Sandra Sanddorn - Detlef Schumacher - kostenlos E-Book

Sandra Sanddorn E-Book

Detlef Schumacher

0,0
0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sandra, angehender Teenager, stellt in amüsanten Kurzgeschichten sich, ihre Familie und Verwandten sowie Einwohner des Dorfes vor, in dem sie lebt. Ihre Gedanken gelten vor allem der Liebe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Detlef Schumacher

Sandra Sanddorn

Meiner lieben IngridBookRix GmbH & Co. KG81371 München

Ich über mich

Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war itch weiblich und bin es 13 Jahre später immer noch. Das sage ich deshalb, weil sich manche Frauen in Männer umwandeln lassen. Umgekehrt passiert das auch.

Außerdem bin ich eine Frühgeburt, da ich um fünf Uhr früh geboren wurde. Noch vor dem ersten Hahnenschrei. Unser Hahn schreit um 6 Uhr morgens.

Kaum gewindelt, wurde mir der Vorname Sandra zugeteilt. Ohne mich zu fragen, ob er mir gefallen würde. Sandra wäre zu meiner Geburtszeit modern gewesen. Behauptete meine Mutter. Tatsache war aber, dass vor meiner Zeugung viel Sand für Bauzwecke verarbeitet wurde. Ich kann mich also glücklich schätzen, nicht Zementa zu heißen.

Mein Vater behauptete, wenn er mich geboren hätte, wäre ihm ein Junge gelungen. Den hätte er Otto genannt. Dieser Name sei unverwechselbar. Man könne ihn von vorn nach hinten und wieder nach vorn lesen. Enttäuscht, dass ich weiblichen Geschlechts geworden war, wollte er mich Ottilie nennen. Das ging Mutti gegen den Strich. Ein so altmodischer Name komme ihr nicht in den Stammbaum. Papa begehrte auf, fügte sich aber, weil in wichtigen Familienangelegenheiten Mama das letzte Wort hat. Schließlich heißt unsere Sprache Muttersprache.

Als ich Monate später auf eigenen Beinen stehen konnte, brachen Mutti und meine Großeltern in Jubellaute aus. Vati jubelte nicht. Er hätte meine Beine lieber als Fußballerbeine gesehen.

Im Kinderwagenalter bedachte man mich mit Lauten wie „Hutzi-Butzi-Schnutzi“, „Fratzi-Schatzi-Schmatzi“, „Scheißerle“ u. ä. persönlichen Beleidigungen. Daran will sich heute niemand mehr erinnern.

Als ich kund tat, dass ich meinen Säugling nicht so verschandeln werde, brach die Hölle los. Mutti tastete meinen Leib ab, ob ich schwanger sei. Oma zeterte, dass in ihrem Alter keine Schwangerschaft stattgefunden habe. Weil Opa grinste, verbesserte sie, in ihrem kindlichen Alter.

Im zarten Alter von sechs Jahren war ich schulreif. Da mich niemand über die unerfreulichen Folgen des Schülerdaseins informiert hatte, freute ich mich. Vor allem über die voll gestopfte Zuckertüte. Sie strotzte von Karieserregern und Dickmachern. Keinen der ABC-Schützen bedrückte der ungesunde Inhalt der Zuckertüte. Die glücklich strahlenden Eltern auch nicht. Selbst die Lehrer guckten glücklich drein, obwohl sie keine Zuckertüte erhalten hatten. Nachdem ich die ersten fünf Schuljahre erfolgreich absolviert hatte, richteten sich meine Interessen auf das andere Geschlecht. Ein Angehöriger des anderen Geschlechts saß neben mir und hieß Moritz. So benahm sich der Knabe auch. Wann immer er den Lehrern missfallen wollte, missfiel er. Mir missfiel er nicht. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal spürte ich den sanften Hauch der Liebe. Als ich Moritz deshalb genauer ins Auge fasste, guckte er böse zurück und fragte: „Was glotzt du so blöde, doofe Ziege?“

Diese Frage hätte meine Liebe zu ihm erkalten lassen müssen, tat es aber nicht. Frauen hoffen ja bis ans Lebensende auf die Erfüllung ihrer großen Liebe. Also auch ich.

Moritz zertrat das aufkeimende Pflänzchen meiner Liebe zu ihm dann völlig durch weitere grobe Äußerungen. So spottete er über mein Aussehen: „Grüne Augen Froschnatur, von der Liebe keine Spur.“ „Rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen.“

Ich schluchzte, er lachte. Männer sind ja so brutal und herzlos. Das erfuhr ich somit zum ersten Mal.

