Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dem jungen Kaiser Franz Joseph werden nach Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1849 die von General Haynau über die Rebellen verhängten Todesurteile zur Unterschrift vorgelegt, darunter jenes des Grafen Batthyàny. Die Hinrichtung des angesehenen ungarischen Adeligen löst eine Kette unerklärlicher Ereignisse aus, die Jahre später auch das Leben Sissys verändern werden …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 248
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
MARIELUISE VON INGENHEIM
Sissy
Das Diadem der Kaiserin
Autorin: Marieluise von Ingenheim
Illustration Überzug: M. Pleesz
Copyright der E-Book-Ausgabe von hiStory Publications:© Copyright 2016 by Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf GmbH,A-3420 Klosterneuburg bei WienAlle Rechte vorbehalten.Das Werk ist weltweit urheberrechtlich geschützt.All rights reserved throughout the world.
ISBN: 978-3-7004-4439-8EAN: 9783700444398
Prolog
01 - In Bedrängnis
02 - Kaiser von Mutters Gnaden
03 - Blutiges Bündnis
04 - Batthyàny
05 - Vor dem Kaiser
06 - Ende mit Schrecken
07 - Flammen
08 - Janos und Ervenka
09 - Die junge Kaiserin
10 - Ein Gruß vom Ungarland
11 - In der Puszta
12 - Das alte schloss
13 - Der Fluch der Gräfin
14 - Die Bauernhochzeit
15 - Das Gewitter
16 - Das Geschenk
17 - Ervenkas Handel
18 - Champagner und Tokajerwein
19 - Im Reisewagen
20 - Überschwemmungskatastrophe
21 - Ein Wiedersehen
22 - Rachegedanken
23 - Ein Kronprinz und ein Habsburgerkaiser in Mexiko
24 - Schwierige Zeiten
25 - Die Villa in der Maxingstraße
26 - Das Ende kündigt sich an
27 - Erzherzog Franz Ferdinand
28 - Elisabeth
29 - Der einsame Kaiser
30 - Hochzeit in Schwarzau
31 - Sarajevo
32 - Des Dramas letzter Akt
Dem jungen Kaiser Franz Joseph werden nach Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1849 die von General Haynau über die Rebellen verhängten Todesurteile zur Unterschrift vorgelegt, darunter jenes des Grafen Batthyány. Die Hinrichtung des angesehenen ungarischen Adeligen löst eine Kette unerklärlicher Ereignisse aus, die Jahre später auch das Leben Sissys verändern werden…
„Was für ein Jahr - was für ein schreckliches Jahr!" klagte Erzherzogin Sophie an diesem Morgen im Herbst des Jahres 1848.
Von Frankreich war der Funke der neuen Revolution nach Deutschland übergesprungen, von da nach Italien und hatte dort vor allem die unter österreichischer Herrschaft stehenden Provinzen erfasst. Ein gefährlicher Flächenbrand war entstanden, dessen verheerende Flammen bereits bis hinauf nach Polen züngelten.
Erzherzogin Sophie erinnerte sich mit Schrecken an jenen 13. März, an welchem Kanzler Metternich unter dem Druck der Massen abdankte und danach mit seiner Frau unter dem falschen Namen Mattexu nach England ins Exil ging. Sie selbst, Sophie, fand diesen Rücktritt als für den Fortbestand der Monarchie unerlässlich. Tatsächlich trat eine kurze Atempause ein, während welcher der Hof nach Innsbruck übersiedelte.
Zu Pfingsten brach der Aufstand in Prag aus. Währenddessen marschierte Graf Radetzky mit seinen Truppen in Oberitalien ein, um dort die Aufständischen niederzuzwingen. Ihm zur Seite stand General Haynau, ein Mann, der keine Skrupel kannte, wenn es um die Durchsetzung seiner Ziele ging.
In Ungarn hielt im Parlament ein Abgeordneter namens Lajos Kossuth Brandreden und appellierte an den Nationalstolz des Volkes. „Die Stephanskrone gehört auf das Haupt eines Ungarn!" verlangte er. Und „Los von Habsburg!" sei das Gebot der Stunde.
„Diese nationalistische Narretei ist das gefährlichste aller Übel", erinnerte sich Sophie an ein Wort Metternichs. „Es gibt nichts Schlimmeres als nationalen Eigendünkel. Er nistet sich in den Kleingeistern ein, die nicht imstande sind, zu erkennen, dass es ein Größeres gibt - nämlich Europa."
Freilich, immer wenn Fürst Metternich von Europa gesprochen hatte, hörte die Erzherzogin „Österreich". Tatsächlich erstreckte sich die Monarchie über das ganze Herzstück des Kontinents. Doch sie war ein Vielvölkerstaat - und das wiederum war zugleich ihr Vorzug wie auch ihre Schwäche. Was die Völker einte, war außer der Krone letztlich nur das Militär. Dieses errang im Juli bei Custoza den entscheidenden Sieg über die ein italienisches Königreich anstrebenden Aufständischen, und „Vater Radetzky", der Habsburg die italienischen Provinzen zurückerobert hatte, zog glorreich in Mailand ein.
Anfang Oktober begann man in Wien schon wieder zu revoltieren, und der Hof bereitete sich auf eine Flucht aus der Hauptstadt vor. Immer, wenn die Situation kritisch wurde, nahm Erzherzogin Sophie die Zügel fest in die Hand. „Sie ist der einzige Mann am Wiener Kaiserhof", beurteilte sie der preußische Gesandte. Kaiser Ferdinand war für ihn nicht ernst zu nehmen.
