Sissy Band 4 - Aus dem Tagebuch einer Kaiserin - Marieluise von Ingenheim - E-Book

Sissy Band 4 - Aus dem Tagebuch einer Kaiserin E-Book

Marieluise von Ingenheim

0,0

Beschreibung

Die weiße kaiserliche Yacht durchpflügt die blauen Wogen des Mittelmeeres. An Bord genießt Sissy ein Gefühl der Freiheit, das ihr sonst versagt ist. Noch ahnen Sissy und Franz Joseph nichts von den Schicksalsschlägen, die die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern sollten. Ihrer Liebe und ihrem Glauben aneinander steht eine schwere Prüfung bevor.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 260

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MARIELUISE VON INGENHEIM

Sissy

Aus dem Tagebuch einer Kaiserin

Autorin: Marieluise von Ingenheim

Illustration Überzug: M. Pleesz

Copyright der E-Book-Ausgabe von hiStory Publications:© Copyright 2016 by Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf GmbH,A-3420 Klosterneuburg bei WienAlle Rechte vorbehalten.Das Werk ist weltweit urheberrechtlich geschützt.All rights reserved throughout the world.

ISBN: 978-3-7004-4434-3EAN: 9783700444343

Inhalt

Prolog

01 - Die fremde Dame

02 - Ein Kaisertreffen

03 - Der Stolz der Monarchie

04 - Ein Familiendiner in der Hofburg

05 - Eine Begegnung

06 - Herzenssachen

07 - Eine überraschende Wendung

08 - Ein Künstlerporträt

09 - Die Schriften des Kronprinzen

10 - Hofball

11 - Eine Überraschung

12 - Steinerne Träume

13 - Die Flucht nach Neuschwanstein

14 - Der unglückliche König

15 - In der Götterburg

16 - Die Geister von Versailles

17 - Das Drama von Schloss Berg

18 - Die letzte Rose

19 - Wiener Tratschereien

20 - Zwei Königinnen

21 - Es spukt auf Sinaia

22 - Ein Fest für ganz Österreich

23 - Das Traumschloß

24 - Ein Lebensabschnitt

25 - Die Weiße Dame

26 - Mayerling

27 - Das unheimliche Rätsel

Prolog

Die weiße kaiserliche Yacht durchpflügt die blauen Wogen des Mittelmeeres. An Bord genießt Sissy ein Gefühl der Freiheit, das ihr sonst versagt ist. Noch ahnen Sissy und Franz Joseph nichts von den Schicksalsschlägen, die die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern sollten. Ihrer Liebe und ihrem Glauben aneinander steht eine schwere Prüfung bevor.

Die fremde Dame

Schwere Gewitterwolken hingen tief über dem Hafen von Triest, und Blitze umzuckten das weiße Schloss Miramar. Es fielen die ersten großen Tropfen. Der Wind heulte in kurzen, heftigen Stößen um die Zinnen bewehrten Türme. Das Schäumen der heftigen Brandung mischte sich mit dem dumpfen Grollen des Donners, das nur vom lauten Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben übertönt wurde.

Erst vor wenigen Stunden war die kaiserliche Jacht „Miramar" mit Elisabeth von Österreich und ihrem kleinen Gefolge von einer Kreuzfahrt im Privathafen des Schlosses eingelaufen. Während sich die Hofdamen Marie von Festetics, Ida von Ferenczy, die Landgräfin von Fürstenberg sowie der von ewiger Geschäftigkeit geplagte Baron Nopcsa erschöpft von der Reise in ihre Zimmer zurückzogen, war Sissy, ohne etwas zu Essen, zu einem ihrer weiten Spaziergänge aufgebrochen. Und obwohl sich schon drohende Gewitterwolken zusammenbrauten, ging sie allein.

„Nun fange ich aber an, mir ernstlich Sorgen zu machen", meinte der Baron zu Frau von Ferenczy und trat an eines der hohen Fenster, von dem man über Zaun und Einfriedung bis auf die menschenleere Uferstraße nach Triest hinausblicken konnte. „Kein Mensch weit und breit! Ich hoffe, sie ist vernünftig genug, irgendwo einzukehren. Was würde der Kaiser sagen, wenn ihr irgendetwas zustößt..."

„Entsetzlich, Baron! Wenn sie womöglich mutterseelenallein in irgend so einer italienischen Kneipe vor dem Wetter Schutz sucht und man sie erkennt... Denken Sie nur an den Attentatversuch vor drei Jahren..... Noch heute kann man es lesen: Evviva Guglielmo! haben sie uns auf den Sockel der Schloss Einfriedung geschmiert, nachdem Oberdank verhaftet wurde.

„Diesmal hat die Polizei gut gearbeitet. Ich habe auch sofort nach der Landung den Polizeipräfekten verständigt! Man wird ein wachsames Auge auf die Umgebung des Schlosses haben…“

„Das ist auch bitter nötig, Baron. Wegen dieser Nationalisten ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher. Doch ihre Majestät scheint dies nicht zu kümmern - sie tut, als ob sie das alles nichts anginge."

„Wem sagen Sie das! Sie macht es mir wahrhaftig nicht leicht", stöhnte der Baron. „Ich dachte, im Laufe der Jahre würde sie sich ändern. Aber ich habe mich offenbar getäuscht. Sie sieht nicht nur aus, als ob die Jahre spurlos an ihr vorübergegangen wären, sie benimmt sich auch so. Müdigkeit' ist für sie anscheinend ein Fremdwort. Sie reitet wie der Teufel, und ihre Wanderlust ist geradezu unheimlich. Natur, Natur und immerzu Natur! Und dazu ihre Liebe zu den Gedichten von Heinrich Heine ..."

