Retorno - Rüdiger Schneider - E-Book

Retorno E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Der 62-jährige Hans Walkenrieder liebt die herbstliche Aura älterer Frauen. Ganz im Gegensatz zu seinem Freund und Nachbarn Fernando Ferrari, der nichts über dreißig in sein Haus lässt. Die Geschichte spielt im brasilianischen Porto Alegre und steigert sich zu einem rasanten Finale.

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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

1

„Panela velha é que faz comida boa!“ – Ein alter Topf macht gutes Essen!

Dieses brasilianische Sprichwort hatte ich eines Abends zu meinem Freund Fernando Ferrari gesagt. Wir saßen draußen auf der Terrasse am Rio Guaíba und sprachen über die Gefahren der Erotik. Fernando hatte über meinen Spruch gelacht und gekontert: „Das Auge bleibt jung! Und mein Verhalten auch. Solange sich süße, junge Mäuse zu mir legen, bin ich dabei. Sei du mit deiner Alten zufrieden. Ich brauche etwas Wildes, Frisches.“

Ich erzählte ihm von Nabokovs ‚Lolita‘, wo die Anbetung einer jungen Nymphe tragisch endet, erzählte ihm auch von der Lächerlichkeit Goethes, der mit 74 Jahren einer Neunzehnjährigen einen Heiratsantrag gemacht hatte. „Immerhin“, so ergänzte ich, „sind so die Marienbader Elegien entstanden. Mit dem schönen Satz: ‚Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.‘ Pass auf, dass es dir nicht genauso geht oder noch schlimmer!“

Aber Fernando hatte da nur gelacht und abgewunken und gemeint: „Du kennst noch nicht die Schönheit, die einen verwundet und der man nicht widerstehen kann.“

„Will ich auch gar nicht kennenlernen“, hatte ich geantwortet. „Für mich ist es schön genug, im ersten Licht des Tages aufzustehen, mit einer Tasse Kaffee auf der Terrasse zu sitzen und den roten Hibiskus vor blauem Himmel zu sehen. Die Komplikationen, die du dir aufhalst, brauche ich nicht.“

Der Satz ‚will ich auch gar nicht kennenlernen‘ war nicht ganz richtig. Er hätte heißen müssen: ‚Will ich nicht mehr kennenlernen.‘ Denn ich erinnerte mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren, als ich einen Job für das Goethe-Institut in Bangkok angetreten hatte und die erste Zeit bis zum Einzug in ein Appartement im ‚Oriental‘ am Chayo Phaya gewohnt hatte. Da war an einem der Abende eine wunderschöne Thai, gekleidet in einem roten Sarong, an der Bar. Wir haben zusammen Mekongwhisky getrunken, gelacht, erzählt, und dann ist sie mit auf mein Zimmer gekommen. Ich habe das Radio eingeschaltet. Da kam der Song, den ich seit dieser Nacht nie mehr vergessen kann. ‚Das Model‘ von Kraftwerk. Ja, die Schönheit dieser Nacht hat mich verwundet, verwirrt. Ich kannte nur ihren Vornamen. Chantrapa. Am Morgen war sie verschwunden. Ich habe sie wochenlang gesucht und nicht mehr gefunden. In der Erinnerung aber ist sie geblieben als ein Erlebnis einer außergewöhnlich schönen Femininität. Oh ja, ich verstand genau, was Fernando Ferrari da gesagt hatte.

2

Verzeihung! Bevor ich sowohl Leser wie auch Leserinnen mit ersten erotischen Überlegungen überfalle, hätte ich mich zunächst vorstellen müssen. Ein Versäumnis, das ich hier nachhole. Fernando Ferrari folgt danach. Ebenso der Hauptort der Handlung.

