie, damit ich nicht so schwerfällig bin, weshalb ich jetzt ein halbes Schwein auf Toast essen könnte.

»Du hast ja echt mächtigen Kohldampf.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich trainiere viel, also kann ich noch mehr essen.« Danach grinse ich ihn an. Ich trinke einen Schluck meines Vanillemilchshakes und atme tief durch. »Wie geht’s Lynn eigentlich? Seit sie diesen Kurs macht, sehe ich sie kaum noch.«

»Ihr geht’s gut, sie blüht auf und hat mir letzte Woche stolz erzählt, dass sie inzwischen das sechste Buch ausgelesen hat«, erzählt er lächelnd. »Ich frage mich nur, wann endlich der Prozess gegen unsere Mutter losgeht, die Frau gehört lebenslänglich in eine Psychiatrie.«

»Bei allem, was sie Lynn angetan hat, auf jeden Fall«, stimme ich zu. »Aber sie verarbeitet es mithilfe der Therapeutin, das ist erst mal die Hauptsache.«

»Das stimmt und Ashes fängt sie auf, wenn sie einen Flashback hat. Letzte Woche habe ich einen erlebt und kam mir so hilflos vor, aber er hat sie beruhigt, was mir wahrscheinlich nicht gelungen wäre.«

»Ja, es ist ziemlich hart, wenn sie in so einen Tunnel geht«, erwidere ich. »Ich habe das ein- oder zweimal mitbekommen und war wie gelähmt.«

»Verständlich, war ich auch.« Cash trinkt etwas von seinem Kaffee, dann fängt er an, seine Pommes zu essen. »Wie läuft’s bei dir so? Abgesehen vom Circle.«

»Wie immer.«

»Das ist ja sehr detailliert«, stößt er trocken aus.

Ich lache leise. »Ich gehe arbeiten, nach Hause, trainieren, kämpfen und schlafen. Das ist nun mal nicht sehr abwechslungsreich. Ashes geht nicht mehr in den Club, wenn er nicht arbeiten muss, da Lynn wegen ihres Alters nicht reinkommt, Burn und Lil sind immer noch in ihrer Honeymoonphase … Ich fühle mich bei denen wie das fünfte Rad am Wagen, aber will nichts sagen, damit sie sich nicht mies fühlen. Ich gönne ihnen ihr Glück«, erkläre ich ruhiger. »Aber na ja, vielleicht finde ich ja auch noch die Frau meiner Träume.«

»Die findest du sicher. Du bist ein riesiger Kerl, siehst gut aus und kannst dich ausdrücken, also das ist schon mehr, als andere zu bieten haben.«

»Plus ich verdiene mein eigenes Geld und stehe mit beiden Beinen im Leben«, ergänze ich.

»Stimmt.«

Das restliche Essen vergeht eher schweigsam und ich lasse meinen Blick durch den McDonald’s schweifen. Hier waren wir auch mit Lynn, nachdem wir sie aufgegabelt hatten. Ich gehe nicht allzu oft hier essen, ich glaube, mit Lynn und Ashes war ich sogar das letzte Mal hier.

* * *

Als ich zu Hause bin, werfe ich einen Blick auf mein Handy. Ashlyn hat mir geschrieben, warum auch immer. Inzwischen lese ich ihre Nachrichten nicht mehr, weil sie mich so übel abserviert hat. Ich dachte wirklich, dass aus uns beiden etwas werden könnte, aber dann hat sie ihren Ex mir vorgezogen. Und das war echt heftig, denn der Kerl hat sie ständig verprügelt. Sie ist immer noch mit ihm zusammen, manchmal kommt sie zu mir auf die Arbeit und heult mich voll, dass er sie immer noch so mies behandelt. Meist hat sie ein Veilchen oder eine blutige Lippe, aber mehr als ihr sagen, dass sie ihn anzeigen soll, kann ich nicht. Für den Kerl werde ich meine Freiheit nicht riskieren, das habe ich zweimal getan und sie war trotzdem so dumm, sich wieder auf ihn einzulassen. Ja, ich weiß, dass meine Einstellung erbärmlich ist, aber was soll ich tun? Sie aufnehmen, wieder mit ihr ins Bett gehen und am Ende mit einem noch kaputteren Herzen zurückbleiben? Das kann ich nicht, das will ich auch nicht mehr. Mehr als ihr sagen, dass sie in ein Frauenhaus gehen und sich von ihm trennen soll, kann ich nicht. Alle weiteren Schritte muss sie alleine gehen und sie kann nicht mit meiner Unterstützung rechnen. Ich meine, wir haben ein paar Mal gevögelt und meinerseits waren Gefühle im Spiel, die sie ausgenutzt hat. Ashlyn hat mich mit eiskalter Berechnung für ihre Zwecke missbraucht. Es hat lange genug gedauert, bis ich es erkannt habe, diverse Male bin ich auch noch auf sie hereingefallen und da wollte sie mich dann dazu bringen, den Kerl im Hudson zu versenken.

Und so weit gehe ich definitiv nicht.

* * *

Camille

»Grandma?«, rufe ich durchs Haus. Ich frage mich, wo sie schon wieder ist. Sie hatte keinen Arzttermin und sie geht heute auch nicht zur Kirche, weshalb ich mir echt Sorgen mache.

»Ich bin im Garten, Liebes.«

Erleichtert atme ich auf, dann mache ich mich auf den Weg zu ihr. »Hey, ich dachte schon, du wärst ausgeflogen.«

»Wo soll eine klapprige alte Frau denn schon groß hingehen?«, möchte sie wissen und lächelt mich an.