Mein Kummer trieb mich in die Arme meiner Mutti, die ich fragte, weshalb sie mich mit Sommersprossen versehen habe. Den Vorwurf schob sie auf Vati. Der leitete ihn an Oma weiter. Die übergab den Sommersprossenursprung an Opa. Der meinte scherzhaft: „Von mir kommen sie nicht, Sandra. Dir haben Fliegen aufs Gesicht geschissen.“

Ich fühlte mich gedemütigt. Doch nur bis zu dem Tag, an dem ein weiterer Jüngling meinen Weg kreuzte. Er sei von meinem Aussehen behext, sagte er. Ich ähnele der Hexe Huckelbuckel, in die er vernarrt sei, weil er Horrorfilme liebe. Unsere Liebe zerbrach, als er wegen psychischer Störungen in ein Krankenhaus kam.

Inzwischen bin ich stolz auf mein Aussehen, denn die Kreiszeitung unseres Kreises druckte mein Antlitz auf der letzten Seite ab. Unter dem Farbfoto stand „Grüne Augen, rotes Haar - Grünerts Haarspray wunderbar!“

Mit dem geringen Honorar für diese Werbung kaufte ich mir eine Barbie-Puppe.

ABC-Schützen

Dass deutsche Richter auch unschuldige Verbrecher verurteilen, ist bekannt. Ein Beispiel soll das  plausibel machen.

Mein Mitschüler Paul, der den Spitznamen Granaten-Paul trägt, hatte vorige Woche den Kopf eines Türken mit einer Bierflasche beschädigt und dabei gerufen: „Deutschland erwache!“

Frau Schluckspecht, unsere Biologielehrerin, informierte uns über diesen Vorfall und auch darüber, dass Paul der Schule fernbleiben müsse, da er vorübergehend Unterkunft in einem Untersuchungsgefängnis gefunden habe. Meine Klassenkameraden nahmen diese Mitteilung mit Erleichterung auf. Ich aber machte mir besorgte Gedanken, denn Paul war dreimal eingeschult worden. Beim dritten Male mit mir.

In seiner Zuckertüte, die von Süßigkeiten wieder strotzte, befand sich auch eine Wasserpistole, mit der er uns Schulanfänger und unsere Lehrerin sogleich bespritzte. Als ihn sein Vater darauf hinwies, dass man so etwas nicht machen dürfe, antwortete er ganz unbekümmert, dass er als ABC-Schütze das Recht habe, schießen zu dürfen. Er fügte hinzu, dass er als Erwachsener mit einer richtigen Knarre ballern werde.

Der Papa tätschelte ihm liebevoll die Pausbäckchen, denn er war stolz auf sein pfiffiges Söhnchen. Auch die Mutter tätschelte stolz, denn ihr war eine Geburt gelungen, die später einmal irgendwo für den Frieden der Welt auf Wacht stehen werde.

Jetzt sitzt diese Geburt - Frau Schluckspecht formulierte vorsichtig „Ausgeburt“ - wegen Missbrauchs einer Bierflasche im Kahn und veranlasst mich zum Nachdenken über sein Tun. Ich kann nicht begreifen, dass man einen jungen, zukunftsfrohen Menschen eingesperrt hat, nur weil er sein Vaterland aus dem Schlaf rütteln will. In Deutschland gibt es schließlich genug Penner. Ein anderer Grund, weshalb ich über Paulchen nachdenke ist, dass er noch kein Bier trinken sollte. Sein Alter, sein Vater also, konsumiert von dieser Flüssigkeit reichlich.

Sollten die Richter Paul nur deshalb verurteilen, weil er auf dem besten Wege ist, ein Alkoholiker zu werden, dann begrüße ich seine vorübergehende Inhaftierung. Die Aufpasser werden sicherlich darauf achten, dass Paul nur mit solchen Menschen in Berührung kommt, die ebenfalls wegen Alkoholmissbrauchs eingelocht worden sind. Vielleicht wird aus ihm ein Antialkoholiker, der eine leere Bierflasche nicht als Schlagzeug benutzt, sondern sie wie jeder vernünftige Mensch als Pfandflasche ins Geschäft bringt.

Der letzte Gedanke, der mit Paul im Zusammenhang steht, gilt mir als künftiger Mutter. Meinen Kindern, die irgendwann einmal das Licht der Welt erblicken werden, lege ich keine Waffe in die Zuckertüte. Welchen Eindruck sollen die Eltern der Schulanfänger von mir bekommen, wenn mein Nachwuchs Mitschüler mit einer Wasserpistole benetzt.

„Wer als Kind zur Wasserpistole greift, greift als Erwachsener zur Maschinenpistole“, verkündete Pastor Frommel während eines Gottesdienstes, der wie üblich schwach besucht war.

Oma, die Bibel und ich

Für mich steht fest: Oma ist eine kluge Frau, die in ihrem Leben allerhand hinter sich gelassen hat.  Aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters hat sie zunehmend den Wunsch, nach dem Dahinscheiden in den Himmel zu kommen. Jeden Abend bittet sie den lieben Gott, er möge das vorausschauend in die Wege leiten. Ich folge ihrem Beispiel und bitte den Herrn da droben, er solle mich in hundert Jahren auf eine Wolke transportieren. Von der könnte ich dann immer auf meine Nachkommen hinabblicken.

