Sissy Band 15 - Kinder der Krone - Marieluise von Ingenheim - E-Book

Sissy Band 15 - Kinder der Krone E-Book

Marieluise von Ingenheim

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Beschreibung

Die Erziehung ihrer vier Kinder wird für Sissy zu einem ständigen Kampf, den sie mit ihrer Schwiegermutter, Erzherzogin Sophie, austragen muss. Diese Auseinandersetzung führt soweit, dass ihre mächtige Gegenspielerin die Ausbildung der "Kinder der Krone" ganz an sich reißt und Sissy zwingt ihr Lebensglück weit weg vom Wiener Hof zu suchen …

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MARIELUISE VON INGENHEIM

Sissy

Kinder der Krone

Autorin: Marieluise von Ingenheim

Illustration Überzug: M. Pleesz

Copyright der E-Book-Ausgabe von hiStory Publications:© Copyright 2016 by Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf GmbH,A-3420 Klosterneuburg bei WienAlle Rechte vorbehalten.Das Werk ist weltweit urheberrechtlich geschützt.All rights reserved throughout the world.

ISBN: 978-3-7004-4446-6EAN: 9783700444466

Inhalt

Prolog

01 - Laxenburg

02 - Die Schwiegermutter

03 - Schüsse zählen

04 - Gespräche unter vier Augen

05 - Familiendiner

06 - Die kaiserliche Kinderstube

07 - Die Frau im Hintergrund

08 - Der Semmering-Plan wird Wirklichkeit

09 - Die Kuschl

10 - Possenhofen und Ischl

11 - Eine Überraschung

12 - Ein Weihnachtsfest

13 - Gisela

14 - Duell

15 - Resignation

16 - Machtwechsel?

17 - Eine Reise ins Ungewisse

18 - Auch die Ungarn sollen gewonnen werden

19 - 21. August 1858

20 - Rudolf

21 - Ein Gewaltakt

22 - Die Magnaten

23 - Miramar

24 - Marie-Valerie

25 - Die Einsamkeit der alten Dame

26 - Höfische Geheimnisse

27 - Liebeswerben

28 - Ein Verlobungsessen und der Tag danach

29 - Die Kinder der Krone

Sissy

Prolog

Als Sissy, der „kleine Wildfang" aus dem bayerischen Possenhofen, Kaiser Franz Josephs Gemahlin wurde, war sie sechzehn, und mit siebzehn brachte sie ihr erstes Kind, Sophie, zur Welt. Die überall wegen ihrer Schönheit und Natürlichkeit bewunderte Kind-Frau, die sich im Pferdesattel am wohlsten fühlte, musste bald erkennen, dass ein Kaiserthron unbequemer war als ein Sattel und dass es oberste Pflicht einer Monarchin war, einen Thronerben zu gebären.

Die große und leider auch unbezwingbare Gegenspielerin erwuchs der jungen Kaiserin in der Person der Erzherzogin Sophie, ihrer Schwiegermutter, die nach der Geburt der beiden Töchter und schließlich des Thronerben Rudolf die Erziehung der Kinder der Krone ganz in die Hand nahm und Sissy auch in jeder anderen Hinsicht gängelte und entmündigte.

1. Laxenburg

Die junge Kaiserin erwachte von den heftigen Windstößen, die um das Schlossdach pfiffen. Sissy sah förmlich, wie sich draußen im Park die Wipfel bogen, Äste brachen. Das Holz schrie, der Wind fegte Laub über die Reitwege, trieb es gegen die geschlossenen Fensterläden.

In ihrer Kindheit hatte sie solche Unwetter in Schloss Possenhofen öfter erlebt, hatte an solchen Tagen mitunter sogar bis in ihre Mädchenstube des Stampfen der Pferde in den Ställen vernommen, wie sie aufgeregt mit ihren Hufen gegen die hölzernen Abteile in ihren Boxen schlugen. Sie sehnte sich heim nach Possi, dieser Morgen rief alle Erinnerungen an ihre Kindheit, an Vater und Mutter, an die vertraute Umgebung von einst wach.

Sie war nun seit fast sieben Jahren verheiratet. Aus dem kleinen Wittelsbacher-Prinzesschen, der Tochter des Herzogs Max in Bayern und seiner Frau Ludowika, war unversehens die Kaiserin eines mächtigen Reiches geworden.