Ich lache leise. »Du bist nicht klapprig«, halte ich dagegen und gehe die Treppe in den kleinen Garten runter. »Was machst du denn hier draußen?«

»Ich habe Eistee gemacht und mich mit einem Glas in die Sonne gesetzt«, antwortet sie gut gelaunt. »Und später möchte ich in die Kirche, ich habe doch ein paar Kuchen für den Basar gebacken.«

Ich sehe sie perplex an. »Der ist heute?«

»Nein, aber morgen und ich habe Reverend Camden gesagt, dass ich die Kuchen heute vorbeibringe, damit du morgen nicht so früh aufstehen musst. Du warst doch wieder die ganze Nacht arbeiten und sollst deine freien Tage nicht damit verbringen, mich durch die Gegend zu fahren.«

»Oh, Granny, das mache ich doch gern.«

»Liebes, du übernimmst dich.«

»Damit wir beide ein schönes Leben haben«, halte ich dagegen und setze mich zu ihr. Das Gähnen verkneife ich mir, weil sie mich sonst ins Bett schickt, damit ich mich ausschlafe. Nachts arbeite ich als Bäckerin, aber mein Traum ist es, eine eigene kleine Konditorei zu eröffnen. Bloß ist das hier in New York wirklich schwer, weil es so viele große Ketten gibt, die Kuchen und Torten für einen Spottpreis verkaufen. Granny ist Konditorin, von ihr habe ich das Backen gelernt, aber ich habe trotzdem eine Konditor- und Bäckerschule besucht, um das Handwerk richtig zu erlernen. Es macht mir Spaß, zu kochen und zu backen, leider ist es ein Beruf, in dem man vorwiegend nachts auf den Beinen ist. Ich habe an zwei Nächten in der Woche frei, meistens die Wochenenden, damit ich meiner Grandma zur Hand gehen kann. Ich bin froh, dass mein Boss so kulant ist, denn normalerweise hätte ich keine freien Wochenenden.

»Schätzchen, wir haben doch auch so ein schönes Leben. Du gehst fünf Nächte in der Woche arbeiten, in den anderen beiden sehe ich dich auch kaum, weil du unterwegs bist. Du übernimmst dich wirklich.«

»Granny, lass uns das Thema wechseln, du weißt, dass ich anderer Meinung bin als du.«

»Na schön«, seufzt sie. »Möchtest du auch ein Glas Eistee?«

Ich schüttele den Kopf. »Nein danke.« Anschließend räuspere ich mich. »Wann möchtest du die Kuchen zur Kirche bringen?«

»Wir können los, wenn mein Glas leer ist«, antwortet sie lächelnd, dabei treten die Krähenfüße an ihren Augen deutlich hervor.

Mein Blick fällt auf das Glas in ihrer Hand. »Alles klar.« Wieder unterdrücke ich das Gähnen, doch lehne ich mich zurück und schließe die Augen. »Weck mich einfach, wenn du losfahren möchtest.« Ich war die ganze Nacht arbeiten, am Morgen musste ich noch im Laden aushelfen, weil eine der Verkäuferinnen ausgefallen ist. Für mich war es kein Problem, denn es stockt meine Ersparnisse ein bisschen weiter auf. Ich verdiene zwar nicht die Welt, aber das Geld, das wir nicht ausgeben, spare ich für meinen Traum. Heute Abend will ich mit Polly zu einem Kampfring, wo sie schon öfter Geld gewonnen hat. Einen Teil meiner Ersparnisse möchte ich dort auf den ungeschlagenen Kämpfer setzen, der aus zehn Dollar Einsatz ganz schnell fünfhundert Dollar macht. Die Quote, dass er von seinem Gegner geschlagen wird, ist natürlich höher, aber das ist mir egal. Ich setze auf ihn, wenn es eine sichere Nummer ist, damit ich mein Geld ein wenig aufstocken kann.

»Liebes, es ist erst zwölf Uhr. Leg dich doch ein oder zwei Stunden hin, es reicht, wenn wir die Kuchen heute Nachmittag zu Reverend Camden bringen.«

»Wie viele hast du denn gebacken?«

»Vier«, entgegnet sie und grinst mich an, als ich die Augen aufschlage. »Du weißt, dass ich nicht Nein sagen kann, wenn er mich darum bittet.«

»Ich weiß«, erwidere ich und stehe auf. »Ich werde mich ein wenig hinlegen. Weckst du mich gegen zwei oder halb drei, damit wir zur Kirche fahren können?«

Sie nickt mir zu. »Aber sicher, Liebes.«

»Super.« Ich beuge mich zu ihr und küsse ihre Wange. »Hab dich lieb und mach keinen Unfug, während ich im Bett bin.«

»Ich doch nicht«, schmunzelt sie.

»Hoffentlich.« Ich lächele meine Großmutter an, anschließend mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Als Kind war ich ständig hier, ich habe meine Ferien bei meinen Großeltern verbracht. Grandpa ist in einem Pflegeheim, aber das übernimmt größtenteils die Versicherung, die die beiden dafür abgeschlossen haben. Wir besuchen ihn immer sonntags, aber er erkennt uns nicht mehr, weil das Alzheimer so weit fortgeschritten ist. Manchmal hat er lichte Momente und realisiert zumindest Grandma, aber mich nicht mehr. Weil meine Anwesenheit ihn beunruhigt, warte ich vor der Tür auf Granny. Ich will ihn nicht aus der Fassung bringen, weil es schon häufiger vorgekommen ist, dass er sich dann so sehr aufgeregt hat, dass man uns nach Hause geschickt hat. Seitdem bleibe ich vor der Tür oder gehe in der Zeit, in der Grandma bei ihm ist, einkaufen und hole sie danach wieder ab.