Als Oma von meiner Unterhaltung mit dem lieben Gott erfuhr, war sie sehr beeindruckt. Sie meinte, ich gebe ein gutes Beispiel für die Kinder des Dorfes. Die seien nicht so gottesfürchtig. Ich erwiderte, dass ich Gott auch nicht fürchte.

Sie lächelte mild und sprach, dass man Gott nur fürchtet, wenn man ihn liebt. Das begriff ich nicht und erklärte, dass ich mich vor einem Gewitter fürchte, Blitz und Donner aber nicht liebe. 

Oma behielt ihr Lächeln, strich mir mit zitternder Hand übers Haar und sagte: „Kindchen, das Gewitter wird vom Herrgott gemacht. Für alles, was geschieht, ist er verantwortlich. Dafür müssen wir ihm dankbar sein.“

Das erstaunte mich. Dann wäre er ja Schuld an den vielen Kriegen. Müsste man ihm dafür dankbar sein?  

Oma nahm ihn in Schutz und sagte: „Seine Wege sind wunderbar.“  

Das veranlasste mich zur kritischen Bemerkung, dass er sich bei der Schaffung unserer holprigen Dorfstraße keine besondere Mühe gegeben habe.

„Du musst noch viel lernen, Sandra“, meinte Oma und nahm ihre zittrige Hand von meinem Haupt. „Ich empfehle dir, dich mit der Bibel vertraut zu machen.“               

Das tat ich, ermüdete aber schon bei der ersten Seite. Aus den Sätzen wurde ich nicht klug. Ich blätterte weiter, um eine interessante Stelle zu finden. Das mache ich auch mit anderen Büchern so, vor allem mit der Pflichtliteratur, die uns der Deutschlehrer aufbrummt. Wenn ich glaube, die Schwarte enthält keine Liebesszenen, lese ich nur die letzte Seite. Mit der Bibel ging ich behutsamer um, weil sie ein heiliges Buch ist. Vielleicht beobachtete mich der liebe Gott,  um festzustellen, ob ich sie auch so nachlässig behandele wie die Pflichtlektüre. Wenn ich glaubte, sein Blick ruht auf mir, guckte ich auf irgendeine Seite der Bibel und tat so, als würde ich andächtig lesen. Damit er auch hörte, wie mich die Bibel fasziniert, rief ich in bestimmten Abständen: „Mann o Mann ist das spannend!“ oder „Echt geil diese Formulierung!“ oder „Diese Hinweise sollte mal der Bürgermeister lesen, dieser Paragraphenhengst!“ oder „Diese Aussagen sind echt erotisch!“   

Meine Bibel-Bemerkungen vernahm auch meine Mama, die in der Küche wirtschaftete.

„Was schreist du für Blödsinn, Sandra?“ fragte sie lieblos.

„Ich bekunde meine Begeisterung für die Bibel“, erwiderte ich freudig erregt, um anzudeuten, dass mich die Sätze angenehm berührt hätten. „Der liebe Gott wird  Wohlgefallen an mir finden und mich in hundert Jahren auf einer Wolke sesshaft machen.“

Mama errechnete, wie alt ich dann bin.

„Du bist dann 113 Jahre alt. So alt ist nur Methusalem geworden“, verdarb sie mir die Lebens- und Bibellust.

„Neuerdings können auch normale Menschen ein hohes Alter erreichen“, erklärte ich. „Das passiert, wenn sie regelmäßig Obst essen und ihren Obstulus an den Herrn Pfarrer entrichten. Das hat ein Mann im Fernsehen behauptet.“

Mein Wissen beeindruckte Mama überhaupt nicht. Sie drehte sich um und entschwand in die Küche. Vorher ließ sie noch den gottlosen Satz fallen: „Du solltest nicht in der Bibel, sondern in den Lehrbüchern lesen.“

Oma wäre dieser bibelfeindliche Spruch nie über die Lippen gekommen.

„Die Bibel ist und bleibt der Bestseller“, verkündete Pastor Frommel in einer Bibelstunde. Damit hatte er natürlich recht, denn dem lieben Gott wäre niemals eingefallen, den Christen ‚Harry Potter’ anzudrehen.

Bis es aus den Ohren läuft

„Als wir die Höhen des Sozialismus erklommen“, sagte Papa wehmütig, nachdem er und Opa in einer Schweigeminute der verendeten DDR gedacht hatten, „da wussten wir noch, wo’s lang geht.“

Beide ertränkten ihren Schmerz mit dem Inhalt einer Flasche Doppelkorn, die Opa vor Omas wachsamen Augen  verborgen gehalten hatte.

„Ja, ja“, sagte Opa. Mehr nicht, weil ihm der Alkohol die Sinne trübte.