Franzl war verliebt, er war es noch immer. Seine Mutter, Erzherzogin Sophie, war eine von Ludowikas Schwestern. Sissy wusste noch immer nicht darein zu schicken, ihre Tante dem Hofbrauch gemäß „Chère Maman” zu titulieren. Wie in ihrer Kindheit sprach sie ihre Schwiegermutter noch immer mit „Frau Tante” an und erntete prompt ein missbilligendes Nasenrümpfen und wortreichen Tadel.

Erzherzogin Sophie schlief im Nebenzimmer. Sie war eine kluge, energische Frau, und in den Kreisen des diplomatischen Korps war früher gewitzelt worden, sie wäre der einzige Mann am Wiener Hof - denn mit Franz Josephs Vorgänger, dem guten Kaiser Ferdinand, war nie besonders zu rechnen gewesen. Auf ihren Ratschluss hin hatte Ferdinands Bruder, ihr Gatte Franz Karl, auf den Thron zugunsten seines Sohnes Franz Joseph verzichtet.

War Tante Sophie bislang die heimliche Herrscherin am Wiener Hof gewesen, so gedachte sie es von nun an erst recht zu sein. Sie wollte in Hinkunft weiter herrschen - durch ihren Sohn, der ja wirklich des mütterlichen Rates bedurfte. Diesen Anspruch auf Herrschaft leitete Sophie aus der Tatsache ab, dass sie nach der Abdankung ihres Schwagers Ferdinand an der Seite ihres Gatten Franz Karl nächtens Kaiserin von Österreich-Ungarn geworden wäre.

Aber angesichts der politischen Situation im Europa des Jahres 1848 war es ein überaus kluger Schachzug von ihr gewesen, ihren jungen, hoffnungsvollen Sohn Franz Joseph, der durch seine Jugend gewissermaßen die Zukunft der Monarchie verkörperte, vorzuschieben.

In der Tat ging alles gut - bis es zur Brautwerbung kam. Ein junger Monarch brauchte eine Gattin und von ihr Kinder, die die Thronfolge sichern sollen.

Da der Thron „in der Familie” bleiben sollte, hatte die kluge Strategin Sophie im Kreise ihrer Schwestern Ausschau gehalten. Die waren allesamt mit Kindern gesegnet. In Frage kamen die Töchter Elisabeths, die mit dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm verheiratet war und in Potsdam lebte, und die ihrer Schwester Ludowika, Gattin des lebensfrohen Sonderlings Herzog Max in Bayern.

Mit den preußischen Prinzessinnen hatte Franz Joseph, wie er deutlich erkennen ließ, nichts im Sinn. Also blieben die Bayern-Töchter. Sophiens Wahl fiel auf eine von ihnen, Helena - Nené genannt -, die klug und anpassungsfähig war und infolgedessen ihrer künftigen Rolle als Kaiserin gewachsen sein würde.

Aber sosehr auch Franz Joseph auf allen Gebieten seiner Mutter gehorchte und ihre Ratschläge befolgte, in Sachen seiner Ehe ließ er sich nichts dreinreden. Und so fiel denn seine Wahl ganz überraschend auf die hübsche jüngere Schwester Nenés, die so herzerfrischend ungezwungene und natürliche Sissy. Zwischen ihr und Sophie, die sich vor die Notwendigkeit gestellt sah, den „Wildfang” für ihren Sohn zu zähmen und aus ihm eine Dame und Kaiserin zu machen, kam es zu den unerfreulichsten Szenen.

Schon im Jahr nach der Hochzeit wurde Sissy schwanger.

„Das wäre das schönste Geschenk, das du uns und dem Reich machen könntest!” hatte Sophie ausgerufen. Natürlich meinte sie wie alle Welt in Österreich-Ungarn damit einen Sohn und Thronerben.

„Ach, Heilige Mutter, lass es ein Knabe sein!” flehte Sissy schweißgebadet zum Himmel. „Und gib, dass Mama zur rechten Zeit da ist! Ich flehe dich an!”

Der stürmische Morgen, der über Laxenburg heraufdämmerte - man schrieb das Jahr des Herrn 1855 -, ließ sie erkennen, dass ihre Niederkunft nahe war. Man hatte sie nach Laxenburg gebracht, und sie liebte Laxenburg und seine ländliche Umgebung, den herrlichen Park, den romantischen Teich.