Als ich in meinem Schlafzimmer angekommen bin, streife ich die Sneaker ab, ziehe meine Jeansjacke und die Hose aus und lasse mich in Top und Slip aufs Bett fallen. Scheiß auf den BH, ich bin so müde, ich will einfach nur ein wenig schlafen. Ich krabbele weiter darauf, ziehe die Decke über mich und schließe die Augen. Ich bin so fertig, dass ich sofort einschlafe.

* * *

»Liebes?«, fragt Grandma mit warmer Stimme, ich spüre ihre Hand auf meiner Schulter.

Blinzelnd sehe ich sie an. »Sind die zwei Stunden schon um?«, möchte ich müde wissen.

»Ja, möchtest du noch ein wenig schlafen? Dann rufe ich Reverend Camden an und sage ihm Bescheid, dass wir erst heute Abend kommen.«

»Nein, ich bin heute Abend verabredet. Ich fahre dich zur Kirche, wir liefern die Kuchen ab und ich bringe uns wieder nach Hause, danach kann ich ja weiterschlafen.« Ich lächele sie an und richte mich auf.

»In Ordnung. Ich warte unten auf dich.«

»Alles klar«, erwidere ich, während ich mich strecke. Mit einem Knacken renken sich meine Wirbel wieder ein. »Ich gehe kurz ins Bad und ziehe mich um, dann komme ich runter.«

»Alles klar, Cami.« Granny verlässt mein Zimmer.

Ich schwinge die Beine aus dem Bett, danach gehe ich an den Kleiderschrank. Als ich eine Dreiviertelhose und eine Tunika sowie Unterwäsche habe, begebe ich mich ins Bad. »Wow«, stoße ich aus, als ich vor dem Spiegel stehe. Ich sah schon mal ausgeschlafener aus, aber das war vor meiner Ausbildung, denn seitdem arbeite ich ununterbrochen. Ich drehe das Wasser an, danach wasche ich mein Gesicht und putze mir die Zähne.

Als ich fertig bin, ziehe ich mich um.

Nachdem ich mich geschminkt habe, um die Spuren des fehlenden Schlafs zu verbergen, binde ich meine Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen und laufe noch mal in mein Zimmer. Ich schlüpfe in meine schwarzen Ballerinas, außerdem nehme ich meine Umhängetasche an mich, danach mache ich mich auf den Weg nach unten. »Granny, ich bin so weit!«, rufe ich, als ich die Küche betrete. In verschiedenen Boxen stehen die Kuchen bereit. Ich frage mich, warum sie mich nicht darum gebeten hat, sie zu machen, meine Himbeertorte kam im letzten Jahr verdammt gut an und ich hätte mir die Zeit genommen, um sie noch einmal für den Basar zu machen.

»Da bin ich. Nimmst du zwei Kuchen? Dann nehme ich die anderen beiden.«

»Klar.« Ich greife zu den Kuchenboxen, danach verlasse ich die Küche, um sie zu meinem Auto zu bringen. Ich fahre Grandpas alten Ford, der mir sehr gute Dienste erweist, aber er hat den Wagen auch immer verdammt gut gepflegt. Vor zwei Jahren kam er ins Pflegeheim, seit drei Jahren lebe ich bei ihnen. Es war furchtbar, ihm bei seinem geistigen Verfall zuzusehen, und es ging so verdammt schnell. In einem Moment sprach er noch ganz normal mit mir, im nächsten wurde sein Blick glasig und er erkannte mich nicht mehr. Grandma und ich brachten ihn dann zum Arzt und der sagte uns, dass er an Alzheimer erkrankt sei. Leider wurde es immer schlimmer und so hat Grandma sich schweren Herzens dazu entschlossen, ihn ins Altenheim zu bringen, weil wir ihn nicht mehr versorgen konnten. Aber da war schon der Punkt erreicht, dass er sie auch nicht mehr erkannt hat. Wir mussten ihn so oft irgendwo abholen, weil er einfach das Haus verlassen hat. Glücklicherweise hatten wir in all seine Klamotten und auch in sein Portemonnaie unsere Adresse und Telefonnummern gesteckt, außerdem wussten die Nachbarn Bescheid und in die kleineren Geschäfte haben wir sogar Steckbriefe gegeben, falls er dort verwirrt auftauchen sollte.

Als wir die Kuchen im Kofferraum verstaut haben, öffne ich die Beifahrertür für Grandma und helfe ihr beim Einsteigen. »Du bist ein Engel, Liebes.«

Ich schenke ihr ein Lächeln, schließe die Tür und laufe um das Auto herum. »Hast du die Tür abgeschlossen?«

»Ja, habe ich«, antwortet sie, als sie sich anschnallt.

»Alles klar.« Nachdem ich den Motor gestartet habe, fahre ich rückwärts und bin froh, dass wir in einer ruhigeren Gegend von New Jersey wohnen. Der Weg zur Arbeit ist zwar lang, aber dafür ist der Unterhalt für Grannys Haus nicht so hoch, weil kaum einer in New Jersey wohnen will, na ja, nicht lange jedenfalls. Aber meine Großeltern haben sich damals dort niedergelassen und sind geblieben, obwohl meine Mom und mein Onkel die Stadt verlassen haben. Meine Mutter wollte die beiden immer dazu bewegen, ebenfalls nach Chicago zu kommen, doch Grandpa sagte immer, dass man alte Bäume nicht entwurzeln kann, weil sie sonst eingehen.