Kaiser Ferdinand I. wäre am liebsten nicht Kaiser, sondern Gärtner geworden. Seine Blumen und sein Gartenwerkzeug liebte er über alles. Die Ärzte fanden zudem, der Aufenthalt in der frischen Luft täte dem stets kränkelnden Kaiser gut, und die Hofkamarilla war glücklich, wenn er ihr in ihren Entscheidungen nicht „hineinregierte", weshalb der Verdacht aufkam, in diesem der Güte und Toleranz zugeneigten Manne gäbe es keinen wachen Verstand.
Aber immerhin berichtete ein Wiener Blatt im Juni: „Der Kaiser hat geweint, als er von den unseligen Ereignissen erfuhr."
Damals hatte Windischgraetz den Aufstand in Prag niedergeschlagen. Jetzt befand er sich mit seinen Truppen auf dem Marsch in Richtung Wien. Und aus Kroatien war der kaisertreue Banus Jellačić mit seinen Scharen aufgebrochen, um den Thron zu retten.
Jellačić war mit 40.000 seiner Getreuen im Anmarsch, und Windischgraetz forderte Wien zur Übergabe auf. Der Hof war unterdessen unterwegs nach Olmütz. Mit ihm zugleich zogen an die 20.000 Wiener, viele Abgeordnete und siebentausend Mann Militär, welche den Zug schützen sollten. Man war um halb sechs Uhr früh aufgebrochen. Wien Stadt schlief an diesem Oktobermorgen, man passierte ungehindert die Tore, und je mehr sich der Tag erhellte und man sich Brünn zu nähern begann, desto mehr glich die Flucht einem Triumphzug, denn überall entlang der Straße formierte sich ein winkendes, jubelndes Spalier von Leuten aus dem Volk.
Das Ziel war Olmütz, wo der Bischof seinen Palast für den Kaiser und sein Gefolge zur Verfügung stellte. Am 14. Oktober zog der Hof ein.
,,Is' hier immer noch Revolution, Sophie?" erkundigte sich Kaiser Ferdinand, im Bischofspalais ans Fenster tretend.
„Gottlob nicht, hier ist alles ruhig", versicherte die Erzherzogin.
„Ich versteh' noch immer nicht, wieso die Wiener das überhaupt haben tun können", wunderte sich der Kaiser.
„Ich glaub', da ist der Haynau mit dran schuld", versuchte Sophie eine plausible Erklärung.
„Der Haynau? Ja warum denn, was hat er denn g'macht?"
General Haynau hatte, als Radetzky in den italienischen Provinzen vorrückte, einen katholischen Priester kurz nach dessen Predigt vom Altar weg verhaften und im vollen Messornat vor der Kirche standrechtlich erschießen lassen.
Der Kaiser rang entsetzt die Hände, „Ja, jetzt versteh' ich alles. Sofort absetzen den Mann und einsperr'n, damit a Ruh' is'!"
„Ganz im Gegenteil!" widersprach die resolute Erzherzogin. „Den Haynau schicken wir jetzt nach Ungarn! Die sollen ihn kennenlernen, wenn sie sich weiter mucksen. Und einsperren lassen wir den Kossuth, nicht ihn!"
Sophie maß ihren kaiserlichen Schwager mit einem abschätzenden Blick und verglich ihn mit ihrem Mann, dem Erzherzog Franz Karl. Er war nach Ferdinand I. der unmittelbare Thronanwärter. Doch auch er wäre, wie ihr schien, nicht der „richtige Mann auf dem Thron". Ihr schon lange gefasster Entschluss stand fest. Und schon bald noch, hier in Olmütz, sollte er Wirklichkeit werden.
PROCLAMATION des Feldmarschalls Fürsten zu Windisch-Graetz vom 23. Oktober 1848 Die Stadt Wien, deren Vorstädte und die nächste Umgebung haben 48 Stunden nach Erhalt dieser Proclamation ihre Unterwerfung auszusprechen. Ein jeder, der sich widersetzt, des Aufruhrs oder der Teilnahme an demselben überwiesen oder mit Waffen in der Hand ergriffen wird, verfällt der standrechtlichen Behandlung.
BEFEHL AN ALLE COMMANDANTEN
von Messenhauser, prov. Ober-Commandant,
vom 26. Oktober 1848
Fürst Windischgraetz hat der Deputation des Gemeinderates erklärt, er müsse bei den Bedingungen beharren, er verlange unbedingte Unterwerfung und am Abend werden die Feindseligkeiten eröffnet.
Das Geläute der großen Sturmglocke von St. Stephan wird das Zeichen sein, dass der Angriff des Feindes auf irgendeiner Seite ersichtlich sei.
ÖFFENTLICHER AUFRUF
Messenhausers, prov. Commandant,
vom 29. Oktober 1848
Mitbürger!
Soll ein Verzweiflungskampf stattfinden? Oder die Unterwerfung unter die Übermacht des Gegners?
Wir haben nur so viel Munition erzeugen können, dass nur für 4 Stunden allgemeiner Verteidigung mehr da ist.
Unter solchen Verhältnissen kann man es auf keinen Sturm mehr ankommen lassen.