Es war kalt, sie fror unter der Daunendecke, ihr Hemd war schweißnass. Es war fast sechs Uhr morgens - Sissy sehnte förmlich das helle Läuten des Glöckchens herbei, mit dem die Standuhr auf dem Kaminsims die volle Stunde anzukündigen pflegte.

Auf dem Kalenderblatt stand der dritte März. Um diese Jahreszeit war das Reisen beschwerlich, in den gebirgigen Gegenden lag noch Schnee, und selbst hier in der Umgebung von Wien konnte der Winter noch heftige Rückzugsgefechte liefern.

Das Kind regte sich heftig in ihrem Leib. Übelkeit befiel Sissy, sie glaubte sich übergeben zu müssen und hatte  doch  nichts  im  Magen.   Sie  wollte  aufstehen,

konnte es aber wohl nicht ohne fremde Hilfe. Ihr Leib war unförmig, sie konnte sich nicht ansehen im Spiegel.

„Majestät werden nachher wieder so schlank und schön sein wie früher”, versicherte ihr der Arzt immer wieder.

Sissy tastete nach dem Klingelzug an der Seite ihres Bettes und zog daran. Aber noch vor der Kammerzofe erschien Tante Sophie im Rahmen der Flügeltür.

„Sissy?” fragte die Erzherzogin besorgt. „Bist du wach? Ist alles in Ordnung?”

Ja, cherè Maman.”

„Gottlob! - Christine, machen Sie die Fensterflügel auf, es ist heller Morgen!”

Zugleich mit der Kammerzofe war ein Dienstmädchen erschienen, welches sich nun abmühte, die hölzernen Läden zu öffnen. Kurz entschlossen packte die Erzherzogin mit an.

Insgeheim bewunderte Sissy sie dafür, und wie sie immer wieder dort, wo Not am Mann war, in die Bresche sprang. Diese Art kannte sie von Mama Ludowika. Die beiden Schwestern hatten vieles - wenn auch nicht alles - gemeinsam.

Gleich darauf wandte sich die Erzherzogin wieder ihrer Schwiegertochter zu. „Wie fühlst du dich? Hast du geschlafen?”

„Nicht viel”, gestand Sissy. „Und ich glaube, ich bin schweißnass.”

„Ein frisches Hemd für Ihre Majestät!” befahl Sophie energisch.

„Ich möchte aufstehen”, sagte Sissy. „Ich brauche Luft. Ich will ins Freie!”

Die Erzherzogin schlug entsetzt die Hände zusammen. „Du bist verrückt!” erklärte sie rundheraus. „Bei diesem Wetter, jetzt, kurz vor der Niederkunft?! Ganz im Gegenteil bleibst du hier im Zimmer, und ich lasse kräftig Feuer machen!”

Sissy war verzweifelt, hoffte, die Tante werde bald gehen. Aber diese dachte gar nicht daran, sie zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich an Sissys Seite.

„Eine kräftige Brühe musst du jetzt essen! Es ist keine Kleinigkeit für das Kind, zur Welt zu kommen, ebenso wenig für dich. Glaube mir, ich spreche aus der Erfahrung einer Mutter.”

„Ja, Maman”, seufzte Sissy ergeben.

„Und bedenke: Ist deine Stunde gekommen, wird dieses Zimmer voller Leute sein. Denn das Kind, das du zur Welt bringst, ist nicht nur dein Kind - es gehört dem Reich. Es ist ein Kind der Krone!”

„Jawohl, Maman.”

2. Die Schwiegermutter

Sophie war zwar davon überzeugt, dass ihr Bub besser beraten gewesen wäre, hätte er die mütterliche Wahl akzeptiert, statt seinem Herzen zu folgen. Aber das hatte er nun einmal getan. Sissy war seine Frau geworden. Und sie, die das Beste für ihren Sohn - und nicht minder für das Reich - im Sinne hatte, musste nun eben den „bayerischen Wildfang” „hinbiegen”, gewiss eine schmerzliche Prozedur. Aber wo gehobelt wird, fliegen Späne.

Insgeheim bewunderte Sophie genau wie Franz Joseph an Sissy deren Natürlichkeit, deren Mut zur Aufrichtigkeit und die innere Kraft, die Sissy aufbrachte, um den Zwängen des Hoflebens zu trotzen. Und fast gegen ihren Willen liebte sie ihre Schwiegertochter. Aber es wäre ihr nicht in den Sinn gekommen, es diese merken zu lassen.