* * *

Eine gute halbe Stunde später sind wir bei der Kirche, wegen eines Unfalls hatte sich der Verkehr gestaut, sonst wären wir nur zehn Minuten unterwegs gewesen. Nachdem ich geparkt habe, steigen Granny und ich aus, holen die Kuchen aus dem Kofferraum und ich verriegle den Wagen. Anschließend machen wir uns auf den Weg in die Kirche. Reverend Camden steht schon am Eingang und nimmt Grandma eine der Kuchenboxen ab. »Guten Tag, die Damen«, sagt er freundlich.

»Hi«, erwidere ich lächelnd, während Granny ihm die Hand schüttelt, danach nimmt er ihr auch die andere Box ab.

»Ich freue mich, Sie wieder zu sehen, Camille«, wendet er sich an mich.

Ich erröte ein wenig, weil ich seit Jahren nicht mehr in der Kirche war. »Ich freue mich auch, Reverend«, entgegne ich verlegen. »Ich begleite meine Grandma gern am nächsten Wochenende in den Gottesdienst.«

»Wieso erst am nächsten Wochenende?«, fragt er.

»Weil Cami dieses Wochenende für eine Kollegin in der Bäckerei einspringen muss«, antwortet Grandma für mich und ich sehe sie wegen der Notlüge überrascht an. »Da kann man einfach nichts machen, nicht wahr?« Und sie wird nicht einmal rot! Das ist unglaublich.

»Ach so, natürlich, die Arbeit geht vor und immerhin ist sie so fleißig.«

»Hallo, Reverend«, sagt ein Mann hinter mir und ich trete einen Schritt zur Seite.

»Guten Tag, Mr. Roberts, freut mich, Sie heute hier zu sehen«, erwidert Reverend Camden gut gelaunt. »Darf ich Ihnen Mr. Roberts vorstellen? Er hilft gelegentlich bei der Obdachlosenspeisung.«

Ich schaue auf einen männlichen Oberkörper, der äußerst trainiert ist. Verdammt, wo hört denn sein muskulöser Körper auf? Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm hochzusehen. »Hi«, sage ich sprachlos, als ich seine Wahnsinnsaugen sehe. So blau, es könnten Seen sein.

Er lächelt mich an und ich habe das Gefühl, dass er mir tief in die Seele schauen kann. »Ladies«, sagt er schlicht, Grandma reicht er die Hand.

»Freut mich sehr, Mr. Roberts, mein Name ist Ruth Parker.«

Er lächelt nicht, als Grandma sich ihmvorstellt. »Mich ebenfalls, Mrs. Parker.« Danach sieht er Reverend Camden an. »Ich bin gekommen, um beim Aufbau zu helfen, da ich es morgen früh nicht schaffe.«

»Das ist sehr nett von Ihnen«, erwidert der Reverend. »Gehen wir rein?«

»Sicher«, antwortet Granny und ich bin froh darüber, denn die Boxen werden langsam schwer.

»Ich nehme sie Ihnen ab«, sagt Mr. Roberts und bevor ich reagieren kann, hat er sie mir schon abgenommen.

»Danke.«

»Dann können wir ja schon wieder gehen, nicht wahr, Liebes?«, wendet Grandma sich an mich.

Ich schaue sie überrumpelt an. »Wir können doch auch beim Aufbau helfen, oder ich helfe ihnen und du ruhst dich ein wenig aus.«

Granny verengt die Augen ein wenig – Oh oh, ihr Radar springt an und sie wird wissen, dass ich Mr. Roberts interessant finde. Rein oberflächlich natürlich, denn ich habe keine Ahnung, wie er so tickt.

»Das wird nicht nötig sein, Camille, Mr. Roberts und ich bekommen das hin«, mischt Reverend Camden sich ein.

»Okay«, entgegne ich und atme tief durch. »Dann können wir fahren, Granny.«

Wir verabschieden uns von den beiden, anschließend machen wir uns auf den Weg zu meinem Auto.

* * *

Phoenix

Was für eine Frau und ich Idiot habe sie nicht mal nach ihrer Nummer gefragt. Camille. Der Name passt zu ihr, sie hat etwas von einer Blume. Zarte Haut, volle rote Lippen, klare bernsteinfarbene Augen. Wären Reverend Camden und ihre Großmutter nicht dabei gewesen, hätte ich mit ihr geflirtet, aber vor den beiden habe ich es nicht gewagt. Für meinen Seelenfrieden helfe ich gelegentlich bei der Obdachlosenspeisung aus oder gehe dem Reverend beim Aufbau vom Kuchenbasar oder anderen Dingen zur Hand. Ich könnte auch direkt in New York City in einer Kirche helfen, aber da ist mir die Gefahr zu groß, dass Ashes, Burn oder Cash mich dabei sehen. Vor Lil und Lynn schäme ich mich nicht dafür, auch vor den dreien nicht, aber ich habe keine Lust, mich rechtfertigen oder mir dumme Sprüche anhören zu müssen.

Ihre Augen gehen mir nicht aus dem Kopf, ihr Blick genauso wenig, denn so wie sie aussah, war sie ganz sicher von meiner Erscheinung überrumpelt. Sie hat in etwa Lils Größe.

»Mr. Roberts?«

Ich sehe Reverend Camden an. »Ja?«

»Mrs. Parker und ihre Enkelin sind schon weg, können wir dann?«

Daraufhin nicke ich. »Sicher.«

»Wie es aussieht, hat Camille Ihnen ganz schön den Kopf verdreht.«

»Sie ist eine hübsche Frau«, erwidere ich.