Papa berührte nun einen anderen wunden Punkt seines Lebens. Lallend verkündete er, dass er gern der Zeit gedenke, als er Aktivist der sozialistischen Arbeit geworden war. Ein einziges Mal sei ihm das geglückt. Eigentlich hätte er viel öfter dran sein müssen, aber Hugo Habicht, dieser Schweinehund, habe ihm die Ehrungen immer weggeschnappt. Der sei ein ganz gerissener Genosse und schleimiger Arschkriecher gewesen.

„Ja, ja“, brabbelte Opa wieder und schüttete sich einen weiteren Korn in den Hals.

Im weiteren Verlauf der Gedenksitzung, an der ich teilnehmen durfte, lobte Papa die DDR über alle Maßen. Das klang so, als wäre er mit ihr verheiratet gewesen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er davon sprach, dass wir den Gipfel des Sozialismus längst erreicht hatten Von dem habe uns der böse Kapitalismus dann geschubst. 

Oma kam ins Zimmer geschlurft und fragte unfreundlich, als sie die Pulle Doppelkorn sichtete, ob wir uns wieder dem Trunke hingäben. Ich sagte, ich sei nur hier, um anschließend die Schnapsleichen zu entsorgen.

Sie meckerte: „Es ist immer das Gleiche mit euch. Kaum hockt ihr beisammen, schon wird gepichelt, bis es aus den Ohren läuft.“

Ich erwähnte, dass Beide beim Erklimmen der Höhen des Sozialismus Durst bekommen hätten. Das wollte Oma nicht einsehen. Sie schnappte den Durstlöscher und verschwand. Das stimmte Papa und Opa noch schwermütiger. Sie beklagten den zunehmenden Verlust an Menschlichkeit auch bei Oma.

 „Typisch Kapitalismus!“ brabbelte Papa, und Opa nickte.  Weil ich Oma sehr mag, verteidigte ich sie vor der Anschuldigung. „Wenn wir Oma nicht hätten, hättet ihr keine gestopften Strümpfe.“                                                                                                             

 Papa maulte: „Wenn sich Erwachsene unterhalten, hast du den Mund zu halten, Sandra!“

 Dann sank sein Haupt auf die Tischplatte. Opas Kopf auch. Dann schnarchten beide so laut, dass die Holzwürmer glaubten, der Tisch werde zersägt.

 Weil mein Erzeuger mich ungerecht behandelt hatte, entfernte ich ihn nicht aus dem Wohnzimmer. Auch Opa ließ ich links liegen. So verging der Nachmittag. Weil mir nichts Vernünftiges einfiel, begab ich mich in mein Zimmer und erledigte die Schulaufgaben. Dabei stellte ich wiederholt fest, dass sich die Lehrer wenig Gedanken machen, wie wir Schüler uns Gedanken machen müssen. Deshalb werde ich meinem Klassenlehrer morgen eine knifflige Frage stellen, die ihm hoffentlich Kopfzerbrechen bereitet. Sie ist eine reine Rechenaufgabe und lautet: Wie viel ist drei Packen minus zwei Packen? Stolz wird er antworten: „Einpacken!“

 Das werden wir Schüler dann auch tun. Hin und wieder muss man die Pauker zum Nachdenken anregen.

Fernsehen nah betrachtet

Nun wende ich mich dem Fernsehen zu. Es ist in der Lage, viele Menschen in seinen Bann zu ziehen. Auch meine Oma zieht es. Jeden Abend verfolgt sie das Geschehen auf dem Bildschirm. Nach geraumer Zeit entschlummert sie jedoch. Nur dann nicht, wenn Formel I über den Bildschirm rast. Dann benimmt sie sich, als würde sie neben Sebastian Vettel im Rennauto sitzen. Ihm gibt sie ständig Hinweise, wie er fahren soll. Wir begreifen nicht, dass eine betagte Frau, der der Tod verführerisch zublinzelt, Gefallen an diesen überhöhten Geschwindigkeiten findet. Wenn wir im eigenen Auto unterwegs sind und Papa tüchtig aufs Gas drückt, plärrt sie wie von Sinnen: „Warum rast du so, Friedhelm? Willst du mich ins Grab bringen?“

An uns denkt sie diesbezüglich nicht. Fanatisch wird sie auch, wenn auf dem Bildschirm ein Mensch namens Florian Silbereisen erscheint. Kaum hat der den Mund zum Singen geöffnet, klatscht Oma begeistert in die Hände. Sein Jodeln verglich ich mal mit dem Gejaule unseres Hofhundes Rex bei Vollmond. Das nahm mir Oma übel.

„Eigentlich bin ich froh, nicht mehr jung zu sein“, versuchte sie, mir die Freude an meiner jugendlichen Existenz zu vermiesen. „Heutzutage wird doch nur noch gehascht und Sex gemacht.“

Ich nahm meine Generation in Schutz und sagte, dass Sex mehr Spaß mache, als mit Sandformchen ‚Backe, backe Kuchen’ zu spielen. Sie meinte, dass in ihrer Jugend auch gehascht wurde, aber nur um Bäume, Büsche oder Häuser herum. An Sex habe dabei keiner gedacht. Als ich fragte, wie alt sie zu diesem Zeitpunkt war, antwortete sie: „Sechs!“

 „Na bitte“, sagte ich und ließ sie mit Florian Silbereisen allein.