Also, mein Name ist Hans Walkenrieder. Ich bin 62 Jahre alt, habe noch drei weitere bis zum Eintritt in eine bescheidene Rente. Man könnte mich als abgebrochenen Beamten bezeichnen, ich meine, einen Beamten mit abgebrochener Laufbahn. Mit 32 hatte ich meine Verbeamtung, die mir ein sicheres Leben garantiert hätte, erreicht. Aber dann ließ mich ein gütiges Schicksal einen folgenschweren Fehler begehen. Ich war Kunsterzieher an einem Münchener Gymnasium, hatte es über die Anstaltsarbeit hinaus sogar zu zwei Kunstausstellungen gebracht, bei denen meine abstrakten Acrylbilder sehr gelobt worden waren. Ich gebe zu: Ich fühlte mich geschmeichelt, was indes zu einer verwegenen Hybris führte. Ich wollte nicht nur unterrichten und malen, sondern es mit einem Skandal den angesehensten Malern gleichtun. Wie macht man das? Nun, indem man sich wie Gauguin ein junges Mädchen in die Hütte holt. Ich fand eine meiner Schülerinnen außergewöhnlich hübsch und mit ihren 15 Jahren ziemlich attraktiv. Sie hieß Claire und ließ erkennen, dass auch sie ein gewisses Interesse an mir hatte. Unter irgendeinem Vorwand erschwindelte ich mir ein Attest, das mich für eine Woche vom Dienst befreite, konnte Claire überreden, mit mir nach Sizilien zu fahren. Sie war noch Jungfrau, hatte bald aber viel Spaß. In Palermo machte sie allerdings den Fehler, ihrer besten Freundin, die ich ebenfalls unterrichtete, eine Ansichtskarte zu schicken. Mit dem Text: „Weißt du, mit wem ich auf Sizilien bin? Huhu! Mit unserem Kunstlehrer!“ Ihren Eltern hatte Claire etwas von einer Klassenfahrt erzählt. Was natürlich irgendwie stimmte, auch wenn der Teilnehmerkreis eng begrenzt war. Wegen der unbedachten Karte ist alles rausgekommen. Ich hätte in Palermo besser aufpassen müssen, was und an wen sie schreibt. Sie hätte überhaupt nicht schreiben dürfen. Aber im Taumel süßer Nächte und mit ein paar Litern Wein zuviel war ich zu sorglos gewesen. Das dicke Ende kam bald danach. Disziplinarverfahren wegen dreierlei oder sogar viererlei Vergehen. Unerlaubte Entfernung vom Dienst, eine vorgetäuschte Erkrankung, Verführung einer Minderjährigen, Sex mit einer Abhängigen. Es half nicht, dass ich argumentierte, Claire habe eigentlich mich verführt. „Mit ihrer Schönheit und dem Willen zur Lust ist sie ein Luder“, sagte ich. „Ich bin das Opfer. Nicht sie.“

Es half nicht. Ich wurde entlassen. Aber der liebe Gott, der den Sex ja geschaffen hat, hatte ein Einsehen. Ich konnte einen Fortbildungskurs machen für DaF, Deutsch als Fremdsprache, und wurde bald darauf Angestellter des Goethe-Instituts, das Filialen in aller Welt betreibt. So kam ich in südostasiatische Länder, nach Bangkok, Kuala Lumpur, Singapur und dann nach Südamerika, nach Kolumbien und schließlich Brasilien. Das Schicksal hatte es gut mit mir gemeint. Statt an einer deutschen Anstalt zu versauern, lernte ich andere Länder und Kulturen kennen und konnte mich auch am Temperament, am Charme, der Lebenslust und der Schönheit der Frauen erfreuen.

Claire ist nichts passiert. Aus ihr ist eine schöne Frau mit Erfahrung geworden. Ihr Vater, übrigens Staatsanwalt am Münchener Amtsgericht, hat noch nicht einmal mit ihr geschimpft, sondern nur kopfschüttelnd gemeint: „Was willst du mit so einem alten Sack!?“ Dass meine Angelegenheit von vorneherein schlecht stand, wird man bei seinem beruflichen Status und Einfluss leicht einsehen können. Immerhin war er so fair, mich ohne das Prädikat ‚vorbestraft‘ davonkommen zu lassen, so dass ich mir jederzeit ein unbelastetes polizeiliches Führungszeugnis ausstellen lassen konnte.

Mit zunehmendem Alter wandelte sich mein Verhältnis zu Frauen. Anders als Fernando Ferrari jagte ich in der Regel nicht mehr hinter jüngeren her, sondern bekam eine Vorliebe für ältere. Ich liebte ihre herbstliche Aura, diese noch einmal aufblühende, etwas melancholische Schönheit vor dem Weg in die endgültige Vergänglichkeit.

3