»Ja, sie arbeitet bloß sehr viel, um sich und ihre Großmutter über Wasser zu halten, weil das Pflegeheim für Mr. Parker so teuer ist.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Das ist traurig, aber wohl der Lauf der Dinge.« Mitleid habe ich nicht mit ihnen, aber toll finde ich es natürlich auch nicht. Die beiden wirkten nicht so, als seien sie unglücklich oder verarmt, immerhin haben sie vier Kuchen für den Basar gestiftet. Als ich Camilles Hand berührt habe, ist ein Blitz durch meinen Arm gefahren, der in meinem Herzen eingeschlagen ist. So etwas hat noch keine Frau in mir ausgelöst.

»Camille ist vor drei Jahren aus Chicago zu ihren Großeltern gezogen, um ihnen unter die Arme zu greifen«, erzählt er weiter.

»Wissen Sie, ob sie in festen Händen ist?«, frage ich eher beiläufig.

»Nein, das weiß ich nicht, aber ich glaube nicht. Das hätte Ruth mir sicher erzählt, da sie streng gläubig ist.«

Ich lache leise. »Weil ihre Enkelin in dem Fall in Sünde leben würde?«

»Ganz genau«, er grinst ebenfalls. Noch nie bin ich so einem lockeren Gottesmann begegnet, aber die soll es ja auch geben. »Ruth ist sehr … konservativ, würde ich sagen.«

»Dann würde ich es wahrscheinlich altmodisch nennen«, erwidere ich.

Wir machen uns daran, die Tische zu positionieren und den Raum vorzubereiten.

* * *

Nachdem wir fertig geworden sind, habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Inzwischen habe ich ein eigenes Auto, sodass ich nicht mehr darauf angewiesen bin, dass Burn mir seines leiht. Mit Cashs Wagen bin ich einmal liegengeblieben, weshalb ich ihn irgendwann auch nicht mehr gefragt habe. Aber seit ich meinen BMW habe, bin ich von keinem der beiden mehr abhängig – und muss mir auch nicht Lils Mini Cooper leihen.

Nun bin ich auf dem Heimweg, dabei halte ich in New Jersey die Augen offen, ob ich die Kleine sehe, die mir vorhin den Kopf verdreht hat. Mann, warum habe ich sie nicht nach ihrer Nummer gefragt? Reverend Camden konnte mir auch nicht helfen, da er sie nicht hat, was mich echt nervt. Sie fährt einen Ford, das habe ich mitbekommen, aber ich habe mir ihr Nummernzeichen nicht gemerkt. Das hätte ich mal tun sollen, so wäre es einfacher gewesen, ihren Wagen irgendwo wiederzuerkennen. Anhand der Lackierung könnte ich das auch, aber nur, wenn New York nicht voller roter Autos wäre. Und ihr Ford hatte keine Beule oder irgendwas anderes, das besonders markant ist, sodass es unmöglich ist, sie ausfindig zu machen. Scheint wohl so, als müsste ich öfter nach New Jersey fahren. Ich bin mir sicher, dass ich sie früher oder später noch mal in der Kirche treffen werde. Reverend Camden sagte, dass sie zum übernächsten Sonntagsgottesdienst kommen würde, weil sie es an diesem Wochenende wegen ihrer Arbeit nicht schaffen würde. Ich bin gespannt, ob ich ihr noch mal begegnen werde. Scheiße, ich bin wirklich hin und weg von ihr. Und ich hoffe, dass ich sie dazu bewegen kann, mit mir auszugehen.

Vielleicht habe ich ja Glück und sie ist mein Weg aus der Einsamkeit, die mich stets umgibt.

* * *

Als ich eine gute halbe Stunde später zu Hause bin, gehe ich unter die Dusche. Heute Abend bin ich wieder im Circle, Cash sagte zwar, dass ich mich ein wenig zurücknehmen soll, aber das werde ich nicht. Das Geld kann man immer brauchen, außerdem kann ich dort wunderbar meinen Frust ablassen.

Jenen darüber, dass ich immer noch allein bin.

Jenen darüber, dass ich einsam bin.

Jenen darüber, dass es niemanden auf dieser Welt gibt, der mich liebt.

Ich lasse mich auf die Couch fallen, die ich mir gekauft habe, und starre an die Decke. Ashes und Lynn haben einige Möbel mitgenommen, die Wohnung ist nun nach meinem Geschmack eingerichtet, aber das hätte ich mir ohne die zahlreichen Kämpfe im Circle nicht erlauben können. Ich weiß nicht, wie lange ich Glück habe, bis die Cops mal in Hell’s Kitchen auftauchen, doch Carters Spitzel, der Bulle ist, hat noch keine Warnung ausgesprochen.

Noch sind wir sicher.

Fragt sich nur wie lange.

Ich schließe die Augen und versuche, noch ein wenig zu schlafen, bevor Cash später herkommt. Eigentlich müsste ich noch trainieren, aber heute steht mir nicht der Sinn danach. Seit ich Camille gesehen habe, zieht mein Schwanz voller Verlangen nach ihr. Ich will sie, weiß aber nicht, wie ich an sie herankommen soll, wenn ihre Großmutter tatsächlich so konservativ ist.

Kopfschüttelnd vertreibe ich Camilles Gesicht vor meinem geistigen Auge.

Alles, was mir bleibt, ist die Hoffnung, sie irgendwann wiederzusehen.

* * *

Links. Rechts. Kinnhaken. Tritt.

Rechts. Kinnhaken. Tritt. Links.

Immer weiter, nicht denken, zuschlagen.

»Beförder ihn auf die Matte, Phoenix!«, brüllt Cash vom Rand des Cages.

Tritt. Tritt. Kinnhaken. Ellenbogen. Tritt.