Er sandte einen hilfesuchenden Blick gegen die holzgetäfelte Decke, während Ida im grellen Schein eines Blitzes, dem gleich darauf ein schreckliches Donnergrollen folgte, zusammenzuckte.

„Heilige Jungfrau, grundgütiger Himmel...", ließ sich da von der Tür zum Korridor her eine weibliche Stimme vernehmen. „Wie wir sie wieder aussehen, wenn sie heimkommt . . . Und dabei habe ich sie doch noch an Bord durchgekämmt und frisiert."

Frau Feifal, die Friseuse der Kaiserin, trat ein und ließ sich händeringend in einen Fauteuil fallen.

„Sie haben auch nichts als die Frisur im Kopf, ärgerte sich der Oberhofmeister. „Und die Frage, wie sie aussieht, wenn sie bei so einem Regenguss heimkommt. Mich beunruhigt eher, ob sie überhaupt heimkommt!"

„Sie ist schließlich für die Frisur Ihrer Majestät verantwortlich", nahm Ida sie in Schutz. „Dafür wird sie bezahlt ....."

„Nicht nur", spöttelte die Feifal, „gelegentlich muss ich sie vertreten ..... Wie neulich in Smyrna zum Beispiel."

In Smyrna war ein ganzes Garderegiment zu Sissys Empfang aufmarschiert, und eine riesige Menschenmenge erwartete mit dem Bürgermeister der Stadt die Ankunft der Kaiserin. Die aber hatte sich schon vorher in einem Beiboot an Land bringen lassen, um, wie sie sagte, „den Leuten eine lange Nase zu drehen". Und mit den anderen Menschen beobachtete sie, wie das Paradeboot der „Miramar" Frau Feifal an Land brachte. Die arme Friseuse musste die ganze Begrüßungszeremonie über sich ergehen lassen, während sich Sissy ins Fäustchen lachte.

Solche „Vertretungen" kamen öfters vor, und Frau Feifal empfand diese aber gar nicht lustig. Sie sah sich als Zielscheibe von Terroristen und anderen gefährlichen Elementen, die auf die Kaiserin eventuell einen Anschlag planten. Dass sie damit nicht unrecht hatte, bewies der Fall des Terroristen Guglielmo Oberdank, dessen Name auf den Sockel der schmiedeeisernen Umzäunung vom Schloss Miramar geschmiert worden war: ein Protest gegen die rechtzeitige Verhaftung des Terroristen, der Kaiser Franz Joseph und Sissy bei einem Aufenthalt in Triest vor drei Jahren ans Leben wollte.

Monarchen leben gefährlich. Und deshalb war Baron Nopcsa am Ende seiner Nervenkraft. Doch nicht nur das Unwetter machte ihm Sorgen. Allen Ermahnungen und Ratschlägen zum Trotz hatte sich Sissy, der die Strapaze der Seefahrt offenbar nichts ausmachte, gleich wieder zu einem ihrer gefürchteten Spaziergänge aufgemacht. Bloß dem Gejammer der fürsorglichen Frau von Fürstenberg war es zu verdanken, dass sie wenigstens einen Umhang und einen Regenschirm mitgenommen hatte.

„Sie ist eben ein Naturkind, das lässt sich nicht leugnen", erklärte in einem solchen Fall Marie von Festetics, Elisabeths Hofdame und Vertraute, entschuldigend.

„Ein Naturkind?! Sie ist ein bayrischer Wildfang. Unmöglich ist

Die „unmögliche Kaiserin" war in diesen Minuten bei strömendem Gewitterregen zu Fuß auf der Triester Landstraße unterwegs und noch eine gute Viertelstunde von Schloss Miramar entfernt. Sie schritt leichtfüßig aus. Der Schirm schützte sie, und der Umhang, den ihr die gute Landgräfin aufgedrängt hatte, wärmte. Aber ihre Schnürschuhe waren bereits durch und durch nass. Doch Sissy kümmerte das wenig.

Sie fand es herrlich, so dahinzuwandern. Oft lugte sie unter dem Schirm hervor, um die dahinjagenden, tief hängenden Wolken zu beobachten, und das Zucken der Blitze und das Donnergrollen bereiteten ihr keine Angst. Das großartige Naturschauspiel erfüllte sie vielmehr mit tiefer Ehrfurcht vor dem Schöpfer, in dessen Obhut sie sich sicher wusste. Die würzige, vom Salzgeruch des Meeres erfüllte Luft atmete sie mit tiefem Behagen. Und dass weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, besserte nur noch ihre gute Laune.

Baron Nopcsa hatte Recht. Sie war schlank wie eine Gerte und, wie sie so im Regen dahinmarschierte, in ihren Bewegungen von unbeschreiblicher Anmut. Niemand glaubte ihr die achtundvierzig Lenze, die der „bayrische Wildfang" von einst nun schon zählte, und den Kaiser versetzte dieser Umstand immer wieder in Staunen.

Franzl! Gerade jetzt dachte sie an ihn, und das dumpfe Donnergrollen wurde in ihren Gedanken zum Dröhnen des Ehrensaluts, der sie erschauern ließ, als sie aus dem Dampfschiff stieg, da sie donauabwärts nach Wien zu ihrem Franzl brachte!