 Opa guckt sich solchen Schwachsinn nicht an. Er schenkt dem Fernsehen seine Aufmerksamkeit nur dann, wenn Fußballer oder leicht bekleidete Ballerinen zu sehen sind. Er liebt Bälle. Deshalb kam es in der Vergangenheit einige Male zu Auseinandersetzungen zwischen den Großeltern. Wenn Opa Ballerinen gucken wollte, saß Oma schon vor der Glotze. Weil Papas Interessen ähnlich gelagert sind wie die seines Vaters, kaufte er ein Zweitgerät. Das steht seitdem im Keller. Vor dessen Bildschirm benehmen sich beide Männer wie kleine Kinder, wenn irgendjemand ein Tor geschossen hat.

Auch Mama stellt gewisse Ansprüche ans Fernsehen. Voller Hingabe verfolgt sie Krankenhaus- und ähnliche Unfallserien. Dabei hat sie immer feuchte Augen. Weil Papa seine Ruhe haben wollte, schenkte er ihr ein Gerät, das als Drittgerät im Schlafzimmer steht. Hier kann Mama  flennen, bis ihre Tränendrüsen versiegt sind.

 In meinem Jungferngemach befindet sich das Viertgerät. Es ist auf RTL eingestellt. Die Sendungen dieses Senders widmen sich ausschließlich der Jugend von heute. Aufregend finde ich Talk-Shows, in denen sich die Gesprächspartner Wörter um die Ohren hauen, dass einem schlecht werden kann. Hier widerspiegelt das Fernsehen das wahre Leben mit allen Nuancen, wie es im Bett oder außerhalb desselben stattfindet. Reizvoll sind auch die Werbesendungen, die darauf aufmerksam machen, was es  zu kaufen gibt. In unserem Dorf wüsste sonst niemand, wie reichhaltig das Warenangebot in Deutschland ist. In Emma Meckers Emma-Laden lagern nämlich auch Ladenhüter mit überschrittenem Verfallsdatum. So zum Beispiel Tempo-Linsen mit der Aufschrift 'Made in DDR'. In ihnen sind also schon Maden.

 Wenn ich vom Fernsehen den Kanal voll habe, höre ich mir CDs an. Ein Hit aus vergangenen Zeiten gefällt mir besonders. Er lautet ‚Ich find’ dich Scheiße!’ Damit beweist sich, dass die heutige Musik lebensnah ist und darauf hinweist, wie es wirklich ist. Nicht so unwirklich wie in Omas Lieblingsschnulze ‚Bei mir bist du schön'.

Ein Fernsehabend mit Puffreis

Weil sich das Fernsehen bemüht, viele Stunden unseres Alltags zu bereichern oder zu versauen, will ich ihm noch einige Gedanken widmen. Oft sind Filme zu sehen, die so gruselig sind, dass ich froh bin, zu Hause zu wohnen und nicht in London oder Chikago.

Neulich wurde ein volljähriger Kriminalfilm durch den Äther geschickt. Den durfte ich mitgucken, weil ich versprochen hatte, Herrn Wuffke nicht mehr Kiebitz zu nennen. Herr Wuffke gehört wie Papa zur Skatrunde, die jeden Freitagabend in der Kneipe tagt. Wuffke ist Papas bester Freund, weil er hinter den anderen Spielern steht und Papa heimlich Zeichen gibt, welche Karte er zücken soll oder nicht. Wegen dieser Machenschaft protestierten die anderen Skater und verlangten Wuffkes Ausweisung aus dem Lokal. Damit war Papa nicht einverstanden. Er erklärte, dass er dann nicht mehr mitspiele. Etwas Schlimmeres hätte er nicht äußern dürfen. Skat zu Zweit mache ebenso wenig Spaß wie Fremdgehen ohne Geliebte, meint Papa.

Ich durfte also am geselligen Fernsehabend teilnehmen, der ausnahmsweise im Wohnzimmer vor Omas Gerät stattfand. Wir lieben Krimis und den dazugehörigen Verzehr von Knabbergebäck, Süßigkeiten und ähnlichen Karieserregern. Unser Hofhund verhindert während dieser Zeit das Eindringen von Dieben, Bankräubern, Kindesentführern, Sexualstraftätern und ähnlichem Gesindel. Als der Kriminalfilm dem Höhepunkt zustrebte und die Kriminalisten kurz vor der Entdeckung des Mörders standen, sagte Oma, dass sie den Fernseher jetzt ausschalten werde, weil sie Angst habe.  