Sie sorgte dafür, dass Sissy frische Wäsche bekam und dass ihr Bett überzogen wurde. Währenddessen nahm die werdende Mutter in einem Lehnstuhl Platz, und man brachte ihr auf einem Serviertischchen die von ihrer Schwiegermutter verlangte heiße Hühnersuppe.

„Iss!” befahl Sophie energisch. „Du siehst aus wie der leibhaftige Tod. Du musst etwas im Magen haben!”

„Maman, es ist mir unmöglich, auch nur einen Löffel voll zu mir zu nehmen. Ich würde mich sofort übergeben . . .”

„Unsinn! Das tust du nicht. Ich kenne das. Im Gegenteil, du wirst dich besser fühlen. Iss jetzt!” Sie selbst führte den Löffel an Sissys Mund. „Denk an das Kind und an seinen Vater!” verlangte sie.

Bald aß sie brav und willig, der Teller leerte sich.

„Na also”, sagte Sophie resolut und stellte den Teller beiseite. „Gestern Abend kam noch ein Brief. Die Ordonnanz brachte ihn aus Schönbrunn. Er ist jetzt genau zwei Tage alt und kommt aus Wels. Deine Mutter musste dort der Unwetter wegen Station machen. Aber sie ist unterwegs hierher. Es könnte sein, dass sie heute schon eintrifft.”

„Oh”, entfuhr es Sissy erleichtert. „Und Papa?”

„Weiß der Himmel, wo sich dein Vater im Augenblick wieder herumtreibt! Vielleicht ist er in den Bergen, vielleicht auch bei den Hottentotten. Das weiß man ja bekanntlich bei ihm nie . . . Deine Mutter kommt ohne ihn, soviel ich weiß. Aber Sie kommt . . . Und das ist ja wohl das wichtigste!”

„O ja, das ist wichtig”, nickte Sissy.

Sissy dachte daran, dass es den „gewöhnlichen Weibern” erlaubt war, Schmerzen zu zeigen, Kaiserinnen und Königinnen aber nicht. „Ich habe manchmal das Gefühl”, sagte sie, „dass ich, wenn ich die zufriedenen Gesichter der Bauern auf den Feldern sehe, ganz gerne mit denen tauschen würde.”

Sophie lachte. „Du bist eine unverbesserliche Romantikerin. Du warst nie Bäuerin und wirst es auch nie sein. Glaub mir: der Herrgott ist es, der die Menschen an ihren Platz stellt. Dein Mann hat seine Würde und Macht von Gott, und du bist dazu bestimmt, an seiner Seite zu stehen.”

„Manchmal wünsche ich mir, ich wäre in Possi.”

„In Possenhofen? Sissy, deine Kindheit ist vorbei! Du musst das endlich begreifen! Du hast zu viel vom Freigeist deines Vaters! Der ist Herzog in Bayern, gehört nicht zur regierenden Linie der Wittelsbacher und kann sich deshalb seine Passionen leisten.”

Nun endlich hielt es die Erzherzogin für angezeigt. Sissy allein zu lassen. Aber Sissy blieb nicht allein. Kaum war Sophie gegangen, trat der Leibarzt ins Zimmer, der die werdende Mutter einer peniblen Untersuchung unterzog und dann beruhigend versicherte: „Es verläuft alles ganz normal, Majestät. Noch ist es nicht soweit, aber bald. Und seien Majestät nur ganz ruhig …”

Das war leichter gesagt als getan.

Um die Mittagsstunde kam der Kaiser. Er brachte einen riesigen Strauß Rosen aus den Schönbrunner Gewächshäusern und den Duft und die Frische von draußen mit ins Zimmer. „Sissy!” rief er, eilte mit Riesenschritten ans Bett und bedeckte die Hände seiner jungen Frau mit Küssen. „Sissy, wie geht es dir?!”

„Franzl”, lächelte sie ihn an, „der Doktor sagt, alles steht zum Besten. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.”

„Aber ich mache mir Sorgen”, gestand er und hielt ihre Hände umfasst, während sein Blick liebevoll über ihr schmales Gesichtchen glitt.

„Das sollst du nicht, Franzl.”