Das lag schon lange zurück und war ihr doch noch gegenwärtig... Das erste Mal waren sie und Franzl einander in Ischl begegnet: Es war Liebe auf den ersten Blick. Denn eigentlich war der dreiundzwanzigjährige Franz Joseph nach Ischl gekommen, um Sissys ältere Schwester Nené kennenzulernen, die seine Frau werden sollte. Erzherzogin Sophie, die Mutter des jungen Kaisers, und Ludovika, Herzogin in Bayern und Sissys Mama, waren Schwestern und hatten dies untereinander so ausgemacht. Doch dieser Plan scheiterte. Franzl und Sissy hatten nur Augen füreinander. So wurden sie gegen den mütterlichen Ratschluss ein Paar und schlossen bald darauf den Bund fürs Leben.

Das geschah am 24. April 1854 um halb sieben Uhr abends in der Augustinerkirche in Wien. Sissy sah es so deutlich vor sich, als ob es erst gestern gewesen wäre! Franzl erschien ihr ganz fremd in der Uniform eines Feldmarschalls; vor lauter Orden konnte man fast den Stoff nicht sehen, so glänzte und glitzerte es. Und auch sie, in ihrem Brautkleid in Gold, Silber und Weiß, geschmückt mit Myrten! Das schimmernde Brautdiadem im Haar und einen Strauß weißer Rosen in den Händen ... Wie schwer doch die endlos lange Schleppe war! Und dazu das Brausen der Orgel, die Salven der Garde auf dem Michaelerplatz, das Donnern der Salutschüsse, die von den Kanonen auf den Wällen rings um die Stadt abgefeuert wurden. Und der Jubel der Menge ...

Ja, es war ein unvergesslicher Tag. Als sie noch durch die Gärten des elterlichen, am Starnberger See gelegenen Schlosses tollte, hatte sie es sich nie träumen lassen, einst eine Kaiserkrone zu tragen - und noch dazu an der Seite eines Mannes wie Franzl!

Ihr Vater, Herzog Max in Bayern, war ein urwüchsiger Geselle, der sich so wenig wie möglich bei Hof in München blicken ließ. Er liebte Pferde, den Zirkus, die Jagd und Gottes freien Himmel. Sissys Mutter Ludovika hingegen besaß Ehrgeiz, was ihn störte. Da ihr Neffe Franz Joseph durch die Ereignisse des unruhigen Jahres 1848 zum Kaiser von Österreich, König von Ungarn, Böhmen, Mähren etc. geworden war, verstärkte sie noch ihre Anstrengungen, die Welt außerhalb von Possenhofen in ihre Zukunftspläne einzubeziehen.

Sissys Schwester Nené und ihre anderen sechs Geschwister erlebten bis dahin eine ungezwungene, fröhliche Jugend. Nené, um drei Jahre älter als Sissy, war zum Unterschied von dieser sanft und sittsam. Auch besaß sie einen gewissen Stolz, und Sissy sagte sich in der Folge noch oft, dass Nené eine bessere Figur als Kaiserin gemacht hätte. Mama Ludovika und Tante Sophie hatten sich offenbar die Wahl gut überlegt.

Doch das Schicksal hatte es eben anders gewollt, das Herz hatte gesprochen, bei ihr gleichermaßen wie bei Franzl. Und als der würdige Kardinal Rauscher ihren Bund fürs Leben gesegnet hatte, wie glücklich waren sie da gewesen, Franzl und sie!

Doch dann waren schwere Zeiten gekommen. Tante Sophie hatte alles unternommen, um den Wildfang Sissy zu zähmen - vergebens. Es war zu ernsten Zerwürfnissen zwischen ihr und ihrer Schwiegermutter gekommen. Erst am Totenbett der Erzherzogin schlossen die beiden Frauen Frieden. Zwar hatte Sissy im Grunde erkannt, dass Tante Sophie es nur gut mit ihr gemeint hatte. Doch konnte es auch Sissy ihrer Tante kaum verzeihen, dass ihr Sohn Rudolf nach seiner Geburt sofort einer Aja - einer Amme - und später seinen strengen Erziehern anvertraut wurde. Rudolf war nun schon selbst erwachsen und hatte eine Tochter. Er war ihr im Grunde fremd; Sissys Herzen am nächsten standen ihre beiden Töchter Valerie und Gisela.

Wieder zuckte ein greller Blitz vom Himmel, und in seinem Schein gewahrte Sissy eine kleine Gestalt, die sich mühsam gegen den Sturm im Regen vorwärtskämpfte.

„Ein Kind bei diesem Wetter und ganz allein noch dazu!" stieß Sissy erschrocken hervor. Mit Mühe erreichte sie das kleine Mädchen, das noch dazu unter der Last eines mit Edelkastanien gefüllten Korbes keuchte.

„Um Himmels willen, Kind, wohin willst du denn?" fragte Sissy und hielt rasch den Schirm über die Kleine, wobei er ihr fast aus der Hand gerissen und umgedreht wurde.

„Ich will heim", klagte das Mädchen, das vielleicht elf oder zwölf Jahre alt sein mochte. Das Haar klebte ihm auf Stirn und Wange, das kleine Gesicht war über und übernass vom Regen und wohl auch von Tränen, und das Kleid hing ihm schwer von Wasser am Leib. Beinahe so, als hätte man das ganze Mädchen eben erst aus einem Bach gefischt!

„Hast du es noch weit?" fragte Sissy besorgt.

„Nicht mehr weit - es ist bald nach dem Schloss", antwortete das Mädchen und zitterte, weil es sichtlich fröstelte. Man schrieb immerhin den 1. November des Jahres 1885.

„Komm, nimm meinen Umhang", meinte Sissy, nahm das Kleidungsstück von ihren Schultern und hing es der Kleinen über. „Und nun gehen wir ein Stück mitsammen; wir haben offenbar den gleichen Weg!"