PROCLAMATION des Fürsten zu Windisch-Graetz, k. k. Feldmarschall, vom 1. November 1848 Indem ich die unter meinem Befehle stehenden k. k. Truppen in die Hauptstadt Wien einrücken lasse, finde ich mich dazu bestimmt, jene Maßregeln allgemein bekannt zu machen, deren Ausführung ich zur allgemeinen Wiederherstellung des auf das tiefste erschütterten öffentlichen Rechtszustandes für unerlässlich halte:
Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes Akademische Legion und Nationalgarde sind aufgelöst Allgemeine Entwaffnung Alle politischen Vereine werden geschlossen Die Presse bleibt vorläufig beschränkt Die Barrikaden in der Stadt und in den Vorstädten sind also gleich wegzuräumen
Die standrechtliche Erschießung des Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, Robert Blum, erfolgte am 9. November, diejenige des Kommandanten der Nationalgarde, Cäsar Wenzel Messenhauser, am 16. November 1848.
Das Drama der Residenzstadt Wien war damit zu Ende, der Vorhang gefallen. Wohnhäuser und Kulturstätten waren zerstört. Die Bevölkerung beweinte ihre Toten. In den Spitälern harrten die Blessierten ihrer Genesung.
Aber es hätte noch schlimmer kommen können. Die Besonnenheit Messenhausers hatte das Schlimmste verhindert, dennoch musste ein Exempel statuiert werden, er musste sterben. Und vor allem der Hetzredner Blum. Zwar hätte Windischgraetz ihn am liebsten nach Deutschland abschieben lassen, doch wie die Dinge lagen, hätte man damit womöglich einen Wiederholungsfall provoziert. Die „revolutionäre Seuche", wie Zar Nikolaus erklärt hatte, hatte nach Europa gegriffen.
Man schrieb den 2. Dezember 1848. Das Jahr des Unheils sollte nach dem Willen der Erzherzogin für Österreich-Ungarn zu einem Jahre des Heiles werden.
„Na, wenn's sein muss, dann soll er's halt machen. Jung und fesch ist er ja", war des Kaisers Ferdinand Antwort gewesen, als ihm Sophie darlegte, weshalb und zu welchen Gunsten er abdanken solle. Ihr Gatte Franz Karl war zudem offensichtlich direkt erleichtert darob gewesen, dass es ihm erspart bleiben solle, die Thronfolge antreten zu müssen.
Die Hindernisse waren aus dem Weg geräumt! Ihr Sohn Franz Joseph würde Kaiser werden!
Sie wählte jenes Kollier, das ihr einst ihr Gatte anlässlich der Geburt von Franz Joseph geschenkt hatte, ein mit Türkisen und Diamanten besetztes Prachtstück, das sie sich um den Hals legen ließ und das vortrefflich zu dem Kleid aus weißem Moiré passte.
Als die Flügeltüre aufging und der erst achtzehn Jahre alte Franz Joseph das Zimmer betrat, blieb er, betroffen vom Anblick seiner Mutter und überwältigt von den Gefühlen, welche die bevorstehende Zeremonie schon jetzt in ihm auslöste, stehen. Auch Sophie rührte sich nicht. So standen sie sekundenlang einander wortlos gegenüber, ein jeder den anderen anblickend, Sophie strahlend, Franz Joseph aber beklommen. Aufsteigende Tränen verschleierten seinen Blick.
„Mama!", presste er schließlich hervor, stürzte auf sie zu und barg den Kopf an ihrer Brust.
„Aber Franzl", rügte ihn Sophie, „Haltung, mein Bub! Du zerdrückst mir ja mein Kleid!"
Sie schob ihn leicht von sich und betrachtete ihn noch einmal von oben bis unten.
Er trug Galauniform. Weißer Rock mit goldenen Knöpfen, rote, lamellierte Hose. Sein offenes Gesicht war noch ein wenig knabenhaft, seine Augen blickten sanft und ergeben. Er beugte sich voll Ehrfurcht und dankbarem Vertrauen nieder und küsste seiner Mutter die Hand.
„Franzl", sagte sie weich, „du weißt, dass ich dich liebhab' und dein Bestes will. Vergiss das nie. Hör stets auf den Rat deiner Mutter. Sie hat immer nur das Beste im Sinn, für dich ebenso wie für das große Reich, das du von jetzt an regieren wirst. Glaub mir: auf mich kannst du dich verlassen!"
„Und auf den Herrgott, Mama", fügte er hinzu.
„Ja, gewiss, Franzl, auf den Herrgott. Du wirst Kaiser sein von Gottes Gnaden. Bist erwählt. Hast dir dein Amt nicht ausgesucht. Es wird deine Pflicht sein, dich seiner würdig zu erweisen."
„Ich weiß, Mama", brachte Franz Joseph kaum hörbar über die Lippen.
„Na schön", nickte seine Mutter, „dann gehen wir und bringen es hinter uns!"
Im Festsaal der erzbischöflichen Residenz in Olmütz war schon alles versammelt. Kaiser Ferdinand stand auf dem mit Plüsch vorhängen drapierten Postament, ein Blatt Papier in der Hand, von dem er den von Schwarzenberg und Sophie aufgesetzten Text ablesen sollte.
Er maß seinen jungen Nachfolger, der jetzt an der Seite der Erzherzogin den Saal betrat, mit wohlwollendem Blick und lud ihn durch Kopfnicken ein, näher zu treten. Sophie, Franz Josephs Mutter, unterstützte diese Geste, indem sie ihren Sohn sanft an der Schulter berührte und vorwärts schob, bevor sie selbst an den Stufen des Podestes Aufstellung nahm.