„Ich tu's aber, ich kann nichts dafür und nichts dagegen machen . . .” Er sprach ihn nicht aus, den Gedanken, vor dem er schauderte.

„Franzl, mir wird schon nichts passieren”, beruhigte sie ihn und strich ihm tröstend übers Haar.

„Meine Sissy!” flüsterte er. „Wie wird es erst schön sein, zu dritt . . . mit einem kleinen Buben . . .”

„Und wenn es ein Mädel wird?” fragte sie. „Ich kann für nichts garantieren ...”

„Dann werden wir es genauso liebhaben”, versicherte er.

„Aber deine Frau Mama wäre schwer enttäuscht von mir.”

Er zögerte mit der Antwort.

„Sag nichts, Franzl, ich weiß es sowieso”, meinte sie. „Und nicht nur deine Mutter wäre enttäuscht . . . Oh, ich bete, dass es ein Bub wird!”

„Ich auch”, gestand er leise.

„Ach, Franzl, warum habe ich bloß einen Kaiser geheiratet”, sagte sie in komischer Verzweiflung. „Das macht mein ganzes Leben so schrecklich kompliziert!”

Er lachte von Herzen. „Du bist einfach goldig, wie du das so sagst. Entschuldige vielmals, dass ich nicht als Holzfäller zur Welt gekommen bin.”

„Das entschuldige ich wohl, denn dann hättest du mich wahrscheinlich gar nicht zur Frau bekommen. Aber mein Vater wäre imstand gewesen, mich dir trotzdem zur Frau zu geben. Das würd' ich ihm zutrauen”, lachte Sissy nun ihrerseits. Die trübe Stimmung des Morgens war verflogen, besonders als Franzl berichtete, er habe seiner Schwiegermutter ein Detachement entgegengeschickt, das für frische Pferde und alles für die restliche Wegstrecke Nötige Sorge trage.

Dann mahnte der Adjutant, es sei für Majestät wieder Zeit zu gehen. Sissy war wieder allein und konnte ihren Gedanken nachhängen.

Die Erzherzogin beriet sich nur kurz in einem der Salons des Schlosses mit Franz Joseph über die anstehenden Entscheidungen und erteilte ihm Ratschläge. Aber zum ersten Mal  fühlte sich der Kaiser weitgehend auf sich selbst gestellt. Das war ein neues Gefühl für ihn. Es machte ihm nicht bang. Immer wieder hatte ihn seine junge Frau dazu gedrängt, selbst seine Macht zu gebrauchen und sich nicht auf seine Mutter zu verlassen; er hatte ja auch bei seiner Heirat nicht auf sie gehört und ihrem Wunsch nicht entsprochen.

Franz Joseph fühlte sich in der Tat erwachsen und Manns genug, doch er fürchtete ganz einfach, seiner Mutter weh zu tun, wenn er ihre Ratschläge nicht befolgte - Ratschläge übrigens, die sich in vielen Fällen als absolut zutreffend erwiesen. Sorgenvoll bestieg er die Kutsche, die ihn nach Schönbrunn bringen sollte.

Sissys Mutter war noch immer nicht in Wien eingetroffen, erfuhr er bei seiner Ankunft.

3. Schüsse zählen

Ludowika, Herzogin in Bayern, entstieg außer Atem ihrem Gefährt, kaum dass es in den Schönbrunner Ehrenhof eingefahren war.

Diensteifrige Lakaien sprangen herbei, um der Mutter der Kaiserin beizustehen, und ein Beamter der Haushof-meisterei wollte veranlassen, dass das auf dem Dach des Gefährts verstaute Gepäck abgeladen werde.

„Oben lassen, nur oben lassen!” wehrte Ludowika ab. „Ich will doch gleich weiter nach Laxenburg!”

„Hoheit können unmöglich”, erwiderte Bergsteigl, der in Vertretung des Haushofmeisters angeeilt kam. „Seine Majestät würden das gewiss nicht zulassen. Majestät haben erst vor einer halben Stunde den dringenden Wunsch geäußert, Hoheit sprechen zu wollen, sobald Hoheit hier in Schönbrunn angekommen wären.”

„Auch ich habe den Wunsch! Führen Sie mich sogleich zu Seiner Majestät!”