Sie nahm der Kleinen den Korb aus den Händen und versuchte, sie beide mit dem Schirm gegen den Regen zu schützen, was allerdings ein fast hoffnungsloses Unterfangen war.

Die Kleine aber schien sichtlich erleichtert.

„Wie heißt du?" fragte Sissy.

„Marcellina", bekam sie zur Antwort. „Und du?"

„Sissy."

„Sissy? - Ist das aber ein komischer Name. Du bist wohl nicht von hier, wie?"

„Ich bin hier nur zu Besuch. Aber da ist ja noch jemand!"

Vor ihnen tauchte ein Radfahrer auf, der sein Rad allerdings schob, weil ihn der Sturm sonst aus dem Sattel geworfen hätte. Er kam ihnen entgegen und schimpfte nicht schlecht. Als er ganz nahe war, sahen sie, dass es ein Karabiniere in Uniform war.

„Diabolo, maledetto!" fluchte er. „Bei diesem Wetterjagt man keinen Hund auf die Straße. Und was muss ich tun?

Ausgerechnet mich schickt man los, um dieses verrückte Frauenzimmer zu suchen. Padre mio! Und so eine Person haben wir zur Kaiserin!"

Er blieb stehen und stutzte, als er die beiden sah.

„Tag, Vittorio!" rief ihm Marcellina zu.

„Was, zum Teufel, machst du bei diesem Sauwetter auf der Straße, he?"

„Ich habe Maroni besorgen müssen."

„Und wer ist sie, he?" - Der Karabiniere beäugte Sissy, die ihn mit dem Korb Kastanien unterm Arm unbefangen anlächelte.

„Sie ist auf Besuch hier", antwortete Marcellina.

„Soso, auf Besuch! Na, dann hat sie ja gerade das schönste Wetter mitgebracht, hehe. Na, seht nur zu, dass ihr schleunigst ins Trockene kommt. Übrigens, Frau, haben Sie vielleicht unterwegs ein Frauenzimmer gesehen, das ganz allein bei diesem Wolkenbruch durch die Gegend rennt? Wegen dieser armen Irren hat man mich nämlich aus unserer trockenen Wachstube gejagt. Es handelt sich" - unwillkürlich nahm er dabei Haltung an - „um Ihre Majestät, die Kaiserin!"

Er sah dabei so komisch aus, dass Sissy einfach lachen musste. Doch das brachte ihn in Hämisch.

„Dabei ist gar nichts zu lachen, verstehen Sie? Oder wollen Sie etwa die Kaiserin verspotten?"

„Nein, nein, gewiss nicht", versicherte Sissy und versuchte, ihr Lachen zu unterdrücken.

„Das ist Ihr Glück! Im Dienst verstehe ich nämlich keinen Spaß. Und schon gar nicht bei diesem Wetter. Aber da Sie bei den Eltern von Marcellina wohnen, will ich Nachsicht üben", meinte er wohlwollend.

„Aber sie wohnt ja gar nicht bei uns", rief Marcellina.

„Nein? Wo denn?"

„Im Schloss", antwortete Sissy und befürchtete schon, ihr Inkognito preisgeben zu müssen.

„Wie? Im Schloss? Dann kennen Sie womöglich gar die Kaiserin persönlich?"

„Das kann man schon sagen", meinte Sissy, wobei ihre Mundwinkel verräterisch zu zucken begannen.

„Na, dann lassen Sie sie von mir schön grüßen", knurrte er zornig, tippte an seine Kopfbedeckung und schob fluchend sein Fahrrad weiter, um die Kaiserin „weiterzusuchen", mit der er soeben gesprochen hatte.

Wenig später - der Regen ließ unterdessen etwas nach - erreichte Sissy mit Marcellina das Schloss und schellte an der Pforte. Im Schloss wurde es lebendig. Zwei Diener, ein Hausmädchen, Ida von Ferency und schließlich auch noch Baron Nopcsa stürzten heraus.

„Majestät! Endlich, Majestät!" rief der Baron.

„Wir waren schon so in Sorge", rief Ida erleichtert.

Sissy gab der kleinen Marcellina den Korb zurück und drückte ihr dazu auch noch den Schirm rasch in die Hand.

„Da hast du", sagte sie. „Und geh jetzt schnell nach Hause! Schirm und Umhang darfst du behalten!"

Marcellina machte große Augen. Doch noch ehe sie etwas sagen konnte - ein Schimmer staunenden Begreifens stand plötzlich in ihrem Gesicht -, stand sie vor dem schon wieder geschlossenen Gittertor. Die fremde Dame wurde von den Leuten, die sie in Empfang genommen hatten, eiligst ins Haus begleitet.

Sissy kleidete sich wenig später in ihrem Garderobengemach um. Sie entledigte sich ihrer Sachen, und als sie wenig später mit trockenen, warmen Kleidern am Leib vor dem Spiegel stand, lächelte sie sich selbst zu und meinte: „Fast hätte ich vergessen, dir von einem gewissen Karabiniere Grüße auszurichten!"

Der Karabineri aber kratzte sich zwei Stunden später gewaltig den Schädel, als er sich bei Marcellinas Eltern einen wärmenden Schluck genehmigte und die Geschichte von der fremden Dame im Regen vernahm.

Ein Kaisertreffen

Am Morgen nach diesem verregneten Nachmittag war zwar Sissy kerngesund, jedoch Baron Nopcsa lag zu Bett. Seine Nerven streikten. Auch die Landgräfin Fürstenberg ließ erkennen, dass sie sich einem baldigen Aufbruch nach Wien noch nicht gewachsen fühlte.