Der Kaiser räusperte sich. „Gewichtige Gründe", begann er mit der Verlesung der Urkunde „haben Uns bewogen und zu dem unwiderruflichen Entschluss gebracht, der Kaiserkrone zu entsagen zugunsten Unseres lieben Neffen, des durchlauchtigsten Erzherzogs Franz Joseph Karl, höchstweichen Wir für großjährig erklärt haben! Nachdem Unser geliebter Bruder, der durchlauchtigste Erzherzog Franz Karl, höchstdessen Vater, erklärt haben, auf das ihm nach den geltenden Haus- und Staatsgesetzen zustehende Recht auf die Thronfolge zugunsten höchst seines vorgenannten Sohnes unwiderruflich zu verzichten."
Wie man es ihm gesagt hatte, beugte Franz Joseph jetzt sein linkes Knie. Onkel Ferdinand, eben noch Kaiser von Österreich, stieg die zwei Stufen des Podestes zu ihm hinab und legte ihm, in diesem Moment ganz Rührung und Güte, segnend die Hand auf den blonden Scheitel. „Bleib brav", sagte er dabei leise. „Der Herrgott wird dich beschützen!"
„Danke", würgte Franz Joseph hervor.
„Aber, aber, ist gern g'schehen", lächelte Onkel Ferdinand.
Fürs erste schien alles nach Sophies Wunsche gelaufen. Kaiser Ferdinand hatte abgedankt. Er und seine Gemahlin Maria Anna aus dem Hause Savoyen ließen noch am gleichen Abend ihr umfangreiches Gepäck verladen und reisten ab nach Prag, wo sie in den Gemächern des Hradschin ihren Lebensabend zu verbringen gedachten. Der neue, junge Kaiser aber sollte so bald wie möglich wieder zurück in seine Residenzstadt Wien.
Während kaiserliche Kuriere die Nachricht vom Thronwechsel auch nach Budapest überbrachten, trat dort das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen und gab eine Gegenerklärung ab: Der neue Habsburgerkaiser werde als Souverän der Ungarn nicht anerkannt.
Dies alles kümmerte den verliebten Karl Ludwig, um drei Jahre jünger als sein kaiserlicher Bruder, nicht. Er schrieb Liebesbriefe an „die Kleine aus Possenhofen", Cousine Sissy, Prinzessin und Tochter des Herzogs Maximilian Joseph in Bayern und dessen Gemahlin Ludovika, Schwester seiner Mutter Sophie.
Sophie hatte die von Sissy eingestandene heimliche Verlobung mit nachsichtigem Lächeln quittiert. „Kommt Zeit, mein Bub, kommt Rat. Ihr beide seid ja noch so jung. Schreibt euch nur fleißig", tätschelte Sophie dem verliebten Karl Ludwig den Kopf.
Allerdings, was Franz Joseph betraf, so musste tatsächlich demnächst an eine Verheiratung gedacht werden, denn das Reich brauchte nicht nur einen Kaiser, sondern auch eine Landesmutter, eine Kaiserin.
Aber das alles lag noch in einiger Ferne. Zunächst musste auch Ungarn für Habsburg gerettet werden.
„Das wird nicht ohne Blutvergießen abgehen", prophezeite Schwarzenberg. „Und was das anbetrifft, so hat Ihre Hoheit, Frau Erzherzogin-Mama, einen Vorschlag gemacht, den ich für durchaus vernünftig finde und daher befürworten will."
„Was für einen Vorschlag?" erkundigte sich Franz Joseph besorgt.
„Sie findet, man sollte General Haynau hinunterschicken. Der mag sich die Ungarn vorknöpfen."
„Wie? Den schrecklichen Haynau?"
„Genau den! Ihm geht ein schrecklicher Ruf voraus. Man nennt ihn ,das Henkersmesser'. Glauben Sie mir, Majestät, er wird seinem Ruf gerecht werden und die Magyaren das Fürchten lehren!"
„Und das in
„Majestät, zunächst einmal müssen Sie das Volk überhaupt erst haben! Kossuth hat die Republik ausgerufen und Sie für abgesetzt erklärt!"
„Er muss verblendet sein", fand Franz Joseph.
„Er ist ein Fanatiker, der selbst die Macht in seinen Händen vereinigen will. Er will sich als Präsident an die Spitze Ungarns stellen."
„Das soll er bleiben lassen!" rief Franz Joseph ergrimmt.
„Eben, Majestät - und um ihn daran zu hindern, brauchen wir Haynau. Und ich fürchte, nicht nur den. Wenn er ganz Ungarn mit seinen patriotischen Phrasen aufwiegelt, sind wir vielleicht zu schwach..."
Schwarzenberg hatte nicht Unrecht.
Vorerst jedoch schien alles gutzugehen. Schon am 5. Januar eroberte Windischgraetz Budapest. Bei Nacht und Nebel floh Kossuth, in seinem Gepäck die Stephanskrone, die er dem jungen Habsburger nicht gönnte.
Die Ungarn aber gaben nicht auf, gewannen viele Schlachten, die Kämpfe, an denen sich auf Seiten der Ungarn auch ein polnisches Revolutionsheer beteiligte, wog-ten hin und her. Im April musste sogar Budapest wieder aufgegeben werden.
„Was sollen wir tun?" fragte der junge Kaiser ratlos.
„Einen Verbündeten suchen", riet der kluge Schwarzenberg und setzte in Gedanken hinzu - der für dich die Kastanien aus dem Feuer holt...
Noch am gleichen Tage kam er mit einem Schreiben, das Franz Joseph unterzeichnen sollte. Sophie stand dabei, als er es auf den Schreibtisch vor den Kaiser legte.