„Auch das ist nicht möglich, Hoheit mögen verzeihen. Seine Majestät ist soeben in einer Konferenz mit Seiner Eminenz, Kardinal Rauscher, begriffen. Hoheit mögen doch wohl zuerst einen Imbiss einnehmen und sich ein wenig nach der Reise restaurieren. Wenn Hoheit mir bitte folgen wollen, es ist alles bereit . . .”

Die Herzogin fügte sich mit einem ergebenen Seufzer darein. Im Grunde war ihr eine Verschnaufpause nach der langen Fahrt wirklich vonnöten. Ihr guter Max würde sagen: Alte, du schaust zernepft aus!

Hätte Ludowika freilich gewusst, weshalb der Kardinal zur Stunde beim Kaiser war, wäre sie nicht so ruhig geblieben. Die beiden Herren besprachen soeben mit dem Obersthofmeister die Taufzeremonie des neuen Erdenbürgers, der noch gar nicht geboren war.

Sollte nämlich tatsächlich, wie allseits erhofft, ein Thronfolger das Licht der Welt erblicken, dann lief die Taufzeremonie förmlich auf eine Art Staatsakt hinaus. Aber selbst wenn es „nur” eine Prinzessin des Erzhauses sein würde, eine Erzherzogin also, war sie immer noch würdig und wichtig genug, um vom höchsten kirchlichen Würdenträger der Haupt- und Residenzstadt getauft zu werden,

Ludowika ließ sich in eines der vielen weiß und rot getäfelten und tapezierten Zimmer des Schlosses führen und war dankbar, sich in einen Fauteuil sinken lassen zu können, der wohl noch aus der Zeit der großen Regentin Maria Theresia stammen mochte, deren lebensgroßes Bildnis huldvoll von der Wand auf sie herablächelte.

Zwei Hofdamen erschienen, ein Diener servierte heißen Tee, Brötchen und Konfekt. Die Hofdamen fragten nach besonderen Wünschen; Ludowika wollte nichts als eine Schüssel Wasser, um sich frisch zu machen. Eine Dienerin brachte das verlangte Waschgeschirr und Handtücher, dann ließ man die Herzogin von Bayern diskret allein.

Sie wusch sich flüchtig Gesicht, Nacken und Hände, und vor einem Venezianer Spiegel machte sie hernach ihre Frisur zurecht. Nun trank sie auch noch eine Schale heißen Tee, der ihr wohltuend den von der Reise durchfrorenen Körper wärmte, schlang zwei Brötchen hinunter und war eben dabei, einen Bissen Konfekt in den Mund zu stecken, als Adjutant Graf Grünne erschien.

„Hoheit sehen mich entzückt”, begrüßte er sie, sich verbeugend. „Hoheit haben, wie ich sehe, die beschwerliche Fahrt gut überstanden. Seine Majestät erwartet sie bereits voll Ungeduld und lässt bitten.”

„Die Ungeduld ist ganz auf meiner Seite, General”, versetzte die Herzogin.

Graf Grünne reagierte nicht auf ihre scharfe Entgegnung und führte sie ohne ein weiteres Wort in das Arbeitszimmer ihres Schwiegersohnes.

Gleich darauf war sie mit Franz Joseph unter vier Augen allein.

„Rauscher und Grünne also”, begann sie. „Es ist also wahr, was Sissy mir schrieb! Deine Mutter ist meine Schwester, versteh mich bitte nicht falsch, aber geht nicht ihr Einfluss auf dich und deine Geschäfte etwas zu weit?”

„Du redest wie Sissy”, schüttelte Franz Joseph erstaunt und etwas pikiert den Kopf.

„Wundert dich das?”

„Ich finde es sonderbar, dass du so redest”, äußerte sich der junge Kaiser missbilligend. „Mama meint es gut mit uns; sie hat Menschenkenntnis und Erfahrung. Es ist nur natürlich, dass sie Einfluss zu unseren Gunsten nimmt.”

„Sie nimmt Einfluss zu

„Darin sehe ich keinen Unterschied”, schüttelte der Kaiser den Kopf, dem diese Szene peinlich war. „Ich sehe, du bist übermüdet und gereizt. Dabei wollte ich dir vorschlagen, mit mir gemeinsam nach Laxenburg hinauszufahren.”

Sie fühlte, sie war zu weit gegangen, und schwieg.