„Majestät müssen sich mit dem Gedanken vertraut machen", empfahl Marie von Festetics Sissy, als diese von einer Fechtübung aus dem Turnzimmer kam, „die Landgräfin aus Ihren Diensten zu entlassen. Die alte Dame ist überfordert. Sie ist beinahe doppelt so alt wie Eure Majestät."

Damit machte die Hofdame Sissy zwar um einige Jahre jünger, doch das hörte diese nicht ungern.

„Aber Doktor Wiederhofer hat doch nach der letzten Untersuchung versichert..."

„Majestät, der Leibarzt hat Ihnen damit einen Gefallen getan", versicherte Marie. „Wenn Sie ihn so bittend anschauen, kann er unmöglich widerstehen. Im Ernst, Frau von Fürstenberg ist über Achtzig; zwar noch rüstig, aber den Anstrengungen nicht mehr gewachsen."

Sissy nickte betroffen.

„Ich verstehe. Aber es fällt mir schwer, mich von ihr zu trennen. Nun, ich werde sie vor die Wahl stellen ....."

„Nein, Majestät, das dürfen Sie nicht! Frau von Fürstenberg würde sich womöglich dafür entscheiden, zu bleiben. Sie kennen ihre Zuneigung. Sie wäre imstande, um den Preis ihrer Gesundheit weiterzudienen. Das Risiko dürfen wir nicht auf uns nehmen, Majestät."

Sissy runzelte die Stirne.

„Ich verstehe", sagte sie nachdenklich. „Ich muss ihr also befehlen ..... Und wie wird sie es aufnehmen?"

„Wie Eure Majestät: sie wird traurig sein. Aber am Ende doch einsehen, dass es das Beste ist."

„Schön", nickte Sissy entschlossen. „Ich werde ihr also heute sagen, dass dies unsere letzte gemeinsame Reise gewesen ist. Wir haben viele schöne Tage mitsammen erlebt und auch weniger schöne. Ich erinnere mich an die Zeit, als sie aus dem Hofstaat von Tante Sophie kam. Da war sie voll Misstrauen und gegen mich voreingenommen. Und nun ..."

„Majestät haben die Landgräfin ganz und gar erobert", lächelte Marie. „So wie Sie es mit jedermann tun, ob Sie nun wollen oder nicht. Es liegt im Wesen Eurer Majestät; ich will nicht schmeicheln, doch Majestät besitzen einen Zauber ....."

Sissy lachte.

„Was reden Sie da für dummes Zeug, Marie! Einen Zauber! Andere Leute sind da ganz anderer Meinung. Unser Ministerpräsident zum Beispiel, Graf Taaffe, der findet mich einfach unausstehlich."

„Der Graf ist ein Ekel. Er kann auch Seine Hoheit, den Kronprinzen, nicht leiden."

„Aber meinen Mann, den mag er!"

„Kunststück. Was wäre der Graf ohne Seine Majestät?"

„Nun, ein steinreicher Mann vermutlich."

„Das ist er doch auch so, Majestät."

„In einer Monarchie wird man als Ministerpräsident nicht reich. Er könnte es sich gar nicht leisten, zu amtieren und zu repräsentieren, wenn er nicht aus seinem Privatvermögen zusetzt. Nein, ihn reizen Macht und Einfluss! Er nimmt auf Umwegen seinen Vorteil wahr, und darauf versteht er sich gewiss nicht schlecht. Und deshalb scheut er auch jede Veränderung. Er fürchtet gewiss heute schon den Tag, an dem Rudolf auf den Thron kommt. Unter Rudolf wird vieles anders werden! Sehr vieles. Aber bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Der Kaiser ist gesund, kräftig und noch voll Tatendrang. Ich glaube, mit Franzl wird es noch manche Überraschung geben ....."

Und das glaubte sie wirklich. Als der Hofzug von Triest in Richtung Wien abdampfte, saß sie am Fenster ihres Salonwagens und blickte auf die wolkenverhangene Hafenstadt, die auch heute noch kein freundlicheres Bild bot als gestern. Der Zug durchratterte das Bergland um die Rosandra, in dem sich die Campagnen der wohlhabenden Triester Bürger befanden - ländliche Villen von hübschem Aussehen. Eine heftige Bora zerzauste die Wipfel der auf dem Kalksteinboden spärlich vegetierenden Bäume.

Der Zug rollte über einen Viadukt und verschwand in einem Tunnel. Als er ihn wieder verließ, lag vor den Fenstern das Barcolaner Tal, das bei besserem Wetter einen herrlichen Anblick geboten hätte. Wieder fuhr der Zug über einen Viadukt, ein Meisterwerk der österreichischen Bahnbauer. Weitere acht Viadukte folgten, bevor die schroffen Einschnitte der Karstfelsen von Nabresina erreicht wurden. Über Adelsberg - berühmt für seine Grotte - und Laibach würde sich der Hofzug weiter nach Wien bewegen.

Sissy kannte die Strecke nur zu gut. Sie setzte sich in ihren bequemen Lederfauteuil an ihren Schreibtisch. Sie wollte ein Gedicht schreiben. Das tat sie gern, und Kenner meinten, ihre Lyrik wäre nicht so übel. Doch als sie über ein Thema nachdachte, das sie in Verse gießen könnte, verfingen sich ihre Gedanken in den großen Ereignissen von Kremsier des vergangenen Sommers.