„Eure Unterschrift, Majestät", verlangte Schwarzenberg. „Es geht um den Verbündeten für Ungarn. Er wird unsere eigene Armee wesentlich entlasten - falls er zustimmt, woran ich nicht zweifle. Denn es stehen für ihn auch einige Interessen auf dem Spiel, falls der Revolutionär Kossuth und seine Aufständischen nicht entscheidend besiegt werden."
Franz Joseph überflog das Dokument. „An den Zaren!" rief er aus.
„Gewiss, mein Sohn, wir ersuchen den Zaren um Beistand", pflichtete Sophie bei.
„Ihre Unterschrift, Majestät", drängte Schwarzenberg, tauchte die Kielfeder ins Tintenfass, hielt sie auffordernd dem jungen Kaiser hin und fügte, als er dessen Zögern bemerkte, beruhigend hinzu: „Majestät vergeben sich nichts. Gegenseitige Akte des Beistandes sind unter Monarchen üblich, sofern diese ihre gemeinsamen Interessen gefährdet sehen."
„Aber welches Interesse hätte der Zar, uns zu helfen?" fragte Franz Joseph, ohne nach der Feder zu greifen. „Ich meine: Was interessiert ihn an Ungarn?"
„Polen, Majestät", antwortete Schwarzenberg prompt.
„In Polen gärt es ebenso, seit er es annektiert hat. Was in Ungarn jetzt geschieht, könnte morgen auch in Polen passieren. Dort ruft man bereits unverhohlen nach einem polnischen König."
Nur ein Federstrich, suggerierte sich Franz Joseph. Und wer weiß, ob der Zar wirklich darauf eingeht. Seine Feder kratzte über das Papier und zog den Namen „Franz Joseph". Schwarzenberg hielt bereits das Fässchen mit dem Streusand in der Hand und sprühte über den Schriftzug, um die Tinte rasch zum Trocknen zu bringen. Mit einer nochmaligen Verbeugung verließ er eilig den Raum. Er hatte nicht die Unwahrheit gesagt: Ein Kurier nach St. Petersburg hielt sich bereits zur Verfügung, und dieser Mann war kurz darauf schon unterwegs zu Zar Nikolaus I.
Es war nur ein Federstrich gewesen, den Franz Joseph getan hatte, doch er sollte Folgen haben.
Franz Joseph, begleitet von Mutter Sophie und Schwarzenberg, und Zar Nikolaus trafen einander zu einer kurzen Begegnung in Warschau, wo alle Vereinbarungen betreffs des Feldzuges getroffen wurden. Die Russen rückten am linken Donauufer unter Feldmarschall Fürst Iwan Paskiewitsch vor, am rechten Ufer marschierte Haynau in Richtung auf Buda und Pest. Vom Süden her musste Jellačić die Umklammerung der Armee Kossuths vollenden.
Als schließlich am 3. Oktober die Festung Komorn als letzte ungarische Bastion kapitulierte, war das das Ende. Der Ungarn-Aufstand war gescheitert, ein Traum war ausgeträumt. Elf Generäle, anderthalbtausend Stabs- und andere Offiziere und knapp viertausend Mann wurden in Gefangenschaft geführt. Die Zahl der feuerfähigen Geschütze war auf 129 zusammengeschrumpft.
Im Lande herrschten Inflation und Chaos. Die russischen Truppen machten Beute, wo sie nur konnten, und zogen plündernd durch das Land. In Wien und St. Petersburg aber läuteten die Siegesglocken.
Sophie setzte auf die Zeit, die alle Wunden heilt. „Ruh dich aus, Franzl, vergiss deine Sorgen. Hab' ich dir nicht prophezeit: Alles wird gut? Nun ist es soweit! Wen haben wir noch zu fürchten?!"
Aus Ungarn erhielt man mancherlei Botschaft. Etlichen der ungarischen Adligen, die auf Kossuth gesetzt hatten, war gerade noch rechtzeitig die Flucht ins Ausland geglückt, unter ihnen Graf Gyula Andrassy. Er war als erfolgreicher Politiker im Parlament für die Interessen seines Landes eingetreten und gehörte zu den ältesten Adelsfamilien des Landes. Andere hatten weniger Glück. Dreizehn Generäle, die einst in der kaiserlichen Armee gedient hatten, wurden als Verräter gehängt.
Zu den in Gefangenschaft Geratenen gehörte auch der Ministerpräsident der Revolutionsregierung, Graf Ludwig Batthyány. Er wurde zur Aburteilung in die Festung Arpad gebracht.
„Batthyány? Sagten Sie: Batthyány?" vergewisserte sich Sophie.
„So ist es, Majestät", antwortete Schwarzenberg. „Sein Tun ist besonders verwerflich. Hat man doch in ihn besonderes Vertrauen gesetzt. Er hat es nicht gerechtfertigt. Auch er wurde zum Verräter."
Sophie biss sich auf die Lippen. „Warum hat er es nicht gemacht wie Andrassy?" fragte sie ärgerlich. „Er hätte sich und uns einiges erspart!"
„Er hatte Pech", meinte Schwarzenberg lakonisch.
„Ich muss mit meinem Sohn darüber reden", erklärte die Erzherzogin nach kurzem Überlegen. „Der Kaiser soll selbst entscheiden."
Mit einem leicht verwunderten Blick verabschiedete sich der Fürst. Es war das erste Mal, dass die Erzherzogin es ablehnte, selbst die Verantwortung über Leben und Tod eines Gegners zu tragen.