Er geht zu Boden.

Ich schnaube und sehe mir den Schlappschwanz an. Sein Gesicht ist blutverschmiert. Wieder einer, der sich über- und mich unterschätzt hat. Eine verdiente Niederlage, aber ich ahne, dass er sie nicht auf sich sitzen lassen wird. Das tun sie nie. Sie wollen immer noch eine zweite Tracht Prügel einstecken, die ich gern austeile.

»Phoenix gewinnt!«, schreit jemand durchs Megafon und ich lasse meinen Blick durch die Menge schweifen. Als ich zu Cash sehe, erkenne ich, dass eine Blondine bei ihm steht. Wie macht er das nur?

Ich gehe zur Tür, verlasse den Käfig und lasse die anderen den Dreck wegräumen, den ich hinterlassen habe, auch wenn der Kerl von gut einsneunzig dazugehört.

»Gut gemacht und wenigstens hast du den nicht fast umgebracht«, sagt Cash.

»Willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?«, fragt die Blonde.

»Polly, das ist Phoenix. Phoenix, das sind Polly und … Wo ist sie denn?«

»Ich glaube, Camille ist rausgegangen, es war ihr zu heftig«, antwortet sie. »Aber ich gehe sie holen, damit sie ihren Gewinn bekommt.« Sie löst sich aus Cashs Arm und verschwindet.

Meine Augenbraue gleitet in die Höhe. Das ist kein Rock, den sie da trägt, sondern nichts weiter als ein breiter Gürtel. »Wo hast du die schon wieder aufgerissen?«

»Sie kommt öfter her«, entgegnet er. »Ist immer eine sichere Nummer.« Cash grinst.

Ich verdrehe die Augen, anschließend mache ich mich auf den Weg zur Umkleide.

»Alter, ich erinnere dich nur mal an Hutchs zahlreiche Nutten.«

»Danke, ich weiß selbst nicht, wie ich die vergessen konnte«, stoße ich voller Sarkasmus aus und verschwinde in dem Raum.

»Na gut, ich gehe kassieren und du bewegst dich unter die Dusche.«

»Bis gleich.« Ich schnappe mir meinen Rucksack, danach verschwinde ich in die Mannschaftsdusche, die ich für mich alleine habe. Nachdem ich das Duschzeug rausgeholt habe, ziehe ich mich aus, drehe das Warmwasser an und stelle mich darunter, obwohl es zu Anfang noch kalt ist.

Nachdenklich seife ich meinen Körper ein, ertaste dabei die Narben, die mein Leben in Hutchs Höllenloch hinterlassen hat, und atme tief durch. Ich frage mich immer noch, wie Mom zulassen konnte, dass Ray mich verkauft. Ich hoffe nur, dass er Milly nicht angefasst hat. Mich hat er ständig durch das Haus geprügelt, nachdem ich mich wehrte, war ich ein Mitglied von Hutchs Bluthunden, die seine Feinde oder deren Kämpfer im Käfig zerrissen haben. Manchmal buchstäblich, häufiger wortwörtlich. Ich habe Männer umgebracht, um zu überleben. Ich mordete, um selbst nicht ermordet zu werden, weil ich mich widersetzt habe. Um meine Seele vor dem Feuer der Hölle zu bewahren, helfe ich Reverend Camden so oft in der Kirche. Vielleicht bringt es ja etwas, um meine Seele vor dem Fegefeuer zu retten.

Zwar glaube ich nicht an Gott und all den anderen Firlefanz, den die Kirche mir weismachen will, aber ich bezweifle, dass nach dem Tod alles vorbei ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass unser Leben völlig umsonst sein soll.

Als ich die Dusche hinter mich gebracht und mich abgetrocknet habe, ziehe ich mich an. Ich höre ein weibliches Stöhnen und verdrehe nochmals die Augen. Cash wird sie doch bitte nicht in meiner Umkleide vögeln, oder etwa doch? Ich schnappe mir meinen Rucksack und verlasse die Dusche. »Alter!«, rufe ich aus, weil die Kleine ihn offensichtlich reitet. »Hast du kein Zuhause oder was?«

»Hau ab!«, ruft Cash.

Kopfschüttelnd sehe ich mich nach meinem Geld um, es liegt auf der Bank. Nachdem ich es an mich genommen habe, verlasse ich die Umkleide und laufe in einen Widerstand.

»Au«, stößt sie leise aus, im nächsten Moment gibt es einen dumpfen Aufprall.

Ich sehe vor mich und staune nicht schlecht, weil Camille vor mir sitzt. »Sorry.« Ich strecke meine Hand aus, sie ergreift sie und ich ziehe sie hoch.

»Hast du da drin vielleicht eine Blondine gesehen?«

Ich nicke. »Die wird gerade von meinem Trainer gevögelt, na ja, eher gesagt vögelt sie gerade meinen Trainer.«

Ihre Miene entgleist. »Oh.«

»Ich denke, sie sind gleich fertig.«

»Da kennst du Polly aber schlecht«, sagt sie und ich sehe, dass ihre Wangen sich röten. Sie seufzt schwer. »Dann werde ich mir besser ein Taxi nach Hause nehmen.«

Ich hebe eine Augenbraue. »Wohin musst du?«

»New Jersey.«

»Wir könnten einen Kaffee trinken gehen oder ich kann dich nach Hause fahren.«

Camille sieht mich mit großen Augen an. »Nachdem ich gesehen habe, wie du jemandem das Schmalz aus dem Hirn geprügelt hast, verzichte ich lieber.« Sie entzieht mir ihre Hand und tritt einen Schritt nach hinten.