Der im Jahre 1878 in Berlin abgehaltene Kongress, der mit einer Konstituierung der Balkanstaaten diesen Unruheherd befrieden sollte, hatte im Endeffekt das Gegenteil erreicht. Österreich war von den teilnehmenden Mächten das Mandat über Bosnien und die Herzegowina zugesprochen worden, und es hatte diese Ländereien besetzt. Das missfiel nicht nur den lokalen Nationalisten, plötzlich fühlte sich auch Russland bedroht. Immer mehr und deutlicher erkennbar trat es als Schutzmacht der auf dem Balkan lebenden slawischen Völker auf. Die ungarische Reichshälfte der österreichisch-ungarischen Monarchie fühlte sich dadurch provoziert. Das Budapester Parlament nahm eine drohende Haltung an. Ein Konflikt schien sich anzubahnen, den Kaiser Franz Joseph nicht wollte.

Um der Gefahr eines Krieges zu begegnen, sollte zwischen dem Kaiser und dem Zaren in dem nordöstlich von Brünn gelegenen Kremsier eine Begegnung stattfinden. Franzl lud zu dieser Aussprache auf höchster Ebene, und Alexander III. nahm an. Wenn man miteinander redet, entwirren sich manche Knoten; Missverständnisse werden ausgeräumt. Man isst gemeinsam und verhandelt. Die Monarchen bringen auch ihre Frauen mit, und der persönliche Kontakt schafft eine Vertrauensbasis, die als Grundlage für ein weiteres friedliches Nachbarschaftsverhältnis der durch ihre Herrscher vertretenen Völker dienen kann.

So trafen auch Franzl und Elisabeth mit Alexander von Russland und seiner Frau Mara am 25. August in Kremsier zusammen. Das Kaisertreffen war für zwei Tag anberaumt; nachher musste Franzl gleich zu den Manövern bei Pilsen. Sissy hingegen freute sich auf die Erholung nach der „kaiserlichen Strapaze" in dem geliebten Ischl.

Eitle Strapaze war es wirklich. Allein der Empfang im Bahnhof, danach die Fahrt im offenen Mylord, gefahren im gerittenen Viererzug, der von allen Seiten begafft und fotografiert wurde. Und schließlich noch die Tafel im Schloss für achtundsiebzig Personen!

Sissy hatte gerade an diesem Tag rasende Kopfschmerzen. Dabei musste sie mit der Zarin in näheren Kontakt kommen und nach allen Seiten lächeln.  Die Hitze im Saal und die unbequeme Enge ihrer Galatoilette ließen sie schwindlig werden. Am Abend gab's auch noch zur Unterhaltung der Gäste eine Vorstellung des Burgtheaters, von dessen Ensemble einige Künstler mit nach Kremsier gekommen waren.

Und da zeigte es sich, dass man bei Franzl wirklich noch Überraschungen erleben konnte…

Die Überraschung hieß Kathi, schlicht und einfach Kathi. Auf dem Programmzettel der Vorstellung, die auf der kleinen Bühne im Festsaal des erzbischöflichen Schlosses gegeben wurde, stand als voller Name: Katharina Schratt. Ihre beiden männlichen Partner waren höchst prominent: Bernhard Baumeister und Adolf von Sonnenthal, ein so großartiger Schauspieler, dass Franzl ihn geadelt hatte. Die drei spielten ein einaktiges Lustspiel, das die Gesellschaft nach der abendlichen Tafel mit großem Erfolg unterhielt.

Sissy fragte sich allerdings, ob Franzl den Inhalt des kleinen Theaterstücks „Er experimentiert" überhaupt mitbekommen habe. Sein Interesse war besonders groß, wenn diese Kathi agierte. Sie war blond, sehr fesch und lustig und ganz anders als die berühmten Tragöden des Burgtheaters, die Franzl so langweilten, dass er gar nicht hinging. Obwohl das Theater ein Anbau am Michaelerplatz und mit den kaiserlichen Gemächern durch den „Theatergang" direkt verbunden war. Diese junge Kathi brachte offenbar neuen Schwung und frischen Wind in die verstaubte Kulissenwelt. Deswegen galt sie auch als Liebling des Wiener Publikums, vor allem der jüngeren Generation, und es war gar nicht leicht gewesen, sie dem Wiener Stadttheater wegzuengagieren.

Nach der Vorstellung waren die Künstler zu den Monarchen befohlen, um deren Lob einheimsen zu können. Dabei sah Sissy die Schratt aus nächster Nähe. Dieses talentierte Mädchen war vielleicht zwanzig Jahre jünger als sie, hatte eine fabelhafte Figur und wunderschöne Augen.

Sissy spürte einen Stich in ihrem Herzen, als sie ein paar vorbereitete freundliche Worte des Lobes sagte und der vor ihr knicksenden Kathi die Hand reichte. Auch Franzl gab ihr die Hand. Hielt er sie nicht ein wenig zu lang in der seinen?

Ich bin doch nicht etwa eifersüchtig, sagte sich Sissy stirnrunzelnd und überhörte fast den Diener, der ihr meldete, dass der Tee im Speisewagen serviert sei.

Eifersüchtig - auf eine junge Schauspielerin! Das fehlt mir gerade noch! Vielleicht sollte ich Franzl doch nicht so oft und so lange in Wien allein lassen, sagte sie sich.

Doch seine Geschäfte lassen ihm kaum Zeit für ein Privatleben. Da sind die endlos langen Vorträge seiner Minister und die noch viel länger dauernden Audienzen. Manchmal empfängt er bis zu dreihundert Leute an einem einzigen Tag und hört sich alle ihre Sorgen und Beschwerden an. Es war ja das gute Recht eines jeden Österreichers, mit seinem Kaiser persönlich zu reden, ihn um Rat und Hilfe zu bitten. Letzteres geschah oft genug, besonders, wenn sich ein Steuerzahler von einer Behörde benachteiligt fühlte.