 Da ging was los im Wohnzimmer. Papa sagte entrüstet, dass Krimis bis zum Schluss geguckt werden müssen. Nur so erfahre man, wer die Leiche getötet hat. Solche Filme seien auch lehrreich, weil sie darüber informieren, wie man selbst dran glauben könnte. Daraufhin bekam Mama Muffensausen. Papa brachte sein ganzes Geschick auf, um die Frauen zu beruhigen. Das gelang ihm aber nicht. Deshalb beendete Opa den Aufruhr. Er warf Oma die halb geleerte Puffreistüte an den Kopf. Die glaubte, man habe auf sie geschossen. Die mit buntem Puffreis bestreute Auslegware sah aus wie eine Frühlingswiese. Papa, der wütend über sie dahinstapfte, hinterließ puffende Geräusche. Mama schrie „Hilfe!“, weil sie glaubte, er hätte eine Selbstschussanlage in Gang gesetzt. Ich bückte mich, sammelte die unbeschädigten Puffreise ein und führte sie meiner Verdauung zu.

Der Fernsehabend nahm dann doch noch einen guten Verlauf, denn Oma hing ohnmächtig im Sessel und konnte deshalb die Fernbedienung nicht bedienen. Weil ich zugegen war und Mama noch immer ängstlich zitterte, wertete Papa den Krimi aus. Er sagte, dass man den letzten Worten des gemeuchelten Mannes aus ganzem Herzen zustimmen könne, als der beim Anblick des eindringenden Mörders gerufen habe: „Nicht mal in Ruhe Kaffee trinken kann man!“

Nur Opa wollte die Nützlichkeit des kriminellen Fernsehens nicht einsehen und erklärte, dass nach allen bisher gezeigten Mord- und Totschlägen kein Mensch mehr auf  Erden sein müsste. Ich sagte, dass es auch beim Fußball hin und wieder zu lebensbedrohlichen Ausschreitungen komme. Papa forderte mich auf, schleunigst zu Bett zu gehen.

Politik und Pädagogen

Manche Männer behaupten, Frauen hätten von Politik keine Ahnung. Ich interessiere mich für das Weltgeschehen. Deshalb kann niemand behaupten, ich sei eine blöde Gans. Ganz so blöd wie meine Freundin Adelheid bin ich jedenfalls nicht. Weil sie dumm wie Bohnenstroh ist, sollte man ihr verbieten, Kinder zu gebären. Die würden  genau so beschränkt sein wie sie. 

Adelheid ist nicht nur doof, sondern auch geil. Mit ihrem Freund Harry übt sie jetzt schon die Kinderherstellung, obwohl sie noch minderjährig ist. Harry war vorher mein Freund. Ich trennte mich von ihm, weil er meinem Bildungsniveau nicht mehr entsprach. Seit drei Jahren besucht er schon die sechste Klasse und ist darauf noch stolz.

 „So umgehe ich die Hartz IV-Empfängnis“, meint er.

 Ich werde voraussichtlich in die siebente Klasse versetzt, weil ich meine Fähigkeiten als Schülerin der sechsten Klasse erneut unter Beweis stelle. Meine Mama hat den geplanten Versetzungsprozess mit zwei Körben voller Süßkirschen begünstigt. Der Klassenlehrer wollte sie eigentlich nicht annehmen, weil er befürchtete, wegen Korruption in den Knast zu kommen. Als Mama eine Stiege Mischobst hinzufügte, waren seine Befürchtungen beseitigt.

 Papa vertritt die Meinung, dass den Paukern hin und wieder Mut gemacht werden muss, damit sie die Lust am Lehren nicht verlieren. Sie glichen ohnehin dem Pfahl, an dem sich jedes Schwein scheuern darf.

 „Ich bin froh, kein Pädagoge zu sein“, betonte Papa, „ich würde wegen Kindesmisshandlung sofort vor den Richter kommen.“

 Über diese und ähnliche Brennpunkte des täglichen Lebens unterhält sich Papa manchmal mit Opa und einem Kasten Bier. Mit jeder geleerten Flasche nähert sich ihr Gesprächsstoff der guten alten Zeit. Wenn dabei der olle Kaiser berührt wird, beginnt Opa zu schluchzen. Seinen Augen entrinnen Tränen, weil sein Opa ein Säugling war, als der geliebte Kaiser Wilhelm vom Thron geschubst wurde.

 Ich darf an solchen politischen Gesprächen teilnehmen, weil ich beide anschließend ins Bett bringen muss. Vom Alkoholgenuss halte ich mich jedoch fern, denn Bier macht dumm. Diese Aussage traf die Biologielehrerin Frau Schluckspecht. In einer zurückliegenden Bio-Stunde stellte sie die Behauptung auf, dass die Natur eigenen Gesetzen folge. Granaten-Paul, angehender Neonazi, schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte, dass Gesetze vom Führer gemacht wurden. Frau Schluckspecht konterte, dass die Führergesetze das deutsche Volk an den Rand des Abgrunds gebracht hatten. Granaten-Paul öffnete sein Taschenmesser und stach mit diesem wütend in die Tischplatte. Frau Schluckspecht schwieg dazu, weil sie nicht wollte, dass Paul noch mehr Tischplatten beschädigt.