»Ich werde dir sicher nichts tun, Camille.«

»Woher kennst du meinen Namen?«

»Reverend Camden, er hat uns heute einander vorgestellt«, erwidere ich schlicht.

»Oh, stimmt.«

Ich neige den Kopf. »Also, was soll’s sein? Kaffee oder Taxidienst?«

Seufzend wirft sie einen Blick auf ihre Uhr. »Moment.« Danach umrundet sie mich und hämmert gegen die Tür. »Polly?«

»Ja … Ja … O Gott.«

»Ich glaube nicht, dass das ihre Reaktion auf deinen Ruf war«, merke ich trocken an.

Camille schnaubt unzufrieden. »Okay, ich schreibe ihr eine Nachricht, dass ich mich auf den Heimweg gemacht habe.« Sie räuspert sich. »Wenn du willst, können wir einen Kaffee trinken gehen und ich fahre später mit der U-Bahn.«

»Es ist kein Problem für mich, dich nach Hause zu bringen.«

»Lass uns erst mal einen Kaffee trinken gehen, bevor ich in dein Auto steige und etwas länger nicht rauskomme.«

Ich betrachte sie skeptisch. »Ich weiß nicht, wo hier in Hell’s Kitchen noch ein Café geöffnet hat.«

»Na gut, dann lass uns irgendwo hinfahren, wo ich in die U-Bahn nach Jersey steigen kann.«

»Geht klar«, erwidere ich, obwohl ich von diesem Hin und Her genervt bin. Gut, sie ist es sicher auch, weil ihre Freundin meinem Trainer gerade den Schwanz poliert, aber dafür kann ich genauso wenig wie Camille. Die beiden hätten sich beherrschen können, statt in meiner Umkleide übereinander herzufallen. Ich führe Camille zu meinem Auto, das hinter dem Gebäude steht.

»Kämpfst du hier öfter?«

»Ja.«

»Und du bist ungeschlagen?«

»Auch, ja.«

»Woher kannst du das alles?«, fragt sie weiter, ihre Stimme überschlägt sich beinahe, aber das schiebe ich auf ihre Unsicherheit.

»Darüber möchte ich nicht sprechen«, weiche ich aus und öffne ihr die Beifahrertür. »Steig ein.«

»Danke.« Sie steigt in mein Auto, ich werfe die Tür zu und gehe um es herum.

Als ich hinterm Steuer sitze, schnallt sie sich an. »Kennst du ein gutes Café?«

»In New York?«

»Na ja, dort oder in New Jersey.«

»Ich gehe nicht allzu oft Kaffee trinken, deshalb keine Ahnung, aber letztlich schmeckt er doch überall gleich, solange es nur Kaffee ist.«

Ich schnaube amüsiert. »Alles klar, dann fahre ich uns nach New York City.«

»Okay.«

* * *

»Sollen wir hier einen Kaffee trinken?«, frage ich interessiert, als ich vor einem kleinen Bistro halte.

»Ja, wieso nicht?«

»Keine Ahnung, deshalb frage ich ja«, halte ich amüsiert dagegen.

Camille lacht leise, dann schnallt sie sich ab und steigt aus.

»Das war eindeutig«, seufze ich, würge den Motor ab und steige ebenfalls aus. Nachdem ich den Wagen verriegelt habe, folge ich ihr zu dem Bistro. »Möchtest du auch etwas essen?«

Sie schaut zu mir hoch, als ich vor ihr stehe. »Nein danke, ich wurde von meiner Grandma gemästet, bevor Polly mich abgeholt hat.«

»Ah«, ich nicke, dann öffne ich ihr die Tür.

»Danke.« Sie verschwindet ins Innere, ich folge ihr zu einem Tisch am Fenster und lehne mich zurück. Still betrachte ich sie. »Was möchtest du trinken?«

»Kaffee, groß, schwarz«, antworte ich knapp.

»Okay.«

»Hey, was darf ich euch bringen?«, fragt der Kellner, der zu uns an den Tisch gekommen ist. Er lächelt Camille charmant an, was mir überhaupt nicht gefällt, aber ich halte mich zurück. Auch das Knurren unterdrücke ich.

»Ich nehme einen großen Kaffee, schwarz«, entgegne ich.

»Ich hätte gern einen großen Latte macchiato mit Karamellsirup«, sagt sie und erwidert sein Lächeln sogar.

»Alles klar, bringe ich euch gleich.«

»Danke.« Sie schaut zu mir und diesmal registriere ich die Feinheiten ihres Gesichts. Ihre Haut ist blass, ihre Lippen voll, rot und mit einem sinnlich geschwungenen Amorbogen. Ihre schwarzen Haare sind gelockt und glänzen, obwohl das Licht hier drin echt beschissen ist. »Habe ich etwas im Gesicht?«, möchte sie wissen und wischt mit den Fingern über ihre Wangen.

Ich schüttele den Kopf. »Nein, alles gut, ich war in Gedanken und wollte dich nicht anstarren.«

»Ach so.« Mit den Fingerspitzen tippt sie auf die Tischplatte. »Kämpfst du jede Nacht?«

»Nein, nicht jede.«

»Wie bist du denn dazu gekommen?«

Daraufhin räuspere ich mich. »Ich habe eine Möglichkeit gesucht, meinen Frust abzulassen, dort habe ich sie.«

»Du musst eine Menge Frust schieben, wenn du deine Gegner so zu Brei schlägst. Ich dachte wirklich, dass du ihn umbringst.«

»Wenn man Pech hat, kann das passieren.«

Camilles Gesichtszüge entgleisen. »W-was?«

»Wie ich schon sagte, wenn man Pech hat und der Gegner einen guten Treffer landet, kann es vorbei sein«, wiederhole ich ungerührt.