Unter dem Vorsitz des jungen Kaisers hatte der Ministerrat beschlossen, allen Anführern vom Stabsoffizier aufwärts den Kriegsgerichtsprozess zu machen. Haynau hatte jedoch den Auftrag, die verhängten Todesurteile in Wien vom Kaiser bestätigen zu lassen. Franz Joseph hatte es durchgesetzt, denn er wusste inzwischen, wie Haynau zu verfahren pflegte. Und nun waren die Mappen mit den Urteilen eingelangt.
Die Erzherzogin hatte sich als eine der wenigen am Wiener Hof das Vorrecht wahren lassen, das Arbeitszimmer Seiner Majestät „durch die Kammer" betreten zu dürfen. Das heißt, sie durfte ihn unangemeldet, durch einen Nebenraum kommend, aufsuchen.
An diesem Vormittag war es wieder einmal so weit. Die Mappe mit den Urteilen des ungarischen Kriegsgerichts lag bereits auf des Kaisers Schreibtisch. Er hatte sie noch nicht gelesen, sondern stand vielmehr vor einem der hohen Fenster und blickte auf das Glacis hinab, welches sich vor der Stadtmauer der Residenzstadt zwischen deren Vorwerken und den Vororten ausbreitete.
„Guten Morgen, Franzl", begrüßte sie ihn.
Franz Joseph hörte ihre Stimme wohl, doch er wandte sich nicht um.
„Was ist mit dir?" forschte sie.
„Gestern Abend erhielt ich die Mappen von Haynau. Ich habe fast kein Auge zugetan, Mama!"
„Der Mappen wegen komme ich zu dir", erklärte sie, näher tretend, und begann begütigend auf ihn einzusprechen. „Ich weiß, dass dich das bedrückt. Aber als Kaiser von Gottes Gnaden liegt Leben und Tod deiner Untertanen in deiner Hand."
„Ich habe also das Recht zu begnadigen?"
„Das Recht hast du, mein Sohn, aber es erfordert reifliche Überlegung, ob du davon Gebrauch machen kannst. Es gilt, alle Für und Wider sorgsam abzuwägen, Schuld oder Nichtschuld, Vor- und Nachteile..."
„Vor- und Nachteile - für wen?"
„Für den Verurteilten ebenso wie etwa auch für das Reich, wenn besondere Umstände vorliegen."
„Also Umstände, die mit Schuld oder Nichtschuld gar nicht zusammenhängen?"
„Das kann sich so ergeben, Franzl. In dieser Mappe findest du so einen Fall. Er betrifft das Urteil über Graf Batthyány. Gewiss, er ist schuldig. Unser Palatin in Ungarn, Erzherzog Stephan, hat ihn zum Ministerpräsidenten gemacht. Doch er beging Hochverrat und lief zu Kossuth über... Strafe muss sein, ohne Ansehen der Person."
„Batthyány - ich erinnere mich an den Mann."
„Ja, du bist ihm hier in Wien in der Hofburg begegnet. Er und die anderen haben deinem Onkel, dem Kaiser Ferdinand, Treue gelobt."
„Aber hat er nicht auch Verdienste erworben, um Ungarn, meine ich?"
„Er hat das Haus Habsburg verraten."
„Hat er nicht gedacht, seinem Land zu dienen, als er mit Kossuth für die Einsetzung eines Königs warb, der aus dem Adel Ungarns käme?"
„Womöglich wollte er selbst König werden", sagte Sophie sarkastisch. „Nein, Franzl, das sind alles keine Gründe, Rücksicht zu üben."
„Und was wäre ein Grund für Batthyány?"
„Seine öffentliche Beliebtheit. Auch hat er große Besitzungen, auf denen viele Menschen Arbeit und Brot finden. Sie sind von ihm abhängig. Zwar hinterlässt er seine Frau, die Gräfin, und zwei Söhne, aber ich fürchte, wenn das Urteil über ihn vollstreckt wird, dann könnte dies einen neuerlichen Aufruhr zur Folge haben."
„Was schlägst du also vor, Mama?"
„Wandle das Urteil in eine lebenslange Haftstrafe um. Nach ein paar Jahren erlässt du eine Amnestie, und er ist ein freier Mann und wird sich hoffentlich die Vergangenheit merken."
„Und weshalb verfährt man bei den anderen nicht ebenso?" fragte Franz Joseph.
„Weil es bei denen keine triftigen Gründe gibt. Ich schlage eine politische Lösung vor. Auch Schwarzenberg hat Bedenken."
„So, hat er sie?!" entgegnete Franz Joseph zornig. „Hat er welche, dann soll ich so, hat er keine, dann soll ich anders! Bin ich seine Marionette?"
„Er ist ein erfahrener Mann, Franzl, und will unser Bestes."
Franz Joseph sank mit gerunzelter Stirn auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder. Nach einer Weile hob er den Kopf. „Ich will es mir noch überlegen, Mama. Das mit Batthyány will ich so machen, wie du mir sagst. Aber die anderen Urteile möchte ich noch prüfen."
„Schön", nickte die Erzherzogin, teilweise zufrieden. „Du bist der Kaiser. Wir können dir nur mit Rat und Tat zur Seite stehen..."
Sie verließ das Arbeitszimmer des jungen Kaisers so, wie sie gekommen war, durch die Kammer. Sie hatte eine neue Erfahrung gemacht, die sie leicht beunruhigte. Zum ersten Male seit seiner Thronübernahme hatte ihr Sohn Ansätze zu eigenmächtigem Handeln gezeigt. Er begann selbständig zu denken, wollte keine Marionette sein.