 Ich finde, dass Paul eine schlechte Grundeinstellung zum Leben hat, weil er mit seinen Nazikumpels nachts Ausländer bedroht und verletzt. Eigentlich müsste er zu dieser vorgerückten Stunde im Bett liegen, um am nächsten Tag frisch und munter dem Unterrichtsgeschehen folgen zu können.

 „Ich pfeife auf die Scheiß-Schule“, begründet er seine fehlende Lust am Lernen und gähnt. Ein deutliches Zeichen, dass er nicht ausgeschlafen ist. Wäre ich sein Vater, würde ich ihn nach dem Sandmännchen ins Bett schicken. Meine Kinder sollen nicht so werden wie Granaten-Paul. Das habe ich mir fest vorgenommen. Mit Liebe und Hiebe werde ich sie zu einem Nachwuchs erziehen, für den sich die Großeltern nicht schämen müssen, wenn sie zu Grabe getragen werden.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Im Leben eines jedem Menschen gibt es ein Problem, das ihm sehr zu schaffen macht. Das ist die Liebe. Nicht die zum Alkohol oder zum Nikotin, auch nicht die zum Hund, zur Katze oder zu den Eltern, nein, die zu einer Person mit einem anderen Geschlechtsteil. Die Liebe unterteilt sich in verschiedene Arten, so auch in die, die durch den Magen geht. Die lasse ich aber unbeachtet, weil sie nicht den Körperteil berührt, der für den Beginn einer Liebe am wichtigsten ist.

Der erste Kontakt mit dem anderen Geschlecht erfolgt mit den Augen, in die man tief guckt. Die Augenfarbe ist dabei nebensächlich, weil man zunächst sowieso alles rosa sieht. So erklärte es mir Oma, die in punkto Liebe mehr Erfahrung besitzt als ich. Hat man den anderen ausgiebig ins Auge gefasst und findet ihn an- bzw. ausziehend, dann geht man zum nächsten Schritt über. Es folgen Einschätzungen, die mit dem Satz beginnen könnten: „Du bist echt sehenswert!“ oder „Du bist die Krönung meiner Empfindung!“ Die Annäherung sollte dann mit einem oder mehreren Küssen fortgesetzt werden. Dieselben können mit oder ohne Zungenschlag ausgeführt werden. Das habe ich neulich in der 'Bravo' gelesen. Wobei ich nicht verstehe, wie man mit der Zunge schlagen kann. Als ich Mama danach fragte, meinte sie, ich solle lieber in meinen Lehrbüchern nachschlagen.

 So ist das! Will man von den Erwachsenen mehr über die süßen Geheimnisse des Lebens erfahren, wird man ablehnend behandelt. Mein Wissen über die Liebe erhielt ich von Ilona Schmatzer, die auf diesem Gebiet erfahren ist. Während wir Schüler dem Unterricht aufmerksam folgen, studiert Ilona eine Zeitschrift, in der Wesentliches über Liebe und Sex steht. Selten wird sie dabei erwischt, weil sie oft krank ist. Die Mutter entschuldigt das Fehlen ihrer 15jährigen Tochter mit den Worten: „Ilona kann Zugluft nicht vertragen. Die entsteht, wenn sie den Mund öffnet.“                                                                                                    

 Die Lehrer fordern sie deshalb nicht mehr zum Sprechen auf. Unser Klassenlehrer meinte, dass aus ihrem Munde sowieso nur dummes Zeug kommt.

'Hahaha!’ haben wir Mädchen uns ins Fäustchen gelacht, ‚wenn der wüsste.’

 Über die Liebe weiß ich schon eine Menge und lasse mir von Mama und Papa nicht mehr einreden, ich sei vom Klapperstorch gebracht worden. Das ist wissenschaftlich ohnehin widerlegt, weil sich Störche in unseren froscharmen Gefilden nicht aufhalten. Das erklärte Frau Schluckspecht, die es als Biologielehrerin wissen muss.   

Weil ich mein Wissen einmal anwenden wollte, liebäugelte ich mit einem Jungen, den ich fragte, ob er mit mir gehen wolle. Als er fragte: „Wohin?“, ließ ich ihn sausen.

Mit Männern muss man vorsichtig umgehen, empfahl Ilona Schmatzer uns Mädchen. Die kapieren Amore erst, wenn die Freundin einen dicken Bauch kriegt. Dann scheißen sie aus Angst in die Hose und verduften.

 „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich Herz zu Herzen findet“, belehrte mich Oma, als ich mit ihr über frauliche Probleme sprach.   