Die „schönen Tage von „Kremsier“ waren zu Ende, aber ein Stachel blieb und saß tief in Sissys Herzen. Ja, sie liebte ihren Franzl und wusste auch, dass er sie ebenso sehr liebte.

Sissy hatte zwar von Kathi schon vor Kremsier gehört, doch sie hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie liebte mehr die Natur als das Theater. Auch Franzl machte sich nicht viel aus der Schauspielerwelt und den Theaterstücken. Doch er wusste, dass der Großteil der Wiener da ganz anders dachte, und deshalb ließ er für sie auch eine neue Oper und ein neues Burgtheater bauen. Sie sollten sogar die Prunkstücke der neuen Ringstraße bilden, die nun anstelle der abgerissenen, weil überflüssig gewordenen alten Basteien die Wiener Innenstadt umschloss. Es gab keinen Zweifel, dass diese Kathi zum leuchtenden Stern des neuen Burgtheaters avancieren würde, und Sissy hegte den Verdacht, dass dann auch ihr Franzl viel öfter ins Theater gehen würde als früher. . .

Sissy war schlechter Laune und beschloss, das noch immer aufgeschobene Gespräch mit der alten Landgräfin jetzt, zur Teestunde, zu führen.

Der Speisewagen glich einem eleganten, holzgetäfelten Esssalon auf Rädern. Der Hofzug hatte auch seinen eigenen Küchenwagen, der auch den Speisewagen des Begleitpersonals mit versorgte. Sissy selbst hatte drei Waggons für sich zur Verfügung, das Personal weitere fünf. Dann kamen noch die Gepäckwagen und eine eigene Telegraphenstation. Manchmal, wenn sie zur Jagd fuhr und bestimmte Pferde aus der Hofstallung mitnehmen wollte, gab es auch noch Waggons für diese.

Ida, Marie und die alte Landgräfin saßen schon an der Tafel und erhoben sich respektvoll.

„Könnt ihr euch den nicht angewöhnen, sitzen zu bleiben?" meinte Sissy ärgerlich. „Hier sind wir unter uns, und ich bin ein Mensch wie jeder andere."

„O nein, Majestät, halten zu Gnaden", widersprach die Fürstenberg mit feinem Lächeln. „Majestät sind Majestät!"

„Und wenn ich das nun gar nicht sein möchte? Landgräfin, Sie sind eine liebe alte Dame, und ich habe Sie sehr gem. Und bin viel jünger als Sie. Wie kommen Sie dazu, vor mir aufzustehen?"

„Weil Majestät eben Majestät sind", lächelte die Landgräfin und ließ sich vorsichtig wieder nieder. „Es ist der Respekt vor der Krone."

„Aber ich trage sie ja nicht. Nur die Kinder glauben, Kaiser und Könige liefen den ganzen Tag mit einer Krone auf dem Kopf herum. Die Krone liegt in der Schatzkammer, gottlob, denn sie ist schwer genug."

„Ja, sie ist sehr schwer. Besonders schwer durch die Last der Verantwortung. Und auch wenn die wirkliche Krone in der Schatzkammer liegt - eine unsichtbare tragen Sie immer, Majestät. Und sie drückt."

Es lag ein tiefer Respekt in der Stimme der alten Frau, der Sissy bei diesen Worten in die Augen blickte, als wolle sie im Grunde ihrer Seele lesen. Wie recht sie doch hatte! Sissy spürte diese Last, die außer dem Tod niemand von ihr nehmen konnte.

Die Fürstenberg aber schien zu ahnen oder sogar zu wissen, dass Sissy ein bestimmtes Thema auf der Zunge lag. Wahrscheinlich hatten es ihr Marie Festetics oder Ida Ferenczy schon gesagt, dass die Kaiserin ihre Außerdienststellung beabsichtigte. Die alte Dame durfte zwar in dieser Sache nicht das erste Wort sprechen, aber feinfühlig versuchte sie, Sissy die Angelegenheit so leicht als möglich zu machen.

„Ich bin eigentlich recht froh, dass wir nun heim nach Wien kommen", sprach sie deshalb. „Es war doch sehr anstrengend für mich. Und - halten zu Gnaden, Majestät - aber den Marsch von München nach Possenhofen vergesse ich bis an mein Lebensende nicht; der liegt mir noch heute in den Knochen, obwohl Majestät die Güte hatten, für mich ein Fahrzeug kommen zu lassen. Volle acht Stunden, Majestät, Waren wir unterwegs! Wie können Ihre Füße das nur aushalten?"

„Fürstenberg", lächelte Sissy, während der Lakai den Tee in die feinen Porzellanschalen eingoss, „Sie sind der Plage enthoben. Sie haben Ihre Ruhe wohlverdient. Dies ist Ihre letzte Reise mit mir. Wie sehr in Gnaden ich Sie aus meinem Dienst entlasse und wie sehr ich Sie vermissen werde, können Sie sich denken."

Die Stimme versagte ihr fast, und Tränen traten ihr in die Augen. Plötzlich legte sie spontan ihren Teelöffel zurück, sprang auf, umarmte die Landgräfin und küsste sie auf die Stirn. Die Landgräfin wollte ihr die Hand küssen, aber Sissy entzog sie ihr schnell.

„Ich bitte Sie", wehrte sie ab, „meine liebe mütterliche Freundin..."

„Majestät", presste die Landgräfin gerührt hervor, „diese Worte werde ich nie vergessen!"

Sie waren beide ergriffen. Und zugleich froh, dass sie es hinter sich gebracht hatten. Sissy strich der alten Dame noch zärtlich über die Schultern; dann setzte sie sich wieder hin und Biss in das frische Teegebäck.

Ida fasste sich als erste wieder.