Fürs erste gelöst schien ihr zumindest das Problem des Grafen Ludwig Batthyány.
Gräfin Ana Batthyány hatte zwei Söhne. So wie der Graf hatten sie sich der Sache des Lajos Kossuth verschrieben. Nun lebten sie irgendwo in den Wäldern, hielten sich versteckt und warteten auf eine günstige Gelegenheit, um ins Ausland zu gelangen. Der Graf hingegen hatte sich im Vertrauen auf den Gerechtigkeitssinn der Sieger zugleich mit vielen anderen ergeben und festnehmen lassen.
Unzählige Male hatte die Gräfin sich in der Hauskapelle ihres Schlosses auf die kalten Fliesen vor dem Altarbild der Heiligen Dreifaltigkeit geworfen und um das Leben ihres Mannes gefleht. Sie hatte sich auch an die Militärgerichtsbarkeit gewandt und einen höhnischen Brief, von Feldzeugmeister Haynau eigenhändig unterzeichnet, als Antwort erhalten. Sie möge sich nicht erdreisten, um das Leben des Verurteilten zu bitten, sondern lieber Loyalität zeigen und den Aufenthaltsort ihrer beiden Söhne bekanntgeben, nach denen gefahndet werde. Das einzige, was sie hatte in Erfahrung bringen können, war, dass man ihren Gatten zwecks Urteilsvollstreckung in die Festung Arpad gebracht hatte. Den schimpflichen Tod eines Verräters sollte er erleiden: den Tod durch den Strang. Und das einem Batthyány, der zu den angesehensten Männern des Ungarlandes zählte und dessen einziges Vergehen darin bestand, dass auch er, wie so viele andere Angehörigen des ungarischen Adels, einen Ungarn als Träger der Stephanskrone gewünscht hatte.
Natürlich hatte sie Haynaus Schreiben keiner Antwort gewürdigt. Vielmehr verdoppelte sie ihre Gebete, sie mögen heil und sicher über die Grenze und nach Frankreich entkommen.
Arpad war zur Stätte des Todes geworden. Zwar erschienen keine Zeitungen, aber die Nachrichten gingen von Mund zu Mund, wie ein Lauffeuer verbreitete sich jedes Urteil, und was diesem folgte, war ein stummer Aufschrei des Hasses gegen die Unterdrücker und ihren jungen Kaiser. Denn in seinem Namen wurden die Urteile gefällt. Es hieß, und das entsprach der Wahrheit, der als provisorischer Gouverneur fungierende Haynau habe den Befehl, jedes der Gerichtserkenntnisse vor dessen Vollstreckung dem Kaiser in Wien zur Prüfung vorzulegen.
Der Kaiser in Wien! Der junge Mann wusste womöglich nichts von den Verdiensten, die sich Graf Batthyány im ungarischen Reichstag um sein Land bereits zu Zeiten Kaiser Ferdinands I. erworben hatte? Hatte er damit nicht auch dem Hause Habsburg gedient?
„Ich muss nach Wien", sagte sich die Gräfin, der dieser Gedanke wie ein Fingerzeig des Himmels erschien. „Ich muss zur Audienz nach Wien. Ich muss den jungen Kaiser sprechen. So hartherzig kann er doch nicht sein! Er muss mich anhören!"
Sie packte das Notwendigste an Bekleidung zusammen, ließ die Reisekutsche bespannen und war schon zur Abreise bereit, als ihr noch ein Gedanke kam.
Sie hatte eine Magd namens Juliska in Diensten. Deren Verlobter war aus der Kossuth-Armee desertiert, als er das unausweichliche Ende derselben kommen sah, und zu den Kaiserlichen übergelaufen. Nach einer erbarmungslosen Tracht Prügel, bei der er offenbar seine Sünde, zu Kossuths Leuten gehört zu haben, abbüßen sollte, hatte man ihn in Gnaden aufgenommen, ihn sogar zum Gefreiten befördert und ihm einen Schießprügel in die Hand gedrückt. Der Gefreite Istvan Nemeth tat nun Dienst in Arpad, von wo er seiner Juliska in von Schreibfehlern strotzenden Briefen berichtete.
„Was befehlen die Gnädige?" knickste Juliska, während die Gräfin zögerte, wie sie ihren Auftrag formulieren sollte.
„Dein Verlobter befindet sich in der Festung Arpad, wo er Dienst tut?" begann sie.
„Sehr wohl, Gnädige", bestätigte Juliska. „Und er will mich heiraten, sobald er von den kaiserlichen Soldaten entlassen wird, Gnädige, und wir genügend gespart haben!"
„Nun, was Letzteres betrifft, so braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Du bekommst die Aussteuer von uns und noch etliche Dukaten dazu, wenn du gut ausführst, was ich dir jetzt auftragen werde."
„Was befehlen Gnädige?" fragte Juliska.
„Ich gebe dir sofort eine Woche Urlaub, damit du in Arpad deinen Istvan besuchen kannst!"
Voll freudiger Überraschung klatschte Juliska heiß errötend in die Hände und hätte beinahe einen Luftsprung getan.
„Du weißt aber doch auch, dass sich dein gütiger Herr in der Festung in Gefangenschaft befindet."
„Ja, ich weiß, Gnädige. Der Himmel möge ihm bald wieder die Freiheit schenken!"