 Auch mein nächster Versuch, einen Freund zu erwerben, schlug fehl, weil der bereits von Ilona besetzt war. Beim dritten Male hatte ich mehr Glück. Nun bin ich schon seit mehreren Tagen mit Kurt verlobt. Er ist ein erfolgreicher Schüler der 8. Klasse.  Als Papa sah, wie wir uns im Schatten der alten Linde vor unserem Haus küssten, rief er meinem flüchtenden Verlobten nach: „Wir sprechen uns noch!“

 Das hat er bis heute nicht getan. Vielleicht fürchtet er, Kurt werde ihm mitteilen, dass wir im Laufe der nächsten Jahre heiraten wollen. 

Die Mohrrübe

Manchmal besuchen wir den Zoo in der Kreisstadt, um ausländische Tiere zu beobachten. Mich interessieren vor allem die possierlichen Erdmännchen, die sich die Pfoten vors Geschlechtsteil halten, als schämten sie sich. Auch die Affen finden meine erhöhte Aufmerksamkeit, weil sie uns Menschen so ähnlich sind. Mama ergötzt sich an den Elefanten. Sie findet deren Rüssel so schön dick und lang. Papa gefallen sie nicht, weil er keinen Rüssel hat. Sein Ziel ist stets der Zoo-Imbiss, in dem er gemeinsam mit Opa seinen Durst löscht. Einmal hatten die Beiden so viel Bier in sich geschüttet, dass sie anschließend einen in der Krone hatten. Statt sich still und sittsam zu verhalten, wie es sich für erwachsene Leute geziemt, wurden sie albern und pfiffen jungen Frauen nach, die ohne Begleitung dahinschlenderten. Als sich Opas Gebiss im Mund verklemmte, änderten sie ihr Verhalten. Wie Matrosen bei hoher See wankten sie zum Gehege, in dem sich Lamas und Giraffen aufhalten. Papa versuchte, einer Giraffe einen Kuss zu geben. Wegen ihres langen Halses konnte er ihr Maul nicht erreichen. Deshalb nahm er einem vorübergehenden Mädchen die Mohrrübe aus der Hand, die es zur Fütterung der Meerschweinchen bei sich hatte.

 Das Mädchen plärrte: „Du böser, betrunkener  Onkel!“ und riss die Mohrrübe wieder an sich.

 Papa brachte die Mohrrübe erneut in seinen Besitz und steckte sie flugs in den Mund, so dass nur noch das Mohrrübenkraut herausguckte. Das erweckte die Aufmerksamkeit der Giraffe. Sie machte den Hals krumm und neigte ihr Maul dem Mohrrübenkraut zu. Das sah so aus, als wollte sie Papa in die Nase beißen.

Das kleine Mädchen rief gehässig: „Jetzt beißt dir die Giraffe den Kopf ab, du böser, betrunkener Onkel.“

 Am Gehege fanden sich einige Menschen ein, die sehen wollten, wie Papa der Kopf abgebissen wird. Eine alte Frau mit einem altmodischen Hut auf dem Kopf schrie: „Jesus, Maria und Josef, jetzt stirbt er!“

Die Giraffe rupfte Papa aber lediglich die Mohrrübe aus dem Mund, und das sah so aus, als hätte sie ihm einen Kuss gegeben.

 Das kleine Mädchen zeterte: „Meine schöne Mohrrübe!“

 Papa lallte, wobei er sich am Gehegezaun festhielt, um nicht umzufallen: „Sie hat mich geküsst!“                                                                                                          

 Die alte Frau rief: „Jesus, Maria und Josef, er lebt noch!“

 Die umstehenden Leute staunten „Oooh!“ und „Aaah!“

 Mama und Oma, die hinzukamen, fragten missgestimmt: „Schämt ihr euch nicht?“

 Plötzlich jammerte die alte Frau: „Mein Hut, mein schöner Hut!“

 Wir sahen, dass die Giraffe vom altmodischen Hut der Frau die Kunstkirschen abknabberte. Als sie die Mahlzeit beendet hatte, ließ sie die Kopfbedeckung fallen.

Die alte Frau zeterte wieder: „Mein Hut, mein schöner Hut!“

Ein Lama trabte herbei und spuckte auf diesen. Opa, voller Mitgefühl für die alte Frau, bespuckte das Lama. Das spuckte zurück und traf Opas Gesicht. Nun griff Oma in das Geschehen ein und sandte ihren Speichel in Richtung Lama. Weil ihr Spuckmuskel an Altersschwäche leidet, traf die Spucke die Krawatte eines neben ihr stehenden Herrn. Der hatte sich für den Zoobesuch besonders fein angezogen. Entweder wollte er den eingekerkerten Tieren oder den frei umher gehenden Damen gefallen. Mit bespuckter Krawatte blieb das nun erfolglos.

 Weil er die Spuckerei primitiv fand, ging er kopfschüttelnd davon.

 Dieser Zoobesuch wird mir in Erinnerung bleiben, weil er deutlich macht, wie kindisch sich Erwachsene manchmal benehmen. Die Giraffe und das Lama haben sich sicherlich auch ihre Gedanken gemacht.