„Ja, der Marsch von München nach Possenhofen", lachte sie. „Wenn ich daran denke, kriege ich nochmals Blasen an den Füßen!"

Auch Marie Festetics lachte. Ida stimmte ein, und schließlich überwand auch die Fürstenberg ihre Rührung, und alle waren sehr fröhlich. Sissys Kopfschmerzen waren verflogen, und selbst die Erinnerung an die blonde, verführerische Kathi Schratt trat in den Hintergrund. Dafür drängten sich andere Bilder auf.

Der Gewaltmarsch von München nach Possenhofen ...

Damals, in München, hatte aber auch rein gar nichts geklappt: Der unangemeldete Besuch bei ihrer Jugendfreundin Irene Paumgartten kam nicht zustande, weil Irene aufs Land gefahren war, und Sissys königlicher Cousin, Ludwig II., der seinen Ministern so viele Rätsel aufgab und so viele Scherereien machte, war auch nicht anzutreffen. Niemand vermochte Auskunft zu geben, wo der König war - er schien spurlos verschwunden zu sein. Außerdem hatten die Ärzte seinen Bruder Otto für hoffnungslos irrsinnig erklärt. Er war in einem Seitenflügel des Schlosses interniert und vegetierte in geistiger Umnachtung dahin.

In der Familie der Wittelsbacher war es schon öfters zu Geisteskrankheiten gekommen. Ihre Blutsverwandtschaft mit dem bayrischen König machte Sissy deshalb Angst. Sein beunruhigendes Verhalten und die Geisteskrankheit seines Bruders versetzten Sissy in Panik. Sie musste diese einfach totlaufen. Sie wollte weg von München. Zu Fuß machte sie sich auf den Weg - und marschierte schweigend und verbissen volle acht Stunden, gefolgt von ihren jammernden Hofdamen. Nur die alte Fürstenberg saß in einem wackligen Wagen, den man unterwegs erstanden hatte und der sie auf der schlechten Straße gehörig durchrüttelte. Bei jedem Schlagloch, in das die Räder gerieten, stieß sie einen Schrei aus und stöhnte zum Erbarmen.

„Nun, das kommt sicher nicht wieder vor, Sie sind mich los", tröstete Sissy und lachte, dass ihr die Tränen kamen.

Damals, auf der Straße nach Possenhofen, war ihr gar Rieht zum Fachen zumute gewesen. - War sie davor sicher, dass das gefährliche Erbe der Wittelsbacher nicht eines Tages auch in ihr zum Tragen kam? Oder in ihrem Sohn Rudolf? Oder bei den Töchtern Valerie und Gisela? Die durch Generationen fortgesetzten Heiraten innerhalb der eigenen Verwandtschaft hatten zwar einen hochgezüchteten, aber anfälligen Menschenschlag hervorgebracht. Da konnte man nur beten...

Der Stolz der Monarchie

Prustend und schnaubend dampfte die Lok in die weite, glasüberdachte Halle des Wiener Südbahnhofes ein. Der Hofzug fuhr auf seinem eigenen Perron; der übliche rote Teppich war bereits ausgelegt, und Sissy riss auch schon das Waggonfenster auf. Sie erblickte das versammelte Begrüßungskomitee, ihren Franzl voran, der sie schon mit aller Sehnsucht erwartet hatte.

Prompt flog ihr ein Körnchen Ruß ins Auge, und wütend knallte sie das Fenster wieder zu. Mit ihrem Taschentuch versuchte sie das Körnchen aus ihrem Lid zu entfernen; es schmerzte, brannte, und das gerade jetzt!

„Ida, Marie!" rief sie. „Ich habe Ruß ins Auge bekommen."

„Das bringt Glück, Majestät", versicherte Marie Festetics, die sofort zur Stelle war. „Halten Sie still. Schließen Sie das Auge und drehen Sie den Augapfel nach oben, als ob Sie hinaufschauen wollten. Jetzt tränt es gleich richtig, und das Körnchen wird ganz von allein aus dem Aug' geschwemmt ..."

Tatsächlich spürte Sissy es bald darauf oberhalb des Backenknochens, inmitten einer wahren Tränenflut. Zornig stampfte sie mit ihren kleinen Schnürstiefeln auf den Teppich.

„Meine Schminke! Wie werde ich aussehen! Und dabei habe ich mich doch für Franzl so schön gemacht! - Da steht er auch schon!"

Tatsächlich, da riss er bereits die Wagentüre auf und kam seiner Sissy mit ausgebreiteten Armen entgegen, kaum dass Marie noch Zeit fand, das unglückselige Ruß Krümelchen von der Wange fortzuwischen.

Schon spürte Sissy Franzls Begrüßungsküsse auf den Lippen und Wangen.

„Mein Engel", rief er, „endlich!"

Sie blinzelte verwirrt und vergnügt. Seine Küsse verwirrten sie noch immer nach all den Jahren ihrer Ehe. Er sah gut aus in seiner Uniform, und seine blauen Augen strahlten vor Freude, sie wiederzusehen.

„Mein Engel", wiederholte er die Anrede, die er für sie am liebsten gebrauchte, und diesmal küsste er ihr auch noch galant die Hand.

„Servus, Franzl", sagte sie einfach und erwiderte seinen Kuss. „Es war schön, aber nun ist es gut, wieder daheim bei euch zu sein."

„Draußen warten Gisi und Valerie", verriet Franzl, die beiden Töchter ankündigend.

„Und Rudi?" fragte sie.

„Auf Armeeinspektion", antwortete Franzl zurückhaltend. „Und Stephanie lässt sich entschuldigen; sie hat Klavierunterricht."