„Sie hat sich wohl in ihren Briefen darüber beklagt, dass Mama das Regiment führt? Das sind stets ihre Worte”, sagte Franz Joseph lächelnd.

„Ja, das hat sie”, gab Ludowika zu. „Und nicht nur einmal . . .”

„Aber das ist nötig, Mama! Sissy ist noch jung, kaum achtzehn Jahre. Mama möchte . . .”

„… dass auch deine Frau nach ihrer Pfeife tanzt!” unterbrach Ludowika ihn respektlos. „Aber das wird sie nicht, ich kenne mein Kind, und ich möchte familiäre Komplikationen vermeiden.”

Franz Joseph seufzte.

„Ich wünsche euch beiden doch nur, dass ihr glücklich werdet”, meinte Ludowika begütigend.

Erst jetzt erkundigte er sich höflich nach dem Verlauf ihrer Reise. Sie berichtete ausführlich. Noch während des Gesprächs wurde gemeldet, dass die Kutsche des Kaisers bereitstehe.

Der Abend dämmerte bereits, als die Kutsche des Kaisers durch die endlos scheinende Allee nach Laxenburg fuhr. Graf Grünne folgte in einem weiteren Gefährt. Unterwegs überholten sie noch einige Kutschen, die augenscheinlich auch nach Laxenburg unterwegs waren.

„Sie kommen alle, dem großen Augenblick beizuwohnen”, stellte der Kaiser fest.

„Mein armes Kind”, seufzte Ludowika.

Am Straßenrand standen Gruppen von Landleuten, die dem Kaiser zuwinkten. Freundlich winkte der junge Monarch zurück.

„Sie sind begierig darauf, die Schüsse aus den Kanonen zu zählen, die man auf den Wällen von Wien abfeuern wird”, sagte er zu Ludowika. „Einundzwanzig, falls es der Thronfolger wird, und nur - elf, wenn . . .”

„Ich weiß”, sagte sie.

Die Pferde keuchten bereits im Geschirr; immer noch war Laxenburg nicht in Sicht.

„Nur noch ein paar Minuten”, versicherte der Monarch.

Ludowika entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. „Endlich”, stöhnte sie, „werde ich mein Kind in die Arme nehmen können!”

Doch in Laxenburg war es zuerst die Schwester, der sie begegnete. Während der junge Gatte sofort zu Sissy vorgelassen wurde, stellte sich die Erzherzogin Ludowika in den Weg.

„Schwesterherz!” begrüßte sie sie. „Ich bin erleichtert über deine Ankunft. Du musst dich umkleiden! Ich werde Sissy wissen lassen, dass du gekommen bist. Das Zimmer ist bereits voller Leute; so kannst du dich nicht blicken lassen. Ich hoffe, du hast Garderobe mitgebracht.”

„Sophie!” schüttelte Ludowika verärgert den Kopf. „Wie kannst du nur so denken! Ich möchte zu meinem Kind - augenblicklich!”

„Wir sind nicht in Possenhofen, liebste Schwester”, versetzte Erzherzogin Sophie. „Man hat hier Rücksichten zu üben. Verzeih, aber es ist nun einmal so. Auch ich würde mich manchmal gern gehenlassen, gestatte mir aber keine Freiheit. Mein Sohn ist so erzogen, und die Kinder deiner Tochter werden es ebenso sein.”

In diesem Augenblick erschien Graf Grünne, dessen Wagen nun ebenfalls angekommen war. Mit einer knappen Bitte, sie zu entschuldigen, ließ Sophie ihre Schwester stehen und lief auf den Grafen zu. Sie zog diesen sofort in ein Gespräch über organisatorische Fragen, die bevorstehende Taufzeremonie betreffend.

„Ist der Kardinal mit allem einverstanden?” hörte Ludowika sie noch fragen, dann sah sie den Lakaien hinter sich stehen, den Sophie herbeibeordert hatte, um ihre Schwester nach einem für sie vorbereiteten Zimmer zu führen, wo auch bereits eine Zofe ihrer harrte.

Sophie war eine gute Organisatorin. Sie gab keine Sekunde lang das Szepter aus der Hand. Ihre Regentschaft war allgegenwärtig. Von einem Einfluss ihrer Tochter, der jungen Kaiserin, vermochte die Herzogin nichts zu merken.

Arme Sissy! Und was wird erst werden, wenn das Kind geboren ist? dachte sie.