»Wow.« Sie schaut aus dem Fenster und reibt nervös ihren Nacken. »Ist dir das schon passiert?«

»Nicht in diesem Circle«, antworte ich aufrichtig. Auch wenn Cash öfter sagt, dass ich meine Kontrahenten fast umbringe, habe ich die dortigen vielleicht krankenhausreif, aber nicht ins Grab geprügelt.

»In einem anderen?«

Ich schüttele den Kopf, denn diese Frage möchte ich nicht beantworten. Sie würde mich in einem völlig anderen Licht sehen.

Camille seufzt schwer. »Passiert es öfter, dass Polly und Cash in deiner Umkleide vögeln?«

»Heute war es das erste Mal, aber ich habe keine Ahnung, wie oft die beiden übereinander herfallen«, erwidere ich aufrichtig. »Ich habe Polly heute zum ersten Mal gesehen, wenn ich ehrlich bin.«

»Okay, scheint aber so, als wäre sie häufiger dort, denn sie sagte mir, dass ich unbedingt auf den ungeschlagenen Kämpfer wetten soll, um meine Ersparnisse ein wenig aufzubessern.«

»Du kümmerst dich um deine Grandma, nicht wahr?«

Daraufhin räuspert sie sich. »Woher weißt du das?«

»Reverend Camden ist sehr gesprächig.«

Sie lehnt sich zurück und sieht mich nachdenklich an. »Na ja, ich bin vor drei Jahren zu meinen Großeltern gezogen, um ihnen ein wenig im Haus zu helfen. Die beiden sind alt und da sie auch krank sind, hatte ich mich entschieden, hier in die Konditorschule zu gehen. Inzwischen arbeite ich und mit meinem Lohn entlaste ich meine Grandma ein wenig, da sie keine besonders hohe Rente bekommt. Sie reicht gerade mal, um die Fixkosten zu tilgen, die Einkäufe übernehme ich. Was übrig bleibt, spare ich für meinen Traum.«

»Welchen Traum?«

Camille lächelt, was sie unheimlich gut aussehen lässt. »Ich hätte gern eine eigene Konditorei, aber bei meinen schmalen Ersparnissen, kann das noch lange dauern.« Ihr Lächeln erstirbt und sie senkt den Blick.

»So, hier sind eure Getränke«, sagt der Kellner und stellt sie auf den Tisch. »Möchtet ihr sonst noch etwas?«

»Wir melden uns, falls wir noch etwas brauchen«, antworte ich und sehe ihn vernichtend an, weil er Camille schon wieder auf eindeutige Weise mustert. Ich muss zugeben, es passt mir überhaupt nicht.

»Alles klar.« Er nickt mir zu, anschließend lässt er uns allein.

»Wie viel brauchst du für eine Konditorei?«

»Oh, locker vierzig- oder fünfzigtausend Dollar und damit wären gerade mal die Geräte gedeckt, denke ich.«

»Das ist eine ordentliche Stange Geld«, stelle ich fest.

»Ja, und ich muss eindeutig noch ein paar Jahre warten, um meinen Traum wahr werden zu lassen, aber ich habe mir zum Ziel gesetzt, dass ich ihn begrabe, wenn ich dreißig bin und noch nicht genug Geld zusammen habe«, erzählt sie. »Was machst du eigentlich, wenn du nicht kämpfst?«

»Dann bin ich im Gebäudeschutz tätig, aber im Moment habe ich Urlaub, deshalb war ich am Nachmittag auch in der Kirche, um dem Reverend zu helfen.«

»Bist du oft dort?«

Ich nicke ihr zu. »Ja, wenn meine Zeit es zulässt.«

»Viel beschäftigt also«, stellt sie fest, während sie den Milchschaum von ihrem Latte macchiato löffelt.

»Na ja, ich habe nun mal nicht täglich Zeit und Reverend Camden sagte, dass du noch seltener dort bist als ich«, halte ich grinsend dagegen.

Sie lacht leise. »Ich arbeite nachts und wenn ich die Wochenenden frei habe, möchte ich mich nicht auf eine unbequeme Kirchenbank setzen und mir anhören, woran ich sowieso nicht glaube.«

»Verständlich. Ich glaube auch nicht unbedingt auf diese Weise, sondern auf meine ganz eigene.«

»Und wie sieht die aus?«, hakt Camille interessiert nach.

»Ich habe ziemlich viel Scheiße erlebt und glaube nicht, dass Gott existiert, das können einfach keine Prüfungen gewesen sein. Ich gehe fest davon aus, dass nach dem Tod nicht alles vorbei ist, aber ich zweifle eben an dem alten Kerl, der auf einer Wolke sitzt und ein Auge auf uns hat.«

»Auf diese Weise glaube ich auch nicht an Gott, aber ich denke, es gibt eine höhere Macht. Irgendwo müssen wir ja herkommen.«

»Stimmt, aber Charles Darwin hatte ein paar sehr interessante Antworten darauf, womit die Bibel schon mal ein definitives Märchen erzählt«, stimme ich amüsiert zu.

Wieder lacht sie, diesmal etwas lauter. »Das ist wohl wahr.« Camille trinkt etwas von ihrem Latte macchiato und stellt das Glas ab.

Als sie mich ansieht, verkneife ich mir das Lachen. »Du hast da was«, dabei deute ich auf meine Oberlippe.

»Oh«, stößt sie aus, wischt ihren Milchbart weg und schenkt mir ein breites Lächeln.

---ENDE DER LESEPROBE---