„Damit dies geschehen kann, reise ich noch heute nach Wien. Du aber wirst dich nach Arpad begeben und deinem Istvan einen Auftrag ausrichten. Er muss um jeden Preis versuchen, zu meinem Gatten zu gelangen. Und er muss ihm dieses Jagdmesser zustecken. Es hat einen Griff aus Horn, den man abschrauben kann und der innen hohl ist."
Mit offenem Munde hörte sich Juliska an, was ihre Herrin da sagte, und bemühte sich, dies alles zu verstehen und sich einzuprägen. „Gewiss, Gnädige", sagte sie.
„Gut. Istvan soll meinem Gatten sagen, dass sich im Inneren des Griffs ein Brief befindet. Er enthält die Nachricht, dass ich in Wien beim Kaiser eine Revidierung seines Urteils zu erlangen hoffe. Und dass unsere beiden Söhne in Freiheit sind."
„Jawohl, Gnädige", versicherte Juliska.
„Das Jagdmesser mit dem Brief darf auf keinen Fall in andere Hände gelangen! Da, nimm und reise mit Gott!"
Juliska bekam einen kleinen, leichten, aber schnellen Überlandwagen und ein Pferd davor und war schon auf dem Weg nach der Festung, als die Gräfin Batthyány klopfenden Herzens ihre Reisekutsche nach Wien bestieg.
Was das Schicksal ihres Mannes betraf, so war höchste Eile geboten, deshalb gab sie dem Kutscher den Befehl, die Pferde nicht zu schonen und sie bei der ersten Poststation wechseln zu lassen. Es galt, die nächste Bahnstation zu erreichen. Sie hoffte, bereits am folgenden Tag in Wien zu sein, wo sie sich in der Hofburg zu einer dringenden Audienz anmelden wollte. Unterdessen rollte Juliskas Wägelchen in Richtung Arpad. Auch ihr war größtmögliche Eile eingeschärft worden.
Von alldem wusste der auf seine Hinrichtung wartende Arrestant nichts. Seine Lage erschien ihm aussichtslos. Er wusste: Von einem Gouverneur Haynau, der ihn persönlich mit Hasstiraden angepöbelt hatte, war keine Gnade oder gar Rücksichtnahme zu erwarten.
Seine Zellengenossen waren Graf Ernö Hegyesalom und Baron Malachy. Malachy war ein alter Jagdfreund Batthyánys. Nun sollten sie gemeinsam dasselbe Schicksal erleiden.
Die hallenden Schritte eines Exekutionskommandos wurden laut.
„Hoffentlich sind jetzt nicht wir dran", entfuhr es Batthyány. „Vorgestern haben sie welche aus der Nachbarzelle geholt und gestern von nebenan den Majlath weggeführt!"
„Wir hätten eben zeitgerecht ins Ausland verduften sollen wie so manche andere auch. Aber wir waren zu blöd und zu anständig", gestand Hegyesalom. „Das haben wir nun davon..."
Die Exekutionen in Arpad erfolgten Tag und Nacht draußen im Festungsgraben. Manchmal waren die tödlichen Salven, die das Leben der Verurteilten auslöschten, bis hinunter in die Kasematten zu hören. Doch diese wurden deswegen nicht leer. Immer wieder gab es Nachschub an Gefangenen. Das „Schlächtermesser" namens Haynau leistete ganze Arbeit.
Man hörte gellende Kommandorufe. Gottlob, das Erschießungskommando hielt vor einer anderen Zelle am vorderen Ende des Kellerganges. Und man hörte die entsetzten Ausrufe jener, die nun sterben sollten. Doch dann wurde es still. Der Offizier, welcher die Soldaten befehligte, rief laut die Namen derjenigen aus, die bald darauf ihren letzten Weg antreten sollten, und verlas noch einmal das Urteil und dessen Begründung. Dumpfes Schweigen folgte. Während Minuten darauf das Peloton mit den Delinquenten wieder abmarschierte, hallte ein Empörungsschrei durch die Kasematte, der freilich ohne Wirkung blieb.
„Ungarn den Ungarn! Freiheit für Ungarn! Tod unseren Henkern! Verflucht seien sie!"
Und um dem Hohn die Krone aufzusetzen, hatte Haynau noch befohlen, nach jeder Urteilsvollstreckung die Kaiserhymne abzuspielen, das „Gott erhalte". Eine schallendere Ohrfeige für die besiegten Ungarn konnte es gar nicht geben.
Haynau, der seinen sadistischen Trieben in seinem Amt vollen Lauf lassen konnte, ärgerte sich nur über eines: dass er die Urteile zuerst dem Kaiser nach Wien zuschicken musste, bevor er sie vollstrecken lassen durfte. Instinktiv erkannte er in dem jungen Franz Joseph einen Widersacher, ein Hindernis.
Und wieder näherten sich Schritte. Diesmal waren es nur zwei Mann. Sie brachten die Suppe, die alle jene hinunterwürgten, denen sich der Vorgang von vorhin nicht auf den Magen geschlagen hatte. Heute kam noch ein Gefreiter hinterdrein, der mit einem Besen daranging, den verunreinigten Gang wieder sauber zu machen.
Der Mann blieb vor der Zelle der drei Männer stehen und näherte sich dem Gitter. „Graf Batthyány!" flüsterte er, dabei eifrig kehrend, obwohl es doch vor dieser Zelle gar nichts wegzukehren gab. „Euer Gnaden... eine Botschaft! Kommen Euer Gnaden ganz schnell!"
„Wie, eine Botschaft? Von wem?"
Batthyány richtete sich auf und näherte sich dem Gitter.